Nancy Friday
Die sexuellen Phantasien der Frauen
Aus dem Amerikanischen von Antonia Rühl
FISCHER Digital
Eine umfassende Untersuchung über einen bisher verborgenen Bereich der weiblichen Erotik und Sexualität
Nancy Friday ist eine US-amerikanische Autorin, die sich in ihren Büchern insbesondere mit den Themen Selbstbestimmung und Sexualität auseinandersetzt.
Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de
Was Frauen nicht einmal ihren Männern anvertrauen, hier ist es zu lesen: keine schamhaften Beichten, sondern ehrliche Berichte und Bekenntnisse. Was im geheimen Garten ihrer sexuellen Phantasien wächst und blüht, ihre geheimsten Wünsche, ihre unendlich erfinderischen Traumvorstellungen, hier werden sie in allen Varianten ausgesprochen.
Dieses E-Book ist der unveränderte digitale Reprint einer älteren Ausgabe.
Erschienen bei FISCHER Digital
© 2017 S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstr. 114, D-60596 Frankfurt am Main
Covergestaltung: buxdesign, München
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Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
Impressum der Reprint Vorlage
ISBN dieser E-Book-Ausgabe: 978-3-10-561913-1
Zum erstenmal in der Geschichte versuchen Frauen herauszufinden, was sie mit anderen Frauen gemeinsam haben. Sie tun dies, weil sie zu einem besseren Verständnis ihrer selbst kommen wollen, statt weiterhin das «schweigende Geschlecht» zu bleiben, und auch deshalb, um sinnvolle Bindungen und Beziehungen zu anderen Frauen zu finden. Ich halte es für interessant, daß man zwischen amerikanischen und europäischen Frauen in dieser Hinsicht keinen Unterschied feststellen kann. Bei der Suche nach der Erkenntnis, was es bedeutet, Frau zu sein, helfen uns Ehrlichkeit über unsere Empfindungen und Wünsche mehr als jegliche Nationalität oder Klassenzugehörigkeit.
Nach der Veröffentlichung meines Buches in Amerika haben mir Tausende von Frauen geschrieben und genau das ausgedrückt, was ich auf meinen Forschungsreisen in Europa zu hören bekam: «Ich hatte keine Ahnung, daß andere Frauen solche Gedanken äußern. Ich hielt mich schon für ein Monstrum und für pervers, weil ich solche ‹falschen› sexuellen Vorstellungen habe. Jetzt kann ich mich endlich akzeptieren. Gott sei Dank! Ich bin nicht allein.»
N.F.
Nein, dachte ich erst, als der Verleger mich anrief. Nicht schon wieder ein pseudowissenschaftliches, vordergründig soziologisches, psychologisierendes «bedeutendes» Werk, das eigentlich ein unanständiges Buch ist. Doch dann las ich Nancy Fridays Buch. Ich will kein Blatt vor den Mund nehmen. «Die sexuellen Phantasien der Frauen» sind sehr sexy, und wer so etwas für schlecht und verwerflich hält, dem bleibt nur die Möglichkeit, mit der Lektüre aufzuhören.
Sobald die Erotik des Buches meinen Verstand nicht mehr vernebelte, begann ich über andere Aspekte nachzudenken. Außer Nancy Friday hat meines Wissens niemand je versucht, die unerschöpflichen, unendlich erfinderischen weiblichen Phantasievorstellungen, die unbekannt und unterschwellig wohl schon seit Adam und Eva existieren, wohlwollend und freimütig zu sammeln und niederzuschreiben. Das macht es zu einem faszinierenden, befreienden, schwesterlichen, ja sogar «bedeutenden» Buch, das durchaus einen Platz neben den besten sexualwissenschaftlichen Werken verdient.
Haben alle Frauen sexuelle Phantasien? Meiner Meinung nach ja, wie vage und flüchtig sie auch sein mögen. Als Teenager stellte ich mir schwärmerisch das Gesicht eines Freundes oder Schauspielers vor. Später wurden meine Phantasien immer komplexer; sie glichen einer Art von innerem Ritual, das so sehr Teil von mir war und das ich so sehr akzeptierte, daß es mir nie in den Sinn kam, irgendein Schuldgefühl zu entwickeln. Als ich das Buch zu lesen begann, reagierte ich wie so viele der Frauen, die Nancy Friday ihre Phantasien anvertraut hatten:
«Wer hätte das gedacht? So was habe ich mir doch auch schon mal vorgestellt. Das ist also eine sexuelle Phantasie …»
Zweifellos wird das Buch eine Fundgrube für Psychiater – Profis wie auch Amateure – werden. Es wird aber auch eine Fundgrube für alle, die sich für Frauen und deren Gefühle interessieren. Diese Gefühle wurden durch Angst, Prüderie und das männliche Vorurteil, daß Frauen – zumindest solche, die Wert darauf legen, Damen zu sein – höchstens flüchtiges Interesse am Sex haben, sich gottergeben zurücklegen und an etwas anderes denken, viel zu lange nach innen verdrängt.
Ich glaube tatsächlich, daß die besondere Vielfalt der Phantasien das Ergebnis generationenlanger psychischer Verdrängung ist. Die sexuellen Vorstellungen von Männern können völlig frei artikuliert werden. Sie sind das Thema von tausend Karikaturen, hunderttausend Büchern und Zeitschriften und Millionen von Zeichnungen und Witzen.
Viele Männer leben große Teile ihrer Phantasien im wirklichen Leben aus, sei es nun bei Vergewaltigungen, Schlägereien, im Krieg, durch politische Macht, Uniformen, bei Autorennen, in Striptease-Clubs oder Puffs. (Wohin könnte sich eine Frau wenden und erwarten, daß Männer sich als Priester, Pferde, Lehrer, Scheichs, Gangster, Folterknechte verkleiden?) Andere Männer schaffen es im Privatbereich ihres eigenen Zuhauses dank der mehr oder weniger bereitwilligen Mitwirkung ihrer Frauen und Geliebten, von denen sie verlangen, sich in Leder, Gummi, Federn, Pelz zu werfen, die Herrscherin oder Sklavin zu spielen, sich dem Untermieter hinzugeben, sich ans Bett anketten zu lassen oder ihre Unterwäsche für eine Transvestitennummer zur Verfügung zu stellen.
Da nur wenige Frauen je gefordert haben, ihre Phantasien im wirklichen Leben austoben zu können, haben die Männer weiterhin selbstgefällig angenommen, daß der sexuelle Akt, das Eindringen eines Penis, für Frauen «mit der richtigen Einstellung» das Höchste an Lust bedeute. Einem Mann fällt es sicher nicht leicht, sich mit dem Gedanken zu konfrontieren, daß seine Frau daliegt und ihn anlächelt, sich dabei aber vorstellt, daß sie von seinem besten Freund, dem Nachbarn oder Paul Newman umarmt wird. Frauen haben sich in erstaunlichem Maß mit der Vorstellung abgefunden, daß sie ohne schmückendes Beiwerk, ohne Zugaben nicht genügen. Daher akzeptieren sie es, daß Männer Pin-up-girls, Playboy-Häschen und anzügliche Ansichtskarten brauchen (die in der Aktenmappe versteckt werden), um mit einer normalen Frau schlafen zu können. Männer akzeptieren bei Frauen nichts dergleichen. Nancy Friday berichtet über die schmerzliche Erfahrung, als sie ihrem Liebhaber sexuelle Phantasien anvertraute. Man kann das als Warnung für jede Frau verstehen. Viele Männer fühlen sich durch die Phantasien einer Frau bedroht, wodurch leider meist bewirkt wird, daß der Sex «flöten» geht.
Fairerweise müssen wir zugeben, daß diese Reaktion verständlich genug ist. Phantasien sind geheimnisvolle und empfindliche Bettgenossen, pikant und erregend, wenn sie im Kopf herumspuken, neigen jedoch dazu, ein Eigenleben anzunehmen, wenn sie in unbeholfene Worte gekleidet werden. Etwas unendlich Subtiles, einzigartig Ätherisches ist entschwunden und hinterläßt nichts als einen beunruhigten, verstörten Mann. Wer ist seine wirkliche Frau? Ist es die, die ihn streichelt und liebt oder Lilith, die mit dem Minotaurus Kapriolen macht?
Tja, welche ist die wirkliche Frau? Was berichten unsere Phantasien über uns selbst? Bin ich bereits Lesbierin, wenn ich mir sexuelle Spiele mit einer Frau vorstelle, während ich mit einem Mann schlafe? Oder umgekehrt – bin ich dann wirklich heterosexuell? Bin ich schon bisexuell, wenn ich ein bißchen von beidem genieße? Will ich, daß sich meine Träume verwirklichen, wenn ich in ihnen versklavt und gedemütigt werde? Eins steht fest: Die Phantasie wird von dem Phantasierenden sorgsam manipuliert, sorgfältig zensiert und unter wachsamer Kontrolle «desodoriert». Ein Phantasie-Frauenschänder kann jung, gutaussehend, gewalttätig im Ansatz, nicht aber in der Tat sein. Der wirkliche Frauenschänder ist möglicherweise häßlich, alt, verschwitzt, hat üblen Mundgeruch, schlechte Zähne und ist auf einen körperlich äußerst schmerzvollen Akt aus. Wenn wir klug sind, behalten wir die Schändungs-Phantasien für uns.
Aber … steckt nicht in jeder Phantasie wenigstens ein Körnchen Wirklichkeit? Ist das nicht der Grund, warum wir sie so geheimhalten, und warum Männer sie so fürchten? In dieser Frage fühle ich mich weder kompetent, noch willig, ein Urteil abzugeben. Außerdem glaube ich nicht, daß man Phantasien stark vereinfacht interpretieren sollte. Innere Sprache und Wunschbilder stellen einen verwickelten Code dar, der keineswegs leicht entschlüsselt werden kann und möglicherweise etwas ganz anderes bedeutet, als es vordergründig scheinen mag.
Jill Tweedie
In meiner Phantasie wie beim wirklichen Vögeln bin ich an einem entscheidenden Punkt angelangt … Wir schauen bei einem Fußballspiel zu. Es ist bitterkalt. Vier oder fünf von uns haben sich unter einer großen Wolldecke zusammengedrängt. Plötzlich springen wir auf, um den Mittelstürmer besser zu sehen, der auf die Ziellinie zurennt. Während er übers Feld rast, drehen wir uns in die Decke eingehüllt wie ein Mann in seine Richtung und schreien laut vor Aufregung. Irgendwie ist einer der zuschauenden Männer – ich weiß nicht, welcher es ist, und will auch nicht nachsehen, weil ich viel zu gespannt bin – ganz dicht hinter mich gerückt. Ich schreie weiter; meine Stimme ist wie ein Echo von ihm, dessen Atem ich heiß auf der Haut spüre. Ich kann seinen steifen Penis durch seine Hosen hindurch fühlen, als er mir durch eine Berührung zu verstehen gibt, ich solle meine Hüften weiter zu ihm herum drehen. Das Spiel ist so, daß wir alle immer noch zur Seite gewandt bleiben, um zuzuschauen. Die Menge gerät völlig außer sich. Jetzt hat er seinen Schwanz herausgeholt, und plötzlich ist er zwischen meinen Beinen. Er hat ein Loch in meinen Slip unter dem kurzen Rock gerissen, und ich schreie noch lauter, weil die Spieler jetzt nah beim Tor sind. Wir springen alle ständig vor Begeisterung hoch, und ich muß ein Bein auf die nächsthöhere Sitzreihe stellen, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Nun kann der Mann hinter mir leichter in mich eindringen. Wir hüpfen alle herum und klopfen uns gegenseitig auf den Rücken. Er legt mir den Arm um die Schultern, damit wir uns im gleichen Rhythmus bewegen. Jetzt ist er in mir drin, ist wie ein Rammbock in mich hineingestoßen. Mein Gott, mir kommt’s vor, als wäre er schon in meiner Kehle! «Weiter so! Los, los …!» schreien wir gemeinsam. Wir sind lauter als alle anderen und bringen sie dadurch dazu, noch verrückter zu brüllen. Wir zwei heizen die Begeisterung an wie die Anführer einer Claque, während ich in mir spüre, wie er – wer auch immer er sein mag – steifer und steifer wird und mit jedem Hochspringen immer tiefer reinstößt, bis das Hurrageschrei für die Spieler den Rhythmus unseres Fickens annimmt, und alle um uns herum sind auf unserer Seite, jubeln uns und dem Tor zu … es ist jetzt schwer, beides voneinander zu trennen. Es ist der letzte Angriff des Mittelstürmers, alles hängt von ihm ab. Wir beide rasen wie die Wahnsinnigen, unserem eigenen Ziel schon nahe. Meine Erregung steigert sich, gerät fast außer Kontrolle, als ich dem Fußballer zujuble, der es wie wir machen soll, damit wir alle gemeinsam das Ziel erreichen. Und als der Mann hinter mir aufschreit und mich in lustvollen Zuckungen umkrampft, schießt der unten ein Tor … und ich …
«Erzähl mir, an was du gerade denkst», sagte der Mann, mit dem ich in Wirklichkeit gerade schlief. Seine Worte wirkten so erregt wie das Geschehen in meiner Phantasie. Da ich nie lange überlegte, bevor ich im Bett etwas mit ihm tat (so sicher waren wir uns unserer Spontaneität und Reaktion), machte ich mir auch diesmal nicht die Mühe, meine Gedanken zu zensieren. Ich erzählte ihm, was ich mir da ausgemalt hatte.
Er stieg aus dem Bett, zog sich an und ging.
Ich lag auf den zerwühlten Kissen, urplötzlich zurückgestoßen und völlig im unklaren darüber, wieso. Ich hatte zugeschaut, wie er sich anzog, und ihm zu erklären versucht, daß alles nur Phantasie war. In Wirklichkeit wollte ich diesen anderen Mann vom Fußballplatz doch gar nicht. Er war gesichtslos, ein Niemand! Außerdem hätte ich solche Gedanken nie gehabt und schon gar nicht laut ausgesprochen, wenn ich nicht so erregt gewesen wäre. Und das lag nur an ihm, meinem wirklichen Liebhaber, der mich so sehr erregt hatte, daß ich meinen ganzen Körper, alles von mir, selbst meine Gedanken preisgegeben hatte. Konnte er es denn nicht begreifen? Weil er mich so wild und wunderbar fickte, waren diese Gedanken in mir ausgelöst worden, die mich wiederum noch sinnlicher machten. Im Grunde – ich versuchte zu lächeln – müßte er stolz sein und glücklich für uns beide …
Ich hatte meinen Liebhaber immer bewundert, weil er zu den wenigen Männern gehörte, denen klar war, daß Humor und Spaß auch im Bett am Platze sind. Doch meine Fußball-Phantasie hielt er nicht für lustig. Wie gesagt, er ging einfach weg.
Seine Empörung und die Scham, die er mich empfinden ließ – das Verfassen dieses Buches ließ mich erkennen, daß ich mich noch immer darüber ärgere –, bedeutete den Anfang vom Ende für uns beide. Bis zu diesem Augenblick hatte er von mir immer verlangt: «Mehr!» Er hatte mich davon überzeugt, daß es keine sexuelle Grenze für mich gab, deren Überschreitung ihn nicht noch mehr erregen würde. Sein Ansporn glich dem Peitschenschlag, den ein Kind ab und zu einem Kreisel gibt, auf daß er sich immer schneller drehe. Ebenso trieb er mich immer weiter, Dinge zu tun, nach denen es mich schon immer verlangt hatte. Früher war ich jedoch viel zu scheu gewesen, um im Beisein eines anderen auch nur daran zu denken. Scheuheit war sonst nicht unbedingt meine Sache, aber auf sexuellem Gebiet war ich immer noch die Tochter meiner Mutter. Er hatte mich eindeutig von dieser unangebrachten sittsamen Befangenheit befreit, mit der ich mich zwar intellektuell nie identifizierte, der ich jedoch körperlich auch nicht entfliehen konnte. Er hatte mich durch seinen Stolz auf meine Bemühungen auch stolz auf mich selbst gemacht. Ich liebte uns beide.
Wenn ich jetzt an meinen «Alles-ist-erlaubt»-Liebhaber zurückdenke, erkenne ich, daß ich nur zu bereitwillig seine indirekt eingestandenen Pygmalion-D.H. Lawrence-Phantasien in Szene gesetzt hatte. Und meine? Von denen wollte er nichts wissen. Ich durfte nicht als Co-Autor seines faszinierenden Drehbuchs «Wie Nancy sein soll» mitwirken, obwohl es schließlich um mein Leben ging. Ich sollte nicht handeln, sondern alles mit mir geschehen lassen.
Wo bist du nun, mein verflossener Freund? Wenn du schon durch mein Phantasiegebilde des «anderen Mannes» geschockt wurdest, was hättest du dann wohl von meinem Wachtraum mit dem Dalmatiner meines Großonkels Henry gehalten? Oder nehmen wir das einzige Mitglied meiner Familie, das dir gefallen hat, nämlich Großonkel Henry selbst. Erinnerst du dich noch an sein Porträt, das über dem Klavier meiner Mutter hängt? Damals trugen die Männer noch kitzlige Schnurrbärte, die Frauen lange Röcke. Wenn du wüßtest, was der Großonkel unter dem Tisch mit mir anstellte! Allerdings war nicht ich es, ich war wie ein Junge gekleidet.
Oder war ich’s doch? Ganz egal! In der Phantasie spielt es keine Rolle. Phantasien zeichnen sich durch Flexibilität und durch die Fähigkeit aus, jederzeit irgendeinen neuen Charakter, ein Bild oder eine Idee zu verkörpern. Oder sie enthalten wie die Träume, mit denen sie eng verwandt sind, simultan widersprüchliche Ideen. Sie erweitern, erhöhen, verzerren oder übertreiben die Realität und führen uns weiter und schneller in die Richtung, wo das schamlose Unbewußte hin will (was es auch schon weiß). Phantasien beschenken das erstaunte Selbst mit etwas Unglaublichem: mit der Möglichkeit, das Unmögliche zu erleben.
Ich hatte andere Liebhaber und andere Phantasien, doch ich machte die beiden nie mehr miteinander bekannt. Das änderte sich erst, als ich meinen Ehemann kennenlernte. Der «richtige Mann» verfügt über die Fähigkeit, das Beste in einer Frau zu fördern, alles an ihr zu begehren, sie in ihrem Wesen zu erfassen und nicht nur alles zu akzeptieren, was er vorfindet, sondern sich geradezu mit nichts weniger zufriedenzugeben. Bill holte meine Phantasien wieder aus jenen Tiefen empor, in die ich sie als vernünftig denkender Mensch verbannt hatte. Dort führten sie zwar ein so intensives Eigenleben wie immer, waren aber nichts, über das je wieder offen geredet werden durfte. Ich werde nie Bills Reaktion vergessen, als ich ihm dann doch schüchtern, ängstlich und etwas beschämt erzählte, was ich gerade phantasiert hatte.
«Was für eine Vorstellungskraft!» sagte er. «So etwas hätte ich mir nicht mal im Traum ausmalen können.»
Sein Blick, der amüsierte Bewunderung ausdrückte, wirkte auf mich unendlich erleichternd. Ich erkannte, wie sehr er mich liebte. Da er mich liebte, liebte er auch alles, was mir ein reicheres Leben verschaffte. Meine Phantasien bedeuteten für ihn den Zugang zu einem neuen Garten der Lust, der ihm bisher unbekannt geblieben war und in den ich ihn einladen würde.
Die Ehe befreite mich von vielen Dingen und führte mich neuen entgegen. Wenn meine Phantasien auf Bill so aufschlußreich und imaginativ wirkten, konnte ich sie ja vielleicht in den Roman einbauen, den ich gerade schrieb, überlegte ich mir. Er handelte natürlich von einer Frau … Sicher gab es Frauen und auch Männer außer Bill, die von einem neuen Weg zum Verständnis weiblicher Phantasievorstellungen fasziniert wären! Also widmete ich ein ganzes Romankapitel einer idyllischen Träumerei über die sexuellen Phantasien der Heldin. Mir gefiel diese Passage am besten vom ganzen Buch. Sie war annähernd von der Art, die die von mir am meisten bewunderten Romane auszeichnete. Doch mein Verleger war schockiert. So etwas hätte er noch nie gelesen, erklärte er mir. (Ich halte gerade dies für den Grund schlechthin, einen Roman zu schreiben!) «Diese Phantasien lassen die Heldin wie eine Art von sexueller Mißgeburt wirken», behauptete er. «Wenn sie so verrückt nach diesem Kerl ist und wenn er sie wirklich so phantastisch bumst, warum denkt sie sich dann all diese anderen verrückten Sachen aus … statt an ihn zu denken?»
Darauf hätte ich folgende Gegenfrage stellen können: «Warum haben auch Männer sexuelle Phantasien? Warum suchen Männer Prostituierte auf, um gewisse Praktiken durchzuführen, wenn sie doch willige Frauen zu Hause haben? Warum kaufen Männer ihren Frauen schwarze Spitzenstrapse und BHs, die die Brustwarzen frei lassen? Warum tun sie so etwas, wenn es dabei nicht um die Erfüllung eigener Phantasien geht? In Italien schreien Männer bei der Ejakulation «Madonna mia!» Aus einschlägigen Büchern erfahren wir, daß es für einen phantasievollen Mann nicht ungewöhnlich ist, eine Frau für das Privileg zu bezahlen, Sahnetorte (nach Großmutterart) aufzuschlürfen, die sie sich netterweise in die Vagina gestopft hat. Warum ist es durchaus respektabel (und immer wieder gut verkäuflich), wenn in Karikaturen der Durchschnittsbürger auf der Straße einer üppigen Blondine nachschaut, während er sie in einer «Sprechblase» über seinem Kopf auf höchst exotische Weise vögelt? Mein Gott! Weit davon entfernt, als verwerflich zu gelten, werden derartige Phantasien von Männern als amüsant, als familiärer Spaß angesehen, über den Vater und Sohn gemeinsam lachen können.
Männer tauschen sexuelle Phantasien beim Bier aus, wo sie dann die Bezeichnung «schmutzige Witze» tragen. Sollte mal gelegentlich ein Mann sie nicht komisch finden, wird er gleich als merkwürdiger Kauz abgestempelt. Blue Movies erheitern die Teilnehmer eines Junggesellendinners oder einer Konferenz bis zu Lachkrämpfen. Und wenn Henry Miller, D.H. Lawrence und Norman Mailer – ganz zu schweigen von Jean Genet – ihre Phantasien auf dem Papier ausbreiten, dann werden sie als das angesehen, was sie sein können – als Kunst. Die sexuellen Phantasien von solchen Männern werden zu Romanen. Nun hätte ich meinen Verleger fragen können, warum die sexuellen Phantasien von Frauen nicht den gleichen Namen verdienen.
Aber ich sagte nichts. Die Anspielungen meines Verlegers trafen mich, ebenso wie die Zurückweisung durch meinen früheren Liebhaber, an jener besonders empfindlichen Stelle, wo Frauen, die so wenig über das wahre sexuelle Wesen ihrer Geschlechtsgenossinnen wissen, am verletzlichsten sind. Was bedeutet es, eine Frau zu sein? War ich etwa nicht feminin? Schön und gut, wenn man an der eigenen Weiblichkeit so wenig zweifelt, daß man sich diese Frage selbst nie gestellt hat. Doch es irritiert zu wissen, daß diese Frage nun im Kopf eines anderen herumgeistert und dort im Vergleich mit einer undefinierbaren, unbekannten, unvorstellbaren Konkurrenz beurteilt wird. Was bedeutet es nun wirklich, eine Frau zu sein?
Unwillig, mit diesem «Männer-Mann» zu argumentieren, der wohl den Finger auf dem sexuellen Puls der Welt zu haben glaubte (schließlich waren von ihm ja James Jones und Mailer verlegt worden, mit denen er vermutlich sexuelle Einsichten teilte, die nicht veröffentlicht werden konnten), stand ich auf, nahm meinen Roman und meine Phantasien und ging nach Hause, wo man uns schätzte. Ich legte das Manuskript ins Bücherregal. Die Welt war für weibliche Sexualphantasien noch nicht reif.
Ich hatte recht damit. Damals hatte mein Buch keine Chance, obwohl ich von einem Zeitpunkt spreche, der erst vier und nicht etwa vierhundert Jahre zurückliegt. Allseits wurde behauptet, man wolle mehr über die Frauen erfahren. Was ging in ihren Köpfen vor? Doch im Grunde wollten die Männer kein neues, möglicherweise bedrohliches Potential der Frauen kennenlernen. Konsequenterweise müßte dann nämlich eine sofortige sexuelle Umorientierung, ein Überdenken der männlichen (überlegenen) Position erfolgen. Übrigens waren die Frauen auch noch nicht bereit, dieses Potential (ein gemeinsames, aber unausgesprochenes Wissen) miteinander zu teilen.
Was wir Frauen brauchten und worauf wir warteten, war eine Art von Maßstab, an dem wir uns messen können, ein sexuelles «Faustregel-Gegenstück» zu dem, womit Männer einander immer versorgt hatten. Doch wir Frauen waren das schweigende Geschlecht. In unserem Wunsch, den Männern zu gefallen, legten wir einander jene sexuellen Beschränkungen und Heimlichkeiten auf, die die Männer für ihr eigenes Glück und ihre Freiheit für notwendig hielten. Wir hatten uns gegenseitig eingekerkert, unser eigenes Geschlecht und uns selbst betrogen. Männer haben immer zusammengehalten, um sich gegenseitig brüderliche Unterstützung und Ermutigung zu bieten, wodurch sie sich selbst die bestmöglichen Zugänge zu vielfältigen sexuellen Abenteuern geöffnet hatten. Nicht so die Frauen …
Wenn Männer über Sex sprachen, schrieben und spekulierten, sich vertrauliche Mitteilungen machten und einander um Rat und Ansporn baten, ist es gesellschaftlich immer akzeptiert worden. Mehr noch: wenn im Umkleideraum mit sexuellen Erlebnissen geprahlt wird, so halten die meisten das für sehr männlich … er ist schon ein rechter Teufelskerl. Dieselbe Zivilisation, die Männern diese Freiheit gab, verbarrikadierte sie für uns Frauen, ließ uns auf sexuellem Gebiet mißtrauisch gegeneinander sein und zwang uns zu folgenden Verhaltensmustern: Täuschung, Scham und vor allem – Schweigen.
Ich hätte mich vermutlich nie entschlossen, dieses Buch über die erotischen Phantasien von Frauen zu schreiben, wenn nicht zuvor die Stimmen anderer Frauen das Schweigen gebrochen hätten. Dadurch gaben sie mir nicht nur jenen sexuellen Maßstab, den ich schon erwähnte, sondern auch die Erkenntnis, daß andere Frauen vielleicht ebenso gespannt auf meine Ideen waren wie ich auf die ihren. Plötzlich hieß es nicht nur, man wolle mehr über Frauen erfahren, sondern die Frauen sprachen, ohne auf eine Aufforderung zu warten. Tausende von Frauen tauschten Erfahrungen, Wünsche aus und unterstützten sich gegenseitig, indem sie sich jenen befreienden Kräften mit ihrer Stimme, ihrem Namen, ihrer Person anschlossen, die den Frauen etwas Sensationelles verhießen, etwas, das «mehr» war.
Befreiung lag in der Luft. Mit der zunehmenden körperlichen Freiheit der Frauen wurden auch ihre Gedanken frei. Die Idee, daß Frauen sexuelle Phantasien haben, das Rätsel, welcher Art sie sind, die Aussicht, daß die uralte Frage der Männer an Frauen «Woran denkst du gerade?» nun endlich beantwortet werden würde, faszinierte plötzlich die Verleger. Es war nun nicht mehr die Sache eines geschäftstüchtigen Verlegers, der meinte, es könnte ein Verkaufsknüller werden, wenn er eine Serie von Sexstories, geschrieben von sexy Ladies, veröffentlichte, da dies den ewig-selben Fickszenen, die ja sonst immer von Männern verfaßt worden waren, einen neuartigen Reiz geben könnte. Den Verlegern war die Angelegenheit entglitten. Frauen schrieben zwar über Sex, aber es geschah von ihrem Standpunkt aus (Frauen wurden nicht mehr als bloße männliche Sexobjekte gesehen), und das Schlafzimmer war ganz und gar nicht mehr das alte. Es wurde plötzlich auch offenkundig, daß die Befreiung der Frauen gleichzeitig die Männer von all den Klischees befreite, nach denen Frauen als Last, Zimperliesen oder als notwendiges Übel eingeschätzt wurden und selbst im besten Fall noch weniger wert seien als ein Mann. Man stelle sich vor! Es könnte mehr Spaß machen, sich mit einer Frau zu unterhalten, statt sich mit den Jungs die Nacht um die Ohren zu schlagen!
Da all dies in der Luft lag, war es kein Wunder, daß meine Idee auf den ersten Blick alle faszinierte. «Ich denke daran, ein Buch über weibliche Sex-Phantasien zu schreiben», eröffnete ich einigen meiner intelligenten und aufgeschlossenen Freunde. Mehr brauchte es nicht, und schon brach die Unterhaltung abrupt ab. Männer und Frauen wandten sich mir mit erwartungsvollem Lächeln zu. Sie waren bereit, die Idee zu diskutieren, allerdings nur reichlich allgemein, wie ich bald entdecken mußte.
«Oh, du meinst wohl so was wie den alten Schändungs-Traum?»
«Denkst du etwa an King Kong oder etwas Ähnliches?»
Als ich dann jedoch über die Phantasien so detailliert zu sprechen begann, wie es für einen lebendigen und emotional nachvollziehbaren Bericht jeder Art nötig ist, war es am Tisch mit der Ruhe aus und vorbei. Die Männer wurden gehässig und nervös (Oh, mein verflossener Liebhaber! Überall gibt es dich!). Ihre Frauen, weit davon entfernt, irgendwelche eigenen Phantasien beizusteuern – diese Möglichkeit hatte sie vielleicht ganz zu Anfang gereizt –, verschlossen sich wie Austern. Wenn überhaupt etwas gesagt wurde, so kam es von den Männern.
«Warum sammelst du nicht die Phantasien von Männern?»
«Frauen brauchen keine Phantasien; sie haben ja uns.»
«Frauen haben keine sexuellen Phantasien.»
«Ich verstehe ja, daß irgendeine alte vertrocknete Jungfer, die kein Mann mehr will, solche Phantasien hat. Meinetwegen gesteh’ ich’s auch noch einer frustrierten Neurotikerin zu. Aber die normale, sexuell befriedigte Frau hat so was doch nicht!»
«Wer hat denn solche Phantasien nötig? Was ist am guten altmodischen Sex auszusetzen?»
Nichts ist am guten altmodischen Sex auszusetzen. Auch am Spargel nicht. Warum aber kann man nicht auch noch Sauce Hollandaise dazu nehmen? Ich versuchte zu erklären, daß es nicht ums «Brauchen» ging und daß eine Frau nicht weniger Frau ist, wenn sie aufs Phantasieren verzichtet (oder: Es muß nicht notgedrungen daran liegen, daß ihr bei dem Mann etwas fehlt, wenn sie’s tut). Falls eine Frau aber phantasieren möchte oder schon dabei ist, sollte sie es ohne Scham akzeptieren und sich nicht für unnormal halten. Das gleiche gilt für den Mann. Die Phantasie sollte als eine Erweiterung der eigenen Sexualität angesehen werden. Meiner Meinung nach beunruhigte die Männer am meisten die Vorstellung eines unbekannten sexuellen Potentials in ihren Frauen und somit die Gefährdung durch einen unsichtbaren, allmächtigen Rivalen.
«Phantasien beim Sex? Meine Frau? Aber … Angela malt sich so was bestimmt nicht aus …» Und damit wandte sich ein Mann halb drohend halb zweifelnd an Angela. «Oder tust du’s doch, Angela?» Immer wieder war ich überrascht, wie viele intelligente und in anderer Hinsicht vorurteilslose Männer von der Möglichkeit schockiert wurden, daß ihre Frauen sexuelle Gedanken hatten – ganz egal, wie flüchtig auch immer –, die nicht um sie kreisten.
Natürlich teilte sich diese Angst ihren «Angelas» mit. Ich begriff bald, daß solch ein Thema nicht in gemischter Gesellschaft erörtert werden konnte. Zu Anfang nahm ich tatsächlich an, daß die Anwesenheit eines Ehemanns oder festen Freundes selbstsicher und mutig machen würde. Wenn ich jetzt zurückdenke, erkenne ich, daß die Annahme, auch ein Mann könnte daran interessiert sein, möglicherweise etwas Neues über das Sexualleben seiner Partnerin herauszufinden, sehr naiv war. Ich hoffte sogar, daß er sie ermutigen würde weiterzureden, falls Scheu oder mangelndes Selbstvertrauen sie hemmten. Natürlich ist es in Wirklichkeit ganz und gar nicht so.
Doch selbst wenn die deutlich spürbare Angst, die das Thema in den Männern erweckte, ohne Einfluß blieb, da ich mich allein mit den Frauen unterhielt, war es schwierig, zu ihnen vorzudringen und schwierig, ihre Furcht zu bezwingen. Diese Furcht bestand nicht so sehr darin, mir ihre Phantasien anzuvertrauen, sondern sie sich selbst einzugestehen. Es ist diese nicht-so-bewußte Furcht vor Zurückweisung, die Frauen dazu bringt, ihre Phantasien tief in fast vergessene Schichten des Bewußtseins zu stoßen.
Ich unternahm nicht den Versuch, bei meinen Mitarbeiterinnen Psychiater zu spielen, denn es war nie meine Absicht gewesen, ihre Phantasien zu analysieren. Ich wollte lediglich meine Ansicht erhärten, daß Frauen phantasieren. Es sollte ihnen zugestanden werden, dieselben Wünsche und Bedürfnisse wie Männer zu haben, von denen viele nur in der Phantasie erfüllt werden können. Mein Glaube war und ist, daß eine Frau mit sexuellen Phantasien in ausreichendem Informationsmaterial einen Hintergrund findet, der ihr «Rückendeckung» gibt. Sie wird nicht länger von der schrecklichen Furcht gepeinigt, daß sie ganz allein solche unkontrollierten, häufig ungebetenen Gedanken und Vorstellungen hat.
Mit der Zeit entwickelte ich dann eine Methode, alle (mit Ausnahme der total gehemmten Frau) dazu zu bringen, ihre Phantasien in Worte kleiden zu können. Wenn z.B. – in vielen Fällen geschah dies – die erste Reaktion war: «Wer, ich? Niemals!», dann gab ich der Betreffenden ein oder zwei der Phantasien zu lesen, die mir von freimütigeren Frauen berichtet worden waren. Dadurch wurde die Furcht genommen …«Ich dachte schon, ich hätte wilde Vorstellungen, aber sie sind ja nicht halb so ausschweifend wie bei diesem Mädchen.» Manchmal erwachte auch ein gewisses Konkurrenzgefühl, das unserem Geschlecht ja nie ganz fern ist. «Wenn sie die Phantasie, die Sie mir da gezeigt haben, für besonders sexy hält, dann soll sie mal sehen, was ich ihr zu bieten habe.»
Auf diese Weise hatte ich eine ganz umfangreiche, wenn auch amateurhafte Sammlung zusammengestellt, ohne mich dabei zu überanstrengen. Schließlich stammten bis jetzt alle Beiträge von Frauen, die ich kannte, oder von Freundinnen von Bekannten, die anriefen oder schrieben, weil sie erfahren hatten, was ich vorhatte, und mir dabei helfen wollten. Irgendwann wurde mir dann klar, daß ich in größerem Umfang forschen müßte, wenn meine Sammlung von Phantasien mehr sein sollte als nur ein Querschnitt meines eigenen weiteren Bekanntenkreises. Folglich ließ ich eine Annonce in Zeitungen und Zeitschriften setzen, die ein vielschichtigeres Publikum erreichte:
Weibliche Sexualphantasien
von seriöser Forscherin gesucht.
Anonymität gewährleistet. Postfach XYZ
Sosehr ich von meinem Mann und auch vom herrschenden Zeitgeist ermutigt worden war, bedeuteten dennoch die Briefe, die nun kamen, den Wendepunkt in meiner eigenen Einstellung zu dieser Arbeit. Ich fühle mich nicht als Heilsarmee oder Rotkreuzschwester, aber einige der Briefe voller Hilferufe und Seufzer der Erleichterung bewegten mich doch sehr. Immer wieder begannen sie so: «Gott sei Dank, daß ich diese Gedanken mal jemandem erzählen kann. Bis zum heutigen Tag habe ich sie noch keinem Menschen anvertraut. Ich habe mich immer geschämt und gefürchtet, daß andere Menschen sie für unnatürlich halten und mich als Nymphomanin oder Perverse bezeichnen würden.»
Fairerweise muß ich zugeben, daß ich dieses Buch aus Neugier begann – Neugier auf mich selbst und das merkwürdig explosive Erregung-Angst-Syndrom, das dieses Thema bei anderen bewirkte. Die männliche Selbstgefälligkeit meines Liebhabers, der mich zurückstieß, und jener angeblich allwissende Verleger hielten mich sozusagen bei der Stange. Doch die ganze Angelegenheit wurde für mich ernsthaft und wichtig, als ich erkannte, was das Buch bedeuten konnte, und zwar nicht nur für die manchmal einsamen, manchmal kontaktfreudigen, meist anonymen Frauen, die mir schrieben, sondern auch für die Abertausende, die vielleicht den Mut aufbrachten, das Buch zu lesen, auch wenn sie zu gehemmt, isoliert oder verschämt waren, mir zu schreiben.
Heutzutage gibt es eine ganze Anzahl von Frauen, die offen und ehrlich über Sex und darüber schreiben, was in Geist und Körper einer Frau während des Geschlechtsverkehrs vor sich geht. Es gibt so großartige Schriftstellerinnen wie Edna O’Brien und Doris Lessing. Doch selbst so freimütige Frauen wie diese scheinen einen letzten siebten Schleier zu brauchen, um das Bekenntnis zu ihrer eigenen Sexualität zu verhüllen. Was sie schreiben, gilt als Literatur. Ich halte es für interessant und sogar nützlich, wenn dieser Schleier als ein weiterer Schritt in der Befreiung von uns allen, Männern wie Frauen gleichermaßen, gehoben würde, denn kein Mann kann mit einer gehemmten Frau im Bett wirklich frei sein.
Es war eine gute Schulung, dieses Buch zusammenzustellen. Als ich erfuhr, wie andere Frauen in ihren Phantasien und in ihrem Leben sind – manchmal ist es schwer, beides voneinander zu trennen –, habe ich vor Verblüffung die Luft angehalten, habe ab und zu laut gelacht, bin errötet und mußte häufig seufzen. Ich empfand Empörung, Neid und sehr viel Mitgefühl. Ich halte meine eigenen Phantasien für lustiger als manche andere, für weniger poetisch und für erstaunlicher als viele. Natürlich sind meine besten Phantasien, die derzeitigen Favoriten, hier nicht enthalten. Ich habe nämlich eines über Phantasien gelernt: Es macht Spaß, sie mit anderen zu teilen, doch sobald sie ausgesprochen sind, geht ein Großteil ihrer magischen, unentrinnbaren Macht verloren. Es sind Kieselsteine, auf denen das Wasser getrocknet ist. Ist das verwunderlich? So sind wir alle …
Die meisten Leute glauben, sexuelle Phantasien füllten eine Leere aus, einen Hunger; daß sie an die Stelle des echten Ereignisses treten und daher nicht in Augenblicken sexueller Befriedigung entstehen, sondern wenn etwas fehlt. Frustration steht somit am Beginn des allgemeinen Verständnisses, warum Frauen sich etwas vorphantasieren. Deshalb fangen wir mit den Träumen von zwei frustrierten Frauen an.
Was für eine Erleichterung, einmal zugeben zu dürfen, daß man solche Träume hat, und sie jemand zu erzählen, der so viel Verständnis dafür hat wie Sie offensichtlich! Ich habe einen Traum, der regelmäßig wiederkommt, wahrscheinlich, weil sich mein Mann so wenig für mich interessiert. Er fickt mich nur alle fünf oder sechs Wochen, und es ist immer das gleiche: Wir liegen im Bett, das Licht ist aus, und er fängt an, mit seinem Schwanz zu spielen. Das dauert oft eine halbe Stunde oder sogar noch länger. (Früher hab’ ich das für ihn gemacht, aber jetzt fragt er nicht mehr danach.) Ich spüre, wie er richtig fest reibt und keucht, dann schiebt er mein Nachthemd hoch (immer noch unter der Bettdecke), sagt: «Mach die Beine breit!», und zwei Sekunden später kommt er in mir, wälzt sich von mir runter und schläft ein.
Die ganze Zeit, aber vor allem hinterher, wenn ich weiß, daß er schläft, spiele ich mit mir selbst und genieße meine Phantasien.
Ich stehe vor der Tür zu einem großen Haus. Die Tür geht auf, und ein großer, sehr schwarzer Mann mit einer üppigen schwarzen Frau hinter sich sind drinnen. Er packt mich und zieht mich rein, die Frau schiebt von hinten und hilft ihm so. Sie schieben mich in einen Raum, in dem ein riesiger Schäferhund – ein sehr männliches Tier, im vollen Sinn des Wortes – mit einem Jungen von ungefähr vierzehn zusammengebunden ist. Der Junge ist nackt, mir wird befohlen, mich ganz auszuziehen. «Laß sehen, was du hast», sagt der Schwarze und grinst mich gierig an. Ich protestiere, und er zeigt mir eine Peitsche, während seine Frau mich energisch auszieht und mir die Hände auf den Rücken bindet. Sie zieht ihm die Hose aus, und sein Schwanz ist zu sehen. Der ist anormal groß und steif, und sie zieht ihm die Vorhaut vor und zurück. Ich muß mich vor ihn hinknien, und dann befiehlt er mir «Schwanz» und «Steifer» zu sagen. Ich muß darum betteln, gefickt zu werden, und er zwingt mich, mehrmals «ficken» zu sagen.
Dann wird der Hund freigelassen. Ich muß mich auf den Rücken legen, der Hund ist über mir, mein Kopf ist bei seinem Schwanz, und er leckt mir die Fotze. Ich muß seinen Schwanz befühlen und ihn vorsichtig reiben. Dann muß ich loslegen und den Schwanz des Hundes in den Mund nehmen. Der schwarze Mann paßt auf, daß ich auch richtig daran sauge. Dann muß ich mich rücklings auf einen breiten Hocker legen, die Frau schiebt mir den Hund zwischen meine gespreizten Beine und führt seinen Schwanz in mich ein. Der Junge beobachtet mich, und auch die Frau ist jetzt nackt. Ich muß um einen Fick betteln, während der Mann seinen Schwanz gegen meinen Mund reibt, bis er groß und feucht wird. Ich muß ihn lecken, und plötzlich packt er meinen Kopf und preßt seinen dicken Schwanz in meinen Mund und hält mir die Nase zu, so daß ich gezwungen bin, zu saugen und seinen Samen zu schlucken, wenn er kommt. Es scheint mir eine Ewigkeit, bis ich ihn runter habe. Als Schlußakt muß ich an den Titten seiner Frau saugen, dann an ihrem Kitzler, bis sie völlig befriedigt ist, während der Junge über meinen Busch und meinen Bauch ejakuliert. Die Phantasie verblaßt, ich bin feucht und reibe mit den Fingern meine Schamlippen, bis ich einen Orgasmus habe.
Glauben Sie, daß all das von lesbischen Neigungen kommt, die ich haben könnte? Vielleicht wünsche ich mir insgeheim, von einem kleinen Jungen beobachtet zu werden? (Brief)
Wie so häufig, wenn jemand mit einer Menge unerklärlicher oder bestürzender Erfahrungen konfrontiert wird, über die er, wie man ihm beigebracht hat, mit niemand sprechen soll, hat Mady nicht nur keine Erklärung für ihre Phantasien, sie ist nicht einmal in der Lage, die richtigen Fragen zu stellen. Die Hilflosigkeit, die aus ihrer letzten Bemerkung spricht, wo sie nach der Bedeutung ihrer Wachträume fragt, ist geradezu rührend.
Wir haben zwei Jahre regelmäßig zusammen geschlafen, und ich hatte inzwischen drei kurze Affären, aber mein Mann und ich sind erst seit acht Wochen verheiratet. Ich dachte, ich sei auf alle ehelichen Enttäuschungen, wie jede jungverheiratete Frau sie erlebt, vorbereitet, doch auf eines war ich nicht gefaßt. Vorher war unser Liebesleben sehr anregend gewesen, immer ziemlich spontan und phantasievoll. Obwohl ich seit meiner Pubertät masturbiert hatte, entdeckte ich erst vor einem Jahr meine Klitoris und hatte meinen ersten Orgasmus. Seitdem war mein jetziger Mann sehr rücksichtsvoll und handelte entsprechend. Nie hatten wir Verkehr, ohne daß er mich streichelte bis ich einen Orgasmus hatte, entweder vorher oder während dem Geschlechtsakt.
Doch seit wir verheiratet sind, ist unser Sexleben im Vergleich zu früher gleich Null. Zugegeben, die Routine des Alltags ist viel größer, oft ist er zu müde, aber selbst am Sonntagnachmittag (das war immer unser «Bleiben-wir-doch-im-Bett-und-vögeln-wir»-Tag) gibt es jetzt höchstens ein lahmes Nickerchen. Da es noch nicht sehr lange so ist, bin ich noch nicht ärgerlich oder gar frustriert, ich werde schon damit fertig. Wenn ich hier auf eine etwas unzusammenhängende Weise gemeckert habe, so ist das nur meine Art zum Thema zu kommen: zu meinen Phantasien.
Wenn mein Mann beschließt, zur Sache zu kommen, geht das meistens ruckzuck, rums, bums, fertig, und vielen Dank. Und das ist der Augenblick, wo meine Phantasie sich zu regen beginnt. Ich entdeckte, daß ganz egal, wie lange ich versuchte, zu einem Orgasmus zu kommen, er mir ganz einfach nicht genug Zeit dazu ließ. Allmählich fand ich heraus, daß es schneller funktionierte, wenn ich mir in Gedanken irgend etwas vorstellte, eine Situation, die mich so erregte, daß es mir ganz schnell kam. Außerdem stellte ich, nachdem ich verschiedene Phantasien ausprobiert hatte, fest, daß die Sache schneller und wirksamer klappte, wenn ich mir jedesmal nur eine bestimmte Szene ausmalte. Und je öfter man sich so etwas vorstellt, entweder während dem Verkehr oder während man masturbiert, um so lebendiger und realistischer wird es.
Das Traumbild, das ich meine, ist kurz, ich stellte es mir meistens mehrmals vor, ohne ans Ende zu denken, bis ich spürte, wie der Orgasmus mich überwältigte. Ich sehe einen Raum voller Männer, alle gut angezogen, wohlhabend, und mindestens mittelalt. Ein Mann agiert als mein Ehemann oder mein Aufpasser – er bleibt anonym, und ich habe ihn mir nie für eine nähere Beziehung ausgesucht. Er bestimmt alle meine Handlungen und scheint der Anführer zu sein. Ich bin in dem Zimmer voller Männer und trage ein zauberhaftes Sommerkleid, hell, mit einem weiten Rock. Der Mann erzählt den andern, daß ich schnell verlegen werde, im Grunde aber eine Exhibitionistin bin. Er befiehlt mir, das Kleid aufzuknöpfen, so daß meine nackten Brüste freiliegen. Dann muß ich mich über einen Couchtisch legen, und zwar so, daß meine Brüste auf der einen Seite herunterbaumeln und auf der andern mein Hintern über der Kante liegt. Er erzählt den Männern, daß mich alles erregt, was eiskalt ist und feucht, und schlägt vor, daß sie meine Brüste in ihre halbvollen Champagnergläser tauchen. (Als mein Mann und ich noch vergnügtere Tage und Nächte zusammen hatten, spielten wir oft mit Eiswürfeln.) Es geht dann damit weiter, daß er die Hand unter mein Kleid und mein Höschen gleiten läßt und meine Pobacken streichelt. Um meine Klitoris oder meine Vagina kümmert er sich überhaupt nicht, nur um meinen Po. Er unterhält sich mit den anderen Männern und erzählt ihnen, was für einen herrlichen weißen Hintern ich habe und ob sie ihn gern sehen wollten? Er streichelt meine Pobacken noch weiter, dann schiebt er langsam meinen Rock hoch, damit sie sie sehen können, aber ich trage immer noch das Höschen. Er streichelt meinen Hintern noch ein wenig länger, während er ihn immer wieder lobt. Inzwischen werde ich immer erregter, und wenn ich spüre, wie der Orgasmus kommt, stelle ich mir vor, wie er mir ganz langsam das Höschen über die Hüften herunterstreift. Wenn ich da noch nicht auf dem Höhepunkt bin, fange ich mit meiner Träumerei noch einmal von vorne an, und zwar ab dem Moment mit den Champagnergläsern, oder ich stelle mir zum Schluß noch vor, daß er mich ein wenig schlägt, nicht sehr hart. Dabei erklärt er den andern Männern, daß es ihm gefällt, wie meine weißen Pobacken rosa werden.
Diese Vorstellung hatte ich zum erstenmal, als ich in der Badewanne masturbierte. Jetzt erlebe ich die Szene im Geist jeden Tag, wenn nicht im Bett bei meinem Mann, dann in der Wanne und mit einem gut gezielten Wasserstrahl. Ich bin neugierig, wie lange diese Phantasie dauern wird, ehe ich anfange, mich dabei zu langweilen. Allmählich glaube ich, daß es nur die Grundidee dieser Szene ist, die mich andreht – eine Art Reflexhandlung. Aber solange es wirkt, funktioniert unsere Ehe großartig – inklusive unser Sexleben. (Brief)
Bevor wir uns provozierenderen Gründen für Phantasien zuwenden, positiven Gründen, mit denen ich mich identifiziere, denen gegenüber ich aber immer noch – selbst nachdem ich dieses Buch zusammengestellt habe – eine merkwürdige Mischung aus Aufregung und Ängstlichkeit empfinde, möchte ich Ihnen vier weitere Variationen zum Thema Frustration