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Über die Autorin

Copyright

Der Clan der Vampire

 

(Venedig 5 – Marcello & Jane)

 

 

Tina Folsom

Kurzbeschreibung

 

Venedig, frühes 19. Jahrhundert

Vampir Marcello Sebastiani hat Probleme: Um zu beweisen, dass er der wahre Eigentümer seines Jahrhunderte alten Palazzos ist, muss er der Stadt von Venedig Dokumente vorlegen, die er nicht hat. Das Letzte, wozu er im Moment Zeit hat, ist, einer eigensinnigen Engländerin Unterschlupf zu gewähren, selbst wenn diese überaus verführerisch ist.

Jane Emery ist einer schlimmen Situation entflohen und hofft, in Venedig ihre musikalischen Studien fortzuführen, doch als sie ankommt, muss sie feststellen, dass ihr Mäzen verstorben und sie nun mittellos ist. Sie schafft es, den gut aussehenden und mysteriösen Marcello zu überreden, ihr zu helfen. Allerdings hat sie nicht damit gerechnet, dass dessen verführerische Berührungen sie von einer Zukunft träumen lassen, auf die sie nie zu hoffen gewagt hat.

Doch dann holt Janes Vergangenheit sie ein und Marcello muss sein eigenes Leben aufs Spiel setzen, um Jane zu retten.

 

* * * * *

Der Clan der Vampire – (Venedig 5)

Copyright © 2017 Tina Folsom

* * * * *

1

 

Zusammen mit seinem Freund und Mitvampir, Carlo Bianchi, stapfte Marcello Sebastiani über das regennasse Kopfsteinpflaster im Zentrum Venedigs. Er hatte Carlo in der Nähe der Piazza San Marco getroffen, und jetzt waren sie auf dem Weg zu der Villa, die Carlo zwei Tage zuvor erstanden hatte. Sie lag ein paar Häuser weiter östlich von Marcellos eigenem Palazzo. Marcello und Carlo wollten sich vergewissern, dass das neu erworbene Haus geräumt worden und für Carlos Umzug bereit war.

Marcello war jedoch an diesem nebligen Herbstabend schlecht gelaunt. Gerade hatte er seinen Anwalt aufgesucht und erfahren, dass es ein Problem mit seinem eigenen Anwesen gab. Anscheinend konnte das Grundbuchamt von Venedig keinerlei Aufzeichnungen finden, die bestätigten, dass Marcello der rechtmäßige Eigentümer des Palazzos war. Oder dass Marcello Sebastiani überhaupt existierte, da auch keine Geburtsurkunde aufzufinden war. Deshalb verlangte der Grundbuchbeamte, dass Marcello diese Sache klärte, oder er würde riskieren, sein Haus zu verlieren.

Es war ein lächerlicher Versuch der Stadt, das Haus zu beschlagnahmen, das schon seit Jahrhunderten in seinem Besitz war. Allerdings waren die Eigentumsunterlagen in der Tat nicht vollständig.

Doch wie bewies ein Mann, dessen Papiere alle verloren gegangen waren, wer er wirklich war? Insbesondere, wenn dieser Mann schon seit fünf Jahrhunderten lebte und vor Jahrzehnten den Namen seines eigenen Großvaters angenommen hatte, um das Haus, das ursprünglich im 13. Jahrhundert erworben worden war, als Eigentümer zu behalten?

Sein Anwalt hätte diese Angelegenheit vorhersehen und dafür Sorge tragen sollen, dass gefälschte Urkunden erstellt wurden. Doch etwas war schief gelaufen. Jetzt wurden Fragen aufgeworfen, die Marcello nicht beantworten konnte, wenn er sein Geheimnis bewahren wollte. Er musste einen Weg aus dieser Zwickmühle finden.

„Glaubst du, dass die Hüter etwas mit deinen Problemen zu tun haben?“, fragte Carlo.

Die Hüter des Heiligen Wassers waren eine Gruppe von Vampirjägern, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, jeden einzelnen Vampir Venedigs zu töten. Viele seiner Freunde waren schon in Auseinandersetzungen mit ihnen geraten. Es war wichtig, ständig wachsam und auf weitere Angriffe vorbereitet zu sein.

„Das würde bedeuten, sie vermuten, dass ich ein Vampir bin. Und dass sie Verbindungen zur Stadtregierung haben. Nein, das glaube ich nicht.“

„Dann behaupte einfach, dass deine Geburtsurkunde in einem Feuer zerstört wurde“, schlug Carlo vor. „Das hat bei einigen unserer Freunde auch funktioniert.“

Die Vampirbevölkerung in Venedig war relativ klein. Marcello kannte fast jeden und war mit mindestens der Hälfte von ihnen gut befreundet. Er und eine Gruppe seiner engsten Freunde sicherten sich zurzeit Häuser entlang eines kleineren Kanals, um dort eine Art Festung zu erstellen. Alle Häuser würden durch überdachte Gehwege verbunden sein, die dazu dienten, ihrem schlimmsten Feind, der Sonne, zu trotzen. Zusammen würden sie eine Zitadelle gegen ihre Feinde, die Hüter, errichten.

„Ich dachte, du vertraust deinem Anwalt.“

„Tue ich auch. Doch er starb vor zwei Jahren und sein Sohn übernahm seine Arbeit. Man versicherte mir, dass er gut geschult und vertrauenswürdig ist. Ich vertraue ihm. Aber er hat einen Fehler gemacht. Und diesen Fehler muss ich jetzt korrigieren.“

Marcello blieb neben Carlo auf der gegenüberliegenden Straßenseite von Carlos neuem Haus stehen. Es war kleiner als Marcellos Villa; nur drei Etagen hoch und die steinerne Fassade war mit Ruß verschmutzt und zeigte an den Fenstern und um den Eingang herum Brüche. Das Gebäude bedurfte einer Renovierung.

„Es sieht aus, als hätte jemand die Eingangstür offen gelassen.“ Marcello schnupperte in die Luft. Alles Ungewöhnliche mit Misstrauen anzusehen, war ihm wie angeboren. Und nachts – es war bereits neun Uhr – hielt er immer ein Auge für die Hüter des Heiligen Wassers, die Erzfeinde der Vampire, offen.

„Vermutlich transportieren sie gerade die Möbel weg“, meinte Carlo und überquerte die Straße.

„Wenn es so wäre“, sagte Marcello und folgte seinem Freund, „dann würde hier ein beladener Wagen stehen. Meinst du nicht auch? Sei vorsichtig, Carlo.“

Die beiden hielten vor der offenen Haustür an. Marcello berührte die Tür, während er lauschte. Sein überempfindliches Gehör hätte eine Maus hören können, die über die Bodendielen eilte. Doch stattdessen hörte er … ein Schluchzen.

Marcello stürmte in das Gebäude, darauf gefasst, sich und seinen Freund gegen das zu verteidigen, was auch immer im Inneren auf sie lauerte. Doch stattdessen erspähte er zwei Frauen und ein Pianoforte, auf dem ein schmiedeeiserner Kerzenständer funkelte. Eine der Frauen stand neben dem vergoldeten Instrument und zuckte zusammen, als sie ihn und Carlo erblickte. Die andere hatte sich halb über das Pianoforte geworfen und schluchzte.

Alarmiert durch ihre schweren Schritte, schoss nun auch die verstörte Frau hoch und wirbelte herum, während sie mit ihrem Handrücken die Tränen aus ihrem Gesicht wischte.

„Was geht hier vor sich?“, verlangte Carlo zu wissen.

Die Frau, die neben dem Pianoforte gestanden hatte, machte einen Knicks. „Signori.“ Die Brünette trug ihr Haar in einem strengen Knoten. Ein enger Mantel bedeckte ihre rundliche Figur sowie das schlichte, braune Kleid.

Die andere Frau strich sich eine schwarze Locke von ihrer tränennassen Wange und warf ihnen einen neugierigen Blick zu. Gekleidet in ein hellblaues Kleid mit Bändern, die sich auf ihrem Mieder überkreuzten, sah sie verletzlich aus, selbst wenn sich jetzt ihre Wangen rot färbten und die Blässe aus ihrem Gesicht wich. Marcello konnte sich ihrer Ausstrahlung und Schönheit nicht entziehen.

Selbst wenn sie ein Eindringling war.

„Sind Sie Freunde von Signor Ricci? Möglicherweise dessen Anwälte?“, fragte die Schwarzhaarige zögerlich. „Wir haben gerade erst von seinem Tod erfahren. Er starb erst vor ein paar Tagen. Leider…“ Sie drückte ihren Handrücken an ihre Stirn.

Marcello war sich nicht sicher, ob sie schauspielerte oder ernsthaft verstört über Signor Riccis Tod war. Normalerweise hatte er kein Problem, zwischen Realität und Schauspielerei zu unterscheiden. Doch bei dieser Frau war er sich ganz und gar nicht sicher.

„Dies ist der neue Eigentümer“, sagte Marcello und deutete auf Carlo. „Und wer, darf ich fragen, sind Sie, Signore, und warum befinden Sie sich in diesem Haus?“

„Ein neuer Eigentümer?“ Die schwarzhaarige Schönheit trat um das Pianoforte herum und musterte sie beide mit einem abschätzenden Blick. Und Interesse.

Marcello tauschte einen Blick mit Carlo aus und hob seine Augenbrauen. Mit gutem Grund: Er war noch nie von einer scheinbar zivilisierten Frau so offensichtlich mit den Augen entkleidet worden.

„Es freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen. Ich heiße Jane Emery.“ Sie bot ihre Hand an, die sowohl er als auch Carlo nur anstarrten. Als keiner ihre Hand küsste, gestikulierte sie über ihre Schulter. „Und das ist meine Zofe, Prudence. Wir sind gerade von London angereist. Es war eine ermüdende und anstrengende Reise, schlechte Kutschen, holprige Wege, scheue Pferde. Meine Nerven hängen an ihrem letzten Faden. Und als wir ankamen, mussten wir erfahren, dass mein Mäzen, Signor Ricci, verschieden ist. Sie müssen verstehen, ich spiele das Pianoforte.“ Sie wandte sich zu dem Instrument und ließ ihre Finger über die Tasten gleiten, doch die Töne, die sie dadurch produzierte, klangen verstimmt. „Ich liebe Händel, Sie nicht auch?“

Marcello fehlten die Worte.

„Wir hatten keine Ahnung, das Miladys Gönner verstorben ist“, fügte Prudence mit ruhiger Stimme hinzu. „Es ist eine Tragödie.“

„Für mich“, fügte Jane schnell hinzu. „Ich kann nirgendwo anders hin.“ Sie gestikulierte zu einigen Reisekoffern aus rotem Leder, die neben der Tür aufgestapelt waren. „Ich sollte im Hause von Signor Ricci wohnen, während er die feinsten Tutoren für mich engagierte, um meine Musikstudien fortzusetzen. Ich verkaufte mein Haus und alle meine Habseligkeiten. Doch als wir in Venedig ankamen … Oh!“ Sie plumpste mit einer Wucht auf die Bank vor dem Instrument, dass der ganze Fußboden zu erbeben schien, und stützte ihren Kopf in ihre Hände.

„Wir wurden ausgeraubt. All unser Geld ist weg“, erklärte Prudence in ernstem Ton. Sie trat näher und sprach nun direkt zu Marcello. „Bitte verzeihen Sie ihr. Meine Herrin hat eine Tendenz zur Dramatik.“

„Das kann ich sehen.“ Marcello war sich unsicher, wie er mit dieser Frau umgehen sollte.

Jane sah plötzlich hoch. „Ich habe Ihre Namen nicht mitbekommen.“

„Carlo Bianchi,“ antwortete Carlo, „und das ist Signor Marcello Sebastiani.“

„Freut mich, Signori.“

Carlo strahlte, von dem Charme der Dame sichtlich eingenommen.

Marcello ließ sich nicht so schnell einwickeln. „Sie beide können nicht hier bleiben. Das Haus wird gerade ausgeräumt. Ich bin mir sicher –“, er gestikulierte zu dem Pianoforte, „– dies hier ist höchstwahrscheinlich auf dem Weg ins nächste Feuer. Außerdem gehört das Haus nun uns, ich meine, Signor Bianchi hier.“

„Ihnen? Sie beide sind …?“ Jane schaute von einem zum anderen. Was wollte sie mit ihrem Blick andeuten?

„Absolut nicht“, stellte Carlo richtig. „Meine Frau erwartet mich zu Hause. Marcello und ich sind Freunde. Haben Sie eine Unterkunft, während Sie hier in Venedig sind?“

„Wir wurden ausgeraubt!“ Jane stand auf und zeigte ihre Handflächen, um ihre Aussage zu unterstreichen. „Wir haben nichts! Nichts außer meinem musikalischen Talent.“

Marcello bemerkte, wie Prudence hinter ihrer Gebieterin die Augen verdrehte.

„Ich habe keine Ahnung, was ich machen soll“, fuhr Jane fort. „Ich kann nicht nach London zurückkehren.“

„Warum nicht?“, fragte Marcello. „Ihre Familie wird doch sicherlich –“

„– erwarten, dass ich bleibe, um meine Studien weiterzuführen. Nach London zurückzukehren, steht außer Frage, Signor Sebastiani. Was mache ich jetzt nur? Oh du liebe Güte!“ Sie wrang ihre Hände und musterte ihn mit einem schüchternen Flattern ihrer Wimpern. „Sie sagten, Sie wohnen in der Nähe?“

„Ich, äh …“ Er hatte keine solche Bemerkung gemacht. Oder etwa doch? „Oh … nein.“

„Doch“, sagte Carlo und stieß Marcello mit seinem Ellbogen in die Seite. „Du hast doch ein großes Haus, mein Freund. Warum lädst du die Damen nicht ein, bei dir zu wohnen, während sie sich woanders etwas Dauerhaftes suchen?“

„Weil ich keine Pension betreibe“, antwortete er schroff.

Und außerdem war er auf das englische Volk nicht scharf. Sie waren neugierig, hochnäsig und einfach unerträglich. Trotz der Schönheit der Frau und der Art, wie sie mit ihren dunklen Wimpern flirtete, wollte er sie nicht in seinem Haus haben. Er hatte schon genug am Hals. Schließlich musste er mit einer Geburtsurkunde aufwarten und diese verdammte Code-Liste mit den Namen der Hüter des Heiligen Wassers entschlüsseln.

„Carlo und ich eskortieren Sie zu einer Pension, wenn die Damen das wünschen.“

„Aber verstehen Sie denn nicht?“ Jane schlug ihre geballte Hand auf ihren Oberschenkel. Es war eine dumme Bewegung und vollkommen wirkungslos, doch sonderbarerweise merkwürdig entzückend. Sie wirkte so zierlich und so verwundbar. „Wir wurden ausgeraubt. Jetzt muss ich mich auf die Güte von Fremden verlassen. Doch diese Güte kommt wohl nicht von Ihnen, Signor Sebastiani. Komm, Prudence. Vielleicht können wir an den Docks betteln. Ich bin sicher, wir werden es schaffen, genug für eine Nacht in einer Pension zu ergattern.“

„Aber, Milady!“

„Was, Prudence?“

Die Zofe blickte flehend zu Carlo und Marcello. Marcello hatte das Gefühl, dass er von Experten manipuliert wurde. Die Frauen konnten nicht an den Docks betteln gehen. Eine oder beide würden ihre Röcke hochheben müssen, um Geld zu verdienen. Und keine der beiden hatte den Anschein, als ob ihr das bewusst wäre.

Wider besseres Wissens zog das Flattern der Wimpern Marcellos Aufmerksamkeit auf Janes blaue Augenfarbe, dann zu ihrem hellblauen Kleid. Er liebte blaue Augen. Sie erinnerten ihn an den Himmel, den er nie bewundern konnte, da die Sonne ihn töten würde.

Die Wimpern verstärkten ihr Flattern.

Ach, zur Hölle.

„Eine Nacht“, sagte er schroff. „Eine Nacht dürfen Sie in meinem Haus bleiben.“

2

 

Der Eingang von Signor Sebastianis Haus war weitläufig und opulent. Jane bemerkte gleichzeitig den Mangel an Gemütlichkeit, während sie über den weißen Marmorboden schritt und dem Mann folgte, an dessen Schultern sie nicht einmal vorbeisehen könnte, selbst wenn sie auf ihren Zehenspitzen gehen würde. Marcello Sebastiani war zu groß, zu wuchtig, zu ... männlich.

„Adamo.“

„Signore.“ Ein hagerer Bediensteter in grauer Livree und mit geschniegeltem Haar grüßte seinen Gebieter und nahm dessen feinen, schwarzen Damastmantel entgegen.

Nachdem Marcello – warum sie ihn in ihrem Geist bei seinem Vornamen nannte, wusste sie nicht – ein paar Worte mit Adamo gewechselt hatte, wandte er sich an Jane und Prudence. Er war ein männliches Prachtstück: gut aussehend, groß, mit schwarzem Haar. Seine Augen waren so braun wie die reiche, fruchtbare Erde. Ein Stoppelbart konnte sein quadratisches Kinn nicht verstecken. Er wirkte nicht elegant, sondern eher rustikal mit den breiten Schultern und imponierenden Muskeln, die seine Damastweste und die Nähte an seinem Hemd am Bizeps dehnten.

Er war ein Mann, der mit Sicherheit in einem überhitzten Ballsaal inmitten der gezierten Herren, die nach Lavendelwasser stanken und um die Tanzkarten der anwesenden Damen konkurrierten, fehl am Platze war. Nein, Marcello Sebastiani wirkte viel besser in der Dunkelheit seiner Empfangshalle. Hier gehörte er hin. Hier war er Herr und Gebieter. Hier war sein Wort Befehl.

Bei dem Gedanken prickelte plötzlich Janes Haut.

„Adamo wird Sie zu Ihrem Gemach führen. Nur für heute Nacht“, fügte er hinzu. „Haben Sie eine Rückfahrkarte nach England?“

„Ich erwarb nur eine Einzelfahrt“, sagte Jane, während sie an Marcello vorbei die wuchtige Mahagonitreppe zum ersten Stock hinaufblickte. „Es war geplant, dass ich bei meinem Mäzen einquartiert würde, wie ich Ihnen bereits erklärte. Ich benötige etwas Zeit, um Vorkehrungen zu treffen.“

Sie bemerkte, wie Marcello missbilligend zuckte. War sein Angebot wirklich nur für eine Nacht gewesen? Oder konnte Sie ihn dazu bringen, ihr etwas länger auszuhelfen? Sie hatte Glück gehabt, dass er derjenige war, der sie und Prudence in Signor Riccis Villa angetroffen hatte. Ein anderer hätte sie vielleicht sofort verwiesen. Und was würde dann aus ihr werden? Und aus ihrer Zofe, die keinerlei Wahl gehabt hatte, mit ihr nach Venedig zu reisen? Jane war nicht nur für sich selbst verantwortlich, sondern auch für Prudence. Irgendwie musste sie versuchen, Marcello dazu zu bringen, ihr zu helfen. Denn sie konnte von nirgendwo anders Hilfe erwarten. Vor allem nicht aus England.

„Ich beauftrage meinen Anwalt, die Vorbereitungen für Ihre Abfahrt zu beschleunigen“, bot Marcello an. „Wenn Sie mich bitte jetzt entschuldigen würden. Ich muss mich um geschäftliche Dinge kümmern.“ Er wandte sich ab.

„Ist es für Geschäfte nicht schon etwas spät?“, fragte Jane, begierig darauf, ihren Gastgeber besser kennenzulernen.

Er hielt inne und wandte seine Aufmerksamkeit wieder ihr zu. „Meine Arbeitszeiten sind ungewöhnlich, Miss Emery.“

„Ich verstehe. Was geschieht mit dem Pianoforte?“, fragte Jane, während sie ein paar Stufen die weiße Marmortreppe hinaufschritt. „Sagten Sie nicht, dass Sie es holen lassen würden, da es aus Signor Riccis Villa entfernt werden müsste? Dann könnte ich weiter üben.“

„Sagte ich das?“ Er wechselte einen Blick mit seinem Bediensteten, und dieser zuckte mit den Schultern. „Ich bezweifele, dass ich dem zustimmte, wo Sie doch nur kurzfristig bleiben.“

Jane seufzte laut. Und um dem Seufzer noch mehr Ausdruck zu verleihen, ließ sie ihren Kopf auf ihre Brust fallen.

Mit offenem Mund musterte Marcello sie.