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Lena M. Brand & Elisa Schwarz

 

Herzfrequenz Vol. 1

 

Philipp & Liam

Impressum

© dead soft verlag, Mettingen 2017

http://www.deadsoft.de

 

© the authors

 

Cover: Irene Repp

http://www.daylinart.webnode.com

Bildrechte:

© Stock – Asso – shutterstock.com

© bikeriderlondon – shutterstock.com

 

1. Auflage

ISBN 978-3-96089-116-1

ISBN 978-3-96089-117-8 (epub)

Inhalt:

Eine tiefgehende Freundschaft, eine Wohngemeinschaft mit besonderen Vorzügen. Das verbindet den introvertierten Philipp mit David, seinem einzigen Vertrauten. Bis Liam auftaucht und sich in Philipp verliebt, ihn mit seiner romantisch verträumten Art in den Bann zieht. Philipp für sich zu gewinnen, gestaltet sich allerdings schwieriger als erhofft. Denn dieser fühlt sich hin- und hergerissen, als für David die Grenze zwischen Freundschaft und Liebe verschwimmt.

Kapitel 1

Philipp

 

Oh, bitte nicht! Jennifer plus Anhang. Wieso muss mir ständig diese Frau über den Weg laufen? Schwester des Geburtstagskindes und wäre sie ein Mann, wäre sie wohl der Hahn im Korb inmitten ihres Hühnerhaufens. Genervt rolle ich die Augen und fühle mich jetzt schon überfahren. Möglichst unauffällig drücke ich mich an die Wand und versuche, mich in dem recht breiten Gang unsichtbar zu machen.

„Hey, Philipp, Süßer!“, ruft Jenny schon von Weitem. „Wo hast du denn deine andere Hälfte gelassen?“

Wie? David ist nicht hier?

Wenn er tatsächlich noch nicht da ist, wird später ein ernstes Wort fällig. Ohne ihn gehe ich hier vor die Hunde. Alt werde ich ganz sicher auch nicht. Ich bin wegen David hier. Nur wegen David. Ich verwünsche den Tag, an dem er mich dazu überredet hat, auf dieser Party zu erscheinen.

‚Kilian hat Geburtstag! Na, na, na, na! Du brauchst gar nicht deinen Kopf zu schütteln. Du kommst mit. Das wird eine Megaparty. Ende der Durchsage.‘ So, und nicht anders, hat David meine beginnende Revolte abgeblockt, mich gleich darauf an sich gezogen und meinen Protestversuch in einem Kuss erstickt.

Ich bin vor eineinhalb Jahren zu David in die Grabenstraße gezogen. Zwei Straßen von der Königsallee entfernt. Unsere Wohnung ist im Hinterhaus und mit knapp hundert Quadratmetern die kleinste in dem alten Gemäuer. Damit günstiger als der Rest – obwohl sich David als Steuerberater auch die anderen leisten könnte.

David – manchmal habe ich das Gefühl, wir führen uns auf wie ein langjähriges Paar, aber das sind wir nicht. Dennoch, seit ich bei ihm Unterschlupf gesucht habe, wissen wir, was der jeweils andere vorhat und wo er sich aufhält. Nur heute offenbar nicht. Ich habe keine Ahnung, wo er steckt. Ausgerechnet heute.

Ich mag Kilian nicht. Seit er in unserem Leben aufgetaucht ist, schwirrt mir der Kopf vor lauter Proll- und Schickimickipartys. Es reicht offenbar nicht, dass ich beruflich schon bis zum Hals in diesen absurd teuren Feierlichkeiten stecke. Aber bei Davids Überredungskunst fehlten mir, wie so oft, die Gegenargumente. Ich kann ihm sowieso nichts abschlagen. Das würde ich in hundert Jahren nicht übers Herz bringen. Mit einem versprechenden Kuss noch weniger. Er ist wenig sensibel und schleift mich einfach mit. Zieht mich aus meinem Loch heraus und schubst mich ins Getümmel.

Entschuldigend ziehe ich die Schultern nach oben. Die Hände tief in meinen schwarzen Jeans verstaut. Ich mache mich so schmal wie möglich, damit die Mädels genügend Freiraum haben, um in ihrer Traubenformation an mir vorbei zu stolzieren. Hoffentlich bleiben sie nicht stehen. Es gibt keinen Grund dafür.

Lauft weiter! Lauft weiter! Geht schon! Nein, bitte nicht!

„Ich dachte, David würde mit dir hier aufkreuzen.“

Ich schnaufe und plane meinen Rachefeldzug gegen meinen besten Freund. Nie wieder werde ich irgendwo hingehen und mich darauf verlassen, dass wir uns vor Ort treffen. In meiner Brust wird es beklemmend eng. Ich fühle mich verloren.

„Komm schon, Süßer. Wirst es ohne David überleben. Kilian ist hinten im Partyraum. Immer dem Krach nach. Der DJ ist megaspitze und es ist jetzt schon brechend voll.“

Noch bevor ich ablehnen kann, haken sich Jenny und eine ihrer Freundinnen bei mir ein und ziehen mich mit. Hin, zu dem Geburtstagskind, das eigentlich Davids Freund ist, nicht meiner. Bei Jenny könnte ich mir schwul vermutlich auf die Stirn tätowieren lassen, es wäre ihr egal. Für mich ist diese Nähe allerdings unangenehm. Ich lasse in der Regel nur David an mich heran. Das reicht völlig. Seine Zu-spät-Kommerei nervt allerdings. Ich bin gespannt, was er diesmal für eine Ausrede hat. Wehe, es ist die Arbeit. Er hat mir versprochen, pünktlich Feierabend zu machen. In der Wohnung war David zumindest nicht, als ich dort um halb acht aufgetaucht bin.

Es war schwer genug, heute Abend freizubekommen. Angelo, mein Chef, gibt seinen Leuten nicht gern an einem Freitagabend frei. An den Wochenenden sind wir mit Privatpartys ausgelastet. Unter der Woche sind es Firmenveranstaltungen, die uns in Trab halten. Angelo hat sich heute einen Spaß daraus gemacht, mich und mein Team von dreizehn Mitarbeitern die Vorbereitung des kalten Buffets für Kilian Stürmers Megaparty machen zu lassen – trotz Protest meinerseits. Das war wohl die Retourkutsche für meinen Freizeitantrag für den Abend. Die Schmach, die Speisen in Arbeitskleidung gemeinsam mit den Kollegen hier vor Ort auch noch aufbauen zu müssen, hat er mir allerdings erspart.

Meine Stimmung sinkt. Hier in der alten Papierfabrik in der Fringsstraße, die Kilian für heute angemietet hat, wabern jetzt schon überall dichte Rauchschwaden. Ein süßlich stinkendes Gemisch aus Zigarettenmief und Marihuana. Der Beat des Basses dröhnt durch die maroden Hallen, die trotz ihres Verfalls einen unglaublichen Charme haben. Wer hier seine Partys feiern darf, hat im Leben etwas richtig gemacht. Einfach nur Sohn-sein ist natürlich ein wunderbarer Beruf.

Nicht-Sohn-sein hingegen echt miserabel. Das habe ich hautnah zu spüren bekommen. Ich hätte mich damals, als kleiner Rebell, nicht gegen meine Eltern stellen sollen, die eigentlich zwei ganz liebe Menschen sind und mich gernhaben, aber irgendwann beschlossen: ‚Philipp, wenn du meinst, alles besser zu können, dann tu, was du nicht lassen kannst. Geh arbeiten, such dir eine Wohnung und meistere deinen Alltag. Wir sind immer für dich da, aber beweis dir erst mal selbst, dass im Leben nicht immer alles Zuckerschlecken ist.‘ Ist es nicht. Danke. Ich habe es gelernt und darf trotzdem nicht mehr in mein altes Zimmer zurück.

Kurz verziehe ich das Gesicht und Jenny und ihr Gefolge zerren mich durch die Menschenmenge. Hier und da bekomme ich Gänsehaut auf den Armen, wenn mir eines der Mädels darüber streichelt. Steht irgendwo auf meiner Stirn: berührt mich, fasst mich an, ich steh drauf? Ich wünschte, David wäre jetzt hier.

Gerade bin ich ihnen allerdings dankbar, dass sie sich um mich kümmern. Denn Jenny hat nicht gelogen, als sie sagte, es wäre bereits voll. Voll ist gar kein Ausdruck. Zu viele Menschen für mich. Mann, David!

Kilian erblickt seine Schwester und ihren Anhang, mich mittendrin. Er schenkt mir ein aufgesetztes Lächeln, bevor er auf unsere ungleiche Gruppe zusteuert. Er schafft es, perfekt zu überspielen, dass wir uns nicht grün sind. Vielleicht interessiert ihn dieses Detail auch einfach nicht und er tut es David zuliebe. Übersieht geflissentlich, dass wir keinerlei gemeinsame Basis haben. Das würde passen, denn Jenny interessiert ja auch nicht, ob ich schwul bin oder nicht. Sind eben aus ein und demselben Haus, die beiden. Jenny lässt mich nur widerwillig los, als Kilian seinen Arm fest um meine Schulter legt und mich in eine andere Richtung zieht.

„Philipp. Warum so spät?“ Von irgendwoher wird mir ein Bier in die Hand gedrückt und Kilian zerrt mich einfach weiter. „Wo ist dein Göttergatte?“

„Weiß nicht, Kilian“, antworte ich bissig. „Du wirst deinen Geburtstag ganz bestimmt auch ohne ihn feiern können. Glückwunsch übrigens.“

Kilian zieht die Augenbraue hoch, spart sich ein Dankeschön. Egal. Ich bin genauso wenig höflich und herzlich. „Aber er wird doch noch kommen, oder?“ Seine Partylaune ist in den letzen Sekunden irgendwie gesunken.

„Ich weiß es wirklich nicht, Kilian! Wir telefonieren nicht jede Minute miteinander.“

Unsere Beziehung geht niemanden etwas an. Auch heute nicht. Vor allem nicht Kilian, der immer mal wieder dezente – wie er meint – Nachforschungen anstellt.

Ich werde mit David nach Hause gehen, daran gibt es überhaupt nichts zu rütteln. Wenn er noch kommt. In Kilians Fängen möchte ich David nicht zurücklassen. Nicht einmal dann, wenn der Sturm des Jahrhunderts über Düsseldorf fegt. Der Grund, ihn Kilian zu überlassen, muss erst geboren werden. Das kann nicht gut gehen.

Spaß kann David gern haben – aber nicht mit Kilian. Ich weiß gar nicht, was David unbedingt hier wollte. Er hatte drei Alternativen, anderweitig auszugehen. Wobei das für mich Arbeit im Squisito bis zum bitteren Freitagabend-Feierende bedeutet hätte. Ich hätte ihn nicht begleitet. Vermutlich wäre ich dabei sowieso auf einer Party gelandet. Wenn auch nicht zum Feiern.

„Ohne David ist es langweilig, was?“ Kilian stupst kumpelhaft seine Hüfte gegen meine. Manchmal ist er so … freundlich. Für mich dann noch schwieriger, mit ihm zurechtzukommen. „Euch soll mal einer verstehen. Das ist doch nichts Halbes und nichts Ganzes, was ihr treibt. Was passiert, wenn sich einer von euch beiden verliebt? Wie wollt ihr dann damit umgehen?“

Was? Wie kommt er denn jetzt auf diese Idee? Völlig absurd. „Weder David noch ich haben Bedarf an einer Beziehung. Und wenn … Wir werden uns garantiert nicht im Weg stehen.“

Genervt rollt Kilian mit den Augen und wir kommen mitten in der Gästeschar an. Nur wenige Gesichter sind mir bekannt, einige aus Kilians direktem Bekanntenkreis, einige aus meiner alten Schule. Warum vergesse ich immer wieder, dass Kilian halb Düsseldorf kennt? Andersherum ist es jedoch noch amüsanter: Ganz Düsseldorf kennt ihn. Sogar mir war sein Name geläufig, arbeite ich doch seit Jahren für die Schönen und Reichen.

Für die Damenwelt tut es mir ein bisschen leid. Auf Feiern wie dieser müssen sie genau hingucken, wem sie schöne Augen machen können. Wenn sie allerdings alle wie Jenny denken, interessiert es sie nicht, wer von Kilians Freunden nun hetero ist und wer nicht. Sie baggern sowieso jeden an. Unwillkürlich grinse ich los, als ich Jenny auf ihr nächstes Opfer zufliegen sehe und weiß sogar mit hundertprozentiger Sicherheit, dieser Typ ist eher einer für mich statt für sie. Besser gesagt, er war einer für mich: vor sechs Monaten. Eine Nacht haben wir gemeinsam verbracht. Eine einzige! Dann war er weg. Sang- und klanglos aus der Wohnung verschwunden. Das war bitter für mich. Sehr bitter. Seitdem durfte nur noch David in meine Nähe. So geht es. Mit David fühle ich mich wohl.

Ich bemühe mich, Kilians Small Talk zu folgen, schaffe es aber nicht. In mir bricht mit jeder Minute, die ich ohne David hier bin, immer mehr zusammen. Das Unwohlsein breitet sich aus und ich löse mich von Kilian, wortlos.

„Zu eng, Philipp-Schatz?“

Ich übergehe die Anspielung, konzentriere mich auf meinen Puls, der in die Höhe schnellt und sehe mich um. Suche jede verdammte Ecke dieses Raumes nach meinem Freund ab. Von Kilian kassiere ich aufgrund meiner Schweigsamkeit ein Schnauben und Kopfschütteln. Ich flüchte aus der Menge gebetener Gäste, zu denen ich nicht gehöre.

Kapitel 2

Liam

 

„Kannst du bitte den Müll mitnehmen, wenn du gleich losziehst?“ Meine Schwester Melissa lehnt im Türrahmen des Wohnzimmers und schaut mir zu, wie ich den Gitarrenkoffer packe. Daneben auf der Couch liegt säuberlich gefaltet mein Bettzeug. Einen anderen Schlafplatz habe ich zurzeit nicht. Emma, meine Nichte, der ich vorhin eine Gute-Nacht-Geschichte vorgelesen habe, schläft vermutlich schon. Es ist halb zehn abends und mein Terminplan genauso leer wie in den letzten drei Wochen. Bisher hat es mir wenig ausgemacht. So ist es eben, wenn man sich erstmal in einer fremden Stadt orientieren und zurechtfinden muss. Doch heute spüre ich die Rastlosigkeit in mir, muss unbedingt raus und hoffe inständig, neue Leute kennenzulernen. So gern ich mit Melissa und Emma zusammen bin, so dringend brauche ich Abwechslung. Männer. Freundschaften. Sex. Denn inzwischen ist es Ende September, was bedeutet, dass ich vor mehr als vier Monaten von Hamburg und Nils weg bin. Den Sommer über bin ich bei meinen Eltern an der Nordsee untergekrochen und hab mich ziemlich zurückgezogen. Keiner der attraktiven Kerle am Strand hat mich gereizt, weil meine Trennung von Nils zu frisch war. Es war eine schwierige Zeit für mich.

Aber irgendwann war es zu viel: So sehr ich meine Eltern liebe, mit sechsundzwanzig bin ich daran gewöhnt, unabhängig zu sein. Immerhin habe ich dort gutes Geld mit meiner Musik verdient, sodass ich von den Ersparnissen noch einige Wochen leben kann. Sonne, Ferien, Meer – die Leute waren spendierfreudig, wenn ich in Restaurants, Pubs, Cafés oder einfach nur auf der Straße gespielt habe.

„Ja, mache ich“, antworte ich Mel zeitverzögert, meine Gedanken sind längst in der U-Bahn-Station und bei den Liedern, die ich gleich spielen möchte. Mit meiner Gitarre kann ich die Welt um mich herum vergessen. Ich schnappe mir den Instrumentenkoffer und die Mülltüte und küsse Melissa zum Abschied auf die Wange.

„Es wird spät werden, also mach dir keine Sorgen, falls ich nicht auftauche.“ Noch so ein Ding, seitdem ich mit meiner sieben Jahre älteren Schwester zusammenwohne: Ich werde umsorgt, ob ich will oder nicht. Meistens stört es mich nicht, denn ich liebe Mel und Emma. Bei ihnen in Düsseldorf Unterschlupf gefunden zu haben, bedeutet mir sehr viel. Trotzdem – heute Nacht brauche ich Abstand. Mir fällt sonst die Decke auf den Kopf.

 

~~~

 

Zehn Uhr abends ist keine gute Zeit, um als Straßenmusiker Geld zu verdienen. Obwohl nicht mehr viel los ist, gefällt mir die Stelle, die ich mir für meinen Auftritt ausgesucht habe. Grund dafür ist der attraktive Kerl im Anzug, der schon das dritte Lied gebannt vor mir steht. Ein leises Auflachen kann ich mir nicht verkneifen, als er aus heiterem Himmel zu fluchen beginnt: „So eine Scheiße! Ah, das darf nicht wahr sein! Jetzt habe ich die Bahn verpasst.“

Abrupt dreht er sich um und begibt sich zu den Gleisen. Perplex schaue ich ihm einen Moment hinterher. Wirklich schade, ich habe mich über sein Interesse gefreut, über den Blickkontakt der letzten zehn Minuten. Der Start in einer fremden Umgebung ist kein Zuckerschlecken, er eröffnet mir jedoch neue Möglichkeiten. Dies ist eine. Das ist es doch, was ich heute Abend wollte, was ich brauche! Warum ich so spät noch mit meinem Koffer unterwegs bin. Ich gebe mir einen Ruck, packe meine Gitarre ein und schließe zu Mr. Anzug auf.

„Na, hast du einen schlechten Tag gehabt?“, frage ich ihn, als ich neben ihm stehe.

Er dreht sich leicht verdutzt zu mir. „Eigentlich nicht. Nur viele Termine.“

Vorsichtig versuche ich, mich mit Small Talk weiter vorzutasten. „Oh … na dann. Ich mache bald Feierabend. Probiere mein Glück vielleicht noch woanders. Hier ist jetzt nichts mehr los.“ In dem Moment fährt die nächste Bahn ein und hält mit quietschenden Bremsen.

„Dann noch einen schönen Abend“, verabschiedet er sich von mir und steigt ein. Ich folge ihm schnell.

„Wir haben wohl den gleichen Weg“, stellt er fest und lässt sich auf eine Bank fallen. Ich setze mich auf die gegenüberliegende Seite. Offen lächelt er mich an.

„Ja, sieht so aus.“ Herausfordernd grinse ich zurück.

„Wo willst du es denn als Nächstes versuchen?“ Fragend deutet er auf den Gitarrenkoffer.

„Weiß nicht. Ich fahre ein bisschen durch die Gegend und gucke mal. Ich bin neu in der Stadt und kenne mich noch nicht gut aus.“ Vielleicht versteht er ja meinen dezenten Hinweis.

„Blöde Frage, aber ist das nicht eine Scheißart, seine Kohle zu verdienen?“

Tut er nicht. Aber seine Direktheit macht mich kurzzeitig sprachlos. Er scheint nicht der Einfühlsamste zu sein. Dabei starrt er mich so neugierig und ahnungslos an, dass ich mir innerlich einen weiteren Schubs gebe. „Eigentlich liebe ich es, ist aber keine Dauerlösung. Wie gesagt, ich bin neu hier und habe erst angefangen, mich nach einem festen Job umzugucken. Und üben muss ich sowieso, das kann ich auch draußen machen. Es macht Spaß und ich kassiere ein paar Euros nebenbei.“

Vielleicht hat er es jetzt kapiert. Ich bin mir nicht sicher, ob ich ihn noch ein drittes Mal darauf hinweisen will, dass ich hier fremd bin und Anschluss suche. Nach meiner langen Ansage lächelt er mir bestätigend zu, tastet mich mit seinem Blick von oben bis unten ab. Eindeutige Signale kommen von ihm. Vor der nächsten Haltestelle steht er auf und geht in Richtung Tür. „Bis dann. War nett, dich getroffen zu haben. Man sieht sich.“

Oh Mann! Der Kerl hat echt ein dickes Fell. Es wäre wohl besser, wenn ich aufgebe. „Ja, war schön“, murmle ich, versuche, ihm nicht zu zeigen, wie enttäuscht ich bin. „Mach’s gut.“

„Du auch“, antwortet er gleichmütig und hebt die Hand zum Abschied. Die Bahn hält und die Türen gleiten auf. Mr. Anzug bahnt sich einen Weg durch die anderen Menschen und steuert auf die Treppe zu. So habe ich mir das nicht vorgestellt. Kurz bevor die Türen schließen, haste ich ihm hinterher, verfluche mich dabei. Ich habe offensichtlich meinen Selbstwert zu Hause liegen lassen und vermutlich mein Verlangen nach Nähe und nach neuen Kontakten zu lange ignoriert.

„Ups, wir haben wohl wieder den gleichen Weg“, rufe ich hinter ihm.

Mr. Anzug stolpert vor Schreck über die nächste Stufe und es tut mir fast leid, ihn so überrascht zu haben. „Du?“

„Ja, spontaner Entschluss.“ Unschuldig dreinblickend zucke ich mit den Schultern.

„Weißt du was?“, ruft er plötzlich aus. „Du hast doch heute Abend nichts Wichtiges mehr vor, oder?“

„Nein. Warum?“ Hallo? Hat er nicht gemerkt, dass ich ihm seit zwanzig Minuten hinterherlaufe?

„Du bist mein Lebensretter! Ich bin unterwegs zu einer Megaparty und habe das Geschenk zu Hause liegen lassen. Könntest du ein paar Lieder für das Geburtstagskind spielen? Bitte? Natürlich bezahle ich dich dafür.“

„Warum nicht? Mach ich gern. Dann muss ich den Abend nicht auf der Straße oder bei meiner Schwester verbringen.“ Ich versuche, möglichst gelassen zu klingen, während ich innerlich in Jubel ausbreche: eine Party mit ihm und ein spontaner Gig, für den ich sogar noch bezahlt werde!

„Super, danke. Dich hat echt der Himmel geschickt! Wie heißt du eigentlich?“ Auch er scheint sich richtig zu freuen. In erster Linie ist er aber wohl erleichtert, so schnell ein anderes Geschenk aufgetrieben zu haben.

„Liam, ich heiße Liam“, stelle ich mich vor und halte ihm mit einem breiten Grinsen ganz formell meine Rechte hin.

„Schön, dich kennenzulernen, Liam.“ Er schlägt ein. „Ich bin David. Und der Freund, der heute eine Megaparty zu seinem dreißigsten Geburtstag schmeißt, heißt Kilian.“

Gemeinsam laufen wir zum Veranstaltungsort. Vor dem Eingang der ehemaligen Fabrik stehen ein paar Leute herum, rauchen und trinken. Weiter hinten sind einige Feuerschalen aufgestellt worden, die mir sofort ins Auge fallen. Als David die Tür öffnet, dröhnt uns laute Musik entgegen, die das Stimmengewirr überdeckt.

„Wow, ist das riesig und voll hier“, stoße ich beeindruckt aus. „Da hat wohl einer sein gesamtes Jahresgehalt auf den Kopf gehauen.“

David lacht auf. „Geld spielt bei Kilian keine Rolle.“

„David!“, ertönt ein freudiger Ruf. Ein großer, gut aussehender Sonnyboy stürmt auf uns zu.

„Kilian“, begrüßt David den Typ überschwänglich. „Alles, alles Gute zum Geburtstag, alter Mann. Lass dich drücken.“ Sie fallen sich um den Hals, umarmen sich lange. Etwas unsicher stehe ich daneben, beobachte die zwei, bis David sich von ihm löst. „Kilian, hier ist mein Geschenk für dich.“ David deutet auf mich. Na, ob das die beste Wortwahl war?

„Du hättest mir als Geschenk gereicht“, neckt Kilian David. Sein Blick ist dabei gierig auf ihn gerichtet. Oha!

David ignoriert die Anspielung. „Liam ist ein ausgesprochen begabter Gitarrist. Er würde gern für dich spielen.“

Kilian sieht geknickt aus, als David ihn von sich wegschiebt, doch dann mustert er mich. Seine Miene hellt sich auf, während er mich anschaut. Ich muss schmunzeln, komme mir vor, als würde mich Kilian mit den Augen ausziehen. Sehr subtil ist das nicht. „Keine schlechte Idee“, sagt er und wendet sich mir voll und ganz zu. „Ich bin Kilian.“ Er hält mir die Hand hin und ich schlage grinsend ein. „Liam. Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.“

Kilian umarmt mich ebenso fest wie vorher David, während dieser in der Menge verschwindet. Kurz blicke ich ihm irritiert hinterher und hoffe, dass er bald wieder zurückkommt. Plötzlich spüre ich Kilians warmen Atem an meinem Ohr. „Vergiss ihn.“

Ich schaue ihn verwundert an. Doch er sagt nichts mehr, bahnt sich stattdessen einen Weg durch die Menge und zieht mich mit sich. Ich werde von den feiernden Menschen um mich herum mitgerissen, angesteckt von der guten Laune, obwohl ich keinen Tropfen Alkohol getrunken habe. Vielleicht kann ich das später nachholen, aber erst nach meinem Auftritt. Abseits der Party deutet Kilian auf eine unbesetzte Couch. Das lasse ich mir nicht zweimal sagen. Vorsichtig stelle ich den Gitarrenkoffer auf die Seite und komme der Aufforderung nach. Kilian lässt sich schwer neben mich fallen. Ohne Berührungsängste windet er seinen Arm um meine Schulter. Eben kam er mir schon riesig vor, aber selbst im Sitzen ist er noch ziemlich groß. Ich fühle mich winzig neben ihm.

Immer noch wurmt es mich, dass ich David aus den Augen verloren habe. „Warum soll ich David vergessen?“ Automatisch rutscht mir die Frage über die Lippen und ich schaue zu Kilian hoch.

Er seufzt. „Weil du unmöglich an ihn herankommen wirst. Er ist nicht frei.“

„Ist er vergeben?“, hake ich enttäuscht nach.

„Nein, aber er hat Philipp. Sie kennen sich schon ewig und wohnen zusammen. Offene Beziehung oder so was. Genau kann ich es dir nicht sagen. Ich werde das Geheimnis allerdings nicht lüften können, denn Philipp mag mich nicht sonderlich. Er schafft es immer wieder, dass David sich von mir fernhält.“

Ich nicke und habe keine Ahnung, was ich darauf erwidern soll.

Erneut seufzt Kilian auf. „Na dann, ich wollte dich nur vor David gewarnt haben, okay?“ Geschickt wechselt er das Thema. „Kann ich dir was zum Trinken anbieten? Oder magst du was rauchen?“

Bietet er mir wirklich gerade einen Joint an? „Na ja, erst mal möchte ich mein Versprechen einlösen, wenn es dir recht ist?“ Ich will bei dem Gig gern nüchtern sein und mein Bestes geben. Wer weiß, welche Türen sich dadurch öffnen.

„Klar, kann ich verstehen. Beinhaltet das Geschenk wirklich nur Livemusik oder ist da vielleicht doch noch mehr drin?“ Kilian schaut mich so schelmisch aus seinen stahlblauen Augen an, dass ich schmunzeln muss. Diesen neckischen Blick scheint er gut eingeübt zu haben. Geschickter Kerl. Erst lenkt er mich von David ab und nun schmeißt er sich selbst an mich ran.

„Also, ich dachte zunächst an ein paar Lieder und alles andere sehen wir dann“, lasse ich mich halb auf sein Spiel ein. Kilian ist mir zwar sympathisch, aber das Ganze geht mir zu schnell.

„Wie wär’s damit: zum Aufwärmen ein kleiner Kuss für das Geburtstagskind?“

Kilian kennt echt keine Skrupel und fährt alle Geschütze auf. Einerseits schmeichelhaft, andererseits doch ein bisschen plump diese Anmache.

„Vielleicht später“, vertröste ich ihn unbestimmt. „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen.“

Kilian lacht auf. „Ich werde darauf zurückkommen. Tritts du eigentlich nur auf oder unterrichtest du auch Gitarre?“

„Ich unterrichte auch. Hauptsächlich Gitarre und Bass. Zurzeit bin ich allerdings auf Jobsuche. Bin erst vor ein paar Wochen hierhergezogen.“ Ich wundere mich über sein Interesse.

„Ich habe viele Connections und könnte dir bei deiner Suche sicherlich helfen. Magst du mir deine Nummer geben?“ Sein Angebot verblüfft mich, aber warum nicht? Einen Versuch wäre es wert. Er streckt mir sein Handy hin und ich tippe meine Daten ein. Falls das nur ein Vorwand von ihm ist, werde ich es merken. Und wenn, wäre es auch nicht schlimm, neue Freundschaften suche ich ja durchaus. „Ich melde mich bei dir“, verspricht er mir.

„Kilian, endlich hab ich dich gefunden.“ Eine hohe, überdrehte Stimme reißt uns aus dem Gespräch. Die Frau, zu der diese Stimme gehört, nimmt keinerlei Rücksicht auf unsere Privatsphäre, sondern stapft schnurstracks auf uns zu. „Dein Typ wird verlangt, und zwar auf der Stelle!“

„Jetzt mach mal halblang, Jennifer. Du siehst doch, dass ich beschäftigt bin.“

Jennifer sieht mich skeptisch an, lässt sich aber nicht beirren. „Mit dem kleinen Schnuckel kannst du auch nachher noch spielen. Wir brauchen dich sofort.“ Verdattert starre ich die Tussi an. Hat die was genommen? Kleiner Schnuckel? Ernsthaft?

„Was ist denn so dringend?“, murrt Kilian ungehalten.

„Das ist eine Geburtstagsüberraschung und wird nicht verraten.“ Sie gibt nicht auf, aber Kilian ebenso wenig.

„Liam hier ist auch eine Geburtstagsüberraschung.“ Kilian zieht mich näher an seine Seite. Mir wird es allerdings gerade zu eng. Ungern gerate ich zwischen die Fronten.

„Aha, L-i-a-m wird ja vermutlich für die ganze Nacht gebucht sein und du kannst später noch Spaß mit ihm haben.“ Sie spricht meinen Namen so merkwürdig gedehnt aus, dass sie mir gleich noch unsympathischer wird. „Ich brauche dich jetzt sofort!“

Bei ihrer Wortwahl wird es mir zu bunt. J-e-n-n-i-f-e-r hat wohl was falsch verstanden. Ich befreie mich aus Kilians Umarmung und stehe langsam auf.

„Ich bin kein Callboy, sondern Musiker“, empöre ich mich. „Ich soll hier ein paar Lieder für Kilian spielen!“

„Tja, woher soll ich das wissen?“, antwortet sie spitz. „Mein Bruder kauft sich ja öfter so Häschen wie dich für eine Nacht.“ Schwester also, das erklärt ihre Hartnäckigkeit.

„Das war ein einziges Mal, Jenny. Außerdem ist es ewig her. Dass du die Geschichte immer wieder hervorkramen musst.“ Kilian klingt sauer.

Seine Schwester scheint zu bemerken, dass sie zu weit gegangen ist. Statt also wieder zu fordern, probiert sie es diesmal mit betteln. „Komm bitte mit, Kili, es ist echt ’ne schöne Überraschung.“

Kilian schaut mich entschuldigend an und steht auf. „Wir sehen uns gleich wieder, okay? Vielleicht gehst du ja schon mal in Richtung Bühne und bereitest deinen Auftritt vor?“

„Klar, bis nachher.“ Kaum habe ich ausgesprochen, sind die zwei in der Menge verschwunden. Ich schnappe mir meinen Gitarrenkoffer und schiebe mich erneut durch die Menschenmassen.

Etwas seitlich hinter der Plattform finde ich eine menschenleere Ecke. Ich packe die Gitarre und das Stimmgerät aus, verbinde beides via Kabel und stelle sicher, dass alles korrekt eingestellt ist. Zu meinem Glück sagt der DJ wenige Minuten später eine Pause und die Liveband an.

Bevor die Jungs auf die Bühne springen, gehe ich auf sie zu und bringe mein Anliegen vor. Innerhalb kürzester Zeit bin ich mit der benötigten Technik ausgestattet, stehe verkabelt und bereit vor der Menschenmenge. Sie hat mich noch nicht bemerkt. Der DJ kündigt das letzte Lied und … mich an. Ich bin überrascht und aufgeregt – plötzlich starren mich alle an.

Nachdem die letzten Töne des aufgelegten Songs verklungen sind, ist es beinahe still im Saal. Das Publikum wartet. Nun bekomme ich doch Lampenfieber, wie immer kurz vor einem größeren Auftritt. Ich räuspere mich und trete ans Mikrofon.

„Hi, ich bin Liam und ich wurde gebeten, für das Geburtstagskind einige Stücke zum Besten zu geben. Mein Repertoire ist eher ruhig, wohl nicht so zum Tanzen, aber dafür herrlich zum Knutschen.“

Ein paar Lacher zeigen mir, dass ich die Partygäste nun auf meiner Seite habe. Ohne längere Einleitung fange ich an, zupfe an den Gitarrensaiten und die ersten Töne erklingen. Mit einem Mal ist meine Nervosität wie weggezaubert. Ich schließe die Augen und lasse mich in die Musik fallen. Zuerst spiele ich einige bekannte Lieder, wage es letztendlich aber, auch zwei meiner eigenen Stücke zu präsentieren. Die Gäste sind begeistert, klatschen und pfeifen während der leisen Übergänge. Nach einer knappen halben Stunde und sechs Songs später beende ich meinen Auftritt. Ich sollte ja kein Konzert, sondern einfach nur eine kleine Auswahl zum Besten geben. So lautete mein Auftrag. Ich bedanke mich bei meinem Publikum und ziehe mich zurück. Die vereinzelten Zugabe-Rufe ignoriere ich, denn die Band bringt sich bereits in Position und bereitet ihren Auftritt vor. Kilian habe ich in der Menge nicht gesehen. Dennoch bin ich mir sicher, dass er mich gehört hat.

Statt seiner habe ich jedoch während des Singens rechts unterhalb der Bühne einen Kerl entdeckt, der mich zwischendurch intensiv gemustert hat. Auch ich habe immer wieder einen Blick auf ihn geworfen. Er hatte was, auch wenn ich im Scheinwerferlicht nicht viel erkennen konnte. Wenn er noch nicht abgehauen ist, werde ich mein Glück versuchen. Vielleicht hat er ja Lust auf ein Bier mit mir.

Sobald ich hinter der Bühne hervorkomme, sehe ich ihn. Schwarzes Haar, eng anliegende schwarze Kleidung, gut einen halben Kopf größer als ich. Genau mein Typ – mir wird heiß.

Er ist in eine rege Diskussion mit einem anderen Mann vertieft. Sie wirken sehr vertraut, berühren sich. Als ich näher komme, erkenne ich den anderen: David. Ist der Schwarzhaarige etwa Philipp? Wenn ja, sollte ich das Weite suchen. Kilian hat mich vor ihnen gewarnt. Trotzdem bleibe ich stehen und beobachte sie. Die beiden sind äußerlich völlig unterschiedlich, aber jeder für sich ist unglaublich anziehend. Geduldig warte ich auf meine Chance, mich bemerkbar zu machen.

Kapitel 3

Philipp

 

„Komm schon, Philipp. Es tut mir leid. Nächste Woche gehen wir gemeinsam aus. Nur wir zwei, versprochen. Wir könnten in einen Pub gehen.“ David ringt um Worte. Ich will es ihm nicht so einfach machen, aber lange böse sein, kann ich ihm auch nicht. Er weiß das genau, deshalb spielt er seine Bonuskarten aus. Alle auf einmal. Dabei braucht er sie gar nicht. Mir reicht seine Anwesenheit.

„Nächste Woche fällt flach.“ Ich bin dieser Debatte müde, ehe sie angefangen hat. Streit mag ich nicht. Schon gar nicht mit David. Die grinsenden Gesichter der umstehenden Bekannten regen mich auf und es beginnt, in mir zu rumoren. Am liebsten möchte ich von hier verschwinden.

David und ich sind kein Paar! Wir streiten uns auch nicht. Hier geht es um Grundsätzliches und ich hoffe, diese Diskussion hat bald ein Ende. „Du wolltest hierherkommen.“ Meine Verteidigung klingt schwach. „Ich wäre am kommenden Samstag sehr gern mit dir allein weggegangen. Da ich aber heute hier bin und Angelo diesen Abend aus den Rippen geleiert habe, kann ich nächste Woche leider nicht.“

Diesmal trifft es David wirklich. Zerknirscht sieht er mich an. „Das tut mir leid. So weit habe ich nicht gedacht.“

Verärgert kneife ich die Augen zusammen. Es wäre besser, wenn er es einfach gut sein ließe. „Was tut dir leid? Dein Zuspätkommen oder generell dein Kommen? Du riechst nach deinem Chef.“ Eigentlich mag ich das Aftershave von Stefan – eben diesem Chef. Aber im Moment schnürt es mir die Luft zum Atmen ab. Ein sicheres Zeichen, dass es für mich Zeit ist, zu gehen.

„Es tut mir leid, wirklich.“ David greift nach meinen Fingern und drückt sie fest. Entschuldigend sieht er mich an. Diesem Blick kann ich nicht lange standhalten.

„Verdammt, du wusstest genau, dass ich nicht erpicht darauf war, auf Kilians Party zu gehen. Dennoch lässt du mich über eine Stunde warten. Du hättest wenigstens duschen können.“

David zuckt zusammen und senkt reuevoll die Augen. Wenn auch beides nur kurz. „Es war keine Zeit mehr, sonst wäre ich noch später hier gewesen.“ Er streicht durch mein Haar, lehnt seine Stirn an meine und zwischen uns kehrt Stille ein. Meine minimale Wut schlägt in Enttäuschung um. Keine Zeit für die Party, auf der er mit mir verabredet war, aber Zeit für seinen Chef! Er ist nicht wegen der Arbeit zu spät gekommen, sondern wegen eines Ficks.

Ich halte eine Menge aus, doch irgendwann ist auch bei mir die Grenze erreicht. Er ist mir keine Rechenschaft schuldig, aber eine Verabredung zwischen uns ist und bleibt eine Verabredung. Ich bin kein Lückenbüßer.

David weiß, er hat mich gleich, lässt mich auch nicht mehr los. Meine Barriere fällt in sich zusammen und ich ziehe mich innerlich zurück. Ich möchte nach Hause.

Vorher aber … Da war dieser Sologitarrist, der irgendwann aufgehört hat, zu spielen, während ich mich in diese dumme Diskussion mit meinem besten Freund verstrickt habe. Ein kurzer Blick auf die Bühne macht mir deutlich, dass er nicht mehr dort oben steht. Die Band bereitet sich gerade auf ihren Auftritt vor. Schade eigentlich! Es klang sauber und gut, was der blonde Typ dargeboten hat. Seine Stimme ist Sahne. Nicht nur die Stimme. Vor allem haben mir die beiden unbekannten Stücke gefallen. Ich hätte ihn gern gefragt, ob er sie selbst geschrieben hat. Um die Spannungen mit David endlich hinter mir zu lassen, atme ich bewusst tief durch und schlucke meinen Ärger hinunter. Beiläufig ziehe ich die Schultern nach oben. „Ist nicht mehr zu ändern, lass bitte gut sein.“

David atmet erleichtert aus. Er zieht mich in eine Umarmung, aus der ich mich nicht freiwillig lösen möchte und drückt seine Lippen an meine Schläfe, wühlt seine Nase in mein Haar. Er hält mich einfach, spürt mit Sicherheit meine innere Unruhe. Ich mag seine Nähe. Erschöpft, weil streitmüde, lehne ich mich gegen ihn. Schade, dass er nicht nach sich selbst riecht.

Ich habe seinen Körperduft schon an so manchen Tagen inhaliert: wenn es mir schlecht ging und wenn sich die Sehnsucht in mir mal wieder schmerzhaft bemerkbar machte. Damals, nach der Trennung von Eric, hat David mich Woche um Woche bei sich im Bett schlafen lassen. Ich fühlte mich allein gelassen. Es hat lange gedauert, bis ich über diese Trennung hinweg war. Eric war mein Gegenstück, mein Liebster. Manchmal wünschte ich, ich wäre mit ihm nach Australien gegangen. Aber Eric wollte das nicht. Schon der Gedanke daran verursacht ein heftiges Ziehen in meiner Herzgegend. Ich lege meine Arme enger um Davids Körper. Im Nachhinein weiß ich, warum Eric mich zurückgelassen hat: Entweder ich lasse ihn gehen oder ich verliere meine Familie samt David! Und dafür bin ich nicht geschaffen, ich würde daran zugrunde gehen. Eric konnte in mir lesen, wie in einem offenen Buch. Er hat das damals gesehen, als ich mich noch mit Händen und Füßen gewehrt habe, dass er mich hierlassen wollte. Ein Weggang hätte mich innerlich zerrissen, Stück für Stück. Trotz all der Liebe, die Eric und ich füreinander empfunden haben. Die Trennung war für uns beide sehr hart, dennoch unumgänglich. David war mein Fels in dieser Zeit, die uns enger aneinander geschweißt hat als all die Jahre zuvor.

Wir bewegen uns leicht zur Musik, passen uns einander an. Das erste Lied, das die Band angestimmt hat, ist lang genug, um meine Nerven wieder zu beruhigen.

„Besser?“, raunt David mir ins Ohr und drückt einen Kuss auf meine Wange, bevor er mich von sich schiebt. Ich nicke kaum merklich. Ein letztes Mal hole ich tief Luft und sehe mich um. Mein Gefühl, dass die Welt sich innerhalb weniger Minuten um mich herum verändert hat, bestätigt sich nicht. Es ist immer noch voll, verraucht und ohrenbetäubend laut.

„Mmh … der ist wirklich Zucker.“ Verschwörerisch zwinkert David mir zu und greift provozierend an meine Pobacke. Meinen darauffolgenden Laut nimmt er mit einem zufriedenen Lächeln wahr. „Ich wusste, du bist mir nicht lange böse. Also, was ist? Wollen wir ein bisschen Party machen? Was trinken? Den Süßen schleifen wir einfach mit und nehmen ihn in unsere Mitte.“

„Von wem redest du, David?“

„Von Kilians Geburtstagsgeschenk. Dem Kleinen, der gerade Gitarre gespielt hat. Komm, ich stelle ihn dir vor. Er ist mit mir hergekommen.“

„Was?“ Entrüstet sehe ich David an und trete von ihm zurück. Aber sein Blick hält mich gefangen. Wie immer. So viel Zuneigung, Wärme und Vertrautheit spiegeln sich darin wider, dass ich den ganzen Abend nichts anderes mehr bräuchte.

Um seine Mundwinkel zuckt es. „Spaß haben, Philipp. Das würde dir gut zu Gesicht stehen. Irgendwann fällt dir in unserer Bude die Decke auf den Kopf. Du vereinsamst. Ich kann nicht ständig bei dir sein. Daher habe ich beschlossen, das jetzt endlich mal in Angriff zu nehmen. Heute ist ein guter Tag dafür, findest du nicht?“

Einsam? Nein, das bin ich nicht! Wenn David sich anderweitig vergnügen will, soll er das tun, solange er mir als Freund erhalten bleibt. Als Einzelgänger komme ich gut allein zurecht. Ich bin auch nicht eifersüchtig auf all die anderen.

David legt seine Lippen auf meine und küsst mich leicht. Wieder sieht er mich intensiv an, als ich nicht reagiere, nicht reagieren kann. David darf seinen Spaß haben. Er weiß aber auch, dass ich das nicht kann, nicht bin und nicht brauche. Was also will er ‚in Angriff nehmen‘? Ich bin zufrieden, so, wie es ist.

„Wir haben uns, Philipp. Das nimmt uns niemand und so, wie es zwischen uns ist, ist es perfekt. Ich liebe dich, dennoch …“ Abermals klopft er mich mit seinem Blick weich. „Du musst mir nichts beweisen, aber möglicherweise schaffst du es, doch mal ein wenig aus dir herauszugehen. Der süße Gitarrist wäre doch ideal für eine kleine Abwechslung.“

Ich seufze innerlich auf. Prima. Ich brauche, verdammt noch mal, keine Abwechslung. Auch keine kleine. Gut, der Gittarist hat etwas an sich, etwas Fesselndes, und ich gebe zu, ich habe mehrmals hingeschaut. Dennoch weiß ich nicht, was mich mehr stört: die Tatsache, dass David nicht aufgefallen ist, wie ich den Typen bei seinem kleinen Auftritt interessiert ins Visier genommen habe – dann würde er damit jetzt wesentlich sensibler umgehen und mich nicht auflaufen lassen – oder dass er genau diesen Typ bereits durch intensiven Bettsport kennt, sonst wäre er kaum mit ihm hergekommen.

„Ich dachte, du bist mit Stefan zusammen gewesen?“ Meine Stimmung sinkt immer weiter und mein Interesse für den Gitarristen flaut merklich ab. Eine Vorstellungsrunde brauche ich nicht mehr. Heute als Schatten neben David und seinem neuen Flirt zu stehen, würde ich nicht ertragen.

David grinst nur, statt mir eine Antwort zu geben und dreht mich an den Schultern um. Ich stehe dem Musiker gegenüber. Sofort bleibe ich an seinem Gesicht, seinen Augen hängen. Eric hat auch so schöne blaue, schießt es mir durch den Kopf. Sie leuchten geradezu in dem spärlichen Licht der Halle. Für einen langen Moment hält er meinem Blick stand, bevor er abschätzend zwischen mir und David hin- und hersieht. David hat die Arme um meinen Oberkörper gelegt und sein Kinn auf meine Schulter. Es muss ein merkwürdiges Gefühl für den Typen sein, mit David herzukommen und ihn dann an mir kleben zu sehen. Das hat er sich vermutlich anders vorgestellt.

„Darf ich euch bekannt machen?“ Davids Stimme ist rau. Mit den Lippen streift er mein Ohr und ein leichtes Beben durchläuft mich. „Liam, mein Hübscher hier vor mir ist Philipp. Philipp, das ist Liam. Ich habe ihn am Bahnhof aufgegabelt. Wir kennen uns seit etwas mehr als einer Stunde und sind auf direktem Weg hierhergekommen.“

Kein Fang von ihm? Erleichtert atme ich auf, bremse mich aber gleich darauf aus. Liam also. Liam, der sich an die Fersen von David geheftet hat, wie so viele vor ihm. Wenn sie nicht gerade Kilian schöne Augen machen. Liams Blick bleibt letztendlich an mir haften. Diese wundervollen blauen Augen. Aber ich bin keine Konkurrenz. Es gibt also auch nichts zum Ausloten.

„Hi“, begrüße ich Liam und reiße mich zusammen. David zuliebe. „Du hast toll gespielt. Ich hätte dir noch stundenlang lauschen können. Schade, dass es so kurz war.“

Liam lächelt mich offen an und reicht mir die Hand. Warm ist sie, sanft das Händeschütteln. Ein wenig Mitleid kommt in mir hoch, denn er ist genau der Typ Mann, den David im Bett unter sich begräbt. Heute noch, so vermute ich, denn er hat es ja mehr als deutlich gesagt: ‚In die Mitte nehmen‘. Und damit meinte er sicher nicht nur hier beim Biertrinken. Ich selbst sehe die Nacht, die ich mir mit David ausgemalt habe, verblassen.

„Hi! Ich freue mich total, hier gelandet zu sein. Dein …“ Abermals gleitet sein Blick zwischen David und mir hin und her. Mir wird unangenehm warm. Ich löse mich von David und trete zur Seite. Raus aus seiner Reichweite, raus aus seinem Schatten. Ich gebe den Fokus auf ihn frei. Nur so kann ich mich retten. Mich zurückziehen, wenn ich es brauche. „Dein Freund hat mich netterweise mitgenommen.“ War das eine versteckte Frage bezüglich unseres Beziehungsstatus? Berechtigt. David wird ihm kaum von uns erzählt haben. Das wäre kein guter Start, um einen One-Night-Stand klarzumachen. „Wenn du magst, spiele ich draußen noch ein wenig an den Feuerschalen. Dort sah es gemütlich aus und war nicht so voll. Ich mag die Lagerfeueratmosphäre.“

„Für mich?“ Überrascht blinzle ich. Das ist ein Angebot, das ich nicht ausschlagen möchte. Kurz blicke ich zu David. Sein Gesichtsausdruck wirkt verschlossen. Ich klaue ihm keine Eroberung. Das habe ich noch nie getan. Er hat uns doch vorgestellt. Soll ich Liam jetzt anschweigen? David reagiert nicht auf mich.

„Total gern, ja.“ Ich nehme die Einladung an, bevor Liam sie zurückziehen kann. „Möchtest du vorher was trinken oder dich erst noch ein bisschen umgucken? Kilian hat sich sicher gefreut, dass du für ihn gespielt hast.“

„Ja, hoffentlich.“ Liam fokussiert dabei David. „Aber eigentlich war es ja Davids Idee. Er hat mich spontan gebucht.“

David räuspert sich. „Wir haben noch gar nicht über deine Gage gesprochen. Wie viel schulde ich dir denn?“ Seine Stimmung ist gekippt. Eindeutig. Er klingt monoton, seine Mimik habe ich wohl richtig gedeutet. Ich ahne, dass er seine Nacht mit Liam schwinden sieht, weil Liam mir sichtlich zugetan ist. Und ich auch noch darauf eingehe. Dabei wollte er doch, dass ich mehr aus mir herausgehe. Es grenzt an ein Wunder, neben David überhaupt aufgefallen zu sein. Wenn ich das merke, wird David das auch merken. Vielleicht ist das das Problem: Sein Ego ist angekratzt. Ich sollte einen Gang zurückschalten. Außerdem bin ich nicht auf Partnersuche. Liam wäre also tatsächlich besser beraten, wenn er sich an David hängt statt an mich.

Liam kaut auf seiner Unterlippe herum, scheint kurz zu überlegen. „Wären dreißig Euro okay?“

„Machen wir gleich“, bestätigt David und deutet in Richtung Ausgang. „Vielleicht sollten wir wirklich noch ein wenig rausgehen, bevor es zu frisch wird.“ Er legt seinen Arm um meine Schulter und zieht mich mit. Besitzergreifend. Mittelpunktbildend. „Kommst du?“ In seiner Stimme schwingt Desinteresse mit, als er Liam auffordert – so kommt es mir vor. Dieser nickt und gesellt sich an meine Seite. Er sieht aus, als wäre er mit den Gedanken ganz weit weg. Schön ist er. Blond, schlank, nette Statur, vielversprechende Körpermitte. Auf seiner Hüfte sitzen lässige, etwas schmuddelig wirkende Jeans. Dazu trägt er einen dünnen Pullover, mit Lederjacke kombiniert. Ein samtiger, leichter Duft geht von ihm aus. Ich ertappe mich dabei, wie ich näher an ihn heranrücke. So kann ich seinen Geruch noch ein wenig intensiver wahrnehmen. David ordert drei Kurze, als wir an der Bar vorbeikommen. Drückt zwei davon in unsere Hände und mit einem Zug stürzen wir diese herunter. Drei Bier werden gleich darauf über die Theke geschoben und wir gehen nach draußen.

„Bist du mit meinem Auto da?“ David sieht mich fragend an. „Ich möchte gern meine Tasche loswerden.“

„Nein, tut mir leid. Ich wollte etwas trinken. Da ich nicht wusste, wie es bei dir aussieht, habe ich es lieber stehen lassen. Aber du könntest Jenny bitten. Ich habe ihren Audi auf dem großen Parkplatz gesehen. Du kannst die Tasche sicher im Kofferraum verstauen. Frag sie doch einfach mal.“

David grummelt. „Gut, dann mache ich das so.“ Ich muss nicht hingucken, er wird gerade die Augen verdrehen. Verständlich. „Liam? Magst du die Gitarre auch loswerden?“

Liam sieht erneut zwischen mir und David hin und her. „Nein, noch nicht. Ich habe doch versprochen, etwas zu spielen. Das möchte ich gern einhalten. Später vielleicht. Wir könnten die Sachen danach gemeinsam zum Auto bringen. Ist die Frau denn vertrauenswürdig? Meine Gitarre ist mir heilig.“

„Jenny ist alles, nur nicht vertrauenswürdig.“ David zwinkert Liam zu – seine kurzzeitig schlechte Laune scheint schon wieder zu verblassen – und lässt diesem den Vortritt an die frische Luft. „Aber wenn wir ihr unsere Dinge anvertrauen, wird sie darüber wachen wie ein Luchs. Sie wird sich kaum nachsagen lassen wollen, sie könnte nicht auf etwas aufpassen, was den Freunden ihres Bruders gehört. Kilian würde sie vermutlich nicht mehr auf die nächste Fete mitnehmen. Das setzt sie nicht aufs Spiel.“

„Jennifer?“ Auf Liams Stirn bilden sich Denkfalten, man hört beinahe seine Gedanken rattern. „Ich glaube, die habe ich vorhin kennengelernt. Die Schwester von Kilian, meint ihr die? Groß, blond, laut?“

„Ja, der Hahn im Korb unter den ganzen Hühnern hier“, antworte ich genervt. Wie schafft es Jenny, immer und überall bekannt wie ein bunter Gockel zu werden? Wird Zeit, dass die unter die Haube kommt. „Dann hast du mit Kilian wahrscheinlich auch schon Bekanntschaft geschlossen?“

„Ja.“ Die Reaktion folgt prompt. „Groß, blond, weniger laut, dafür sehr direkt.“ Ich schmunzle über die Zusammenfassungen Liams von Kilian und Jenny. „Kilian hätte sicher gern noch etwas anderes außer meiner Musik genossen.“

Oh bitte! Sind hier alle nur auf einen Fick aus? Instinktiv greife ich fester um Davids Taille. An seiner Seite kommt wenigstens niemand auf die Idee, mich als Fang für die Nacht aufzugabeln. Wenn, dann gable ich jemanden auf, was jedoch nur selten passiert. Nach dem unerklärlichen Abgang von Henry vor sechs Monaten gar nicht mehr. Mein kleines Interesse in Bezug auf Liam schwindet dahin und die Erkenntnis lässt mich frösteln: Wenn David nicht an Liam dran ist, dann kann ich vermutlich die Minuten zählen, bis Kilian seine Antennen wieder nach ihm ausfährt. Der lässt auch nichts anbrennen. Wieso sind Kilian und David überhaupt befreundet? Nüchtern betrachtet sind sie Konkurrenten im Kampf um Neuankömmlinge, wie Liam einer ist. Aber da ist noch ein anderes Gefühl in mir: David scheint Kilian wichtiger, als er zugibt.

Nahe einer Feuerschale, die von großen Findlingen umgeben ist, ist noch ein Plätzchen frei. Liam steuert direkt darauf zu und stellt sein Bier ab.

„Ich gehe mal“, kündigt David sofort an. „Besorge mir den Autoschlüssel von Jenny.“ So schnell kann ich nicht reagieren, da ist er schon wieder verschwunden.

Liam setzt sich mir gegenüber und blickt mich verträumt an. Blind zieht er seine Gitarre aus dem Koffer. „Du siehst so düster und geheimnisvoll aus. Das hat eine wahnsinnige Anziehungskraft auf mich.“ Ich blinzle perplex. Was? „Welche Farbe haben deine Augen?“ Das ist ein astreiner Flirt. Dabei ist Liam aber so leise, dass ich genau hinhören muss, meine Sinne auf ihn ausrichten muss. David ist doch eher laut, ebenso Kilian. Auch in unserer Großküche, in der Gastronomie, gehört lautes Reden zur Tagesordnung. Liams leise Stimmlage bin ich gar nicht gewohnt. Genauso leise allerdings zupft er die ersten Akkorde auf den Saiten an.

„Sie sind grau“, antworte ich ihm, bevor er zu spielen beginnt. „Ich bin kein Paradiesvogel. War ich noch nie.“

„Dachte ich mir. Ich mag Typen ganz gern, die sich nicht profilieren.“

„David profiliert sich nicht!“

Liams Mundwinkel zucken. „Ihr lasst nicht viel aufeinander kommen, was? Ich meinte nicht David.“ Ein bisschen klingt es nach Entschuldigung. Mein kurzfristiger Ausbruch tut mir noch in diesem Moment leid. „Generell meinte ich keine bestimmte Person hier“, fährt Liam fort. „So ein Urteil erlaube ich mir nicht, wenn ich jemanden nicht kenne. Aber es gibt genügend Menschen, die nur für das Sehen und Gesehen werden irgendwo auftauchen.“

Automatisch gucke ich an mir herunter. Ich bin komplett schwarz angezogen, unauffällig, nicht vorhanden. Resigniert stütze ich die Ellbogen auf die Knie und beuge mich vor. Hin zu Liam, dessen weiße Zahnreihen mir entgegenblitzen.

„Wenn es nach mir ginge, wäre ich nicht mal hier.“