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Freya Stark wird am 31. Januar 1893 in Paris geboren. Ihre Eltern sind Künstler, die Mutter Italienerin, der Vater Engländer. Sie wächst in Italien und England auf. Nach der Trennung der Eltern 1901 lebt sie mit ihrer Mutter in Italien. 1912 beginnt Freya Stark mit dem Studium der Geschichte in London, bricht es jedoch nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs ab. Sie arbeitet als Krankenschwester in Bologna, 1917 für kurze Zeit an der österreichisch-italienischen Front. Nach dem Zweiten Weltkrieg erbt sie ein kleines Landgut an der Riviera, die spätere »Casa Freia«. Hier findet sie zwischen ihren vielen Reisen immer wieder die Ruhe zum Schreiben. 1972 erhebt Königin Elisabeth II. die couragierte Abenteurerin in den Adelsstand. Dame Freya Madeline Stark stirbt am 9. Mai 1993. Sie wurde 100 Jahre alt.

Susanne Gretter studierte Anglistik, Romanistik und Politische Wissenschaft in Tübingen und Berlin. Sie lebt und arbeitet als Verlagslektorin in Berlin. Sie ist die Herausgeberin der Reihe DIE KÜHNE REISENDE.

Freya Stark

Auf der
Weihrauchstraße

Eine Reise durch das
südliche Arabien

Übersetzung von Hans Reisiger,
neu bearbeitet von Nicola Volland

Mit einem Nachwort von Susanne Gretter

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DIE KÜHNE REISENDE

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Freya Stark (1893–1993)

INHALT

EINLEITUNG DIE WEIHRAUCHSTRASSE

I. KAPITEL DIE ARABISCHE KÜSTE

II. KAPITEL LANDUNG

III. KAPITEL DAS BEDUINENLAGER VOR MUKALLA

IV. KAPITEL LEBEN IN DER STADT

V. KAPITEL ABREISE INS HINTERLAND

VI. KAPITEL DER MANSAB VON THILE

VII. KAPITEL DER WEG ZUM DSCHOL

VIII. KAPITEL DIE BEDUINEN VON KOR SAIBAN

IX. KAPITEL DER DSCHOL

X. KAPITEL NÄCHTE AUF DEM DSCHOL

XI. KAPITEL IN DAS WADI DOAN

XII. KAPITEL KHURAIBA UND ROBAT

XIII. KAPITEL KRANKHEIT IN DER FESTE VON MASNAA

XIV. KAPITEL DER RITT NACH HADSCHARAIN

XV. KAPITEL DER MANSAB VON MESHED

XVI. KAPITEL IN DAS WADI HADHRAMAUT

XVII. KAPITEL SHIBAM

XVIII. KAPITEL SEWUN

XIX. KAPITEL TARIM

XX. KAPITEL ABSCHIED VON FREUNDEN

XXI. KAPITEL IN DAS WADIAMD

XXII. KAPITEL HURAIDHA IM WADIAMD

XXIII. KAPITELANDAL

XXIV. KAPITEL ZUSAMMENBRUCH IN SHIBAM

XXV. KAPITEL BESUCHER

XXVI. KAPITEL VERZICHT AUF SHABWA

XXVII. KAPITEL FLUCHT AUS DEM TAL

ANHANG

ÜBER DIE WEIHRAUCHSTRASSEN SÜDARABIENS

BIBLIOGRAPHIE

»DIE STADT MEINER SEHNSUCHT« (NACHBEMERKUNG)

EINLEITUNG

DIE WEIHRAUCHSTRASSE

»Centumque Sabaeo

Ture calent arae sertisque recentibus halent.«

(Äneis 1, 416)

Im ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung schrieb ein namenloser griechischer Schiffskapitän den »Periplus des Erythräischen Meeres«. Er war weder gebildet noch ein Mann der Feder, sondern beschrieb lediglich zu Nutz und Frommen der Seefahrer und Händler die damaligen Häfen des Roten Meeres, ihre Märkte und ihre Ausfuhr. Einen nach dem anderen nahm er sie vor, erst an der Westküste, dann an der Ostküste entlang, bis in die Nähe von Sansibar, wo »der unerforschte Ozean westwärts herumbiegt« und ostwärts nach Malakka, »dem letzten Teil der bewohnten Welt … unter der aufgehenden Sonne«.

Es gibt wenige Bücher, die reizvoller zu lesen wären, als diese Schilderung des alten Kapitäns – denn ziemlich hoch in den Jahren muss er ja wohl gewesen sein, wenn er so viele und eingehende Reiseerfahrungen hinter sich hatte.

Nach seiner afrikanischen Reise zu den Weihrauchländern am »Kap der Gewürze«, dem jetzigen Kap Guardafui, bricht er von Ägypten in Richtung Osten auf. Er trifft auf die alte Handelsstraße von Petra, auf der der König der Nabatäer Abgaben eingetrieben hatte, und segelt dann an der Küste Arabiens entlang. »Das Land nahe dem Meer«, erzählt er, »ist hie und da von den Höhlen der Fischesser gesprenkelt« und »das Binnenland ist von Halunken bevölkert, die in Dörfern oder Nomadenlagern hausen und von denen diejenigen, welche vom mittleren Kurs abweichen, geplündert und überlebende Schiffbrüchige als Sklaven entführt werden. Deshalb halten wir unseren Kurs der Mitte des Golfs entlang und fahren so rasch wie möglich an dem Land Arabien vorbei, bis wir zu der ›Verbrannten Insel‹ (Jebel Tair 15° 35' N, 41° 40' O) gelangen, denn gleich hinter dieser befinden sich Gebiete friedfertiger Leute, Nomaden, Rinder-, Schaf- und Kamelzüchter.«

Hier kommt er zu dem himjarischen Königreich Jemen, dem letzten der alten unabhängigen Reiche Arabiens, und seinem Hafen Muza (dem jetzigen Mokha oder Mauza’), »wimmelnd von arabischen Schiffsherren und Seefahrern und geschäftig bewegt von Handelsgetriebe …«

Hier ragen, hinter einem zwei Tagereisen breiten, gelben, sandigen Landstrich, die hohen Berge des Jemen mit ihren dunklen Schluchten und Überhängen auf. Ihre zahlreichen flachen Gipfel schließen sich, von ferne gesehen, zu einer einzigen wuchtigen Kette zusammen, sodass sie, wie Hamdani sagt, »nicht viele Berge sind, sondern ein Gebirge, Sarrat genannt, das von Jemen bis Mekka reicht«. Ihre Färbung, von der See her gesehen, ist nicht die der mittleren Erderhebungen, sondern fahl und gräulich, als wären die schwarzen Gipfel mit einem Mantel von Wüstensand umhüllt und die roten Sandsteinhänge von vulkanischer Asche überlagert – gleich verglimmenden Kohlen unter ihrer Asche.

Von hier segelte der alte Seefahrer südwärts zwischen den sich verengenden Küsten. Wo die sonnengebräunten Hügelwellen häufiger werden, fuhr er in die Straße von Bab el-Mandeb ein, die »die See einzwängt und in eine Meerenge sperrt, die die Insel Diodorus (jetzt Perim) teilt«. Dicht unterhalb von dieser, »unmittelbar an der Küste der Meerenge«, war ein »Araberdorf namens Ocelis … ein Anker- und Wasserversorgungsplatz, und die erste Landungsstelle für die, welche von Süden her in den Golf segeln«. Dies war der am besten gelegene Hafen von Indien aus; weiter im Norden waren keine indischen Schiffe zugelassen, denn die Araber hüteten die Geheimnisse ihres Handels jahrhundertelang, bis die Römer kamen. Die Stelle von Ocelis haben nun der Ankerplatz von Perim und die Shelltanks eingenommen; aber die sanften Höhen und die baumlosen Landzungen, die reißende Strömung und die scharfe Biegung sind unverändert geblieben; und hinter der Meerenge, dort wo »die See sich wieder ostwärts weitet und bald den Blick über den offenen Ozean freigibt«, folgen wir heute noch ebenso, wie der alte Seemann es tat, der Südküste des Jemen und werfen Anker in »Eudaemon Arabia, einer Ortschaft am Meeresufer, die zum Reiche Caribaels (des himjarischen Königs im Jemen) gehört und bequeme Anker- und Wasserplätze hat, süßer und besser als die in Ocelis«. Das war Aden, der Treffpunkt von Ost und West.

Weiter nach Osten hin »ist ein ununterbrochener Küstenstrich und eine Bucht, die sich über zweihundert Meilen erstreckt oder mehr und an der Nomaden und Fischesser in Dörfern wohnen; und gleich hinter dem Kap, das von dieser Bucht vorspringt, ist wieder eine Marktstadt an der Küste, Qana im Weihrauchland. Landeinwärts von diesem Ort liegt die Hauptstadt Sabbatha (jetzt Shabwa), in der der König wohnt. All das Räucherharz, das im Land erzeugt wird, wird auf Kamelen an diesen Ort getragen, hier aufgespeichert und nach Qana gebracht auf Flößen, die nach der Landessitte von aufgeblasenen Häuten getragen werden, und in Booten … Der Ort treibt Handel auch mit den afrikanischen Häfen, mit Barygaza (Broach in Indien) und Oman und Persien.«

So schrieb der alte Seefahrer – ein Neuling auf dieser einst reichsten, am strengsten bewachten und vielleicht ältesten aller Handelsstraßen der Alten Welt.

Ihr Geheimnis war erst wenige Jahre vor seiner Zeit gelüftet worden. Im Jahre 45 n. Chr. hatte Hippalos, ein Grieche, als erster Seefahrer des Westens die Nutzbarkeit des Monsuns entdeckt. Er leitete den Mittelmeerhandel durch den Indischen Ozean. Nach ihm erkämpften sich die Römer, die die nördlichen Karawanenstraßen und Ägypten erobert hatten und es leid waren, Abgaben an Arabien zu zahlen, einen eigenen Seeweg und stießen auf neuen und größeren, mit Bogenschützen bemannten Schiffen in die verbotenen Gewässer vor.

Aber niemand weiß, wie lange vor ihnen und in welchem Morgenlicht der Geschichte dieser Handelsverkehr begann und wann drawidische Boote ihr Einsegel setzten und mit hohem, geschnitztem Heck und Steuerruder im Stern, mit Sonne und Wind im Rücken in der günstigen Jahreszeit zum ersten Mal den Indischen Ozean überquerten und ihre Frachten an der arabischen Küste löschten.

Hier spendete das »Weihrauchland, gebirgig und abschreckend, in dicke Wolken und Nebel gehüllt, Räucherharz von den Bäumen«. Arabische Kamelreiter warteten im Staub ihrer Lager, wie sie es heute noch tun, und schnürten in ihre Ballen zusammen mit dem Weihrauch aus Arabien und Afrika Perlen und Musselin aus Ceylon, Seide aus China, Schildpatt aus Malakka, Narden vom Ganges und Zimtblätter aus dem Himalaja, Malabathrum genannt

»coronatus nitentes

malobathro syrio capillos«.

Und aus Indien Diamanten und Saphire, Elfenbein und Baumwolle, Indigo, Lapislazuli, vor allem aber Zimt und Pfeffer. Vom Persischen Golf kamen Datteln und Wein, Gold und Sklaven; und von der lange Zeit den arabischen Händlern botmäßigen Ostküste Afrikas Weihrauch, Gold und Myrrhe, Elfenbein, Straußenfedern und Öl.

Von dem sandigen Küstenstrich aus trugen einander ablösende Trupps von Beduinen und Kamelen die Ballen über Gebirgspässe und die Hochsteppe, durch Binnentäler in den östlichen Gebieten des Jemen und durch die Wüsten nördlich von Mekka, bis sie ihre Märkte erreichten und das arabische Harz auf den Altären von Damaskus, Jerusalem, Theben, Ninive und Rom rauchte.

Dies war die große Weihrauchstraße, deren schwachem Nachruhm Südarabien noch heute den Beinamen des »glücklichen« verdankt; deren Existenz die späteren Großtaten des Islams vorbereitete und möglich machte. Auf ihrem Strom dahinstapfender Füße reisten die Schätze Asiens; entlang ihrem langsam bewegten, ununterbrochenen Faden stiegen und fielen die arabischen Reiche – das minäische, sabäische, qatabanische Reich, Hadhramaut und Himjar. Eines nach dem anderen wurden sie reich an ihrem Teil der großen Handelsstraße; ihre Politik war getrieben von dem Wunsch, noch mehr davon zu beherrschen, zumal die Weihrauchgebiete des Südens und die Zugänge zum Meer; sie wurden mächtig und aristokratisch, Erbauer hochaufragender Städte; sie kolonisierten Somaliland und Äthiopien und machten sich zu Herren der afrikanischen wie der arabischen Wälder.

Wir können kaum noch ermessen, welche Reichtümer ihr Monopol ihnen eintrug zu einer Zeit, da jeder Altar und jedes Leichenbegängnis von Weihrauch umduftet war. Heilige Räume im Tempel von Jerusalem waren eigens als Speicher für diese Kostbarkeit bestimmt. Dem Amonstempel wurden bereits im zwölften Jahrhundert vor Christus 2159 Krüge und 304 093 Scheffel in einem Jahr geliefert, und die chaldäischen Priester verbrannten alljährlich ein Gewicht von zehntausend Talenten allein auf dem Altar des Bel zu Babel. Ein Gewicht von tausend Talenten wurde von den Arabern als ständiger Tribut an Darius entrichtet. Alexander der Große schickte nach der Einnahme von Gaza fünfhundert an seinen Erzieher, der ihn in Mazedonien wegen Verschwendung an die Götter gescholten hatte.

»Bedenken wir allein die große Anzahl von Bestattungen, die alljährlich überall in der ganzen Welt gefeiert, und die Berge von Wohlgerüchen, die zu Ehren der Leichname aufgehäuft werden.« So schrieb Plinius (VII, 42) und schloss: »Es ist die Üppigkeit, welche die Menschen sogar noch im Beiwerk des Todes entfalten, die Arabien so ›glücklich‹ gemacht hat.« Er schildert die Vorsichtsmaßnahmen, die zum Schutz der kostbaren Ware getroffen wurden: die Todesstrafe, die die Karawanenführer zu gewärtigen hatten, wenn sie zwischen dem Meer und Shabwa von der Straße abwichen; das »einzige Tor, das ihnen als Zugang in diese Stadt offen gehalten wurde«; die strenge Aufsicht in den Läden Alexandrias, wo die Arbeiter vor dem Weggehen entkleidet wurden, wo man ihre Schürzen versiegelte und ihnen eine Maske oder ein Netz über den Kopf zog. All das zeugt von dem Wert dieser Fracht, die die Händler zweitausend Meilen weit von Meer zu Meer quer durch Arabien verschickten, um sie dann schließlich in Rom »zum Hundertfachen ihres Preises« zu verkaufen.

Abgesehen von diesem umfangreichen Geschäft muss man auch die Reichtümer bedenken, die sich bereits im Laufe der Jahrhunderte angesammelt hatten; denn die Frühzeit dieses Handelsverkehrs ist ganz unbekannt. Das minäische Reich, das erste, von dem wir hören, durch dessen Gebiet der alleinige Durchgang für den Weihrauch führt, »auf einem einzigen schmalen Wege«, hat Königsverzeichnisse, die wahrscheinlich mindestens bis auf das dreizehnte Jahrhundert vor Christus zurückgehen. In Inschriften sehen wir es bereits wie Minerva vollgewappnet, zivilisiert und in hohem Wohlstand aus dem unerforschten Hintergrund Arabiens auftauchen, mit einem Alphabet, das der Ahne unseres eigenen ist. Welche vorgeschichtlichen Geschehnisse es in Erscheinung brachten, welche Völkerwanderungen dahinterliegen, wo und durch wen das Alphabet erfunden wurde, das alles ist unbekannt: Auch hat – außer Joseph Halévy, der sich als jemenitischer Jude verkleidete – nie jemand Ma’in, die minäische Hauptstadt in Nadschran, besucht.

Südlich davon und in späterer Zeit blühte das sabäische Königreich – das Saba Salomons – mit der Hauptstadt Marib, auch an der Weihrauchstraße gelegen und von Arnaud, Halévy und Glaser besucht. Das Machtzentrum verschiebt sich beständig nach Süden. Als die Sabäer wuchsen, schluckten sie ihre qatabanischen Nachbarn, deren – bis heute nicht wiederentdeckte – Stadt Tamna’ unweit ihrer Münzstätte in Harib gelegen haben muss, ebenfalls an der Weihrauchstraße; denn Plinius erklärt, dass »der Weihrauch nur durch das Land der Gebaniter eingeführt werden kann«, die Nachfolger der Qatabaner in Tamna’. Nach den Sabäern herrschten die Himjaren – das letzte der alten arabischen Königtümer – von Tzafar unweit Jerim aus und bis in christliche Zeiten; der Imam von Jemen streut noch heute roten Staub auf seine Briefe zum Zeichen seiner Abstammung von Himjar.

Aber der Schlüssel zu dem Handel lag östlich von all diesen Reichen in dem felsenumkränzten Tal und den Engpässen von Hadhramaut, dessen »Volk allein – und kein anderes Volk unter den Arabern – den Weihrauchbaum besitzt«; das den Hafen von Qana beherrschte und das Küstenland bis nach Dhufar hin und dessen Hauptstadt Shabwa, das Sabota des Plinius, »in einem hohen Gebirge gelegen« und mit sechzig Tempeln in seinen Mauern, das mit seinem einzigen Tor die Schleusen öffnen oder schließen konnte, die die große Handelsstraße speisten.

Bis voriges Jahr war noch nie ein Ausländer nach Shabwa gekommen. Auf den Karten ist es ungefähr sechzig Meilen westlich von Shibam verzeichnet. Jaqut zufolge fielen irgendwann in früher Zeit die Banu Kinda in Shabwa ein, und die Bewohner verließen die Stadt und gründeten Shibam. Wie dem auch gewesen sein mag, heute jedenfalls hausen dort noch ein paar spärliche Stämme um brackige Brunnen, wenngleich angeblich in einiger Entfernung von der Stelle, an der die alte Stadt gestanden hatte; sie leben von der Salzförderung, wie sie es schon mindestens seit dem zehnten Jahrhundert tun, seit der Zeit, als der alte Geograph Hamdani sie bei dieser Beschäftigung antraf.

Einer Leidenschaft für Straßen oder Flüsse, die ich immer schon gehabt habe, folgend, fasste ich letztes Jahr den Entschluss, zu versuchen, auf dem Weg durch Hadhramaut bis nach Shabwa zu kommen. Von dort wollte ich dann entweder der Hauptroute über Harib und Marib nach Ma’in in Nadschran folgen – dem »einzigen schmalen Wege«, der, wie beschrieben, durch die Hauptstädte der vier arabischen Reiche führte; oder wenn dies sich als unmöglich erwies, wollte ich mich nach Kräften in der Umgegend von Shabwa umtun und dann auf dem Weg durch die Berge, der einst die Hauptverkehrsstraße gewesen sein muss, zu dem alten Hafen Qana – irgendwo unweit Bir Ali an der Küste – zurückkehren.

Keiner dieser beiden Pläne wurde verwirklicht. Shabwa, kaum noch drei Tagereisen entfernt und durch keine Schranke mehr von mir getrennt, die meine Annäherung verhindert hätte, sollte mir dennoch dank der Ungunst des Schicksals unerreichbar bleiben wie der Mond; nur in Träumen bin ich auf seiner verödeten Reichsstraße gewandert. Aber die Täler von Hadhramaut, die zu ihm führen, und die Binnenstädte, so wiederholt sie auch besucht worden sind seit 1843, als v. Wrede sich in Verkleidung hinwagte, verlocken dennoch durch ihre fremdartige Schönheit zu einigem Bericht, wenn es auch nur der Bericht von einem Misserfolg ist.

Anmerkung – Ich bedaure sehr, dass den Namen der in Hadhramaut gefundenen Pflanzen nicht die entsprechenden englischen beigefügt sind. Das kommt daher, dass die Presse, in der die Pflanzen zwecks späterer Sichtung gesammelt wurden, auf der Heimreise durch Salzwasser Schaden litt und die Exemplare verdorben wurden. Hierfür, wie für so viele andere genaue Angaben, sei der Leser auf Mr. Ingrams Buch über dieses Land verwiesen.

I. KAPITEL

DIE ARABISCHE KÜSTE

»Ich habe ihre wohlgeformten Schatten

Aufragen sehen aus der Morgenröte

Und sah ihr Spiegelbild auf rosiger Bucht,

Ein schläfrig Schiff aus längst vergangener Zeit.«

(»The Old Ships«, FLECKER)

Ich habe mich oft gefragt, warum ein Schiff, alles in allem genommen, ein offenbar befriedigenderes Besitztum ist als eine Frau. Vielleicht weil angesichts eines so zerbrechlichen, so sichtlich bedrohten, zwischen den Elementen dahinschwankenden Dings selbst die grobschlächtigsten Männer begreifen, wie sehr Achtsamkeit und Feingefühl an der Ruderpinne vonnöten sind – während die Frauen, obwohl genauso zerbrechlich und genauso (wenn auch nicht so sichtlich) auf Messers Schneide zwischen noch bedrohlicheren Unendlichkeiten balancierend, dennoch offenbar einen falschen Eindruck von Stabilität erwecken; sonst würde nicht so oft gedankenlose und ruppige Gewaltsamkeit anstelle sanfter, gleichmäßiger Führung an dem Ruder walten, das Schiffe wie Menschen auf ihrem Kurs hält. Daher die übliche, aber unverständige Vorliebe auf ihren Frieden bedachter Männer für Schiffe.

Im Indischen Ozean tritt dies noch deutlicher in Erscheinung als anderswo, denn hier trägt obendrein der Monsun das Seinige zur allgemeinen Verlässlichkeit der Dinge bei, indem er alljährlich während der gleichen Anzahl von Monaten immerzu in der gleichen Richtung weht; was mehr ist, als sich von irgendeinem Winde sagen lässt, der gemeinhin das Ehefahrzeug treibt. So laufen denn die kleinen Flotten in verhältnismäßiger Sicherheit aus den afrikanischen und südarabischen Häfen aus, beladen, wie seit Jahrhunderten, mit Weihrauch und Myrrhe, und löschen ihre würzige Fracht um Weihnachten in den Speichern von Aden.

Im Jahre 1934 wurden etwa 1200 Tonnen Weihrauch aus Dhufar und 800 aus Somaliland ausgeführt. Der gesamte Weihrauch für die ganze Welt wird in diesen beiden Gebieten erzeugt. In Britisch-Somaliland werden durchschnittlich 400–500 Tonnen produziert und in Italienisch-Somaliland 500–600. Aber der arabische Weihrauch ist besser als der afrikanische, und die Dhufar-Küste, die etwa 1000 Tonnen ausführt, ist das einzige Gebiet, in dem das Harz zweimal im Jahr gewonnen wird, wie zu Plinius’ Zeiten, als man allgemein den weißen »Sommerweihrauch« und den roten »Frühjahrsweihrauch« unterschied.

Die Haupthäfen und -ortschaften der Dhufar-Küste sind: Saudah, das etwa 250 Tonnen Weihrauch verschickt; Mirbat 150 bis 200 Tonnen; Rakhiut 200 Tonnen; Jadib 100–150 Tonnen; Hadhbarm, Damghat und Dhabut je 100 Tonnen; Al Ghaida 50 Tonnen und Qishn 200–250 Tonnen. Das beste Harz kommt aus Saudah, Hadhbarm und Mirbat, das schlechteste aus Qishn.

Die Weihrauchbäume sind Arten der Familie der Burseraceen, Boswellia Carteri und Boswellia Bhuadajiana. Die Araber teilen sie in vier Klassen, von denen Hodscha’i das beste Harz und Shehri, Samhali und Rasmi die geringeren Sorten liefern. »Diese Weihrauchbäume«, sagt der alte Kapitän, »sind nicht von großer Höhe und Dicke. Sie tragen den Weihrauch in Tropfen auf der Rinde klebend, genau wie die Bäume bei uns in Ägypten ihr Harz schwitzen.« Der hochwertigste Weihrauch gedeiht drei Kameltagereisen von der Küste entfernt; die mittleren Sorten kommen von den Berghängen und -gipfeln, und der minderwertigere wird in der Nähe der Küste gesammelt.

Aber der Wert des Harzes bemisst sich noch an anderem: an seiner Farbe, die bereits in den Warenverzeichnissen Ramses’ III. Erwähnung findet und die von wolkigem Bernsteingelb oder einem wie Mondlicht leuchtenden, blassen Jadegrün bis zu einem kieselartig braunen Gemisch reicht; außerdem an seiner Größe und an dem Prozentsatz von feinem Glimmerstaub, mit dem die Araber das Gewicht ihrer Ware unauffällig zu erhöhen suchen. All das bestimmt den Weihrauchpreis, der zwischen 10 und 80 Pfund Sterling pro Tonne schwankt.

Von März bis August zapfen die Araber ihre Bäume durch kleine Rindenschnitte an: Der milchige Saft braucht drei bis fünf Tage zum Trocknen, je nach Wetter; ist die Sonne nicht heiß genug, so muss das Harz am Boden weitertrocknen. Zu Plinius’ Zeit war diese Harzernte einer kleinen Klasse vorbehalten; »nicht mehr als dreitausend Familien steht dieses Vorrecht kraft Erbfolge zu. Deshalb werden diese Personen heilig genannt, und es ist ihnen verboten, sich während des Beschneidens der Bäume oder des Sammelns der Ernte irgendwie zu beflecken, sei es durch Umgang mit Frauen oder durch Berührung mit den Toten; diese religiösen Beschränkungen sind es, durch die sich der Preis der Ware so erhöht.« Heute wird das Ernterecht oft an Somalis verpachtet, die zu diesem Zwecke von Afrika auf die arabische Halbinsel herüberkommen. Die uralte Heiligkeit des Baumes findet sich bei vielen Schriftstellern bezeugt. Herodot spricht von geflügelten Schlangen, die ihn hüten und in jedem Frühjahr nach Ägypten fliegen, sowie von Baumgeistern, welche die aus ihren lebendigen Flanken geschnittenen kostbaren Tropfen auf der Karawanenstraße geleiten.

Aber die Karawanenstraße ist jetzt tot, und das Weihrauchgebiet ist von Westen her immer mehr geschrumpft, weniger infolge natürlichen Rückgangs, als infolge sinkender Nachfrage. In entlegenen Tälern Hadhramauts wachsen die Bäume immer noch und werden von den Einwohnern abgeerntet, aber der westlichste Ausfuhrplatz ist jetzt wohl AlGhaida; und der alte Hafen von Qana, etwa 160 Meilen weiter westlich, ist im Sand verschwunden und versunken. Die arabischen Segelflotten, deren Formen ebenso alt sind wie diese begrabenen, unsichtbaren Ruinen, fahren im Winter, wenn der Monsun sich legt, achtlos an dem Geistermarkt vorbei und dicht an der vulkanischen Küste entlang den Werften von Aden zu.

Hier in dämmrigen Schuppen voll aromatischen Staubs und würziger Düfte, wo blasse Sonnenstreifen auf die halb durchsichtigen Harze fallen, beugen Frauen die verschleierten Köpfe über flache Körbe und klauben mit hennagefärbten schmalen Fingern die verschiedenen Sorten aus, während die Segelflotten ihre altertümlichen Rümpfe für die Heimfahrt mit Benzinfässern beladen.

Eines dieser Fahrzeuge, eine Dhau aus Kuwait, erlitt letzten Januar gleich hinter dem Vorgebirge von Bir Ali Schiffbruch. Der größte Teil des Benzins war gerettet worden, aber der Sultan von Bir Ali, dessen Beduinen es an Land geschleppt hatten, betrachtete es natürlich als eine Gabe Allahs, die er nicht wieder herauszugeben gedachte, außer gegen bares Geld. Wir in Aden haben für solche Fälle keinen Vertrag mit Bir Ali, wohl aber mit dem benachbarten Sultan, der ein Drittel des Wertes von allem einstreicht, was die See ihm zuträgt. Der Sultan von Bir Ali war noch nicht ganz auf der Höhe dieser zivilisierten Form von Seeräuberei und forderte ein Viertel. Unter diesen Umständen kam A. B., dem die Ladung gehörte, zu dem Schluss, dass eine private Verhandlung vielleicht ein weniger kostspieliges Ergebnis haben würde als ein Eingreifen der Regierung, und er sagte mir, dass sein kleiner Dampfer, die »Amin«, mich auf dem Weg nach Shihr bis Mukalla mitnehmen würde, nachdem man zuvor seinen Unterhändler auf dem verödeten Strand von Qana abgesetzt hätte, damit er dort sein Bestes versuche.

Am Abend des 21. Januar ging ich an Bord. A. B. und Mirjam brachten mich hin. Die Schiffslichter zogen wie Planeten durch die weite seichte Bucht von Aden. Die warme Gastlichkeit, die ich verließ, die Nacht ringsumher machten mir den Antritt der kurzen Reise so schwer, als gälte es, Abschied von der Heimat zu nehmen. Aden war freundlich zu mir gewesen. Das schlechte Zeugnis, das ihm frühere Hadhramaut-Fahrer ausstellen, kann ich nicht unterschreiben, denn ich fand, vom Residenten abwärts, nur Herzlichkeit und Hilfsbereitschaft. In meiner behaglichen Kabine, in der ich ganz anders reiste als auf der Dhau, mit der ich zuerst die Südküste zu umfahren gedacht hatte, ging mir all das durch den Sinn. Als ich um zwei Uhr nachts erwachte, sah ich, dass wir schon in voller Fahrt waren. Ein Wind war aufgekommen und trieb uns vorbei an dem über schräge Wasser drohend zu uns herüberblinkenden Auge des östlichen Leuchtturms. Der »Amin«, die sich wie ein Seepferd mit den Kabinen auf dem Rist bäumte, schien eine recht bewegte Zeit auf dem Indischen Ozean bevorzustehen.

Den ganzen folgenden Tag über fuhren wir gegen eine kurze Dünung an, und jeder war mehr oder weniger krank. Ich ging von Zeit zu Zeit an Deck hinaus und sah jedes Mal dieselbe öde flache Küste mit der Bergkette dahinter – die Bucht der Fischesser, deren Hütten jedoch nicht zu sehen waren. Der Unterhändler von nebenan kam gegen den Wind dahergeschwankt, das friedlich vergnügte, mit einem Goldzahn gezierte Rundgesicht unterm Turban von Schals umwogt; ein weibliches Zwitschern war beim Öffnen der Tür aus seiner Kajüte gedrungen, und er erklärte, es sei eine verwitwete Tante von ihm, die nach Mukalla zurückkehre. Ich stattete ihr einen Besuch ab und fand eine für eine Tante ausnehmend schöne Frau, in dünne geblümte Chiffonschleier gehüllt und auf dem schmalen Sofa kauernd, das sie sichtlich viel unbequemer fand als einen arabischen Fußboden. Sie hatte die für Hadhramaut typischen Gesichtszüge, sehr lang und schmal, einen großen, aber feinfühligen und zum Lächeln bereiten Mund, glänzende große dunkelbraune Augen und einen langen Hals, um den eine Kette von Goldperlen lag. Sie begrüßte mich dankbar als Schwester in dieser wilden, widrigen Wasserwelt, deren Wirkungen sie durch den Genuss von Butterteiggebäck zu mildern suchte; sie fühle, sagte sie, das Bedürfnis nach etwas Schwerem in ihrem Inneren, um zu verhindern, dass alles in ihr um und um ginge. Ich war überzeugt, dass der Butterteig seinerseits auch sehr bald mit der Wucht eines Mühlsteins in ihr umgehen würde, und ich verabschiedete mich vor Eintritt der Katastrophe, nachdem ich sie dazu bewogen hatte, ihren Anstandsbegriffen zuwider die Kajütenluke einen Zollbreit zu öffnen. Ich ging draußen in den Windstößen der reinen, freien Luft auf und ab und dachte nach über dieses merkwürdige weibliche Ideal, in abgeschlossenen Kästen durch die Welt zu reisen, um möglichst wenig von ihr zu sehen und möglichst wenig gesehen zu werden. Es scheint da ein fast überall verbreitetes, nur dem Grade nach hier und da verschiedenes Vorurteil im Spiel zu sein: Mrs. X., die Angst hat, auch nur für einen Augenblick aus ihrem eigenen Kreis herauszutreten, der weniger als den zehnmillionsten Teil der faszinierenden Bevölkerung unseres Erdballs ausmacht, handelt im Grunde nach genau demselben Prinzip wie die allein in ihrer dunkeln, stickigen Kabine hockende arabische Tante.

Am nächsten Morgen merkte man an der plötzlichen Ruhe und Stille, dass wir vor Anker lagen. Unmittelbar vor uns erstreckte sich das östliche Ufer der weiten, einsamen Bucht, die manche für die alte Bucht von Qana halten. Dünen und Stachelgräser leuchteten im stillen Morgenlicht. Sie bedeckten den Fuß vulkanischer Hügel, die sich zu abgeflachten Kegeln erhoben und nordwärts in ein breites Tal ausliefen, die Heerstraße nach Shabwa und zweifellos das Versteck unsichtbarer Oasen, denn in dem ganzen weiten, vielförmigen Land, das sich dem Auge darbot, waren nicht die geringsten Spuren einer Bebauung zu sehen. Nur drei verfallene Pfeiler und ein vierkantiges Fort oder Turm betonten gleichsam noch die Öde; und eine einsame Dhau, Gefährte und Wächter des Wracks, das wir besuchen kamen, schaukelte vor Anker; ihre Spieren und ihr zartes Takelwerk spiegelten sich zitternd im Wasser, und die geschnitzten Blumengirlanden an ihrem hohen Heck und die hängende rot-weiße Flagge von Kuwait standen scharf wie graviert in der leuchtenden Luft.

Einsamer als die Einsamkeit der Natur wirken die Spuren, die Menschen hinterlassen. Und das Einsamste an diesem Strand war A. B.s Fracht, ein verlassenes Häufchen, mit Zeltbahn und Seilen bedeckt, auf einer Sanddüne außer Reichweite der See gelagert, das nach allem anderen aussah als nach einem Handelsobjekt im Wert von zweitausend Pfund.

Wir sahen keine Menschenseele. Nichts als die stumme Morgenheiterkeit einer unbewohnten Welt. Dennoch waren Augen auf uns gerichtet, und nicht lange, so wimmelte das Dach des viereckigen Turmes wie ein Ameisenhaufen von Gestalten, die als Friedenszeichen schwarze Schals über der Brüstung schwenkten. Während wir – der Kapitän und der Erste Offizier, der Unterhändler und sein Schreiber, drei Araber, die mit ihren Bettgestellen und ihren mit Ohrringen überladenen Kindern nach Habban im Binnenland reisten, und ich – in unserem Boot hinuntergelassen wurden, kamen bereits die Wrackwächter in einem Einbaum und in einem langen Huri, in dem fünf oder sechs von ihnen standen, auf uns zu. Das Huri hat zwei spitze Enden, sodass es vorwärtswie rückwärtsfahren kann, und nimmt die Wellen mit erhobenem Bug, während die Mannschaft achtern steht und mit an Stangen genagelten runden Holzscheiben, Vorfahren des Ruders, paddelt. Es glitt um uns herum wie eine Schwalbe um eine Fliege und ging dann, als wir in seichtes Wasser kamen, auf Grund. Jeder Araber wählte sich einen von uns, ergriff ihn ohne ein Wort zu verlieren, presste Arme und Beine zu einem kunstgerechten Bündel zusammen und gegen das Indigo und Öl seiner Brust und verfrachtete dieses Bündel auf den Sand.

Der Sultan von Bir Ali gehört zum Stamme der Al Wahidi; ihrer eigenen, aber offenbar unzutreffenden Überlieferung zufolge sind sie Abkömmlinge von Qoraish. Wyman Bury zählt sie zu den Ureinwohnern Südarabiens, deren Blut sich nie mit dem nördlicher Einwanderer gemischt hat; und so sehen sie auch aus. Es gibt ihrer, wie man mir sagte, etwa viertausend. Sie haben sich erst in jüngster Zeit und wohl auch noch nicht endgültig zu der Auffassung bekehrt, dass Handel einträglicher ist als Mord, und der Weg durch ihr Gebiet, die direkte Straße nach Shabwa, deren untere Strecken v. Wrede im Jahre 1843 bereiste, ist immer noch zum großen Teil unbekannt, gefährlich und ungesund.

Sie selber sahen auch gefährlich aus, wenn man so wollte, aber recht stattlich. Drei oder vier ihrer Oberen lösten sich aus der Gruppe, kamen auf uns zu und reichten uns mit würdevoll ernster Höflichkeit die Hände.

Nur wenige hatten einen Turban; aber die meisten trugen Lendentücher und wohlgefüllte Patronengürtel – ein Amulett um den Hals, ein fettiges Band um den Kopf, um das Haar zurückzuhalten, genau wie die neueste Mode unserer jungen Damen, und ein Silberarmband über dem rechten Ellenbogen. Sie hatten alte, mit Silber eingelegte Gewehre, und bei dem einen oder anderen steckte griffbereit im Lendentuch auch einer der herrlichen Hadhramaut-Dolche, die mit groben Chalzedonen besetzte Scheide am Ende fast u-förmig gebogen. Das Schöne an ihnen war der nackte Torso und das freie Spiel der Muskeln unter einer Haut, der die ständige Einwirkung von Indigo, Sonne und Öl weder einen braunen noch einen blauen Glanz verlieh, sondern etwa den dunkler Pflaumen. Es sah ganz danach aus, als seien sie die Herren der Situation, denn unser Kapitän hatte es eilig und sie nicht, was in der Diplomatie immer eine starke Stellung bedeutet. Ihr Sultan, sagten sie auf die Nachfrage, sei in Bir Ali, jenseits der Bucht, im Binnenland. Unser Kapitän ließ seine blauen Kugelaugen ratlos über die weite, blendende, jeder Beförderungsmöglichkeit bare Fläche schweifen. Mit der lässigen Ruhe eines von allem Maschinellen unabhängigen Menschen gürtete sich einer der Eingeborenen, knüpfte das Lendentuch hoch und schickte sich an, davonzugehen.

»Wie lange wird er bis zum Sultan brauchen?«, fragte der Kapitän.

Die Wahidis, durch die unvermittelte, für sie belanglose Frage in dem Höflichkeitsschwatz unterbrochen, den sie mit dem Unterhändler begonnen hatten, wandten die Köpfe, um ihre Landschaft unter diesem ihnen ungewohnten Gesichtspunkt zu betrachten; denn vermutlich hatten sie bisher noch nie darüber nachgedacht, wie lange sie brauchten, um ihre Bucht zu durchwandern.

»Zwei Stunden vielleicht«, meinte einer ohne große Überzeugungskraft. »Der Sultan wird heute kommen.«

Damit schien die Sache für sie erledigt. Sie wandten sich wieder interessanteren Themen zu und überließen es dem Kapitän, mit verdutzten Europäeraugen auf die unwegsame Landschaft zu blicken und sich darüber zu ergehen, dass die »Amin« täglich 75 Pfund koste, wenn sie stillliege.

Ich hätte mir gern das Fort angeschaut und die drei Pfeiler, die zu einer verfallenen Moschee gehörten. Diese hatte in Gebrauch gestanden, bis das Wasser in dem Vorgebirge versiegte und die letzten Bewohner genötigt waren, sich ins Binnenland zurückzuziehen. Ja, ich hätte überhaupt an Land bleiben und die alte Straße einschlagen mögen, trotz der grimmen, von späteren Reisenden bestätigten Worte des »Periplus«: »Denn diese Gegenden sind sehr ungesund und pestbringend selbst für diejenigen, welche nur an der Küste entlangsegeln, aber fast immer tödlich für die, welche dort arbeiten, die auch oft an Nahrungsmangel zugrunde gehen.«

Doch meine Briefe lauteten nach Mukalla, und der Kapitän wollte von einer längeren Unterbrechung der Fahrt nichts hören. Wir könnten nur, erklärte er, auf die »Amin« zurückkehren und hoffnungsvoll darauf warten, den Sultan schließlich doch noch hinter einer Sanddüne auftauchen zu sehen.

Das taten wir und richteten unsere Ferngläser stundenlang auf die schweigende Bucht, deren Falten und Hügel und gestrüppüberwachsene Mulden immer blasser und weißer wurden in der steigenden Vormittagsglut. Drei oder vier der Wahidis waren an Bord gekommen und gingen behutsam an Deck hin und her. Mit argwöhnischem Staunen berührten sie den weißen Anstrich, als fürchteten sie, er könnte unter ihren Händen lebendig werden. Einer von ihnen trat durch die offene Tür meiner Kabine, hockte sich mit der natürlichen Unbefangenheit der Araber nieder und ließ schweigend seine Augen über all die merkwürdigen Gegenstände wandern: über den elektrischen Ventilator, über Waschtisch und Spiegel, Lampen und Vorhänge; schließlich blieb sein Blick erleichtert auf der seinem Verständnis verhältnismäßig begreiflichen weißen Steppdecke meines Bettes haften; mit bewundernden Fingern begann er, sie zu streicheln. Er war ein hochgewachsener Bursche, mit einem Schuss afrikanischem Blut – mit schmalen, regelmäßigen Zügen, einem kurzen kräuseligen Bart und wohlgeöltem, hinter den Ohren zusammengebundenem Haar. »Nach Frauenart trug er das Haar mit einem Bande gebunden«, wie Gilgamesch. Das schöne Ebenmaß aller seiner Glieder wurde nur durch zwei übergroße Daumen gestört. Nach einer Weile fiel sein Blick auf meinen Wasserkrug; er langte danach und trank.

»Gutes Wasser«, bemerkte ich.

»Gelobt sei Gott, ich habe solches noch nie gekostet. Es ist süß.«

»Ist in euren Brunnen Salz?«, fragte ich.

»Ja.«

Sein Leben lang aus brackigen Brunnen zu trinken – wir können uns kaum vorstellen, was das bedeutet. Ich selbst habe nie wirkliche Durstqualen gelitten; dennoch habe ich, seit ich denken kann, eine natürliche, dankbare Freude an klarem fließendem Wasser. »Kein Getränk kommt gutem Wasser gleich«, sagte ich.

Fünf oder sechs Wahidis, die sich um ihren Gefährten versammelt hatten und an der offenen Tür hockten, wandten mir plötzlich mit begeisterter Zustimmung die Gesichter zu; das Reizvolle an den Beduinen ist ihr Sinn für das Wesentliche, ihre angeborene Gleichgültigkeit gegen alles überflüssige Beiwerk des Daseins. Trotz der ihnen ungewohnten, zivilisierten Umgebung, in der wir beisammensaßen, hatten die Wahidis und ich eine Gemeinsamkeit gefunden. Mein erster Freund, der es sich inzwischen auf der weißen Bettdecke bequem gemacht hatte, von der zu vermuten war, dass sie indigoblau gemustert sein würde, wenn er aufstand, lächelte.

»Warum kommst du nicht mit und bleibst in Bir Ali?«, schlug er vor.

»Vielleicht tue ich es auf dem Rückweg.«

»Aber du bist eine Nasrani«, sagte einer von ihnen – ein Hellhäutigerer mit einem gelben Kaschmirturban auf dem Kopf, was einen besonderen Luxus bedeutete. »Du wirst in der Hölle schmoren.«

Die Umsitzenden, das war ersichtlich, konnten zwar nicht umhin, dieser Feststellung zuzustimmen, missbilligten jedoch die rücksichtslose Art, in der sie gemacht wurde. Ich war nicht gewillt, beizupflichten, und merkte an, die Nasara seien Leute des Buches. »Vor dem Tage des Gerichtes«, sagte ich, »werden sie versammelt werden durch ihren Propheten, Jesus, und die Juden werden durch Moses versammelt werden, und der Gesandte Gottes, Gott segne und bewahre ihn, wird die Gläubigen versammeln, und alle werden ins Paradies eingehen. Eure Überlieferungen sagen zwar, dass unser Prophet etwas später eingehen wird als der Gesandte Gottes – aber die Ewigkeit ist sehr lang, und ich werde mich auch, wenn ich erst etwas später als ihr dazu komme, daran erfreuen.«

Diese einleuchtende Rechtfertigung war gerade von allen erleichtert entgegengenommen worden, mit Ausnahme des Gelbbeturbanten, der immer noch etwas vor sich hin murmelte, als der Steward auftauchte, entsetzt meinen Gast von dem Bett scheuchte wie ein Ungeziefer und die Versammelten auf das untere Deck trieb in einer Art, die sie zweifellos in ihrer Meinung über unser jenseitiges Schicksal noch bestärkte. Zugleich erschien der Kapitän und sagte mir, dass der Sultan Boten geschickt habe. Kundschafter hätten ihm von unserer Ankunft berichtet, und er habe sogleich ein Kamel bestiegen und sei unterwegs zu uns; aber es sei noch immer keinerlei Spur von ihm oder seiner Vorhut zu erkennen, und wenn wir noch länger warteten, sei vorauszusehen, dass wir zu spät nach Mukalla kommen würden, um noch an diesem Abend an Land gehen zu können. Er habe daher beschlossen, den Unterhändler abzusetzen und ihn hier zu lassen, damit er sein Möglichstes tue, und ihn dann auf dem Rückweg in zwei Tagen wieder abzuholen.

So wurde der Unterhändler also ins Boot hinuntergelassen, zusammen mit dem Ersten Offizier, einem Fässchen Wasser, einem Fässchen Whisky, einer Rolle Bettzeug und ein paar Beuteln Proviant. Die Wahidi-Beduinen stiegen, verwundert über diese Ungeduld, aber schweigend, in ihr Huri, um ihn zu dem Fort zu geleiten. Die »Amin« lichtete die Anker und nahm Kurs auf die Insel Baraqa im Osten, und das Letzte, was wir von der Bucht von Qana sahen, war unsere am Ufer abgesetzte Deputation, das stumme, leblose, fensterlose Fort dahinter und die große Bucht mit ihren halb begrabenen Vulkanen, ihren begrabenen Märkten und ihrer toten Geschichte, für das äußere Auge nichts anderes als einer der vielen öden Küstenstriche Arabiens.

II. KAPITEL

LANDUNG

»Wie jenen, die das Kap der guten Hoffnung

Umschifft und an Mosambique vorüber sind,

Von Nordost sabäischer Wohlgeruch

Vom würzereichen Strand des glücklichen

Arabiens wunderbar entgegenweht …«

(Das verlorene Paradies, Vierter Gesang)

Zu unserer Linken lag nun die wilde Bergküste des Weihrauchlandes, jene »tiefe Bucht, die Sachalites genannt wird« – ein mit den Ortsnamen Shihr und Sawahil verwandtes Wort, eine Form des arabischen Sahl, der Bezeichnung für Küstenland. Der Küstenweihrauch heißt Shehri, und die Stadt Shihr trägt heute noch den Namen, der im ganzen Mittelalter anscheinend für den Küstenstrich westlich von Oman galt, im Unterschied zum weiter nördlich gelegenen Binnen-Hadhramaut.

Dieses ganze Gebiet zwischen Qana und dem »großen Vorgebirge, das nach Osten ragt und Syagrus heißt« (Ras Fartak, 15° 36' N, 52° 12' O), gehörte einst zum Weihrauchland. Auf dem Vorgebirge selbst befanden sich ein Fort, ein Hafen und ein Speicher, und von hier wurde der Weihrauch auf »Flößen, die von aufgeblasenen Häuten getragen werden, und in Booten« vermutlich nach Qana, oder durch das Wadi ’Adm oder nach Saihut und durch das Wadi Hadhramaut nach Tarim und schließlich nach Shabwa gebracht – der üblichste Weg bis auf den heutigen Tag. Shihr als Stadt wird jedoch von keinem der Alten erwähnt. Es trat erst später an die Stelle Qanas und wird von Marco Polo ebenso wie von Jaqut und anderen als »Escier« angeführt. Mukalla ist nicht an einem natürlichen bequemen Ausgang nach Norden gelegen und scheint erst viel später entstanden zu sein. Die erste Erwähnung findet sich bei Ibn Mudschawir im vierzehnten Jahrhundert. Dann bleibt die Stadt in fast völligem Dunkel bis 1829, als die Engländer dort hinkamen, nachdem sie Aden aufgegeben hatten, beziehungsweise 1834, als Haines auf der Suche nach einer Flottenbasis Mukalla und Sokotra besichtigte.

Aus den wenigen und unbestimmten Hinweisen auf dieses Gebiet geht hervor, wie sehr es während all der Jahrhunderte islamischer Herrschaft sich selbst überlassen war. Die Könige und Sultane von Jemen hatten zeitweise die nominelle Oberhoheit, aber nur einmal bekommen wir einen lebhafteren Einblick in die Verhältnisse, als Sultan Muzaffar im zwölften Jahrhundert von Westen her mit drei Armeen aufbrach, um es zu besetzen. Ursache oder Vorwand zu dem Krieg war, ebenso wie später bei der Besetzung Adens durch England, die Plünderung eines Schiffes, das die Männer von Dhufar abfingen, als es an ihrer ungastlichen Küste entlangfuhr. Sultan Muzaffar, einer der wenigen tatkräftigen Herrscher von Jemen, beschloss, sich das Land zu unterwerfen, und bestimmte Raisut in Dhufar als Treffpunkt für seine drei Armeen. Es ist schade, dass so wenig Einzelheiten über den Marsch angegeben sind, denn die Stationen waren zweifellos die der alten Weihrauchstraße, und ein Bericht darüber hätte vielleicht das Dunkel gelichtet, das immer noch über dem Gebiet zwischen Hadhramaut und Dhufar liegt. Alles, was wir erfahren, ist, dass die Nordarmee von San’a in Jemen bis Raisut fünf Monate brauchte und unterwegs ständig mit den Habudhis, den Einwohnern des Landes, zu kämpfen hatte.

Die zweite Armee zog an der Küste entlang, wobei sie auf große natürliche Hindernisse stieß, aber in Fühlung mit der Flotte blieb, die die dritte Streitmacht darstellte und als Verpflegungstruppe fungierte. Die gleiche Methode wandte übrigens Ibn Sa’ud jüngst bei seinem Marsch von Hedschas in den Jemen an. Jeden Tag wurden Vorräte an Land gebracht und ein Markt am Ufer eröffnet, bis schließlich das Ziel erreicht war und die drei Armeen sich in der Ebene von Dhufar trafen und dort die Oberherrschaft Muzaffars errichteten. Muzaffars General wurde zurückgelassen, um die schwierige und allmähliche Unterwerfung Hadhramauts zu leiten. Er brauchte einen Monat, um von Dhufar aus bis nach Shibam zu gelangen, aber auch hier ist wieder die Route nicht angegeben. Doch solange sich nichts anderes beweisen lässt, neige ich zu der Meinung, dass der normale Weg von Saihut oder Shihr ins Hinterland durch das Wadi Hadhramaut geführt haben muss und dass die Strecke zwischen Saihut und Dhufar zur See zurückgelegt wurde. Tatsache ist, dass der Weihrauch, der in Qana und Syagrus, wo Landrouten mündeten, so streng in Speichern bewacht wurde, dem »Periplus« zufolge »über das ganze sachalitische Land (Dhufar) hin in Haufen, offen und unbewacht« herumlag, »gleich als ob die Gegend unter dem Schutz der Götter stünde; denn er kann weder offen noch heimlich auf Schiffe verladen werden ohne die Erlaubnis des Königs; würde auch nur ein einziges Korn ohne diese verladen, so könnte das Schiff den Hafen nicht verlassen«. Dieses System, das sich leicht genug durchführen lässt in einem Seehafen, wo jedes auslaufende Fahrzeug untersucht werden kann, wäre so gut wie unmöglich auf einer Überlandstrecke, wo in der ersten besten dunklen Nacht mit Leichtigkeit ein paar Kamelladungen weggeschmuggelt werden könnten.

An diesem unserem ersten Tag fuhren wir, nachdem wir das Gebiet von Qana verlassen hatten, immer weiter ostwärts, nach wie vor bei heftigem Seegang, und schauten den ganzen Nachmittag lang auf den vulkanischen Saum der sachalitischen Bucht. Dort sah ich im Geiste die mittelalterliche Armee, barfüßig, dunkelhäutig und mit hellen Turbanen lose zerstreut über diese pfadlosen Felsenhöhen ziehen, die das Meer überragen. Man kann sich kaum eine schroffere Küste vorstellen. Die Berge steigen schwarz und nackt in scharfen Windungen gleichsam wie aus der Finsternis der Erde auf, hart und einsam wie der Tod, doch mit einer weltverlassenen, rauen Schönheit. Die Felshänge drängen einer hinter dem anderen dem Meer zu, dessen leuchtend bewegte Wellen das Chaos der öden Schlünde und Grate in sanfteren und lebendigeren Formen aufzugreifen scheinen.

Der Kapitän wurde unruhig, als der Nachmittag verging und die Aussicht, Mukalla vor Dunkelwerden zu erreichen, immer zweifelhafter wurde. Die Sonne ging unter und entfachte ein rosa Gleißen auf den Westseiten der Wellen und Berge und warf den Schatten der »Amin« vor uns aufs Wasser. Meine Nachbarin, die immer noch in Schleier gehüllt in ihrer Kabine hockte, verlangte nach Gesellschaft und trommelte zum wiederholten Male gegen die Wand. Ich setzte mich zu ihr, solange ich die Luft ertragen konnte, und bewunderte die Goldperlen, die sie um den Hals trug. Sie waren in Do’an hergestellt, und in der Mitte befand sich ein gestreifter Stein, den die Beduinen, wie sie sagte, »aus der Wüste« bringen; er heißt Swwama, und jede Frau in diesen Tälern hat den Wunsch, einen solchen zu tragen. Bis zu 100 Rupien bezahlen sie dafür, da er als Talisman gilt.

Wie ein sich öffnender Pfauenschweif füllte die Nacht den Himmel. Das fächerförmige, grüne Nachleuchten des Sonnenuntergangs im Westen, durchsichtig wie Wasser, verzog sich vor dem kalten Blau der oberen Himmelskuppel; der Küstensaum war nur noch eine Silhouette ebenso wie der indische Steuermann an seinem Rad. Diese kleinen, dunklen, rundköpfigen Leute aus Surat sind auf den meisten Küstendampfern anzutreffen; sie kümmern sich um niemanden und gehen stillvergnügt in ihren blauen selbstgefertigten Tuniken umher, die mit Blumen und Flaggen bestickt, mit einem traditionellen weißen Wellenmuster gesäumt und mit einer roten Schärpe gegürtet sind. Ich kaufte mir eine davon für eine Rupie und lag dann in erschöpfter Ungeduld an Deck, bis endlich gegen acht Uhr abends ein paar trübe Lichter in dem schwarzen Küstenwall anzeigten, dass wir Mukalla erreicht hatten.