KRIEG DER WELTEN
VON
H. G. WELLS
IN DEUTSCHER NEUÜBERSETZUNG
»Wer aber sollte hausen in jenen Welten, wenn sie bewohnt sein sollten? ...
Sind wir oder sie die Herren des Alls? ...
Und ist dies alles dem Menschen gemacht?«
KEPLER, zitiert in Burtons »Anatomie der Melancholie«, 1621
KRIEG DER WELTEN wurde im englischen Original (The War of the Worlds) zuerst veröffentlicht von William Heinemann, London 1898.
Diese Ausgabe in neuer Übersetzung wurde aufbereitet und herausgegeben von: apebook
© apebook Verlag, Essen (Germany)
www.apebook.de
2. Auflage 2019
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.d-nb.de abrufbar.
Dieses Buch ist Teil der ApeBook Classics (Nr. 0024): Klassische Meisterwerke der Literatur als Paperback und eBook. Weitere Informationen am Ende des Buches und unter: www.apebook.de
ISBN 978-3-96130-094-5
Satz, Layout & Umschlaggestaltung: SKRIPTART, www.skriptart.de
Alle verwendeten Bilder und Illustrationen sind – sofern nicht anders ausgewiesen – nach bestem Wissen und Gewissen frei von Rechten Dritter, bearbeitet von SKRIPTART.
Alle Rechte vorbehalten.
© apebook 2019
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Inhaltsverzeichnis
KRIEG DER WELTEN
Impressum
Erstes Buch
Die Ankunft der Marsianer
1. Am Vorabend des Krieges
2. Der fallende Stern
3. Auf der Horsell-Weide
4. Der Zylinder öffnet sich
5. Der Hitzestrahl
6. Der Hitzestrahl in der Chobham Road
7. Wie ich nach Hause kam
8. Freitag Nacht
9. Der Kampf beginnt
10. Im Sturm
11. Am Fenster
12. Was ich von der Zerstörung von Weybridge und Shepperton gesehen habe
13. Wie ich mit dem Kuraten zusammentraf
14. In London
15. Was in Surrey geschah
16. Der Exodus aus London
17. Die »Thunder Child«
Zweites Buch
Die Erde unter den Marsianern
1. Unterwegs
2. Was wir von dem zerstörten Haus aus sehen konnten
3. Die Tage der Gefangenschaft
4. Der Tod des Kuraten
5. Die Stille
6. Das Werk von fünfzehn Tagen
7. Der Mann auf dem Putney Hill
8. Das tote London
9. Die Verwüstung
Schlusswort
Eine kleine Bitte
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F l a t r a t e
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A p e C l u b
L i n k s
Zu guter Letzt
Niemand hätte in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts geglaubt, dass unsere Welt beobachtet würde; dass Wesen, intelligenter als die Menschen und doch ebenso sterblich, uns bei unserem täglichen Tun fast ebenso interessiert erforschen könnten, wie unsere Wissenschaftler mit dem Mikroskop jene kurzlebigen Lebewesen erforschen, die in einem Wassertropfen schwimmen und sich darin vermehren. Mit großer Selbstgefälligkeit schlenderte die Menschheit mit ihren kleinen Sorgen kreuz und quer auf dem Erdball umher, im beruhigenden Vertrauen auf ihre Herrschaft über die Materie. Vielleicht tun die mikroskopischen Lebewesen unter dem Mikroskop dasselbe. Niemand hätte Gedacht, dass der Weltraum eine Quelle der Gefahr für das menschliche Leben sein könnte. Jede Vorstellung, dass Leben auf anderen Planeten existieren könnte, wurde als unwahrscheinlich oder unmöglich abgetan. Bestenfalls kam es vor, dass manche Erdenbewohner sich einbildeten, es könnten Wesen auf dem Mars leben, vermutlich von minderwertiger Art, jedenfalls aber solche, die ein irdisches Forschungsunternehmen freudig begrüßen würden. Es ist seltsam, sich heute an diese Vorstellungen vergangener Tage zu erinnern.Denn jenseits des leeren Ozeans des Weltraums blickten Wesen, uns gegenüber so überlegen wie wir den Tieren, mit ungeheurer, kalter und unheimlicher Intelligenz, neidisch auf unseren Planeten. Ruhig und gezielt schmiedeten sie ihre Pläne gegen uns. Und am Beginn des 20. Jahrhunderts kam die große Desillusionierung über uns.
Der Planet Mars, ich muss den Leser wohl kaum daran erinnern, umkreist die Sonne in einer mittleren Entfernung von 140.000.000 Meilen. Und er erhält von ihr kaum halb so viel Licht und Wärme wie wir. Der Mars muss, wenn die Nebularhypothese nur einen Kern von Wahrheit hat, älter sein als unsere Erde, und lange, ehe unser Planet zu schmelzen aufgehört hatte, muss das Leben auf seiner Oberfläche bereits begonnen haben. Weil er kaum ein Siebtel des Volumens unserer Erde ausmacht, muss sich seine Abkühlung bis zu der Temperatur, bei der Leben beginnen konnte, beschleunigt haben. Er besitzt Luft und Wasser und alles Nötige zur Erhaltung von Lebewesen.
Doch der Mensch ist eitel und so verblendet in seiner Eitelkeit, dass bis zum Ende des 19. Jahrhunderts nicht ein einziger Schriftsteller jemals den Gedanken äußerte, dass dort geistiges Leben überhaupt oder sogar weit über das irdische Maß hinaus entstehen könnte. Auch wurde aus den Tatsachen, dass der Mars älter ist als unsere Erde, dass er nur ein Viertel ihrer Oberfläche besitzt, und dass er weiter von der Sonne entfernt ist, nie der zwingende Schluss gezogen, dass er nicht nur von den Anfängen des Lebens entfernter, sondern auch dessen Ende näher ist.
Die allmähliche Abkühlung, die auch unserem Planeten bevorsteht, ist bei unserem Nachbarplaneten schon weiter fortgeschritten. Seine physikalische Beschaffenheit ist zum größten Teil noch ein Geheimnis. Doch wissen wir mittlerweile, dass selbst in seinen äquatorialen Regionen die Mittagstemperatur kaum diejenige unserer kältesten Winter erreicht. Seine Atmosphäre ist viel dünner als die der Erde, seine Meere sind so weit zurückgetreten, dass sie kaum mehr ein Drittel seiner Oberfläche bedecken, und während des langsamen Wechsels seiner Jahreszeiten bilden sich ungeheure Schneekappen, die an jedem Pole schmelzen und seine gemäßigten Zonen periodisch überfluten. Jenes letzte Erschöpfungsstadium des Heimatplaneten, für uns noch so unglaublich weit entfernt, ist für die Marsbewohner zu einem virulenten Problem geworden. Der unmittelbare Druck der Not hat ihren Verstand geschärft, ihre Kräfte verstärkt, ihre Herzen verhärtet. Und während sie den Weltraum überblickten, sahen sie, ausgerüstet mit Werkzeugen und geistigen Gaben, die wir uns kaum träumen lassen, in nächster Entfernung, nur 35.000.000 Meilen sonnenwärts, einen Morgenstern der Hoffnung: unseren eigenen, wärmeren Planeten, grün mit Vegetation, grau mit Wasser, mit einer bewölkten Atmosphäre, die Fruchtbarkeit andeutet und bei klarer Sicht den Blick auf breite Streifen bevölkerten Landes und schmale, dicht befahrene Seen freigibt.
Und wir Menschen, die diesen Stern bewohnen, müssen den anderen mindestens so fremdartig und niedrig erscheinen wie die Affen und Lemuren uns. Der intellektuelle Teil der Menschheit gibt bereits zu, dass das Leben ein unaufhörlicher Kampf ums Dasein ist, und es scheint, dass dieser Glaube auch von den Marsbewohnern geteilt wird. Unsere Welt ist voller Leben, aber in ihren Augen ist es nur minderwertiges, tierisches. Den Krieg Richtung Sonne zu tragen, ist ihre einzige Rettung vor dem Untergang, der ihnen und ihrem Planeten von Generation zu Generation immer näher kommt.
Und bevor wir sie zu hart beurteilen, müssen wir uns erinnern, mit welcher schonungslosen und grausamen Vernichtung unsere eigene Gattung nicht nur gegen Tiere, wie den verschwundenen Bison und den Dodo, sondern gegen Unseresgleichen wütete. Die Tasmanier wurden trotz ihrer Menschenähnlichkeit in einem von europäischen Einwanderern geführten Vernichtungskrieg innerhalb von fünfzig Jahren vollkommen ausgerottet. Sind wir also gegenüber anderen Wesen so gnädig gewesen, dass wir uns nun beklagen dürften, wenn die Marsleute uns in demselben Geist bekriegen?
Die Marsianer scheinen ihren Angriff mit erstaunlicher Präzision berechnet zu haben; ihre Kenntnisse in Mathematik sind den unseren offenbar weit überlegen, und ihre Vorbereitungen trafen sie mit fast vollkommener Einmütigkeit. Hätten unsere Instrumente es erlaubt, wir hätten die drohende Gefahr schon früh im 19. Jahrhundert bemerken können. Männer wie Schiaparelli beobachteten den roten Planeten - nebenbei bemerkt, ist es nicht seltsam, dass seit ungezählten Jahrhunderten der Mars der Stern des Krieges war? - aber sie waren nicht in der Lage, die schwankenden Erscheinungen zu erklären, die sie auf ihren Karten so genau verzeichneten. Während dieser ganzen Zeit müssen die Marsbewohner sich vorbereitet haben.
Während der Opposition von 1894 wurde auf dem erhellten Teil der Scheibe des Mars ein großes Licht wahrgenommen, zuerst im Lick-Observatorium, dann von Perrotin in Nizza, später auch von anderen Beobachtern. Englische Leser hörten zuerst davon in einer Nummer der Zeitschrift »Nature« vom 2. August. Ich vermute, dass die Erscheinung der Reflex des in einer ungeheuren Vertiefung ihres Planeten angebrachten Geschützes war, aus dem ihre Geschosse auf uns abgefeuert wurden. Merkwürdige, noch unaufgeklärte Zeichen wurden in der Nähe dieses Ausbruchs im Laufe der nächsten zwei Oppositionen beobachtet.
Vor sechs Jahren brach der Sturm über uns los. Als sich der Mars der Opposition näherte, verbreitete Lavelle in Java über die Telegraphendrähte der astronomischen Mitteilungsstation die seltsame Nachricht von einem immensen Ausbruch weißglühenden Gases auf dem Planeten. Dies hatte am 12. gegen Mitternacht stattgefunden. Das Spektroskop, zu dem er sich sofort begab, zeigte eine Masse flammenden Gases an, überwiegend Wasserstoff, das sich mit enormer Geschwindigkeit auf die Erde zu bewegte. Dieser Feuerstrahl war ungefähr um Viertel nach zwölf unsichtbar geworden. Er verglich ihn mit einem ungeheuren flammenden Gebläse, das plötzlich und gewaltsam aus dem Planeten hervorschoss »wie flammendes Gas aus einer Kanone«.
Das erwies sich als ein selten zutreffender Ausdruck. Am nächsten Tag jedoch stand davon nichts in den Zeitungen, ausgenommen eine kleine Notiz im »Daily Telegraph«. Die Welt verharrte in Ignoranz über eine der größten Gefahren, die jemals die menschliche Rasse bedroht hat. Ich hätte von dem Ausbruch überhaupt nichts erfahren, wäre mir nicht der bekannte Astronom Ogilvy in Ottershaw begegnet. Ihn hatte die Nachricht ungemein in Aufruhr versetzt, und im Übermaß seiner Gefühle lud er mich ein, in jener Nacht mit ihm zusammen eine Prüfung des roten Planeten vorzunehmen.
Trotz allem, was ich seither erlebt habe, erinnere ich mich noch ganz genau an jene Nachtwache; das schwarze und stille Observatorium, die abgedunkelte Laterne, die einen schwachen Lichtschimmer auf den Boden in der Ecke warf, das unausgesetzte Ticken des Uhrwerks am Teleskop, den länglichen Spalt im Dach, der den Blick auf das Sternenmeer offenbarte. Ogilvy schritt auf und ab, nicht sichtbar, aber hörbar. Blickte man durch das Teleskop, dann gewahrte man einen tiefblauen Kreis und darin schwimmend den kleinen runden Planeten.
Es schien so ein kleines Ding, so strahlend und klein und ruhig, undeutlich versehen mit quer verlaufenden Streifen und leicht abgeflacht gegenüber dem perfekten Rund. Es war so klein, so silbern schimmernd, ein stecknadelgroßer Lichtpunkt. Es schien zu zittern, aber tatsächlich war es das Teleskop, das vibrierte, während sein Uhrwerk den Planeten im Blick hielt.
Wie ich beobachtete, schien der Planet größer und wieder kleiner zu werden, sich zu nähern und wieder zu entfernen, aber es lag einfach daran, dass meine Augen übermüdet waren. Vierzig Millionen Meilen entfernt von uns, mehr als vierzig Millionen Meilen Leere. Nur wenige Menschen realisieren die immense Leere, in welche der Staub des Universums ausgesetzt ist.
Dicht neben ihm im Gesichtsfeld, erinnere ich mich, waren drei kleine Lichtpunkte, drei teleskopische Sterne, unendlich fern, und um sie herum brütete die unergründliche Finsternis des leeren Weltraums. Man weiß, wie diese Finsternis in einer frostigen, sternhellen Nacht aussieht. Durch das Teleskop scheint sie noch weit tiefer. Und unsichtbar für mich, weil es so fern und klein war, legte jenes Etwas eine unglaubliche Strecke zurück; schnell und stetig flog es auf mich zu, kam in jeder Minute um viele tausend Meilen näher heran, jenes Etwas, das sie uns schickten und das so viel Kampf und Unheil und Tod über unsere Erde bringen sollte. Als ich so spähte, träumte ich nicht einmal davon; kein Mensch auf Erden träumte damals von jenem unfehlbaren Geschoss.
In dieser Nacht aber erfolgte ein zweiter Ausbruch von Gas auf dem fernen Planeten. Ich sah ihn. Ein rötlicher Blitz an der Kante, die Umrisse nur sehr schwach erkennbar, just, als der Chronometer Mitternacht schlug. Ich sagte es Ogilvy, und er nahm meinen Platz ein. Die Nacht war warm, und ich war durstig. Mit ungeschickt ausgestreckten Beinen tastete ich in der Dunkelheit nach dem Weg zu dem kleinen Tisch, auf dem die Trinkflasche stand. Ogilvy geriet unterdessen über die Gasflammen, die auf uns zukamen, in laute Erregung.
In dieser Nacht startete ein weiteres unsichtbares Geschoss auf seinem Weg vom Mars hin zur Erde, bis auf ein oder zwei Sekunden genau vierundzwanzig Stunden nach dem ersten. Ich erinnere mich, wie ich dort am Tisch saß; grüne und rote Kreise flimmerten vor meinen Augen. Ich ärgerte mich darüber, dass ich keine Streichhölzer hatte, um rauchen zu können, und dachte wenig über die Bedeutung des winzigen Lichtes nach, das ich gesehen hatte, und darüber, was es mir so bald bringen sollte. Ogilvy blieb bis ein Uhr auf der Sternwarte, dann gab er es auf. Wir zündeten die Laterne an und gingen zu seinem Haus hinüber. Unten in der Dunkelheit lagen Ottershaw und Chertsey mit ihren vielen hundert friedlich schlafenden Menschen.
Ogilvy äußerte in jener Nacht Vermutungen über die Beschaffenheit des Planeten Mars, und er amüsierte sich über die landläufige Ansicht, er könne Bewohner haben, die uns Zeichen geben. Er glaubte, dass ein heftiger Meteorschauer über dem Planeten niedergehe oder dass ein ungeheurer vulkanischer Ausbruch vonstattengehe. Er wies mich auch darauf hin, wie unwahrscheinlich es sei, dass auf zwei benachbarten Planeten die organische Entwicklung denselben Verlauf genommen habe.
»Die Chancen gegen irgendetwas Menschenähnliches auf dem Mars stehen eine Million zu eins«, sagte er.
Hunderte von Beobachtern sahen die Flamme in jener Nacht und in der Nacht darauf, um Mitternacht, und wieder in der Nacht darauf, und so fort zehn Nächte, eine Flamme in jeder Nacht. Warum die Schüsse nach der zehnten Nacht aufhörten, hat niemand zu erklären versucht. Vielleicht wurden die Gase, die sich beim Abfeuern bildeten, den Marsleuten unangenehm. Dichte Wolken von Rauch oder Dunst, durch ein mächtiges Teleskop für die Erde als kleine graue, fluktuierende Flecken sichtbar, breiteten sich in der klaren Atmosphäre des Planeten aus und verdunkelten seine bekannteren Linien.
Selbst die Tageszeitungen nahmen schließlich von diesen Störungen Kenntnis. Populäre Aufsätze über die Vulkane des Mars tauchten auf; erst hier und da, dann überall. Ich entsinne mich, wie die satirische Zeitschrift »Punch« in einer politischen Zeichnung glücklichen Gebrauch von ihnen machte. Aber unmerklich zogen die Geschosse, welche die Marsleute auf uns abgefeuert hatten, Richtung Erde und rasten jetzt mit einer unglaublichen Geschwindigkeit durch den leeren Weltraum auf uns zu, Stunde um Stunde und Tag für Tag, näher und näher. Es scheint mir heute unfassbar, dass wir, von dieser rasenden Gefahr bedroht, unseren unbedeutenden Geschäften nachgehen konnten, wie wir es damals taten. Ich erinnere mich noch, wie Markham jubelte, als er sich für die Illustrierte, die er in jenen Tagen herausgab, eine neue Fotographie des Planeten gesichert hatte. Heutzutage können sich die Menschen kaum die Unternehmungslust vorstellen, die im Zeitungswesen des 19. Jahrhunderts herrschte. Was mich betraf, so war ich damals sehr damit beschäftigt, Radfahren zu lernen; überdies war ich für eine Anzahl von Zeitschriften tätig, in denen ich Untersuchungen über die wahrscheinliche Entwicklung moralischer Ideen bei fortschreitender Zivilisation veröffentlichte.
Eines Nachts (das erste Geschoss kann damals kaum 10.000.000 Meilen entfernt gewesen sein) machte ich mit meiner Frau einen Spaziergang. Es war sternenhell, und ich erklärte ihr die Zeichen des Tierkreises; ich zeigte ihr den Mars, einen kleinen Lichtpunkt, der sich zum Zenit hin bewegte und auf den so viele Teleskope gerichtet waren.
Die Nacht war warm. Auf unserem Heimweg zog eine Gruppe von Ausflüglern aus Chertsey oder Isleworth singend und musizierend an uns vorbei. Die Fenster in den oberen Stockwerken der Häuser wurden hell, als die Leute zu Bett gingen. Vom fernen Bahnhof kam das Geräusch rangierender Züge, ein Klirren und Poltern, durch die Entfernung fast zur Melodie gewandelt. Meine Frau machte mich auf den Glanz der roten, grünen und gelben Signallichter aufmerksam, die wie in einem Netzwerk gegen den Horizont hingen. So sicher erschien alles, so ruhig.
Dann kam die Nacht des ersten fallenden Sterns. Er war am frühen Morgen gesehen worden, wie er über Winchester hin nach Osten schoss, eine Flammenlinie hoch in der Atmosphäre. Hunderte müssen ihn gesehen und für eine gewöhnliche Sternschnuppe gehalten haben. Albin machte auf einen grünlichen Strich hinter ihm aufmerksam, der einige Sekunden lang geglüht habe. Denning, unsere größte Autorität für Meteoriten, stellte fest, dass die Höhe seiner ersten Erscheinung ungefähr 90 oder 100 Meilen betrug. Er glaubte, dass er ungefähr 100 Meilen östlich von ihm auf die Erde gefallen sei.
Ich war zu dieser Stunde zu Hause und schrieb in meinem Arbeitszimmer. Und obwohl meine Flügelfenster gegen Ottershaw blickten und die Vorhänge aufgezogen waren (in jenen Tagen liebte ich es, den nächtlichen Himmel zu betrachten), sah ich jedoch nichts von alledem. Und doch muss dieses seltsamste aller Dinge, das je aus fremden Sphären auf die Erde fiel, gerade niedergegangen sein, während ich dort saß. Und hätte ich nur aufgeblickt, ich hätte es vorbeifliegen sehen können. Manche, die es sahen, behaupten, dass sein Flug von einem zischenden Geräusch begleitet war. Ich selbst bemerkte nichts. Viele Leute in Berkshire, Surrey und Middlesex müssen es fallen gesehen haben, und sie werden es allenfalls für einen Meteoriten gehalten haben. Niemand scheint sich in jener Nacht die Mühe gemacht zu haben, nach dem niedergegangenen Objekt zu suchen.
Sehr früh am Morgen des nächsten Tages jedoch erhob sich der arme Ogilvy, der die Sternschnuppe gesehen hatte. Er war überzeugt, dass irgendwo auf der Gemeindeweide zwischen Horsell, Ottershaw und Woking ein Meteorit liegen musste, und verließ mich in der Absicht, ihn zu suchen. Tatsächlich fand er ihn bald nach der Dämmerung, nicht weit entfernt von den Sandgruben. Durch den Einschlag des Projektils hatte sich ein enormes Loch gebildet. Sand und Kieselsteine waren mit großer Wucht in alle Richtungen über die Heide geschleudert und hatten Haufen aufgetürmt, die anderthalb Meilen weit zu sehen waren. Östlich brannte das Heidekraut, und ein dünner blauer Rauch stieg in der Dämmerung auf.
Das Ding selbst lag fast ganz in Sand begraben zwischen den verstreuten Splittern einer Tanne, die es beim Einschlag zerschmettert hatte. Der freiliegende Teil sah wie ein riesiger Zylinder aus, der vollständig von einer dicken, schuppigen, dunkelbraunen Kruste bedeckt war, die seine Konturen verwischte. Er hatte einen Durchmesser von ungefähr dreißig Yards. Ogilvy trat an die Masse heran, überrascht von ihrer Größe und mehr noch von ihrer Gestalt, da die meisten Meteoriten mehr oder weniger abgerundet sind. Von seinem Flug durch die Luft war der Körper allerdings noch so heiß, dass es unmöglich war, näher an ihn heranzukommen. Ein surrendes Geräusch im Inneren des Zylinders schrieb er der ungleichmäßigen Abkühlung der Oberfläche zu; denn er kam noch nicht auf die Idee, dass der Zylinder hohl sein könnte.
Er verweilte am Kraterrand, den der Körper sich gegraben hatte und starrte die seltsame Erscheinung an, vor allem verblüfft über die ungewöhnliche Form und Farbgebung. Leise kam ihm der Gedanke, dass diese Erscheinung vielleicht kein Zufall sei. Der frühe Morgen war wunderbar ruhig, und die Sonne, die gerade auf die Fichten vor Weybridge schien, war schon warm. Er erinnerte sich nicht, an jenem Morgen Vögel gehört zu haben. Kein Lufthauch regte sich. Der einzige Laut kam von den schwachen Bewegungen aus dem Inneren des glimmenden Zylinders. Er war ganz allein auf der Heide.
Da plötzlich bemerkte er, unwillkürlich zurückschreckend, wie ein Stück der grauen, aschenartigen Kruste, die den Meteoriten bedeckte, sich von der kreisrunden Kante des Endes ablöste. Sie fiel flockenweise ab und rieselte auf den Sand. Plötzlich sprang ein großes Stück ab und fiel mit einem so scharfen Klang zur Erde, dass ihm fast das Herz stockte.
Eine Minute lang konnte er kaum erfassen, was das zu bedeuten hatte. Und obwohl die Hitze übermäßig groß war, kletterte er in den Krater hinab und dicht an den Klumpen heran, um ihn näher zu betrachten. Selbst dann glaubte er noch, dass auch dies mit der Abkühlung des Körpers erklärbar sei. Aber mit dieser Annahme war es nicht zu vereinbaren, dass die Asche nur von dem Ende des Zylinders abfiel.
Da bemerkte er, dass der kreisförmige Schlussteil des Zylinders sich sehr langsam um seine Achse drehte. Die Bewegung war so allmählich, dass er sie nur dadurch erkannte, dass ein schwarzer Strich, der noch vor fünf Minuten in seiner Nähe sichtbar gewesen war, jetzt auf der anderen Seite der Scheibe stand. Selbst jetzt verstand er kaum, was das zu bedeuten hatte, als er einen gedämpften, kratzenden Laut hörte und zugleich sah, wie der schwarze Strich sich um etwa einen Zoll voran bewegte. Da überkam es ihn wie ein Blitz. Der Zylinder war künstlich hohl, mit einem Ende, das sich abschraubte! Etwas im Inneren des Zylinders schraubte den Schlussteil ab!
»Großer Gott!« rief Ogilvy, »da drin sind Menschen! Menschen, halb zu Tode verbrannt, die versuchen, sich zu befreien!«
Und auf einmal, mit einem raschen Gedankensprung, verband er die Erscheinung mit dem Lichtblitz auf dem Mars.
Der Gedanke an die Eingeschlossenen war für ihn so schrecklich, dass er nicht an die Hitze dachte und an den Zylinder heranstürzte, um die Drehung zu beschleunigen. Zum Glück aber hielt ihn die langsame Ausstrahlung davon ab, sich an dem noch glühenden Metall die Hände zu verbrennen. Einen Augenblick lang stand er unschlüssig da, dann wandte er sich ab, stieg aus dem Krater heraus und lief Hals über Kopf nach Woking.
Es mochte damals etwa gegen sechs Uhr gewesen sein. Er begegnete einem Fuhrmann und versuchte, ihm sein Erlebnis begreiflich zu machen. Aber was er berichtete, dazu sein Aufzug, das war alles so seltsam und durcheinander, dass der Mann ihn ignorierte und einfach weiterfuhr. Genau denselben Misserfolg hatte er bei einem Wirt in der Nähe der Brücke über den Horsell, der eben die Tür seiner Schenke aufsperrte. Der Mann hielt ihn für einen entsprungenen Verrückten und machte einen erfolglosen Versuch, ihn in der Schankstube einzuschließen. Das ernüchterte ihn ein wenig, und als er Henderson, den Londoner Journalisten, in seinem Garten sah, rief er ihn an den Gartenzaun heran und versuchte nun, sich verständlich zu machen.
»Henderson«, rief er, »Sie haben wohl die Sternschnuppe vorige Nacht gesehen?«
»Nun?« sagte Henderson.
»Sie liegt jetzt draußen auf der Horsell-Weide.«
»Donnerwetter!« rief Henderson. »Ein gefallener Meteorstein! Nicht übel!«
»Aber es ist etwas mehr als ein Meteorstein. Es ist ein Zylinder, ein künstlicher Zylinder, Mann. Und es ist etwas innen im Zylinder.«
Henderson, den Spaten in der Hand, neigte sich etwas vor.
»Was erzählen Sie da?« fragte er. Er war auf einem Ohr taub.
Ogilvy erzählte ihm nun alles, was er gesehen hatte. Henderson brauchte zu seinem Verständnis etwa eine Minute,. Dann ließ er seinen Spaten fallen, griff nach seinem Rock und kam auf die Straße hinaus. Sofort liefen beide zur Weide zurück und fanden den Zylinder noch in derselben Lage. Das Geräusch in seinem Innern jedoch hatte aufgehört und ein schmaler Reif aus glänzendem Metall zeigte sich zwischen dem Schlussteil und dem Körper des Zylinders. An dieser Stelle drang die Luft mit einem schwach zischenden Laut entweder hinein oder heraus.
Die Männer lauschten, dann schlugen sie mit dem Stock auf die Kruste. Aus der fehlenden Antwort schlossen sie beide, dass diejenigen im Innern wohl bewusstlos oder tot sein mussten.
Beide waren natürlich nicht imstande, etwas zu tun. Sie schrien den Eingeschlossenen einige Worte des Trostes und Versprechungen zu und kehrten zur Stadt zurück, um Hilfe zu holen. Man kann sich vorstellen, wie sie aussahen, bedeckt mit Staub, verstört und unordentlich, wie sie im hellen Sonnenlicht die kleine Straße entlang eilten, gerade als die Ladenbesitzer ihre Türen aufschlossen und die Leute ihre Schlafzimmerfenster öffneten. Henderson eilte sofort ins Stationsgebäude, um die Nachricht nach London zu telegrafieren. Die Zeitungsartikel hatten die Leute schon vorbereitet und sie für eine solche Nachricht empfänglich gemacht.
Um acht Uhr war schon eine Anzahl Jungen und unbeschäftigter Leute nach der Weide aufgebrochen, um »die toten Männer vom Mars« zu besichtigen. Das war die Form, in der die Nachricht sich verbreitete. Ich hörte zuerst davon durch meinen Zeitungsjungen, als ich ausging, um mir meinen »Daily Chronicle« zu holen. Ich war natürlich völlig überrascht und verlor keinen Moment, um mich über die Brücke von Ottershaw zu dem Sandhügel zu begeben.
Ich fand eine kleine Ansammlung von etwa zwanzig Personen vor, die sich um den Krater gesammelt hatten, in dem der Zylinder lag. Die Gestalt des ungeheuren im Boden vergrabenen Körpers habe ich bereits beschrieben. Die Erde und die Sandmassen um ihn herum waren verkohlt, wie durch eine plötzliche Explosion. Zweifellos hatte der Einschlag des Körpers eine Stichflamme verursacht. Henderson und Ogilvy waren nicht dort. Ich nahm an, sie wussten, dass sich im Augenblick nichts tun ließ, und waren zu Henderson gegangen, um zu frühstücken.
Vier oder fünf Jungen hatten sich an den Rand des Kraters gesetzt, ließen die Beine baumeln und vertrieben sich die Zeit, indem sie den riesigen Bau mit Steinen bewarfen, bis ich sie davon abhielt. Nachdem ich mit ihnen darüber gesprochen hatte, begannen sie, um die Gruppe der Umstehenden herum Fangen zu spielen.
Unter den Leuten registrierte ich zwei Radfahrer, einen Gartenarbeiter, den ich zuweilen beschäftigte, den Fleischer Gregg und seinen kleinen Sohn, ein Mädchen, das ein Kind trug, und zwei oder drei Müßiggänger und Eckensteher, die gewöhnlich in der Nähe des Bahnhofs umherlungerten. Es wurde sehr wenig gesprochen. In den niederen Ständen Englands hatten nur wenige Menschen in diesen Tagen mehr als sehr schwache astronomische Vorstellungen. Die meisten starrten nur schweigend das große, tischartige Ende des Zylinders an, das noch genauso aussah, wie es Henderson und Ogilvy verlassen hatten. Ich glaube, dass die allgemeine Erwartung der Leute, einen Haufen verkohlter Leichen zu finden, beim Anblick dieser unbelebten Masse enttäuscht wurde. Einige Personen verließen den Ort, während ich dort war, andere kamen. Ich kletterte in die Grube, und es war mir, als hörte ich unter meinen Füßen eine schwache Bewegung. Der Verschluss hatte jedenfalls aufgehört, sich zu drehen.
Erst als ich so nahe an den Körper herangetreten war, sprang mir die Fremdartigkeit seiner Erscheinung in die Augen. Auf den ersten Blick hatte er wirklich nichts Auffallenderes an sich als ein umgeworfener Wagen oder ein gefällter Baum, der den Weg versperrt. Allerdings nicht ganz. Mehr als irgendetwas anderem glich er einem rostigen, halbvergrabenen Gasrohr. Es bedurfte schon einer gewissen wissenschaftlichen Bildung, um zu bemerken, dass die graue Kruste auf dem Körper kein gewöhnliches Oxyd war, dass das gelblichweiße Metall, das auf der Spalte zwischen dem Deckel und dem Zylinder glänzte, einen fremdartigen Farbton hatte. Kaum einer der Umstehenden war sich im Klaren darüber, was der Begriff »außerirdisch« in diesem Fall wirklich zu bedeuten schien.
Damals war ich schon fest davon überzeugt, dass der Gegenstand vom Planeten Mars gekommen war. Aber ich hielt es für unwahrscheinlich, dass er lebende Wesen enthielt. Ich hielt die Schraubenbewegung für automatisch. Trotz Ogilvys Ansicht glaubte ich aber immer noch, dass es Lebewesen auf dem Mars gebe. Schon kam mir der Gedanke, dass der Körper Handschriften enthalten könne; ich malte mir die Schwierigkeiten aus, die sich bei ihrer Übersetzung ergeben würden, ich hoffte auf Münzen und Modelle und so fort. Aber das Ding war doch ein wenig zu groß, um mir die Richtigkeit meiner Vorstellungen zu verbürgen. Ich empfand eine lebhafte Ungeduld, es geöffnet zu sehen. Um elf Uhr etwa, als sich nichts weiter ereignete, kehrte ich, mit solchen Gedanken beschäftigt, zu meinem Haus in Maybury zurück. Aber es fiel mir schwer, mit meinen abstrakten Untersuchungen voranzukommen.
Am Nachmittag hatte sich das Aussehen der Weide sehr verändert. Die frühen Ausgaben der Abendblätter hatten mit riesigen Schlagzeilen wie »Eine Botschaft vom Mars«, »Merkwürdiger Bericht aus Woking« und so weiter ganz London aufgeschreckt. Dazu noch Ogilvys Telegramme an die astronomische Mitteilungsstation, die alle Sternwarten in den drei Königreichen in Aufregung versetzt hatten.
Ein halbes Dutzend oder mehr Fiys (kleine einspännige Mietdroschken) vom Wokinger Bahnhof standen auf der Straße bei den Sandhügeln, dazu ein Korbwagen von Chobham und eine ziemlich vornehm aussehende Privatkutsche. Zudem sah man Unmengen von Fahrrädern. Eine große Menschenmenge musste außerdem trotz der Hitze jenes Tages von Woking und Chertsey zu Fuß hergewandert sein. Alles in allem eine beträchtliche Ansammlung, darunter auch einige Damen in hellen Kleidern.
Es war glühend heiß, kein Wölkchen am Himmel, kein Lüftchen wehte, nur einige Fichten spendeten ein wenig Schatten. Das brennende Heidekraut war gelöscht worden, aber die Ebene bis Ottershaw war geschwärzt, soweit das Auge reichte, und senkrechte Rauchsäulen stiegen noch immer auf. Ein geschäftstüchtiger Obsthändler aus der Chobham Road hatte seinen Sohn mit einer Wagenladung grüner Äpfel und Ingwerbier heraufgeschickt.
Als ich zum Rand der Grube kam, fand ich sie von einer Gruppe von Männern, etwa einem halben Dutzend, besetzt. Es waren Henderson, Ogilvy und ein großer blonder Mann (wie ich später hörte, war es Mr. Stent von der Königlichen Astronomischen Gesellschaft) sowie einige Arbeiter, die Spaten und Beile schwangen. Stent gab seine Befehle in einer klaren hohen Stimme. Er stand auf dem Zylinder, der jetzt offensichtlich viel kühler war. Sein Gesicht war dunkelrot und der Schweiß floss ihm in Strömen herab. Er schien über etwas irritiert zu sein.
Ein großer Teil des Zylinders war nun freigelegt, obwohl das untere Ende noch eingebettet lag. Sobald Ogilvy mich unter dem gaffenden Haufen am Rand der Grube bemerkte, rief er mir zu, ich solle herunterkommen, und fragte mich, ob ich zum Gutsherrn Lord Hilton hinübergehen wolle.
Die wachsende Menschenmenge, sagte er, sei ein ernstes Hindernis, das sich ihren Ausgrabungen entgegenstelle, besonders die Knaben. Es müsse ein leichtes Geländer aufgestellt werden, um die Leute zurückzudrängen. Er erzählte mir, dass im Innern des Körpers gelegentlich noch eine leise Bewegung zu hören sei, es jedoch den Arbeitern nicht gelungen sei, den Schlussteil abzuschrauben, da kein Griff angebracht sei. Der Körper schien ungeheuer dicke Wände zu haben, und es war möglich, dass die schwachen Laute, die wir vernahmen, von einem gewaltigen Lärm im Innern herrührten.
Ich war mit Freuden bereit, seinem Wunsche nachzukommen und dadurch einer der bevorzugten Zuschauer innerhalb der geplanten Umzäunung zu werden. Leider traf ich Lord Hilton nicht zu Hause an, man teilte mir jedoch mit, dass man ihn mit dem Sechsuhrzug aus London erwarte. Da es erst ungefähr Viertel nach fünf war, ging ich noch nach Hause, trank Tee und ging dann zum Bahnhof, um ihn unterwegs aufzuhalten.
Als ich auf die Weide zurückkehrte, ging die Sonne gerade unter. Zerstreute Gruppen Neugieriger eilten aus der Richtung von Woking heran, und einige Leute kehrten zurück. Die Menge um die Grube war angewachsen und hob sich schwarz von dem Zitronengelb des Himmels ab. Es waren ungefähr zweihundert Personen. Einige laute Stimmen waren zu hören, und eine Art Kampf schien bei der Grube entbrannt zu haben. Die seltsamsten Vorstellungen kreuzten sich in meinem Kopf. Als ich mich näherte, hörte ich Stents Stimme:
»Zurück! Zurück!«
Ein Junge kam auf mich zugelaufen.
»Es bewegt sich!« rief er mir im Vorübereilen zu, »es dreht sich, und dreht sich auf. Das gefällt mir nicht. Da gehe ich lieber nach Hause!«
Ich kam näher zur Menge heran. Es mochten tatsächlich zwei- bis dreihundert Leute sein, die sich gegenseitig pufften und stießen. Jeder versuchte sich vorzuschieben und die anderen zurückzudrängen. Die wenigen Damen, die zugegen waren, blieben dabei nicht am wenigsten zurück.
»Er ist in die Grube gefallen!« rief einer.
»Zurück!« schrien andere.
Der Haufen schwankte ein wenig, und ich arbeitete mich mit den Ellbogen durch. Alle schienen in höchster Aufregung zu sein. Aus der Grube heraus hörte man ein eigentümlich summendes Geräusch.
»Ich bitte Sie!« rief Ogilvy, »helfen Sie mir, diese Narren zurückzudrängen. Wir wissen ja noch nicht, was in diesem verwünschten Ding steckt!«
Ich sah einen jungen Mann (ich glaube, es war ein Kommis aus Woking) auf dem Zylinder stehen und sich bemühen, wieder aus dem Krater herauszukriechen. Die Menge hatte ihn hineingestoßen.
Der Schlussteil des Zylinders wurde von innen heraus aufgeschraubt. Schon waren beinahe zwei Fuß der glänzenden Schraube sichtbar. Jemand stieß mich unversehens von rückwärts, und ich entging nur mit genauer Not der Gefahr, auf das Schraubenende zu stürzen. Ich wandte mich um, und in diesem Augenblick muss die Schraube herausgekommen sein. Der Deckel des Zylinders schlug mit Dröhnen auf den Kieselboden auf. Ich stieß meine Ellbogen gegen jemand hinter mir und wandte mich wieder dem Koloss zu. Einen Augenblick lang schien die kreisrunde Öffnung völlig schwarz. Der Glanz der sinkenden Sonne blendete meine Augen.
Ich glaube, jeder erwartete, einen Menschen auftauchen zu sehen, wahrscheinlich ein wenig anders aussehend als wir, aber im Wesentlichen doch einen Menschen. Ich jedenfalls erwartete es. Aber als ich genauer hinblickte, bemerkte ich plötzlich, wie sich im Schatten etwas bewegte, grau, in wellenförmigen Bewegungen, eines über dem andern. Und dann sah ich zwei glühende Scheiben wie Augen. Dann löste sich etwas, das einer kleinen grauen Schlange glich, etwa in der Stärke eines Spazierstockes, aus der sich windenden Masse los und schlängelte sich mir in der Luft entgegen, und dann ein zweites.
Mich fröstelte es plötzlich. Hinter mir hörte ich eine Frau laut kreischen. Ich drehte mich halb um, meine Blicke unverwandt auf den Zylinder geheftet, aus dem immer neue Fühler sich herauswanden. Dann begann ich, mir einen Weg vom Rand der Grube zurück zu bahnen. Ich sah, wie sich das Erstaunen in den Gesichtern der Leute in Entsetzen verwandelte. Von allen Seiten hörte ich wilde Schreie und Ausrufe. Ein allgemeines Zurückdrängen begann. Ich sah, wie der Kommis sich noch immer abmühte, aus der Grube herauszukommen. Dann sah ich mich allein und bemerkte, wie die Leute auf der anderen Seite der Grube flüchteten, unter ihnen Mr. Stent. Ich wandte mich wieder dem Zylinder zu, und ein unbändiger Schrecken ergriff mich. Wie versteinert stand ich da und starrte.
Ein großer, grauer und gedrungener Körper, ungefähr von der Größe eines Bären, erhob sich langsam und schwerfällig aus dem Zylinder. Als er sich aufrichtete und vom Licht beschienen wurde, glitzerte er wie nasses Leder. Mit seinen zwei großen, dunkelgefärbten Augen blickte das Geschöpf mich unverwandt an. Es hatte unter den Augen einen Mund, dessen Rand ständig zitterte und aus dem Speichel troff. Der Rumpf hob und senkte sich unter heftigem Keuchen. Ein schlankes fühlerartiges Anhängsel hielt den Rand des Zylinders umklammert, ein anderes schlängelte sich in der Luft.
Wer nie einen lebenden Marsbewohner gesehen hat, wird sich kaum die grauenvolle Hässlichkeit seiner Erscheinung vorstellen können. Der seltsame V-förmige Mund mit seiner zugespitzten Oberlippe, die fehlenden Augenbrauen, das fehlende Kinn unter der keilförmigen Unterlippe, das unaufhörliche Zittern des Mundes, die gorgonenartige Gruppe der Fühler, das geräuschvolle Atmen der Lungen in der fremden Atmosphäre, die augenfällige Schwerfälligkeit und Mühseligkeit der Bewegungen (ohne Zweifel eine Folge der größeren Gravitation der Erde), vor allem aber die außergewöhnliche Intensität ihrer ungeheuren Augen - das alles zusammen verursachte eine Übelkeit, als ob man seekrank würde. Etwas Schwammiges war in ihrer öligen braunen Haut, und in der plumpen Bedächtigkeit ihrer schwerfälligen Bewegungen lag etwas unbeschreiblich Erschreckendes. Schon bei dieser ersten Begegnung, bei diesem ersten Anblick wurde ich von Ekel und Entsetzen überwältigt.
Plötzlich verschwand das Monstrum. Es war über den Rand des Zylinders getaumelt und in die Grube gefallen, wo es aufschlug, als fiele eine große Menge Leder zu Boden. Ich hörte es einen seltsamen, dumpfen Schrei ausstoßen, und in demselben Augenblick erschien ein zweites dieser Wesen in der dunklen Öffnung des Zylinders.
Bei diesem Anblick verließ mich die Erstarrung, die der erste Schreck hervorgerufen hatte. Ich drehte mich um und rannte wie besessen bis zur nächsten Baumgruppe, die etwa hundert Yards entfernt war. Aber ich lief kreuz und quer und stolperte andauernd, denn ich brachte es nicht über mich, meine Augen von jenen Vorgängen abzuwenden.
Zwischen einigen jungen Fichten und Ginsterbüschen machte ich keuchend halt, um die weitere Entwicklung der Dinge abzuwarten. Die Weide rings um die Sandhügel war mit Leuten übersät, die, wie ich, trotz des Grauens fasziniert dastanden und auf jene Geschöpfe oder vielmehr auf die Steinhaufen am Kraterrand starrten. Dann sah ich mit erneutem Entsetzen einen runden schwarzen Gegenstand, der an diesem Rand bald auftauchte, bald verschwand. Es war der Kopf jenes Kommis’, der in die Grube gefallen war; er hob sich wie ein kleiner schwarzer Gegenstand vom glühenden Abendhimmel ab. Jetzt brachte er Schultern und Knie herauf und wieder schien er zurückzugleiten, bis nur noch sein Kopf sichtbar war. Plötzlich verschwand auch dieser, und mir war, als hätte ich einen schwachen Schrei gehört.
Ich hatte einen Augenblick die Eingebung, zurückzugehen und ihm zu helfen. Aber meine Furcht behielt die Oberhand. Jetzt war nichts mehr zu sehen, da alles von der tiefen Grube und den Sandhaufen, die der Zylinder beim Aufprall gebildet hatte, verdeckt war. Wer jetzt die Straße entlang von Chobham oder Woking gekommen wäre, den hätte das Schauspiel, das sich ihm bot, in Erstaunen gesetzt: eine verstreute Menge von rund hundert oder mehr Leuten, in einem großen unregelmäßigen Kreis in Mulden, hinter Büschen, hinter Zäunen und Hecken stehend, kaum miteinander redend, und dann nur in kurzen erregten Rufen, und ununterbrochen auf einige Sandhaufen starrend. Der Karren mit dem Ingwerbier, ein seltsames Überbleibsel, stach schwarz von dem glühenden Abendhimmel ab Bei den Sandgruben stand eine Reihe verlassener Fuhrwerke, deren Pferde aus Hafersäcken fraßen oder ungeduldig den Boden aufscharrten.
Nach dem Blick auf die Marsleute, wie sie aus dem Zylinder, in dem sie von ihrem Planeten auf die Erde gekommen waren, hervorkrochen, war ich wie von einem Zauber gelähmt. Ich verharrte knietief im Heidekraut und starrte auf die Sandhügel, die sie verbargen. In mir tobte ein Kampf zwischen Angst und Neugierde.