Margareta Magnusson
Frau Magnussons Kunst die letzten Dinge
des Lebens zu ordnen
Aus dem Englischen
von Rita Seuß
FISCHER E-Books

Sie ist die Expertin, wenn es um Döstädning geht, die Kunst sein Leben in Ordnung zu bringen. Margareta Magnusson hat bei sich schon aufgeräumt und stand mit Rat und Tat vielen Freunden und ihren fünf Kindern zur Seite. Geboren wurde sie in einer Silvesternacht in Göteborg, zog 17 Mal um und wohnte auf der ganzen Welt. Nach eigener Aussage ist sie zwischen 80 und 100 Jahre alt. Sie studierte am Beckman’s College of Design in Stockholm und ihre graphischen Arbeiten wurden in zahlreichen Galerien weltweit ausgestellt.
Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de
Wollen Sie, dass Ihre Töchter sich nach Ihrem Tod wegen Ihrer Halskette zerstreiten? Ihre Frau die Briefe Ihrer ersten großen Liebe liest? Ihre Verwandten ratlos vor Ihrer Souvenirsammlung stehen?
In Schweden gibt es eine Tradition, die sich Döstädning nennt – die Kunst die Dinge des Lebens zu ordnen. Es geht darum, Wesentliches von Unwesentlichem zu trennen, darüber nachzudenken, was man bewahren und weitergeben möchte. Keiner weiß darüber mehr, als die über achtzigjährige Margareta Magnusson. Sie hat für sich bewusst entschieden, was sie weitergeben will und was dem Vergessen anheimfallen soll. Ob es sich um Erbstücke, Familiengeheimnisse oder den Facebook-Account handelt. Egal in welchem Alter man sich befindet, Frau Magnusson hilft uns lebensklug und charmant. Sie weiß, wie wir uns das Leben einfacher machen können. Denn wenn man an das denkt, was über den Tod hinaus bleiben soll, kommt überraschenderweise das Leben in Ordnung.
Erschienen bei FISCHER E-Books
Die englische Originalausgabe erschien 2017 unter dem Titel »The Gentle Art of Swedish Death Cleaning«
bei Canongate Books Ltd., Edinburgh
© 2017 by Margareta Magnusson
Für die deutschsprachige Ausgabe:
© 2018 S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstr. 114, D-60596 Frankfurt am Main
Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
ISBN 978-3-10-490540-2
Für meine fünf Kinder
»Wenn man seine Dinge in Ordnung bringt und es einem gelingt, ist das äußerst tröstlich und der Gewinn unermesslich.«
Leonard Cohen
Das Einzige, was wir mit Sicherheit wissen, ist, dass wir eines Tages sterben werden. Bis dahin jedoch können wir beinahe tun und lassen, was wir wollen.
Wahrscheinlich haben Sie dieses kleine Buch von einem Ihrer Kinder bekommen, oder es hat Ihnen jemand geschenkt, der sich in derselben Situation befindet wie Sie und ich. Vielleicht aber haben Sie es sich selbst gekauft, weil es einen Nerv getroffen hat. Und dafür gibt es einen Grund. Sie haben im Laufe Ihres Lebens so viele wunderbare Dinge zusammengetragen – Dinge, deren Wert Ihre Familie und Ihre Freunde gar nicht ermessen und mit denen sie kaum etwas anfangen können.
Ich möchte Ihnen dabei helfen, dass Ihre Lieben angenehme und nicht verstörende Erinnerungen an Sie bewahren.
Ihre


Ich habe angefangen, meinen Haushalt von überflüssigen Dingen zu befreien. Im Schwedischen haben wir dafür ein Wort: döstädning. Dö heißt Tod und städning aufräumen oder reinemachen. Döstädning bedeutet, dass man Dinge ausrangiert, die man nicht mehr braucht, und seine Wohnung angenehm und ordentlich gestaltet, wenn man spürt, dass der Zeitpunkt näher rückt, da man diese Welt verlassen muss.
Das ist etwas so Wichtiges, dass ich Ihnen davon erzählen möchte. Vielleicht kann ich Ihnen auch ein paar Tipps geben, denn früher oder später sind wir alle damit konfrontiert. Wir müssen uns wirklich damit auseinandersetzen, um den Menschen, die uns nahestehen, kostbare Zeit zu ersparen, wenn wir einmal nicht mehr da sind.
Was also bedeutet döstädning genau? Für mich bedeutet es, dass ich alle meine Sachen durchsehe und überlege, was ich mit dem mache, was ich nicht mehr haben will. Schauen Sie sich um. Viele Dinge sind wahrscheinlich schon so lange in Ihrem Besitz, dass Sie sie gar nicht mehr wahrnehmen und wertschätzen.
So neu der Ausdruck döstädning auch sein mag, die Tätigkeit selbst ist es nicht. Wenn man seine Wohnung entrümpelt, um Ballast abzuwerfen und sein Leben angenehmer und übersichtlicher zu gestalten, hat das nicht unbedingt mit dem Alter und dem Tod zu tun, auch wenn das oft der Fall ist. Manchmal stellt man einfach nur fest, dass die Schubladen überquellen oder die Schranktüren nicht mehr zugehen. Dann ist es definitiv an der Zeit, etwas zu unternehmen, auch wenn man gerade mal dreißig ist. Diese Art des Entrümpelns könnte man gleichfalls als döstädning bezeichnen, obwohl der Tod noch sehr weit entfernt ist.
Ich glaube, dass schon immer viel entrümpelt wurde, aber diese Tätigkeit steht selten im Scheinwerferlicht und wird viel zu wenig gewürdigt.
In meiner Generation – und in den Generationen vor mir – waren es beispielsweise meistens die Frauen, die nach dem Tod ihres Mannes die Wohnung aufgeräumt haben. Und sie räumen noch einmal auf, bevor sie selbst gehen. Während in der Regel ein Haushalt aufgelöst wird, nachdem jemand gestorben ist, geht es in meinem Buch um die eigenartige Situation einer Haushaltsauflösung, bevor man stirbt.
Manchen Menschen fällt es sehr schwer, an den eigenen Tod zu denken. Und diese Menschen hinterlassen ein Chaos. Dachten sie, sie wären unsterblich?
Viele Erwachsene scheuen sich, mit ihren Eltern über den Tod zu sprechen. Sie sollten keine Angst davor haben. Wir alle müssen über den Tod sprechen. Wenn uns das schwerfällt, könnte döstädning ein Weg sein, um dieses schwierige Thema anzusprechen.
Neulich erzählte ich einem meiner Söhne, dass ich im Begriff sei, dies in meinem eigenen Haushalt zu praktizieren und ein Buch darüber zu schreiben. Er wollte wissen, ob es ein trauriges Buch sei und ob es mich traurig mache, es zu schreiben. Nein nein, sagte ich, es sei ganz und gar nicht traurig. Weder das döstädning, noch das Buch zu schreiben.
Manchmal habe ich das etwas ungute Gefühl, ich sei undankbar gegenüber einigen der Sachen, von denen ich mich trennen möchte. Schließlich haben sie mir einmal wertvolle Dienste geleistet. Aber ich konnte feststellen, dass es bereichernd ist, mich ein letztes Mal mit ihnen zu befassen und mich dann ihrer zu entledigen. Jeder Gegenstand hat seine Geschichte, und es kann beglückend sein, sich diese Geschichte in Erinnerung zu rufen. In jüngeren Jahren fehlte mir die Zeit, mich in aller Ruhe hinzusetzen und darüber nachzudenken, was mir ein bestimmter Gegenstand bedeutet hat, woher er stammt oder wann und wie er in meinen Besitz gekommen ist. Der Unterschied zwischen döstädning und einer simplen Aufräumaktion ist die Zeit, die man sich dafür nimmt. Döstädning hat nichts mit Staubwischen oder Putzen zu tun, sondern mit einer dauerhaften Ordnung und Vereinfachung, die einem das Alltagsleben erleichtert.
Heute, da ich aufgehört habe, durch Stockholm zu rennen, um nur nichts von dem zu verpassen, was die Stadt zu bieten hat, nehme ich mir Zeit für das, was meine Wohnung zu bieten hat, und denke über mein Leben nach.
Unsere Erde ist ein geplagter Ort, der von Überschwemmungen, Vulkanausbrüchen, Erdbeben, Feuersbrünsten und Kriegen heimgesucht wird. Es deprimiert mich, Nachrichten zu hören oder zu lesen, und ich würde verkümmern, wenn ich all dem Schlimmen, was in der Welt passiert, nicht die Nähe guter Freunde, Naturerlebnisse, Musik, schöne Dinge oder einfach nur das Glück eines sonnigen Tages (in unseren nördlichen Breiten durchaus keine Selbstverständlichkeit) entgegensetzen könnte.
Ich verfolgte nicht die Absicht, etwas Trauriges zu schreiben, davon gibt es in dieser Welt schon genug. Und so hoffe ich, dass die Gedanken hier in diesem Buch hilfreich, unterhaltsam und manchmal sogar erheiternd sind.
Döstädning im eigenen Haushalt durchzuführen kann wirklich schwer sein, schließlich ist man noch nicht tot. Es gibt jedoch verschiedene Gründe, den eigenen Haushalt zu minimieren. Vielleicht steht ein Umzug in eine kleinere Wohnung an, vielleicht hat man seinen Partner verloren oder man muss sich auf ein Leben in einem Alters- oder Pflegeheim einstellen. Davon sind irgendwann im Leben die meisten von uns betroffen.
Es kann sehr schwierig sein, seine alten Sachen durchzusehen und sich in Erinnerung zu rufen, wann man sie zum letzten Mal benutzt hat, um sich dann – hoffentlich – von einigen zu trennen. Wir neigen dazu, Dinge zu horten. Etwas wegzuwerfen fällt uns schwer.
Ich habe so oft den Haushalt anderer Leute aufgelöst, dass ich niemandem die Last aufbürden möchte, hinter mir aufräumen zu müssen.
Nach einem Trauerfall ist das Chaos meist ohnehin groß genug, das kann ich Ihnen versichern. Es gibt viele traurige Geschichten über Geschwister, die sich zerstritten haben, weil jeder von ihnen denselben Einrichtungsgegenstand haben wollte. Solche Situationen lassen sich vermeiden. Wir können dafür sorgen, dass es zu derart unglückseligen Auseinandersetzungen gar nicht erst kommt.
Ich zum Beispiel besaß ein wunderschönes Armband, das mein Vater vor langer Zeit meiner Mutter geschenkt hatte. Meine Mutter hatte es mir in ihrem Testament als Erbstück hinterlassen. Um spätere Komplikationen zwischen meinen Kindern zu vermeiden, schien es mir die einfachste Lösung zu sein, es zu verkaufen! Das war, glaube ich, eine sehr gute Idee.

Als ich später mit meinen Söhnen und Töchtern über den Verkauf des Armbands sprach, fanden sie meine Entscheidung völlig in Ordnung. Jeder von ihnen hatte etwas bekommen, das meinem Vater und meiner Mutter gehört hatte. Außerdem war es mein Armband, ich konnte damit machen, was ich wollte. Diskussionen mit meinen fünf Kindern über ein Armband schienen mir reine Zeitverschwendung zu sein. Mit einer Verkleinerung des Besitzstandes schon zu Lebzeiten erspart man sich und anderen Menschen wertvolle Zeit.
Ich bin jetzt zwischen achtzig und hundert Jahre alt. Und als betagter Mensch halte ich es für meine Pflicht, anderen von meinen Erfahrungen zu erzählen. Die Philosophie von döstädning sollte jeder kennenlernen, egal, ob Eltern, Angehörige und Freunde älter werden oder ob es für einen selbst an der Zeit ist, sich damit zu beschäftigen.
Ich bin im Laufe meines Lebens siebzehnmal umgezogen, im Inland und im Ausland. Ich muss also wissen, was man behalten und was man ausrangieren sollte, wenn man eine neue Wohnung bezieht, in ein anderes Land geht oder die Erde verlässt.
Döstädning im Alter durchzuführen ist eine Aufgabe, die meistens den Frauen zufällt, denn sie leben tendentiell länger als ihre Ehemänner oder Partner. Doch manchmal bleibt auch der Mann zurück. So war es in meiner Familie. Meine Mutter starb zuerst und ließ meinen Vater zurück.
Wer seit vielen Jahren ein Haus bewohnt, in dem sich Kinder, Verwandte und Gäste wohlfühlen, hat in der Regel alle Hände voll zu tun und kommt gar nicht dazu, sich Gedanken darüber zu machen, welche von den vielen Sachen im Haushalt weggegeben werden könnten.
Und so sammelt sich im Laufe der Jahre immer mehr an. Doch irgendwann gerät die Situation außer Kontrolle, und dann können die vielen Dinge zu einer echten Belastung werden.
Vielleicht kommt der Tag, an dem man spürt, dass einem all der Kram, den man angehäuft hat, einfach zu viel Kraft und Energie raubt. Wenn dann jemand seinen angekündigten Wochenendbesuch oder die Essenseinladung absagt, ist man nicht enttäuscht, sondern dankbar und erleichtert, weil man viel zu erschöpft ist, um vorher noch die überall herumliegenden Sachen aufzuräumen. Man besitzt zu viel, das ist das Problem. Es ist Zeit, seinen Lebensstil zu ändern, und es ist nie zu spät, damit anzufangen!
Natürlich ist heute alles ganz anders als in meiner Jugend. Ich sage nicht, dass es besser war. Aber der Lebensrhythmus hat sich enorm beschleunigt. Viele junge Familien müssen ihr Leben bis ins kleinste Detail planen, um Zeit für das zu erübrigen, was ihnen wirklich wichtig ist.
Daher sollten Sie nicht davon ausgehen, dass irgendjemand bereit – oder auch nur imstande – ist, Zeit für die Dinge zu erübrigen, um die Sie sich selbst noch nicht gekümmert haben. Auch wenn Ihre Angehörigen und Freunde Sie noch so sehr lieben: Bürden Sie ihnen diese Last nicht auf.