Viola Shipman
Weil es dir Glück bringt
Aus dem Amerikanischen
von Anita Nirschl
FISCHER E-Books
Viola Shipman arbeitet regelmäßig für People.com, Entertainment Weekly und Coastal Living sowie öffentliche Rundfunkprogramme. Ihre Romane »Für immer in deinem Herzen« und »So groß wie deine Träume« waren beide sofort SPIEGEL-Bestseller. Viola Shipman schreibt im Sommer in einem Ferienort, inspiriert von der grandiosen Kulisse des Michigansees.
Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de
Backen ist Liebe, diese Lektion hat Samantha schon als Kind gelernt. Mit dreizehn hat sie, wie ihre Mutter und ihre Großmutter vor ihr, ein Holzkästchen mit den besten geheimen Familienrezepten dazu geschenkt bekommen. Für ihren Boss jedoch ist Backen nur Mittel zum Zweck. Ihm ist es egal, wie es in seinem angesagten New Yorker Laden schmeckt, nur seine Karriere als TV-Star ist ihm wichtig. So hat er für Sams Kreationen nur abschätzige Bemerkungen übrig und zwingt sie, Torten und Kuchen strikt nach seinen Vorgaben herzustellen.
Sam kündigt und nimmt den nächsten Flieger nach Hause. Ihre Familie ist froh über den überraschenden Besuch, denn es gibt viel zu tun rund um den Obsthof. Sam hilft überall mit und denkt über ihre Zukunft nach. Das wird nicht leichter, als aus New York sowohl ein attraktiver Mann als auch ein neues Stellenangebot bei ihr eintreffen.
Wovor ist sie davongelaufen, als sie in die Großstadt zog? Wo fühlt sie sich wirklich zu Hause?
Erschienen bei FISCHER E-Books
Die amerikanische Ausgabe erschien unter dem Titel ›The Recipe Box‹
bei Thomas Dunne Books, New York.
Copyright © 2018 by Viola Shipman
Für die deutschsprachige Ausgabe:
© 2018 S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstr. 114, D-60596 Frankfurt am Main
Covergestaltung und -abbildung: www.buerosued.de
Illustrationen innen: Cameron MacLeod Jones
Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
ISBN 978-3-10-490604-1
Für meine Großmütter,
die mir beigebracht haben zu backen,
Türen zu öffnen und danke zu sagen;
die mich ermutigt haben zu schreiben
und der Mensch zu werden, der ich heute bin.
Für unsere Senioren,
deren Opfer und Lebenswege
uns zu denen gemacht haben, die wir sind,
deren Geschichten jedoch in Vergessenheit geraten.
Dieses Buch ist ein Dank
und eine Erinnerung daran, innezuhalten und zuzuhören,
miteinander zu reden und zu backen.
Gib dir im Leben und beim Backen besondere Mühe.
Das Ergebnis wird es stets wert sein.
– meine Grandma, Viola Shipman
Lächelnd wusch Alice sich die Hände in der Küchenspüle und schaute aus dem Fenster.
Das letzte Tageslicht sickerte durch die buntgefärbten Blätter der Ahorn- und Sassafrasbäume und tauchte die Küche in ätherischen Schein. Ein einziger ordentlicher Sturm vom See her, nur ein fegendes Unwetter, und die Blätter würden verschwunden sein, die Bäume kahl, die Zweige und Äste des Obstgartens nur noch Silhouetten, das Land bereit, wieder einmal in Winterschlaf zu sinken.
Aber einstweilen, dachte Alice, bleiben die Blätter.
Wieder lächelte sie.
Genau wie die Äpfel.
Alice konnte zwei Gestalten erkennen, die sich durch den Obstgarten bewegten.
»Leo«, flüsterte sie dem Küchenfenster zu, dabei drehte sie unbewusst ihren Ehering. Sie sah zu, wie der Hund den Mann hechelnd und mit wedelndem Schwanz umkreiste. »Oh, Mac.« Sie lachte.
Der Winkel der Sonne warf ihre Schatten den Hügel hinunter und ließ ihre Silhouetten wie Riesen aussehen. Der Mann hielt einen Korb, und als er sich streckte, um einen Apfel zu pflücken, wirkte es im Licht so, als würde er den Baum umarmen, seine Äste streicheln und ihm gute Nacht sagen.
Genau, wie er es mit mir macht, dachte Alice und lehnte sich noch weiter zum Küchenfenster, um hinauszusehen.
Alice konnte spüren, wie die Kühle der herannahenden Nachtluft durch die Fugen der Fenster und die Ritzen zwischen den alten Holzbalken kroch. Und während Mac freudig um Leo herumtollte und sein durch den Obstgarten hallendes Bellen Vögel aufscheuchte, wandte Alice sich zum Backofen, um ihn vorzuheizen.
Sie nahm ein Messer und einen Teigmischer aus der Küchenschublade sowie ein Backblech und eine rotgesprenkelte Emailleschüssel aus dem Schrank. Dann stellte sie Mehl, Zucker und Zimt auf der alten hölzernen Arbeitsplatte bereit. Sie öffnete den Kühlschrank und griff nach der Butter.
Ihr Mann kam zur Tür herein und reichte ihr einen Korb Äpfel.
»Das brauchst du nicht zu machen«, sagte Leo, als er sich in der Küche umsah und die auf der Arbeitsplatte aufgereihten Zutaten sah, sein begeistertes Lächeln strafte seine Worte allerdings Lügen.
»Ich weiß«, antwortete Alice, »ich möchte es aber.«
»Na dann«, sagte er glücklich. »Ich mache Feuer. Es wird kühl.«
Er ging mit Mac wieder zur Tür, drehte sich dann aber noch einmal um und meinte: »Wir geben schon ein tolles Team ab, nicht wahr?«
»Wie Zimt und Zucker?«
»Nein«, widersprach er. »Wir haben es irgendwie durch die Wirtschaftskrise geschafft, diese Obstplantage erhalten. Wir sind seit über dreißig Jahren verheiratet.« Er verstummte kurz. »Wir ergänzen einander, bringen das Beste im anderen zum Vorschein.«
»Wie Zimt und Zucker?«, wiederholte sie.
Diesmal lachte er. »Stimmt, wie Zimt und Zucker.«
Er ging wieder nach draußen mit dem Hund, und Alice begann, die Äpfel zu schälen und zu entkernen. Ihr Messer beschrieb kleine kreisende Pirouetten und hinterließ Kringel aus leuchtend roter und grüner Schale in der Schüssel. Sie viertelte und würfelte die Äpfel, dann machte sie sich an den Belag aus Streuseln.
Sie arbeitete aus dem Gedächtnis, denn das Rezept hatte sie sich fest eingeprägt. Ihre Mutter und ihre Großmutter hatten es ihr beigebracht. Es war der Lieblingsnachtisch ihrer Familie, der, den sich jeder wünschte, solange die Äpfel saftig, reif und frisch vom Baum waren.
Aber jetzt sind alle fort, dachte Alice. Auf eigenen Füßen, führen ihr eigenes Leben. Sie hielt inne. Fort von der Obstplantage.
Als sie die Äpfel in Zimt und Zucker wendete, sah sie nicht mehr ihre Hände, sondern die ihrer Mutter und ihrer Großmutter vor sich: Knöchel, die anfingen, den Sassafrasbäumen vor dem Küchenfenster zu ähneln, die Haut mehr und mehr wie Wachspapier. Alice hatte es nicht gefallen, wie ihre alternden Hände aussahen, aber heute wusste sie ihre Schönheit, ihre Unvollkommenheiten, ihren Charakter und ihre Geschichte zu würdigen.
Wie oft habe ich diesen Apple Crisp schon gemacht?, fragte sie sich, als sie fortfuhr, ohne sich die Mühe zu machen, die Zutaten abzumessen, sondern nur nach ihrem Instinkt ging: eine Prise hiervon, ein bisschen mehr davon, die Streusel nach Augenmaß, bis sie die Größe kleiner Kieselsteinchen hatten, nicht zu groß und nicht zu klein. Einen Moment lang hielt sie inne und rechnete rasch im Kopf aus: Wie oft, zehnmal im Jahr mal sechsundvierzig, wenn ich mit zehn angefangen habe zu backen? Vierhundertsechzigmal? Wie oft werde ich ihn noch machen, bis …?
Der Gedanke endete, als ihr Mann mit einem Armvoll Holz und Zweigen für den gusseisernen Heizofen wieder hereingeeilt kam.
Sie machte den Nachtisch fertig und schob ihn in den Backofen, dann stellte sie einen alten Küchentimer auf der Arbeitsplatte. Innerhalb von Minuten erfüllte der Duft von Äpfeln, Zimt und Zucker das kleine Blockhaus.
»Riecht gut«, rief Leo aus dem Wohnzimmer, wo er in seinem Lieblingssessel neben dem Ofen saß und der Hund sich auf einer Decke vor dem Feuer zusammengerollt hatte. Mac hob die Nase und schnupperte. »Findet Mac auch.«
»Der Hund kennt sich mit Äpfeln aus.« Alice lachte. »Das sollte er auch. Schließlich wurde er nach einem benannt.« Sie lächelte ihre zwei Jungs an, deren Nasen vor Vorfreude zuckten.
»Bald«, rief sie. »Nur Geduld.«
Während Alice das Geschirr spülte, versank die Sonne hinter dem Obstgarten, und die Welt hüllte sich rasch in Dunkelheit. Der Gedanke, den sie vor wenigen Momenten nicht zu Ende gedacht hatte, kam ihr wieder in den Sinn, als sie den Seifenschaum an ihren Händen betrachtete.
Plötzlich schnippte sie die Seifenblasen von ihren Fingern, schnappte sich ein Geschirrtuch, um sie abzutrocknen, und nahm eine Karteikarte und einen Stift aus einer Küchenschublade. Die Karte hatte die Überschrift REZEPT und war passenderweise mit kleinen Äpfeln verziert. Sie hatte die Karteikarten von ihrer Kirche geschenkt bekommen und ewig aufgehoben, aber nie benutzt.
Bis jetzt.
Alice bemühte sich um eine ruhige Hand und begann zu schreiben, dabei wischte sie über die feuchte Tinte, als sie die Geheimnisse niederschrieb, die noch nie zuvor preisgegeben worden waren:
Alice Mullins’ geheimes Familienrezept für Apple Crisp
Ein breites Lächeln legte sich über ihr Gesicht, dann fügte sie noch ein Ausrufezeichen am Ende hinzu und kicherte über diese Kühnheit.
Alice Mullins’ geheimes Familienrezept für Apple Crisp!
Und dann schrieb sie Schritt für Schritt, Zutat für Zutat, ihr geliebtes Familienrezept nieder, dabei fügte sie ihre eigenen Anweisungen hinzu: Erfordert eventuell noch ein paar Prisen Zimt, oder falls Äpfel besonders sauer sind, noch fünfzig Gramm Zucker mehr zugeben.
Als Alice fertig war, stellte sie fest, dass ihre Handschrift dieselbe war wie die ihrer Mutter und ihrer Großmutter – dieselbe Neigung, dieselben förmlichen Fs und Zs, die wie die Zahl 2 aussahen. Wieder lächelte sie, und als der Timer klingelte, gab sie der Karteikarte einen kleinen Kuss.
Sie streifte einen Ofenhandschuh über, den schon ein paar Brandspuren zierten, und steckte einen Zahnstocher in den Apple Crisp. Als er sauber wieder herauskam, lächelte sie.
Perfekt, dachte Alice.
Sie holte das Dessert aus dem Ofen, stellte es zum Abkühlen auf den Herd und begann Schlagsahne zu machen. Dabei gab sie eine Prise Vanillezucker hinzu und schlug die Sahne, bis sie eine leichte Spitze formte und so schön war wie eine Wolke an einem Sommertag in Nordmichigan. Sie tauchte einen Finger durch die Schlagsahne, um sie zu kosten, und dann gleich noch mal, nur um sicherzugehen, doch dabei tropfte ihr ein Klecks auf die Karteikarte, wo das Fett der üppigen Schlagsahne sofort einen runden Fleck in der Mitte hinterließ. Ihr Versuch, ihn abzuwischen, war vergeblich.
Kopfschüttelnd nahm Alice zwei Teller und einen Teigspatel, um den Crisp aufzuschneiden, und gab ein großes Stück auf den Teller ihres Mannes. Die Äpfel rutschten dampfend auseinander, bevor sie die Schlagsahne daraufgab, die sofort zu schmelzen begann, als sie auf das heiße Dessert traf. Für sich selbst machte sie einen zweiten, kleineren Teller zurecht und setzte sich dann zu ihrem Mann ans Feuer.
Leo schob sich eine Gabel voll Kuchen in den Mund, schloss die Augen und lächelte wie ein Kind.
»Das hättest du nicht zu machen brauchen«, sagte er noch einmal.
»Ich weiß«, wiederholte sie. »Ich wollte es aber.«
Alice nahm einen Bissen, lehnte sich zurück, während der Teller ihr die Hände, das Feuer ihren schmerzenden Körper und der Apple Crisp ihre Seele wärmte, und sah ihrem Mann zu, wie er sein Dessert verdrückte.
So ist das mit dem Backen, dachte sie. Man backt für jemanden, weil es familiär und vertraut ist, neu und doch vererbt, eine Möglichkeit, Generationen miteinander zu verbinden.
Seufzend rollte Mac sich auf die Seite, Leo schob sich eine weitere Gabel voll mit Äpfeln und Streuseln in den Mund und schloss erneut die Augen.
Man backt aus Liebe für jemanden, dachte Alice.
Als Alice wenige Tage später nach einem langen Tag des Laubharkens und Arbeitens in der Obstplantage in die Küche kam, fand sie dort ein kleines hölzernes Kästchen auf der Küchenzeile vor. Das Holz war glänzend und neu, und es roch so frisch wie die freie Natur draußen. In die Vorderseite war das Wort REZEPTE eingeschnitzt.
»Das hab ich für dich gemacht«, ließ Leos Stimme sie erschrocken zusammenzucken. Er kam zu ihr, nahm die Rezeptkarte, die immer noch auf der Arbeitsplatte lag, und steckte sie in das Kästchen. »Siehst du? Passt perfekt. Ein Ort, an dem du deine Familienrezepte aufbewahren kannst.« Er verstummte, dann zog er lächelnd einen Schlüssel aus seiner Tasche. »Und deine Geheimnisse.«
Er fuhr fort: »Ich habe ein Schloss drangemacht, damit die Rezepte geheim bleiben. Hier.« Er reichte ihr den Schlüssel. »Es gehört dir.«
Alice’ Augen füllten sich mit Tränen, und sie umarmte ihren Mann fest, dabei kitzelte die Wolle seiner Jacke ihr Gesicht.
»Alle sind von hier fortgegangen«, sagte sie. »Jetzt sind es nur noch wir. Diese Obstplantage. Und diese Erinnerungen.«
»Schreib sie auf«, sagte er. »So werden sie nie sterben.«
»Wer würde denn diese alten Rezepte haben wollen?«, fragte Alice. »Meine einfachen Großmutterkuchen?«
»Jeder mit einem Herz und einer Familie«, erwiderte Leo. »Unsere Familie.« Er schwieg kurz, dann flüsterte er gedämpft: »Jeder, der sich erinnern will.«
»Woran erinnern?«, fragte sie.
»An dich«, antwortete er mit vor Gefühl heiserer Stimme. Er küsste sie auf die Wange. »Mach dich besser an die Arbeit.«
In den nächsten paar Wochen schrieb Alice jedes Rezept auf, an das sie sich erinnern konnte, und füllte das Kästchen mit Karten. Den Schlüssel trug sie an einem Kettchen um den Hals, nur um ihn nah am Herzen zu haben, und verschloss ihre Rezeptsammlung jeden Abend, um ihre Geheimnisse sicher zu hüten.
Eines Abends brachte ihr Mann den letzten Korb Äpfel herein, und sie backte einen weiteren Crisp.
Alice schätzte, dass es nicht nur der vierhunderteinundsechzigste ihres Lebens war, sondern auch der beste, den sie je gemacht hatte.
Es sollte ihr letzter sein.
Zutaten für die Füllung
5 mittelgroße Granny-Smith-Äpfel
3 mittelgroße Honey-Crisp-Äpfel
4 mittelgroße McIntosh-Äpfel
125 g ungesalzene Butter
50 g brauner Zucker
2 Teelöffel Zimt, gemahlen
½ Teelöffel Muskatnuss
je eine Prise Piment, Ingwer und Kardamom
Zutaten für die Streusel
400 g Zucker
180 g Mehl
1 Teelöffel Zimt, gemahlen
150 g weiche Butter
Zubereitung der Füllung
Ofen auf 180 Grad vorheizen.
Äpfel schälen und in Spalten schneiden. In eine große Schüssel geben. 125 g Butter in einem großen Topf oder einer großen Pfanne bei mittlerer Hitze schmelzen lassen.
Äpfel hinzugeben und langsam in der Butter wenden.
Braunen Zucker und Gewürze hinzugeben und rühren, bis die Äpfel von der Zuckermischung überzogen sind.
Bei niedriger Hitze zugedeckt 10–12 Minuten kochen lassen, gelegentlich umrühren. (Die Äpfel sollten noch fest sein, nur leicht weichgekocht. Sie kochen im Ofen fertig.)
Zubereitung der Streusel
Während die Äpfel kochen, eine Springform mit 30 cm Durchmesser einfetten.
Zucker, Mehl und Zimt in eine große Rührschüssel geben und mit einer Gabel vermengen.
Butter in grobe Stücke schneiden und zu den trockenen Zutaten geben.
Mit einem Teigmischer die Butter zerkleinern und einarbeiten, bis sich eine lockere Streuselmasse ergibt (ca. 2 Minuten lang; es sollte eine gleichmäßige krümelige Masse mit einigen erbsengroßen Butterstücken sein).
Fertigstellung
Die gekochten Äpfel mit der Zucker-Butter-Sauce in die Springform geben.
Streuselmasse von Hand gleichmäßig über den Äpfeln verteilen und gut andrücken.
50 Minuten backen, oder bis die Kruste goldbraun ist.
(Äpfel werden ein wenig durch die Streuselkruste hochkochen.)
Warm mit Schlagsahne oder Vanilleeis servieren.
Ergibt 12–16 Portionen.
Sam Nelson schlürfte ihren Latte macchiato und starrte aus dem Fenster des Cafés, während sie darauf wartete, dass der Regen aufhörte.
Sie beobachtete Müllmänner in gelben Regenmänteln, die aus dem Lastwagen sprangen, um den Müll abzuholen, und der ohrenbetäubende Lärm verursachte ihr pochende Kopfschmerzen. Durch ihren immer noch verschlafenen Blick wirkte die Szene verschwommen und zu grell auf sie, als wäre es ein Malen-nach-Zahlen-Gemälde.
Sam schloss die Augen, um ihren Verstand zur Ruhe zu bringen, und plötzlich wirbelten bunte Bilder von Äpfeln durch ihren Kopf – wie ein Kind sie zeichnen würde –, lächelnd, tanzend, von Bäumen baumelnd. Als eine Kaffeemühle und ein Milchaufschäumer loslärmten, erneut begleitet vom Radau des Müllwagens, riss Sam die Augen wieder auf und stellte fest, dass sie unbewusst die Halskette rieb, die sie jeden Tag versteckt unter ihrer Uniform trug. Sie zog sie hervor und strich mit den Fingern über den Schlüssel, der an dem Kettchen hing.
Starbucks war vollgestopft mit Menschen, die wie sie im Morgengrauen aufstanden, um in den Tag zu starten: Bauarbeiter, Wall-Street-Händler, Notärzte, fleißige Assistenten.
Und sich abrackernde Konditoren wie ich, dachte sie mit einem Blick durch den Coffeeshop.
Aber hauptsächlich solche, die genau wie ich heute Morgen auch so verschlafen aus dem Haus sind, dass sie ihre Regenschirme vergessen haben, erkannte sie, und ein leichtes Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus.
Sam sah zu, wie der Regen in Strömen am Fenster hinunterlief. Der Himmel hatte die Schleusen geöffnet, und die Stadt stand ausnahmsweise still – sogar am frühen Morgen, wenn alle aufwachten und irgendwo hinmussten –, weil Mutter Natur alle dazu zwang, einen kurzen Moment lang innezuhalten. Und dann, ebenso schnell, wie er eingesetzt hatte, hörte der Regen wieder auf, und das überraschende Sommergewitter war vorüber. Sam eilte hinaus auf den Bürgersteig, wo die Menge in verschiedene Richtungen auseinanderströmte wie Wasserkäfer auf einem See.
Die Luftfeuchtigkeit des Sommertags traf Sam jäh mitten ins Gesicht. Wie ein nasser, warmer Waschlappen, sagte ihre Grandma immer.
Sam wurde zusammen mit der Welle aller anderen mitgerissen, die jetzt spät dran waren und irgendwo hinmussten.
Das muss ich auch, dachte Sam, aber ich will da nicht hin.
Zügig marschierte sie in Richtung Downtown und nippte an ihrem Latte, wenn sie langsamer wurde, um über die Straße zu gehen. Sie konnte bereits spüren, wie der erste der drei Espressos in ihrem Latte durch ihre Adern zirkulierte.
Sie betrachtete die vom Regen überzogenen Straßen der Stadt, ihre vom frühen Licht erhellte tintige Schwärze, ihre von den Rinnsteinen und Bürgersteigen aus hellerem Beton wunderschön eingerahmte Dunkelheit.
Der Broadway sieht aus wie eine große Brombeer-Galette, dachte Sam, bevor sie über diesen Vergleich den Kopf schüttelte.
Das hätte mir im Literaturkurs eine Drei minus eingebracht, dachte sie, aber meine Ausbilder in der Kochschule wären stolz auf mich.
Sam wurde eine Sekunde lang langsamer und betrachtete die Straßen. Meine Familie auch, fügte sie hinzu.
New York hatte eine eigene ätherische Schönheit, umwerfend auf ihre eigene, die Sinne überflutende Art, aber es war ein krasser Gegensatz zu dem Ort, wo Sam aufgewachsen war: einer familiengeführten Obstplantage im Norden Michigans.
Unsere Wolkenkratzer waren Äpfel- und Pfirsichbäume, dachte Sam und sah wieder tanzende Früchte vor ihrem inneren Auge. Sie lächelte, als sie sich dem Union Square Park näherte, und hielt inne, um ein leuchtend grünes Blatt zu berühren, das immer noch nass vor Regen tropfte. Bei seiner unglaublichen Zartheit mitten in der Stadt tat ihr Herz einen Satz. Sie beugte sich vor, hob das Blatt an die Nase und atmete ein. Sofort überschwemmten sie der Duft des Sommers und die Gerüche ihrer Vergangenheit – nach frischem Obst, wohlriechenden Kiefern, Kuchenduft, Seewasser.
Sams Knie fühlten sich plötzlich weich und wackelig an wie die Gelees und Marmeladen, die ihre Familie herstellte, und sie setzte sich auf eine Bank in der Nähe und holte ihr Handy hervor. Schuldgefühle überwältigten sie, als sie auf die E-Mail-Einladung klickte, die sie in den letzten paar Monaten ein Dutzend Mal bekommen hatte.
Alles Gute zum Geburtstag … Für uns!
Feiern Sie unser hundertjähriges Jubiläum
(und Grandma Willos Geburtstag) mit uns!
Die Mullins’ Obstplantage & Pie Pantry wird 100!
Und unsere Matriarchin wird 75!
Wir hoffen, Ihre Familie feiert mit uns
dieses einmalige Ereignis!
Pi = 3,14159
(Ach was! Pie = Liebe!)
Sam starrte die letzte Zeile an. Benutzen sie immer noch denselben alten Slogan?, dachte sie, aber ihre Augen blieben an dem Wort FAMILIE hängen, und als sie sie kurz schloss, schwebte es weiter vor ihr, genau wie die Bilder von Äpfeln vorhin.
Sie klickte auf Nachrichten von ihrer Grandma und ihren Eltern: Hoffen, du schaffst es! Wir vermissen dich! Wir lieben dich!
Sams Familie hatte sie nicht ausdrücklich gedrängt, zur Feier zurückzukommen – zu stolz, genau wie ich, dachte sie –, aber was soll ich tun?
Ich kann nicht um Urlaub bitten, um nach Hause zu fahren. Er würde mir nie freigeben. Und solche Jobs fallen dir in New York City nicht einfach in den Schoß.
Sam stand auf, und wie so oft warfen vorbeigehende New Yorker ihr verwunderte Blicke zu, weil sie sich fragten, warum eine Frau in einer Stadt, die sich normalerweise in dunkelste Farben kleidete, von Kopf bis Fuß Weiß trug.
Sam musste zugeben, dass sie mit ihrer Kochuniform und dem blonden Haar wie eine Disney-Figur aussah – eine Art Eisprinzessin vielleicht.
»Bist du die letzte Jungfrau der Stadt?«, rief ein Mann ihr zu, als er auf seinem Fahrrad vorbeiflitzte.
»Hättest du wohl gern!«, schrie Sam zurück und ging weiter.
Feingefühl war nicht New Yorks Stärke, und die Stadt hatte ihr beigebracht, hart im Nehmen zu sein.
So wie meine Grandma. Sam berührte leicht den Ast eines Baums, als sie an ihre Grandma Willo dachte. Sie hat mir beigebacht, mich zu verbiegen, aber nicht zu brechen, genau wie diese Weide.
Kopfschüttelnd schaute Sam auf ihre Uhr und stöhnte. Sie beschleunigte ihr Tempo und flitzte am Flatiron Building vorbei, bevor sie am Madison Square Park vorbei östlich auf die 23rd abbog.
Mit gesenktem Kopf schlürfte sie ihren Latte und zählte jeden einzelnen Schritt, wie sie es jeden Morgen tat, um der Realität aus dem Weg zu gehen – achtundvierzig, neunundvierzig, fünfzig, einundfünfzig –, nur ab und zu hob sie den Blick, um zu vermeiden, mit irgendjemandem zusammenzustoßen, und um die vertrauten Fensterfronten zu betrachten. Zweihundertacht, zweihundertneun, zweihundertzehn …
Sam blieb stehen und hob den Blick zu der leuchtend gelben Markise, die über dem vom Regen schlüpfrigen Bürgersteig herausragte wie mit einem fröhlichen, falschen Lächeln, genau wie …
Sam versuchte den Gedanken aufzuhalten, der ihr wie jeden Morgen in den Kopf schoss, konnte es aber nicht. … ein abgeschmackter Realitystar.
»Aus dem Weg, Lady!«, sagte ein Passant zu Sam, die immer noch mitten auf dem Bürgersteig stand – sehr zur Verärgerung anderer New Yorker. »Das nennt sich Bäckerei.«
Eine freundlich aussehende Frau, die mit ihrem Hund Gassi ging, wurde langsamer und fragte Sam: »Haben Sie Hunger? Möchten Sie etwas aus der Bäckerei?«
Aus irgendeinem Grund schüttelte Sam den Kopf und zeigte der Frau ihren Starbucks-Becher. Die Frau sah Sam an und sagte sehr ernst: »Er ist berühmt, wissen Sie«, wobei sie auf die Bäckerei zeigte.
»Ich weiß«, antwortete Sam und starrte zu der Markise hoch. Auf dem Stoff prangten Pasteten mit fröhlichen Gesichtern, wie kleine gebackene Sonnen, und die Einschnitte in jeder Kruste ließen es so aussehen, als würden die Kuchen lächeln, mit reizenden tiefen Grübchen.
Wie jeden Morgen drehte sich ihr der Magen um, als sie den Namen der Bäckerei las: Dimples Bakery. Bäckerei Grübchen. Na ja.
Sam ging zur Tür des Ladens, doch als sie daran zog, ging ein Ruck durch ihren Arm.
Was zum …? Die Augen mit den Händen abschirmend, legte sie das Gesicht an die Scheibe und spähte hinein. Ihr Atem ließ das Glas beschlagen. Warum ist es noch dunkel da drin?
Sie begann nach ihren Schlüsseln zu wühlen, als sie hinter sich »Hey, Michigan!« hörte.
Lächelnd drehte Sam sich um.
»Hey, Jersey!«
Das war zu ihrer Begrüßung geworden, seit Sam und Angelo Morelli, der Ausfahrer einer bekannten Firma für Bioprodukte, sich vor einem Jahr kennengelernt hatten.
»Wie war’s in den Hamptons?«, fragte Angelo durch das offene Fenster seines Lieferwagens. Er sprang heraus, rannte zum Heck herum und riss die Tür auf. Kisten mit frischem Obst und Gemüse – ein Regenbogen leuchtender Farben und vielfältiger Texturen – stapelten sich dort in Kisten und Kartons, bereit zum Ausliefern.
»In Montauk«, korrigierte Sam. »Das Mädelswochenende hat Spaß gemacht. Vier von uns zusammengepfercht in einem kleinen Motel am Strand. Es hatte einen kleinen Herd mit zwei Kochplatten, und ich habe es irgendwie geschafft, die wunderbarste Galette zum Frühstück zu backen.«
Sam lächelte. Die Hamptons erinnerten sie an den Norden Michigans, wo sie aufgewachsen war: die Strände, die schnuckeligen Läden, die Verkaufsstände der Farmen, die frisches Obst und Gemüse direkt entlang des Highways verkauften.
»Die Mets haben die Tigers gestern Abend weggeputzt!«, riss Angelo Sam aus ihren Gedanken.
»Aber die Mets werden es nicht in die Playoffs schaffen«, erwiderte Sam. »Die Tigers schon.«
»Das tut weh.« Angelo tat, als habe Sam gerade ein Degenduell mit ihm gewonnen. Er griff sich an die Seite und fiel fast auf die Knie.
»Du bist mir ein Früchtchen.« Sam lachte über seine Theatralik.
»Wo wir gerade davon sprechen.« Die dunklen Augen vor Begeisterung geweitet, sprang Angelo auf, dass seine dunklen Locken wippten, und zeigte zum Heck des Lieferwagens. »Voilà!«
Sam ging um den Lieferwagen herum und sog schnuppernd den Atem ein. »Riecht himmlisch!«, sagte sie.
»Das will in New York was heißen.« Angelo lachte.
Lächelnd sah Sam ihn an. Also das nenne ich Grübchen, dachte sie unwillkürlich. »Wie läuft’s mit der Schule?«, wechselte sie das Thema.
»Langsam und beständig. Eine Abendstunde nach der anderen«, antwortete er, während er Kisten umherschob. »Ich denke, ich werde damit fertig sein, wenn ich hundertfünf bin.«
»Für Leidenschaft und Hingabe gibt es keine Altersgrenze«, erwiderte Sam.
Angelo drehte sich um und lächelte. »Danke, dass du das sagst. Daran muss ich gelegentlich erinnert werden. Ist nicht leicht, Vollzeit zu arbeiten und gleichzeitig noch zur Schule zu gehen.« Er zögerte. »Ich bin froh, dass du mich dazu ermutigt hast, wieder zur Schule zu gehen. Meine Wirtschaftskurse machen mir wirklich Spaß.«
Angelo hob eine Kiste heraus und lächelte Sam an. Die Anstrengung ließ seinen Bizeps hervortreten. Als er die Kiste abstellte, ertappte er Sam dabei, dass sie ihn anstarrte.
»Vielleicht könnten wir mal zusammen zu einem Spiel gehen?«, sagte Angelo leise und sah Sam dabei in die blauen Augen.
Ja, wollte Sam antworten. Das würde ich gern. Aber dann erinnerte sie sich an Michigan – und Connor, den Highschool-Freund, dem sie das Herz gebrochen hatte, weil er nicht gewollte hatte, dass sie von zu Hause fortging.
Sam bemerkte, dass sie wieder nervös den Schlüssel an ihrem Halskettchen berührte, und versteckte ihn unter ihrer Konditoruniform. Sie wollte ja sagen, aber dann würde sie sich schuldig fühlen, etwas anzufangen, wofür sie durch ihren Job keine Zeit hatte.
»Kein Problem«, sagte Angelo rasch, weil er ihr Schweigen als Nein deutete, und sprang hinten in den Lieferwagen. »Ich versteh schon. Ein Mädchen wie du und ein Kerl wie ich …«
Er wirkte verlegen, und Sam merkte, dass er enttäuscht war.
Sie wollte es ihm erklären, aber Angelo war bereits wieder mit einer weiteren Kiste in den Händen aus dem Lieferwagen gesprungen und wartete mit einer vollbeladenen Sackkarre an der Eingangstür auf sie.
»Was, denkst du, ist da los?«, fragte Sam, zum Teil, um seine Aufmerksamkeit abzulenken, und zum Teil, um zu begreifen, warum Trisha, die Konditormeisterin, nicht bereits im Laden war. »Trish ist normalerweise schon vor vier Uhr hier.«
Angelo rüttelte am Türknauf und klopfte, während Sam ihre Schlüssel hervorkramte. Sie öffnete die Tür, und die beiden gingen hinein. Sam schaltete das Licht an.
»Hallo?«, rief sie. »Trish?«
Suchend ließ Sam den Blick durch die Bäckerei schweifen. Ein Fußboden in schwarzweißem Schachbrettmuster grenzte an rosaweißgestreift tapezierte Wände, an denen Schwarzweißposter von Vom Winde verweht, Magnolien aus Stahl, Wie ein einziger Tag und Die Katze auf dem heißen Blechdach hingen, aber hauptsächlich waren die Wände voll mit Fotos von Chef Dimples’ Gastspiel in der wahnsinnig beliebten Reality-Kuppelshow Mit diesem Ring, die ihn berühmt gemacht hatte.
Überdimensionale schmiedeeiserne Tische füllten den Raum, während der Bereich der Bäckerei von altmodischen Schränken mit verschnörkelten Verzierungen gesäumt war, die vor rosa Pressglastellern überquollen. Die gläsernen Gebäckvitrinen waren mit rosa und gelbem Schrankpapier ausgelegt und voll mit Muffins, Cookies, Kuchen, Pies, insbesondere allem, was mit den Südstaaten zu tun hatte: Pecan Pie, Lemon Meringue Pie, Süßkartoffel-Pie, Red Velvet Cake, Pecan Tassles, Pralinen, Brotpudding, Cobbler, Erdbeertörtchen. Auf den Fensterbänken standen Kästen mit bunten Petunien.
Der Laden war brandneu, und er sah aus wie ein Filmset, eine fiktionalisierte Version des echten Lebens, genau wie … Chef Dimples, dachte Sam. Der Laden ist genau wie er: keine echte Geschichte, kein echter Charakter. Und er weiß nicht mal, wie man auch nur eines der Desserts hier drin zubereitet, für die er die Lorbeeren einheimst. Das wurde alles fürs Fernsehen geschaffen.
Sam dachte daran, wie anders diese Bäckerei hier war als die Pie Pantry ihrer Familie mit den Bildern ihrer Großmutter – von Apfelbäumen, frisch gebackenen Kuchen, der zwischen den Bäumen des Obstgartens hindurchblitzenden Bucht –, die sie mit Aquarellfarben auf den Betonboden, die alten, verzogenen Holzwände und die hölzerne Theke der Scheune gemalt hatte, in der sie ihre Kuchen verkaufte.
Hier verkaufte Sam die Kuchen nie, die sie backte. Sie wurden von Chef Dimples’ ehemaligen Bachelorettes verkauft – denen, die den letzten Ring nicht bekommen hatten. Die Kunden strömten eher wegen der Gelegenheit für ein Social-Media-Foto herein als für die Backwaren.
»Sam?«, ließ Angelos Stimme sie zusammenzucken. »Tut mir leid. Ich hab das hier gefunden.«
Angelo stand neben der Kasse und hielt ein gefaltetes Stück Papier in der Hand. Sam ging zu ihm und nahm ihm die Notiz ab, dabei verzog sie das Gesicht, als wüsste sie bereits, was dabei herauskommen würde. Sie begann zu lesen:
»Chef, und diese Bezeichnung benutze ich sehr großzügig«, Sam hielt inne, um zu Angelo hochzusehen. »Oh, das wird nicht gut.«
Sie las den Brief weiter: »Hiermit kündige ich nicht nur mit sofortiger Wirkung, ich wünsche Ihnen auch noch jede Menge Pech für den Rest Ihrer sogenannten ›Karriere‹. Sie sind ein Energievampir, ein seelenaufsaugendes Vakuum, ein herzloser Mensch mit einem Ego von der Größe der Hindenburg, das irgendwann katastrophal explodieren wird. Ich würde gern mal sehen, dass Sie in der Küche stehen und tatsächlich etwas machen … Ihre Hände zu etwas anderem benutzen, als Ihren Angestellten Klapse auf den Hintern zu geben, sich die Haare zu kämmen, Bronzer auf die Wangen zu legen, falsche Ringe an Kunden zu verteilen oder Ihr Geld zu zählen. Ich freue mich schon darauf, Sie bald auf TMZ, in einer tragischen Folge von True Hollywood Story auf E! oder im People Magazin unter der Rubrik ›Was wurde eigentlich aus …?‹ zu sehen. Herzlichst, Trish.«
»Ganz schön viel Reality-TV«, meinte Angelo, die dunklen Augen staunend aufgerissen und ein verwirrtes Lächeln auf dem Gesicht. »Da hat sie es ihm aber ordentlich gegeben. Das hat er verdient, oder?«
Sam nickte mit erstarrter Miene, während Panik einzusetzen begann.
»Aber du nicht«, begriff Angelo plötzlich. Er kam zu ihr und legte ihr sanft den Arm um den Rücken. »Das tut mir so leid«, sagte er.
Sam lehnte sich an ihn. »Danke«, antwortete sie. »Jetzt bin ich in der Schusslinie. Und das meine ich wörtlich. Er wird ausflippen, wenn er das erfährt. Und ich bin die Einzige, die noch da ist … vorläufig.«
Angelo trat einen Schritt zurück, fasste Sam an den Schultern und sah ihr tief in die Augen. »Vielleicht bedeutet das, jetzt ist deine Zeit, Stellung zu beziehen und ihm zu zeigen, was du draufhast. Du hast doch an dieser schicken Schule gelernt, oder? Du kommst aus einer Familie von Bäckern. Du bist aus Michigan. Das ist doch der Show Me-State, oder nicht? Euer Motto lautet ›Zeigs mir‹.«
Sam lachte. »Nein, das ist Missouri, Angelo.«
»Na und, immerhin ein Nachbarstaat, oder nicht?«
»Ihr New Yorker«, neckte ihn Sam. »Keinen Sinn für Geographie, sobald ihr von eurer Insel runter seid.«
»Was zum Teufel ist hier los?«
Beim Klang der dröhnenden Südstaatenstimme hinter ihnen zuckten Sam und Angelo zusammen. Als sie sich umdrehten, stand Chef Dimples vor ihnen – ohne zu lächeln, aber immer noch mit Grübchen – und hielt mit der einen Hand sein Handy ans Ohr, während er mit der anderen wütend gestikulierte.
Er sah wie immer fotogen aus – eine muskulösere Version von Matthew McConaughey mit grasgrünen Augen, verwuscheltem blonden Haar und diesem spitzbübischen Lächeln, das Mütter und Freundinnen gleichermaßen dahinschmelzen ließ, ganz egal, ob er ihnen gerade Geld aus der Handtasche gestohlen oder das Herz gebrochen hatte. Diese Grübchen hatten ihn berühmt gemacht.
Tief genug, um einen Apfelkern darin zu pflanzen, war der Kommentar ihrer Großmutter gewesen, nachdem Sam ihr gesagt hatte, dass sie den Job bekommen hatte und ihre Grandma sich die Sendung ansehen sollte.
Und sogar Mutter Natur schien seine Schönheit noch zu unterstreichen: An diesem Morgen fiel das frühe Licht der Stadt in die Bäckerei und umstrahlte ihn, als wäre er eine Heiligenfigur.
Der Spitzname Chef Dimples war nach Mit diesem Ring an ihm hängengeblieben, und er hatte begonnen, in Frühstücksfernsehsendungen aufzutauchen – beim Backen von Leckereien, die er dann an kreischende Frauen auf der Straße verteilte –, bevor er seine eigene Show auf dem Food Channel bekommen hatte. Er war jetzt ein Spitzenstar. Oder zumindest erzählte er das allen.
Aber andere TV-Stars haben tatsächlich hart an ihrem Erfolg gearbeitet, dachte Sam. Und sie können backen. Nein, streicht das: Sie backen wirklich.
Sogar noch ärgerlicher fand Sam es, dass ihr Boss nur auf den Namen Chef Dimples reagierte.
Ja, Chef Dimples.
Nein, Chef Dimples.
Natürlich, Chef Dimples.
Sam hatte stets Probleme damit, seinen Namen auszusprechen, und musste sich mit einer Mischung aus Peinlichkeit und Abscheu regelrecht dazu zwingen. Schlimmer noch, wenn sie ihn bei diesem Namen nannte, kam sie sich vor, als spiele sie in einer dieser fürchterlichen Kindersendungen mit, in der er dieses Alter Ego hatte, das alle durchschauen konnten, wie bei Hannah Montana, obwohl er selbst das nicht zu bemerken schien.
»Hallo?«, fragte er sarkastisch. »Gibt mir hier vielleicht mal jemand eine Antwort?«
»Guten Morgen, Chef Dimples. Was machen Sie denn hier?« Den letzten Teil wollte Sam gar nicht sagen, aber die Aufregung des Morgens hatte ihre Selbstkontrolle außer Kraft gesetzt.
»Mir gehört dieser Laden hier«, antwortete er. »Schon vergessen?«
Sam konnte sehen, dass Angelos Gesicht vor Ärger über seinen Tonfall ihr gegenüber rot anlief.
»Ich rufe Sie gleich zurück«, sagte Chef Dimples in sein Handy, bevor er sich wieder Sam zuwandte. »Ich mache in zwei Stunden ein Live-Segment für Good Morning America. Trish weiß das.« Und dann zu Angelo: »Wer sind Sie, und was machen Sie hier?«
»Ich bin Angelo. Ich liefere Ihnen frisches Obst und Gemüse. Täglich seit einem Jahr.« Er streckte Chef Dimples die Hand entgegen und lächelte unschuldig. »Wie heißen Sie?«
Überrascht über die Frage riss Sam den Kopf heftig zu Angelo herum, der ihr verstohlen zuzwinkerte.
»Ich bin Chef Dimples.«
»Nein, Mann«, bohrte Angelo nach. »Ihr richtiger Name. Ich bezweifle, dass Sie als Chef Dimples geboren wurden, oder? Meine Freunde nennen mich Boccia, weil ich in dem Spiel noch nie geschlagen wurde, und Sam nennt mich Jersey, aber mein richtiger Name ist Angelo Morelli. Sehen Sie, worauf ich hinauswill?«
Chef Dimples’ grüne Augen weiteten sich, und die leichte Röte, die dauerhaft auf seinen Wangen zu liegen schien, breitete sich auf seinem ganzen Gesicht aus, als hätte er die Masern bekommen. Sam hatte diesen Ausdruck schon einmal gesehen, nämlich als sie sich eine Staffel von Mit diesem Ring in einem Rutsch angesehen hatte und eine Frau namens Tara ihn zur Rede gestellt und behauptet hatte, sowohl sein Südstaatenakzent als auch seine kulinarischen Fähigkeiten wären nur halbgar. Sie war natürlich zum Miststück der Staffel erklärt worden, und Chef Dimples hatte sich nur noch mehr angestrengt, die anderen Teilnehmerinnen zu beeindrucken, indem er ständig Cookies für seine Dates backte.
»Der Weg zum Herzen eines Mannes geht vielleicht durch den Magen«, wurde sein berühmter Spruch – in seinem schweren, klebrig süßen Südstaatenakzent –, wenn er bei jedem Date seine Bachelorettes verköstigte, »aber das Herz einer Frau gewinnt man mit Süße.«
Wie viele dieser Desserts hat er wohl selbst gemacht?, hatte Sam sich beim Schauen der Sendung gefragt, da dort nur immer wieder derselbe Clip gezeigt wurde, wie er Mehl so in eine Schüssel schüttete, dass es in einer Wolke auf sein Shirt staubte und ihn dazu zwang, es auszuziehen und sich das Gesicht abzuwischen. Also bitte.
»Ich lasse mir in meinem eigenen Restaurant keine Fragen stellen!«, schrie Chef Dimples und riss Sam damit aus ihren Gedanken. »Und Sie nennen mich Chef Dimples, wenn Sie in meiner Bäckerei sind!«
Angelo schüttelte den Kopf und schob seine Sackkarre durch die Schwingtüren in die Küche. Als er wieder zurückkehrte, wandte er sich an Sam.
»Jede Menge frische Blaubeeren heute zusammen mit den Pfirsichen«, sagte er. »Hab sie zu Ehren deines Ausflugs in die Hamptons mitgebracht.« Angelo verstummte kurz und beugte sich vor, um Sam zuzuflüstern: »Du brauchst dir das nicht gefallen zu lassen, weißt du. Dein Können ist irrsinnig. Ich habe alles gekostet, was du hier drin gemacht hast.« Er zögerte. »Außerdem hast du Anstand.«
Diesmal war es Sam, die rot wurde.
Angelo schob seine Sackkarre direkt auf Chef Dimples zu, was diesen dazu zwang, einen großen Schritt rückwärts zu machen. »Bis später, Dwight Lilliputh«, benutzte er mit einem Augenzwinkern Chef Dimples’ richtigen Namen, den Namen, der in den ersten paar Folgen von Mit diesem Ring benutzt worden war und den zu gebrauchen er niemals irgendjemandem erlaubte, weder persönlich noch in TV-Interviews oder Presseartikeln. »Sehen Sie? Ich schaue fern. Und wir haben Google in Brooklyn.«
»Mein Name ist Chef Dimples! Und jetzt raus mit Ihnen!« Er drehte sich um und richtete seinen ganzen Zorn auf Sam. »Wo zum Teufel ist Trish?«
Verlegen trat Sam vor und reichte ihm den Brief. Sie hätte schwören können, dass sie Dampf aus seinem Ohren kommen sah, während er ihn las, als wäre er Wile E. Coyote. Als er damit fertig war, knüllte er das Blatt Papier zusammen und schmiss es Sam vor die Füße.
»Die wird nie wieder irgendwo arbeiten«, sagte er. »Ausgerechnet heute. Bei Good Morning America.« Er trat näher, um Sam zu mustern. Er trug einen dieser zu engen Anzüge, die junge, fitte New Yorker Männer gern trugen – eng geschnittenes Jackett, schmal zulaufende Hosenbeine, die etwas zu kurz waren, damit sie die buntgemusterten Socken betonten –, und helle Wildlederschuhe, die kein Fleckchen Schmutz aufwiesen.
Sie sind eindeutig nicht mit der U-Bahn hergefahren, dachte Sam, während sie an ihrer Kochuniform hinuntersah, an der sich bereits der Schmutz der Stadt bemerkbar machte.
»Dann werden Sie eben genügen müssen, bis ich eine richtige Konditorin bekomme«, sagte Chef Dimples abschätzig.
»Mir ist bewusst, dass meine Rolle eher die einer Assistentin für Trisha war …«, setzte Sam an.
»Und für mich«, unterbrach er.
Wann haben Sie schon irgendetwas gemacht, außer einer Liste aller berühmten Persönlichkeiten, die hier bei Ihnen vorbeigeschaut haben?, dachte Sam.
»Natürlich, Chef Dimples«, antwortete sie. »Aber ich habe am Culinary Institute gelernt, ich war Praktikantin von Konditor Jon Paul DeGaude im The Farm, und meine Familie besitzt ihre eigene Obstplantage und Bäckerei.«
Chef Dimples verdrehte die Augen. »Wirklich?«, fragte er. »Ungefähr sieben Millionen Menschen werden in zwei Stunden aufwachen, um mich zu sehen, und sie wollen von einem großartigen Dessert umgehauen werden. Denen wird herzlich egal sein, ob Ihre Familie Donuts in einer Scheune backt. Lassen Sie mich einfach gut aussehen.«
Sam schwirrte der Kopf vor Wut, und ihr Magen krampfte sich zusammen, aber entschlossen unterdrückte sie ihre Tränen.
»Natürlich, Chef Dimples.«
Er stürmte in die Küche und sah sich um. Suzette, eine junge Küchenhilfe, die Kopfhörer trug und immer durch den Hintereingang reinkam, beäugte ihn argwöhnisch, zog den Kopf ein und fuhr damit fort, Rührschüsseln, Backbleche und Geschirr bereitzustellen.
Chef Dimples’ Grübchen vertieften sich, als er Sam ansah. »Es ist mir egal, ob es scheiße schmeckt«, sagte er. »Machen Sie es einfach hübsch fürs Fernsehen. Und machen Sie es nach Südstaaten-Art.«
Sam nickte.
Und damit drückte er die Anruftaste auf seinem Handy. »Bin wieder da«, sagte er, während er hinausmarschierte, und die Schwingtüren unterstrichen seinen Abgang wie in einem schlechten Western.
»Ich werde etwas Hilfe brauchen«, sagte Sam zu Suzette, die immer noch versuchte, so unsichtbar wie möglich zu bleiben. Sam bedeutete Suzette, sie solle die Ohrhörer rausnehmen, und wiederholte sich dann. »Ich werde etwas Hilfe brauchen. Wenn du mir dabei zur Hand gehen kannst, das Obst zu waschen, die Stiele von diesen Blaubeeren zu zupfen und die schlechten auszusortieren, dann fange ich damit an, die Pfirsiche zu schälen und zu entkernen«, fuhr Sam eilig fort, während sie sich einen Pfirsich nahm. »Wir sollten genug Gebäck fertig haben, um den morgendlichen Ansturm zu überstehen – und wir haben eine Menge Teig für Muffins und Cookies backfertig eingefroren, wenn du damit anfangen willst, die zu backen. Ich kümmere mich hierum.«
Sam hielt inne, schloss die Augen und holte tief Luft.
Der Duft von Pfirsichen – süß, nostalgisch – stieg ihr in die Nase, und wieder einmal erfüllten Bilder vom Obstgarten und der Bäckerei ihrer Familie ihren Kopf.
»Hast du schon ein Rezept im Sinn?«, fragte Suzette mit schüchterner Stimme.
Sam öffnete die Augen und lächelte. Sie hatte unbewusst ihre Halskette hervorgezogen und rieb wieder einmal den Schlüssel an ihrem Hals.
»Ja«, antwortete sie, während sie hinüberging, um sich die Hände zu waschen. »Ja, das habe ich.«
Sam Nelson rannte zwischen den Reihen von Pfirsich- und Apfelbäumen hindurch, die Arme weit ausgestreckt, als segle sie über die Obstplantage ihrer Familie wie das uralte Sprühflugzeug, das ihr Großvater immer flog.
In einer Hand hielt sie einen alten Holzkorb, in der anderen einen halb aufgegessenen Pfirsich, dessen Saft ihr den Arm hinuntertropfte. Selbstpflücker, die an jedem Sommertag und Herbstwochenende zu Mullins’ Obstplantage und Pie Pantry strömten, um über die üppigen Hügel zu wandern, ihr Obst selbst zu pflücken und Apple Pies und Apfelsaft-Donuts zu schlemmen, zuckten zusammen, als die Dreizehnjährige an ihnen vorbeisauste, ein verschwommener Strich wie die Bienen und Kolibris, die von Baum zu Baum schwirrten.
»Du sollst ein paar davon pflücken, Sam«, konnte sie ihre Großmutter in naher Entfernung rufen hören, »nicht unseren ganzen Gewinn aufessen und unsere Kunden verscheuchen!«
Sam lachte, aß den Pfirsich auf und warf den Stein in weitem Bogen durch die Luft, um ihm dabei zuzusehen, wie er einen Hügel hinunterkullerte. Sie sauste weiter zwischen den Obstbäumen herum, bevor sie vor einem Baum stehen blieb, um einer Familie von Städtern in gebügelten Shorts und bunten Poloshirts dabei zuzusehen, wie sie ihre Körbe mit Äpfeln füllten.
»Entschuldigen Sie«, sagte Sam. Mit der freien Hand, die immer noch klebrig vom Pfirsichsaft war, strich sie sich das lange blonde Haar in den Nacken. Zum Entsetzen der Familie begann sie nur mit einer Hand, den Korb in der anderen, auf den Baum hinauf bis zwischen die oberen Äste zu klettern.
Sie schaute hinaus auf die Obstgärten und dann hinunter zu der Familie. »Da ist ein noch besserer Baum … ein, zwei, drei … sechs Reihen weiter auf der rechten Seite.«
Als die Familie Sam weiter anstarrte, fügte sie hinzu: »Bis später. Und danke für Ihren Besuch auf der Mullins’ Obstplantage!«
Die Städter gingen davon und warfen dabei noch ein paarmal einen Blick zurück auf das im Baum versteckte Mädchen.
Sam seufzte.
Wieder ein Geburtstag, an dem ich hier im Obstgarten bei der Arbeit feststecke, dachte sie. Jeden Geburtstag. Jeden Sommer. Warum konnte ich nicht irgendwo anders geboren sein? Oder im Winter?
Sam ließ den Blick über die Obstgärten schweifen. Selbstpflücker lachten und posierten für Fotos, mit Äpfeln auf dem Kopf, Babys in den Körben, Bäume umarmend. Sie hob den Kopf, um den Himmel zu mustern, der so blau war wie ihre Augen. Die Wolken schoben sich vor die Sonne und verdeckten sie immer wieder für längere Zeit, was die Landschaft vor ihr zu einem wechselhaft beleuchteten Flickwerk werden ließ: Die sanften, mit Gras und endlosen Baumreihen bewachsenen Hügel, Pfirsiche, Sauerkirschen, Äpfel von jeder Sorte; Blaubeersträucher am Fuß des Hügels, wo sich der Regen sammelte; die alte rote Scheune, wo Schüler Körbe für das Obst ausgaben, die Sams Vater abwog, wenn die Pflücker wieder damit zurückkamen; der alte Schuppen, wo noch mehr Schüler Gratiskostproben von Donuts und naturtrübem Apfelsaft an ankommende Autofahrer verteilten; das Farmhaus mit den Fensterläden mit Ausschnitten in Apfelform, in dem ihre Großeltern Willo und Gordon lebten; das blaugrüne Wasser der Suttons Bay, das sich jenseits der Bäume erstreckte und in das die Halbinsel Old Mission Peninsula hineinragte; die Maisfelder der Familie, die auf der anderen Seite der M-22 lagen und die bald zu einem verschlungenen Maisfeldlabyrinth voller Gespenster und Kobolde geschnitten werden würden, um die Herbstbesucher zu erschrecken.
Dieses Stück Nordmichigan war Sams Zuhause, ihre ganze Welt.
Und doch, dachte sie, während sie mit zusammengekniffenen Augen einem großen Boot zusah, das am Horizont entlang durch die Bucht trieb, was es so aussehen ließ, als wäre die Welt tatsächlich flach, es muss doch noch so viel mehr da draußen geben, oder nicht? Sam sah zu, wie das Boot immer kleiner wurde, während es durch die Bucht und hinaus zum großen See trieb, und überlegte, ob ihr »Freund« Connor – der sie gefragt hatte, ob sie fest mit ihm gehen wollte, indem er ihr einen alten Stimmungsring geschenkt hatte – wohl mit seinem Dad auf diesem Boot war, um Touristen zu einem gecharterten Angelausflug hinauszufahren.
»Sam?«, hörte sie plötzlich ihre Grandma rufen. »Sam?«
»Also, wo könnte sie nur sein?«, fragte ihre Mutter.
Sam schloss die Augen, um die Welt auszublenden, hielt den Atem an und unterdrückte ein Kichern. Plötzlich kreischte sie auf, als sie spürte, dass an ihrem Bein gezogen wurde.
»Grandma!«, schrie sie. Als sie die Augen öffnete, stellte sie fest, dass ihre Grandma Willo auf halbe Höhe auf den Baum geklettert war und sie am Bein zog.
»So einen großen Apfel hab ich ja noch nie gepflückt«, verkündete Willo, während sie weiter am nackten Bein ihrer Enkelin zog. »Scheint so, als hängt er am Baum fest.«
»Grandma!«, lachte Sam. »Hör auf!«
Sie schaute zu ihrer Grandma hinunter. »Außerdem siehst du aus, wie etwas, das gepflückt werden sollte!«