Mit Beiträgen von Sabine Ahrens-Eipper, Marianne Fuentes-Carpentier, Ricky Greenwald, Regina Hiller, Katrin Nelius, Gail Noppe-Brandon, Ellen Spangenberg, Robin Ticic, Dorothea Weinberg.
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1. Auflage 2017
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© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
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ISBN 978-3-17-033491-5
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Stress – ist das überhaupt ein ernstzunehmender Begriff? Heutzutage wird doch alles, was irgendwie als belastend empfunden wird, als Stress bezeichnet. Was soll dann eine stressorbasierte Psychotherapie sein? Ein einziges ätiologisches Konzept für alle psychischen und psychosomatischen Erkrankungen? Eine grobe Vereinfachung?
In seiner ursprünglichen Bedeutung kommt der Begriff Stress aus der Materialforschung und beschreibt eine mechanische Einwirkung auf einen Gegenstand. Stress durch Krafteinwirkung kann beispielsweise die Materialstruktur eines Stahlträgers auf Dauer so ermüden, dass er seine Tragekraft verliert und schließlich bricht.
Durch den Physiologen Walter Cannon wurde das Konzept Stress als Störfaktor der homöostatischen Regulation von Stoffwechselvorgängen in die biologische Forschung eingeführt. Cannon beschrieb 1914, dass Säugetiere auf Bedrohung mit einer Notfallreaktion reagieren, die von einer Ausschüttung von Adrenalin begleitet ist. Allerdings war es noch in den 1920er-Jahren völlig ungebräuchlich, von Stress in Bezug auf Lebensereignisse und psychische Belastungen zu sprechen. Erst der Mediziner Hans Selye hat das Konzept Stress verbreitet und popularisiert. Selye wurde im Jahr 1936 darauf aufmerksam, dass Tiere in seinem Labor auf verschiedenste Belastungen mit einer sehr ähnlichen Symptomatik reagierten: Gewichtsverlust, Magen- und Zwölffingerdarmgeschwüre sowie Veränderungen in der Nebennierenrinde. Für die körperlichen Reaktionen auf unspezifische Belastungen prägte Selye den Begriff Allgemeines Anpassungssyndrom. Er konnte zeigen, dass längerdauernde Belastungen zu einer Ausschüttung von Stresshormonen (Adrenalin und Kortisol) führen, die potentiell schädigende Auswirkungen auf den Organismus haben und als krankheitsauslösende Faktoren, beispielsweise für kardiovaskuläre Erkrankungen, auch beim Menschen eine erhebliche Rolle spielen.
Unter anderem durch ca. 40 veröffentlichte Bücher sorgte Selye für eine Verbreitung des Wissens um Stress und dafür, dass Stress ein populärer Begriff wurde, der synonym für potentiell krankmachende Belastung und Überforderung steht. Auf einmal war der Begriff Stress in aller Munde. In der Arbeitswelt wurden vielfältigste Stressbelastungen – z. B. Schichtarbeit zu Nachtzeiten – erkannt und als potentiell schädigend bewertet. Sogar das Militär griff den Begriff Stress auf, um die Belastung von Soldaten im Kriegseinsatz zu beschreiben. Stress wurde im Lauf der Jahre zu einer Zeitkrankheit, zu einer Beschreibung von Belastungen jeglicher Art und zum Lifestyle der ökonomisch erfolgreichen Menschen.
Obwohl das Modell »Stress« von Hans Selye ursprünglich holistisch konzipiert war und den biologischen Organismus in seiner Interaktion mit der Umwelt im Blick hatte, wird es heute in der Regel verkürzt gebraucht, um die Einwirkung einer von außen kommenden überfordernden Belastung zu beschreiben. In diesem Sinne sind Stressoren auslösende Bedingungen für Stress und Stress ist eine Anforderung an den Organismus, sich zu adaptieren. Traumatische Erfahrungen lassen sich in dieser Weise ebenfalls als Stressoren verstehen. Die Begriffe Trauma und Stress unterscheiden sich eigentlich nur in der Schwere der unmittelbaren Einwirkung, weniger in den Auswirkungen für den Organismus.
Warum ist dann Stress – abgesehen von Coping- und Bewältigungsforschung – überhaupt ein psychologisches Problem und Thema der Psychotherapie? Wenn die Belastung wirklich von außen kommt, wie es das verkürzte Stresskonzept suggeriert, müsste eine Problemlösung doch durch Einflussnahme auf die Umwelt zu erreichen sein. Dann bräuchte man eher einen Sozialarbeiter oder einen Coach an der Seite als einen Therapeuten, der einem erstmal erklärt, dass es um eigene Probleme geht, die zu erkennen und zu lösen sind. Wie kommt es, dass aus einer von außen einwirkenden Belastung ein innerpsychischer Konflikt wird, ein Stressor, der in der eigenen Seele lokalisiert ist?
Auch auf der psychischen Ebene gibt es so etwas wie ein Allgemeines Anpassungssyndrom. Traumatisierungen und Stressbelastungen schreiben sich via epigenetischer Regulationsmechanismen in die körperliche und durch empathische Einfühlung in die seelische Struktur ein. Im Dienste des Überlebens und der Bewältigung passt sich der Organismus an die Extremsituation an, die Belastung wird soweit wie möglich kompensiert. Dies geschieht auf der Ebene der psychischen Reaktionen durch aktives empathisches Einfühlen in die Person, die Auslöser für die Belastung ist. Folge ist, dass die bedrohliche oder unberechenbare Person gleichsam noch näher kommt. Das Kind lernt, wie der Täter denkt und fühlt, um vorauszusehen, was der Angreifer im nächsten Moment tun wird. Es lernt, dass durch Einfühlung in die schädigende Person etwas Kontrolle gewonnen werden kann und es lernt, mit der Aufmerksamkeit beim Anderen zu sein und nicht bei sich selbst. Die eigenen Wahrnehmungen hingegen werden in Zweifel gestellt und vielleicht gewinnt das Kind, um die Bindung zur schädigenden Beziehungsperson aufrecht halten zu können, sogar die Überzeugung, selbst ein schlechter Mensch und schuldig zu sein. Die Folgen kindlicher Vernachlässigung und Traumatisierungen lassen sich mit diesen Mechanismen gut erklären. So wird verständlich, auf welchem Weg das gewaltvolle Fremde in die eigene Seele gelangt.
Traumatische Lebenserfahrungen und Stressbelastungen – besonders, wenn diese in der Kindheit und Jugend auftreten – beeinträchtigen potentiell alle Lebensbezüge, führen zur Entfremdung von sich selbst und sind Ursache von Leid und psychischer Krankheit. Gleichzeitig sind Stressoren aber auch Anstoß zu Wachstum, Reifung und Entwicklung der Persönlichkeit. Genau aus diesem doppelten Grund fokussieren erfahrene Psychotherapeuten die Behandlung auf die stressauslösenden Belastungen, genauer auf die Folgen der Anpassung an die Belastung, die sich in die Seele eingeprägt haben, den Patienten in seinen Freiheitsgraden einschränken und in der Lebensführung beeinträchtigen. Gegenstand der stressorbasierten Psychotherapie ist es, aufzuzeigen, wie die Lebensführung behindernden und symptomauslösenden Belastungsfolgen fokussiert behandelt und aufgelöst werden können, um den Weg für neue Erfahrungen und für Wachstum und Entwicklung frei zu machen. Dies gelingt erfreulicherweise in der Psychotherapie mit Kindern noch viel leichter als in der Behandlung Erwachsener.
Das Besondere an dem von Thomas Hensel vorgestellten psychotherapeutischen Behandlungskonzept ist nicht alleine die Integration moderner entwicklungspsychopathologischer und traumatherapeutischer Konzepte in die Psychotherapie, sondern vor allem auch der durchgängige Bezug zu den humanistischen Grundlagen der Psychotherapie. So macht Thomas Hensel darauf aufmerksam, dass therapeutische Lernprozesse, etwa im Rahmen der Arbeit an Stressoren, gleichzeitig auch als psychische Transformationsprozesse verstanden werden können, also als Wandlungen und Entwicklungen, die Menschen helfen, in größerer Kongruenz mit sich selbst und mit ihren individuellen Potentialen zu stehen. Technische Aspekte der Psychotherapie und manualisierte Behandlungsverfahren dürfen nicht dazu führen, dass die Tiefe der therapeutischen Beziehung aufgegeben wird. Andererseits, so Thomas Hensel, ist es nicht die Beziehung selbst, die heilt. Therapeutische Veränderungen sind nicht herstellbar wie ein Produkt und werden nicht durch die Beziehung zum Therapeuten bewirkt, sondern ereignen sich in der therapeutischen Atmosphäre einer professionell gestalteten Beziehung, die Raum sowie Halt gibt und Mut macht, neue Erfahrungen zu gewinnen und Veränderung zu wagen. Bei aller gut begründeten Fokussierung der Behandlung auf die Arbeit an Stressoren ist es nicht die therapeutische Technik, die im Vordergrund der Methode steht, sondern der individuelle an seiner psychischen oder psychosomatischen Symptomatik leidende Mensch. Auch aus diesem Grund halte ich das vorliegende Buch für einen wichtigen Beitrag zu einem modernen therapieschulenübergreifenden Konzept der Psychotherapie.
Martin Sack
München, im Mai 2017
»Astrophysikalische Beobachtungen zeigen, dass nur fünf Prozent der gesamten Energie im Universum aus uns bekannten Bausteinen besteht. 95 Prozent sind noch völlig unverstanden.«
(Bierwagen & Schmieden; Astrophysiker)
Der hier vorgestellte Behandlungsansatz hat sich aus zwei unterschiedlichen Erfahrungsfeldern herausgebildet und entwickelt: Zum einen aus meiner fast 30-jährigen, intensiven und berührenden Arbeit als Psychotherapeut mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, zum anderen aus meiner Tätigkeit als Ausbilder in traumabezogener Weiterbildung von Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten sowie verwandter Berufsgruppen.
Der stressorbasierte Therapieansatz ist ein pragmatisches und integratives Modell, das wenige überschaubare Grundelemente mit präzisen therapeutischen Handlungsanleitungen verbindet und theoretisch die aktuellen Erkenntnisse der Psychotherapieforschung, Psychotraumatologie, Neurobiologie, Stressforschung und epidemiologische Befunde reflektiert. Er lässt eine Methodenvielfalt in der klinischen Umsetzung der grundlegenden Wirkfaktoren (Grawe, 1998, 2004) zu und bietet so den Psychotherapeuten die Möglichkeit, in Übereinstimmung (Allegianz) mit eigenen psychotherapeutischen Präferenzen zu handeln und eine optimale Passung mit den Bedürfnissen des Klienten zu erreichen.
Die Psychotraumatologie, in Deutschland seit 20 Jahren zunehmend als eigenständiges Forschungsgebiet präsent und anerkannt, hat frischen Wind in das Feld der Psychotherapie gebracht. Sie kehrt zu den Wurzeln moderner Psychotherapie (Freud, Janet) zurück und erkennt reale, belastende Lebenserfahrungen als ätiologisch bedeutsame Quelle dysfunktionaler psychischer Prozesse und Symptombildungen an. Es sind interpersonelle Gewalterfahrungen, monotraumatische Schocktraumata und kumulative alltägliche Erlebnisse von Kränkungen, Versagungen und Verlusten, aus denen chronische Stressdysregulation resultieren kann. Psychotherapeutische Erfahrung zeigt, dass das Modell eines Stressorkontinuums für eine Behandlung hilfreich ist und alle Arten von Stressoren – unabhängig von ihrem Inhalt – nach einem einheitlichen klinischen Algorithmus behandelt werden können.
Das hier vorgestellte Modell ist eingebettet in ein gesteigertes gesellschaftliches Bewusstsein für die umfassenden schädigenden Folgen belastender Lebenserfahrungen in der Kindheit, insbesondere frühkindlicher interpersoneller Gewalterfahrungen. Das Sichtbarwerden sexualisierter und körperlicher Gewalt an Kindern in öffentlichen Einrichtungen wie Heimen und Schulen sowie in gesellschaftlichen Institutionen wie der Kirche hat eine breite Sensibilität dafür entstehen lassen, dass es in unserer Gesellschaft strukturell verankerte Gewalt gegen Minderjährige gibt. Dies bleibt auch für die Konzeptualisierung von Psychotherapie nicht ohne Folgen. Während »traditionelle Psychotherapie« im Prinzip davon ausgeht, dass das einzelne Individuum für seine psychische Notlage alleine verantwortlich ist, und damit eine Sichtweise unterstützt, die eine Privatisierung von Stress (Fisher, 2013) propagiert, stellt die Psychotraumatherapie – zu der sich dieser Ansatz bekennt – auch theoretisch wieder den Zusammenhang zu gesellschaftlichen Verhältnissen her, die eine wesentliche kausale Rolle bei der Entstehung psychischer Störungen spielen.
Nach langem Widerstand in fachspezifischen Institutionen, den Ärzte- und Psychotherapeutenkammern, den Berufsverbänden und Ausbildungsinstituten, wurde mit den fünf Zielen der Rahmenempfehlungen (BPtK et al., 2012) schließlich anerkannt, dass belastende Lebenserfahrungen ein bedeutendes gesellschaftliches Phänomen mit hohen Kosten und großem menschlichen Leid sind. Für die USA berechneten Wang & Holton (2007) die daraus entstehenden Kosten auf rund 33 Milliarden Dollar pro Jahr. Die deutsche Traumafolgekostenstudie (Habetha et al., 2012, S. 79) fasst zusammen: »Jedes Jahr (ergibt) sich ein Betrag von 11,0 Mrd. Euro, der durch die Folgen von Kindesmisshandlung/-missbrauch und Vernachlässigung für die deutsche Gesellschaft anfällt.«
Es wurden umfassende Maßnahmen vorgeschlagen, das Therapieangebot quantitativ und qualitativ zu verbessern. Gleichzeitig wurde festgestellt, dass es zur Behandlung von Menschen mit Traumafolgestörungen einer therapeutischen Expertise, also traumaspezifischer Modellbildung und Weiterbildungen bedarf. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, neue Behandlungsansätze für diese Klienten zu fördern und zu entwickeln.
Der Widerstand gegen die Psychotraumatologie und ihre klinischen Implikationen kommt nicht von ungefähr. Werden doch durch die ätiologisch orientierte Sichtweise (Erfahrung zählt!) wesentliche Paradigmen der aktuell dominierenden kognitiven Verhaltenstherapie einerseits und des biologisch-medizinischen Reduktionismus andererseits grundsätzlich infrage gestellt.
Mit Wendisch (2016) stimme ich überein, dass eine symptomfixierte, störungsspezifische, kognitiv reduktionistische, den Therapieprozess und die Person des Therapeuten ausklammernde Sichtweise an ihre Grenzen gekommen ist. Es geht um die Weiterentwicklung von Therapieansätzen in Richtung »nicht-reduktionistische, transdiagnostische Behandlungsstrategien« (Wendisch, 2016, S. 13), die sich nicht einem medizinischen Paradigma unterwerfen (Wampold, 2012) und die, wie ich ergänzen möchte, auf einem werte- und ressourcenorientierten Menschenbild eines authentischen Therapeuten beruhen.
Diagnoseorientierte Behandlungspläne entsprechen nicht den – nur transdiagnostisch zu erfassenden – Wirkmechanismen der Dysregulation nach Belastungserfahrungen. Die Reduktion psychischer Abläufe auf kognitive Faktoren und ihre Folgewirkungen hat sich als unzureichend für die Behandlung primär emotionalen Prozessgeschehens erwiesen. Bedenkt man, dass die Effektivität kognitiv-behavioraler Verfahren für eine ihrer Kernanwendungen, der Behandlung von Depression, unter Berücksichtigung auch nicht veröffentlichter Studien bei .39 (Cohen‘s d) liegt (Driessen et al., 2015), wird die Notwendigkeit alternativer Behandlungsansätze evident.
Zur Frage des medizinisch-biologischen Reduktionismus möchte ich hier Klaus Grawe zitieren:
»Neuropsychotherapie, wie ich sie verstehe, versucht, das Gehirn zu verändern, aber sie befasst sich nicht in erster Linie mit dem Gehirn, sondern mit den Lebenserfahrungen, die ein Mensch macht.« (Grawe, 2004, S. 448).
Mit dem Paradigmenwechsel hin zur einer ätiologischen Orientierung in der Psychotherapie ist die Entwicklung zahlreicher neuer Therapieansätze verbunden, die von Psychotherapeuten zum Teil enthusiastisch aufgenommen werden und zunehmend Eingang in die klinische Praxis finden. Neben dem inzwischen etablierten EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing; Shapiro, 2012) sind u. a. Verfahren wie NET (Narrative Expositionstherapie; Schauer, Neuner, Elbert, 2005), IRRT (Imagery Rescripting & Reprocessing Therapy; Schmucker & Köster, 2014), PITT (Psychodynamisch Imaginative Traumatherapie; Reddemann, 2014), PC (Progressive Counting; Greenwald, 2013), TRIMB (Trauma Recapitulation with Imagination Motion and Breath; Spangenberg, 2016), traumabezogene Spieltherapie (Weinberg, 2006, 2010) und Strukturierte Traumaintervention (Weinberg, 2006) zu nennen.
Es ist in diesem Zusammenhang bemerkenswert, dass einige Methoden, insbesondere EMDR, das vor 20 Jahren als Behandlungsmethode für die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) begann, sich inzwischen zu Verfahren weiterentwickelt haben, die in der Behandlung unterschiedlichster Störungsbilder effektiv eingesetzt werden können.
Dieses Buch richtet sich an alle psychotherapeutisch tätigen Kolleginnen und Kollegen, vor allem an jene, die mit Kindern und Jugendlichen und deren Bezugspersonen arbeiten. Die Inhalte des Buches haben sich wesentlich aus der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen entwickelt, sind jedoch uneingeschränkt auf den Erwachsenenbereich übertragbar.
Die Darstellung des Störungsmodells ist bewusst schlank gehalten und beschränkt sich auf die Herleitung und Beschreibung der wenigen zentralen Elemente des Ansatzes. Eine vollständige Abhandlung aller theoretisch relevanten Bereiche (Entwicklungspsychologie, Interaktionsstile, Berücksichtigung störungsspezifischer Aspekte) ist nicht intendiert und widerspricht der Absicht des Autors, ein überschaubares, an der Pragmatik des klinischen Alltags orientiertes integratives Modell in einer Form darzustellen, die es klinisch Tätigen – auch zeitlich – erlaubt, das Buch nicht nur zu kaufen, sondern es auch zu lesen. Das Motto für das Buch und die darauf aufbauende therapeutische Arbeit lautet (Spangenberg, 2016): »Das Schwere leicht und das Komplizierte einfach machen.«
Mein besonderer Dank gilt zunächst meiner Frau Ruth, die meine Abwesenheit während der Wochen und Monate am Schreibtisch hinnehmen musste und mich durch ihr sprachliches und inhaltliches Korrekturlesen immer wieder auf den Weg der Einfachheit und Klarheit zurückbrachte. Dafür bin ich ihr von Herzen dankbar.
Mit Martin Sack verbinden mich eine langjährige Freundschaft und unzählige anregende, tiefgehende Diskussionen zur Klärung der eigenen Standpunkte und Menschenbilder. Ihm verdanke ich die ständige Ermutigung, mir treu zu bleiben und meinen therapeutischen Erfahrungsweg auszuformulieren.
Danken möchte ich auch den Kolleginnen und Kollegen in meinen Ausbildungsgruppen in »Spezieller Psychotraumatherapie mit Kindern und Jugendlichen (DeGPT)«, die mir in den letzten zehn Jahren mit ihren kritischen Einwänden und Anfragen immer wieder vor Augen geführt haben, wo ich meine Konzepte und klinischen Vorgehensweisen zu überdenken und zu modifizieren hatte.
Mein weiterer Dank gilt den vielen Klienten, ohne deren Vertrauen, Mut und Bereitschaft, sich im psychotherapeutischen Prozess auf ihre schmerzhaften Erfahrungen einzulassen, die Entwicklung dieses Ansatzes nicht möglich gewesen wäre.
Eine letzte Bemerkung betrifft die Wahl der Begrifflichkeit: Ich habe keine befriedigende Lösung für das Problem der geschlechtsspezifischen Anrede (»Der Therapeut«, »Der Klient«) gefunden und verwende die männliche Form ausschließlich der Lesbarkeit halber. Dabei bin ich mir der Tatsache bewusst, dass 75% der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten weiblichen Geschlechts sind.
Thomas Hensel
Offenburg, im Juni 2017
»Frage den Klienten nicht »Was stimmt mit dir nicht?«, frage »Was ist dir widerfahren?«
Dieses Kapitel vermittelt Ihnen in komprimierter Form die wesentlichen Aspekte der stressorbasierten Psychotherapie in ihrer theoretischen Fundierung und klinischen Praxis. Es soll Sie neugierig machen, sich in den darauffolgenden Kapiteln tiefergehend mit diesem Ansatz zu beschäftigen. Psychotherapeutische Modelle sind ja im Grunde Brillen, d. h. theoretische Konzepte, die wie alle wissenschaftlichen Modelle Seinsdeutungen und Handlungsorientierung geben (Ruschmann & Ruschmann, 2009). Sie haben die Funktion, klinische Komplexität in adäquater Weise zu reduzieren, um so eine Orientierung für die therapeutische Arbeit zu vermitteln (Kircher, 2012).
Der stressorbasierte Ansatz ist sich seines Modellcharakters bewusst und erfüllt die allgemeinen Bedingungen, die an wissenschaftliche Konzeptbildung gestellt werden (Widerspruchsfreiheit, Erklärung von Phänomenen, Überprüfbarkeit, Realitätsbezug, Wirksamkeit und Einfachheit). Insbesondere entspricht er mit seinen wenigen Grundannahmen einem bekannten wissenschaftstheoretischen Diktum, das Ockhams Rasiermesser genannt wird und das besagt, dass von mehreren möglichen Erklärungen desselben Sachverhalts die einfachste Theorie allen anderen vorzuziehen ist. Einfachheit impliziert eine geringe Anzahl an Grundkategorien und Axiomen, Kürze und Verständlichkeit von Argumentationsketten.
Ockhams Rasiermesser:
»Methodologisches Prinzip, demzufolge bei der Auswahl oder Konstruktion von Theorien stets die einfachste und dennoch ihren Zweck erfüllende ausgewählt werden soll.« (Rehfus, 2003, S. 648)
Der Ansatz bietet dem Therapeuten ein bestimmtes Verständnis psychischer Transformationsprozesse (Paradigma des Wirkfaktoren-Modells (Grawe, 1998, 2004)) auf Grundlage der Gedächtnisrekonsolidierung (Nadel et al., 2012) an, legt ihn aber nicht auf eine bestimmte therapeutische Methode fest. Der Autor ist explizit der Ansicht, dass es von Vorteil ist, als Behandler über unterschiedliche, wissenschaftlich fundierte Störungskonzepte (Brillen) zu verfügen.
Der Ansatz ist integrativ, sofern »die verwendeten Konzepte und die eingesetzten Methoden einen inneren Zusammenhang aufweisen.« (Kircher, 2012, S. 31). Es existiert ein einfacher und präziser Algorithmus für die klinische Praxis. Die einzusetzenden Techniken und Methoden erfüllen stets eine eindeutige Funktion. Kommt eine bestimmte Methodik zur Anwendung, etwa die motivierende Gesprächsführung (Miller & Rollnick, 2009), so ist deren Einsatz funktional durch das Ziel bestimmt. Der Klient soll seine Vermeidungstendenz gegenüber einer Exposition überwinden und eine explizite Absicht entwickeln, fokussiert mit dem Belastungsmaterial zu arbeiten.
Der Ansatz ist in alle psychotherapeutischen Ansätze – auch in klassische analytische Settings – integrierbar, da sich die therapeutische Arbeit immer auf einzelne, subjektiv belastende Erfahrungsmomente bezieht, die fokussiert prozessiert werden. Er ist transdiagnostisch angelegt, indem er – unabhängig von Diagnosen – jederzeit die Möglichkeit bietet, ätiologisch bedeutsame Stressoren zu bearbeiten.
Psychologische Störungsmodelle beinhalten immer – meist nicht explizierte – Menschenbildannahmen im Sinne anthropologischer Kernüberzeugungen über das Wesen des Menschen. Diese Therapeutenvariable stellt einen heimlichen Wirkfaktor im therapeutischen Prozess dar (Eckert & Biermann-Ratjen, 1991). Der stressorbasierte Therapieansatz orientiert sich an einem humanistischen Menschenbild (Rogers, 1973; Maslow, 1973). Er betont die grundsätzlich ressourcenhafte Ausstattung des Menschen und eine in ihm angelegte Tiefendimension. Die personale authentische Präsenz des Therapeuten (Allegianz) wird als zentraler Wirkfaktor im therapeutischen Prozess begriffen.
Am Beginn der modernen Psychotherapie stand die Erkenntnis Freuds und Janets, dass Erfahrungen interpersoneller Gewalt im Kindesalter die wesentliche Ursache für die Entstehung psychischer Störungen sind. Rund 100 Jahre später greift die moderne Psychotraumatologie diese Idee wieder auf. Die bahnbrechende Adverse Childhood Experience-Study (ACE-Studie; Felitti et al., 1998) konnte mit den Methoden der Epidemiologie zeigen, dass belastende Kindheitserfahrungen lebenslange schädigende psychische, physische und soziale Folgen haben. Die neurobiologische Forschung hat in eindrucksvoller Weise die Gesetzmäßigkeiten und Folgen dieses Schädigungsprozesses offengelegt (Anda et al., 2006) und nachvollziehbar gemacht. Diese Erkenntnisse verlangen einen neuen, ätiologisch orientierten Ansatz in der Psychotherapie, der sich wieder den realen Lebenserfahrungen der Klienten zuwendet. Forschungsergebnisse (Anders et al., 2012) weisen nachdrücklich darauf hin, dass es sinnvoll ist, von einem Stressorkontinuum auszugehen. Chronische belastende Alltagserfahrungen (Mobbing, Verluste, Kränkungen) sind in ihren Auswirkungen in gleicher Weise störungsinduzierend wie sogenannte potentiell traumatische Erfahrungen nach den Kriterien der Diagnosemanuale ICD und DSM.
In diesem Ansatz werden belastende Erfahrungsmomente in einer einfachen, quasikausalen Beziehung als Ausgangspunkt psychischer Dysfunktionalität verstanden. Belastende Lebenserfahrungen führen nur bei einer Minderheit von Personen zu psychischen Folgeproblemen. Bei den meisten Menschen stellt die gelungene Integration schwieriger Erfahrungen ein Entwicklungsmoment dar (Stärkung und Differenzierung der Person). Kommt es aber aufgrund ungünstiger Umstände und fehlender innerpsychischer Bewältigungsmöglichkeiten der Person, etwa bei Säuglingen und Vorschulkindern, zu einer sogenannten maladaptiven Verarbeitung, dann entwickelt sich eine chronische psychophysiologische Spannung, für die in der Psychotraumatologie der Begriff Stress als Konzept benutzt wird.
Historische Vorläufer des Stressmodells sind der klientenzentrierte Ansatz von Carl Rogers (Rogers, 1987), der eine verzerrte Symbolisierung von Erfahrungen als Grundlage psychischer Dysfunktion annimmt, und die Inkonsistenztheorie von Klaus Grawe (Grawe, 1998, 2004). Es gibt heute eine ganze Reihe weiterer Ansätze, wie zum Beispiel die Schematherapie (Young, Klosko & Weishaaar, 2005), die eigene Konzepte maladaptiver Verarbeitung entwickelt haben. Innerhalb der Psychotraumatologie sind es vor allem neurobiologische Modelle, die eine dissoziative Aufsplitterung bei der Konsolidierung von Erfahrungsmodalitäten (Wahrnehmen, Fühlen, Denken, Körperempfinden) in den verschiedenen Gehirnarealen (Amygdala, Hippocampus) als störungsverursachend betonen (van der Kolk, 2016).
Eine maladaptive Verarbeitung führt dazu, dass aus einer Belastungserfahrung ein subjektiv bedeutsamer Stressor wird. Bildlich gesprochen entsteht ein psychosomatisch wirksamer Entzündungsherd. Die Neurobiologie spricht hier von einer dysfunktional gespeicherten, pathogenen Erinnerung.
Die Konsolidierung einer Erfahrung als Stressor bleibt innerpsychisch nicht ohne Folgen, denn sie setzt zwei distinkte Prozesse in Gang.
Zum einen verbinden sich durch Lerngesetze (Generalisierung, Priming, Kindling) und Sensitivierungsprozesse der beteiligten Gehirnstrukturen aktuelle reizähnliche Wahrnehmungseindrücke assoziativ mit der biografischen Primärerfahrung. Diese Reizkonstellationen werden dann zu Auslösern, sogenannten Triggern, die die mit der früheren belastenden Erfahrung verbundenen Gefühle, Körperempfindungen und dysfunktionalen Selbstüberzeugungen oder die bereits etablierte kompensatorische Symptomatik auslösen.
Zweitens setzt das Vorhandensein eines chronischen psychischen Stressors eine gegenregulatorische Dynamik in der Psyche in Gang. Dieses kompensatorische Regulationsgeschehen, das auf Schutz und Ausgleich abzielt, hat einen Zwittercharakter. Einerseits wird das Bewusstsein vor Kontakt mit dem Stressor bewahrt, gleichzeitig entstehen aber auch dysfunktionale Symptomatiken.
Symptome und phänomenologische Störungsbilder (Diagnosen) werden in diesem Ansatz grundsätzlich funktional als stressorkompensatorisches Schema verstanden. Damit reiht sich dieses Modell in eine Reihe von transdiagnostisch orientierten Ansätzen ein, die sich an Wirkprinzipien orientieren, die unterhalb der Phänomenologie der Symptomatik angesiedelt werden (Berking, 2010; Dritte Welle der Verhaltenstherapie: Mansell, Heidenreich & Michalak, 2013).
Die drei Aspekte (biografisch bedeutsamer Stressor, Trigger (stressorassoziierte Strukturen) und kompensatorische Symptombildung) bilden neurobiologisch gedacht ein Netzwerk, das in diesem Therapieansatz eine zentrale Bedeutung einnimmt. Es wird als Stressornetzwerk bezeichnet.
Primärer therapeutischer Ansatzpunkt sind die unterschiedlichen Elemente des Stressornetzwerks, die auf singuläre Erfahrungsmomente heruntergebrochen und einer Nachverarbeitung unterzogen werden. Mit welchem Aspekt des Stressornetzwerks begonnen wird, ist nicht von grundsätzlicher Bedeutung und wird einvernehmlich mit dem Klienten festgelegt. Gelingt die nachträgliche adaptive Integration von Elementen des Stressornetzwerks in das Selbst des Klienten, entfällt die Notwendigkeit einer kompensatorischen Dynamik. Das Symptomgeschehen kann sich auflösen.
Die Frage ist nicht, ob ein Klient für ein stressorbasiertes Vorgehen geeignet ist, sondern mit welchem Aspekt des Stressornetzwerks begonnen werden soll.
Zusammenfassend zeigt die folgende Abbildung das Störungsverständnis des stressorbasierten Ansatzes mit seinen Kernelementen ( Abb. 1).
Ein Psychotherapieansatz verlangt nicht nur ein Modell für die Entstehung psychischer Störungen. Er braucht auch ein zugrundeliegendes Heilungsverständnis. Die stressorbasierte Psychotherapie orientiert sich am Wirkfaktorenmodell von Klaus Grawe (Grawe, 1998, 2004) und dem neurobiologischen Paradigma der Gedächtnisrekonsolidierung (Ecker, Ticic & Hulley, 2016).
Lange Zeit war der Grundsatz emotional memories are forever (van der Kolk & Fisler, 1995), das sogenannte Extinktionsparadigma, maßgebend für die Konzipierung therapeutischer Strategien. Wenn davon ausgegangen wird, dass sich die einmal konsolidierten (Furcht-)Emotionen (in der Amygdala) im Nachhinein nicht mehr verändern lassen, kann es in der Psychotherapie im Grunde nur noch darum gehen, gegenregulative Kräfte und Fähigkeiten aufzubauen und zu stärken. Alle Formen dieser Art von extinktionsorientierter Psychotherapie (Skill-Training; kognitive Strategien wie der Gedankenstopp; Einüben alternativer Verhaltensweisen usw.) können unter den Begriff der gegenregulatorischen therapeutischen Aktivitäten gefasst werden.
Heute weiß man aus der Forschung zur Gedächtnisrekonsolidierung (Björkstrand et al., 2015; Beckers & Kindt, 2017), dass der dysfunktionale emotionale Aspekt einer biografischen Primärerinnerung dauerhaft transformiert werden kann. Dies lässt sich auf der neurobiologischen Ebene (Schiller et al., 2010; Merlo, Milton, Goozee, Theobald & Everitt, 2014) ebenso nachweisen wie auf der Ebene der psychischen Phänomene. Das belastende emotionale Erleben löst sich dauerhaft auf, der Klient ist anstrengungsfrei nicht mehr in der Gefahr, getriggert zu werden.
Die Entdeckung dieses neurobiologisch fundierten Selbstheilungsmechanismus eröffnet ganz neue psychotherapeutische Möglichkeiten. Nun steht nicht mehr die Kontrolle belastender Gefühle und dysfunktionalen Verhaltens im Mittelpunkt therapeutischer Aktivitäten, sondern die unmittelbare Beeinflussung maladaptiv gespeicherter Erinnerungen. Werden diese unter Rekonsolidierungsbedingungen nachverarbeitet, sollte sich die Symptomatik spontan von selbst auflösen, da innerpsychisch keine Notwendigkeit eines kompensatorischen Geschehens mehr besteht.
Abb. 1: Störungsmodell des stressorbasierten Ansatzes
Dieses Verständnis psychischer Transformationsprozesse bildet die Basis des stressorbasierten Therapieansatzes. Er erlaubt die Anwendung unterschiedlicher Methoden, sofern diese sich auf das Rekonsolidierungsparadigma beziehen (EMDR (Solomon & Shapiro, 2008), Emotionsfokussierte Therapie (Greenberg, 2011), Kohärenztherapie (Ecker, Ticic & Hulley, 2016), Progressive Counting (Greenwald, 2013), Ressourcenorientierte narrative Traumatherapie (ResonaT; Hiller & Hensel, 2017)) oder dieses implizit enthalten (TRIMB (Spangenberg, 2016), IRRT (Schmucker & Köster, 2014), Bindungstherapie (Weinberg, 2010)).
Methodisch zu arbeiten heißt keineswegs, die Tiefe der menschlichen Begegnung dafür opfern zu müssen. Das Gegenteil ist der Fall: Die authentische Präsenz des Therapeuten als zentrale Beziehungsdimension und seine fachliche Kompetenz sind der Sicherheit gebende Rahmen, ohne den sich psychotherapeutische Transformationsprozesse nicht entwickeln können. Der stressorbasierte Ansatz arbeitet nicht durch die Beziehung (Übertragungsgeschehen, klassischer klientenzentrierter Ansatz), sondern in einer (Coaching-)Beziehung, die dem Klienten einen Rahmen bietet, seine Ressourcen und Selbstheilungskräfte für eine autonome Nachverarbeitung dysfunktional gespeicherter Erinnerungen nutzbar zu machen.
Das Beziehungsangebot soll dazu beitragen, dass der Klient ein ausreichendes Maß an Vertrauen gegenüber dem Therapeuten und seinem Vorgehen entwickelt. Der Klient soll sich in der Nachverarbeitung der Belastungsmomente geschützt, sicher und in Kontrolle empfinden.
Die Basis dieses Beziehungsverständnisses bilden die drei Grundhaltungen des personzentrierten Ansatzes (Rogers, 1983) – nicht an Bedingungen gebundene positive Wertschätzung, empathisches Verstehen, Authentizität – sowie Spezifizierungen nach Grawe (1998, 2004) – komplementäre Beziehungsgestaltung, pervasiv ressourcenorientierte Haltung. Angesichts der oft existentiellen Dimension der leidvollen Erfahrungen der Klienten ist ein Kontakt zur eigenen Tiefendimension und ein reflektiertes Weltverständnis für den Therapeuten ebenfalls von Bedeutung.
Stressorfokussiert zu arbeiten, d. h., die emotionalen Hotspots des Klienten unmittelbar anzusteuern, erfordert zusätzlich die Realisierung spezifischer Haltungsdimensionen. Der Therapeut ist in diesem Fall nicht nur unerschrockener Prozessbegleiter, sondern auch Experte für die Strukturierung der Inhalte.
Ausgehend von einer ätiologischen Orientierung psychischer Störungen fokussiert die stressorbasierte Behandlungsplanung eine zügige Identifizierung und Nachverarbeitung von Aspekten des Stressornetzwerks. Auf dieses Ziel hin orientieren sich die therapeutischen Aktivitäten. Das Stressor-First-Prinzip spiegelt die ätiologische Sichtweise wider, in der davon ausgegangen wird, dass die vorrangige Prozessierung von subjektiv bedeutsamen Stressoren den größten Gewinn für den Klienten darstellt. Damit verbunden ist die bewusste Reduktion klinischer Komplexität durch das Herunterbrechen von Themen auf einzelne belastende Erfahrungsmomente, die dann bearbeitet werden. Etwa kann das Thema einer Jugendlichen Stress in der Schule auf die fünf schlimmsten Erfahrungen in diesem Bereich fokussiert werden.
Da im Prinzip alle Stressoren gleich prozessiert werden können, liegt der Schwerpunkt der Aufmerksamkeit des Therapeuten weniger auf den Inhalten als auf der Anbahnung und Moderierung des Verarbeitungsprozesses. Neben dieser Prozessorientierung weist der Ansatz auch eine Phasenorientierung auf. In der Vorbereitungsphase wird die Grundlage für die Stressorfokussierung geschaffen. Die Nachverarbeitung stellt den Kern der therapeutischen Tätigkeit dar. Dies alles geschieht in flexibler, der Person des Klienten angepasster Weise.
Die Phase der Vorbereitung – und es wird hier bewusst nicht der Begriff Stabilisierungsphase gewählt – folgt einem definierten Algorithmus, der sicherstellen soll, dass zügig eine solide Basis für die Nachverarbeitung entwickelt wird. Die einzelnen Schritte in ihrer Abfolge lauten: Information (Anamnese) – Behandlungsplanung – Psychoedukation – Motivation – informiertes Einverständnis. Ist ein informiertes Einverständnis mit dem Kind und seinen Bezugspersonen erreicht, wird geprüft, ob es weiterer vorbereitender Maßnahmen (Herstellung äußerer Sicherheit, Bezugspersonenarbeit, Ressourcenentwicklung usw.) bedarf und ob die Kriterien für den Übergang zur Prozessierung erfüllt sind.
Die psychische Transformation maladaptiv gespeicherter Erinnerungen ist in diesem Ansatz die eigentliche therapeutische Arbeit. Es ist nicht entscheidend, mit welchen Aspekten des Stressornetzwerks die Arbeit begonnen wird, sodass die Sequenzierung der zu bearbeitenden Themen und Erfahrungen ganz den Bedürfnissen des Klienten angepasst werden kann. Der zugrunde gelegte Wirkmechanismus lässt eine große methodische Vielfalt bei der Nachprozessierung zu. In den letzten Jahren wurde eine wachsende Anzahl von klinisch wirksamen Methoden entwickelt, die auf das Rekonsolidierungsprinzip bezogen werden können. Diese Vielfalt bietet dem Therapeuten weitere Möglichkeiten, entsprechend den eigenen individuellen Neigungen mit unterschiedlichen Bällen zu jonglieren und eine Passung mit den Bedürfnissen des Klienten herzustellen. Eine subjektive, an den Erfahrungen und Neigungen des Autors orientierte Auswahl an Methoden wird in Kapitel 11 vorgestellt.
Der in diesem Buch vorgestellte Behandlungsansatz ordnet sich in die aktuelle Entwicklung von Psychotherapiemethoden ein, die sich auf die Erkenntnisse der modernen Psychotraumatologie beziehen (Shapiro, 2012; Reddemann, 2014; Schauer, Neuner & Ebert, 2005) und transdiagnostisch an tieferliegenden Störungs- und Heilungsfaktoren interessiert sind (Berking, 2010). Mit Wendisch (2016) gehe ich davon aus, dass die Zeit reif ist für eine postkognitive und nicht am medizinischen Paradigma orientierte Sichtweise von Psychotherapie.
Durch seine bewusste Reduktion auf eine geringe Anzahl von Kernaspekten bietet der stressorbasierte Ansatz in der klinischen Arbeit wesentliche Vorteile:
• Es wird ein einfaches Störungsmodell entworfen, das aus wenigen Elementen besteht, die in einem – auch für den Klienten – unmittelbar nachvollziehbaren Zusammenhang stehen.
• Die bewusste Schlichtheit der Modellbildung erlaubt eine erhebliche Reduktion der klinischen Komplexität des psychischen Geschehens, ohne dass die Präzision therapeutischer Handlungsoptionen darunter leidet.
• Durch einen von der spezifischen kompensatorischen Symptombildung unabhängigen einheitlichen Behandlungsalgorithmus wird der Therapeut sehr entlastet.
• Das Modell ermöglicht ein zügiges und schonendes Arbeiten an störungsrelevanten Aspekten.
• Als stressorfokussierender Ansatz ist er jederzeit (auch punktuell) in andere Behandlungsmodelle integrierbar.
»Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung ändern kann.«
(Francis Picabia)
Jeder psychotherapeutischen Ausrichtung liegen explizit und/oder implizit Vorstellungen vom Menschsein zugrunde. In den 1970er-Jahren trafen die meisten Psychotherapeuten auf Grundlage des eigenen Menschen- und Weltbildes eine bewusste Entscheidung über ihre therapeutische Ausrichtung. Heute finden sich in Lehrbüchern über Psychologie und Psychotherapie nur noch selten explizite Aussagen zu diesem Thema, obwohl Welt- und Menschenbilder wesentlich die Haltung des Therapeuten – und auch des Klienten – prägen und einen großen Einfluss auf seine Ausrichtung und Befindlichkeit haben (Ruschmann, 1999).
Wissenschaftstheoretisch gesprochen setzt jede Theorie ein allgemeines Modell voraus, an dem die theoretischen Konzepte orientiert sind. Menschenbildannahmen (vortheoretische Modelle) haben dabei einen alles durchdringenden Effekt auf die Konstruktion von Theorien. Jedes neue Modell konstituiert eine neue psychische Wirklichkeit. Nach Stachowiak (1980) hat sich ein Liberalisierungsprozess in der wissenschaftlichen Modellbildung vollzogen, »der für den Erkenntnisprozess von einer gewissen Wahlfreiheit in der Konstruktion von Erkenntnis- und Handlungsmodellen ausgeht.« (Stachowiak, 1980, S. 66).
Erkenntnismodelle haben die Funktion, Seinsdeutungen und Handlungsorientierungen zu geben (Ruschmann & Ruschmann, 2009) und bieten dadurch die Möglichkeit der Reflexion und Revision.
Psychotherapeutische Modelle umfassen zunächst anthropologische Kernannahmen über die wesenhafte Natur des Menschen (Persönlichkeitstheorie), beantworten dann die Frage, wie psychische Störungen entstehen (Krankheitslehre) und wie Heilungsprozesse zu verstehen und zu unterstützen sind (Wirkfaktorentheorie; Finke, 2004). Weil die der therapeutischen Praxis zugrundeliegenden Überzeugungen in der Regel implizit sind und die Forschung zu diesem Thema marginal ist, sprechen Eckert & Biermann-Ratjen (1991) von einem heimlichen Wirkfaktor im therapeutischen Prozess.
Da die Psychotherapeuten in der Wahl ihres Welt- und Menschenbildes frei sind, ist es erforderlich, sich der eigenen, meist impliziten Grundannahmen bewusst zu werden. Als Traumapsychotherapeut ist man mit existentiellem Leid von Menschen konfrontiert. Es braucht eine Tiefe im eigenen Selbst- und Weltbezug, um gegenüber den oft extremen Erfahrungen der Klienten (Verluste, Todesnähe, Verstümmelungen, Erfahrungen massiver interpersoneller Gewalt und Verrat) eine innere Offenheit und Akzeptanz bewahren zu können.
»Mit den passenden Schuhen vergisst man die Füße.«
(Zhuangzi; chin. Philosoph 4.–3. Jh. v. Chr.)
In der Psychotherapieforschung sind zwei allgemeine Wirkfaktoren anerkannt. Unter Allianz wird die Fähigkeit des Therapeuten verstanden, mit dem Klienten eine förderliche Beziehungsqualität zu entwickeln. Allegianz bedeutet das Ausmaß, in dem der Therapeut in seiner therapeutischen Tätigkeit von der Wirksamkeit der von ihm durchgeführten Therapie überzeugt ist und selbst als Modell das zugrundeliegende Menschen- und Therapiemodell authentisch – implizit und explizit – verkörpert. Die reife Identifizierung mit einem bewussten, auf einem Menschenbild gegründeten Therapieverständnis stellt einen zentralen Faktor des methodenübergreifenden Wirkfaktors AllegianzHerzblutverfahren