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Über dieses Buch:

Seit Thronprinzessin Lynn verschwunden ist, herrscht Chaos im Reich – die perfekte Chance für die intrigante Lady Siobhán, endlich nach der Macht zu greifen. Nur Lynns treueste Diener durchschauen Siobháns Machenschaften und setzen alles daran, sie aufzuhalten. Doch werden sie es schaffen, die junge Prinzessin rechtzeitig zu finden? Unerwartete Hilfe bekommen sie von den Geschwistern Mac und Muire. Doch schnell wird klar, dass die beiden ein gefährliches Geheimnis hüten, das die ganze Mission gefährdet …

Ein Wettlauf gegen die Zeit: Der atemberaubende Showdown der Wolfsbraut-Saga!

Über die Autorin:

Kaitlyn Abington ist das Pseudonym einer erfolgreichen Autorin. Nach ihrem Studium der Germanistik, Pädagogik, Theologie und Kunstgeschichte hat sie unter ihrem Klarnamen mehrere erfolgreiche Krimis, historische Romane und Kinderbücher veröffentlicht.

Bei dotbooks erscheint Kaitlyn Abingtons Romantic-Fantasy-Reihe »Wolfsbraut«, die folgende Bände umfasst:

»Der Traum« – Erster Roman
»Der Fluch« – Zweiter Roman
»Die Entscheidung« – Dritter Roman
»Das Geheimnis« – Vierter Roman
»Die Erfüllung« – Fünfter Roman

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Originalausgabe November 2017

Copyright © der Originalausgabe 2017 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Redaktion: Birgit Förster

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Yurih Zhvarvov

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (sh)

ISBN 978-3-96148-066-1

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Kaitlyn Abington

Wolfsbraut

Die Erfüllung

Fünfter Roman

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Kapitel 1

Lynn

Von außen hatte das Kloster wie eine vor Urzeiten aus dem Fels herausgewachsene Festung gewirkt und ich fragte mich, ob ich jemals davon gehört hatte. Im Innern blieb der festungsartige Eindruck nur teilweise erhalten. Zwei ältere Nonnen führten mich durch lange, aber luftige Gänge und durch einige offene Höfe, in denen Kräuter in gut gepflegten, von Steinen eingefassten Beeten gediehen. In jeden Gang fiel von irgendwo Licht herein, in die Höfe sowieso, deren Mauern mit zierlichem, grasgrünem Farn und kleinen blauen und gelben Blumen bewachsen waren, die hier und da aus den Fugen ins Licht strebten. Eine unglaubliche Stille herrschte hier.

Der Ort hatte für mich etwas Magisches, der gewöhnlichen Welt Enthobenes. Auf meine Nachfrage hin erklärte mir eine meiner Begleiterinnen, dass das Kloster keiner bestimmten Glaubensrichtung angehörte und sowohl von Mönchen als auch von Nonnen bewohnt wurde. Wir befanden uns auf dem Weg in den Trakt, der den Nonnen vorbehalten war.

Als wir wieder einen Hof durchquerten, der an einer Seite nur von einer nicht sehr hohen Mauer begrenzt wurde, fragte ich: »Wo liegt das Kloster überhaupt?«, und deutete auf die nebelige Aussicht, die sich von hier ergab.

»Am Meer«, antwortete eine der Frauen freundlich. Den Rest des Weges legten wir schweigend zurück, was mir nur recht war, und sie stellten mir keine Fragen, was mir noch mehr gelegen kam. Mehr und mehr war mein Geist mit dem beschäftigt, was Bactrian gesagt hatte.

Die Nonnen brachten mich zu meiner Überraschung in ein großzügig angelegtes Badehaus mit weiß gekalkten Wänden und schlichten eisernen Feuerschalen, in den Kohlen glühten, angenehme Wärme verbreitend. Die Luft war von Kräuterduft erfüllt, der sich wie Balsam auf die Seele legte. Eigentlich hatte ich auf eine Mahlzeit gehofft, denn inzwischen hatte sich ein kräftiger Hunger bei mir gemeldet, aber als ich den marmornen Badezuber sah, wurden andere, ebenso dringende Wünsche wach.

Es war, als hätte man mich erwartet, dachte ich überwältigt, denn da gossen zwei junge Frauen oder Mädchen dampfendes Wasser in die bereits zur Hälfte gefüllte Wanne.

Die Nonnen überließen mich den Mädchen, die lange Schürzen vorgebunden trugen und mich ohne große Umstände schweigend auskleideten und in die Wanne mit diesem wunderbar warmen Wasser setzten. Sie reichten mir einen Badeschwamm und ein großes, nach Rosen duftendes Stück Seife und ließen mich allein.

Was für ein überwältigender Luxus! Niemand, der nicht schon Ähnliches wie ich in den vergangenen Wochen erlebt hat, kann ermessen, wie wohltuend so ein Bad in einer schlichten, schönen, geräumigen Badestube ist. Es gab hier nirgendwo glasierte, mit Ornamenten verzierte Kacheln, auch keinen hübschen Schnickschnack wie geschliffene Karaffen mit Badeölen, und dennoch hätte der Raum nicht einladender wirken können.

Den Kopf an den Wannenrand gelehnt, schloss ich die Augen und genoss die Stille und das Gefühl von Sicherheit. Ich hatte nur noch den Wunsch, in Frieden eine Weile zu dösen – wenn sich nicht die Erinnerung an die rätselhafte Bemerkung des Abts über dieses Kind geregt hätte. So sehr ich mich auch nach vollkommener Entspannung sehnte, seine Bemerkung zwang mich zum Nachdenken. Widerwillig öffnete ich die Augen, ließ den Schwamm los und blickte durch das klare Wasser auf meinen nackten Körper.

Was mir vorher nicht aufgefallen war, weil ich seit Wochen kaum auf mich selbst geachtet hatte, trat nun deutlich hervor: Mein Bauch zeigte eine unvertraute Wölbung. Nein, das war nicht richtig. Ich hatte gedacht, diese Wölbung sei das Ergebnis des besseren Essens daheim. Allerdings hatte ich, seit ich mich auf die Suche nach Ulf gemacht hatte, eher weniger gegessen. Und oft genug hatte ich das Wenige erbrochen. Aber die Wölbung war mir erhalten geblieben, sie war sogar noch größer geworden. Und noch etwas fiel mir ein: Meine Periode war ausgeblieben, länger schon, aber da sie sich ohnehin nur unregelmäßig einstellte, hatte ich nichts darauf gegeben. Mir schwante nun, was der Abt gemeint hatte.

Ich begann wieder zu zittern.

Äußerst behutsam legte ich eine Hand auf diese Wölbung und erkannte die Geste Beiths wieder: Genau so hatte sie ihre Hand auf ihren Leib gelegt, und nun wusste ich, warum. Hatte sie geahnt, dass auch ich schwanger war? Was hatte sie deshalb zu Aneirin gesagt, das ihn veranlasst hatte, über mich herzufallen?

In seinem Zorn hatte er mich Hure genannt. Ich schlug die Hand vor den Mund und begann zu schluchzen, ich konnte nicht mehr aufhören, legte die Wange an den Rand der Wanne und verharrte so. Ich wusste nicht einmal genau, warum ich weinte, nur fühlte ich mich so unsäglich unglücklich und verlassen.

Nach einer Weile kehrten die Mädchen zurück. Als eines sah, dass ich weinte, legte es mir die Hand auf die Schulter, und ich begann mich zu fassen, halbwegs getröstet von dieser schlichten Geste.

»Danke, es geht schon wieder.«

Zaghaft griff ich nach dem Schwamm und begann mich zu waschen.

Sie hatten frische Wäsche und ein loses, weich fallendes Gewand aus angenehm schmiegsamem Stoff für mich mitgebracht, halfen mir aus der Wanne, trockneten mich behutsam ab und kleideten mich an. Alles, was sie für mich taten, geschah in einer Ruhe und mit einer unaufdringlichen Freundlichkeit, die nicht ohne Wirkung blieb. Es ging mir besser, so einiges von der Bedrücktheit und Verzweiflung, die mich gerade noch erfasst hatte, fiel von mir ab. Den Gedanken an das Kind verdrängte ich erst einmal.

Eines der Mädchen, das ältere der beiden, brachte mich in eine Kammer, die mit nicht viel mehr als einem Bett, einem kleinen Tisch samt Lehnstuhl und ein paar Haken an der Tür ausgerüstet war, die aber wieder durch ihre Größe, die hellen Wände, den schimmernden Holzfußboden und die gut gearbeiteten Möbel und die Aussicht auf das Nebelmeer alles andere als karg wirkte. Irgendein Zauber war hier wirksam.

Auf dem Tisch stand ein kleiner, verlockender Imbiss für mich bereit.

»Ruh dich erst einmal aus. Schlaf, wenn du kannst. Wir sehen in ein paar Stunden nach dir und fragen, was du hier noch benötigst«, sagte das Mädchen freundlich. Sie war eine junge Frau in meinem Alter mit hübschen blonden Locken und Grübchen in den Wangen, wenn sie lächelte.

»Ich danke dir, ich danke dir von Herzen«, erwiderte ich. »Wie heißt du?«

»Oh.« Sie zögerte.

»Ist das ein Geheimnis? Du brauchst mir nur einen Namen zu nennen, mit dem ich dich anreden kann.« Vielleicht sollte ich mir baldigst einen Namen überlegen, mit dem man mich hier anreden konnte. Ich musste erst noch darüber nachdenken, ob es klug war, dem Abt meine Identität zu verraten. Danach gefragt hatte er nicht. Und ich musste noch über vieles andere nachdenken. Beinahe hätte ich die Antwort der Magd nicht mitbekommen.

»Du kannst mich Sheila nennen«, hauchte sie und huschte hinaus.

Na bitte, dachte ich, das war doch gar nicht so schwer.

Nach meinem Imbiss entdeckte ich, dass eine Galerie, ein offener Umgang, vor meiner Kammer herlief, und trat durch eine schmale Tür ins Freie. Ich lehnte mich an die Wand hinter mir und schaute auf das immer noch nebelverhangene Meer hinaus, das hier und da im milchigen Sonnenlicht glitzerte.

Ich dachte an Ulf.

Ich dachte an unser Kind.

Es würde das Kind eines Wolfs sein.

Unvermittelt meldete sich wieder die Übelkeit.

Eadha

Kyle kam nur noch halb zu Bewusstsein. Wenn er wach schien, starrte er uns an, als wüsste er nicht, wer wir waren noch wo er sich befand. Ebenso zweifelhaft war, ob er noch wusste, wer er selbst war. Mit größter Mühe gelang es uns, ihm nahrhafte Flüssigkeiten zu verabreichen, damit er uns zumindest körperlich nicht vollends entkräftet wurde. Vom dritten Tag seiner Erkrankung an übernahmen zwei Schwestern unter Aufsicht des Arztes, der aus der Hauptstadt eingetroffen war und sich bei uns einquartierte, die Pflege. Lady Siobhán konferierte viel mit ihm, saß stundenlang am Bett des Kranken und versuchte, ihn zum Sprechen zu bewegen, zu einem Zeichen von erwachender Verständigkeit, indem sie selbst pausenlos auf ihn einredete. Ich hätte sie gern daran gehindert. Kyle brauchte Ruhe, meiner Ansicht nach. Das Geschwätz seiner Schwester verwirrte ihn nur noch mehr.

Der Arzt sprach von einem Schlaganfall, dafür seien die Sprachstörungen ein sicheres Indiz. Er hatte mich sehr genau danach befragt, was sich in der Nacht ereignet und wie sich Kyle verhalten hatte. Er erfuhr von mir, wie Kyle um Worte gerungen hatte, aber ich behielt für mich, was er gesagt hatte, das erschien mir vorerst besser.

Ich hatte aber den Verdacht, dass der Arzt nicht wirklich wusste, woran der König litt, er äußerte nur Vermutungen. Ein zweiter Arzt wurde hinzugezogen, aber er konnte auch nicht mehr dazu sagen. Beide fühlten mehrmals am Tag den Puls, horchten das Herz ab, leuchteten Kyle mit Lampen in die Augen, um deren Reaktion zu überprüfen, und schrieben Rezepte für die besten Apotheker der Stadt. Auf einem Tisch nahe am Bett sammelten sich Pillen und Tinkturen aller Art an. Von einer bekam Kyle einen heftigen Hautausschlag, von einer anderen, die ihm eingeflößt werden musste, röchelte er so, dass wir einen Atemstillstand befürchteten, aber wider Erwarten erholte er sich, allerdings nur so weit, dass er wie gehabt ohne Verstand vor sich hin dämmerte.

Der Schlaganfall wurde amtlich festgestellt und in einem weiteren Schritt die Regierungsuntauglichkeit des Königs. Im Geheimen dachte ich, dass es dazu kaum des Schlaganfalls bedurft hätte.

Aber wer sollte nun seine Stellvertretung übernehmen?

Ja, wer wohl?

Cam

Es war die denkwürdigste Sitzung der Volksvertreter, der ich als stummer Beobachter beiwohnen durfte. Die Nachricht von der Erkrankung des Königs trieb sie in größerer Zahl ins Schloss als jemals zuvor. Einige hatten sich erst vor einer Woche von den Sitzungen beurlaubt, weil angeblich Ernten eingebracht werden mussten oder sonstige dringende Geschäfte bei ihnen zu Hause ihre Aufmerksamkeit erforderten. Ich vermutete aber, dass sich etliche zu langweilen begonnen hatten. Alle diese Abtrünnigen kehrten nun zurück.

Die Krankheit des Königs wurde als das dringendste Thema gleich zu Anfang besprochen. Die Versicherung zweier Ärzte, die in der Sitzung als Experten auftraten, dass eher mit dem Ableben Kyles als mit seiner Genesung zu rechnen sei, löste große Betroffenheit aus. Einer der Volksvertreter stand auf, den Hut in der Hand, nach kurzer Pause ein weiterer und dann standen alle mit leidvoll gesenkten Köpfen und sprachen gemeinsam mit getragenen Stimmen und tiefer Inbrunst ein Gebet für die Genesung. Etlichen standen Tränen in den Augen. Es war ein erhabener Moment, den ich im Gedächtnis behalten wollte.

Sobald alle wieder Platz genommen hatten, fragte der Abgesandte von Armadale nach der Kronprinzessin und forderte Lady Siobhán als Vertreterin der königlichen Familie auf, deren lange Abwesenheit zu erklären.

Eine durchaus heikle, wenn auch berechtigte Frage. Und dennoch hätte ich dem Herrn Abgeordneten im Nachhinein gern eine Handvoll Pferdeäpfel ins Maul gestopft oder einen Eimer mit Eiswasser über den Kopf gestülpt, einfach alles Notwendige getan, um ihn am Reden zu hindern.

Denn kaum war er fertig, kochte der Saal über vor erregten Stimmen, die sich gegenseitig überschrien, um sich Gehör zu verschaffen. Der Vorsitzende der Versammlung stieg auf den Tisch und klopfte mit aller Energie mit seinem Stock auf die Platte, bis etwas Ruhe einkehrte. Ich fühlte mich an manche lebhafte Diskussion in Arkas’ Bärenburg erinnert, an der sich Wildschweine, Bären und Luchse beteiligten, die gelegentlich einen zivilisierteren Eindruck machten als die durch und durch menschlichen Vertreter dieses Landes.

Es war mir ein Graus.

Lady Siobhán musste bekennen, dass Lynn vermisst wurde, und das nicht erst seit gestern. Durch wiederholtes Nachbohren vonseiten Armadales sprach sie ihr großes Bedauern darüber aus, dass ihre Bedenken gegen Lynns Vorhaben, sich allein auf die Suche nach ihrem Verlobten zu machen, von der Kronprinzessin in den Wind geschlagen worden waren. Und der König hatte die Absichten seiner Tochter gebilligt!

Ich konnte gut sehen, wie wütend manche Vertreter diese neue Information aufnahmen. Noch haderten sie damit, als Siobhán mit Bedauern bekannte, dass sich der König auch bis fast zuletzt dagegen gewehrt hatte, mit großem Aufgebot von Polizei und Soldaten das Land nach Lynn und Ulf zu durchkämmen. Von der Gefahr durch versprengte, übrig gebliebene Bialowizen war dabei ebenfalls die Rede.

Die ganze Zeit hatte ich den Eindruck, die Lady habe jeden Satz, den sie sagte, vorher auswendig gelernt und vor dem Spiegel geprobt.

Kurz gesagt, sie spielte ihre Karten so geschickt aus, dass am Ende kein gutes Haar mehr an Kyle blieb. Sie dagegen glänzte im Licht ungebrochener Tatkraft und Vernunft durch eine schwungvolle Lobrede Armadales und niemand durchschaute, wie gut die beiden zusammenarbeiteten.

Danach wurde sie mit einer großen, aber nicht überwältigenden Mehrheit zu Kyles Stellvertreterin gewählt. Mit diesem Votum ausgestattet – tatsächlich hatte ja nur der Kronrat über die Stellvertretung zu bestimmen –, verfasste Lady Siobhán ein Schreiben an den Rat. Ich habe es gesehen, da es durch meine Hände ging beziehungsweise durch die meines Sekretärs. Eine intrigante Meisterleistung!

Der Staatsminister reiste aus der Hauptstadt an, zufällig hörte ich die Unterhaltung, da ich persönlich den beiden aufwartete. Der Kronrat stimmte dem Antrag der Volksvertreter zu, allerdings nur für die Zeit von König Aengus’ Erkrankung, im Falle seines Todes sah die Sache wieder anders aus. Er hoffte sehr, dass bis dahin die Kronprinzessin wieder aufgetaucht oder zumindest ihr Schicksal geklärt sei. Er ließ keinen Zweifel daran, dass Lynn Kyle auf den Thron folgen müsse – nicht Siobhán.

Die Lady zeigte sich, mit einem katzenhaften Lächeln, vollkommen zufrieden mit dieser Regelung.

Mir dagegen schwante nur noch größeres Unheil.

Eadha

Zwei Tage nach der Ernennung Siobháns zur offiziellen Regentin während der Krankheit Kyles wurde ich in ihr Arbeitszimmer gerufen – eigentlich Kyles Arbeitszimmer. Sein Privatsekretär lag bereits seit einer Woche mit einer schweren Sommergrippe darnieder, sodass auch er gegen die Okkupation nicht einschreiten konnte. Sie ließ Tee kommen und begann mit einem netten harmlosen Geplauder über Zipperlein und Haushaltsführung. Leider hatte sie mich in einem ungünstigen Moment erwischt. Muire, der ich so sehr vertraut hatte, hatte sich als gemeine Diebin entpuppt. Daher war ich nicht so aufmerksam und auf der Hut, wie es ratsam gewesen wäre.

»Ich mag gar nicht daran denken, mit welchen freudvollen Erwartungen ich hier eingetroffen bin. Ich war so beseelt von dem Gedanken einer königlichen Hochzeit. Ich liebe Hochzeiten. Sie nicht? Wie war Ihre eigene? Und wann? Das hatte ich schon immer mal fragen wollen.« Ihr Gerede klang so beiläufig, während sie sich ihrer Gewohnheit gemäß viel zu viel Zucker in ihren Tee löffelte. Angelegentlich drehte sie den Silberlöffel anschließend in der Hand, als gäbe es eigentlich nichts Wichtigeres als das königliche Wappen darauf.

Mir fiel keine unverfängliche Antwort ein.

»Ach, das ist schon eine Weile her. Und nicht zu vergleichen mit einer königlichen Hochzeit. Eine ganz schlichte Zeremonie.«

»Sicherlich schlicht, es muss ja im Krieg gewesen sein. Oder kurz danach? Einer der älteren Bediensteten hier im Schloss hat jedenfalls behauptet, dass Sie und Sir Cam-Shron vor Ausbruch der Kämpfe nicht verheiratet gewesen waren. Es sei denn, er verwechselt sie beide. Kann das sein? Etwas einfältig oder geistesschwach kam er mir schon vor. Nicht mehr ganz auf der Höhe geistig.«

Ich fragte mich kurz, wer das gewesen sein könnte, mit dem sie gesprochen hatte. Es gab einige wenige Bedienstete, die vor dem Krieg hier Dienst taten, und nicht alle waren geistesschwach. Eigentlich gar keiner.

Ohne Zweifel hatte sie Erkundigungen eingezogen, vermutlich durch ihre Zofen, und wusste nun zu viel über Cam und mich. Meine Hand lag auf meiner Rocktasche, in der ich etwas verbarg. Lynns Aquamarindiadem, das sie von ihrer Mutter geerbt hatte und das sie so sehr liebte. Es gehörte zum Kronschatz und wurde immer von Königin zu Königin vererbt. Wie konnte die dumme Muire auf den Gedanken kommen, es zu stehlen? Das machte mich ganz krank und hilflos, und ich war drauf und dran, der Lady zu gestehen, dass Cam und ich – der ehemalige Kammerdiener und die alte Aufpasserin der Prinzessin – gar nicht verheiratet waren. Aber etwas hielt mich davon ab. Vielleicht weil Siobhán mit ihrem Ränkespiel in der Abgeordnetenversammlung so gut durchgekommen war. Es machte mich wütend.

»Ganz recht, Mylady. Und würden Sie uns bei Gelegenheit den Diener benennen? Sir Cam-Shron findet sicher etwas für ihn, wo er seine Altersruhe genießen kann. Aber das eilt nicht. Nur würde ich mich nun gern verabschieden, Sie wissen ja, wie aufwendig eine Haushaltsführung wie diese ist.«

Sie nickte huldvoll und ich erhob mich, um zu gehen. Ich hatte die Tür beinahe erreicht, als sie mich nochmals ansprach.

»Ach, etwas noch. Ich habe einige Papiere meines Bruders, des Königs, durchgesehen, eine anstrengende Sache ohne die Hilfe des Sekretärs. Aber nun denn. Die Bestallungsurkunden für Sir Cam-Shron und für Sie habe ich gefunden, sogar Kopien Ihrer Adelsbriefe.« Sie legte gekonnt eine Pause ein, um mich daran zu erinnern, wie frisch diese Briefe und alles andere waren. »Und ich hätte noch gern Ihre Heiratsurkunde, nur um die Papiere zu vervollständigen. In so unruhigen Zeiten wie diesen ist äußerste Korrektheit ein gutes Mittel, um dem Chaos vorzubeugen.«

Mit einem dicken Stein im Magen trat ich auf den Flur hinaus.

Muire stand gegenüber der Tür an die Wand gelehnt da, den Kopf gesenkt, anscheinend wartete sie auf mich und fühlte sich vermutlich ganz ähnlich.

Etwas anderes, als sie zu entlassen, kam nach dem Diebstahl nicht infrage, ich wäre aber verdammt froh gewesen, mich nicht sofort damit befassen zu müssen. Es drängte mich, Cam zu suchen und mit ihm zu beraten, ob uns noch ein Ausweg blieb oder ob wir direkt von hier verschwinden sollten. Bloß wohin? Und konnten wir Kyle im Stich lassen?

Von der anderen Seite des Flurs näherte sich Siobháns ältere Zofe raschen Schrittes. Sie war bestimmt auf dem Weg zur Herzogin.

»Komm mit«, knurrte ich Muire an, »wir gehen in L… Prinzessin Lynns Zimmer und reden dort.«

Muire folgte mir stumm.

Ich hatte sie vor Lynns Schlafzimmer erwischt, wie sie gerade etwas in die Rocktasche steckte. Muire war ja schlank, da beulte sich die Tasche viel mehr als bei mir und meinen voluminöseren Röcken. Eine Ahnung hatte mich bewogen, ihr in die Tasche zu greifen. Damit hatte sie nicht gerechnet.

»Du weißt, dass ich dich entlassen muss? Auf der Stelle?«, herrschte ich sie an. »Es ist unverzeihlich, was du getan hast.«

Muire sah nicht zu mir, sondern zum Fenster. »Ist gut«, antwortete sie leidenschaftslos. »Aber Mac geht mit mir, ich kann ihn nicht allein hierlassen.«

Ich stutzte. Ihre Gelassenheit wies sie als besonders ausgekochte Diebin aus. Ich würde gleich nach diesem Gespräch Cam bitten, eine Bestandsaufnahme von allem Silbergerät zu veranlassen. Und der kleine Mac war ihr Komplize? Darauf lief ihre Bemerkung ja wohl hinaus. So eine hinterhältige Bande.

»Und warum? Habt ihr gemeinsam gestohlen?«

Muire wandte sich mir zu und wieder staunte ich über ihre Ruhe. »Nein, wir haben nichts gestohlen.«

»Aber ich habe dich mit dem Diadem erwischt. Willst du das etwa leugnen?«

Sie schüttelte den Kopf.

»Wie würdest du deine Tat dann nennen?«, fragte ich mit vor Ironie triefender Stimme.

»Rückführung«, antwortete sie kühl.

Wie hatte sich dieses Kind geändert. Ich erkannte sie mit dieser kalten, distanzierten Haltung gar nicht wieder.

»Ich fürchte, ich verstehe dich nicht«, antwortete ich im gleichen gesetzten Ton.

»Dann lassen Sie es mich erklären.«

Als sie fertig war, umarmte ich sie spontan.

Aber mir schwante, dass Lynn, wo immer sie sich befand, in Lebensgefahr schwebte.

Muire hatte mir berichtet, dass ihr bei der Durchsuchung von Lynns Zimmer nach einer Mitteilung Ulfs, an der die ältere Zofe Siobháns sich so übereifrig beteiligt hatte, nicht entgangen war, dass die Zofe in Lynns Schmuckschatulle gespäht hatte, und das nicht nur beiläufig. Viel später dann hatte Muire sie beim Verlassen von Lynns Zimmer beobachtet und gesehen, wie sie etwas einsteckte.

Das hatte ihr keine Ruhe gelassen und sie hatte lange auf eine Gelegenheit gewartet, sich ihrerseits unbemerkt in das Zimmer der Zofe zu schleichen. Mac hatte solange auf dem Flur davor Wache gestanden. Das Diadem hatte sie bald gefunden, es steckte, mehrfach eingewickelt in dünnes Seidenpapier, im Schrank der Zofe. Mir war klar, dass die Frau nur im Auftrag von Siobhán gehandelt haben konnte. Was sollte sie denn selbst mit einem so auffälligen Schmuckstück anfangen? Siobhán, daran erinnerte ich mich nun, war schon immer begierig auf das Diadem gewesen. Sie hielt sich für die wahre Erbin.  

Über Muires Erzählung und meine Nachfragen war mehr als eine Stunde vergangen. Ganz zum Schluss stellte ich noch die Frage, warum Muire wollte, dass Mac sie im Falle ihrer Entlassung begleitete.

Muire musste erst über die Antwort nachdenken.

»Weil du ihn gern hast?«, fragte ich nach.

»Das auch. Soweit man Brüder gern hat, die eigentlich nur Ärger machen.« Ein verschmitztes Lächeln glitt über ihr Gesicht.

Ich schüttelte nur den Kopf über so viel unnötige Geheimniskrämerei. Dass sie Geschwister waren, hätten uns die beiden doch gleich verraten können. Ihre verwandtschaftliche Beziehung stellte kein Hindernis für ihre Einstellung in unseren Dienst dar. Mir ging auf, dass wir es bei den beiden eben doch noch mit Kindern zu tun hatten, vielleicht auch mit geschwisterlicher Rivalität. Kleine, noch unerwachsene Dummköpfe mit Anwandlungen von Schlauheit. Wie die, das Diadem zurückzustehlen.

Vor Muires Augen legte ich das kostbare Stück, das von einer langen Reihe von Königinnen als halboffizielles Zeichen ihrer Würde und Stellung getragen worden war, in das dafür vorgesehene Fach zurück. Vielleicht hätten wir nach einem besser geschützten Platz dafür suchen sollen, aber im Augenblick gab es Dringenderes zu erledigen.

Es klopfte an der Tür und ehe ich noch »Herein!« rufen konnte, kam die ältere der Zofen ins Zimmer. Mir fiel sofort ihr hochroter Kopf auf und eine kleine Schwellung am Auge.

»Und? Was wünschen Sie hier?«, fuhr ich sie an. Sie hatte das Diadem entwendet, bevor Siobhán zur Stellvertreterin Kyles ernannt worden war.

Zielstrebig griff sie nach der Schatulle, die wir gerade erst wieder geschlossen hatten.

»Das hier. Die Herzogin von Talisker wünscht den Schmuck der Prinzessin in Verwahrung zu nehmen.« Während sie sprach, klappte sie den Deckel auf und nahm die ersten Einsätze heraus. Kurz leuchtete Triumph in ihrem Blick auf, als sie das Diadem sah.

Noch Momente nachdem sie mit ihrer Beute verschwunden war, stand ich vor der Kommode, auf der die Schatulle gestanden hatte, und starrte auf den leeren Fleck.

Muire legte mir die Hand auf den Arm. »Wenn Sie möchten, holen wir das Diadem zurück. Ich denke, Mac macht dabei mit.«

Stumm schüttelte ich den Kopf, erschüttert über die Dreistigkeit, die wir gerade erlebt hatten. Mir wurde in diesem Moment das ganze Ausmaß von Siobháns Intrige klar: Sie strebte nach der Macht und damit war die Person in Gefahr, die ihr dabei im Weg stand: Lynn. Das war nun gewisser als vorher, fast wie eine schriftliche Ankündigung.

Lynn

Ich weiß nicht, ob ich in der ersten Nacht im Kloster etwas geträumt hatte. Zumindest erinnerte ich mich nicht daran, als ich in der Frühe geweckt wurde. Eine junge Nonne, die ich bisher noch nicht gesehen hatte, hielt mir einen Umhang mit Kapuze hin, gebot mir nur durch Gesten, aufzustehen, mich in den Umhang zu hüllen, mir die Kapuze über den Kopf zu ziehen und ihr zu folgen. Auf dem Weg über ein paar Flure schlossen wir uns anderen an, die die gleichen Umhänge trugen. Bald darauf saß ich auf einem kleinen, harten Kissen in einer Art Andachtsraum, der sich mit vielen bogenförmigen Fenstern zur See hin öffnete, einer wieder nebligen See.

Wir alle hatten die Gesichter dem heraufdämmernden Licht zugewandt und mehr geschah nicht. Niemand sprach ein Wort, geschweige denn ein Gebet. Meiner Schätzung nach hielten sich gut 60 Personen im Raum auf, Männer waren von Frauen wegen der verhüllenden Umhänge nicht unbedingt zu unterscheiden.

Es war noch so früh, dass ich zunächst drauf und dran war, im Sitzen einzunicken, aber die zunehmend unbequeme Haltung hinderte mich daran. Ich lauschte, ob ich einen der Anwesenden schnarchen hörte, weil ich mir nicht vorstellen konnte, dass alle hellwach um mich herumsaßen, aber es herrschte nichts als Stille. Abgesehen vom Meeresrauschen.

Abt Bactrian erkannte ich erst, als die Andacht – wenn sie denn eine war – endete. Er hatte vor mir in der ersten Reihe gesessen und wie alle den Kopf mit seiner Kapuze bedeckt. Er hatte sich wie die anderen erhoben, und so schweigend, wie sie gekommen waren, verließ er mit ihnen den Raum.

Eine der beiden älteren Nonnen, die mich ins Badehaus geführt hatten, trat an meine Seite und zog mich aus dem Weg, als ich leise stöhnend mein eingeschlafenes Bein rieb und gegen ein deutliches Schwindelgefühl ankämpfte.

Sie schmunzelte unverhohlen. »Du wirst dich daran gewöhnen. Mit jedem Tag wird dir die Andacht leichter fallen, und dann genießt du sie nur noch.«

Es lag mir auf der Zunge, mich danach zu erkundigen, welchem Zweck diese Übung diente, aber ich verkniff es mir. Vielleicht würde ich ja von allein dahinterkommen. Für mich war die Hockerei mit untergeschlagenen Beinen eine Tortur: Still sitzen, während sich im Kopf die Gedanken drehten und die Sehnsucht, aufzustehen und hinauszurennen, zur Qual wurde. Ich konnte mir kaum vorstellen, wie man so etwas freiwillig auf sich nehmen, geschweige denn genießen konnte.

»Das glaube ich kaum. Ich möchte nicht unhöflich sein, aber ich bitte doch sehr darum, falls wieder so eine Sitzung stattfindet, mich zu entschuldigen.«

Die Nonne lachte, einige der Hinausstrebenden sahen sich nach uns um, mehr neugierig als missbilligend.

»Das tut mir leid, aber wir bestehen darauf, dass alle ohne Ausnahme an diesem Morgenritual teilnehmen. Du wirst es noch verstehen …« Sie sah mich fragend an.

Sheila ging an mir vorbei, beinahe hätte ich sie übersehen. Ich nickte ihr zu, aber sie hielt den Kopf gesenkt und eilte hinaus.

»Das ist doch eins der Mädchen, die mir gestern im Bad aufgewartet haben.«

»Eine der Mägde, aber sie gehört natürlich auch zu unserer Gemeinschaft …« Wieder sah sie mich fragend an.

»Sheila, nicht wahr, so heißt sie? Ich heiße übrigens Gwendolyn«, sagte ich rasch. Das war nicht gelogen. Auch wenn ich allgemein Lynn genannt wurde, lautete mein Taufname doch Gwendolyn. Es schien mir unwahrscheinlich, dass irgendjemand von dem Namen Gwendolyn auf Prinzessin Lynn schließen würde. Ich hatte für mich entschieden, erst einmal unerkannt bleiben zu wollen.

Die Nonne lächelte befriedigt. »Ich bin Imogen. Komm, ich bringe dich zurück auf dein Zimmer. Da kannst du, wenn du magst, noch ein wenig schlafen. Es ist wirklich noch früh am Tag. Glaube mir, einige andere von uns machen das auch.«

»Danke, Schwester Imogen, das werde ich gern tun.«

»Ich bin Schwester Imogen, aber wir reden uns hier nur mit Namen an und wir duzen uns. Und Gwendolyn genügt uns vollauf.«

Nach besonderer Neugier klang das nicht. Abt Bactrian musste sich seiner Menschenkenntnis ja sehr sicher sein, wenn er mich, ohne mich zu kennen, so einfach aufnahm. Wurde das immer so gehandhabt? Und gab es noch andere Schutzsuchende?

Wir verließen den Raum fast als Letzte. Zwei Mönche waren zurückgeblieben, sie sammelten die Kissen ein und reihten sie in Stapeln an der Wand auf.

Erst später sollte ich herausfinden, dass tatsächlich alle Klosterbewohner einschließlich Knechten und Mägden an diesen morgendlichen Sitzungen teilnahmen. Es war ein alltägliches Ritual, das kurz vor Sonnenaufgang begann und endete, wenn die Sonne ein oder zwei Handbreit über dem Horizont stand. Die Sonne war allerdings am ersten Morgen gar nicht zu sehen, sondern im Dunst nur zu erahnen.

Vor meiner Kammer angelangt, fragte ich Imogen, ob es möglich sei, einen Brief vom Kloster aus abzuschicken. Sie versicherte mir, dass das kein Problem darstelle. Sie würde dafür sorgen, dass man mir die nötigen Schreibutensilien bringe, und dass ich den Brief nur auf dem Tisch liegen zu lassen brauche, eine der Mägde würde sich um die Weiterleitung kümmern. Dann sagte sie noch, es freue sie, dass es jemanden gebe, dem ich eine Nachricht zukommen lassen wolle. Das sei sehr beruhigend für sie, denn dann könne ich ja keine ganz so von der Welt verlassene Seele sein. Es klang sehr warmherzig und bewirkte, dass mir die Augen wieder feucht wurden.

»Aber lass dir Zeit«, riet mir Imogen. »Komm erst einmal zur Ruhe. Ich merke doch, wie viel Angst und Unruhe in dir stecken. Vertrau einfach darauf, dass wir hier wissen, was gut für dich ist. Mit der Zeit werden sich alle deine Ängste verflüchtigen und die alte Kraft und Zuversicht wird sich wieder einstellen. Und manchmal auch etwas ganz Neues. Diese Erfahrung macht hier jeder.«

Ich war mir sicher, dass Imogen es ehrlich meinte und selbst daran glaubte. Möglicherweise war sie ja auch einmal ein Flüchtling gewesen, jedenfalls schien sie sich, ohne mich zu kennen, gut in mich hineinversetzen zu können.

Bald schon tauchte ich in die Tagesroutine ein, die mit kollektivem Stillsitzen am Morgen begann und am Abend auch damit endete. Dazwischen gab es leichte Mahlzeiten, warme Bäder und viele Stunden, in denen ich mich einer Schläfrigkeit hingab, die ich nicht von mir kannte – und sehr seltsam anmutende Gespräche mit Abt Bactrian. Imogen hatte vermutlich recht damit, dass ich vor allem Ruhe benötigte. Mein Brief war inzwischen geschrieben und auf den Weg gebracht. Ich hatte ihn an Eadha adressiert, nicht an Kyle bzw. seine Majestät, den König, um keine Neugier zu wecken, aber tatsächlich hatte ich meinem Vater geschrieben. Eadha würde ihm den Brief überreichen. Er musste erfahren, dass ich am Leben war und mir keine Gefahr drohte, aber dass ich Ulf nicht gefunden hatte. Von baldiger Heimkehr schrieb ich allerdings nichts und fühlte mich schuldig dabei. Imogen hatte recht, mich zermürbte die innere Unruhe, daran änderte auch morgendliches Stillsitzen nichts, im Gegenteil, es schürte sie noch.

Mac

»Du hast mich in diese unmögliche Lage gebracht. Ich musste mich da irgendwie rauswinden, sonst hätte man uns auf die Straße gejagt«, schimpfte Muire. »Erst als ich verraten habe, dass du mein kleiner Bruder bist, war sie zufrieden und misstraute mir nicht mehr.«

Wir waren bei unserem Lieblingsthema, der Einmischung. Das Diadem hatte ich