Die russische Familie

Rostock Krimi

Sabine Prilop


ISBN: 978-3-95764-217-2
1. Auflage 2017, Altenau (Deutschland)
© 2017 Hallenberger Media GmbH, Altenau.

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Bildquelle Umschlagsabbildung: www.shutterstock.com (© ricok)
Alle Rechte vorbehalten.

Inhalt

Für H. und Y.I.

 

1

 

Kriminalhauptkommissar Thomas Bellroth jagte den Wagen durch das nächtliche Rostock, als würde er das Schlimmste noch verhindern können.

Überlaut röhrte das Motorengeräusch durch die stillen Straßen. Reutershagen, das Komponistenviertel, schlief. Weiter, auf die B 105. Hamburger Straße, Lübecker. Ein Streifenwagen parkte vor der Einmündung zur Doberaner Straße. Von der Besatzung keine Spur. Vermutlich wieder ein Fehlalarm in einer der Banken, dachte Bellroth. Warnow Ufer. Die Gegend mit Autohäusern, kleineren Firmen und Wohnhäusern war menschenleer.

An der Abzweigung Neue Werderstraße warnten das Blaulicht der Polizei und das gelbe Rundumlicht eines Abschleppwagens. Offensichtlich ein Verkehrsunfall. Die Unfallaufnahme schien so gut wie abgeschlossen. Beamte in Uniform überwachten gerade das Verladen eines schweren LKWs auf den PS-starken Tieflader des Abschleppers. Aus dem grünweißen Kleinbus, in dem nach einem Verkehrsunfall die Formalitäten erledigt werden, stieg ein untersetzter Mann in Jeans und Karohemd, gefolgt von einem Polizisten, der sich umständlich die weiße Uniformmütze auf dem Kopf zurechtrückte.

Thomas Bellroth, wie fast immer in schwarzer Jeans und knapper Lederjacke, hörte aus der Ferne den heiseren Ton eines Martinshorns. Er sah in den Rückspiegel. Zu erkennen war nichts. Offenbar waren die Kollegen zu einem weiteren Tatort unterwegs.

Eine heiße Nacht in Rostock für die Polizei. Thomas Bellroth fuhr sich rasch durch das dichte schwarze Haar, um es zu ordnen. Zum Kämmen hatte er sich nicht die Zeit genommen nach dieser Nachricht, die ihn vor wenigen Minuten zu Hause erreicht hatte.

Als Bellroth am Tatort eintraf, war die Gaststube des Lokals von den Scheinwerfern der Spurensicherung taghell erleuchtet. Die Spezialisten des Erkennungsdienstes in ihren weißen Schutzanzügen hatten bereits mit dem Auswertungsangriff begonnen. Sie sicherten rasch und konzentriert mögliche Beweismittel. Der Fotograf fertigte gerade die letzten Lichtbilder der Leiche für seine Mappe.

Jan Drukker, der junge Holländer, lag mit weit geöffneten Augen da, auf dem Bauch, mitten in einer Lache angetrockneten Blutes. Offensichtlich stammte es aus der tiefen Wunde am Hinterkopf.

Es gibt keine Leiche, die einer anderen gleicht, dachte Bellroth, gleichgültig, wie viele man schon gesehen hat. Doch dieser Tote war für ihn noch weniger ein Routinefall als jeder andere. Dieser Tote war Jan, der junge Barkeeper aus Zierikzee in den Niederlanden, der begeistert und unternehmungslustig erst vor wenigen Monaten nach Rostock gekommen war. Jan, den Thomas Bellroth darin bestärkt hatte, in der Hansestadt sein Unternehmerglück als Gastwirt zu suchen.

Polizeihauptkommissar Rolf Degen hatte den Tatort nach der Alarmierung als erster erreicht. „’n Abend, Thomas. Bist du heute Leiter der Mordkommission? Wo bleiben die anderen?“ Er sah zur Tür.

„Zange Bock ist verreist. Bis Sonntag. Aus diesem Grund muss ich den Job machen. Ich hatte es eiliger als die Kollegen, hierherzukommen. Der Tote war ein guter Bekannter von mir.“ Bellroth blickte auf den ausgestreckten leblosen Körper.

„Tut mir leid. Ich kenne das. Ist mir auch schon passiert. Du kommst zu einer Leiche und kennst das Gesicht. Elendes Gefühl. Sowieso eine furchtbare Nacht heute. Das hier ist schon die dritte Leiche. Ein Verkehrsunfall, ein Suizid.“ Rolf Degen sprach mit gesenkter Stimme. Auch die Männer vom Erkennungsdienst, die im Gastraum akribisch alles absuchten, unterhielten sich nur flüsternd.

„War der Verkehrsunfall auf der B 105, Ecke Neue Werderstraße? Dort sind noch Kollegen vor Ort.“ Ich bin der Einzige, der schreit, dachte Thomas Bellroth. Aber wahrscheinlich irre ich mich. Niemand schreit in Gegenwart eines Toten.

„Ja. Ein Fußgänger ist von einem LKW überfahren worden. Ist über die Kreuzung gerannt, so knapp vor dem Laster, dass der Fahrer nicht mehr bremsen konnte. Die Person war sofort ex, mit einem hässlichen Reifenmuster auf dem Bauch.“ Thomas Bellroth fragte: „War das der Suizid?“

„Nein, der war am Doberaner Platz. Ein Neuzehnjähriger ist von einem Hochhaus gesprungen, noch weiß niemand, warum er das getan hat. Seine Mutter wollte zu ihm nach oben, aber sie zu spät gekommen. Die Profis von der Verhandlungsgruppe haben es nicht geschafft, ihn vom Sprung abzuhalten.“ Rolf Degen wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn und sah an Thomas vorbei. „Unglücklich gelaufen, wenn du mich fragst. Die Mutter hätte vielleicht erreicht, dass er nicht springt.“

Der Chef der Tatortgruppe, der glatzköpfige Günter Süder, den alle nur Gong nannten, kam und gab Thomas Bellroth die Hand. Wie oft hatten sie sich in den zurückliegenden Jahren an einem Leichenfundort die Hand gegeben? Zu oft, dachte Thomas. Kapitalverbrechen vergiften die Seele. Einziges Gegengift war, den Täter letztendlich zu ermitteln. Jeder unaufgeklärte Mord legte sich aufs Gemüt wie Rost auf einen Eisenpfeiler am Gartenzaun. Und fraß sich unaufhaltsam durch, bis die Nerven blank lagen. Jeder, dem das passierte, war für eine Mordkommission nicht mehr zu gebrauchen.

Thomas Bellroth betrachtete den leblosen Körper. War es bei ihm jetzt so weit?, fragte er sich. War Jan Drukker der eine Tote zu viel? Der Kriminalbeamte versuchte seine innere Stimme zu lokalisieren. Gab es ihn noch, den Jagdtrieb, der beim Anblick eines gewaltsam zu Tode gekommenen Menschen in ihm hochstieg? Ja, aber da war noch mehr. Etwas wie Hass, eine heiße Welle der Wut, und das Gefühl, am Tod dieses jungen Mannes mitschuldig zu sein. Gefährliche Mischung, dachte Thomas Bellroth, ich werde mich vorsehen müssen. Kein ungeprüfter Schritt, kein Handgriff ohne gründliche Kontrolle. Bemüht konzentriert hörte er zu, was Rolf Degen ihm berichtete.

Durch die Eingangstür des kleinen Speiselokals mit seinen abgezählten Plätzen und dem nagelneuen Mobiliar aus hellem Erlenholz traten Thomas Bellroths Kollegen ein. Kriminaloberkommissar Tarzan Steger, groß, blonde Pferdeschwanzfrisur, Jeanskleidung, und zwei weitere Beamte des Fachkommissariats 1, Kriminaloberkommissar Martin Bollo, der wie immer einen Pullunder unter der nicht mehr modernen Sportjacke trug und Dennis Klein, in Westernhut und –stiefeln, ebenfalls POK, bildeten gemeinsam mit den Kollegen der Tatortgruppe und den Spurenteams die Mordkommission.

Die Männer gaben erst Thomas, dann Gong Süder die Hand. „Der Arzt hat die Untersuchung bereits durchgeführt“, berichtete Gong Süder. „Der Tod ist vor ca. eineinhalb bis zwei Stunden eingetreten, Todesursache ist vermutlich ein Schlag mit einem stumpfen Gegenstand auf den Hinterkopf. Gefunden hat den Toten die Putzfrau.“

Thomas Bellroth deutete mit dem Kopf auf eine stämmige Frau mit graumelierten Haaren von, wie er schätzte, rund fünfzig Jahren. „Ist sie das?“

Gong Süder nickte. "Maria Galanis, sie ist Griechin.“

„Und der Mann neben ihr?“, wollte Thomas wissen.

„Er heißt Georg Koselowsky und wohnt hier in der Straße. Die beiden kennen sich. Die Galanis hat ihn völlig aufgelöst alarmiert, als sie den Toten gefunden hatte.“

„Und der hat bei uns angerufen?“, fragte Tarzan Steger. Gong Süder nickte. Bellroth und Steger gingen hinüber zu der rundlichen Frau und dem Mann, der heftig gestikulierend Volksreden hielt. Sie stellten sich vor.

„Ah, die Kollegen von der K, ja, Koselowsky ist mein Name. Guten Abend.“

„Von der Kripo sind hier alle, Herr Koselowsky. Aber jeder hat andere Aufgaben. Kommen Sie, setzen wir uns an einen der Tische. Sie auch bitte, Frau Galanis.“ Thomas zückte sein Notizbuch.

Die Putzfrau wirkte verstört. Sie sagte: „Er lag da, als ich kam um vier. Eine schlimme Anblick.“

„Sie haben einen Schlüssel zu dem Lokal?“, fragte Thomas Bellroth.

„Ja, nicht nur hier. Zu alle Orte, wo ich putze.“ Maria blickte zu Boden.

„Und Sie mussten auch heute aufschließen? Oder stand die Tür offen?“ Tarzan Steger zeigte hinter sich zum Eingangsbereich.

„War zu. Ich aufgeschlossen, eine schlimme Anblick. Der arme Junge.“ Noch immer sah sie niemandem ins Gesicht, während sie sprach.

„Was haben Sie dann getan?“, fragte Thomas Bellroth.

Georg Koselowsky hielt es nicht mehr aus. Er antwortete ungefragt. „Frau Galanis hat mich aus dem Bett geklingelt! Ich gleich rein in die Klamotten und mit ihr hierher. Anschließend habe ich die Polizei angerufen.“

„Ich muss Sie beide bitten, mit zu uns in die Direktion zu kommen.“ Thomas stand auf und steckte sein Notizbuch in die Gesäßtasche. „Wir brauchen Ihre Aussagen für die Akten. Es tut mir leid, dass es zu dieser unchristlichen Zeit sein muss, aber es ist wichtig.“

Während Steger bei den Zeugen blieb, ging Bellroth zu Gong Süder. Der Chef der Tatortgruppe saß an einem der Tische und notierte mit einem Bleistift Uhrzeiten und Stichworte in sein in graue Pappe eingeschlagenes Merkbuch.

„Der Arzt hatte es wohl sehr eilig?“, fragte Thomas Bellroth.

Gong Süder wiegte sein kahles Haupt. „Eigentlich ein Unding, dass der einfach so abhaut! Er schickt uns seinen Untersuchungsbericht morgen per Fax, aber trotzdem.“

Thomas ging darauf nicht ein. „Habt ihr die Überführung ins Leichenschauhaus organisiert? Und was ist mit dem Spürhund?“

„Die Leiche wird gleich abgeholt. Rösch ist heute mein Stellvertreter, er fährt mit in die Gerichtsmedizin. Diensthundführer und Hund sind draußen unterwegs.“

„Was ist mit der Staatsanwaltschaft?“ Thomas steckte den Kugelschreiber, den er noch immer in der Hand gehalten hatte, zurück in die Innentasche seiner knappen schwarzen Lederjacke. Er hatte seine Pistole vergessen. Unschädlich, dachte er. Der Mörder würde kaum in einer Ecke sitzen und auf einen von ihnen lauern.

„Die StA ist informiert. Soweit ich es verstanden habe, will der Staatsanwalt vor Ort nichts besichtigen.“

„Der Leichenwagen ist da! Können die reinkommen?“ Rolf Degen stand in der Tür.

Fragend blickte Thomas Bellroth auf den Chef der Tatortgruppe.

„Wie sieht es aus bei euch?“, gab Gong Süder die Frage an seine Leute weiter. Einer hob den Daumen nach oben.

„Wir sind fertig!“, rief Süder.

Die Männer brachten mit langen Schritten den wannenförmigen Behelfssarg. Abschließend versammelte Thomas Bellroth seine Männer zu einer kurzen Besprechung. Seine Fragen, mit denen er sich einen letzten allgemeinen Überblick verschaffte, waren knapp und messerscharf formuliert. Jahrelange Routine, dachte Thomas. Die Mechanik greift selbst dann, wenn das Opfer so etwas war wie ein Freund. Vielleicht muss ich doch bald etwas anderes tun in dieser Polizei, als Mörder zu hetzen.

Aber diesen einen, Jans Mörder, den würde er noch auftreiben, auf einem fremden Planeten, wenn es sein musste. Er fühlte, wie sein Magen zu schmerzen begann.

Die Männer der Mordkommission verließen den Tatort und versiegelten die Tür. Thomas Bellroth sah sich vom Gehsteig aus ein letztes Mal zu der Gaststätte um, die für Jan Drukker ein Traum gewesen war, der jetzt in einem Albtraum geendet hatte. Er stieg in seinen Wagen und fuhr davon, zur Blücherstraße, zum Gebäude der Polizeidirektion. Der Weg führte vorbei am markanten rosa getönten Bau des Rathauses mit seinen sieben gotischen Backsteintürmchen. Sieben, dachte Thomas Bellroth, die sagenhafte magische Rostocker Zahl! Sieben Straßen hatten einst zum Markt geführt, durch sieben Stadttore gelangten Besucher in die Stadt, an sieben Anlegern der Warnow hatten die Schiffe geankert, und die Marienkirche hatte sieben Türme und sieben Glocken.

Sieben Monate hatte Jan Drukker in Rostock gelebt und gearbeitet, bevor sein Mörder ihn erschlug.

 

2

 

Thomas Bellroth drückte auf den Schalter. Die Neonröhre verbreitete nach kurzem Zögern ihr ungastliches Licht.

„Bitte, Herr Koselowsky, setzen Sie sich!“ Thomas zog die Tür des Vernehmungszimmers hinter sich ins Schloss.

Georg Koselowsky sah sich kurz in dem Raum um, in dem nur ein Tisch, ein uralter Aktenbock und zwei Stühle standen, bevor er sich auf den Holzstuhl schob.

„So ein Zimmer bei der Polizei ist nachts ja ganz schön öde!“

„Tagsüber ist es auch nicht einladender.“ Thomas setzte sich dem Mann gegenüber. „Herr Koselowsky, haben Sie schon mal als Zeuge ausgesagt?“

Koselowsky überlegte kurz und schüttelte den Kopf. „Nee, Herr Kommissar.“

„Gut, also, mein Name ist Thomas Bellroth. Ich werde Ihnen zuerst einige Fragen zur Person stellen, Sie dann bitten, mir zu erzählen, was Sie gestern Abend und heute Nacht erlebt haben. Anschließend stelle ich Fragen, und Sie müssen bitte sofort einhaken, wenn Sie merken, dass ich etwas nicht richtig verstanden habe. Und noch was: Ich würde gern ein Band mitlaufen lassen, für das Protokoll. Sind Sie damit einverstanden?“

„Warum sollte ich nicht, nee, ist schon okay.“

„Gut.“ Thomas Bellroth griff in das untere Fach des Aktenbockes, zog einen Kassettenrecorder hervor und stellte ihn auf den Tisch. „Ich lasse das Protokoll abschreiben, und es kommt zu den Akten. Möchten Sie es vorher lesen?“

Erneutes Kopfschütteln.

„Sie müssen das und die Richtigkeit Ihrer Personalien schriftlich erklären. Reine Formsache.“ Er ließ sich den Personalausweis geben und schaltete das Aufnahmegerät ein. „Sie sind also Georg Koselowsky, geboren am 04. März 1941 in Rostock, von Beruf Maler, jetzt Rentner, Familienstand geschieden?“ Thomas Bellroth schrieb schnell, sah Koselowsky kurz prüfend an und reichte ihm den Bogen. „So, ein Autogramm, danke, und jetzt höre ich Ihnen zu, Herr Koselowsky.“

Koselowsky sah kurz auf seine Schuhspitzen, räusperte sich und begann zu erzählen.

„Gestern Abend, also, habe ich an der Theke im Schwan mein Bier getrunken. Die Tische waren alle besetzt, der kleine Holländer musste ganz schön hin- und herrennen. Leistete sich ja keine Bedienung, musste dem Koch viel zahlen, dafür hätte es nicht gereicht. Wie der so am Rumflitzen ist, kommen die zwei Türsteher von der Diskothek Solitär rein.“ Koselowsky verharrte und presste die Lippen aufeinander.

Der Mann strengt sich an, um seine Sätze zu formulieren, dachte Thomas. Koselowsky glaubte wohl, sich bei der Polizei besonders gewählt ausdrücken zu müssen. So etwas hatte Thomas schon oft bei Zeugen erlebt, und meistens erreichten sie genau das Gegenteil von dem, was sie erreichen wollten.

Koselowsky fuhr fort zu reden, sehr aufrecht sitzend, ab und an gestenreich seine Worte unterstreichend, dann wieder bemüht konzentriert. „Die Männer haben gestänkert: kein Platz hier, was is’n das für ein Mist, und so was. Der kleine Holländer sagt, es wird bald ein Tisch frei, sie sollten an der Theke warten, wenn sie wollten. Haben die zwei sich Whisky bestellt, ausgetrunken. War noch immer kein Tisch frei. Haben die vor Wut die Gläser auf den Boden geschmissen, dass alle Gäste zusammengeschreckt sind. Plötzlich redete keiner mehr.“

Wieder machte Koselowsky eine Pause. Menschen irritierten ihn, die er durch die Milchglasscheibe der Tür auf dem Flur auf und ab laufen sah. Gedämpfte Stimmen drangen in das Vernehmungszimmer. „Lassen Sie sich nicht ablenken“, sagte Thomas. „Die Kollegen werden uns nicht stören.“

Koselowsky nickte und erzählte weiter. „Ich sag Ihnen was, der kleine Holländer sollte erpresst werden! Die Kerle nahmen noch zwei Gläser von der Theke, auch auf den Boden, das Glas ist in alle Richtungen gespritzt. Und noch zwei zerschmissen. Der kleine Holländer wusste gar nicht, was er machen sollte. Geholfen hat ihm auch keiner, wie auch, gegen die beiden Kleiderschränke kommt keiner an. Schultern haben die wie die Gewichtheber, sehen Sie, so.“ Er hob seine Hände und hielt sie in großem Abstand zu seinen eigenen Schultern hoch. „Und immer diese schwarzen Blousons mit Fliegerabzeichen an. Sind dann abgehauen, die zwei.“ Er machte eine Pause und sah Bellroth fragend an. „Sagen Sie, Herr Kommissar, gibt es hier etwas Flüssiges? Mein Mund ist trocken wie Wüstensand.“

Thomas nickte. „Am Automaten gibt es Kaffee oder Kaltgetränke - Wasser und Cola, glaube ich. Ich hole Ihnen, was Sie möchten.“

„Kaffee“, sagte Koselowsky und richtete sich erleichtert auf. „Kaffee wäre nicht zu verachten.“

Als Thomas mit zwei weißen Plastikbechern zurückkam, in denen teerschwarze Flüssigkeit schwappte, die nach löslichem Kaffeepulver roch, lief Koselowsky im Zimmer auf und ab. Im Stehen nahm er einen Schluck. „Heiß“, sagte er anerkennend, setzte sich wieder Thomas gegenüber und fuhr mit seiner Erzählung fort.

„Wegen der vielen Scherben hat der kleine Holländer das Kehrblech geholt, ich ihm geholfen, den Dreck wegzuräumen. Da hat er mir ein Bier ausgegeben, obwohl ich das gar nicht wollte. Danach bin ich nach Haus. War noch nicht spät, nicht halb neun. Es gab auf NDR eine Tatort-Wiederholung, die habe ich mir noch angesehen.“

Die Vorfälle scheinen ihn ja nicht lange belastet zu haben, dachte Thomas. Ich frage mich, was in dem Mann vorgeht.

„Ja, und nachts klingelt mich die Maria raus. Den Finger hat sie auf der Klingel gelassen, so panisch, ich im Schlafanzug raus, damit nicht das ganze Haus verrückt wird. Der Herr Drukker ist tot, hat sie gesagt. Ich schnell in die Klamotten rein, und als die Maria mir den kleinen Holländer gezeigt hat, wie er so dalag, habe ich hastig die Polizei gerufen. Der Rest ist bekannt, oder?“

„Ja, danke, Herr Koselowsky.“ Thomas überlegte kurz. „Vorhin sagten Sie, Herr Drukker sei erpresst worden. Können Sie mir das erklären?“

Koselowsky rückte seinen Stuhl vertraulich ein Stück näher an den Schreibtisch. Jetzt will er ein Geheimnis verraten, dachte Thomas, etwas ganz Besonderes. Koselowsky senkte die Stimme. „Als der Schwan noch dem Wassily gehörte, also, da kamen einmal im Monat zwei Kerle und kassierten ab. Vielleicht ist der Wassily auch deswegen zurück nach Russland, denken könnt’ ich’s mir. Na, und von dem kleinen Holländer wollten die auch Kohle! Hat ja beim Vorgänger geklappt, warum nicht auch jetzt. Aber, Herr Kommissar, wenn einer Wirt ist und kann sich keine Bedienung leisten, wovon soll der dann Schutzgeld bezahlen?“

Schutzgeld. In Thomas Bellroths Kopf begann eine Rückblende abzulaufen.

 

Ein Abend Mitte Januar fiel ihm ein. Die Ermittlungen in einer Brandsache hatten Thomas den Feierabend gekostet und seine Nerven strapaziert. Er hatte beschlossen, bei Jan Drukker im Schwan vorbeizufahren, um eine Kleinigkeit zu essen, einen guten Burgunder zu trinken und den Abend ausklingen zu lassen.

Es war jedes Mal eine Freude gewesen, zu sehen, mit welcher Begeisterung Jan Drukker in seinem Restaurant unschlüssige Gäste beriet, Bier zapfte oder das exzellente Essen an die Tische brachte. Die Stimmung war immer angenehm, nicht zu laut, obwohl die Gäste sich angeregt unterhielten. Ab und an wurde leise gelacht. Überall sah Thomas entspannte, freundliche Gesichter, wenn er das Lokal besuchte. Jan, der schlanke Junge, war regelmäßig bester Laune und gesprächig, das übertrug sich auch auf seine Gäste.

Über Thomas Bellroths Besuche freute sich Jan besonders. Sie hatten sich in Holland kennen gelernt, als Jan noch in einer Ferienanlage hinter der Kneipentheke gejobbt hatte. Thomas hatte ihn in seinem Plan bestärkt, sich in Rostock selbstständig zu machen, und ihn unterstützt, wo er konnte. Hatte er Jan je erzählt, dass auch er insgeheim von einem anderen Leben träumte? Thomas Bellroth kochte selbst leidenschaftlich gern, beinahe so gern wie er Schlagzeug spielte. Ein eigenes Lokal, später vielleicht – noch hatte er diesen Traum nicht aufgegeben.

Aber bei dem Besuch in Jans Restaurant, an den Thomas jetzt während Koselowskys Vernehmung dachte, war alles anders gewesen als sonst. Jan Drukker wirkte zerstreut und sagte kaum mehr als ‚Guten Abend‘. Nachdem Thomas das Carpaccio vom Rind verzehrt hatte, stand er auf, verschwand im Flur und betrat über den Seiteneingang die Küche. Dort überbrückte Jan mit einigen Schlucken Selterwasser die Zeit, bis Jacko, sein Koch, der fünf kleine silberne Ohrringe am rechten Ohr trug, die nächsten Teller bestückt hatte.

„Guten Abend“, sagte Thomas. „Ich wollte der Küche nur schnell persönlich ausrichten, wie gut dem Gast das Carpaccio geschmeckt hat.“

„Dankeschön!“ Jackos Hände wirbelten winzige Stücke von Cocktailtomaten als Beilage auf die Teller. Fertig. Jan stellte das Glas ab und schickte sich an, das bestellte Essen in die Gaststube zu tragen.

„Warte, Jan - sag mal, ist alles in Ordnung?“ Thomas hielt den jungen Mann an der Schulter zurück.

„Sicher, Thomas, aber ich habe viel Arbeit, du siehst ja...“, sagte Jan entschuldigend und drehte sich durch die Schwingtür hinaus.

„Er lügt“, sagte Thomas.

Jacko nickte. „Er hatte ein Geschenk vor der Tür, als er um fünf das Lokal aufschloss. Ist ihm auf den Magen geschlagen.“

„Ein Geschenk?“

Jacko griff sich ein Kalbsschnitzel, um es zu panieren. Mit dem Kopf zeigte er auf den Mülleimer neben der Tür. „Da liegt es noch drin, kannst ja mal gucken, was es ist. Nicht so schön, wenn du mich fragst. Sobald Zeit ist, werde ich es raustragen.“

Mit drei Schritten war Thomas an der Tür. Er hob den Mülleimerdeckel auf. „Was soll denn der Dreck?“ Er griff den Mülleimer, brachte ihn durch den Hinterausgang in den Hof und kippte den Inhalt in den Metallcontainer. Als er in die Küche zurückkam, eilte Jan gerade wieder durch die Drehtür herein.

„Jan, reg dich nicht auf“, sagte Thomas. „Eine Ratte mit abgeschnittenem Kopf, das ist der Scherz eines Idioten!“

Jan balancierte eine Batterie leerer Teller auf die Küchenplatte. „Ein blöder Scherz, Thomas. Was, meinst du, sagen meine Gäste, wenn sie eine tote Ratte vor dem Lokal finden?“

„So schlecht koche ich auch nicht, dass man mein Essen als Rattenfraß beschimpfen kann!“ Jacko nahm die Sache gelassener.

„Vor drei Wochen stand in der Zeitung, dass in einem Chinarestaurant tote Ratten in der Küche gefunden wurden“, sagte Jan. „Das Lokal wurde von den Behörden geschlossen, Thomas. Wahrscheinlich will jemand, dass es mir genauso geht.“

„Hast du eine Idee, wer das sein könnte?“

„Nein.“ Jan bückte sich und räumte flink die schmutzigen Teller in den Geschirrspüler. An einem rotkarierten Handtuch säuberte er sich die Hände.

„Vielleicht der Typ vom Fitnessstudio.“ Mit einem Wender hob Jacko das Kalbsschnitzel aus der Pfanne und drapierte es auf einem weißen Teller. Es roch ausgesprochen appetitlich. Er gab einige runde Kartöffelchen dazu, deren Schale eine Salzkruste trug, dazu einen Tuff Lollo Rosso und einen Hauch Madeirasoße. Perfekt, dachte Thomas.

„Was ist mit diesem Typ?“, fragte er.

„Der hatte wohl gehofft, mit dem Pächter würde das ganze Lokal von hier verschwinden. Ein Gast hat erzählt, der hätte auf die Räume spekuliert, um sein Studio zu vergrößern. Ist ja alles ein Haus. Jan, wer hat das noch berichtet?“

Jan war bereits auf dem Weg nach draußen. „Der Herr Koselowsky!“

„Koselowsky, richtig.“ Jacko gab neues Fett in die Pfanne. Es zischte und dampfte. „Der Rentner, der fast jeden Abend auf ein Rostocker Bier hier vorbeikommt.“

 

Thomas Bellroth blickte Koselowsky an. Das also war der Mann, den der Koch damals erwähnt hatte. Er würde ihn nach dem Besitzer des Fitnessstudios fragen. Später. Thomas machte sich auf dem karierten Papier, das vor ihm lag, eine Notiz.

„Die beiden Männer, die bei dem Vorpächter kassiert haben, haben Sie die bei Jan Drukker auch noch im Lokal gesehen?“

„Nee, die nicht. Ich glaube, die zum Wassily sind, das waren auch immer mal wieder andere. Die Gesichter waren sich zwar ähnlich, na, alles Russen eben, genau wie Wassily.“

„Und die Randalierer bei Jan Drukker? Waren das auch Russen?“

Koselowsky überlegte angestrengt. „Nur die aus dem Solitär, die mit den schwarzen Blousons.“ Mit den Händen zeigte er wieder den imposanten Schulterumfang an. „Vor ’n paar Wochen hat ein Trupp Halbstarker zur besten Essenszeit ein Drittel der Tische besetzt und stundenlang nur Wasser getrunken. Paar Tage danach sind zwei von denen wieder aufgetaucht. Haben an der Theke Gäste angepöbelt und regelrecht vertrieben. Gerempelt haben die auch. Die, also, das waren Deutsche. Viel jünger waren die auch, ich meine, jünger als die Russen.“

„Fällt Ihnen noch jemand ein, der etwas gegen den jungen Mann aus Holland gehabt haben könnte? Einer aus seiner unmittelbaren Nähe vielleicht?“

Das war eine Suggestivfrage, dachte Thomas sofort, streng genommen ist das während einer Vernehmung nicht erlaubt. Aber er hatte Glück, Koselowsky biss sofort an.

„Und ob, Herr Kommissar!“, ereiferte sich Koselowsky. „Rolf-Heinz Pröger, der Inhaber der Muckibude gleich nebenan! Der hat geschäumt, als der kleine Holländer den Schwan übernommen hat. Ist sogar zum Hausbesitzer gerannt und hat Krach geschlagen. Hatte angeblich bereits einen Vorvertrag in der Tasche, wegen Umgestaltung und so. Der wollte sein Studio vergrößern. Aber der kleine Holländer hatte bereits den Pachtvertrag eingesackt, Pech für Pröger.“ Koselowsky lehnte sich mit einem zufriedenen Ausdruck im Gesicht zurück.

Nachdem Thomas Bellroth die Vernehmung beendet und den Zeugen Koselowsky verabschiedet hatte, setzte er sich in seinem Büro an den Schreibtisch und dachte an Jan Drukker. In seinem Kopf spielte er das Spiel mit dem Namen Was wäre, wenn. Was, wenn er Jan nicht darin bestärkt hätte, in Rostock sein Glück zu suchen. Oder wenn er Jan eindringlicher davor gewarnt hätte, jeden Tag bis spät in die Nacht zu arbeiten. Eines der unsinnigsten Spiele der Welt, dache Thomas. Dennoch fielen ihm immer neue Variationen des Spiels ein. Und jede endete mit demselben quälendem Satz: ‚Dann wäre Jan noch am Leben’.

Zögernd verabschiedete sich die Nacht, wurde blasser und machte endlich einem grauen Morgenlicht Platz.

 

Zwei Tage später saßen Thomas Bellroth und Tarzan Steger in ihrem schlicht eingerichteten Büro im FK 1: zwei sich gegenüberstehende Schreibtische, zwei Computer, ein billig aussehender Kleiderschrank, Rollschränke mit schwarz beschrifteten Aktenordnern, zwei Fenster, die auf die Blücherstraße hinausgingen.

Die Fensterbank auf Thomas Bellroths Seite war leergeräumt, rein sozusagen. Die andere grenzte an den Arbeitsplatz von Tarzan Steger, engster Mitarbeiter Bellroths und Posaunist in Thomas’ Jazz-Band. Auf dessen Fensterbank drängte sich ein Wirrwarr von Pflanzen. Grünlilien, Blattfahnen und Gummibäume standen nebeneinander; in einem ausgedienten Gurkenglas wuchs ein großes Büschel Zyperngras.

Steger, der junge Kriminalbeamte mit dem flachsblonden Haar und der großen, kräftigen Statur, war ein aktiver Pflanzenfan. Im Dienstgebäude hielt sich hartnäckig das Gerücht, in seiner Wohnung sähe es aus wie im indischen Dschungel. Das hatte ihm seinen Spitznamen eingebracht: Tarzan. Polizisten lieben es, die Arbeitskameraden mit Spottnamen zu versehen. In Stegers Fall wurde der Name sogar im Familienkreis verwendet.

„Ein alleinstehender Rentner ist ein Renner für jedes Ermittlungsverfahren!“ Tarzan Steger schlug die Akte zu und gab sie Thomas zurück. Er setzte sich lässig auf Thomas’ Schreibtischplatte, die bis auf eine papierne Schreibunterlage und eine Schale mit Stiften leergeräumt war. Sein eigener Arbeitstisch gegenüber war mit Aktenordnern, Heftern und Notizzetteln übersät. Aus dem Durcheinander lugten ein benutzter Kaffeebecher und eine halbleere Wasserflasche. Bellroth selbst hatte die Lehne seines Bürostuhls weit nach hinten gestellt und lag darin wie in einem Fernsehsessel.

„Das Protokoll der Frau Galanis ist wesentlich dürftiger“, sagte Tarzan. „Die hatte Angst, und wenn du mich fragst, zu Recht. Die verschweigt uns was, Thomas.“

„Wenn es sein muss, werden wir sie ein zweites Mal verhören. Ich habe den Pröger angerufen, den Fitnessstudio-Besitzer. Für morgen um zehn habe ich ihn herbestellt.“ Thomas verschränkte die Hände hinter dem Kopf.

„Für eine Zeugenaussage?“, fragte Tarzan.

„Nein, für mich gilt er als verdächtig, aber das habe ich ihm natürlich nicht gesagt. Tarzan, erinnerst du dich an die Todesanzeige mit meinem Namen in der Rostocker Zeitung?“

„Sicherlich. Ist ja noch nicht so lange her.“

„Und an den Grabkranz auf meiner Kühlerhaube?“

Tarzan nickte. „Irgendein Spinner, den du irgendwann geärgert haben wirst, richtig?“

„Ich nehme es an, ja. Wenn ich dir jetzt ein Stichwort sage, zum Beispiel ‚tote Ratte mit abgeschnittenem Kopf‘, fällt dir dazu etwas ein?“

Tarzan verließ seinen Sitzplatz auf der Schreibtischkante und lehnte sich an die Fensterbank, neben der Thomas saß. „Klar, die Mafia! Da kopiert einer die Drohrituale der ehrenwerten Familien. Wann gab es denn die Rattengabe, Thomas - hast du gar nicht erzählt.“

„Die war auch nicht für mich, sondern für Jan Drukker. Er hat sie auf seiner Fußmatte vor dem Schwan gefunden. Die Präsente an meine Adresse machen keinen Sinn, was schert mich die Mafia, aber Koselowsky meint, Jan wäre erpresst worden. Das würde einen Zusammenhang ergeben.“ Er stand auf und sah aus dem Fenster, das angekippt war. Über den Himmel schoben sich weiße Wolkentuffs, hinter denen immer wieder die Sonne hervorkam. Drei Stockwerke tiefer liefen kleine Gruppen von Menschen die Straße vor dem Polizeigebäude entlang. Durch die Blücherstraße pfiff ein steifer Wind. Thomas schloss das Fenster.

Er dachte daran, wie Jan Drukker sich auf dieses Frühjahr gefreut hatte. Im Mai hatten sie zusammen einen Segeltörn auf der Ostsee angehen wollen, ein verlängertes Wochenende lang.

Er hatte den gemieteten Segler noch immer nicht abbestellt.

Thomas zwang seine Gedanken in eine andere Richtung, zurück zu den nebulösen Vorfällen im Zusammenhang mit dem Schwan. Er wandte sich Tarzan zu. „Wenn ich darüber nachdenke, fallen mir noch andere Hinweise ein, nicht so spektakulär, aber auch typisch für mafiöse Strukturen. Zum Beispiel das Theater, als um fünf Autos von Gästen, die vor dem Schwan parkten, mit einem Nagel nette Rallystreifen gezogen worden waren. Die Wagenbesitzer wären Jan beinahe an die Gurgel gesprungen, als der sich partout weigerte, die Polizei einzuschalten. Erst als sie ihrerseits drohten, ihn anzuzeigen, weil die Versicherung ohne Strafanzeige nicht zahlen würde, hat er nachgegeben. Er erstattete Anzeige gegen Unbekannt. Allerdings war sich der anzeigeaufnehmende Beamte nahezu sicher, dass Jan Drukker mehr über den Vorfall wusste, als er zugeben wollte. Ich hätte dem damals nachgehen sollen.“

Thomas’ Blick fiel auf den Kalender mit den Landschaftsfotos. Es zeigte den Petersburger Dom und den Vormonat. Er ging zur Wand und riss mit einem Ruck das Blatt herunter, zerknüllte es und warf es in den Papierkorb. Zum Vorschein kam das Maiblatt mit der Ansicht schmaler bunter Häuser am Rande einer Gracht in Amsterdam. Thomas spürte einen Kloß im Hals. Bitter dachte er an einen Ausspruch Ernst Barlachs, den er irgendwo auf einem anderen Kalenderblatt gelesen hatte: Schicksal teilt mit vollen Händen aus, aber mit keiner Gutes.

Tarzans Worte drangen nur mühsam bis zu ihm durch.

„Sieht aus, als hätte Rentner Koselowsky nicht ganz unrecht mit seinen Vermutungen. Was willst du unternehmen?“

Thomas antwortete müde: „Vorsicht, Tarzan. Es kann auch etwas ganz anderes dahinterstecken. Dieser Pröger könnte zum Beispiel auf dumme Ideen gekommen sein, um Jan zu vergraulen. Dennoch werde ich dem Mafia-Spuk nachgehen.“ Er stand auf und begann die Papiere in dem roten Plastikablagekorb auf seinem Computertisch, der an den Schreibtisch angrenzte, zu durchsuchen. „Von meinem Freund und Kollegen Elmar Peters in Kiel habe ich im letzten Jahr eine Warnung bekommen. Eine Gruppe von vermeintlichen Schutzgelderpressern war aus der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt verschwunden und nach Rostock abgewandert. Auf einem Zettel habe ich mir die Namen der Brüder aufgeschrieben, die Sache aber nicht weiter verfolgt.“ Er nahm den gesamten Papierstapel aus dem Korb und blätterte ihn durch. „Eigentlich hatte ich mit dem Kollegen Abendroth darüber sprechen wollen, sein Kommissariat bearbeitet ja bei uns Schutzgelderpresserdelikte. Aber Abendroth war damals gerade zur Kur, seiner letzten vor der Pensionierung. Später habe ich die Sache vergessen. Möglicherweise hilft es uns jetzt, wer weiß. Wo zur Hölle ist aber dieser Zettel?“ Er schüttelte heftig den Papierstoß, doch das Gesuchte kam nicht zum Vorschein. Wütend warf Thomas die Unterlagen zurück in den Ablagekorb. „Nichts. Vielleicht weiß Cora mehr als ich. Heute kommt sie aus dem Urlaub zurück, und Montag zum Dienst, stimmt’s?“

„Richtig. Ab Montag müssen wir unsere Protokolle nicht mehr selbst abtippen, dann macht Cora das für uns“, sagte Tarzan zufrieden. „Wir haben mit der MoKo auch wirklich genug am Hals.“