Schwäbisch-kriminelle Weihnachten

Bettina Hellwig (Hrsg.)


ISBN: 978-3-95428-672-0
2. Auflage 2021
© 2017 Wellhöfer Verlag, Mannheim

Titelgestaltung: Uwe Schnieders, Fa. Pixelhall, Malsch
Die Erzählungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit wirklichen Personen oder tatsächlichen Ereignissen sind nicht beabsichtigt und somit rein zufällig.
Das vorliegende Buch einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne schriftliche Zustimmung des Verlages unzulässig.
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Inhalt

Mecki Melzer oder Schwaben für Feinschmecker

Stuttgart

Thomas Nauert / Andreas Fleck

Es saß einmal ein Sternekoch

in Stuttgart tief im Degerloch.

Er kochte wie Johannes King

der leider an die Nordsee ging.

Mit Rübenmus und roter Grütze

war der im Ländle zu nichts nütze.

Auch mit frittierten Seehundsteaks

ist er dort besser unterwegs.

Ohne Zacherl, Lafer, Linster

bleibt Schwabens Küche fad und finster.

Ein Witzigmann, der fehlt in Schwaben

für’s Leberle und Spätzleschaben.

Das hört ein großes Kochtalent,

den man Mecki Melzer nennt.

Im dunklen Degerloch wird’s besser,

denn nun wetzt Mecki dort sein Messer.

Mit flinker Hand kann der tranchieren.

Er kennt sich aus mit leckren Tieren.

Flugs fährt sein Messer durch die Schwarten,

hoch lebe Schwäb’scher Rinderbraten!

Mit Trollinger als Stimulans

rupft Mecki flott die Weihnachtsgans.

Zu Weihnachten, dem Fest der Feste,

gibt ein Sternekoch das Beste.

Sein Blick fällt auf des Lehrlings Rücken.

Der beugt sich, das Dessert zu schmücken.

Noch eben war der guter Dinge.

Er spürt sie kaum, des Meisters Klinge!

Der Stahl versinkt tief in den Rippen.

Ein letzter Hauch entströmt den Lippen.

Im Fleischwolf soll der Jüngling enden.

Als Fülling kann man den verwenden.

Dieser Fall zeigt exemplarisch

Ein Mord isst niemals vegetarisch.

Zwiebelrostbraten

4 Scheiben Rostbraten, à ca. 200 g

7-8 Zwiebeln

3 Knoblauchzehen

5 EL ÖL

3 EL Butter

4 EL Senf (scharf)

3 EL Tomatenmark

1 1/2 EL Mehl

35 ml Wasser

17 ml Rotwein

Salz, Pfeffer, Paprikapulver, Majoran

Zwiebeln in feine Ringe schneiden, Knoblauch zer-
hacken. Butter in Pfanne erhitzen, Zwiebeln und Knoblauch hineingeben und goldbraun rösten.

Rostbraten andrücken oder falls nötig leicht klopfen. Mit Senf bestreichen.

Öl in Pfanne erhitzen und das Fleisch von allen Seiten scharf anbraten. Danach Hitze reduzieren und fertig braten. Danach mit Salz und Pfeffer würzen.

Mehl im verbliebenen Bratenansatz anrösten und Tomatenmark zugeben, gut verrühren. Mit Rotwein ablösen, mit Wasser aufgießen. Kurz aufkochen und etwa eine Viertelstunde köcheln lassen. Würzen.

Den Rostbraten nochmals kurz in der Sauce ziehen lassen. Den Braten zusammen mit den Zwiebeln, Spätzle oder Kartoffelsalat servieren.

 

(Das Rezept stammt von Barbara Saladin und wurde erstmals in der Anthologie „Schwabens Schwarze Seele“ veröffentlicht. Hg.: Bettina Hellwig, Wellhöfer Verlag 2015.)

Nikolaus, du böser Mann

Irgendwo im Schwarzwald

Barbara Saladin

 

Nie hätte ich gedacht, dass es so weit kommen könnte mit mir. Ich war immer so ausgeglichen, friedfertig und großzügig. Ich war das Gute in Person. Früher. Doch dann kam Coca Cola.

 

Gestatten, mein Name ist Nikolaus. Sankt Nikolaus. Ich lebe im Schwarzwald, tief unter den dunklen Tannen. Das glauben jedenfalls die Kinder in der benachbarten Schweiz, denen ich seit Jahrhunderten (ja, ich bin sehr alt!) am sechsten Dezember, dem Namenstag des heiligen Nikolaus, Geschenke bringe. Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft, heißt es ja. Seit Aufnahme meiner Nikolaustätigkeit brachte ich dem Nachwuchs Äpfel, Birnen, Wal- und Erdnüsse, Weckmänner, Lebkuchen und als Höhepunkt, so mit den Jahren, auch Plätzchen wie Anisbrötle oder Spitzbuben sowie das eine oder andere Schokolädle. Früher, da waren alle meine Geschenke essbar – nichts da mit Plastikspielzeug oder batteriebetriebenen Kunststoff-Einhörnern!

Unartigen Kindern versohlte ich den Hintern mit der Rute oder drohte damit, die besonders ungezogenen Bälge in meinen Sack zu packen und mit in den Schwarzwald zu nehmen. Das half meistens – damals, als ich noch nicht fürchten musste, deswegen von den Eltern strafrechtlich verfolgt zu werden. Allerdings war es schon früher eher selten, dass ich wirklich Hand anlegen musste, denn in den meisten Fällen reichte bei Uneinsichtigkeit und allzu forschem Verhalten eine entsprechende Drohung. Da bin ich nicht anders als die Politiker: Schreckliche Konsequenzen voraussagen, und schon kuschen alle.

 

Item: Dass ich im Schwarzwald lebe, ist eigentlich nur die halbe Wahrheit. Hier befindet sich bloß mein Zweitwohnsitz, oder besser gesagt meine Arbeitsbasis. Der Ort, wo ich mich während der elf Monate aufhalte, wenn ich nicht mit Vorbereitungen für meinen großen Tag beschäftigt bin, ist streng geheim. Es ist auch nicht Myra, wo der heilige Nikolaus herkam und wie man deswegen vielleicht glauben könnte. Ja, der ursprüngliche Nikolaus war Türke. Ich aber lebe irgendwo unter anderer Identität, und keiner erkennt mich übers Jahr in Zivil.

 

Bisher verlief mein Alltag stets ebenso unspektakulär wie ungestört und zufrieden. Übers Jahr gärtnerte ich, kümmerte mich um meine Hühner und Kaninchen, und wenn die Blätter sich allmählich verfärbten und die Nächte kälter wurden, bereitete ich mich auf meinen alljährlichen Einsatz vor. Doch vor einiger Zeit schlichen sich allmählich Veränderungen in die Advents- und Weihnachtszeit. Zuerst sah ich nur die Spuren von dem, der Schuld daran war. Es dauerte lange, bis ich begriff. Doch es häuften sich die Strümpfe, die neben dem Kamin hingen, wenn ich auf Kundenbesuch unterwegs war. Dann bevölkerten immer mehr Abbilder von mir in den geschmacklosesten Abänderungen und Varianten aus Polyethylen, Polypropylen oder leuchtenden LED-Röhren ab Oktober die Vorgärten – käuflich zu erwerben in riesigen Warenhäusern. Und um allem die Krone aufzusetzen, fragte mich schließlich ein Kind mit erwartungsvoll funkelnden Augen, wo denn mein Rentier sei.

Rentier, hallo? Mein Gehilfe ist kein Hirsch, sondern ein hundskommuner Esel!

Die Fragen nach Rudolph und nach meiner Heimat am Nordpol häuften sich, und ich konnte die Enttäuschung in manchem Kindergesicht erkennen, wenn ich nur meine essbaren Geschenke aus dem großen Gabensack holte, die zu hundert Prozent biologisch abbaubar sind und keine Jahrtausende brauchen, bis sie sich nach Gebrauch wieder in ihre Einzelteile zersetzt haben.

Ich begann zu recherchieren, und je mehr ich über ihn erfuhr, desto mehr begann ich ihn zu hassen. Ihn, Santa Claus, meine Konkurrenz aus Amerika.

Immer tiefer drang er in mein eigenes Geschäftsfeld ein, griff mir die Kundschaft ab, grub an meinem Ansehen und übertünchte schamlos meine Existenz. Dabei war ich zuerst da!

 

So zog sich das hin und wurde immer schlimmer, bis ich der Sache nicht mehr tatenlos zusehen konnte. Ich wollte eine Aussprache und schickte Santa Claus deshalb eine Terminanfrage zum Nordpol.

Seine Antwort ließ auf sich warten und fiel dann auch noch schnoddrig aus: »Sorry Mate, an dem von dir vorgeschlagenen Tag ist Thanksgiving, da geht’s nicht.«

Auch das zweite Mal klappte es nicht, da sagte er kurzfristig ab und schob als Grund das Wetter in der Arktis vor. Und beim dritten Versuch war eine dringende Geschäftsreise in die Vereinigten Staaten schuld, wo er mit einem Spielzeugfabrikanten günstigere Lieferbedingungen auszuhandeln und bei der Coca-Cola-Company einen neuen Sponsoringvertrag zu unterzeichnen habe.

Ach herrje.

Als wir uns schließlich doch noch trafen, auf einer verlassenen Waldlichtung mitten im tiefen Schwarzwald, ging mir sein selbstgefälliges »Ho ho ho!« schon bei seiner Ankunft, die er mit viel Aufhebens inszenierte, auf den Zeiger.

»Hallo, Santa Claus, schön, dass wir es doch noch geschafft haben«, gab ich mich dennoch redebereit.

»Hey, easy, Bro, no problem«, gab er zurück und lachte schon wieder, obwohl hier wirklich nichts lustig war.

Ich hatte extra meinen Gabentisch mitgenommen und mit einer zum Anlass passenden Tischdecke geschmückt, auf die Tannenzweige, Sterne und Lametta gedruckt waren. Auf dem Tisch stellte ich eine Kanne mit heißem Kakao und eine Schale mit Spitzbuben bereit. Meinen Lieblingsplätzchen. Ich backe sie während des ganzen Jahres, nicht nur zur Weihnachtszeit, und insgeheim hoffte ich, dass die Spitzbuben Santa Claus milde und einsichtig stimmen würden und er das Feld – oder mindestens den Schwarzwald – räumen würde.

Tat er leider nicht. Wir kamen auf keinen grünen Zweig, denn er sah keinen Sinn in irgendwelchen Absprachen, Rücksichtnahmen oder gegenseitigen Hilfestellungen. Er sei bereits der Größte, protzte er, und brauche deshalb keine Unterstützung eines alten Mannes in ärmlicher Kluft, der glaube, von einem Heiligen abzustammen.

Der Rest unseres Treffens ist sehr schnell zusammengefasst: totales Desaster. Traurig. Wir wurden uns nicht einig, und der Ton wurde zunehmend gehässiger. Da ich Santa Claus vorher ja nur von Bildern gekannt hatte, war ich erstaunt, wie arrogant und unfreundlich der Alte war, während sich sein schwarzer Gürtel über dem jähzornig brodelnden Bauch derart spannte, dass ich befürchten musste, er würde gleich platzen und der Dorn der Schnalle mir die Augen ausstechen.

Als Santa Claus dann meinen Esel als struppigen und störrischen Klepper bezeichnete und mich auslachte, weil mein Sack ja nur mit schrumpeligen Äpfeln und ranzigen Erdnüssen gefüllt sei, wurde es mir definitiv zu viel.

Ich ging. Und da bin ich jetzt. Auch zwei Tage nach dem Zusammentreffen grollt in mir der Zorn, aus dem langsam eine giftige Pflanze wächst. Ein Entschluss, den zu fassen ich nie für möglich gehalten hätte, denn eigentlich bin ich ja ein Schutzpatron und darum für die Beschirmung des Guten zuständig ... Ja: In mir keimt die Rachlust.

 

Mein Esel sieht die Sache etwas pragmatischer. Als ich ihm gegenüber eine abfällige Bemerkung über Santa Claus mache, schnaubt er: »Ach, hör nicht auf den ollen Ami. Der leidet doch bloß unter Größenwahn.«

»Aber er gräbt meine Kundschaft ab.«

»Karies hat er auch, bei all dem Zucker in seinen Getränken.«

»Er zerstört auch die Zähne der Kinder mit seinen Süßigkeiten, und schließlich bin ich unter anderem auch der Schutzpatron der Kinder.«

»Aber du wirst denen mit Nussallergie nicht gerecht.«

Ich verdrehe die Augen. Mein Esel hat schon immer darauf geachtet, das letzte Wort zu haben.

»Santa Claus wird überbewertet«, beharrt er und fügt, nachdem er ausgiebig auf einem Büschel Heu herumgekaut hat, hinzu: »Rudolph das Rentier mag ich allerdings ganz gern.«

»Du hast Kontakt mit dem bescheuert dreinblickenden rotnasigen Vieh mit dem unpraktischen Geweih, das seinen Schlitten zieht?«

»Ja. Rudolph ist überhaupt nicht bescheuert. Er ist ein weitgereistes, weises Rentier, das auch nur seinen Job macht. Und man wird sich unter Berufskollegen wohl noch austauschen dürfen.«

Als er meine wütend blitzenden Augen sieht, schiebt er nach: »Sorry, Chef, aber is doch wahr«, und wackelt mit den Ohren.

 

Also gut. Dann mache ich es halt allein. Und Rudolph bleibt von mir aus unbehelligt. Allerdings fällt so ein Unfall mit dem Schlitten weg, was wohl die einfachste Möglichkeit gewesen wäre. Na ja, bei Frost und Dunkelheit kann ja vieles geschehen! Ich zerbreche mir noch lange den Kopf, als ich an diesem Abend im Bett liege und der raue Spätherbstwind vor dem Häuschen an den Tannen rüttelt.

Was mir eindeutig zugutekommt, ist die Tatsache, dass ich der Erste bin von uns beiden, der an der Reihe ist. Nach dem Öffnen des sechsten Türchens des Adventskalenders kommt mein großer Auftritt, und danach ist wieder Ruhe für mich. In der letzten Woche vor meinem Tag bleibe ich zu Hause und widme mich den Vorbereitungen. Bewusst vermeide ich es, mich als Normalsterblicher zu verkleiden und in die menschliche Zivilisation zu begeben, denn den ganzen Kommerzkitsch vor Weihnachten finde ich schon seit Längerem schrecklich. Und jetzt kann ich schon gar keine Weihnachtsmänner aus Kunststoff und Lichterketten in Santa-Claus-Form gebrauchen, die an Fassaden hochklettern.

Hochklettern? Halt! Das ist es. Genau da krieg ich ihn – und zwar mit seinen eigenen Mitteln.

 

*

 

Endlich ist der sechste Dezember vorbei, meine Arbeit getan, die Utensilien wieder verstaut und mein roter Mantel im großen Kleiderschrank eingemottet.

Der 25. Dezember nähert sich. Dank der Geschwätzigkeit von Rudolph weiß ich, wo Santa seine Tour beginnen wird. Mein Esel hat sich nämlich wieder mit dem Rednosed Raindeer getroffen und die neuesten Neuigkeiten ausgetauscht. Im ersten Moment war ich ja versucht, ihm den Umgang mit dem Arbeitstier meines Feindes zu verbieten, aber erstens lässt mein Esel sich weder was sagen noch untersagen, und zweitens merkte ich schnell, dass ich diesen guten Kontakt auch für mich nutzen kann. Im Gegenzug werde ich darauf achten, dass Rudolph kein Härchen gekrümmt wird.

 

Die Sache ist erstaunlich einfach. Ich selber muss nicht einmal dabei sein, wenn Santa Claus ins Gras beißt. Etwas schmierige Erdnussbutter auf den Stufen der Leiter, die er erklimmen wird, reicht aus, wenn er durch den ersten Kamin auf seiner Tour Hausfriedensbruch begehen wird ... Den Rest erledigt seine Selbstgefälligkeit, die in seinem Weltbild Dinge wie Um- oder Vorsicht gar nicht zulässt – gemeinsam mit der Erdanziehungskraft, die ihn, wenn er den Halt verliert, dorthin befördert wird, wo er hingehört: nach unten. Und finito.

 

*

 

»Santa Claus vom Dach gefallen: Tot!« Die Schlagzeilen schreien den tragischen Unfall kurz darauf in die Altjahreswoche hinaus, grell und brutal. Es gibt Sondersendungen mit weinenden Kindern, und die Facebook-Seite »Santa Claus we love you <3 <3 <3 !!!« erhält innerhalb weniger als vierundzwanzig Stunden über 50.000 Likes.

Ich muss zugeben, ein bisschen leid tut mir die Sache dann doch, aber nur wegen der untröstlichen Kinder, die darum trauern, dass Santa Claus den Weg alles Irdischen gegangen ist. Nun müssen die Kleinen halt 346 Tage warten, bis sie begreifen, dass zwar der Santa Claus tot ist, aber der Nikolaus sich nach wie vor bester Gesundheit erfreut und sie so reich beschenken wird wie noch nie! Um den ollen Ami selber – um mal die Worte meines Esels zu gebrauchen – tut es mir nicht leid. Zum Glück kam niemand auf die Idee, dass er mit Absicht ins Jenseits befördert worden ist.

Mein etwas überstürzter Mordanschlag wäre wohl aufgeflogen, wenn die Kriminalpolizei in dieser Sache eine Untersuchung eingeleitet hätte, denn wer streicht schon Erdnussbutter auf Leiterstufen? Hat sie aber nicht. Und dass das Attentat nicht sonderlich professionell war, spricht doch eigentlich für mich, oder? Schließlich hat man als Nikolaus keine Erfahrung mit den bösen Aktivitäten dieser Welt.

 

Rudolph ist übrigens bereits zwei Tage nach dem Tod seines Meisters zu uns in den Schwarzwald gezogen. Mein Esel hat darum gebeten, ihm Asyl zu gewähren, und ich wollte mal nicht so sein. Um genau zu sein: Mein Esel ist eigentlich eine Eselin. Und wenn ich sehe, wie glücklich die beiden zusammen sind, wird mir ganz warm ums Herz. Rudolph gefällt es offenbar sehr gut hier im Tannenwald. Sieht ja auch ähnlich aus wie in seiner Heimat, zumindest im Winter.

 

Und ich? Ich habe nun wieder Urlaub. Mein Ruf als Inbegriff des Gütigen und Großzügigen ist mir geblieben, denn mein dunkles Geheimnis kennt niemand, und von Januar bis Oktober denkt sowieso keiner an mich. Im Sommer genieße ich das dolce far niente, lege meine Füße irgendwo an geheimem Ort auf den Tisch und öffne mir eine Dose eisgekühlte Coca Cola. Das Zischen ist mir jedes Mal von Neuem Genugtuung. Hohoho!

Spitzbuben à la Nikolaus

180 g Butter

80 g Puderzucker

1 Prise Salz

1 TL Vanillinzucker

250 g Mehl

Früchtegelee, Geschmacksrichtung nach Belieben

Butter weich rühren, Zucker und Salz unterrühren, dann Mehl dazu, verrühren. In die Kälte stellen und ruhen lassen, Teig drei Millimeter dünn ausrollen, runde Plätzchen ausstechen. Die Hälfte davon mit kleinem Ausstecher verzieren.

In der Ofenmitte auf 200 Grad fünf bis zehn Minuten backen, etwas auskühlen lassen.

Gelee erwärmen und auf die umgekehrten Plätzchen streichen, Deckel draufdrücken, eventuell mit etwas Puderzucker bestäuben, fertig.

Peak boys à la Santa Claus

Alles gleich, aber Früchtegelee durch Erdnussbutter ersetzen. Genuss allerdings auf eigene Gefahr!

Das (Schlacht-)Fest der Liebe

Stuttgart

Dorothea Böhme

 

»Du kommst eben nach deinem Vater«, sagte seine Mutter immer, wenn Tommy wieder mit einer Fünf nach Hause kam. Dann strich sie ihm sanft über den Kopf, gab ihm ein Stück Schokolade und schickte ihn zum Sport. »Wenn du Muskeln hast und boxen kannst, lacht keiner über dich.«

Denn sie war eine kluge Frau: Sie hatte sich seinen Vater ausgesucht, ein hohes Tier beim Daimler, von dem sie sich den Rest seines zugegebenermaßen nicht allzu langen Lebens aushalten ließ.

Übrig blieben Tommy, den sie heiß und innig liebte, und eine knappe Million, die sie beinahe ebenso sehr liebte.

Tommy liebte hauptsächlich seine Mutter, sein Fitnesstraining und hin und wieder auch Mädchen, später Frauen, die ein Auge auf die Million geworfen hatten.

Als er 25 war, erkrankte seine Mutter an Krebs, was verhinderte, dass sie die knappe Million ausgeben konnte, weshalb sie sich Gedanken um Tommys Zukunft machen musste.

»Tommy«, sagte sie schwach und legte die Tablettenschachtel, die er ihr gereicht hatte, neben sich. »Gib mir die Tabletten auf deiner anderen linken Seite. Und versprich mir eins: Heirate niemals eine Frau, die klüger ist als du.«

Von seinem Erbe eröffnete Tommy ein Fitnessstudio in Stuttgart-West, wo es vor Fitnessstudios nur so wimmelte. Die mussten schließlich einen Grund haben, alle dort angesiedelt zu sein. Er kaufte eine alte Garage in der Reinsburgstraße und baute sich den ersten Stock zu einem Loft um. Er stellte zwei Fitnesstrainer und eine Yogalehrerin ein. Dann machte er sich daran, den letzten Wunsch seiner Mutter zu erfüllen.

Doch die Sache gestaltete sich schwieriger als gedacht: Die erste Freundin konnte Kopfrechnen, die zweite gewann beim Pub-Quiz, und die dritte wollte plötzlich studieren gehen.

»Hey, nicht aufgeben, Frauen gibt’s wie Sand am Meer, und eine passende wird sich schon finden«, munterte Brock ihn auf, sein erster Fitnesstrainer, der eigentlich Lukas hieß. Aber Brock, der beinahe so breit wie Tommy war, fand »Lukas« viel zu deutsch. »Brock« war amerikanisch und erinnerte ihn an »Brocken«, einen großen, starken Felsen. Der er dank ausgiebigen Trainings, vor allem aber guter Steroide auch war.

Seit dem Tod seiner Mutter hatte Tommy nicht mehr allzu viele Leute, mit denen er über seine Gefühle reden konnte. Brock war nicht ideal, aber stand gerade zur Verfügung.

»Sind das etwa Anabolika? Brock, du verkaufst doch keine Steroide in meinem Club?« Tommy starrte auf die Pillen, die Brock auspackte.

»Nein, Mann, das sind Vitamine. Steht sogar drauf: Metandienon.«

Beruhigt lehnte Tommy sich wieder zurück.

»Bald ist Frühling, Mann. Da werden die Röcke kürzer und die Frauen heißer. Da läuft sie dir über den Weg.«

Erst einmal wurde es allerdings Herbst, die Jacken länger und die Getränke heißer.

Tommy wurde schon von einer ausgewachsenen Winterdepression heimgesucht, da fiel ihm seine Traumfrau zwischen den Ruder- und den Konditionsgeräten buchstäblich vor die Füße – und zwar, als sie sich mit einem Knopfdruck regelrecht vom Laufband katapultierte.

»Da waren diese ganzen Buchstaben, die haben mich verwirrt«, sagte die zarte blonde Schönheit mit dem Namen Vanessa und hielt sich den Eisbeutel an die Schläfe, den Tommy ihr gebracht hatte.

»Das sind echt viele«, murmelte Tommy mitfühlend, während er ihr einen Proteinshake reichte. Auf den Stress musste sie ihren Energiehaushalt ausgleichen. Außerdem hatte er das Bedürfnis, sie zu umsorgen, und mehr als Proteinshakes, Proteinriegel und Proteincracker kam ihm auf die Schnelle nicht in den Sinn.

Einige Minuten schlürften sie beide schweigend ihre Shakes. Seine Augen wanderten immer wieder von ihren Schultern über die weichen Rundungen ihrer Hüften bis zu … Schnell blickte er ihr ins Gesicht.

»Vielleicht hast du ja mal Lust … wir könnten am Bärensee laufen gehen. Wenn du möchtest …«, stotterte Tommy.

Für einen kurzen Augenblick leuchteten ihre Augen auf, dann brüllte jemand am Empfangstresen: »Vanessa!«

Tommy runzelte die Stirn, Vanessa schien in sich zusammenzufallen. »Das wäre wirklich schön«, sagte sie schließlich zu seinem Vorschlag. Dann nickte sie mit dem Kopf in Richtung Tresen, wo sich ein Typ in Achselshirt und mit blondgefärbter Stachelfrisur gerade mit Brock anlegte. »Aber mein Freund würde das nicht mögen.«

Ihr Freund. Natürlich hatte so eine wunderbar schöne Frau, die ihre wertvolle Zeit nicht mit Nachdenken verschwendete, einen Freund. Tommy hätte die Arme in die Luft reißen und das Schicksal verfluchen können.

Stattdessen spendierte er ihr nur einen Proteinriegel und hoffte, sie würde dennoch weiterhin in sein Fitnessstudio kommen – was sie mit nun wieder leuchtenden Augen fest versprach, bevor sie mit ihrem Platinblonden verschwand.

Tommy blieb zurück, im Hintergrund das Surren eines einsamen Kunden auf dem Standfahrrad. Als Gesellschaft blieben ihm Brock, an die hundert Proteinriegel und sieben Hochglanzfotos von Bodybuildern an der Wand.

 

*

 

Es dauerte tatsächlich nur drei Tage, da kam Vanessa erneut herein.

Vor Aufregung stolperte Tommy über eine Rundhantel, dann fuhr er sich schnell durch die gegelten Haare.

»Hey, Vanessa!« Sein Lächeln gefror, als er ihr Gesicht sah. Zu dem blauen Fleck an ihrer rechten Schläfe, der vom Laufband-Unfall stammte, hatte sich ein blaues Auge auf der linken Seite hinzugesellt. »Was ist passiert?«

»Ich bin gegen eine Tür gelaufen.«

Tommy wollte ihr gerade erzählen, dass ihm das auch öfter passierte, weil er Entfernungen so schlecht einschätzen konnte, da fiel ihm auf, dass sie ihm nicht in die Augen blickte. Und wenn Tommy eins war, dann ein Gentleman. Sein Unterkiefer schob sich nach vorn.

»Das war dein Freund, oder?«

Ein kleiner Schluchzer entfuhr Vanessa, Tommy hätte am liebsten die Rundhantel genommen und ihrem Macker den Schädel damit eingeschlagen. Erschrocken über die eigenen Gewaltfantasien, er war immer ein friedliebender Mensch gewesen, streichelte er Vanessa sanft über die bebende Schulter.

»Es ist auch meine Schuld«, sagte sie und blickte ihm endlich in die Augen. »Ich habe die Mikrowelle viel zu hoch eingestellt. Alles ist explodiert und angebrannt, ich hab zwei Stunden putzen müssen.«

»Solche Dinge passieren.« Tommy hatte einmal Kartoffeln ohne Wasser gekocht.

Sie zuckte unglücklich mit den Schultern. »Ich bin manchmal ein bisschen dumm.«

Das mag ich doch so sehr an dir!, wollte Tommy rufen, biss sich aber noch rechtzeitig auf die Lippen.

 

*

 

Dafür nahm er kein Blatt vor den Mund, als er Brock zwei Stunden später die Geschichte erzählte.

»So, und dreimal darfst du raten, was ich jetzt mache«, sagte er, als er am Ende angelangt war. »Ich werde dieser elenden Laus so richtig die Fresse polieren.«

Die begeisterte Zustimmung, die er von Brock erhofft hatte, blieb aus.

»Soll ich Vanessa etwa leiden lassen?«, fragte Tommy aufgebracht.

»Natürlich nicht.« Brock drehte sich auf seinem Barhocker am Tresen der Fitnessbar zu ihm herum. »Aber was passiert danach?«

»Er braucht einen Strohhalm zum Essen.«

»Auch, klar. Und dann?«

»Er lässt sich krankschreiben.«

»Und weiter?«

»Er kann nicht arbeiten gehen. Er kommt ins Krankenhaus. Oh. Wer soll das alles bezahlen? Und ich bin schuld.«

»Wie? Was?« Brock seufzte. »Er ist sauer und verbietet Vanessa, nochmal herzukommen. Oder er zeigt dich gleich an. Nein, nein, was du willst, ist eine endgültige Lösung des Problems.«

Das hörte sich gut an. »Du meinst, ihn endgültig aus Vanessas Leben zu befördern?«

Brock zog bedeutungsvoll die Augenbrauen hoch. Was genau das bedeuten sollte, konnte Tommy allerdings nicht so recht sagen.

»Wie soll das gehen?«, fragte er.

Brock fuhr sich mit dem Daumen ganz langsam am Hals entlang.

»Ich soll ihn umbringen? Du bist doch verrückt.«

»Hast du eine bessere Idee?«

Hatte Tommy nicht, aber das war kein Wunder, er hatte nie bessere Ideen, er war immer derjenige mit den schlechten Ideen gewesen. Oder ganz ohne Ideen.

»Ich wünschte, meine Mutter würde noch leben.« Die hatte in Notlagen immer gewusst, was zu tun war.

»Ja, Mann, Mütter.« Brock nickte. »Okay. Was glaubst du denn, würde sie dir jetzt raten?«

Tommy dachte nach. Das dauerte eine ganze Weile. Schließlich musste er an den Tag denken, an dem sein Vater starb. Seine Mutter hatte extra Kokosmakronen gebacken, die liebte die ganze Familie. Aber Tommy hatte unerklärlicherweise keine davon essen dürfen. Eine halbe Stunde später hatte der Vater angefangen zu würgen und war dann vom Stuhl gerutscht.

Tommy nickte langsam. »Ich glaube, sie würde mir raten, Kokosmakronen zu backen.«

 

*

 

Vanessas Freund die Kokosmakronen unterzujubeln, war nicht schwer.

Seit Vanessa mit leuchtenden Augen aus dem Fitnessstudio gekommen war, hatte Mario Verdacht geschöpft. Beim Friseur hatte er seine Stacheln frisch blondiert, aber auch, als er die Muskeln in seinem Achselshirt hatte spielen lassen, war keine Bewunderung in Vanessas Augen zu sehen gewesen. Mario wurde zunehmend frustrierter, die Faust saß ihm lockerer, was nicht nur Vanessa spürte, sondern auch der Nerd, der ihn in der Disco auf der Theo angerempelt hatte. Seit Tagen kreisten seine Gedanken nur um eins: Vanessa würde ihn doch wohl nicht betrügen?

Aus diesem Grund ließ er sie nicht mehr aus den Augen, brachte sie zum Fitnessstudio – denn ja, die Notwendigkeit regelmäßigen Trainings sah er ein, wollte er doch, dass Vanessa ihre straffen Schenkel und diesen unglaublichen Hintern behielt. Er holte sie auch ab und blieb manchmal sogar während ihres Trainings dabei, um Tommy feindselige Blicke zuzuwerfen und Brock anzupöbeln. Der Trainer Brock war zwar muskulös, aber nichts, wovor der sehnige Mario Angst hatte. Der große Fitnessstudiobesitzer hingegen … Mario wusste vor einer Schlägerei gern, dass die Chancen für einen Sieg mindestens 80 Prozent betrugen.

Die schlechte Laune des Blondgestachelten wiederum ließ Tommys Brust anschwellen. Wenn Vanessas Freund eifersüchtig war, gab es dann nicht vielleicht sogar einen Grund dafür?

Das glückselige Grinsen wich Tommy erst aus dem Gesicht, als er eine Woche später die blaugefärbten Fingerabdrücke auf Vanessas Arm sah.

Tommy hatte keine Ahnung, ob das, was er als »hochwirksames Gift« von einem Straßendealer in einer Nacht-und-Nebel-Aktion bekommen hatte, tatsächlich tödlich sein würde. Aber Versuch macht kluch, hatte seine Mutter immer gesagt, und so holte er ihr fleckiges altes Kochbuch hervor und begann zu backen. Kokosmakronen waren natürlich für einen Sportler insofern unpraktisch, als dass das Eiweiß verbacken wurde und nur das Eigelb übrigblieb, das man nicht gebrauchen konnte.

Abgesehen davon brauchte Tommy vier Versuche, weil er beim ersten das Mehl vergaß, beim zweiten Mal die Makronen komplett verbrannten und er beim dritten nicht mehr wusste, in welcher Makrone das Gift war.

Aber schließlich stellte er sich mit seinem Werk am Eingang des Studios auf.

»Einen wundervollen ersten Advent!«, rief er seinen Kunden und Kundinnen zu.

Als Vanessa mit ihrem Mario durch die Tür spazierte, war noch genau eine, die Kokosmakrone, übrig.

»Schönen ersten Advent. Makrone?« Mit einem Lächeln hielt Tommy sie seinem Rivalen hin, der ihn finster anblickte.

»Hey, Mann«, sagte Brock in dem Moment hinter ihm und schnappte sich die Makrone. »Ich bin am Verhungern.«

»Brock!« Tommy ließ seinen hübsch dekorierten Teller fallen und wollte Brock die Makrone aus der Hand reißen, doch es war schon zu spät.

Manchmal verfluchte Tommy den Umstand seines mangelnden Intellekts. Denn die meisten seiner Freunde waren ebenfalls nicht die Hellsten.

Brock, dem sein Geiz, keine 80 Cent für einen Proteinriegel auszugeben, nun zum Verhängnis wurde, hatte das Gespräch über Vanessas Freund schon längst vergessen.

Immerhin stellte Tommy bei dieser Gelegenheit fest, dass der schmierige Straßendealer keine leeren Versprechungen gegeben und Brock tatsächlich mit Anabolika gehandelt hatte – welche die Rechtsmedizin auch für seinen Tod verantwortlich machte.

Tommy kam glimpflich davon und hielt eine bewegende Rede am Grab seines Fitnesstrainers.

Vanessa hatte Tränen in den Augen.

Und einen neuen blauen Fleck.

 

*

 


In Tommys Adern brodelte es. Was zu viel war, war zu viel, entschied er noch auf dem Heimweg von der Be-erdigung.

Brocks Auto stand vor dem Fitnessstudio, der Schlüssel lag in seinem Spind.

Ohne nachzudenken, eine Tätigkeit, auf die Tommy generell recht gern verzichtete, die in diesem Augenblick aber äußerste Aufmerksamkeit und Willenskraft verlangt hätte, schnappte er sich das dunkelblaue Muscle-Car, das Brocks Liebe zu den USA geschuldet war.

Wo Vanessa wohnte, wusste er, und auch wenn er dreimal durch die theoretische Fahrprüfung gefallen war und immer noch keinen Führerschein besaß, so hatte er bis zu diesem Zeitpunkt doch fünf Praxisstunden absolviert. Und zum Glück steuerte man amerikanische Autos automatisch.

Es war stockfinster, und um nicht wiedererkannt zu werden, zog Tommy sich die Kapuze seines Anoraks tief ins Gesicht, wickelte einen Schal um die untere Mundpartie und nahm Brocks Piloten-Sonnenbrille aus dem Handschuhfach.

Die Kälte, vermischt mit seinem Atem, tat ein Übriges, und so war Tommy tatsächlich für niemanden zu erkennen. Umgekehrt war es für ihn mindestens genauso so schwierig, nach draußen zu sehen. Doch irgendwann bog Vanessas blonder Schopf um die Ecke. Auf der gegenüberliegenden Seite ein Mann, groß und dunkelhaarig.

Tommy parkte aus. Dann ließ er den Motor des hellblauen Chevys aufheulen, der Typ überquerte gerade die Straße.

Tommys Schal verhedderte sich in seiner Sonnenbrille, die Kapuze rutschte immer tiefer, doch tapfer gab er weiter Gas. Der Aufprall riss seinen Kopf zurück. Er hörte einen lauten Aufschrei. Mit zitternden Händen suchte er nach dem Rückwärtsgang, obwohl er doch nichts lieber getan hätte, als Vanessa zu trösten.

Aber es ging nicht anders. Er musste unerkannt vom Tatort fliehen.

Gefährlicherweise hatte Tommy nicht daran gedacht, das Nummernschild des Chevys abzudecken. S – EX 69 war recht prägnant.

Der Unfall war am nächsten Tag in aller Munde. Schließlich geschah ein Attentat auf stadtbekannte Prominenz nur selten. Und dann war der alternde Comedy-Star Hartmut Busch, besser bekannt als Der schwätzende Schwabe, auch noch dabei gestorben. Böse Zungen behaupteten, der Unfallfahrer müsse ein Kulturjournalist der Stuttgarter Zeitung gewesen sein.

Die Polizei bot alle Kräfte auf, um ihrem prominenten Opfer zu Gerechtigkeit zu verhelfen. Doch trotz eingerichteter Sonderkommission und Hilfe durch das LKA blieb das Unfallauto, das ihnen von der einzigen Zeugin Vanessa Stein, einer Nachbarin des Toten, beschrieben wurde, wie vom Erdboden verschluckt.

Erst im darauffolgenden Sommer gaben es die hartnäckigsten der Spezialisten schließlich auf, den alten Mercedes mit dem Kennzeichen S – XY 70 ausfindig zu machen.

 

*

 

»Nimm’s nicht so schwer.« Die Yogatrainerin Janine, die Tommys Verzweiflung über den Tod des Stuttgarter Comedians leid tat, legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Wir gehen demnächst in die Rosenau. Da findest du in Nullkommanichts einen anderen, über den du lachen kannst.«

Tommy nuckelte an seinem Proteinshake und schwieg.

»Und wenn dich das alles nicht aufmuntert: So oft wie die Blonde da drüben zu dir herschaut, scheint sie auf dich zu stehen.«

Er blickte nicht einmal auf. »Die Blonde da drüben hat einen gewalttätigen Freund.«

Als ein paar Minuten lang Schweigen herrschte, dachte er schon, dass Janine mitsamt ihrer Yogamatte abgezogen war. Aber dann hörte er sie hervorpressen: »Das kann man ja ändern.«

Nicht schon wieder. Tommy hatte die Nase voll von Gewalt, gestrichen voll.

Auf dem Weg zur Rudermaschine musste er an Vanessa vorbei, die in ihrem knappen pinkfarbenen Top zum Anbeißen aussah und ihm ein strahlendes Lächeln schenkte.

Etwas tief in seinem Inneren zog. Zog und schmerzte, und als er sah, wie Mario eine halbe Stunde später besitzergreifend den Arm um Vanessa legte, ließ er den Griff am Kabelzugturm abrupt los, sodass er mit einem Klirren gegen das Gestänge prallte.

Janine, die sich zunehmend Sorgen um ihren Chef machte, schleppte ihn zur Ablenkung auf den Weihnachtsmarkt.

»Ein bisschen Glühwein wird dir guttun.«

Tommy versuchte, nicht die Kalorien des süßen Getränks zu zählen und erst recht nicht daran zu denken, was der Alkohol mit seiner Kondition anstellte.

»Ach guck mal«, sagte Janine düster.

Es war, als hätte sich das Schicksal gegen Tommy verschworen. Sie waren mit ihrem zweiten Glühwein vom Rathaus zum Schlossplatz gewandert, weil Janine sich dort die Eislaufbahn ansehen wollte.

Und wer fuhr dort elfengleich eine Pirouette nach der anderen? Seine Traumfrau, die Liebe seines Lebens.

Janine neben ihm wandte sich einem dunkelhaarigen Mann zu und Tommy beschloss, seinen Kummer und sein Singledasein in einem dritten Glühwein zu ertränken.

Gerade als der Glühwein und Vanessas Anblick seinen Magen wieder wohlig warm hatten werden lassen, tauchte er auf. Mario. Eifersüchtig, brüllend wie ein Stier, verlangte er von der blonden Schönheit, augenblicklich vom Eis herunterzukommen.

»Es reicht.« Mit Wucht stellte Tommy seine Glühweintasse ab. Dann marschierte er schnurstracks auf Mario zu. Oder besser: Wollte marschieren.

Es waren nur zweieinhalb Glühwein gewesen, die angesichts Tommys Körpermasse keinerlei Wirkung hätten zeigen dürfen. Aber der Abstinenzler war Alkohol nicht gewöhnt, und so tanzten kleine Punkte vor seinen Augen.

Er war jedoch nicht der Einzige, der Anstoß nahm an Marios Geschrei: Mittlerweile raunzten andere Weihnachtsmarktbesucher ihn an, in der seligsten aller Jahreszeiten nicht solch eine ungute Stimmung zu verbreiten. Liebe und Frieden wollte man haben, nicht Zwietracht und Gebrüll.

Das wiederum forderte Marios Freunde in tiefhängenden Hosen, Basecaps und mit bunten Daunenjacken auf den Plan: Ein Dicker, der noch breitbeiniger als Tommy ging, obwohl er nicht die Hälfte seiner Muskeln besaß, hielt wortlos nach links und rechts seine Mittelfinger in die Höhe, während zwei kleine Schmächtige nach allen Seiten hin beleidigten.

Es dauerte keine Minute, bis der erste Weihnachtspazifist mit seiner Faust ausholte.

»Der gehört mir!«, zischte Tommy, als ein anderer Mario ein Knie in die Magengrube rammte.

Mit Anlauf raste Tommy auf die beiden zu, rutschte auf einer vereisten Pfütze jedoch aus – und nun kam besagte Körpermasse ins Spiel: Er schlidderte, ruderte mit den Armen und prallte schließlich gegen einen der Schläger, den er wie ein Rammbock regelrecht in die hölzerne Wand der Eislaufbahn hineinstampfte. Erst als er Blut sah, bemerkte Tommy, dass der Mann Schlittschuhe um den Hals getragen hatte.

 

*

 

Tommy schob sich einen Protein-Brownie in den Mund, sein einziger Trost in diesen dunklen Zeiten. Vanessa musste er vergessen, es hatte schon zu viele Tote gegeben.

Die Polizei hatte viele Verdächtige und beschuldigte jeden, den sie mit einem blauen Auge auf dem Weihnachtsmarkt festgenommen hatte. Doch bisher war die Suche fruchtlos geblieben, niemand hatte gesehen, wer nun genau geschubst und gerammt hatte. Die Staatsanwaltschaft beschloss, in alphabetischer Reihenfolge anzuklagen.

Nein, dachte Tommy, es nützte nix. Vanessa blieb besser bei ihrem Freund und er selbst, ja, er blieb allein bis an sein Lebensende. Das entweder recht bald über einen Zucker- und Proteinschock kommen würde, wenn man die zerknüllten Schokoladen-Papiere neben ihm betrachtete, oder sich ohnehin nicht anders gestalten ließ, falls sich doch noch jemand an den Rammbock erinnern sollte.

Tödliche Schlägerei auf dem Weihnachtsmarkt, titelte der Regionalteil der Bildzeitung, die Tommy in einem Anflug von Masochismus beim Bäcker gekauft hatte.

Er wickelte einen weiteren Protein-Brownie aus. Brock, Hartmut Busch und nun »Andreas G.«. Leichen pflasterten seinen Weg.

»Tommy«, erklang in diesem Augenblick die schönste aller Stimmen in seinem Rücken.

»Vanessa.«

»Ich …« Sie knetete nervös die Hände. »Steht das Angebot noch, mal gemeinsam am Bärensee laufen zu gehen? Das ist doch jetzt sicher besonders hübsch, mit dem ganzen Eis und Schnee drumherum.«

Vor Aufregung verschluckte sich Tommy beinahe an seinem letzten Brownie-Stück. »Natürlich«, konnte er nicht schnell genug herausbringen. »Aber … aber dein Freund?«

Vanessa sah zu Boden. Dann straffte sie die Schultern. »Ich bin ausgezogen.«

»Du bist …«

»Er ist wieder mal in eine Schlägerei geraten.« Sie presste die Lippen aufeinander, dann sprach sie weiter: »Weißt du, in all der Zeit habe ich mich nie getraut. Ich hatte nie den Mut. Und dann … bin ich manchmal so ungeschickt und vergesse so viel.«

»Du bist wunderbar!«

Ganz vorsichtig griff sie nach seiner Hand. Schmetterlinge flatterten in Tommys Magen. Er hoffte zumindest, dass es Schmetterlinge und nicht die Brownies waren. Zärtlich blickte er sie an.

»Ich verdiene es nicht, dass er mich so behandelt«, sagte Vanessa leise, aber bestimmt. »Ich bin so froh, dass ich dich kennengelernt habe. Einen guten Mann. Einen, der niemals Gewalt anwenden würde.«

Dann hauchte sie ihm einen Kuss auf die Wange, und alles, was Tommy durch den Kopf gegangen war – zugegeben, das waren hauptsächlich Brownies, aber auch ein schlechtes Gewissen gewesen –, verschwand in einem weihnachtlich-glückseligen Glockengeläut.

Kokosmakronen - Das Grundrezept ohne Arsen

4 Eiweiß

250 g Zucker

1 Päckchen Vanillezucker

1 Prise Salz

300 g Kokosraspeln

evtl. Oblaten

Das Eiweiß sehr steif schlagen, nach und nach Zucker, Vanillezucker und Salz zufügen, zuletzt die Kokosraspeln unterheben.

Mit zwei Teelöffeln Makronen formen und auf die Oblaten legen oder auch ohne Oblaten auf ein mit Backpapier ausgelegtes Backblech. 30 bis 35 Minuten bei 140 bis 160 Grad backen.