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Zum Buch

Ein üppiger Blumenstrauß, geschickt von einem Unbekannten, ein verwundeter Vogel, den die Katze im Garten ablegt, ein Sonnenbad auf dem Garagendach, Gedanken beim Geschirrwaschen, die von jugendlichen Abenteuern zum schnarchenden Vater nebenan schweifen – aus ganz alltäglichen Situationen zaubert die schottische Autorin Ali Smith Geschichten voller Menschlichkeit und Zärtlichkeit, Witz und Lebenslust. »Eine wunderbare Sammlung«, schreibt The Herald. »Täuschend leicht wirbelt diese Bibliothek daher, Geistergeschichte, lustige Geschichte, Liebesgeschichte, Gruselgeschichte und vieles mehr. Wie Matrjoschkapuppen, einzeln und doch zusammengehörig, wachsen sie auseinander und ineinander.«

Zum Autor

ALI SMITH wurde 1962 in Inverness in Schottland geboren und lebt in Cambridge. Sie hat mehrere Romane und Erzählbände veröffentlicht, ist Mitglied der Royal Society of Literature und wurde 2015 zum Commander of the British Empire ernannt. Für ihr Debüt »Freie Liebe und andere Geschichten« wurde sie 1995 mit dem Saltire First Book Award ausgezeichnet. Inzwischen hat sie zahlreiche weitere renommierte Preise erhalten, zuletzt 2015 den Baileys Women’s Prize for Fiction.

ALI SMITH BEI BTB

Die Zufällige. Roman

Die erste Person. Erzählungen

Im Hotel. Roman

Freie Liebe. Erzählungen

ALI SMITH

Ganz andere
Geschichten

Aus dem Englischen
von Silvia Morawetz

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Die Originalausgabe erschien 1999 unter dem Titel »Other Stories and Other Stories« bei Granta Books, London.

Die Übersetzerin dankt dem Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur für die Förderung ihrer Arbeit an dieser Übersetzung.

1. Auflage Juni 2018

btb Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Copyright © der Originalausgabe 1999 Ali Smith

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2017 btb Verlag
in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Umschlaggestaltung: semper smile, München

Umschlagmotiv: © plainpicture/Readymade-Images/Alexis Bastin;
© Shutterstock/Mykola Mazuryk

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

CP · Herstellung: sc

ISBN: 978-3-641-19963-0
V001

www.btb-verlag.de

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Für Sarah Wood
in erster Linie

und für Kasia Boddy,
die Erzählungen mag

Inhalt

Gottesgabe

Das hängende Mädchen

Die Blankokarte

Mehr als eine Geschichte

Kleine Tode

Virtuell

Bis hierhin okay

Das Überlebenswunder

Spannung ist alles

Anleitungen für Bilder vom Himmel

Die Geschichte der Mutter von Kasias Mutter

Eine Geschichte von Liebe

Dank

Jeder, ob real oder erfunden,
verdient doch ein offenes Schicksal.

Grace Paley

Gottesgabe

Es gibt inzwischen so vieles, was du von mir nicht weißt. Zum Beispiel. Eine Katze aus der Nachbarschaft bringt mir seit mehreren Tagen Vögel, tote oder sterbende. Als ich aus Athen wieder nach Hause kam, erwarteten mich im Garten sechs übel zugerichtete tote Vögel und verschiedenes anderes Totes zwischen den gerade aufgehenden Blumen; und schon seit Wochen finde ich nun, wenn ich hinten die Tür aufmache, den Leichnam eines Vogels oder das, was davon noch übrig ist. Oder wenn hinten an der Tür nichts ist und ich zu dem kleinen Rasenstück runtergehe, weil ich mich ein bisschen sonnen will, erwartet mich da meistens eine Schweinerei aus Federn und noch mal Federn und angenagtem Vogel.

Heute Morgen zum Beispiel mache ich die Tür auf und will in den Garten, da ist der nächste Vogel auf der Fußmatte. Er lebt noch. Er liegt auf dem Rücken, die Flügel eingezogen, die Füße in der Luft, und stellt sich tot, doch mit jedem Schlag, den sein Herz tut, erschauert der ganze Körper.

Wem immer die Katze gehört, sie liebt mich oder mein Territorium heiß und innig; es werden nicht nur Vögel über meinen Grund und Boden gezerrt und zerbissen, sondern auch Schnecken und Würmer; ich habe schon Flügel von, allem Anschein nach, Spätfrühlingsschmetterlingen gefunden, die bis aufs Geäder zerkleinert waren, und einmal, mitten auf dem Weg, eine Scheibe Brot, das Endstück eines Laibs von Hovis. Dieses Geschenk muss freilich nicht unbedingt von einer Katze stammen, sondern könnte vom Himmel gefallen sein, aus einem Schnabel in meinen Garten oder aus einem Flugzeug; das logisch herzuleiten wäre aber schwieriger. Ich bin naiv, ich weiß; ich staune immer noch, wenn ich daran denke, dass menschliche Abfallprodukte im selben Moment atomisiert werden, in dem Tausende von Flugzeugen sie in den Himmel ablassen, dass der Kot und der Urin nervöser Fluggäste unbemerkt über uns zu Partikeln zersprengt werden, so winzig, dass sie fast nicht existieren, und durch all die Wolken aller Himmel weltweit zu uns herabschweben. Bei meinem Rückflug, auch zum Beispiel, spülte die Bordtoilette, die ich aufsuchte, mit so starkem Druck, dass gleich eine Menge Kabinenluft mit hinausgesaugt wurde; das hätte beängstigend sein können. Ich hatte aber keine Angst, hatte ich nie beim Fliegen, denn du hast ja nur Angst, etwas zu verlieren, wenn du etwas zu verlieren hast. Nicht du: man. Man hat nur Angst, etc.

In Griechenland habe ich Urlaub gemacht, war nur zum Vergnügen dort. Es war eine gute Idee. Ich bin allein los, ein Geschenk an mich. Als ich am ersten Tag der Woche am Strand saß, kaum zehn Minuten in der kleinen Stadt, das Gepäck neben meinen Füßen und zu viele Sachen am Leib für die Hitze, hinter mir das Stimmengewirr der Männer, die in den gängigsten Sprachen durcheinanderschrien und die Touristen zum Essen in ihren Restaurants zu animieren versuchten, sah ich den über die ganze Mauer bis zum Leuchtturm gemalten Schriftzug, griechische Wörter, die ich nicht verstand, und dann die englischen Wörter love und you.

Am Dienstag kam ich zurück, spät. Am Mittwoch räumte ich im Garten auf, sammelte die toten Vögel mit der Schaufel ein und balancierte sie vor mir her in die Mülltonne. Am Donnerstag fand ich wieder einen, eine junge Blaumeise, für mich unter einen Strauch gelegt. Ich hob sie mit einer Plastiktüte auf, die ich mir über die Hand gestülpt hatte, damit ich den Vogel hineinbekam, ohne ihn anfassen zu müssen. Er war gerade tot, eben erst gestorben, durch die Tüte drang stoßweise Wärme an meine Hände; es war ziemlich kalt an dem Tag, hatte geregnet, und ich war überrascht gewesen, wie leicht und wie vollkommen der tote Vogel aussah, als ich ihn da in dem Schutt fand, der sich unter Sträuchern ansammelt, den sinnlosen Steinchen und den lehmigen Krumen, und wie erledigt, zusammengerollt und leer er war, die Farben noch leuchtend und die Krallen bereits umgeklappt und unbrauchbar.

Heute ist Freitag. Der Vogel von heute, der zu meinen Füßen noch atmet, ist eine eben flügge gewordene Drossel; sie ist so jung, dass ihre Federn noch nicht anliegen, sondern bloß ein aufgeplusterter Flaum sind. Ich ziehe mir den Gartenhandschuh über und hebe die Drossel so behutsam auf, wie ich kann, denn ich weiß, ein Schock kann ein Leben beenden. Das Herz des Vogels schlägt schneller. Sein Auge beobachtet mich aus der Wölbung des Gartenhandschuhs, es beobachtet mich den ganzen Weg bis ins Haus, durch die Diele und die Treppe hinauf. Ich öffne das Fenster mit einer Hand und ziehe die andere zentimeterweise aus dem Handschuh heraus, lasse den Vogel auf dem Handschuh im Schatten auf dem Fenstersims, wo Katzen nicht an ihn herankommen. Ich streichle ihm zur Beruhigung mit dem Zeigefinger den Rücken. Irgendwo weiter oben rufen Drosseleltern; ich kann sie nicht sehen, verstehe aber das Geräusch, die panische Bekundung des Verlusts, und weiß jetzt, dass sie schon eine gute Stunde lang rufen, dass ich den Ruf schon beim Aufwachen im Bett gehört habe.

Eine halbe Stunde lang muss ich hinten im Garten immerzu an den Vogel denken. Er ist inzwischen vielleicht schon tot. Aber meines Wissens ist alles in Ordnung, und er lebt noch, zuckt auf dem Fenstersims vorn am Haus vielleicht mit einem Bein oder bewegt zaghaft zum ersten Mal die Flügel oder neigt den Kopf zur Seite und dreht stumm den offenen Schnabel zum Himmel, wo seine Eltern sind, von wo sie rufen, ich höre sie ja und kann ihnen nicht sagen, wo er ist.

Seine Chancen stehen fünfzig zu fünfzig, sofern er sich nicht den Rücken gebrochen hat. Ich habe kein Blut gesehen, nichts, was auf eine Verletzung hinwiese. Dann bricht mir der kalte Schweiß aus. Ich hoffe zu Gott, dass er sich nicht den Rücken gebrochen hat. Ich habe ihn am Rücken angefasst! Vielleicht habe ich ihm Schmerzen bereitet. Vielleicht habe ich ihn noch mehr verletzt, als er es schon war.

Außer dem kratzenden Ruf der Drosseln liegen noch andere, fröhliche Vogelgesänge über den Gärten, flechten sich durch die Bäume. Das erste Mädchen, in das ich mich verliebte, hat mir mal einen Vogel ins Bett gelegt. Ja, richtig, das hat sie getan. Ich hatte das ganz vergessen, und als es mir jetzt plötzlich einfällt, muss ich laut lachen. Sie war süß, es war eine süße Liebe, meine erste. Ich war für sie auch die Erste. Wenn ich nun an sie denke, kann ich es schon fast ohne jedes Bedauern, mit kaum einem Hauch von Unbehagen, mit echter Wehmut, und es war ein ausgestopfter Vogel, den sie mir ins Bett legte, das weiß ich noch; es sollte ein Scherz sein. Ihr Vater kaufte sie auf Auktionen und bei Tierpräparatoren, ausgestopfte Eulen, Seeschwalben und so, und einmal, am Abend vor einer wichtigen Prüfungsarbeit, die ich schreiben musste, kam sie für eine halbe Stunde vorbei, um mir Glück zu wünschen, und als ich vier Stunden später ins Bett gehen wollte, den Kopf voll mit verschwommenen Formeln, lag der Vogel darin, sein Kopf auf meinem Kissen, und sein Sockel beulte mein Bettzeug aus.

Ich muss lachen. Ich war verärgert und angeekelt. Ich hob den Vogel, zwischen zwei Lehrbücher geklemmt, heraus und hielt ihn auf Armeslänge von mir fort, trug ihn hinaus und stellte ihn in der Gemeinschaftsküche des Studentenwohnheims auf den Boden (wo er vermutlich immer noch irgendwo steht mit seiner stolz geschwellten Brust, den an den Kopf geleimten Augen, ein Bein fest vor dem anderen und beide Füße auf den unechten Stein des Sockels montiert), ging in mein Zimmer zurück und bezog mir leise fluchend um zwei Uhr nachts das Bett neu. Im Geiste sehe ich noch die entsetzte Miene, mit der ich das Bett abzog. Jetzt muss ich so sehr lachen, dass eine Nachbarin bei sich oben den Vorhang zur Seite biegt und nachschaut, was das für ein Krach ist. Ich lache in meinem Garten grundlos für mich allein an einem Freitagvormittag um halb elf, zu einer Zeit, in der normalerweise niemand in seinem Garten sitzt, in der normale Menschen irgendwo auf Arbeit sind.

Ich gebe vor, dass ich sie nicht gesehen habe. Ich tue ja etwas. Lese ein Buch. Lese etwas nach über die Orte, die ich, wichtig, wie ich bin, vorige Woche bereist habe. Als ich über die Seite hinwegsehe, schwimmt eine tote grüne Blattlaus in meinem Kaffee. Ich fische sie heraus. Zu meinen Füßen krabbelt auf der Erde unter dem Strauch, unter dem ich gestern den toten Vogel gefunden habe, eine Biene, untersucht die herabgefallenen Blätter auf Gutes, das sie mitnehmen könnte. Heute ist es warm, schwül. Überall sind Insekten aufgewacht. Spinnen rennen durch das Gras und in Rissen in der Mauer rein und raus. Etwas langes Blaues, das aussieht wie ein blaues Stöckchen, klammert sich mit den Vorderbeinen ans Ende eines verdorrten Stengels. Ob es eine Libelle ist? Aus den Augenwinkeln bemerke ich einen Rosenstrauch, der über und über mit Blattläusen bedeckt ist, als wären die Blattläuse winzige grüne Früchte, die in Massen an dem Strauch wachsen. Ich sollte sie besprühen. Seifenlauge dürfte reichen.

Parthenon bedeutet Jungfrauengemach. Dorthin fuhr ich am Montag. Touristen standen Schlange und fotografierten sich gegenseitig vor antiken Sachen. Ich hörte eine gutaussehende junge Frau mit amerikanischem Akzent sagen, so wird Sterben sein, so wird es sein, in den Himmel zu kommen, und ich dachte, sie hat recht: Zu Hunderten und Aberhunderten kommen Menschen aller Altersgruppen und Nationalitäten dort gleichzeitig an, reihen sich in die Schlange ein, stehen herum und sehen sich Sachen an, einige kommen in Regenjacken, einige fotografieren ihre Freunde, einige zeichnen in ihren Skizzenbüchern den Himmel, und einige setzen sich hin und essen ihre Lunchpakete.

Ich aß in einem Restaurant zu Mittag, das Dionysos hieß und am Fuße der Akropolis lag. Es steht im Reiseführer. Wir empfehlen das am Fuße der Akropolis gelegene Restaurant Dionysos – nicht ganz billig vielleicht, aber dort speisen Sie stilvoll und, ein zusätzliches Plus, mit Blick auf die bedeutendsten Überreste der Antike. Das Buch, dieser Reiseführer, ist ziemlich gut. Man bekommt alle möglichen Tipps, zum Beispiel wie man es verhindert, dass Taxifahrer einen übers Ohr hauen, oder dass die echten Karyatiden im Museum stehen und die Frauen, die das Gebäude mit ihren Köpfen tragen, nicht die Originale sind. In farblich abgesetzten Abschnitten findet man außerdem Wissenswertes über die griechischen Götter und über Archäologie, zum Beispiel dass Stiere aus Ton die echten Stiere ersetzen mussten, wenn die Leute sich einen echten Stier als Opfergabe nicht leisten konnten und etwas weniger Wertvolles töten mussten. Oder dass Tonfiguren von Göttinnen, die segnend die Arme ausstrecken oder in Hoffnung auf Fruchtbarkeit vor dem Körper runden, und Schmuck, Wertsachen, Bilder, Porträts, Becher und Krimskrams mit den Toten begraben wurden und dass die Toten Münzen im Mund hatten, die ihnen auf die Zunge gelegt wurden, damit sie die Überfahrt in die Unterwelt bezahlen konnten. In einem Museum sah ich zig Reihen solcher auf die Zunge gelegten Münzen. Was ist eigentlich mit den Toten, die ihre Überfahrt nicht bezahlen konnten? Stehen sie immer noch mit leeren Augen an einem Flussufer und warten auf ein Boot, das nicht kommt, weil ihre Münzen jetzt im Museum sind und nicht mehr in ihrem Mund?

In Chania ist der größte Teil der Altstadt noch von Kriegsschäden gezeichnet, obwohl man nur schwer sagen kann, von welchem Krieg. Überall gibt es feine Schmuckgeschäfte, Frisiersalons, Supermärkte und Cafés im Erdgeschoss von Gebäuden, die weiter oben offen und Ruinen sind. Magere Straßenkatzen rennen ungehindert durch die zerfallenden Häuser ohne Dach; Gräser und Blumen wachsen auf den Simsen von Fenstern, hinter denen nichts als Himmel ist. Einmal aß ich im eleganten obersten Stock einer Ruine zu Abend, in der die gedeckten Tische und die Stühle über drei Etagen verteilt waren. Dem Kellner gefiel meine Sonnenbrille. Er probierte sie immer wieder auf und ging weg, führte seinen Freunden, den anderen Kellnern, vor, wie er damit aussah. Über unseren Köpfen die Unendlichkeit; Schwalben schrien gellend, flogen im Sturzflug gefährlich weite Achten.

Ich heiße Adonis, sagte der Kellner und setzte sich zu mir an den Tisch, als es nichts mehr zu essen gab. Es war spät, es war dunkel; sonst waren kaum noch Gäste in dem Restaurant. Er hatte Kognak gebracht, der aufs Haus ging, hatte ihn mit schwungvoller Geste auf den Tisch gestellt und sich auf dem Stuhl mir gegenüber niedergelassen.

Nein, sagte er, das ist kein Scherz, es stimmt, ich heiße wirklich so. Du bist traurig. Ich werde dir helfen. Wir sind Freunde. Der ist für dich. Ein Fünfsternekognak. Deine Brille gefällt mir. Wenn du wieder in England bist, schickst du mir so eine.

Er war klein und braungebrannt, gutaussehend und wieselig zugleich, und er schenkte mir fünfmal Kognak nach, weil er meine Sonnenbrille haben wollte, aber ich behielt sie. Nach Hause ging ich schließlich mit der Köchin; sie und ich hatten uns den ganzen Abend über den rauchenden Grill hinweg Blicke zugeworfen. Sie war klein und dunkelhaarig und hübsch, ihre Haut war fettig von der Arbeit, und keine von uns sprach eine Sprache, die die andere verstand; als ich schwankend die holprigen Steine hinabstieg, die einmal die Treppe eines Hauses waren, und Adonis mir nachrief, ich solle zurückkommen und mich hinsetzen, wartete sie wortlos unten auf mich. Ich habe keine Ahnung, wie wir durch die sich alle so ähnelnden kleinen Gassen zu meinem nach feuchtem Tierfell riechenden Zimmer fanden, aber wir schafften es und gingen wohl auch zusammen ins Bett, da bin ich mir ziemlich sicher, obwohl ich mich genauer nur daran erinnere, dass ich mich später ins Waschbecken übergeben musste, und als ich am Morgen aufwachte, schöpfte Elena (so hieß sie, glaube ich) Fett, kleine Bröckchen Fleisch, Reiskrümel, was ich noch im Magen gehabt hatte, aus dem Waschbecken in den Zahnputzbecher und füllte es in eine Tragetüte.

Ich bat um Entschuldigung, und sie verstand, sagte etwas und wandte sich lächelnd wieder zum Waschbecken um. Hinter den Fensterläden schlugen die Kirchenglocken, sechs Uhr. Als Elena fertig war, verknotete sie die Tragetüte und stellte sie auf den Boden neben das Abwasserrohr, wusch sich die Hände in dem sauberen Becken, trocknete sie sich an meinem Handtuch ab und ging. Die Sonne war herausgekommen. Ich schlief weiter, wachte mit einem schlimmen Kater auf; das ist praktisch meine ganze Erinnerung an vorige Woche: Ruinen und Freundlichkeit.

Ich sterbe, sagtest du mal zu mir, als dir übel war.

Nein, tust du nicht. Sei nicht dumm. Ich legte dir die Hand auf die Stirn. Du schienst okay zu sein.

Doch, sagtest du, ich hab wirklich Magenschmerzen, ich bin krank, ich sterbe.

Ich holte dir Pepto Bismol aus dem Badezimmerschrank, deckte dich im Bett bis unters Kinn zu, und es ging dir bald wieder gut, ich hatte recht.

Denn ich weiß es ja, ich weiß, ich weiß. Jeder Tag, jede Stunde ist ein Geschenk. Ich weiß es, ja, jeder Moment, sogar der jetzt, hier auf diesem schäbigen Rasen. Das alles weiß ich, habe es immer gewusst und will es in Erinnerung behalten, jedes nervöse Flügelschlagen über einem mit kleinen Steinchen übersäten Garten hinter dem Haus, jede noch so geringe Hoffnung. Alles, was du tust, alles, was du siehst, alles, was du fühlst, jeder einzelne Moment, ob gut oder schlecht, der dir zugestanden wird. Nicht dir: einem. Jeder einzelne Moment, ob gut oder schlecht, der einem zugestanden wird.

Ich öffne die Augen. Der Gesang der Vögel nimmt kein Ende. Wolken türmen sich über den Häusern; die Vögel singen auf diese nachklingende Weise, die Regen ankündigt, und ich höre die Drosseln mit ihrer kratzigen Klage nicht mehr. Das kann zweierlei bedeuten.

Gleich werde ich raufgehen und nachsehen, ob das Drosseljunge noch auf dem Handschuh auf dem Fenstersims sitzt. Wenn ich dort noch einen Vogel vorfinde, ist er wahrscheinlich tot. Wenn ich auf dem Sims keinen Vogel mehr vorfinde, ist er wahrscheinlich am Leben. Aber er könnte hinuntergefallen oder fortgeweht worden sein. Was, wenn er hinuntergefallen ist? Er könnte so tief, wie das Haus hoch ist, hinabgestürzt und durch den Aufprall auf dem Boden bewusstlos geworden oder gestorben sein.

Wenn kein Vogel auf dem Sims ist, tue ich Folgendes: Ich gehe ans Fenster und lehne mich hinaus. Schaue nach unten, und er ist da. Oder ich schaue nach unten, und er ist fort.

Dann ist er tot.

Dann ist er fortgeflogen.