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Zum Buch

Mit Anfang fünfzig verschlägt es die amerikanische Autorin und Literaturagentin Betsy Lerner zurück an den Ort ihrer Kindheit, nach New Haven in Connecticut. Hier lebt auch ihre verwitwete 83-jährige Mutter Roz. Für Mutter und Tochter keine ganz einfache Situation. Besonders als Roz nach einer Operation auf die Hilfe ihrer Tochter angewiesen ist. Auch der Bridgeclub der Mutter braucht nun einen Ersatz. Betsy beschließt, das Spiel zu lernen, und nimmt an den seit über fünfzig Jahren stattfindenden Treffen der Damen teil – gepflegten Seniorinnen, die zusammen viel erlebt haben, aber stets alles hinter Perlenketten, pastellfarbigen Twinsets und den Spielkarten zu verbergen wussten. Genau das, wogegen Betsy als typischer Baby-Boomer immer rebelliert hat. Doch am Ende hat sie weit mehr gelernt als eine Partie Bridge spielen: Die Bridgedamen sind ihre Freundinnen geworden, und durch sie findet Betsy einen neuen Zugang zu ihrer Mutter und zu lange vergrabenen Gefühlen.

Zur Autorin

BETSY LERNER arbeitet seit vielen Jahren als Literaturagentin. Sie ist Autorin mehrerer Bücher und wurde u.a. mit dem Thomas Wolf Poetry Prize und dem Tony Goodwin Prize for Editors ausgezeichnet. Mit ihrem Ehemann lebt sie in New Haven, Connecticut.

Betsy Lerner

Der Bridge-Club
meiner Mutter

Roman

Aus dem Amerikanischen
von Barbara v. Bechtolsheim

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2016 unter dem Titel »The Bridge Ladies« bei Harper Wave, HarperCollins Publishers, New York.

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1. Auflage

Copyright © 2016 by Betsy Lerner

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2018

by btb Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Covergestaltung: semper smile, München

Covermotiv: © H. Armstrong Roberts/Getty Images;

© Shutterstock/Paladin12

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-19969-2
V001

www.btb-verlag.de

www.facebook.com/btbverlag

Für Roslyn und Raffaella, meine Mutter und meine Tochter

Inhalt

Vorwort

Kapitel 1
Eine eigene Sprache

Kapitel 2
Der Manhattan Bridge Club

Kapitel 3
Beim Griechen

Kapitel 4
Tausend Bette Cohens

Kapitel 5
Bingo

Kapitel 6
Wie ich deinen Vater kennenlernte

Kapitel 7
Erwartungen

Kapitel 8
Schnappen

Kapitel 9
Willkommen im Club

Kapitel 10
1964

Kapitel 11
Schneiden

Kapitel 12
Selbstoffenbarung

Kapitel 13
Zickzack

Kapitel 14
Hol die Kinder von der Straße

Kapitel 15
Uhrzeiger

Kapitel 16
Die ganze Wahrheit

Kapitel 17
Bette in Flammen

Kapitel 18
Ist der Schüler bereit, kommt der Lehrer

Kapitel 19
Asche

Kapitel 20
Die Bridgedamen

Epilog

Danksagung

Du hast auf dieser Welt eine Mutter. Nur eine.

Harvey Fierstein, Torch Song Trilogy

Vorwort

Als Kind faszinierten mich die Bridgedamen. Regelmäßig tauchten sie in meinem Elternhaus auf, mit Haarspray, schimmernden Nylonstrümpfen und Lackhandtaschen samt Schließen, die wie Murmeln aussahen. Gerne begrüßte ich sie an der Tür, nahm ihnen die Mäntel ab, die ich dann im Flurschrank aufhängte, wo ich oft in den Falten des Nerzmantels meiner Mutter spielte. Ich beobachtete, wie sie um den Spieltisch herum Platz nahmen, ausstaffiert mit Bridgekarten, Aschenbechern, in Zellophan verpackten Zigarettenschachteln, Bridgeblock und Kristallschalen mit Bonbons. Auf Augenhöhe mit dem Bridgetisch überwachte ich gierig die Bonbons und plante hin und wieder flinke Kamikazeangriffe, um unbeobachtet von meiner Mutter ein paar davon zu ergattern. Während ich bei meinem Vater auf dem Schoß sitzen durfte, wenn er ein oder zwei Runden Rommé spielte, errichteten die Bridgedamen beim Spielen mit ihren Rücken eine quadratische Festung und verständigten sich dabei in ihrer merkwürdigen Sprache von Reizen und Stechen.

Als Teenager machte ich mich aus dem Staub, wenn die Bridgedamen kamen. Ich fand sie bescheuert. Sie arbeiteten nicht und bekamen offenbar nicht mal mit, dass der Feminismus die Welt eroberte. Billie Jean King hatte Bobby Riggs geschlagen, ein Tennismatch für den Geschlechterkampf, Gloria Steinem hatte die Zeitschrift Ms. gegründet, und Helen Reddy eroberte mit ihren Songs die Herzen der Frauen. Für mich waren die Bridgedamen konventionell, ihr Horizont endete mit Familie, Synagoge und Gemeinde. Und ihre Rollen beschränkten sich auf Tochter, Mutter und Ehefrau. Darüber hinaus bildeten sie sich auch noch ein, dass ein Bridgenachmittag Spaß macht. Ehrlich? Allen Ernstes?

Ich wollte eine bessere Partie. Ich las Anaïs Nin und Henry Miller. Mit anderen Worten, ich war entschlossen, so früh wie möglich meine Unschuld zu verlieren und viele Beziehungen zu haben. Ich hasste unser provinzielles New Haven und meine Schule, die dermaßen der Konformität huldigte. Aus meiner Sicht war dort das kreativste Projekt für Mädchen, sich die Haare so lang wie möglich wachsen zu lassen, um beim nationalen Wettbewerb »Long & Silky« mitzumachen. Ich wollte bloß da rauskommen und mit all dem nichts mehr zu tun haben. In Tagträumen flüchtete ich mich nach New York, genau genommen nach Greenwich Village, wo ich Gleichgesinnte treffen würde, Dichter und Schriftsteller. Dann ging ich dort tatsächlich aufs College und blieb auch für das weitere Studium. Zwar gehörte ich nicht zum Inventar von Studio 54 oder Warhols Factory, aber ich baute mir ein eigenes Leben auf: Ich arbeitete im Verlag, heiratete schließlich und bekam eine Tochter.

Und dann kam alles anders. Nach zwanzig Jahren Leben und Arbeiten in New York wurde meinem Mann ein Job beim Verlag der Yale University angeboten. Auch ohne Google Maps war klar, wohin es gehen sollte: New Haven, die Stadt meiner Kindheit und Dreh- und Angelpunkt meines Leidens. Ich bestärkte ihn darin, die Stelle anzunehmen; was es eigentlich hieß, nach Hause zurückzukehren, begriff ich aber erst allmählich.

Für mich war die größte Herausforderung, dass meine Mutter nun regulär zu unserem Leben gehörte. Als ich noch in New York lebte, sprachen wir uns einmal pro Woche, Sonntagsgeplauder eben. Jetzt wohnte ich zehn Kilometer entfernt von ihr. Ich sagte mir, damit könnte ich umgehen. Immerhin war ich ja Mitte vierzig, als wir wieder in heimatliche Gefilde zogen, ich war selber Mutter, und dann flammten die Konflikte mit meiner Mutter doch wieder auf. Warum war das alles so emotional aufgeladen? Warum wurde ich immer wieder zum Teenager, sobald wir zusammen waren? War alles, was sie sagte, Kritik, oder hörte es sich nur so an? Wie wachsame Boxer schlichen wir umeinander herum. Einmal fragte sie mich, warum ich fettarmen Hüttenkäse kaufte und kein Magermilchprodukt – und erklärte damit fast einen Weltkrieg zwischen uns. Dabei ging es um Hüttenkäse, mein Gott! In der Sprache der Mutter-Tochter-Beziehung hieß das aber: War ich denn irgendwann einmal gut genug?

Als sich meine Mutter im Januar 2013 von einer Operation erholen musste, wohnte ich bei ihr im Haus und kümmerte mich um sie. Zu dem Zeitpunkt wohnten wir schon seit mehr als zehn Jahren in New Haven, mein Vater lebte nicht mehr, meine Tochter war selber schon ein Teenager, wir hatten neue Freunde gefunden und kannten jeden. Ich war Partnerin in einer Literaturagentur und pendelte zweimal pro Woche nach New York, um meine Dosis Großstadt zu bekommen. Außerdem spendete Gott unserer netten kleinen Stadt seinen Segen und verlieh ihr einen Apple Store. Hatte ich irgendeinen Grund zu klagen?

Zwar freute ich mich nicht gerade übermäßig auf die Zeit mit meiner Mutter, aber mir war auch klar, dass die Aufgabe dadurch weniger mühsam war, dass sie mit ihren dreiundachtzig Jahren lieber Hilfe ablehnte, als sie zu fordern, was sich am besten mit dem bekannten jüdischen Witz zusammenfassen lässt: Wie viele jüdische Großmütter braucht es, um eine Glühbirne einzuschrauben? Lass mal ich sitze gern im Dunkeln.

Jeden Tag kam eine ihrer Bridgedamen zu Besuch, in einem selbstverständlichen Turnus. Sie waren jetzt kleiner geworden, manche etwas unsicher, aber immer noch mit Schick, jederzeit passten Outfit, Accessoires, Pumps und Handtaschen farblich zusammen. Wenn sie meinten, ich sähe gut aus, fragte ich mich, ob sie mich eigentlich zu dick fanden oder ob sie mein wildes Haar störte. Wenn sie sich nach meinem Mann und meiner Tochter erkundigten, wurde mir immer wieder bewusst, dass sie bei allen Lebensritualen dabei gewesen waren: Sie hatten an meiner Bat-Mizwa-Feier teilgenommen, sie hatten bei meiner Hochzeit getanzt und zur Geburt meiner Tochter Geschenke geschickt. Ihre Großzügigkeit aber hatte ich nie so recht gewürdigt; vermutlich ahnten sie nicht, wie viel jugendlichen Groll und Respektlosigkeit ich oft gehegt hatte. Für mich waren sie alle gleich, eine wie die andere, wie die Präsidenten am Mount Rushmore, die nicht voneinander zu unterscheiden sind.

Demographisch gesehen hätten sich die Bridgedamen nicht ähnlicher sein können. Sie waren alle über achtzig, und sie hatten alle ein College besucht. Sie hatten jung geheiratet, und zwar jüdische Männer, und sie waren mit ihnen verheiratet geblieben. Sie hatten im Durchschnitt 2,5 Kinder bekommen. Keine von ihnen hatte gearbeitet, während sie die Kinder großzog, mit Ausnahme von Rhoda, die jene unsichtbare Barriere für Frauen durchbrach, als sie Vorstandsvorsitzende der Synagoge wurde. Sie erledigten die Einkäufe und kochten das Essen; das 1936 erschienene Kochbuch The Joy of Cooking war ihre Bibel. Sie holten die Kleidung in der Reinigung ab und hielten das Haus sauber. (Irgendwann, als es allen zunehmend besser ging, konnte sich dann jede eine Putzhilfe leisten.) Sie richteten das Zuhause ein und planten Urlaube, von den Catskills über Puerto Rico bis nach Rom.

Sie hatten die Depression und den Zweiten Weltkrieg erlebt. Einige ihrer Ehemänner waren in den Krieg gezogen. Sie waren bei der Bürgerrechtsbewegung dabei gewesen, beim Vietnamkrieg und auch bei der Frauenbewegung, selbst wenn sie nicht ihr Korsett abgelegt oder ihre BHs verbrannt hatten. Sie waren wohl schon zu alt gewesen oder in ihrer Welt zu behütet, um mit Betty Friedans Weiblichkeitswahn etwas anfangen oder das unaussprechliche Problem beim Namen nennen zu können. Sie hatten mitangesehen, wie ihre Kinder in andere Religionen hineingeheiratet hatten und ihre Enkel gemischtrassige Ehen eingegangen waren. In ihrer Jugend war Homosexualität komplett verheimlicht worden, wie beispielsweise bei den Filmstars Montgomery Clift und Rock Hudson. Und heute erleben sie, wie die gleichgeschlechtliche Ehe überall legalisiert wird.

Auch wenn nicht alle aus New Haven stammen, haben sie doch ihr ganzes Erwachsenenleben im weiteren Umkreis von New Haven gelebt, sie haben ihre Kinder hier großgezogen, vier von ihnen haben ihren Ehemann hier beigesetzt, und eine hat ihre Tochter hier verloren. Sie sind alle bei ziemlich guter Gesundheit (auf Holz geklopft, poch, poch, poch). Ihre erwachsenen Kinder können bei ihnen ebenso Stolz wie Sorgen auslösen. Auch wenn sie nicht angeben wollen, aber ihre Enkelkinder brillieren tatsächlich überall. Und an den Montagen treffen sie sich mittags seit fünfundfünfzig Jahren regelmäßig zum Lunch und zum Bridge, dem Kartenspiel, das in ihrer Jugend hoch im Kurs stand.

Bridge war das Fernsehen jener Tage. In den 1930er und 1940er Jahren spielte in 44 Prozent der amerikanischen Haushalte mindestens eine Person Bridge. Im Radio wurden Spiele übertragen, und in beliebten Filmen wie Boulevard der Dämmerung und Der dünne Mann kamen Bridge-Szenen vor. Robert Cohn, eine Figur in Hemingways Roman Fiesta, rühmt sich seiner Gewinnsträhne im Bridge. Der New Yorker veröffentlichte »My Lady Love, My Dove«, eine Geschichte von Roald Dahl, in der ein Paar dabei ertappt wird, wie es seine Gastgeber an einem Bridgeabend betrügt. Charles Goren war in aller Munde, als er das bis heute übliche System der Punktezählung einführte. Seine Bücher haben sich weltweit millionenfach verkauft und die Bestsellerlisten beherrscht. Seine Bridgekolumne erschien in fast zweihundert Zeitungen. Der Typ war ein Rockstar.

Dann kam das Fernsehen auf. 1954 hatten mehr als 80 Prozent der amerikanischen Haushalte einen Fernseher. Abende, die man beim Radiohören und mit geselligen Aktivitäten wie Bridge verbracht hatte, wurden durch das neue Medium verdrängt. Heute gibt es noch etwa drei Millionen aktive Bridgespieler, womit das Spiel quantitativ etwa dem Briefmarkensammeln und Fliegenfischen entspricht. 2015 stellte die New York Times nach achtzig Jahren ihre Bridgekolumne ein. Wie lange kann ein Spiel überleben? Keine der Bridgetöchter hat das Spiel erlernt, weder an der Seite ihrer Mutter noch im College, wo die meisten in den Lounges ihrer Mädchenwohnheime ihre Erfahrungen machten.

Als jede der Damen dem grässlichen Winterwetter trotzte, um meiner Mutter einen Besuch abzustatten, war ich erstaunlicherweise froh, sie zu sehen, sogar fast außer mir vor Freude, als ich ihnen die Mäntel abnahm, wie ich es schon als Kind getan hatte, und in den Flurschrank hängte. Er war nicht mehr wie ein Kleiderkarussell in der Reinigung mit Mänteln und Hosen in Plastikfolien vollgestopft. Seit der Pelz meiner Mutter nicht länger getragen wurde, fristete der Schrank nur noch ein trauriges Dasein. Die Holzkleiderbügel klapperten aneinander wie Klangstäbe vor einem Sturm. Von meiner großen Sehnsucht nach meinem Vater, meiner zunehmenden Sorge um meine Mutter und von der Scham darüber, was ich früher von dieser kleinen Frauengruppe gehalten hatte, ließ ich mir nichts anmerken. Jede brachte eine Mahlzeit oder Brownies oder Plätzchen mit.

»Ich brauche sie wie ein Loch im Kopf«, pflegte meine Mutter zu verkünden, wenn sie gegangen waren, auch wenn wir dann das Gebäck nach dem Abendessen genüsslich verspeisten, während wir uns ein paar Episoden von The Big Bang Theory ansahen.

Als es meiner Mutter wieder gut ging, dachte ich noch oft an ihre Freundinnen vom Bridgeclub und wie deutlich sie sich von unserer Generation unterschieden. Schon ihre Namen standen für vergangene Zeiten: Bette, Bea, Jackie, Rhoda und meine Mutter Roz. (Auch wenn man Bridge zu viert spielt, gehören fünf Frauen zu dem Club. So können sie auch dann spielen, wenn mal jemand verhindert ist – die Show geht weiter.) Ich habe diese Frauen mein Leben lang gekannt, und doch kannte ich sie kaum. Ihre Unterstützung und Loyalität gegenüber meiner Mutter rührten mich. Sie selbst meint, die Bridgedamen hätten sich im Laufe der Jahre auseinandergelebt, ihre gegenseitige Zuneigung sei manchmal getrübt und ihr Leben durch die Folgen des Alterns eingeschränkt. Doch trotz der Differenzen und des Schweigens, das sich mit der Zeit aufgestaut hat, bleiben sie einander ergeben; sie sind pflichtbewusst, und ihre Liebe mag vielleicht hartherzig wirken, aber sie ist beständig. Mir ist ganz bewusst, dass, wenn ich einmal krank wäre, nicht so viele Freunde zu Besuch kämen. Wenn ich Glück hätte, bekäme ich ein paar SMS mit Smileys und Nachrichten auf Facebook. So bleiben wir zwar über die ganze Welt und für die Ewigkeit in Kontakt, aber ein Schmorbraten kommt auf diese Weise nicht ins Haus.

Ich fragte mich, was aus ihrem Leben geworden wäre, wenn sie unsere Möglichkeiten gehabt hätten. Haben sie von anderen Partnern geträumt? Beruhten ihre Ehen auf Liebesheiraten, oder waren sie zustande gekommen, weil ihre Ehemänner sie ernähren konnten, oder aus einer Kombination von beidem? Wenn ich meine Mutter fragte, ob sie meinen Vater liebte, war ihre Antwort immer dieselbe: Er ist ein guter Vater und ein guter Ernährer. Mir schien, dass ihre Fähigkeit zu wählen so wichtig war wie seine Fähigkeit, Geld zu verdienen. Und natürlich stimmte das auch. Für meine Mutter und für jede dieser Damen war ihr Schicksal weitgehend abhängig von ihrer Wahl des Mannes, den sie heirateten. Davon hing ihr finanzieller Wohlstand ab. Zweifellos bereiteten die Männer die Bühne, auf der die Frauen ihr Leben lebten.

»Ich habe mich deinem Vater gebeugt«, lautet die Erklärung meiner Mutter, auch wenn mich das nicht überzeugt. »Ich wollte es.«

»Mom«, antworte ich, »niemand will sich beugen.«

»Doch, ich wollte es wirklich.« Und sie meint es auch so. Oder sie bildet es sich ein. Ich kann mich an so manchen Tag in meiner Jugend erinnern, als dieses Sich-Beugen nicht besonders großartig aussah.

Ich wollte Hepburn und Tracy, Bogey und Bacall; ich wollte die große Liebe für sie, nicht so etwas Zaghaftes oder Ökonomisches. Aber die Damen sind von einem anderen Schlag. In erster Linie nehmen sie ihr Schicksal an. Sie sind sogar dankbar dafür! Sich erst einmal selbst zu lieben ist für sie unvorstellbar. Wer hatte dafür schon Zeit, mit Mann und Familie, um die sie sich kümmern mussten? Sie stocherten nicht in ihrem Innenleben herum. Sie streckten nicht ihr Rückgrat auf Yogamatten, und sie verbrachten auch nicht Stunden um Stunden in Therapie, um über ihre Eltern zu klagen. Oh, diese teuren Stunden, in denen meine Freundinnen und ich unsere Eltern verdammten und gleichzeitig ihre Liebe suchten. Diese unsere Selbstbesessenheit, unseren Egoismus verstehen die Damen jedenfalls nicht.

Als ich die Bridgedamen fragte, ob ich gelegentlich beim Spiel zuschauen dürfte, luden sie mich ein, montags erst beim Lunch und dann beim Bridge dabei zu sein, und manchmal auch zu sich nach Hause zu einem Gespräch über ihr Leben unter vier Augen. Anfangs war ich an den Alltagsdingen interessiert: Carpools, Vorbereitungen von Lunchpaketen, oder wie man einen Saure-Sahne-Dip mit Lipton’s Zwiebelsuppenpulver anmacht. Ich wollte alles über ihre Lektüren von Dr. Spock und Dr. Seuss wissen, und wie es eigentlich war, nicht zuletzt mit Hilfe solcher Bücher eine Generation von Kindern großzuziehen, die mehr als jede andere anspruchsvoll und verwöhnt war: die Babyboomer. Mich interessierte auch, ob sie meinten, irgendetwas verpasst zu haben: die Pille, Drogen, Jimi Hendrix. Oder wie war es ihnen gegangen, wenn sie in den Jeans ihres Teenagers einen Joint gefunden hatten? Letztlich wollte ich wissen, was die Damen von all dem hielten, was für mich und meine Generation essentiell war. Ich wollte erfahren, ob wir etwas gemeinsam hatten, und was genau.

Ich hatte mir vorgestellt, ich würde ein paar Wochen zum Bridge gehen, aber am Ende blieb ich fast drei Jahre dabei. Als sie mir gegenüber offener wurden, fand ich ihre Geschichten anrührend und beeindruckend. Früher hatte ich gedacht, die Damen kennenzulernen lohne sich nicht; aber jetzt wollte ich alles von ihnen wissen, vor allem von meiner Mutter. Ich ahnte nicht, dass ich, indem ich ihre Welt kennenlernte, die Kluft zwischen den Generationen überbrücken würde, aber auch die persönliche Kluft, die bisher unsere Beziehung geprägt hatte.

Nach etwa einem Jahr begann ich mit Bridgeunterricht, und bei diesem Spiel konnte ich meine eigenen Defizite kennenlernen. Ohne besonders große natürliche Affinität zu dem Spiel blieb ich dabei, oftmals von den Damen ermutigt. Meine ältere Schwester, die über mein Vorhaben verblüfft war, fragte mich einmal mit ungläubiger Stimme: Spielst du eigentlich gerne Bridge? Magst du die Damen wirklich gern?

Heutzutage dreht sich bei den Gesprächen am Bridgetisch viel um Unfälle und Krankheiten, Tod und Sterben, und all dies ereignet sich ja auch bedenklich oft. An einem Montag sprachen die Damen über die vorherige Woche, als sie an einem Tag zu zwei Beisetzungen gehen mussten. »Du wirst uns für ziemlich morbide halten.« Betty lacht. »Aber das ist unser Leben.«

Allmählich verstehe ich. Der Tod schwebt über dem Bridgetisch. Wie könnten sie nicht Angst haben vor jenem falschen Schritt, vor jenem fatalen Sturz, bei dem sie sich das Hüftgelenk brechen und dann nicht mehr für sich sorgen können … oder noch Schlimmeres? Als ich Bea einmal fragte, woran eine Freundin von ihnen gestorben sei, sah sie mir in die Augen: »Alter, Betsy, hast du schon mal davon gehört?«

Zum Teil ist dieses Buch ein Gruppenbild der Damen, und es zeigt, was sie miteinander teilen, aber auch das, was sie für sich behalten. Genau wie meine Mutter äußern diese Frauen ihre Gefühle nicht. Leiden ist eine private Angelegenheit. Manchmal, wenn ich den Damen beim Bridgespielen zuschaue, sehe ich die jungen Mädchen, die sie einmal waren, und die Karten, die sie gezogen haben; es steht ihnen ins Gesicht geschrieben, wenn sie mit einem neuen Spiel beginnen, auch hier ist immer alles drin, Gewinn und Verlust, Erfolg und Misserfolg.

Je mehr ich über das unbeachtete Leben der Bridgedamen in Erfahrung brachte, desto besser verstand ich den holprigen Weg, der mich mit meiner Mutter verbindet. Auch dies ist unsere Geschichte.