Das Buch
Schon als Kind war Katie mit ihrem Vater auf Flohmärkten, um nach Briefmarken zu suchen. Immer hoffte er, eines Tages einen ganz besonderen Schatz unter ihnen zu finden. Doch daran erinnert er sich schon lange nicht mehr. Um ihrem an Alzheimer erkrankten Vater eine Freude zu bereiten, bringt Katie seine Sammlung zu dem Philatelist Benjamin. Er soll herausfinden, ob sich unter den vielen Marken eine ganz besondere befindet. Und tatsächlich entdeckt Benjamin einen ungeöffneten Brief, der mit einer seltenen Briefmarke aus den Dreißigerjahren versehen ist. Darauf zu sehen: der Stephansdom, in den ein Edelweiß eingelassen ist. Katie und Benjamin beschließen, dem Geheimnis des Briefs auf die Spur zu gehen und dessen Adressaten zu finden. Doch was sie nicht ahnen: Ihre Suche wird sie ins Österreich des Jahres 1938 führen. An den Ort, wo ein junges Paar sich einst begegnete und sich ewige Liebe versprach.
Die Autorin
Jillian Cantor studierte Englisch an der Penn State University, bevor sie mit dem Schreiben begann. Für ihre Romane wurde sie in den USA bereits mehrfach ausgezeichnet. Sie lebt mit ihrem Ehemann und ihren beiden Söhnen in Arizona. Das Mädchen mit dem Edelweiß ist ihr erster Roman bei Heyne.
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Die Originalausgabe The Lost Letter
erschien 2017 bei Riverhead Books.
Deutsche Erstausgabe 10/2018
Copyright © 2017 by Jillian Cantor
Copyright © 2018 der deutschsprachigen Ausgabe
by Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Straße 28, 81673 München
Redaktion: Claudia Krader
Covergestaltung: Cornelia Niere
unter Verwendung eines Motivs von © CollaborationJS / Trevillion Images
Satz: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN: 978-3-641-21936-9
V002
www.heyne.de
Für Grandma Bea und Grandpa Milt.
Ich werde die Erinnerung bewahren.
»Das [Edelweiß] ist doch die Alpenpflanze, die nahe an der Schneegrenze, ja, sogar unterm Schnee wachsen soll … Nur kecke Alpenjäger und Alpenhirten wagen es, die eigensinnige Pflanze an ihrem Standort zu pflücken, und es gilt als Zeichen glücklichen Mutes, wer sie gewinnt.«
Berthold Auerbach,
Edelweiß: Eine Erzählung,
Klett-Cotta 1874.
Sie hielt die Briefe fest in der Hand, vorsichtig darauf bedacht, die Briefmarken nicht zu beschädigen. Es schneite. Durch ihre abgelaufenen Schuhsohlen kroch die eisige Nässe an ihre Füße, doch sie stapfte weiter durch den Wald Richtung Dorf, die Briefe unter dem Mantel, um sie vor den Schneeflocken zu schützen. Nur noch ein paar Schritte, sagte sie sich selbst. Das war eine Lüge, aber sie schleppte sich weiter.
Nur noch ein paar Schritte. Nur noch ein paar.
Sie brauchte es bloß bis ins Dorf zu schaffen, wo sie die Briefe bei der Post in der Wienallee abgeben würde. Sie brauchte nur die Briefe abzuschicken, dann würde alles gut werden. Auch das war natürlich eine Lüge. Aber sie stapfte weiter durch den Schnee.
Am Waldrand angekommen erreichte sie die Lichtung. Durch die tanzenden Schneeflocken hindurch erblickte sie die verbliebenen Häuser mit ihren roten Dächern in der Morgendämmerung. Wienallee. Sie war beinahe am Ziel.
Der kalte Pistolenlauf an ihrer Schläfe kam so überraschend, dass sie nicht einmal schrie. Schon packte der Mann sie am Arm, und die Briefe fielen zu Boden, in den unberührten Schnee.
Als ich zum ersten Mal vor dem Laden des Briefmarkenhändlers stehe, überlege ich einen Moment, erst gar nicht aus dem Auto zu steigen. Es ist ein außergewöhnlich kalter Vormittag in L. A., ich habe keinen Pullover dabei und verschwende wahrscheinlich nur meine Zeit.
Mein Kombi ist randvoll mit dem Inventar unseres alten Hobbyraums: unendlich viele Briefmarkenalben und durchsichtige Plastikboxen mit Flohmarktware. Zumeist vergilbte Briefe, überwiegend ungeöffnet oder nie abgeschickt, aber mit einer Marke aus jener Zeit versehen.
Wenn ich das Zeug nicht loswerde, muss ich zu Hause Platz dafür freischaufeln. Außerdem will ich wenigstens versuchen, etwas Sinnvolles mit der Sammlung meines Vaters anzufangen. Das bin ich ihm schuldig. Mit diesem Gedanken steige ich aus und öffne den Kofferraum.
Als ich klein war, bin ich oft mit meinem Vater zu Flohmärkten und Trödelläden gefahren. Wir haben den Ramsch anderer Leute durchstöbert, ständig auf der Suche nach einem alten Brief oder den Habseligkeiten eines verstorbenen Sammlers. Ich fragte ihn immer, wonach wir suchten, und jedes Mal lächelte er mich an und erwiderte: »Einen Schatz.« Das waren Briefmarken für ihn, ein Schatz. Diamanten, Rubine, Smaragde. Er betrachtete sich selbst als eine Art Juwelier, der die Makel und die Schönheit bei Objekten sah, die anderen Menschen völlig gewöhnlich erschienen.
Einmal machten wir mit der ganzen Familie eine Reise nach Washington, D. C. und sahen uns den Hope-Diamanten im Smithsonian-Museum an. Da sagte er zu mir: »Nach so was suche ich, Kate.« Ich zweifelte allerdings daran, dass er es in den Trödelläden von Südkalifornien finden würde.
Mein Vater meinte, der Hope-Diamant unter den Briefmarken wäre auf jeden Fall fehlerbehaftet. Eine Marke, die entweder zu früh oder zu spät ausgegeben wurde, oder ein Fehldruck. Ich glaube, die vielen Kisten in meinem Kofferraum stehen genau dafür. Für seine Suche nach einem kostbaren Makel unter Tausenden kleinen Papierquadraten.
Wenn ich Briefmarken betrachte, sehe ich nur Papier und Tinte. Briefmarken sind ein Mittel zum Zweck, ein Gebrauchsgegenstand. Sie befördern meine Post von einem Ort zum anderen und bringen meine Briefe zu meiner besten Freundin Karen, die letzten Sommer nach Connecticut gezogen ist. Erst kürzlich haben mich drei Blümchen in einer Reihe angestarrt, aufgeklebt auf einen Umschlag von Daniel. Der Brief liegt ungeöffnet auf meiner Küchentheke. Das Ende von allem. Ich ertrage diese Endgültigkeit nicht, darum habe ich den Umschlag nicht aufgemacht.
Mein Vater hat Daniel nie so richtig gemocht. Ich bin mir sicher, dass er sich darüber aufgeregt hätte, Briefmarken mit Blumenmotiv für so eine Mitteilung zu benutzen. Doch mein Vater hat das nicht mitbekommen. Und selbst wenn, würde er sich nicht mehr daran erinnern.
Der Laden des Briefmarkenhändlers besteht aus einem nichtssagenden kleinen Raum in einem Einkaufszentrum, dort wo die 405 auf die 101 trifft, am Rand von Sherman Oaks. Nicht gerade ein Ort, an dem ich damit rechnen würde, einen Schatz zu finden. Aber ich bin nun einmal hier und habe einen Termin. Ich schnappe mir wahllos ein paar Kisten und gehe rein.
Benjamin Grossman, der Händler, sitzt an seinem Schreibtisch, auf dem sich ungeordnete Papierstapel türmen. In einer Ecke steht ein kleiner Schwarz-Weiß-Fernseher. Grossman sieht sich die Zwölf-Uhr-Nachrichten an. Der Sprecher berichtet gerade über die gestrigen Demonstrationen in Ostberlin.
Der Händler sieht auf, als ich eintrete, schaltet den Fernseher aber nicht aus. Er ist jünger, als ich ihn am Telefon eingeschätzt hatte. Briefmarkensammeln ist in meinen Augen ein Hobby für ältere Männer. Benjamin jedoch scheint in meinem Alter zu sein, Mitte dreißig, vielleicht Anfang vierzig. Er trägt eine Brille mit Metallgestell und hat einen braunen Lockenkopf.
»Mrs. Nelson?«, fragt er.
Mir ist noch unklar, wie ich mit meinem Ehenamen umgehen soll. »Sie können mich Katie nennen«, sage ich.
»Okay, Katie«, erwidert er etwas abwesend. Es ist ihm völlig egal, wie er mich nennen soll.
Er spielt mit der Fernsehantenne herum, um das Bild besser einzustellen. Ich komme mir vor, als würde ich ihn stören, obwohl ich einen Termin habe.
»Äh, was soll ich mit diesen Plastikboxen machen?«, frage ich. Sie sind ziemlich schwer.
»Ach, tut mir leid. Stellen Sie sie auf meinen Tisch.« Benjamin lässt die Antenne in Ruhe und setzt sich wieder hin.
Ich werfe einen Blick auf die Unordnung um ihn herum.
»Wohin Sie möchten«, sagt er.
Ich stelle die Boxen auf die Papierstapel. Er beugt sich vor und blättert vorsichtig durch die Sachen.
Ich frage mich, warum er ausgerechnet Briefmarkenhändler geworden ist. Welches Hauptfach belegt man im College, wenn man diesen Berufsweg einschlagen will? Geschichte?
Ich habe Englisch studiert, arbeite für ein Lifestyle-Magazin und schreibe Filmkritiken. Damit verdiene ich nicht besonders gut, aber bis vor Kurzem hat es mir wenigstens Spaß gemacht.
»Ich sehe die Sachen durch«, sagt Benjamin. »Dann rufe ich Sie an und berichte Ihnen, was ich so entdecke.«
Am Telefon hatte ich Benjamin bereits von meinem Vater erzählt. Von seinem nachlassenden Gedächtnis, das ihn davon abhält, die Sammlung weiterzuführen. Von seinem Beharren darauf, dass echte Schätze darunter seien. Früher hat er mir ständig erklärt, eines Tages würde das alles mir gehören. Dasselbe hat er gesagt, als ich ihn vor ein paar Monaten ins Willows-Heim umsiedelte. Aber ich weiß nicht, was ich damit anfangen soll. Deswegen habe ich alles hierhergebracht.
Ich gehe raus zum Auto, um die restlichen Plastikboxen zu holen. Als ich wieder reinkomme, sieht Benjamin erneut von den Nachrichten auf und hebt die Augenbrauen.
»Kommt da noch mehr?«
Ich nicke.
»Entschuldigen Sie. Ich helfe Ihnen beim Reintragen.« Er steht auf und folgt mir zum Parkplatz. »Ich wollte nicht unhöflich sein.«
»Ist schon okay«, erwidere ich. Ich bin nicht in der Laune für Small Talk.
Benjamin redet einfach weiter. »Mir war nicht klar, wie viel Ihr Vater hatte, als wir am Telefon miteinander gesprochen haben.« Er wirft einen Blick in meinen Kofferraum.
»Er ist einundsiebzig«, sage ich. Das kommt schärfer heraus, als ich es gemeint habe. »Ich meine … das Sammeln war sein Leben.«
Obwohl ich es laut ausgesprochen habe, hört sich einundsiebzig nicht so alt an, wie es klingen sollte. Viele Leute im Willows sind älter als er, was ich furchtbar ungerecht finde. Sein nachlassendes Gedächtnis ist wie ein Schlag in die Magengrube. Es nimmt mir den Atem, jedes Mal von Neuem.
»Das ist meistens so«, entgegnet Benjamin freundlich.
Als würde er es verstehen. Als würde er den Sammelwahn teilen. Als wäre ich die Verrückte, die es nicht kapiert. Vielleicht stimmt das ja auch.
Nachdem die letzte Kiste ausgeladen ist, sagt Grossman nur: »Geben Sie mir eine Woche, vielleicht auch zwei. Dann berichte ich Ihnen, was ich gefunden habe.«
Ich zögere einen Moment, bevor ich gehe. Was würde mein Vater wohl dazu sagen, dass ich seine kostbarsten Schätze bei einem Mann lasse, den ich in den Gelben Seiten unter Briefmarkenhändler gefunden habe? Ich hatte allen drei gelisteten Händlern eine Nachricht aufs Band gesprochen. Grossman war der erste, der mich zurückrief.
»Kriege ich eine Quittung oder so was?«
Benjamin schüttelt den Kopf, zieht eine Visitenkarte aus einem der Stapel auf seinem Tisch und drückt sie mir in die Hand.
»Ich rufe Sie an, wenn ich fertig bin«, sagt er. »Machen Sie sich keine Sorgen, ich kümmere mich gut darum.«
Als wären die Briefmarken Blumen. Etwas, das man sorgfältig pflegen muss.
»Ich mache mir keine Sorgen«, gebe ich zurück.
Ich habe etwas aus der Hand gegeben, was mir nie gehört hat. Doch als ich ins Auto steige und auf die 405 auffahre, überkommt mich ein plötzliches Gefühl der Leere.
Zu Beginn wusste Christoph nichts über die Kraft des Stichels. Er verstand nicht, dass das kleine Gravurwerkzeug sie am Ende retten konnte. Oder umbringen. Er wusste bloß, dass man mit dem Stichel nicht sauber arbeiten konnte. Er eignete sich nicht für Stahl, nur für Leinwand.
Es gefiel ihm nicht, wie er in seiner Hand lag. Ungewöhnlich schwer, kaum zu beherrschen. Er hätte sich gewünscht, damit so leicht Linien ziehen zu können wie mit einem Pinsel oder einem Stück Kreide, doch er blieb ständig hängen. Es frustrierte ihn, dass er den Stahl nicht so elegant bearbeiten konnte wie sein Lehrmeister Friedrich.
Vielleicht würde Friedrich ihn ja hinauswerfen? Dann müsste er sich nicht nur eine neue Arbeit, sondern auch eine neue Unterkunft suchen. Als Lehrling von Friedrich bekam Christoph Kost und Logis bei der Familie Faber in deren wunderschönem Haus außerhalb von Großenburg – und zusätzlich noch fünf Schilling die Woche.
Was allerdings noch wichtiger war, er bekam die Gelegenheit, das Handwerk zu erlernen, für das Friedrich Faber in ganz Österreich bekannt war: die Briefmarkengravur. Sein größtes Werk war die beliebteste und nach Christophs Meinung auch die künstlerisch wertvollste Briefmarke des Landes, die 12-Groschen-Edelweiß. Die Marke zeigte eine atemberaubende Darstellung der schönen weißen Blume. Friedrich hatte sie im Jahr 1932 sowohl entworfen als auch graviert.
Christoph erinnerte sich genau daran, wie er diese Marke einmal auf einen Brief an seine Mutter geklebt, diesen jedoch nie abgeschickt hatte. Man konnte keine Briefe an Menschen schicken, die es nicht gab oder deren Aufenthaltsort trotz aller Mühe nicht zu ermitteln war. Schon mit dreizehn hatte Christoph die Schönheit der Marke bewundert, die perfekten Schwünge der Blütenblätter.
Er hatte immer davon geträumt, seinen Lebensunterhalt als Künstler zu verdienen. Als er im vorigen Herbst von einem anderen Straßenkünstler in Wien gehört hatte, dass Friedrich Faber, der Friedrich Faber, einen neuen Lehrling suchte, hatte er sein Arbeitszeug zusammengepackt und sein Erspartes für die zweihundert Kilometer weite Fahrt nach Großenburg geopfert. Als er dort angekommen war, hatte er Friedrich davon überzeugt, ihm die Stellung zu geben, indem er ihm einige seiner Kreidezeichnungen von Wien vorlegte.
»Du hast ein gutes Auge«, hatte Friedrich gesagt, als er das Werk betrachtete, das Christoph für sein bestes hielt. Den Stephansdom, herausgearbeitet in feinstem Detail. Friedrich hob eine seiner grauen Augenbrauen. »Aber was verstehst du von Stahl, mein Junge?«
»Ich lerne schnell«, hatte Christoph darauf geantwortet, und das schien Friedrich überzeugt zu haben.
Leider hatte sich bald herausgestellt, dass das nicht stimmte, jedenfalls, was das Gravieren anging.
Den Umgang mit dem Grabstichel beherrschte Christoph noch lange nicht, aber wenigstens zwei Dinge hatte er in den ersten paar Wochen begriffen. Erstens: Friedrich war älter, als Christoph ihn anfangs eingeschätzt hatte. Manchmal zitterten ihm die Hände, wenn er Christoph zeigte, wie man mit den Werkzeugen umging.
Friedrich hatte Christoph erklärt, er brauche einen Lehrling, weil genügend Arbeit für zwei Graveure anfiel, aber inzwischen vermutete Christoph, der wahre Grund für seine Einstellung war, dass Friedrich sein Handwerk bald aufgeben musste. Friedrich hatte keine Söhne.
Zweitens: Friedrich hatte zwei Töchter. Elena war siebzehn, ein Jahr jünger als Christoph, und erinnerte ihn an ein Edelweiß. Sie hatte schneeweiße Haut, lange, hellbraune Locken und strahlend grüne Augen. Miriam war dreizehn. Wenn Elena eine Blume war, dann war Miriam die summende Biene, die die Blume nicht in Ruhe ließ. Frau Faber verdrehte manchmal genervt die grünen Augen und nannte Miriam einen Irrwisch. Christoph fand Miriam unterhaltsam, ganz im Gegensatz zu ihrer Familie.
Er gewöhnte sich schnell an das Leben in Großenburg, wo es grün und ruhig war, anders als in der Großstadt mit ihren vielen Häusern und Menschen. Jeden Morgen wachte er auf und erblickte den Wald vor der bergigen Landschaft.
Zudem fühlte er sich auch im Esszimmer der Familie Faber wohl, wo es nach den köstlichen Eintöpfen von Frau Faber duftete und freitags im Schein der Kerzen das Brot gebrochen wurde. Das Sabbatbrot schmeckte wunderbar. Christoph hatte so etwas noch nie zuvor gegessen. Schon gar nicht im Waisenhaus in Wien, wo die Nonnen immer nur über eine einzige Religion redeten.
Er war nicht unbedingt ein gläubiger Mensch, fühlte sich aber zu den Fabers hingezogen, zu dieser fröhlichen, intakten Familie. Jedenfalls eher als zu Gott oder einer organisierten Religion.
»Miriam, hör auf, ständig herumzuzappeln«, ermahnte Frau Faber ihre Tochter eines Abends.
Christoph war schon fast einen Monat in der Lehre und machte noch keine Fortschritte bei der Stahlbearbeitung. Allerdings hatte er Friedrich am selben Tag mit einer Landschaftsskizze beeindruckt, und noch einen halben Tag später sonnte er sich in Friedrichs Lob, die Arbeit sei gar nicht mal so übel.
»Ich zappele doch gar nicht, Mutter«, entgegnete Miriam in einer Art Singsang, während sie auf ihrem Stuhl herumrutschte und Christoph von der Seite her anlächelte.
Christoph verbarg sein Lächeln hinter dem Suppenlöffel. Er sah zu Elena hinüber, doch die wandte den Blick ab. Er war sich nicht sicher, ob sie unhöflich oder nur schüchtern war. Benahm sie sich stets so distanziert oder nur in seiner Gegenwart?
»Elena, mein Schatz, hol doch noch ein oder zwei Scheite Holz. Es ist kalt hier drin«, sagte Frau Faber.
Es war Hochwinter, kalt und dunkel, und im dreistöckigen Holzhaus der Fabers zog es fürchterlich. In Christophs Dachzimmer stand zwar ein kleiner Ofen, aber er musste sich trotzdem unter zwei Lagen Decken kuscheln, um es nachts einigermaßen warm zu haben. Das war jedoch tausendmal angenehmer als im zugigen Schlafsaal des Waisenhauses, wo jeder nur eine dünne Decke bekommen hatte. Und Frau Faber kochte viel besser als die Nonnen.
Elena legte ihren Suppenlöffel beiseite und stand auf. Christoph versuchte noch einmal, Blickkontakt aufzunehmen, doch sie sah nicht auf.
»Ich helfe dir«. Unwillkürlich erhob sich Christoph. Elena sah ihn an. Endlich hatte er ihre Aufmerksamkeit erregt.
Ein Schatten legte sich über ihr hübsches Gesicht. »Das ist nicht nötig …«
Frau Faber unterbrach sie: »Danke, Christoph, das ist sehr nett von dir.«
Er schenkte Frau Faber ein Lächeln und folgte Elena. Wortlos durchquerten sie die Küche und nahmen den Hinterausgang in Richtung des Holzlagers, das sich vor Friedrichs Werkstatt befand. Der Boden war gefroren und knirschte unter jedem ihrer Schritte. Die kalte Abendluft biss sie in die Wangen. Keiner von beiden hatte an einen Mantel gedacht.
Elena zitterte. Als sie nach dem Holz auf dem Boden griff, fiel ihr Haar über ihre Augen. Christoph musste sich beherrschen, um es ihr nicht zurückzustreichen. Er bückte sich und nahm ihr das Holzscheit aus den Händen.
»Also wirklich«, sagte sie spitz und holte sich das Holzscheit zurück. »Das schaffe ich schon. Ich habe das immer allein gemacht. Ich brauche deine Hilfe nicht.«
»Aber ich möchte dir helfen«, erwiderte er. »Das mache ich gern.«
Elena funkelte ihn zornig an. Da begriff er, dass sie nicht schüchtern war. Sie konnte ihn einfach nicht leiden. Diese Erkenntnis ärgerte ihn. Konnte man das nicht ändern?
Bevor er etwas sagen konnte, drehte Elena sich um und marschierte wieder Richtung Haus. Christoph schnappte sich ein Holzscheit und rannte ihr nach. Er erreichte sie kurz vor der Tür und fasste sie an der Schulter.
»Habe ich was falsch gemacht?«, keuchte er leicht außer Atem. Seine Worte schwebten wie Rauchwölkchen in der eisigen Luft.
»Falsch gemacht?«, wiederholte sie.
»Irgendwas, das dich gestört hat?«
»Wie kommst du denn darauf?« Ihr Atem malte kleine Kringel in die Luft. Sie zitterte wieder.
»Ach, schon gut«, sagte er. »Gehen wir rein. Du frierst.«
»Hör mal«, sagte sie. »Wir sind keine Freunde und werden auch keine. Ich gehe davon aus, dass du nicht lange bei uns bleibst. Sie bleiben nie lange bei uns.«
»Sie?« Zum ersten Mal dachte er an den Lehrling, der vor ihm gekommen war. An die letzten paar, die vor ihm gekommen waren. Hatten sie alle mit dem Stichel versagt wie er und waren hinausgeworfen worden?
Elena gab keine Antwort. Sie trug das Holz hinein und legte es ins Feuer. Christoph machte es ihr nach, dann entschuldigte er sich und ging in seine Kammer. Dort wickelte er sich in zwei Decken ein, holte seinen Skizzenblock hervor und nahm ein Stück Zeichenkohle zur Hand.
Er malte Elenas wütende grüne Augen. Wie lange würde er diesen Ort wohl noch sein Zuhause nennen dürfen?
Am nächsten Tag in der Werkstatt hatte Christoph Mühe, bei der Sache zu bleiben. Er tat sich noch schwerer als bislang, und seine Übungslinien mit dem Grabstichel sahen schrecklich aus.
Als es vor dem Abendessen Zeit zum Aufräumen war, sah Christoph seinen Lehrmeister an und fragte: »Werden Sie mich hinauswerfen?«
»Dich hinauswerfen?« Friedrich war beinahe kahl, aber seine Augenbrauen waren buschig und standen über Augen, die so grün waren wie Elenas.
»Ich stelle mich nicht gerade geschickt an mit dem Stahl«, sagte Christoph kleinlaut. Seine Stimme zitterte ein wenig. »Vielleicht bin ich für diese Arbeit ja nicht gemacht. Vielleicht sollten Sie mich entlassen.«
Christoph wollte auf keinen Fall hinausgeworfen werden. Er wusste, dass er sich bereits an die Herzlichkeit im Hause Faber, an Friedrichs Werkstatt und an Friedrich selbst gewöhnte. Je mehr Zeit verging, desto schwerer wäre es für ihn, das alles wieder aufzugeben. Wenn Friedrich ihn also hinauswerfen wollte, dann lieber früher als später.
»Willst du denn, dass ich dich entlasse?«, fragte Friedrich verwirrt.
»Nein, natürlich nicht«, entgegnete Christoph. »Ich dachte bloß … Elena sagte …« Er spürte, wie ihm das Blut in die Wangen schoss.
»Ach, Elena«, seufzte Friedrich. »Hör nicht auf Elena. Sie hat bloß eine Wut wegen meines vorigen Lehrlings.«
»Weil Sie Ihn hinausgeworfen haben?«
Friedrich schüttelte den Kopf. »Nein, nein, mein Junge. Ich habe nie jemanden hinausgeworfen.«
»Was ist mit ihm geschehen?«, wollte Christoph wissen.
Friedrich legte die Stirn in Falten, gab aber keine Antwort. »Du möchtest also hierbleiben?«, fragte er endlich.
Christoph nickte.
»Dann möchte ich auch, dass du hierbleibst. Ich möchte, dass du etwas lernst. Vorausgesetzt, du willst etwas lernen.«
»Das will ich«, sagte Christoph.
»Gut.« Friedrich legte Christoph eine Hand auf die Schulter. »Es gibt zwei Dinge, die ein guter Briefmarkengraveur beherrschen muss. Erstens muss er etwas zeichnen können, das würdig ist, eine Briefmarke unseres schönen Österreichs zu zieren. Das kannst du.«
Christophs Wangen glühten. Das war ein unerwartetes Kompliment.
»Zweitens musst du das Motiv auf Stahl übertragen, im rechten Maßstab und spiegelbildlich. Du musst die Gravurwerkzeuge beherrschen. Das wirst du bald können. Es dauert eben seine Zeit, und es braucht Geduld. In deinem Alter konnte ich auch nicht richtig mit dem Grabstichel umgehen.«
Christoph lächelte, ganz überwältigt von Friedrichs Freundlichkeit.
»Mach vor dem Abendessen noch einen Versuch.« Friedrich gab Christoph den Stichel zurück. Christophs Hände zitterten leicht, was er mit Mühe überspielte.
Frau Faber hatte einen festen Wochenplan fürs Abendessen. Donnerstags kochte sie Eintopf mit Rindfleisch, Christophs Lieblingsgericht. Im Waisenhaus hatte es nur ganz selten Rindfleisch gegeben, weil es zu teuer war. Der Geschmack von Frau Fabers köstlichem Gericht erinnerte ihn mit jedem Bissen daran, dass er kein Waisenkind mehr war. Er war nicht länger allein.
Nach dem Abendessen machten Miriam und Elena für gewöhnlich Hausaufgaben. Friedrich setzte sich in seinen Sessel vor den Kamin, stopfte sich eine Pfeife und las ein Buch. Christoph wusste nie, was er machen sollte, und zog sich meistens auf sein Zimmer zurück.
Eines Donnerstagabends jedoch, nachdem die Mädchen den Tisch abgeräumt hatten, kam Miriam zu ihm. Ob er Lust hätte, Monopoly zu spielen? Friedrich hatte das Spiel vor zwei Jahren aus London mitgebracht. Miriam liebte es geradezu, während Elena nur ihrer Schwester zuliebe mitzuspielen schien, wie Christoph bislang beobachtet hatte. Zum ersten Mal wurde er nun eingeladen, sich zu ihnen zu gesellen.
»Na, komm schon.« Miriam zog ihn am Ärmel. »Sei kein Langeweiler, verzieh dich nicht wieder in dein Zimmer. Spiel mit uns! Es macht wirklich Spaß, du wirst sehen.«
Er sah zu Elena hinüber, die schnell den Blick abwandte. »Ich will mich nicht aufdrängen«, sagte er leise. Insgeheim hoffte er, sie würde Blickkontakt aufnehmen und ihm versichern, er dränge sich ganz und gar nicht auf.
Tatsächlich wusste er überhaupt nicht, wie man Monopoly spielte. Das war vermutlich der Grund, warum Miriam ihn in die Runde bat. Sie wollte gewinnen. Das machte ihm nichts aus. Er war froh, überhaupt gefragt worden zu sein. Sein Magen war wohlig gefüllt vom Eintopf, seine Haut angenehm warm vom Feuer. Er hatte keine Lust, sich in das kalte Dachzimmer zu begeben.
»Du drängst dich nicht auf«, sagte Elena. »Ich will sowieso ein Buch fertig lesen. Ich gehe nach oben. Spiel du nur mit Miri.«
»Was liest du denn?«, wollte Christoph wissen.
Endlich sah sie ihn an, mit hochgezogenen Brauen. Vielleicht glaubte sie nicht, dass ein Junge, der mit vierzehn die Schule verlassen hatte und Straßenkünstler geworden war, ein Interesse an Büchern haben konnte. Aber das hatte er. Schon als kleiner Junge im Waisenhaus las er alles, was er in die Finger bekam. Seine Lieblingsnonne, Schwester Margarete, schenkte ihm oft ihre ausgelesenen Bücher. Werke über Kunst, Geschichte und Kriege, manchmal sogar Romane.
»Ach, sie liest irgendwas Langweiliges«, sagte Miriam und zog ihn wieder am Ärmel.
»Dr. Freud ist überhaupt nicht langweilig«, entgegnete Elena. »Vielleicht verstehst du ihn ja, wenn du älter bist, Miriam.«
Die kleinere Schwester verdrehte genervt die Augen.
Christoph konnte nichts zum Thema beisteuern. Von Freuds Büchern hatte er keine Ahnung, obwohl er von dem Mann schon gehört hatte. Er war ein Wiener Arzt mit vollkommen verrückten Vorstellungen. Doch vielleicht fand Elena sie nicht so verrückt wie die Nonnen?
»Elena«, mischte Frau Faber sich ein. Sie blies die Kerzen auf dem Esstisch aus. »Leg diesen Dr. Freud ruhig beiseite und spiel mit deiner Schwester und Christoph.« Liebevoll zog sie an einem von Miriams Zöpfen. »Eine muss darauf achten, dass dieses Früchtchen hier nicht schummelt. Außerdem kann man das Spiel auch zu dritt spielen.«
»Ich schummele nicht, Mutter.« Empört verschränkte Miriam die Arme. »Ich kann nichts dafür, dass ich jedes Mal die besten Immobilien Londons kriege.«
Frau Faber lachte, zog Miriam zu sich heran und küsste sie auf den Scheitel. »Genau«, lachte sie. »Du stibitzt niemals Elenas Geld, wenn sie gerade nicht hinsieht.«
»Nein, niemals«, keuchte Miriam entrüstet.
Elena grinste breit. »Na schön, fangen wir an. Das Spiel dauert ewig.«
Christoph folgte den Mädchen zu ihrem üblichen Platz auf dem Boden, direkt vor dem Kamin, und ließ sich schüchtern nieder. Friedrich nahm die Pfeife aus dem Mund und ließ das Buch sinken. Er sah Christoph an, als wollte er etwas sagen, überlegte es sich anders und lächelte ihm freundlich zu. Dann machte er sich auf ins Bett.
Als Christoph später im Bett lag, konnte er nicht einschlafen. Lange lag er so da. Er war hellwach. Miriams zufriedenes Lachen, als sie ihr Geld zählte. Elenas Kichern, als klar wurde, dass sie (vermutlich absichtlich) wieder einmal gegen ihre Schwester verloren hatte. Das alles war ihm ganz nah. Es fühlte sich an, als gehörte es zu ihm.
Die Gravurwerkzeuge jedoch waren ihm fremd. Stahl war etwas ganz anderes als eine Leinwand. Friedrich betonte dauernd, dass Christoph es lernen würde. Aber was, wenn nicht? Was, wenn es nie klappte? Friedrichs Geduld wäre irgendwann erschöpft. Christoph konnte sich nicht vorstellen, ihn als Lehrherren zu verlieren. Oder Frau Fabers Rindfleischeintopf. Oder Miriams Lachen und Geplapper. Elenas hübsches Lächeln, auch wenn es selten ihm galt. Er durfte nicht versagen, denn dann wäre er gezwungen, das Haus der Fabers zu verlassen.
Obwohl es sehr kalt und mitten in der Nacht war, stand er auf und ging auf Zehenspitzen die Treppe hinunter. Er wollte üben. Er brauchte die zusätzliche Zeit in der Werkstatt. Allein, ohne Friedrichs wachsame Augen, die ihn nervös machten.
Im Esszimmer war es zu dieser Stunde still. Das Feuer war heruntergebrannt und glühte nur noch schwach. Christoph zog sich Stiefel und Mantel an und öffnete leise die Hintertür. Nur keinen Lärm machen. Er rannte über das schneebedeckte Gras zu Friedrichs Werkstatt hinüber.
Als er die Tür zur Werkstatt öffnete, erschrak er. Auf dem Arbeitstisch flackerte eine Kerze.
»Wer ist da?«, rief er.
Dann spürte er etwas Metallenes an seiner Stirn und sank schmerzerfüllt zu Boden.
Als ich klein war, schlief meine Mutter sonntags aus. Mein Vater weckte mich früh, manchmal vor Sonnenaufgang. Wir wohnten im Fairfax District, in Laufweite zu zwölf verschiedenen Synagogen, dem Bauernmarkt und den Fernsehstudios von CBS. Den Großteil der Woche verbrachten wir in diesem kleinen Viertel von L. A.
Mein Vater unterrichtete an der Fairfax High. Später bin ich auch auf diese Schule gegangen. Während meines ersten Schuljahrs wurde das neue erdbebensichere Gebäude eingeweiht. Meine Mutter arbeitete in einer Anwaltskanzlei gegenüber von Canter’s Deli.
An Sonntagen jedoch stieg ich mit meinem Vater in sein rotes Mustang-Cabrio und fuhr in mir damals unbekannte Gegenden. Unser Ziel war entweder ein Trödelladen im Valley, ein Flohmarkt in West-Hollywood oder eine Wohnungsauflösung in Beverly Hills, alles im Namen der immerwährenden Suche nach Briefmarken.
Jeden Sonntag kamen wir vor dem Mittagessen wieder nach Hause. Ich war meistens satt von den Donuts, die mir mein Vater unterwegs spendierte. Davon verrieten wir meiner Mutter jedoch nichts. Mein Vater kam nie mit leeren Händen zurück. Manchmal hatte er eine komplette Sammlung gekauft, manchmal nur einen Teil davon. Es kam vor, dass er Briefe ergattert hatte. Entweder welche, die ganz normal zugestellt worden waren, oder solche, die nie abgeschickt worden und liegen geblieben waren. Ab und zu, wenn wir trotz aller Mühe nichts fanden, fuhren wir auf dem Rückweg bei der Post vorbei, wo er einen Bogen der neuesten Marke kaufte.
»Du hast Briefmarken gekauft, aber nicht, um damit Briefe zu verschicken?«, fragte meine Mutter dann. Ihre Stimme ging skeptisch in die Höhe.
So redete sie vermutlich bei der Arbeit. Sie war Rechtsanwaltsgehilfin in einer Kanzlei, die auf Immobilienrecht spezialisiert war. Ich stellte sie mir manchmal im Gerichtssaal vor, obwohl ich wusste, dass die Anwälte ihrer Kanzlei hauptsächlich Papierkram erledigten.
Mein Vater lächelte nur und nahm seine Marken mit in den Hobbyraum, wo er sie seiner Sammlung hinzufügte.
Bei dieser Erinnerung lande ich wieder in der Gegenwart, am heutigen Sonntagvormittag. Ich bin unterwegs nach Santa Monica, um meinen Vater im Willows zu besuchen. Natürlich nicht in einem roten Cabrio, sondern in meinem alten blauen Kombi, der fast hunderttausend Meilen auf dem Tacho und seine besten Tage hinter sich hat. Plötzlich sehe ich eine Marke, ganz deutlich und in allen Einzelheiten vor mir, die er einmal bei der Post gekauft hat. Eine Tierschutzmarke zu fünf Cent mit dem Bild eines süßen schwarz-weißen Hundes. Genauso einen habe ich mir als Kind gewünscht, aber nie bekommen.
Ein weiterer Gedanke geht mir durch den Kopf, als ich beim Heim ankomme.
Ich bin kein Kind mehr. Die Sonntage mit meinem Vater sind Vergangenheit. Seit Jahren haben wir keinen Ausflug mehr unternommen. Den letzten wahrscheinlich, bevor ich aufs College gegangen bin. Da lebte meine Mutter noch. In diese Zeit führt kein Weg zurück.
Das Gute am Willows ist, dass es nur eine halbe Autostunde entfernt liegt, in einem schönen Viertel von Santa Monica. Das Schlechte daran ist, dass es in einem schönen Viertel von Santa Monica steht. Wer sich in L. A. auskennt, der weiß, dass dort alles exorbitant teuer ist.
Mein Vater wird seine gesamten Ersparnisse, seine Pension und seine Lebensversicherung aufgebraucht haben, bevor er das Heim verlässt, da bin ich mir sicher. Aber das Willows ist das Heim mit dem besten Ruf für Demenzpatienten in ganz L. A.
Bei jedem meiner Besuche hielt er es für ein teures Hotel. Er fragte mich nach seinem Flugticket und wann er nach Hause fliegen würde. Seinen Reiseplan habe er verlegt, behauptete er. Ich korrigiere ihn dann nicht sanft, sondern verspreche, mich um seine Dokumente zu kümmern.
»Guten Morgen, Mrs. Nelson.« Die Pflegekraft an der Rezeption grüßt mich, als ich hereinkomme.
»Hallo, Sally.« Ich winke und gehe zu ihr hinüber, um mich anzumelden.
Sally ist Anfang zwanzig und nicht lange genug dabei, um durch die tägliche Arbeit mit Demenzkranken ausgelaugt zu sein. Sie ist zierlich und trägt einen riesigen, glitzernden Verlobungsring an der linken Hand. Obwohl sie als Pflegerin arbeitet, hat sie Jeans und ein Sweatshirt an. Im Willows erinnert nichts an ein Krankenhaus oder ein Altenheim. Deswegen lautet eine der Aufnahmevoraussetzungen, dass es den Bewohnern physisch relativ gut gehen muss.
»Sie sind früh dran heute«, bemerkt Sally.
Ich nicke, erwidere aber nichts. Was würde Sally denken, wenn sie wüsste, dass ich nicht geschlafen habe? Dass ich jeden Morgen um fünf aufwache, seit Daniel weg ist, obwohl ich erst um zwei ins Bett gehe? Dass sich mein Haus, mein Schlafzimmer, mein Bett seltsam fremd, dunkel und leer anfühlen? Das würde ich nie laut aussprechen, schon gar nicht in Gegenwart einer Person, die mich kaum kennt.
Seit ich meinen Vater vor drei Monaten hier untergebracht habe, komme ich jeden Sonntag zu Besuch. Für das Personal heiße ich Mrs. Nelson. Zugegeben, offiziell bin ich noch Mrs. Nelson, denn bislang habe ich die Papiere nicht unterschrieben. Im Kopf jedoch habe ich mich schon lange von der Mrs. und dem Nelson verabschiedet. Mein Vater weiß nichts davon, dass Daniel mich verlassen hat. Warum sollte ich ihn damit belasten oder verwirren? Manchmal habe ich Schuldgefühle, weil mich diese Krankheit in eine Lügnerin verwandelt hat.
»Wie geht es ihm heute?«, frage ich Sally. Ich bin gerne vorbereitet, wenn ich in sein Zimmer komme.
»Nicht schlecht«, antwortet sie. »Ted hat einen ganz guten Tag. Beim Frühstück war er orientiert. Danach hat er an der Kunsttherapie teilgenommen, das hat ihm gut getan. Er hat zu mir gesagt, er würde nach dem Mittagessen mit den Damen stricken.«
Sie lacht, und ich erwidere das Lachen. Das Willows ist wie ein Kreuzfahrtschiff. Es gibt viele Kurse und Aktivitäten, die den Geist stimulieren und die Zeit schneller vergehen lassen. Kein Wunder, dass mein Vater denkt, er wäre im Urlaub.
Sally sagt, ich könne zu ihm, und ich durchquere den langen Flur bis zu seinem Zimmer. Der Flur ist mit gemustertem Teppich ausgelegt, wie im Hotel. Von der Decke hängen große gläserne Kronleuchter, die den Raum hell erleuchten. Zu hell für jemanden, der am Vorabend ein bisschen zu viel Chardonnay getrunken hat, was mir in letzter Zeit öfter passiert.
Ich setze meine Sonnenbrille auf. Heute wird er mich erkennen. Heute wird es ihm richtig gut gehen, sage ich mir. Als würde es in Erfüllung gehen, wenn ich es mir nur fest genug wünsche.
Im Türrahmen seines Zimmers bleibe ich stehen und betrachte ihn einen Moment lang. Er sitzt in einem blauen Velourssessel am großen Fenster und liest ein Buch, die Lesebrille auf der Nase, so wie früher. Er ist sehr groß und schlank, aber auch stark. Inzwischen ist er vielleicht ein bisschen dünner geworden und hat weniger Haare. Aber er ist immer noch mein Vater.
Er blickt auf, sieht mich und lächelt. »Kate die Große.«
Ich erwidere sein Lächeln. So hat er mich als Kind dauernd genannt. Er erkennt mich. Manchmal hält er mich für meine Mutter oder sogar eine Pflegekraft. Aber heute ist ein guter Tag. Sally hatte recht.
»Was liest du?«, frage ich, als ich eintrete. Er hält das Buch hoch, damit ich den Titel lesen kann. »Das ganze Universum der Philatelie. Ach, Dad. Das klingt total langweilig.«
Ich bin froh, dass er heute Morgen weiß, wer er ist. Was er liebt. Mein Vater hat nie Romane gelesen, so wie ich und meine Mutter. Jahrelang hat er an der Highschool Geschichte unterrichtet und Sachbücher gelesen, dicke Bücher über Kriege und Generäle und Geschichte und natürlich über Briefmarken.
Das Buch ist abgegriffen. Er muss es viele Male in der Hand gehabt haben, ob er sich daran nun erinnert oder nicht. Vielleicht tut er es ja. In erster Linie ist sein Kurzzeitgedächtnis beeinträchtigt. An die Vergangenheit erinnert er sich gut. Manchmal so gut, dass er glaubt, dort zu leben. Dass er glaubt, meine Mutter wäre noch da.
»Da wir gerade von Briefmarken reden«, sage ich und hole mir einen Stuhl heran. »Ich lasse deine Sammlung schätzen.«
Er öffnet den Mund und klappt das Buch mit einem Knall zu. »Warum das?«
Das war nicht die Reaktion, die ich mir erhofft hatte. Sofort versuche ich, ihn zu besänftigen.
»Na, du hast doch gesagt, dass du nach dem Hope-Diamanten unter den Briefmarken suchst. Da wollte ich wissen, ob was Wertvolles dabei ist.«
Ich versuche, fröhlich zu klingen, bemerke aber, dass er plötzlich blass geworden ist. Seine braunen Augen haben sich verfinstert. Warum habe ich nur mit dem Thema angefangen?
Er dreht sich um und blickt aus dem Fenster. Es wirkt, als sendeten ihm der blaue Himmel und der braune Berg in der Ferne wichtige Botschaften, die ich nicht wahrnehmen kann. »Jede Marke ist wertvoll.«
»Ich weiß, aber ich habe es anders gemeint.«
»Wo hast du sie hingebracht?«
»Zu einem Händler, er heißt Benjamin Grossman.«
»Wenigstens ein Jude.«
Seine Stimme klingt freundlicher. Vielleicht kann er der Idee, die Sammlung schätzen zu lassen, doch etwas abgewinnen. Mir war gar nicht aufgefallen, dass Grossman ein jüdischer Name ist. Das Einzige, was meinem Vater wichtiger ist als seine Briefmarken, ist sein Judentum. Was mich betrifft, so habe ich mich fast von meiner Religion gelöst. Ich bin eine erwachsene Frau, die einen Nichtjuden geheiratet hat.
Meinem Vater würde ich das niemals verraten, aber während meiner sieben Ehejahre mit Daniel war es für mich jedes Jahr ein Höhepunkt, mit ihm den Weihnachtsbaum zu schmücken. Vielleicht, weil es ein neues Ritual war. Oder weil ich es im Rückblick mit meiner Ehe verbinde. Der Gedanke an Weihnachten, das bald wieder vor der Tür steht, macht mich heute traurig. Welchen Grund hat eine so gut wie geschiedene jüdische Frau, sich einen Weihnachtsbaum zu besorgen?
»Du verkaufst aber nichts«, sagt mein Vater bestimmt und unterbricht meine Gedanken.
Ich konzentriere mich wieder auf die Briefmarken.
»Ich verkaufe nichts, wenn du das nicht willst.« Ich beuge mich zu ihm hinüber und lege meine Hand auf seine. »Ich wollte dich nicht aufregen. Ich wusste nicht, was ich sonst mit deiner Sammlung machen sollte. Aber ich kann sie zurückholen und sie einfach … behalten.«
Was Benjamin Grossman dazu sagen würde? Wie viel müsste ich ihm bezahlen, dass er seine Zeit verschwendet hat?
Mein Vater antwortet nicht. Er starrt wieder aus dem Fenster. »Die Marken waren mein Ein und Alles«, murmelt er.
Vielleicht bemüht er sich gerade, sich an Einzelheiten zu erinnern. Früher hätte es mich nicht erstaunt, wenn er jede einzelne Marke aufgezählt hätte. Heute weiß keiner, was sein Kopf behalten hat und was verloren gegangen ist.
»Ich weiß. Deine Sammlung ist riesig. Ich habe sie kaum ins Auto bekommen.«
»Du hast sie nie verstanden, Rissa. Weil du es nicht wolltest.«
Rissa.
Ich seufze. Im Handumdrehen habe ich mich für ihn in meine Mutter verwandelt. Ich habe einen seiner wenigen klaren Momente mit Briefmarken verschwendet.
Am liebsten würde ich es ungeschehen machen und über wichtige Dinge reden. Darüber, was mit mir und Daniel los ist. Dass ich nicht in der Lage bin, den Umschlag mit den Scheidungspapieren zu öffnen. Dass ein Teil von mir darauf hofft, Daniel würde seine Meinung ändern. Hofft, dass wir es schaffen können, wenn wir uns große Mühe geben. Dass mich das Nachdenken darüber schrecklich anstrengt. Wie furchtbar das alles ist. Ich möchte ihn um Rat fragen, so wie früher.
»Dad.« Ich berühre ihn sanft an der Schulter.
»Du hast sie nie verstanden«, wiederholt er. »Weil du nicht wolltest.«
»Mach dir keine Sorgen, deine Sammlung ist in guten Händen. Ich hole sie zurück und kümmere mich gut darum. Das verspreche ich dir.«
Ich wiederhole, was Benjamin Grossman zu mir sagte, als ich sein Büro verließ. Mein Versprechen klingt hohl. Ich weiß nicht, was ich tun muss, um mich gut zu kümmern.
Sein Buch rutscht ihm aus dem Schoß und fällt auf den Boden. Er scheint es nicht zu bemerken. Gebannt betrachtet er die Außenwelt, ganz so, als könnte er meine Mutter dort draußen sehen, hinter den Bergen, hinter dem Pazifik.
Auch ich sehe hinaus, als wäre sie wirklich dort, wie ein Geist, bis die Helligkeit mir in den Augen wehtut und ich den Blick abwende. Ich hebe sein Buch vom Boden auf. Es ist voll mit Briefmarken, Seite um Seite, geordnet nach Jahr, Land, Graveur. War das alles einmal in seinem Kopf? Kommt es ihm heute genauso fremd vor wie mir?
Ich reiche ihm das Buch und gebe ihm einen Kuss auf den Scheitel. Er schaut mich an. Etwas hat ihn in die Gegenwart zurückgeholt. Das sehe ich in seinen Augen. Jetzt sieht er wieder mich.
»Kate«, sagt er überrascht. »Du bist gekommen.«
»Ja.« Ich lege meine Hand auf seinen Arm. »Ich komme jeden Sonntag.«
Ich warte ab, ob diese Information bei ihm angekommen ist, aber er starrt leer vor sich hin. Schwer zu sagen. Er kommt und geht, dabei bräuchte ich ihn gerade jetzt so dringend.
»Ich muss zur Arbeit.« Ich umarme ihn fest. »Bald bin ich wieder da. Nächste Woche, okay?«
»Kate«, ruft er mir nach. »Meine Flugtickets. Ich kann meinen Pass nicht finden.«
»Ich weiß.« Ich ringe mir ein Lächeln ab. »Ich suche danach.«
Jedes Mal, wenn ich das Heim verlasse, ist mir, als müsste ich ertrinken. Als wäre ich ohne Taucheranzug in den kalten Pazifik gesprungen. Mir ist kalt. Ich bin müde, alles fühlt sich taub an.
Ich muss tatsächlich arbeiten. Ich soll zu einer Filmpremiere gehen, habe aber noch ein bisschen Zeit. Darum fahre ich erst nach Hause, um wieder zu mir zu kommen. Ich wohne nicht mehr in Fairfax, sondern in der Nähe der Uni in Westwood. Auch da gibt es ein paar Synagogen, die ich aber nie besucht habe.
Zu Hause spiele ich kurz mit dem Gedanken, Daniel anzurufen. Er soll jemand anderen zu dieser Premiere schicken. Ich kann mir nicht vorstellen, in einem dunklen Kino zu sitzen und mich auf einen Film zu konzentrieren, schon gar nicht auf eine Weihnachtsklamotte mit Chevy Chase. Nicht nach diesem Vormittag.
In letzter Zeit bitte ich Daniel nicht oft um einen Gefallen. Bei der Arbeit gehe ich ihm aus dem Weg. Wir kommunizieren hauptsächlich per Notizzettel, die wir uns gegenseitig in unsere Postfächer legen. Gerade jetzt möchte ich ihn nicht um ein solches Entgegenkommen bitten.
Ich koche mir eine Kanne Kaffee und versuche mich zu beruhigen. Doch in der Küche sitze ich an dem Tisch, an dem Daniel und ich jahrelang gefrühstückt und zu Abend gegessen haben. Daniel hat mir das Haus überlassen, als Geste des guten Willens.
Er sagte, er wolle mir ersparen, es zu verkaufen und ihn auszuzahlen. Außerdem wolle er mich nicht aus dem Haus treiben, wenn sich alles andere in meinem Leben verändere. Darum überlasse er mir großzügigerweise das Haus.
Großzügigerweise. Dieses Wort hat jedenfalls mein Anwalt benutzt.
Alles an diesem Haus erinnert mich an unsere gemeinsame Zeit. Als er letztes Frühjahr die schrecklichen Worte zu mir sagte, aßen wir gerade zu Abend. An diesem Tisch. Ich hatte eine Lasagne mit Salat gemacht und mir den Tag freigenommen.
Am Vormittag war ich zum ersten Mal im Heim gewesen und hatte meinen Vater auf die Warteliste setzen lassen. Irgendwie hatte sich das befreiend angefühlt. Dann war ich nach Hause gegangen und hatte mich ins Schnippeln, Kochen und Backen gestürzt. Ich hatte einen Kuchen gebacken, Schokolade mit Stückchen und dicker Schokoglasur. Daniels Lieblingskuchen.
»Ich habe Nachtisch gemacht«, erwiderte ich auf seine unerwartete Eröffnung, er wolle nicht mehr länger mit mir verheiratet sein und ausziehen. Zuerst dachte ich, er hätte einen Witz gemacht. Ich würde ihm den Kuchen hinstellen, und er würde alles zurücknehmen.
»Es funktioniert nicht mehr mit uns beiden«, hatte er ruhig gesagt. »Das ist das erste Mal seit Monaten, dass wir zusammen zu Abend essen.«
Tatsächlich? Ich versuchte, mich an unser letztes gemeinsames Essen zu erinnern, aber es gelang mir nicht. Mein Vater lebte allein, obwohl er es eigentlich nicht mehr konnte. Ich verbrachte meine ganze Freizeit mit ihm.
An dieser Stelle hätte ich vermutlich tausend Dinge entgegnen können und auch sollen. Zum Beispiel, dass es aufwärtsgehen würde, sobald mein Vater im Willows war. Ich hätte auch wütend werden können. Ihn anschreien, dass es keinen Grund gebe, jemanden zu verlassen, der sich um seinen Vater kümmert. Dass es nicht in Ordnung sei, so eine Entscheidung ganz allein zu treffen.
Ich hätte auch sagen können, dass es völlig egal war, wie oft wir getrennt zu Abend aßen. Ich konnte mir mein Leben nicht ohne ihn vorstellen. Aber ich war so geschockt von seiner Ankündigung, dass ich weiter von dem blöden Kuchen plapperte.
»Kuchen«, betonte ich. »Ich habe dir einen Kuchen gebacken.« Ich backte sonst nie einen Kuchen, außer an seinem Geburtstag. Der Kuchen war eine Art Entschuldigung.
Ich wusste, dass wir uns voneinander entfernt hatten, und hatte geglaubt, wir könnten das wieder in Ordnung bringen. Wir hatten bloß ein paar schwierige Monate in unserer Ehe hinter uns, die ewig Bestand haben würde.
»Katie«, sagte er dumpf. »Unsere Ehe ist vorbei.«
Da traf mich die Erkenntnis mit ihrer ganzen Wucht. Er hatte keine Hoffnung mehr, was uns betraf. Ich schnitt ihm ein Stück Kuchen ab. Dann schob ich ihm den Teller zu, etwas schwungvoller, als ich gewollt hatte. Der Kuchen hüpfte vom Teller. Daniel starrte erst mich an, dann den Kuchen, der halb auf dem Tisch lag, als wüsste er plötzlich nicht mehr, was er mit dem Kuchen machen sollte.
»Es ist dein Lieblingsnachtisch«, sagte ich schließlich.
Obwohl der Kuchen eine Geste der Freundlichkeit sein sollte, klang ich wütend und verbittert. Daniel senkte den Blick, nahm die Gabel in die Hand und aß einen Bissen.
Nach dem Essen packte er eine Tasche, verließ das Haus und suchte sich ein Hotel.
Einige Stunden nachdem ich von der Premiere zurückgekommen bin, sitze ich im Bett, knabbere an meinem Kugelschreiber und suche nach den richtigen Worten für meine Rezension.
Die Seite vor mir ist völlig leer. Mit dem Kopf bin ich bei meinem Vater. Am liebsten würde ich zum Hörer greifen und ihn anrufen. So wie im College, wenn ich ihm spät abends etwas erzählen oder einfach seine Stimme hören wollte.
Während meines ersten Jahres im College starb meine Mutter an Krebs. Ich wusste, dass er wach wäre. Egal, wie spät es war. Er war eine Nachteule, genau wie ich.
»Daniel hat mich verlassen«, könnte ich ihm sagen. »Ich schaffe es nicht, den Umschlag mit den Scheidungspapieren zu öffnen, weil ich das nicht akzeptieren kann.«
Vor Jahren, als Daniel und ich frisch verheiratet waren, gerieten wir in einen dummen Streit. Daniel fuhr über Nacht weg. Es war nach Mitternacht, und ich rief weinend bei meinem Vater an.