DAS BUCH
1920: Ein Jahr nach seiner Ankunft in Kalkutta hat sich der ehemalige Scotland-Yard-Ermittler Sam Wyndham zumindest an das Klima in Britisch-Indien gewöhnt. Mit der Ergreifung des Terroristen Sen hat er zudem der Kolonialregierung einen großen Gefallen getan. Doch die indische Unabhängigkeitsbewegung ist weiterhin auf dem Vormarsch.
Bei einem Treffen mit Würdenträgern der unabhängigen Fürstenstaaten kommt es zur diplomatischen Katastrophe: Im Beisein der Ermittler wird der Sohn des Maharadscha von Sambalpur ermordet. Wyndham und der indische Sergeant Surrender-not Banerjee erhalten den Auftrag, verdeckt zu ermitteln. Sie reisen nach Sambalpur, wo der sagenhaft reiche Maharadscha im Palast der Sonne residiert. Ohne polizeiliche Befugnisse müssen sie einen Mörder finden, der sich irgendwo im undurchschaubaren Machtgefüge des Fürstenstaats versteckt hält.
DER AUTOR
Abir Mukherjee ist Brite mit indischen Wurzeln: Seine Eltern wanderten in den Sechzigerjahren nach England aus. Sein Debütroman Ein angesehener Mann schaffte auf Anhieb den Sprung auf die britischen Bestsellerlisten und wurde mit dem Dagger Award für den besten historischen Kriminalroman des Jahres ausgezeichnet. Mukherjee lebt mit seiner Familie in London.
LIEFERBARE TITEL
Ein angesehener Mann
ABIR MUKHERJEE
EIN
NOTWENDIGES
ÜBEL
Kriminalroman
Aus dem Englischen übersetzt
und mit einem Glossar versehen
von Jens Plassmann
WILHELM HEYNE VERLAG
MÜNCHEN
In liebevollem Gedenken an meinen Schwiegervater
Manharlal Devjeebhai Mistry,
Bapu
Für Sonal,
für alles
You can’t make an omelette without breaking heads.
1
Freitag, 18. Juni 1920
Einen Mann mit einem Diamanten im Bart sieht man nicht alle Tage. Aber ich schätze, wenn einem Prinzen an Ohren, Fingern und Kleidung der Platz ausgeht, dann ist der Kinnbart nicht die schlechteste Alternative.
Um Punkt zwölf hatten sich die schweren Mahagonitüren des Government House geöffnet, und sie alle kamen herausgeschwebt. Eine Menagerie von Maharadschas, Nizams, Nawabs und anderen Würdenträgern. Jeder der zwanzig gehüllt in Seide, behangen mit Gold, wertvollen Edelsteinen und genügend Perlen, um ein ganzes Schwadron verwitweter Gräfinnen vor Scham im Erdboden versinken zu lassen. Einer oder zwei von ihnen behaupteten, von der Sonne oder dem Mond abzustammen, andere begnügten sich mit einer der etwa hundert Hindu-Gottheiten. Der Einfachheit halber packten wir sie alle in eine Schublade und nannten sie schlicht die Fürsten.
Diese zwanzig hier kamen aus den Fürstenstaaten, die Kalkutta am nächsten lagen. Über Indien verteilt gab es mehr als fünfhundert. Gemeinsam herrschten sie über zwei Fünftel des Landes. Zumindest redeten sie selbst sich das ein, und wir bestärkten sie nur zu gerne in diesem Glauben, vorausgesetzt, sie sangen alle brav »Rule, Britannia« und schworen dem King Emperor ihre Treue.
Wie die Götter wandelten sie in einer streng nach Rang geordneten Prozession mit dem Vizekönig an der Spitze in die glühende Hitze hinaus, wo sie sofort den Schatten von einem Dutzend seidener Sonnenschirme ansteuerten. Seitlich davon, hinter einer undurchdringlichen roten Reihe Turban tragender Soldaten der vizeköniglichen Leibwache drängelten sich Fürstenberater, Verwaltungsbeamte und Hofschranzen aller Art. Und hinter denen standen Surrender-not und ich.
Unvermittelt krachten vom gegenüberliegenden Rasen die Salutschüsse der Kanonen, und ein Schwarm Krähen stieg kreischend aus den Palmen auf. Ich zählte die Donnerschläge. Insgesamt einunddreißig, eine Ehre, die allein dem Vizekönig vorbehalten war – kein einheimischer Fürst verdiente mehr als einundzwanzig. Damit wurde unmissverständlich klargestellt, dass dieser eine britische Verwaltungsbeamte hierzulande noch über jedem Inder stand, selbst über denen, die von der Sonne abstammten.
Wie die Kanonenschüsse war auch die Versammlung, an der die Fürsten gerade teilgenommen hatten, reines Theater. Die richtige Arbeit würde später von ihren Ministern und den Vertretern des Indian Civil Service erledigt. Für die Regierung Britisch-Indiens zählte vor allem, dass die Fürsten hier, auf diesem Rasen, für ein Gruppenfoto zusammenkamen.
Lord Chelmsford, der Vizekönig, schlurfte in vollem Festtagsornat vorneweg. Wirklich wohlzufühlen schien er sich nie in dieser Prunkuniform, die ihn aussehen ließ wie einen Portier vor dem Claridge’s. Für einen Mann, der in seinem Auftreten gewöhnlich eher an einen unterernährten Totengräber erinnerte, hatte er sich zwar ganz passabel herausgeputzt, aber neben den Fürsten wirkte er dennoch farblos wie eine Taube inmitten einer Wiese voll Rad schlagender Pfauen.
»Welcher ist unsrer?«
»Der da drüben«, erwiderte Surrender-not und nickte in Richtung eines großen Mannes mit fein geschnittenen Zügen, der einen pinkfarbenen Seidenturban trug. Der Prinz, den wir sprechen wollten, hatte an dritter Stelle die Treppe betreten und stand an erster Stelle in der Thronfolge eines Fürstenstaats, der im hintersten Orissa verborgen lag, also irgendwo südwestlich von Bengalen. Seine Durchlaucht Prinz Adhir Singh Sai von Sambalpur hatte um unsere Anwesenheit gebeten – oder vielmehr um die Anwesenheit von Surrender-not. Die beiden waren als Schüler gemeinsam auf das Harrows in London gegangen. Ich selbst war nur hier, weil ich die Anweisung dazu erhalten hatte. Der Befehl kam direkt von Lord Taggart, dem Commissioner der Polizei, der behauptete, dies geschehe auf ausdrücklichen, höchstpersönlichen Wunsch des Vizekönigs.
»Diese Gespräche sind von enormer Bedeutung für die Regierung Britisch-Indiens«, hatte er betont. »Und ihr Erfolg hängt entscheidend von der Einwilligung Sambalpurs ab.«
Dass Sambalpur für irgendwas von entscheidender Bedeutung sein konnte, fiel schwer zu glauben. Auf der Landkarte war es jedenfalls unter dem fetten R von ORISSA kaum auszumachen. Dafür brauchte man schon eine Lupe und ein gewisses Maß an Geduld, und besonders an Letzterem schien es mir derzeit zu mangeln. Der Flecken war jedenfalls winzig, nicht größer als die Isle of Wight und ähnlich mager bevölkert. Und trotzdem stand ich jetzt hier und sollte dem Geplauder zwischen diesem Prinz und Surrender-not lauschen, bloß weil die indische Regierung dies für eine Angelegenheit von staatstragender Bedeutung hielt.
Die Fürsten und Prinzen gruppierten sich für das offizielle Foto dem Protokoll gemäß um den Vizekönig. Die wichtigsten sollten auf vergoldeten Stühlen Platz nehmen, die weniger wichtigen dahinter auf einer Bank stehen. Prinz Adhir saß zur Rechten des Vizekönigs. Während die Stühle ein letztes Mal zurechtgerückt wurden, machten die Fürsten steif und verlegen Small Talk. Ein paar versuchten sich zu verdrücken, wurden aber von genervt aussehenden Beamten rasch wieder eingefangen und auf ihre Positionen dirigiert. Schließlich bat der Fotograf um Aufmerksamkeit. Pflichtbewusst stellten die Fürsten ihre Gespräche ein und drehten sich der Kamera zu. Das Blitzlichtpulver explodierte, die Szene war für die Ewigkeit festgehalten, und endlich konnten alle ihrer Wege ziehen.
Ein Zeichen des Wiedererkennens huschte über das Gesicht von Prinz Adhir, als er Surrender-not entdeckte. Er befreite sich aus der Unterhaltung mit einem wohlbeleibten Maharadscha, über dessen Schultern ein Tigerfell lag und der mit dem Gesamtbestand eines mittelgroßen Banktresors behangen war, und kam zu uns herüber. Für einen Inder war er außergewöhnlich groß und hellhäutig, und er bewegte sich mit der Haltung eines Kavallerieoffiziers oder Polospielers. Im Vergleich zu den Fürsten um ihn herum war er eher schlicht gekleidet. Seine hellblaue Seidenkurta besaß diamantenbesetzte Knöpfe und wurde an der Taille von einer goldenen Schärpe gehalten. Dazu trug er weiße Seidenhosen und auf Hochglanz polierte schwarze Oxford-Brogues. Seinen Turban zierte eine Brosche, auf der Smaragde prangten, und ein Saphir von der Größe eines Gänseeis.
Den Angaben Lord Taggarts zufolge war der Vater des Prinzen, der Maharadscha, der fünftreichste Inder. Und wie jeder wusste, war der reichste Mann Indiens gleichzeitig auch der reichste Mensch der Welt.
Der Prinz näherte sich mit einem strahlenden Lächeln. »Bunty Banerjee!«, rief er und breitete die Arme aus. »Wie lange ist das her?«
Bunty – mit diesem Namen hatte ich noch nie jemanden Surrender-not anreden hören, und immerhin lebte ich mit ihm seit einem Jahr unter einem Dach. Dass er diesen Spitznamen bislang geheim gehalten hatte, konnte ich ihm allerdings nicht verdenken. Wäre bei mir in der Schule jemand auf die Idee gekommen, Bunty würde am besten zu mir passen, hätte ich diese Tatsache wohl auch nicht an die große Glocke gehängt. Natürlich lautete sein richtiger Name ebenso wenig Surrender-not. Den hatte ihm ein Kollege bei seinem Eintritt in die Imperial Police Force verpasst. Seine Eltern hatten ihm den Namen Surendranath gegeben, was so viel hieß wie König der Götter. Und obwohl ich mir bei der korrekten Aussprache in Bengali große Mühe gab, bekam ich es nie ganz richtig hin.
Schuld an diesem Unvermögen trug ich jedoch nicht, wie er mir versicherte. Die englische Sprache verfüge einfach nicht über die richtigen Konsonanten, erklärte er mir. So fehle zum Beispiel das weiche »d«. Seiner Meinung nach mangelte es der englischen Sprache überhaupt an so einigem.
»Es ist mir eine Ehre, Sie wiederzusehen, Eure Durchlaucht«, erwiderte Surrender-not mit einer leichten Verbeugung.
Der Prinz machte diese leicht gequälte Miene, wie sie die Aristokraten gerne aufsetzen, wenn sie so tun, als würden sie lieber wie Normalsterbliche behandelt. »Komm schon, Bunty, ich denke, auf Förmlichkeiten können wir verzichten. Und wen haben wir hier?« Bei dieser Frage streckte er mir eine reich beringte Hand entgegen.
»Darf ich dir Captain Wyndham vorstellen?«, sagte Banerjee. »Ehemals Scotland Yard.«
»Wyndham?«, wiederholte der Prinz. »Etwa der, der im vergangenen Jahr diesen Terroristen Sen erwischt hat? Der Vizekönig hält gewiss große Stücke auf Sie.«
Sen war ein indischer Revolutionär, den die Behörden vier Jahre lang ohne Erfolg gejagt hatten. Ich hatte ihn im Zusammenhang mit dem Mord an einem hohen britischen Verwaltungsbeamten festgenommen und wäre dafür fast zum Helden des britischen Empire erklärt worden. Die Wahrheit war erheblich komplizierter, aber ich hatte weder Zeit noch Lust, die Geschichte zu korrigieren. Und was noch wichtiger war, mir fehlte dazu die Befugnis durch den Vizekönig, der die ganze Angelegenheit unter die Verschlussvorschriften des Official Secrets Act von 1911 gestellt hatte. Also schüttelte ich nur lächelnd die Hand des Prinzen.
»Freut mich, Sie kennenzulernen, Eure Durchlaucht.«
»Ach, nennen Sie mich doch bitte Adi«, bemerkte er leutselig. »Das tun alle meine Freunde.« Er hielt einen Moment nachdenklich inne. »Eigentlich bin ich über Ihre Anwesenheit sogar hocherfreut. Es gibt da nämlich eine nicht ganz undelikate Geschichte, die ich mit Bunty besprechen möchte, und die Meinung eines Mannes von Ihrem Sachverstand könnte sich als höchst nützlich erweisen. Geradezu ideal also, dieses Zusammentreffen.« Sein Gesicht strahlte. »Gewiss eine göttliche Fügung.«
Ich hätte ihm erzählen können, dass der Vizekönig an dieser Fügung deutlich größeren Anteil hatte als irgendein Gott, aber so groß war der Unterschied zwischen den beiden in Britisch-Indien ja nicht. Dass der Prinz schon von sich aus mit mir reden wollte, ersparte mir zumindest, neugierig lauschend dabeizustehen wie eine indische Mutter in der Hochzeitsnacht ihres Sohnes.
»Gerne zu Diensten, Eure Durchlaucht.«
Mit einem Fingerschnippen rief er einen Herrn herbei, der in der Nähe stand.
Der kahlköpfige Brillenträger wirkte nervös wie ein Bibliothekar, der sich in ein gefährliches Stadtviertel verirrt hat. Ungeachtet seiner eleganten Kleidung fehlte ihm das großspurige Auftreten eines Fürsten, ganz abgesehen von dessen Juwelenbehang.
»Leider dürfte dies nicht der angemessene Ort für ein solches Gespräch sein«, erklärte der Prinz, als der Mann eilig zu ihnen trat. »Aber vielleicht wären Sie und Bunty so freundlich, mich zurück ins Grand zu begleiten, wo sich die Angelegenheit in angenehmerem Rahmen bereden lässt.«
Wie eine Frage klang das nicht. Vermutlich verpackte der Prinz seine Anweisungen häufig in diese Form. Der Glatzkopf verbeugte sich tief vor ihm.
»Ah, schön«, sagte der Prinz nun deutlich lustloser. »Captain Wyndham, Bunty, ich möchte Ihnen gerne Harish Chandra Davé vorstellen, den Diwan von Sambalpur.«
Diwan bedeutete Premierminister und wurde von den Indern ausgesprochen wie das gleichnamige Sofa.
»Eure Durchlaucht«, sagte der Diwan und grinste unterwürfig, während er sich wieder aufrichtete. Er schwitzte. Das taten wir alle, mit Ausnahme des Prinzen, wie es schien. Der Diwan warf einen raschen Seitenblick auf Banerjee und mich, griff dann in seine Tasche, brachte ein rotes Baumwolltaschentuch zum Vorschein und betupfte damit seine glänzende Stirn.
»Wenn ich kurz um ein Wort unter vier Augen bitten dürfte, ich …«
»Sollte es um meine Entscheidung gehen, Davé, die ist unumstößlich, fürchte ich«, sagte der Prinz gereizt.
Der Diwan schüttelte betreten den Kopf. »Wenn Sie mir die Bemerkung gestatten, Eure Durchlaucht, ich hege größte Zweifel, dass dies im Sinne von Seiner Durchlaucht Ihrem Herrn Vater ist.«
Der Prinz seufzte. »Und ich hege größte Zweifel, dass meinen Vater die ganze Sache überhaupt interessiert. Vor allem aber ist mein Vater nicht anwesend. Und sofern es weder ihm noch dem Vizekönig in der Zwischenzeit eingefallen sein sollte, dich zum Yuvraj zu erheben, würde ich vorschlagen, dass du meinen Wünschen entsprichst und deine Arbeit erledigst.«
Der Diwan tupfte sich erneut die Stirn und machte eine tiefe Verbeugung, bevor er wie ein getretener Hund zurückwich.
»Elender Bürokrat«, brummte der Prinz und fügte, zu Surrender-not gewandt, hinzu: »Der Kerl ist ein Gujarati, Bunty, stell dir das mal vor. Und glaubt, intelligenter als alle anderen zu sein.«
»Das Dumme ist«, antwortete der Sergeant, »dass viele von ihnen es tatsächlich sind.«
Der Prinz reagierte mit einem schiefen Grinsen. »Im Hinblick auf die Gespräche hier und sein eigenes Bestes hoffe ich jedenfalls, dass er sich an meine Anweisungen hält.«
Den wenigen Häppchen zufolge, die ich bei Lord Taggart aufgeschnappt hatte, befassten sich diese Gespräche mit der Einrichtung von etwas, das sich Die Fürstenkammer nannte. Auch wenn das Ganze mehr nach dem Titel einer Oper von Gilbert und Sullivan klang, die Fürstenkammer war der neueste fein ausgeklügelte Plan der Regierung Ihrer Majestät, um die immer lauter werdenden Forderungen der einheimischen Home-Rule-Bewegung nach Selbstverwaltung zu besänftigen. Angepriesen wurde diese Kammer als indische Variante eines House of Lords, als machtvolle indische Stimme in allen Fragen des Landes, und sämtliche Fürsten waren nachdrücklich darum ersucht worden, dieser illustren Runde beizutreten.
Mir erschien die Begründung ein wenig widersinnig, denn die Gruppe, die in Indien am abgehobensten von der Stimmung in der einfachen Bevölkerung lebte, waren gerade diese rund fünfhundert fetten, inkompetenten Fürsten. Sofern in diesem Land überhaupt jemand auf unserer Seite stand, dann sie.
»Dürfte ich fragen, welche Position Sie in dieser Frage vertreten?«, wollte ich wissen.
Der Prinz lachte kühl. »Reine Augenwischerei, das ganze dämliche Konstrukt. Es wird eine einzige Quasselbude sein, und das Volk wird die Absicht sofort durchschauen.«
»Die Kammer wird Ihrer Meinung nach also nicht eingerichtet?«
»Von wegen, ganz im Gegenteil«, erwiderte er lächelnd. »Ich rechne mit breiter Zustimmung und schätze, dass sie schon im nächsten Jahr ihre Arbeit aufnimmt. Natürlich werden sich die ganz Großen wie Hyderabad und Gwalior nicht daran beteiligen. Aber die anderen, die Kleinen – Cooch Behar, die kleinen Rajputenstaaten und die im äußersten Norden –, die werden quasi darum betteln, mitmachen zu dürfen. Solange es ihrer persönlichen Stellung nutzt, tun die alles. Eins muss man euch Briten immerhin lassen: Ihr versteht euch wirklich darauf, unsere Eitelkeiten zu bedienen. Ich meine, wir haben euch dieses Land überlassen – und wofür? Ein paar schöne Worte, schillernde Titel und einige Brosamen von eurem Tisch, über die wir uns streiten wie kahlköpfige Männer über einen Kamm.«
»Was ist mit den anderen Fürstenstaaten im Osten?«, fragte Surrender-not. »Soweit ich weiß, neigen die doch dazu, der Haltung Sambalpurs zu folgen.«
»Das stimmt«, antwortete der Prinz. »Und womöglich werden sie das im vorliegenden Fall auch wieder tun, aber nur, weil sie finanziell von uns abhängen. Hätten sie die Wahl, wären sie vermutlich alle für den Eintritt.«
Auf der anderen Seite des Parks legte die Militärkapelle los. Die vertrauten Klänge von »God Save the King« drangen über den Rasen, und Fürsten wie Normalsterbliche erhoben sich und wandten sich der Musik zu. Viele begannen zu singen. Der Prinz gehörte nicht dazu. Auf einmal wirkte der Fürstensohn nicht mehr so gelassen und unbeschwert.
»Zeit, den Rückzug anzutreten, würde ich sagen«, erklärte er. »Allem Anschein nach hebt der Vizekönig dazu an, eine seiner berühmten Reden zu schwingen, und ich für meinen Teil habe nicht die Absicht, an diesem herrlichen Tag noch weitere Zeit damit zu verschwenden, ihm zuzuhören … Es sei denn, Sie legen Wert darauf?«
Ich hatte keinerlei Einwände. Der Vizekönig besaß das Charisma eines feuchten Putzlappens. Anfang des Jahres war es mir bereits bei der Abschlussfeier des neuen Polizistenjahrgangs vergönnt gewesen, einer seiner Reden in voller Länge beizuwohnen. Ich verspürte kein großes Verlangen, diese Erfahrung zu wiederholen.
»Also alle einverstanden«, sagte der Prinz. »Wir hören uns das Lied zu Ende an und ziehen dann fröhlich unserer Wege.«
Die letzten Töne der Hymne verklangen, und die Gäste nahmen ihre Unterhaltungen wieder auf, während der Vizekönig das Podium ansteuerte, das mitten auf dem Rasen errichtet worden war.
»Jetzt wird’s Zeit«, erklärte der Prinz. »Machen wir uns davon, bevor es zu spät ist.« Er wandte sich um und ging den Weg zurück in Richtung des Gebäudes. Surrender-not blieb an seiner Seite, ich bildete die Nachhut. Diverse Beamte drehten konsterniert ihre Köpfe in unsere Richtung, da doch der Vizekönig gerade seine Ansprache begann, aber der Prinz schenkte ihnen etwa so viel Beachtung wie ein Elefant einer Horde Schakale.
Der Mann schien mit dem Gängelabyrinth des Government House bestens vertraut zu sein, und nachdem uns zahllose dicht gedrängte Reihen dienstbeflissener Turbanträger durch zahllose Flügeltüren hatten passieren lassen, verließen wir den Amtssitz diesmal über den roten Teppich, der am Haupteingang über die Treppe nach draußen führte.
Dort wurde das prinzliche Gefolge vom vorzeitigen Aufbruch ihres Herrn kalt erwischt. Hektische Betriebsamkeit entstand, als eine hünenhafte Gestalt in scharlachroter Kurta und schwarzen Hosen einer Gruppe Lakaien energisch Befehle zubellte. Seiner Uniform, seinem Gebaren und den Phonwerten nach, die aus seiner Kehle drangen, hätte der Mann leicht mit einem Colonel der Schottischen Garde verwechselt werden können. Sofern er keinen Turban getragen hätte, versteht sich.
»Da bist du ja, Shekar«, rief der Prinz.
»Eure Durchlaucht«, antwortete der Mann und salutierte zackig.
Der Prinz wandte sich an uns: »Colonel Shekar Arora, mein Aide-de-camp.«
Von seiner Statur her ähnelte der Mann der Nordwand des Kangchendzönga, und genauso eisig wirkte auch sein Gesichtsausdruck. Die bronzefarbene Haut war wettergegerbt, und seine Augen leuchteten in einem erstaunlichen Graugrün. Beides sprach für einen Mann der Berge, für jemanden, der zumindest ein wenig afghanisches Blut in den Adern hatte. Am eindrucksvollsten war allerdings sein Bart, den er im Stil alter indischer Kämpfer kurz geschoren trug, was den gewachsten und nach oben gezwirbelten Schnurrbart besonders hervorhob.
»Das Automobil wurde gerufen, Eure Durchlaucht«, sagte er in knappem Ton. »Es wird jeden Moment eintreffen.«
»Schön.« Der Prinz nickte. »Ich hab einen höllischen Durst. Je schneller wir zurück im Grand sind, desto besser.«
Unmittelbar vor uns hielt ein offener silberfarbener Rolls-Royce. Ein livrierter Diener stürmte herbei und öffnete die Tür. Sekundenlang herrschte Unschlüssigkeit. Einschließlich des Fahrers waren wir nun zu fünft und damit einer zu viel. Unter gewöhnlichen Umständen hätten wir zu dritt im Fond Platz gefunden, und zwei hätten vorne sitzen können. Aber der Prinz zählte offenbar nicht zu den Menschen, die häufig mit gewöhnlichen Umständen zu tun haben, und natürlich wollte ein derart unziemliches Zusammenquetschen zu einem solchen Wagen auch nicht passen.
Der Prinz selbst schlug eine Lösung vor. »Warum fährst du nicht einfach, Shekar?« Noch so eine als Frage formulierte Anweisung.
Der massige ADC schlug die Hacken zusammen und marschierte um den Wagen herum zum Fahrersitz.
»Du kannst hier hinten bei mir Platz nehmen, Bunty«, sagte der Prinz, während er es sich auf der roten Lederrückbank bequem machte. »Und der Captain kann vorne bei Shekar sitzen.«
Surrender-not und ich waren seinen Wünschen kaum nachgekommen, da fuhr der Rolls-Royce bereits an und rollte zwischen makellos gepflegten Rasenflächen und Palmenreihen die lange, mit Kies bestreute Zufahrt hinunter.
Das Grand Hotel lag nur wenige Minuten vom Osttor der Residenz entfernt, aber aus Sicherheitsgründen war derzeit lediglich das Nordtor geöffnet. Das Automobil rauschte hindurch und bremste fast sofort abrupt ab. Die Straßen Richtung Osten waren gesperrt. Also wendete der ADC und fuhr über den Government Place in die Esplanade West.
Ich drehte mich auf meinem Sitz, um Banerjee und den Prinzen besser sehen zu können. Vorne zu sitzen war ich nicht gewohnt. Der Prinz schien meine Gedanken lesen zu können.
»Hierarchien sind schon sonderbar, nicht wahr, Captain?«, sagte er lächelnd.
»Inwiefern, Eure Durchlaucht?«
»Nun, nehmen Sie uns drei«, antwortete er. »Ein Prinz, ein Police Inspector und ein Sergeant. Auf den ersten Blick scheint unsere jeweilige Stellung in der allgemeinen Hackordnung klar. Aber am Ende liegen die Dinge selten so einfach.« Er deutete auf die Tore des Bengal Club, der links von uns gerade auftauchte. »Ich mag ein Prinz sein, aber meine Hautfarbe macht es mir unmöglich, einen Fuß in diese illustre Einrichtung zu setzen, und dasselbe gilt für Bunty hier. Sie hingegen, ein Brite, hätten da keinerlei Probleme. Ihnen stehen in Kalkutta alle Türen offen. Und schon hat sich die Hierarchie zwischen uns irgendwie verschoben, habe ich nicht recht?«
»Ich verstehe, was Sie meinen«, sagte ich.
»Aber es geht noch weiter«, fuhr er fort. »Unser Freund Bunty ist ein Brahmane. Als Mitglied der Priesterkaste steht er sogar noch über einem Prinzen, ganz zu schweigen von einem kastenlosen britischen Polizeibeamten.« Der Prinz lächelte. »Noch einmal hat sich die Hierarchie also gedreht, und wer könnte sich anmaßen zu entscheiden, welcher der drei Blickwinkel der richtige ist?«
»Ein Prinz, ein Priester und ein Polizeibeamter fahren in einem Rolls-Royce am Bengal Club vorbei …«, sagte ich. »Klingt wie der Anfang eines nicht sonderlich amüsanten Witzes.«
»Im Gegenteil«, widersprach der Prinz. »Wenn man so darüber nachdenkt, ist das eigentlich höchst amüsant.«
Ich wandte meine Aufmerksamkeit wieder der Straße zu. Wir folgten einem Weg, der genau in die dem Hotel entgegengesetzte Richtung führte. Ich hatte keine Idee, wie gut der ADC sich in den Straßen Kalkuttas auskannte, aber dem ersten Eindruck nach etwa so gut wie ich mich auf den Boulevards von Timbuktu.
»Wissen Sie, wohin Sie fahren?«, fragte ich.
Der ADC warf mir einen Blick zu, der den Ganges hätte gefrieren lassen können. »Das tue ich«, sagte er. »Unglücklicherweise sind die Straßen zur Chowringhee wegen einer religiösen Prozession gesperrt. Daher sind wir gezwungen, eine alternative Strecke durch den Maidan zu nehmen.«
Diesen Umweg zu nehmen kam mir zwar merkwürdig vor, doch es war ein schöner Tag, und es gab schlechtere Arten, ihn zu verbringen, als mit einer Spazierfahrt im Rolls-Royce durch den Park.
Auf der Rückbank fragte Surrender-not gerade: »Worüber wolltest du denn nun sprechen, Adi?«
Ich drehte mich um und konnte noch sehen, wie die Miene des Prinzen sich verfinsterte.
»Ich habe ein paar Briefe erhalten«, sagte er und spielte dabei mit dem glitzernden Kragenknopf seiner Seidenkurta. »Wahrscheinlich ist es gar nichts, aber als ich von deinem Bruder hörte, dass du jetzt Detective Sergeant bist, dachte ich, vielleicht sollte ich deinen Rat einholen.«
»Was für Briefe?«
»Um ehrlich zu sein, misst der Begriff Briefe ihnen bereits eine Bedeutung zu, die sie kaum verdienen. Es handelt sich eher um kurze Warnungen.«
»Und wann haben Sie die bekommen?«, fragte ich.
»Letzte Woche, noch in Sambalpur. Ein paar Tage bevor wir nach Kalkutta aufbrachen.«
»Haben Sie die Schreiben dabei?«
»Ja, in meiner Suite«, sagte der Prinz. »Ich zeige sie Ihnen gleich. Warum sind wir überhaupt nicht längst da?« Verärgert wandte er sich an seinen ADC. »Was ist los, Shekar?«
»Umleitungen, Eure Durchlaucht«, erwiderte der Fahrer.
»Diese Briefe«, fragte ich, »weiß sonst noch jemand davon?«
Der Prinz deutete auf Arora. »Nur Shekar.«
»Und wie haben Sie die Schreiben erhalten? Ich vermute mal, dass man nicht einfach so einen Brief an den Prinzen von Sambalpur, c/o Palast des Fürsten, adressiert, oder?«
»Das ist das Seltsame daran«, antwortete der Prinz. »Beide wurden in meinem Zimmer deponiert. Der erste unter den Kopfkissen in meinem Bett, der zweite in der Tasche eines Anzugs. Und in beiden stand dasselbe …«
Der Wagen bremste ab, da wir jetzt scharf nach links auf die Chowringhee abbiegen mussten. Plötzlich sprang uns wie aus dem Nichts ein Mann in den Weg. Er trug das safrangelbe Gewand eines Hindupriesters. Alles ging so schnell, dass er kaum mehr als ein verschwommener Farbfleck war. Der Wagen kam zitternd zum Stehen, und der Fußgänger schien unter die Vorderachse geraten zu sein.
»Haben wir ihn angefahren?«, fragte der Prinz und erhob sich von seinem Platz. Fluchend schwang der ADC seine Tür auf und sprang hinaus. Er lief nach vorn, und ich sah, wie er sich über den am Boden liegenden Mann beugte. Im nächsten Moment war ein dumpfer Knall zu hören, das ekelhafte Geräusch von einem schweren Gegenstand, der auf Fleisch und Knochen trifft, und der ADC sackte zusammen.
»Mein Gott!«, rief der Prinz. Da er stand, hatte er einen besseren Blick auf die Situation. Ich stieß die Tür auf, aber bevor ich mich bewegen konnte, war der Mann in Safrangelb schon aufgesprungen.
Unter schmutzigen, verfilzten Haaren leuchteten wild dreinblickende Augen. Sein Bart war ungepflegt, und über seine Stirn liefen verschmierte vertikale Streifen, die an Asche erinnerten. In seiner Hand glänzte etwas Metallisches, und mein Innerstes gefror zu Eis.
»Runter!«, schrie ich dem Prinzen zu und tastete dabei nach dem Knopf meines Holsters. Der Prinz aber blieb hypnotisiert wie das Kaninchen vor der Schlange stehen. Der Angreifer hob seinen Revolver und schoss. Der erste Schuss durchschlug die Windschutzscheibe, die mit berstendem Knall zersplitterte. Ich nahm aus dem Augenwinkel wahr, wie Surrender-not verzweifelt nach dem Prinzen griff, um ihn nach unten zu ziehen.
Doch alles zu spät.
Beim Krachen der nächsten beiden Schüsse wusste ich, dass sie ihr Ziel finden würden. Beide trafen den Prinzen mitten in die Brust. Ein paar Sekunden lang stand er nur da, als wäre er tatsächlich gottgleich und die Kugeln hätten seinem Körper nichts anhaben können. Dann jedoch durchweichten dunkelrote Flecken den Seidenstoff seiner Kurta, und er sank in sich zusammen wie ein Pappbecher im Monsun.
2
Mein erster Gedanke war, mich um den Prinzen zu kümmern, aber solange der Attentäter noch Kugeln in seinem Revolver hatte, war dafür keine Zeit.
Ich rollte mich von meinem Sitz auf die Straße, gerade als er ein viertes Mal abdrückte. Wo die Kugel landete, konnte ich nicht sagen, nur dass es offensichtlich nicht in mir war. Ich hechtete zurück in den Rolls, kurz bevor der Angreifer erneut feuerte. Die Kugel traf das Türblech genau in Höhe meines Kopfes. Ich hatte schon Kugeln durch Metallplatten wie durch Seidenpapier schlagen sehen, daher kam es einem Wunder gleich, dass diese hier die Tür nicht durchdrang. Später erst erfuhr ich, dass der Wagen des Prinzen mit einer massiven Silberschicht verkleidet war. Eine Investition, die sich definitiv gelohnt hatte.
In Erwartung eines sechsten Schusses wechselte ich meine Position, vernahm jedoch nur das herrliche Klicken einer leeren Waffe. Das ließ auf einen Revolver mit nur fünf Kammern schließen oder auf einen Attentäter mit nur fünf Kugeln. Ersteres war selten, Letzteres gänzlich beispiellos. Ich jedenfalls hatte noch nie einen professionellen Killer getroffen, der ausgerechnet an Munition sparte. Wie auch immer, ich versuchte mein Glück, riss den Webley aus dem Holster, stand auf, feuerte und schoss daneben. Holzsplitter spritzten vom Stamm eines Baumes. Der Angreifer rannte bereits davon.
Im Fond kniete Surrender-not über dem Prinzen und bemühte sich, den Blutfluss aus der Brust des Mann mit seinem Hemd zu stillen. Vor der Kühlerhaube erhob sich Colonel Arora schwankend vom Boden und hielt eine Hand gegen den blutigen Schädel gepresst. Er hatte Glück gehabt. Offenbar war der Schlag von seinem Turban abgemildert worden. Ohne diesen Schutz wäre er sicherlich nicht so schnell wieder auf die Beine gekommen – oder auch gar nicht mehr.
»Bringen Sie den Prinzen ins Krankenhaus!«, rief ich ihm zu, und sprintete dem Angreifer hinterher. Der Mann hatte einen Vorsprung von etwa fünfundzwanzig Metern und war bereits auf der anderen Seite der Chowringhee.
Er hatte den Ort des Anschlags geschickt gewählt. Die Chowringhee war eine merkwürdige Straße. Der gegenüberliegende Bürgersteig zählte mit all seinen Boutiquen, Hotels und Arkadengängen zu den belebtesten Flaniermeilen der Stadt. Wohingegen diese Straßenseite, die keinen Sonnenschutz bot und nur an die offenen Parkflächen des Maidan grenzte, gewöhnlich weitgehend verwaist blieb. Die einzigen Menschen auf dieser Seite waren denn auch ein paar Kulis, und die gehörten nicht zu den Leuten, die beim Knall von Revolverschüssen sofort zu Hilfe eilten.
Ich rannte dem Schützen hinterher und entkam nur mit knapper Not mehreren Wagen, als ich die vierspurige Straße überquerte.
Wäre sein Gewand nicht so leuchtend orange gewesen, hätte ich ihn in der Menschenmenge vor den geweißten Mauern des Indischen Museums gewiss aus den Augen verloren. Mitten ins Gedränge zu feuern war allerdings viel zu gefährlich. Vor so vielen Menschen auf einen Mann zu schießen, der wie ein Hindugeistlicher aussah, wäre zudem Wahnsinn gewesen. Auch ohne einen religiösen Aufstand anzuzetteln, hatte ich schon genug Probleme.
Der Schütze tauchte in das Gassengewirr ab, das sich im Osten an die Chowringhee anschloss. Er war gut in Form, jedenfalls deutlich besser als ich, und der Abstand zwischen uns wurde – wenn überhaupt – eher größer. Ich erreichte die Ecke, an der er abgebogen war, rang nach Atem und schrie ihm hinterher, sofort stehen zu bleiben.
Echte Hoffnung verband ich damit natürlich nicht, immerhin geschieht es nicht oft, dass ein Killer, der über einen Revolver und reichlich Vorsprung verfügt, den Anstand besitzt, einer derartigen Aufforderung Folge zu leisten. Doch zu meiner Überraschung tat der Mann genau das. Er blieb stehen, wirbelte herum, hob seine Waffe und feuerte. Offenbar hatte er beim Laufen nachgeladen. Höchst eindrucksvoll.
Ich warf mich auf den Boden und hörte die Kugel in die Wand neben mir klatschen, wo sie Ziegelsplitter und Putz aufspritzen ließ. Ich kämpfte mich wieder hoch und erwiderte das Feuer, schoss aber erneut nur ein Luftloch.
Der Mann wandte sich ab und floh tiefer in die engen Gassen. Als er an einer Ecke nach links bog, riss der Blickkontakt ab. Ich rannte weiter. Irgendwo vor mir herrschte dröhnender Lärm. Die Stimmen unzähliger Menschen, dazu das rhythmische Schlagen von Trommeln. Ich erreichte das Ende des Gässchens, schnellte um die Ecke auf die Dharmatollah Street und bremste abrupt ab. Die breite Durchgangsstraße war vollgestopft mit Menschen, ausnahmslos Inder. Der Krach war ohrenbetäubend. Stimmen sangen im Takt der Trommelschläge. An der Spitze des Zuges rollte träge ein riesiges hölzernes Ungetüm, das drei Stockwerke hoch aufragte und einem Hindutempel ähnelte. Eine Unmenge Männer zog das gigantische Ding an dreißig Meter langen Seilen mühsam Zentimeter für Zentimeter vorwärts. Ich hielt verzweifelt nach dem Attentäter Ausschau, aber vergeblich. Das Gedränge war viel zu dicht, und viel zu viele Menschen hier trugen safrangelbe Gewänder. Der Mann war verschwunden.