Buch
Als Sarah in ihrem Heimatort in Gloucestershire auf Eddie David trifft, ist ihr eines sehr schnell klar: Er ist der Mann ihres Lebens. Und das, obwohl Sarah frisch geschieden ist und nicht mehr an die große Liebe glaubt. Sie verbringen eine traumhafte Woche inmitten blühender Sommerwiesen miteinander und planen ihre gemeinsame Zukunft. Dann muss Eddie verreisen und verspricht, sich auf dem Weg zum Flughafen zu melden. Aber er ruft nicht an. Er meldet sich gar nicht mehr. Sarahs Freunde raten ihr, ihn zu vergessen – so sind Männer nun einmal. Doch sie weiß, sie irren sich. Irgendetwas muss geschehen sein, es muss einen Grund für sein Verschwinden geben. Und mit der Zeit muss sie feststellen, dass sie recht hat. Es gibt einen Grund, doch er gibt Sarah keinen Frieden. Denn der Grund ist das Einzige, was sie nicht miteinander geteilt haben: die Wahrheit.
Autorin
»Ohne ein einziges Wort« ist das Debüt der britischen Autorin Rosie Walsh und wurde über Nacht in 30 Länder verkauft. Wenn Rosie nicht schreibt, geht sie gerne spazieren, spielt Violine in einem Orchester, kocht und rollt ihre Yogamatte aus, so oft sie kann. Sie lebt mit ihrem Mann und ihrem kleinen Sohn in Bristol.
Rosie Walsh
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Ohne ein
einziges Wort
Roman
Aus dem Englischen
von Stefanie Retterbush
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Die englische Originalausgabe erscheint 2018 unter dem Titel »The Man who didn’t call« bei Mantle, an imprint of Pan Macmillan, London.
Copyright © der Originalausgabe 2018 by Rosie Walsh Ltd
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2018 by Wilhelm Goldmann Verlag, München,
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Umschlaggestaltung: © FAVORITBUERO, München
Umschlagmotiv: © Gary Waters/getty images, © kostins/shutterstock
Redaktion: Lisa Caroline Wolf
MR· Herstellung: kw
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
ISBN: 978-3-641-22258-1
V006
www.goldmann-verlag.de
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Dieses Buch ist all jenen gewidmet,
die ein ausgebliebener Telefonanruf
schon mal aus der Bahn geworfen hat.
Vor allem denjenigen,
die nie gedacht hätten,
das könnte ihnen etwas ausmachen.
»Doch wir können uns überhaupt nur verlieben,
ohne zu wissen,
in wen wir uns verliebt haben.«
Alain de Botton
Versuch über die Liebe
Erstes Kapitel
Hallo du,
heute ist es auf den Tag genau neunzehn Jahre her, seit wir uns an diesem strahlend schönen Morgen mit einem Lächeln voneinander verabschiedet haben. Dass wir uns wiedersehen, stand außer Frage, oder? Es war nur die Frage wann, nicht die Frage ob. Eigentlich war es nicht einmal eine Frage. Die Zukunft mag zwar so ungreifbar vor uns gelegen haben wie der flüchtige, sich an den Rändern kräuselnde Saum eines Traums, aber ganz zweifellos kamen wir beide darin vor. Gemeinsam.
Doch dann kam alles ganz anders. Selbst nach all diesen Jahren kann ich es noch immer nicht fassen.
Neunzehn Jahre seit diesem Tag. Neunzehn volle Jahre! Und noch immer suche ich nach dir. Ich werde nie aufhören, nach dir zu suchen.
Oft tauchst du auf, wenn ich es am wenigsten erwarte. Vorhin war ich ganz gefangen in einem sinnlos kreisenden düsteren Gedankengang; wurde fast zerquetscht von einer unsichtbaren eisernen Faust. Und plötzlich warst du da: ein buntes Herbstblatt, das lustig über den stumpfen bleigrauen Rasen taumelte. Vorsichtig richtete ich mich auf und roch das Leben; spürte den Tau an den Füßen; sah das in mannigfachen Tönen leuchtende Grün ringsum. Ich versuchte, dich zu fassen, dieses kunterbunte Blatt, Purzelbäume schlagend und zappelnd und kichernd. Versuchte, deine Hand zu nehmen, dir in die Augen zu schauen, aber wie ein optischer Brennfleck bist du immer wieder zur Seite gehuscht; bist ungreifbar geblieben.
Ich werde nie aufhören, nach dir zu suchen.
Zweites Kapitel
Sechster Tag: Als wir es beide wussten
Das Gras war feucht geworden. Feucht und dunkel war es und sehr geschäftig. Es erstreckte sich von hier bis zum rußschwarzen Waldrand und wimmelte nur so von arbeitsamen Ameisenbataillonen und behäbigen Schnecken und winzigen, hauchdünne Seidenfäden ziehenden Spinnen. Die Erde unter uns saugte das letzte bisschen Wärme auf wie ein durstiger Schwamm.
Eddie lag neben mir und summte die Star-Wars-Titelmelodie. Sein Daumen streichelte meinen. Behutsam, sanft wie die Wolken, die gemächlich über die schmale Mondsichel am Himmel über uns strichen. »Komm, wir suchen Außerirdische«, hatte er vorhin gesagt, als der violette Himmel sich langsam purpurrot gefärbt hatte. Und jetzt lagen wir beide immer noch hier.
In der Ferne hörte ich den letzten Zug des Tages laut seufzend über den Hügel schnaufen, und ich musste lächeln beim Gedanken daran, wie Hannah und ich als Kinder immer hier draußen gezeltet hatten. Auf einem kleinen Streifen Wiese, in diesem kleinen Tal, versteckt vor der, wie es mir damals schien, winzig kleinen Welt.
Kaum hatte sich der Sommer angekündigt, hatte Hannah jedes Jahr aufs Neue unsere Eltern angebettelt, endlich das Zelt aufstellen zu dürfen.
»Also gut«, hatten sie dann irgendwann widerstrebend nachgegeben. »Solange du im Garten bleibst.«
Der Garten vor dem Haus war platt und eben. Er war von beinahe jedem Fenster einsehbar. Aber das reichte Hannah nicht. Sie war zwar fünf Jahre jünger als ich, aber immer schon viel verwegener und abenteuerlustiger gewesen. Sie wollte hinaus auf die große Wiese, hinaus in die weite Welt. Die Wiese zog sich den steilen Hang hinter dem Haus hinauf und war ganz oben gerade eben genug, um dort ein Zelt aufzustellen. Einsehbar war es nur vom Himmel. Sie war mit harten, eingetrockneten Kuhfladen-Frisbees übersät und so steil, dass man von oben beinahe in unseren Schornstein gucken konnte.
Unsere Eltern fanden Zelten auf der Wiese keine besonders gute Idee.
»Aber da kann doch gar nichts passieren«, hatte Hannah mit ihrer vorlauten Piepsstimme beharrt. Wie diese Stimme mir fehlte.
»Alex ist doch dabei.« Hannahs beste Freundin war eigentlich ständig bei uns zu Hause. »Und Sarah auch. Die beschützt uns, wenn irgendwelche Bösewichter uns was wollen.«
Als wäre ich ein schrankgroßer Muskelprotz mit zielsicherem rechten Haken.
»Und wenn wir zelten, brauchst du uns auch kein Abendessen zu machen. Und kein Frühstück …«
Hannah war wie ein Minibulldozer; nie gingen ihr die Argumente aus, und immer gaben unsere Eltern irgendwann klein bei. Zuerst schlugen sie neben uns auf der Wiese ihr Zelt auf. Aber irgendwann, als ich mich gerade mühsam durch den undurchdringlichen, unwegsamen Dschungel der Pubertät schlug, erlaubten sie Hannah und Alex, allein draußen zu campen, mit mir als Aufpasserin.
Und so lagen wir drei dann zusammen in Dads altem Festivalzelt – ein ausladendes Ding aus orangerotem Segeltuch, riesig wie ein Beduinenzelt – und lauschten auf die Sinfonie seltsamer Geräusche draußen im Gras. Oft lag ich noch lange wach, nachdem meine kleine Schwester und ihre beste Freundin längst eingeschlafen waren, und fragte mich, wie ich die beiden beschützen sollte, würde man uns tatsächlich überfallen. Die Last dieser verantwortungsschweren Aufgabe, Hannah zu beschützen – nicht nur hier im Zelt, sondern immer und überall –, fraß sich wie geschmolzenes Gestein in meinen Magen, kochend wie ein brodelnder Vulkan. Mal ehrlich, was hätte ich denn schon ausrichten können? Potenzielle Angreifer mit gekonnten Teeniehandkantenschlägen ausschalten? Sie mit einem marshmallowverklebten Grillspieß erdolchen?
Oft zögerlich, nicht besonders selbstsicher, so hatte meine Klassenlehrerin mich mal in einem Zeugnis beschrieben.
»Na toll, das ist ja mal wirklich hilfreich«, hatte Mum gebrummt in demselben Tonfall, mit dem sie sonst unseren Vater rüffelte. »Hör einfach nicht auf sie, Sarah. Sei so unsicher, wie du willst! Dafür ist die Pubertät schließlich da!«
Ganz erschöpft vom mentalen Tauziehen zwischen schwesterlichem Beschützerinstinkt und jugendlicher Ohnmacht schlief ich schließlich ein, und wenn ich morgens viel zu früh wieder aufwachte, machte ich mich gleich daran, aus den bunt zusammengewürfelten Zutaten, die Hannah und Alex anscheinend vollkommen wahllos eingepackt hatten, ihre berühmt-berüchtigten »Frühstückssandwichs« zusammenzubauen.
Ich legte eine Hand auf die Brust, um das harte Schlaglicht auf diese Erinnerung zu dämpfen. Das war kein Abend zum Traurigsein: Es war ein Abend für das Hier und Jetzt. Für Eddie und mich und das große, beständig wachsende Was-es-auch-war zwischen uns.
Ich konzentrierte mich auf die nächtlichen Geräusche der Lichtung im Wald. Wirbelloses Rascheln, Säugetierschnuffeln. Das grüne Rauschen flatternder Blätter; wie Eddies Atem sich unbeschwert hob und senkte. Ich lauschte auf seinen Herzschlag, der gleichmäßig durch den Pullover klopfte, und bewunderte diese stete Verlässlichkeit. »Es wird sich alles zeigen«, sagte mein Vater immer gerne. »Abwarten und Tee trinken, Sarah.«
Aber ich wartete jetzt schon eine ganze Weile. Schon eine ganze Woche lang beobachtete ich diesen Mann und hatte noch keine Spur von Unruhe oder Unsicherheit ausmachen können. In vielerlei Hinsicht erinnerte er mich an das Ich, das ich mir für meine Arbeit angeeignet hatte: beständig, vernünftig, unbeeindruckt vom unsteten Auf und Ab des Lebens – aber dieses Ich hatte ich mir mit jahrelanger Übung mühsam antrainiert. Eddie dagegen schien einfach so zu sein.
Ich fragte mich, ob er die kribbelnde Aufregung in meiner Brust wohl spüren konnte. Noch vor ein paar Tagen war ich: frisch getrennt, bald geschieden, stramm auf die vierzig zugehend. Und jetzt das. Er.
»Schau mal, ein Dachs!«, rief ich aufgeregt, als ich aus den Augenwinkeln eine gedrungene maskierte Gestalt undeutlich vorbeitrotten sah. »Ob das wohl Cedric ist?«
»Cedric?«
»Ja. Wobei, das kann er unmöglich sein. Wie lange leben Dachse im Allgemeinen so?«
»Ich glaube, so ungefähr zehn Jahre.« Eddie lächelte; ich konnte es hören.
»Dann ist es ganz bestimmt nicht Cedric. Aber vielleicht sein Sohn. Oder Enkel.« Ich unterbrach mich. »Wir haben Cedric sehr gemocht.«
Ein vibrierendes Lachen pulsierte durch seinen ganzen Körper und sprang auf mich über. »Wer ist denn wir?«
»Ich und meine kleine Schwester. Wir haben früher oft auf einer Wiese ganz in der Nähe gezeltet.«
Er drehte sich auf die Seite, das Gesicht ganz nahe an meinem, und ich sah es in seinen Augen.
»Cedric, der Dachs. Ich … du«, raunte er leise, schnell. Mit dem Finger strich er an meinem Haaransatz entlang. »Ich mag dich. Ich mag dich und mich, uns beide zusammen. Ich mag uns beide zusammen sehr.«
Ich lächelte. Mitten hinein in diese gütigen, aufrichtigen Augen. Strahlte ihn an, mit seinen Lachfältchen, dem markanten Kinn. Ich nahm seine Hand und küsste ihn auf die Fingerspitzen, die nach zwei Jahrzehnten Holzarbeit rau waren und gesprenkelt von unzähligen Splittern. Schon jetzt kam es mir vor, als würde ich ihn schon immer kennen. Mein ganzes Leben lang. Es war, als seien wir füreinander geschaffen, als seien wir von Geburt an füreinander bestimmt gewesen, und jemand hätte so lange geschubst und geschoben und geplant und gemauschelt, bis wir uns endlich vor sechs Tagen »zufällig« begegneten.
»Ich hatte gerade ein paar schrecklich kitschige Gedanken«, murmelte ich nach langem Schweigen.
»Ich auch.« Er seufzte. »Mir kommt es fast vor, als hätte jemand das Drehbuch der vergangenen Woche zu einer Filmmusik mit einem ganzen Orchester schmachtender Geigenmelodien geschrieben.«
Ich musste lachen, er küsste mich auf die Nasenspitze, und ich fragte mich, wie es sein konnte, dass man Wochen, Monate – sogar Jahre – dumpf vor sich hin lebte, ohne dass irgendwas passierte, und dann, innerhalb von ein paar Stunden, alles plötzlich kopfstand. Wäre ich an diesem Tag etwas später losgegangen, ich wäre wohl schnurstracks in den Bus gestiegen und ihm nie begegnet, und dieses neue Gefühl vollkommener Sicherheit wäre nichts weiter gewesen als das ungehörte Flüstern verpasster Gelegenheiten.
»Erzähl mir noch mehr von dir«, bat er. »Ich weiß immer noch nicht genug. Ich will alles über dich wissen. Die lückenlose und ungekürzte Lebensgeschichte der Sarah Evelyn Mackey – einschließlich sämtlicher ungeschönter unschöner Kapitel.«
Nachdenklich drehte ich mich auf die Seite.
Nicht, dass ich nicht damit gerechnet hätte, dass so etwas früher oder später kommen würde. Ich hatte mir nur noch nicht überlegt, was ich dann machen sollte. Die lückenlose und ungekürzte Lebensgeschichte der Sarah Evelyn Mackey – einschließlich sämtlicher ungeschönter unschöner Kapitel. Vermutlich würde er damit umgehen können. Dieser Mann trug eine unsichtbare Rüstung, ihn umgab eine stille Stärke, die mich an eine mittelalterliche Stadtmauer erinnerte oder eine wettergegerbte stämmige Eiche.
Mit der Hand fuhr er die Linie meiner Hüfte bis hinauf zum Brustkorb nach. »Ich liebe diese kleine Kurve«, murmelte er versonnen.
Ein Mann, der sich so wohlfühlte in seiner eigenen Haut, dass man ihm beinahe jedes Geheimnis verraten, jede Wahrheit anvertrauen konnte, und der in der Lage wäre, sie für sich zu behalten, ohne dabei selbst ins Wanken zu geraten oder irreparable Schäden davonzutragen.
Natürlich konnte ich es ihm sagen.
»Ich habe eine Idee«, meinte ich zu ihm. »Lass uns heute Abend hier draußen zelten. Wir tun einfach, als wären wir noch jung und unvernünftig. Wir machen ein Lagerfeuer, braten Würstchen am Spieß, erzählen uns Geschichten. Vorausgesetzt, du hast überhaupt ein Zelt? Aber du wirkst auf mich wie ein Mann mit einem Zelt.«
»Ich bin ein Mann mit einem Zelt«, bestätigte er grinsend.
»Prima! Also, dann machen wir das, und dann erzähle ich dir alles. Ich …« Ich unterbrach mich und schaute ins Dunkel der Nacht. Die letzten dicken Blütenkerzen der ausladenden Rosskastanie am Waldrand schimmerten matt. Eine Butterblume wiegte sich in der Dunkelheit dicht vor unseren Gesichtern. Aus mir unerfindlichen Gründen, die mir zu erläutern sie sich nie herabgelassen hat, hatte Hannah Butterblumen immer gehasst.
Plötzlich fühlte es sich an, als stiege ungebeten etwas in meiner Brust auf. »Es ist so schön hier draußen. Da kommen so viele Erinnerungen hoch.«
»Okay«, meinte Eddie lächelnd. »Wir zelten hier draußen. Aber zuerst musst du bitte mal herkommen.«
Und dann küsste er mich auf den Mund, und für eine ganze Weile verschwamm der Rest der Welt zu einem bloßen Hintergrundrauschen, als hätte jemand einen Schalter umgelegt oder an einem Regler gedreht.
»Ich will nicht, dass morgen unser letzter Tag ist«, murmelte er, als wir uns schließlich widerstrebend voneinander lösten. Er schlang die Arme noch fester um mich, und ich spürte die wohlige Wärme seiner Brust und seines Bauches, das sanfte Kitzeln der kupferroten Haare in meiner Hand.
Eine Nähe wie diese war für mich lange nur eine entfernte Erinnerung gewesen, dachte ich und atmete seinen sauberen, sandigen Duft ein. Als Reuben und ich schließlich hingeworfen hatten, schliefen wir längst wie zwei Buchstützen jeder auf seiner Seite ganz am Rand des Bettes. Das leere, unberührte Laken zwischen uns das Zeugnis unseres gemeinschaftlichen Versagens.
»Bis dass die Matratze uns scheidet«, hatte ich eines Abends gesagt, aber Reuben hatte darüber nicht lachen können.
Eddie rückte ein bisschen von mir ab, damit ich ihm ins Gesicht sehen konnte. »Ich habe … Hör zu, ich frage mich gerade, ob ich meinen Urlaub nicht einfach absagen soll. Dann könnten wir uns noch eine ganze Woche lang in den Wiesen wälzen.«
Nichts lieber als das! Das wünsche ich mir mehr, als du je erahnen wirst, dachte ich. Siebzehn lange Jahre war ich verheiratet, und in dieser ganzen Zeit habe ich mich kein einziges Mal so gefühlt wie jetzt mit dir.
Ich stützte mich auf die Ellbogen. »Noch eine Woche mit dir wäre himmlisch«, sagte ich zu ihm. »Aber du solltest deinen Urlaub nicht absagen. Wenn du wiederkommst, bin ich ja noch da. Es ist kein Abschied für immer.«
»Aber du bist dann nicht mehr hier; du bist in London.«
»Schmollst du jetzt?«
»Ja.« Er drückte mir einen Kuss aufs Schlüsselbein.
»Dann hör sofort auf damit. Ich bin nur zwei Tage nach dir wieder in Gloucestershire.«
Aber auch das schien ihn nicht zu besänftigen.
»Wenn du jetzt aufhörst zu schmollen, komme ich dich vielleicht sogar vom Flughafen abholen«, fügte ich noch hinzu. »Ich könnte dastehen in der Ankunftshalle mit einem Pappschild in der Hand mit deinem Namen drauf, und der Wagen wartet draußen auf dem Kurzparker-Parkplatz.«
Darüber schien er kurz nachzudenken. »Das wäre wirklich nett«, meinte er dann. »Wirklich sehr nett.«
»Abgemacht.«
»Und …« Er zögerte, schien plötzlich unsicher zu werden. »Und ich weiß, das ist jetzt vielleicht ein bisschen früh, aber wenn du mir deine Lebensgeschichte erzählt hast und ich uns Würstchen gegrillt habe, die, vielleicht oder auch nicht, genießbar sind, möchte ich ein sehr ernstes Gespräch mit dir führen über die hinderliche Tatsache, dass du in Kalifornien lebst und ich in England. Dein Besuch hier ist eindeutig viel zu kurz.«
»Ich weiß.«
Er zupfte an dem dunklen Gras. »Wenn ich aus dem Urlaub zurückkomme, dann bleibt uns noch … wie lange, eine Woche? Bevor du wieder zurück in die Staaten fliegst?«
Ich nickte. Das war in dieser Woche die einzige dunkle Wolke an unserem ansonsten strahlend blauen Himmel gewesen; zu wissen, dass wir uns bald voneinander verabschieden mussten.
»Tja, dann müssen wir uns wohl … ich weiß auch nicht. Was einfallen lassen. Eine Entscheidung treffen. Ich kann das nicht einfach vergessen. Ich kann nicht mit dem Wissen leben, dass es dich irgendwo da draußen gibt, und nicht bei dir sein. Ich finde, wir sollten versuchen, das irgendwie hinzukriegen.«
»Ja«, erwiderte ich leise. »Ja, das finde ich auch.« Ich schlüpfte mit der Hand in seinen Ärmel. »Ich wollte eben genau dasselbe sagen und hab mich dann doch nicht getraut.«
»Wirklich?«, fragte er leise lachend und hörbar erleichtert. Erst da ging mir auf, dass es ihn sicher auch einiges an Mut und Überwindung gekostet hatte, dieses heikle Thema anzusprechen. »Sarah, du bist eine der selbstbewusstesten Frauen, die ich kenne.«
»Mmmm.«
»Bist du. Das ist eins der Dinge, die ich so an dir mag. Eins der vielen Dinge, die ich so sehr an dir mag.«
Es war Jahre her, seit ich mir gezwungenermaßen angewöhnt hatte, mir Selbstbewusstsein anzutackern wie ein Werbeplakat an eine Reklametafel. Aber obwohl es mir heute nicht mehr schwerfiel, obwohl ich bei Medizinerkongressen auf der ganzen Welt Vorträge hielt, Journalisten routiniert Interviews gab und ein mehrköpfiges Team führte, war es mir immer noch sehr unangenehm, darauf angesprochen zu werden. Ich fühlte mich unbehaglich dabei oder vielleicht auch nur entblößt und verwundbar, als stünde ich mitten in einem heftig tobenden Unwetter mutterseelenallein auf einem Berggipfel.
Und dann küsste Eddie mich wieder, und alles um uns herum begann sich aufzulösen. Alle Traurigkeit der Vergangenheit, alle Unsicherheit der Zukunft. Das hier sollte so sein. Genau so.