Das Buch
Die Apokalypse ist ausgebrochen. Eine weltweite Plage lässt die Toten wiederauferstehen und Jagd auf Menschenfleisch machen. Die wenigen Überlebenden fliehen in Angst und Schrecken – bis auf einen. Denn Philip Blake, der Mann, den sie später nur den »Governor« nennen werden, beschließt, sich dem Grauen entgegenzustellen. Auf der Suche nach anderen Überlebenden findet er Woodbury, ein kleines, verschlafenes Südstaatenstädtchen. Hier errichtet er seine unbarmherzige Schreckensherrschaft. Dies ist seine Geschichte …
Mit The Walking Dead hat der Comicautor und Serienschöpfer Robert Kirkman eine international gefeierte dystopische Welt erschaffen. Ob als Comic, als TV-Serie oder in Romanen: The Walking Dead ist die erfolgreichste Zombieserie der Welt.
Diese Ausgabe enthält die ersten zwei von Robert Kirkmans The Walking Dead-Romanen:
The Walking Dead 1 – Der Aufstieg des Governor
The Walking Dead 2 – Der Weg nach Woodbury
sowie die Bonus-Kurzgeschichte »Ein ganz normaler Tag im Büro«.
Die Autoren
Robert Kirkman ist der Schöpfer der mehrfach preisgekrönten und international erfolgreichen Comicserie The Walking Dead. Die gleichnamige TV-Serie wurde von ihm mit entwickelt und feierte weltweit Erfolge bei Kritikern und Genrefans gleichermaßen. Zusammen mit dem Krimiautor Jay Bonansinga beleuchtet er in den Romanen zur Serie noch ganz neue Facetten von The Walking Dead.
Mehr zu The Walking Dead und den Autoren auf:
Robert Kirkman
Jay Bonansinga
The Walking Dead
Der Anfang
Zwei Romane in einem Band
Mit der Bonus-Kurzgeschichte
»Ein ganz normaler Tag im Büro«
WILHELM HEYNE VERLAG
MÜNCHEN
Titel der amerikanischen Originalausgabe
THE WALKING DEAD: RISE OF THE GOVERNOR +
THE ROAD TO WOODBURY
JUST ANOTHER DAY AT THE OFFICE – A WALKIND DEAD SHORT
Deutsche Übersetzung von Wally Anker
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Omnibusausgabe 07/2018
Redaktion: Werner Bauer
Copyright © 2011, 2012 by Robert Kirkman, Jay Bonansinga
Copyright © 2018 der deutschsprachigen Ausgabe by
Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Printed in Germany
Umschlaggestaltung: Das Illustrat, München
Satz: Vornehm Mediengestaltung GmbH, München
ISBN 978-3-641-22847-7
V001
www.diezukunft.de
Inhalt
Der Aufstieg des Governor
Der Weg nach Woodbury
Ein ganz normaler Tag im Büro
The Walking Dead
Der Aufstieg des Governor
Für Jeanie-B und Bill …
die beiden großen Lieben meines Lebens
Jay
Für Sonia, Peter und Collette …
Ich verspreche euch, dass ich nicht mehr so viel arbeite,
sobald genügend Geld fürs College da ist.
Robert
TEIL 1
Die hohlen Männer
Sterben hat nichts Heldenhaftes.
Das kann jeder.
Johnny Rotten
Eins
Brian Blake hat sich in der muffigen Dunkelheit in eine Ecke gekauert. Blankes Entsetzen schnürt ihm die Brust zu, der Schmerz lässt ihn bis ins Mark erzittern. Plötzlich stellt er sich vor, ein zweites Paar Hände zu haben. Dann könnte er sich zumindest die Ohren zuhalten, um nicht mit anhören zu müssen, wie die menschlichen Schädel zu Brei gestampft werden. Leider sind Brians zwei Hände jedoch damit beschäftigt, die Ohren des kleinen Mädchens neben ihm in der Abstellkammer zuzuhalten.
Die Siebenjährige erzittert immer wieder in seinen Armen. Sie zuckt bei jedem BUMM BUMM BADONG zusammen. Den Geräuschen folgt Stille, lediglich durchbrochen von dem klebrig klingenden Stapfen von Stiefeln auf blutigen Fliesen und einem hektisch wütenden, klingenden Flüstern aus dem Flur.
Brian fängt erneut an zu husten. Er kann nichts dafür. Seit Tagen schon kämpft er gegen diese gottverdammte Erkältung an, eine Plage, die seine Gelenke und Nebenhöhlen lahmlegt und die er nicht abschütteln kann. Jeden Herbst erkältet er sich, sobald die Tage in Georgia dunkel und düster werden. Die Feuchtigkeit dringt in seine Knochen, zehrt an seinen Kräften und raubt ihm den Atem. Inzwischen spürt er mit jedem Husten das pochende Stechen des Fiebers.
Bei jedem keuchenden Hustenanfall krümmt er sich zusammen, presst die Hände aber weiterhin auf die Ohren der kleinen Penny. Er weiß, dass seine Hustgeräusche hinter der Tür in den endlosen Gängen des Hauses bemerkt werden müssen, aber es gibt nichts, was er dagegen tun kann. Mit jedem unterdrückten Röcheln sieht er Lichtblitze vor seinen Augen – wie winzige Kometenschweife, die einem Feuerwerk gleich hinter seinen geschlossenen Lidern hin und her schießen.
Die Abstellkammer, gerade einen Meter breit, ist schwarz wie Tinte und riecht nach Mottenkugeln, Mäusedreck und altem Zedernholz. Kleidersäcke aus Plastik hängen in der Dunkelheit und streifen immer wieder Brians Gesicht. Sein jüngerer Bruder Philip hat ihm versichert, dass er in der Abstellkammer ruhig husten könne. In Wahrheit darf sich Brian hier ruhig die Lunge raushusten – das lockt die Monster aus ihren Verstecken –, doch er darf auf keinen Fall Philips Tochter anstecken. Sonst würde Philip seinen Kopf mit einem Beil bearbeiten.
Der Hustenanfall ebbt ab.
Gleich darauf wird die Stille vor der Tür erneut von schwerem Stapfen durchbrochen. Noch eine tote Kreatur, die in die Killzone tritt. Brian presst die Hände fester auf Pennys Ohren. Sie zuckt trotzdem zusammen, als erneut zu hören ist, wie ein Schädel zerquetscht wird – diesmal in d-Moll.
Falls man Brian fragen würde, wie man die Geräusche vor der Tür beschreiben könne, würde er sich wahrscheinlich auf seine Zeit als Betreiber einer Musikalienhandlung berufen und die Schädelbrüche mit einer Percussion-Symphonie vergleichen, die direkt aus der Hölle kommt – etwa wie ein Stück von Edgar Varèse oder ein berauschtes Schlagzeugsolo von John Bonham – mit sich wiederholenden Leitmotiven und Refrains: dem schweren Atmen von Menschen … dem schwerfälligen Schlurfen eines lebenden Toten … der Axt, wie sie pfeifend durch die Luft schwingt … dem Geräusch des Stahls, wie er sich in menschliches Fleisch gräbt …
… Und schließlich das große Finale: das dumpfe Klatschen eines feuchtkalten, leblosen Körpers, der aufs glibberige Parkett aufschlägt.
Eine erneute Pause in dem grauenhaften Tohuwabohu lässt Brian bis ins Knochenmark erzittern. Die Stille legt sich erneut bleischwer auf sie. Nachdem sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben, bemerkt er das Glitzern von dickflüssigem Blut, das unter dem Türspalt durchsickert. Es sieht wie Motoröl aus. Behutsam zieht er seine Nichte von der größer werdenden Lache weg und drückt sie gegen die Stiefel und Regenschirme, die an der Wand hinter ihnen stehen.
Der Saum von Pennys kleinem Jeanskleid berührt einen Moment lang das Blut. Rasch reißt er es hoch und reibt panisch an dem Fleck, als ob die rote Flüssigkeit irgendwie ansteckend sein könnte.
Ein weiterer krampfhafter Hustenanfall zwingt Brian in die Knie. Er kämpft dagegen an und schluckt mit rauem Hals. Es kommt ihm so vor, als ob er Scherben hinunterwürgen würde, während er das kleine Mädchen noch enger an sich drückt. Er weiß nicht, was er tun oder was er sagen soll. Er will seiner Nichte helfen, will ihr etwas Beruhigendes zuflüstern. Doch er kann kein besänftigendes Wort finden.
Ihr Vater würde wissen, was er jetzt sagen müsste. Philip würde es wissen. Er weiß immer, was er sagen muss. Philip Blake ist ein Mann, der stets genau das sagt, was allen anderen auch gerne eingefallen wäre. Er spricht das aus, was ausgesprochen werden muss, und tut das, was getan werden muss. So wie jetzt. Jetzt ist er da draußen mit Bobby und Nick und tut das, was getan werden muss … Während Brian sich hier wie ein Angsthase zusammenkauert und den Kopf darüber zerbricht, was er seiner Nichte Beruhigendes sagen kann.
Angesichts der Tatsache, dass Brian Blake der ältere der beiden Brüder ist, scheint es merkwürdig, dass er stets der Schwächere gewesen ist. Nicht einmal einen Meter siebzig groß samt den Absätzen seiner Stiefel wirkt er wie eine Vogelscheuche von einem Mann, der es nicht einmal schafft, seine besonders enge Jeans und das schlampige Weezer-T-Shirt auszufüllen. Ein mickriger Ziegenbart, Makramee-Armbänder und dunkle Haare wie Ichabod Crane aus Sleepy Hollow vervollständigen das Bild eines fünfunddreißigjährigen Tagträumers, der in einem Peter-Pan-Zustand stecken geblieben zu sein scheint und jetzt in der nach Mottenkugeln riechenden Abstellkammer auf die Knie sinkt.
Brian schnappt nach Luft und blickt zu Penny mit ihren weit aufgerissenen Augen. Ihr stummes, vor Entsetzen verzerrtes Gesicht leuchtet gespenstisch in der dunklen Kammer. Das Kind ist seit eh und je ein kleines, ruhiges Mädchen mit milchig weißer Haut gewesen – wie eine Puppe aus Porzellan –, die ihrem Gesicht stets etwas Unwirkliches verliehen hat. Seit dem Tod ihrer Mutter ist sie jedoch noch mehr in sich gekehrt und noch blasser geworden, sodass sie beinahe durchsichtig wirkt. Rabenschwarze Locken hängen ihr in die übergroßen Augen.
Während der letzten drei Tage hat sie kaum ein Wort von sich gegeben. Natürlich sind das außergewöhnliche drei Tage gewesen – und traumatische Erlebnisse haben auf Kinder einen anderen Effekt als auf Erwachsene. Aber Brian macht sich Sorgen, dass Penny vielleicht in eine Art von Schockzustand verfallen könnte.
»Wird schon, Kleine«, flüstert er ihr zu und hustet leise.
Ohne aufzuschauen gibt sie etwas Unverständliches von sich; es ist wie ein Murmeln.
»Was hast du gesagt, Pen?« Brian hält sie eng an sich gedrückt, schaukelt sie sanft hin und her, bemerkt ihre Tränen und wischt sie ihr aus dem Gesicht.
Dann sagt sie es erneut, immer und immer wieder. Doch ihre Worte sind nicht an Brian gerichtet. Es ist eher wie ein Mantra oder ein Gebet. Wie eine Beschwörungsformel »Es wird niemals wieder werden, niemals.«
»Still, Kleine.« Er hält ihren Kopf und drückt ihn eng an sein T-Shirt, spürt die feuchte Wärme ihres Gesichts auf seinem Oberkörper. Wieder hält er ihr die Ohren zu, als erneut das BADONG einer Axt auf der anderen Seite der Tür zu ihnen dringt.
Es hört sich an wie ein nasser Softball, der auf einen Baseballschläger trifft, gefolgt von einem schauderhaften, feuchten Aufschlag. Merkwürdigerweise findet Brian das am schlimmsten: dieses dumpfe, klatschende Geräusch eines Körpers, der auf die teuren Keramikfliesen trifft. Die Fliesen sind extra für dieses Haus angefertigt worden und haben kunstvolle Einlegearbeiten und aztekische Muster. Das Haus ist wunderschön … oder ist es zumindest mal gewesen.
Dann enden die Geräusche.
Es folgt wieder die schreckliche Stille. Brian unterdrückt einen Hustenanfall. Er schließt ihn wie einen Feuerwerkskörper ein, der kurz vor dem Explodieren steht, damit er dem sich verändernden Atmen vor der Tür und den glitschigen Fußstapfen lauschen kann, wie sie durch das gerinnende Blut waten. Aber es herrscht Totenstille.
Brian spürt, wie das Kind neben ihm erstarrt. Die Kleine wappnet sich gegen eine weitere Attacke von Axthieben, aber die Stille hält an.
Nur wenige Zentimeter entfernt hören sie auf einmal einen Schlüssel in einem Schloss. Brian läuft es eiskalt den Rücken herunter. Kurz darauf wird die Tür geöffnet.
»Alles in Ordnung.« Der Bariton – von vielem Whiskeytrinken und Heiserkeit – gehört einem Mann, der jetzt in die dunkle Abstellkammer späht. Seine Augen blinzeln in der Dunkelheit, das Gesicht ist feucht vor Schweiß und gerötet von der Anstrengung der Zombie-Entsorgung. Philip Blake hält eine blutverschmierte Axt in seinen rauen Händen.
»Sicher?«, bringt Brian mühsam hervor.
Ohne seinen Bruder eines Blickes zu würdigen, konzentriert sich Philip ganz auf seine Tochter. »Alles ist in Ordnung, mein Schatz. Daddy geht es gut.«
»Bist du dir sicher?«, wiederholt Brian und fängt erneut zu husten an.
Philip schaut seinen Bruder an. »Wäre es zu viel verlangt, wenn du dir die Hand vor den Mund hältst?«
Keuchend versucht Brian es noch einmal: »Bist du dir sicher, dass du Entwarnung geben kannst?«
»Schatz?« Philip Blake klingt zärtlich und liebevoll, wenn er mit seiner Tochter spricht. Sein schwacher Südstaatenakzent kaschiert die wild lodernden Flammen der Gewalt, die noch in seinen Augen flackern. »Ihr müsst mir helfen und noch eine Minute hierbleiben. Alles klar? Du rührst dich nicht vom Fleck, bis Daddy sagt, dass du rauskommen kannst. Hast du das verstanden, mein Schatz?«
Das blasse Kind nickt kraftlos und signalisiert seinem Vater, dass es verstanden hat.
»Los, Junge«, sagt Philip und zieht seinen älteren Bruder aus der Kammer. »Ich brauche deine Hilfe beim Aufräumen.«
Brian rappelt sich auf und schlängelt sich an den Mänteln vorbei in den Gang hinaus.
Als er sich aus der Abstellkammer gekämpft hat, blinzelt er im hellen Licht des Flurs. Er starrt, hustet und starrt erneut auf den Anblick, der sich ihm bietet. Für einen Augenblick scheint es ihm, als ob der üppige Eingang des zweigeschossigen Hauses im Kolonialstil, der von extravaganten Kronleuchtern aus Kupfer erhellt ist, mitten in Renovierungsarbeiten stecken würde – und zwar durch Handwerker, die allesamt gelähmt sind. Unmengen von bräunlich violetten Flecken zieren die aquamarinfarbenen Wände. Tintenklecksförmige schwarze und karmesinrote Muster schmücken Fußleisten und Stuckarbeiten. Erst jetzt bemerkt er die leblosen Gestalten auf dem Boden.
Sechs Leichen liegen da in merkwürdig verkrampften Haltungen. Das vorangegangene Gemetzel, die fahle, blutverschmierte Haut und die zerschlagenen Schädel lassen keine Schlüsse mehr auf Alter oder Geschlecht zu. Der größte der Toten liegt in einer Lache von Blut und Erbrochenem am Fuß des großen Treppenaufgangs. Eine weitere Leiche – vielleicht die Hausherrin, vielleicht eine freundliche Gastgeberin, die Süßspeisen und Gastfreundschaft großzügig verteilte – befindet sich in einem undefinierbaren Haufen auf dem schönen weiß gestrichenen Parkett. Eine lange Spur aus wurmig grauer Masse schlängelt sich aus ihrem gespaltenen Schädel.
Brian Blake spürt, wie es ihn würgt und sich seine Kehle zusammenschnürt.
»Okay, Gentlemen. Es gibt zu tun«, sagt Philip und meint damit seine beiden Freunde Nick und Bobby ebenso wie Brian. Aber das panische Pochen von Brians Herz übertönt die Aufforderung seines Bruders.
Ängstlich beäugt er die anderen Überreste, die im Flur und an den dunkel gefleckten Fußleisten vor dem Wohnzimmer liegen – während der vergangenen zwei Tage hat es sich Philip angewöhnt, die Opfer der Monster als »zweimal gekochtes Schweinefleisch« zu bezeichnen. Vielleicht sind es die Teenager, die hier einmal gewohnt haben, vielleicht aber auch Besucher, die sich mit der Ungastlichkeit eines infizierten Bisses konfrontiert sahen. Sämtliche Leichen sind von einem strahlenförmigen Muster aus dickflüssigem Blut umgeben. Eine von ihnen, deren zerquetschter Schädel mit dem Gesicht wie ein verschütteter Suppentopf auf dem Boden liegt, pumpt weiterhin scharlachrote Flüssigkeit wie ein kaputter Hydrant in die Gegend. Kleine Beile stecken noch bis zum Anschlag in den Schädeln der anderen – wie Fahnen, die Entdecker triumphierend in neu bezwungene Gipfel gesteckt haben.
Brian hält sich die Hand vor den Mund, um dem, was sich da seine Speiseröhre emporarbeitet, Einhalt zu gebieten. Er spürt ein sanftes Klopfen an seiner Schädeldecke, als ob eine Motte dagegenstoßen würde. Brian blickt nach oben.
Blut tropft vom Kronleuchter über ihm herab. Ein Tropfen fällt auf seine Nase.
»Nick, warum schnappst du dir nicht eine von den Planen, über die wir vorher gestolpert sind, in …«
Brian fällt auf die Knie, krümmt sich nach vorn und übergibt sich. Ein regelrechter Sturzbach aus bräunlich grüner Gallenflüssigkeit läuft über das Parkett und vereint sich mit den Körperflüssigkeiten der Leichen.
Tränen brennen in seinen Augen, als vier Tage der Todesangst aus ihm herausbrechen.
Philip Blake stöhnt angespannt auf. Adrenalin schießt noch immer durch seine Adern. Für einen Moment bleibt er stehen, anstatt seinem Bruder zu Hilfe zu eilen. Er legt seine blutige Axt beiseite und rollt die Augen. Es ist fast ein Wunder, dass sich in seinen Augenhöhlen noch keine Furchen gebildet haben, so oft musste er über die Jahre wegen seines Bruders die Augen rollen. Was kann er sonst tun? Der arme Hund gehört zur Familie, und Familie ist nun mal Familie … Insbesondere in so freakigen Zeiten wie diesen.
Natürlich besteht eine gewisse Ähnlichkeit zwischen den Brüdern, dagegen kann auch Philip nichts machen. Groß gewachsen, schlaksig und mit den geschmeidigen Muskeln eines Handwerkers, hat Philip Blake die gleichen markanten Züge wie sein Bruder, die gleichen dunklen mandelförmigen Augen und das gleiche pechschwarze Haar, das sie von ihrer mexikanischstämmigen Mutter geerbt haben. Mama Roses Mädchenname lautete Garcia. Ihre Züge spiegeln sich deutlicher in den Gesichtern der Brüdern wider als die des Vaters, eines großen, raubeinigen Alkoholikers irisch-schottischer Herkunft namens Ed Blake. Philip, der drei Jahre jünger als Brian ist, hat zumindest dessen Muskeln geerbt.
In seinen ausgewaschenen Jeans, den Arbeitsstiefeln, dem Flanellhemd, seinem Fu-Manchu-Schnauzbart und den Tätowierungen im Stil eines Bikers bewegt er seinen eins achtzig großen Körper endlich auf seinen Bruder zu. Er ist drauf und dran, ihn mal wieder anzufahren, als er plötzlich innehält. Denn er hört etwas, was ihm ganz und gar nicht gefällt – und zwar aus Richtung der Abstellkammer.
Bobby Marsh, ein früherer Schulkamerad Philips, steht am Fuß der Treppe neben der Kammer und wischt die Axt an seiner Jeans in der Größe XXL ab. Er ist ein beleibter Zweiunddreißigjähriger, der sein Studium hingeworfen hat. Mit seinen fettigen zurückgebundenen Haaren wirkt er zwar nicht richtig dick, aber er ist auf jeden Fall übergewichtig – genau der Typ, den seine ehemaligen Burke-County-Kommilitonen gerne einen Butterball nannten. Jetzt lacht er nervös und gereizt, als er Brian beim Übergeben zusieht. Dem Lachen fehlt jedoch die echte Freude, es klingt hohl und schrill. Das Kichern ist zu einer dummen Angewohnheit geworden, die Bobby nicht mehr abschütteln kann.
Dieser nervöse Tick fing vor drei Tagen an, als einer der ersten Untoten aus einer Tankstelle in der Nähe des Augusta-Flughafens stolperte. Der Mechaniker trug eine blutbesudelte Latzhose und schlurfte aus seinem Versteck. Er zog eine Rolle Toilettenpapier hinter sich her und hatte sich im Handumdrehen Bobbys dicken Stiernacken vorgenommen, ehe Philip sich eingemischt und das Wesen mit einer Brechstange mehr oder weniger zu Brei geschlagen hatte.
Die spätere Entdeckung jenes Tages – dass ein gezielter Schlag auf den Kopf vollauf reicht, die Ungeheuer außer Gefecht zu setzen – veranlasste Bobby zu einem heftigen Kicheranfall, was eine nervöse Abwehrreaktion vermuten ließ. Zwischen dem Gelächter stammelte er immer wieder: »Muss was im Wasser sein, Mann … Wie bei der Pest.« Aber Philip war schon damals nicht sonderlich an den Gründen für diese Katastrophe interessiert – inzwischen noch viel weniger.
»He!«, ruft Philip seinem Freund zu. »Findest du das etwa lustig?«
Bobby hört auf der Stelle mit dem Kichern auf.
Von der gegenüberliegenden Wand aus neben einem Fenster, das einen Blick auf den nachtdunklen großen Innenhof gewährt, beobachtet ein vierter Mann unruhig das Geschehen. Nick Parsons, ein weiterer Freund aus Philips missratener Kindheit, ist ein kompakter, schlanker Typ um die dreißig mit einem jungenhaften Auftreten und einer Frisur, mit der er in die Marine gepasst hätte. Er wirkt wie eine Sportskanone. Als der einzig Religiöse der Gruppe hat Nick länger als alle anderen gebraucht, sich an die Idee zu gewöhnen, Kreaturen abzuschlachten, die einmal Menschen gewesen waren. Jetzt sind seine Kakihose und Turnschuhe blutbesudelt, und seine Augen sind starr vor Schock, während er Philip nachsieht, wie dieser auf Bobby zugeht.
»Tut mir leid, Mann«, stammelt Bobby.
»Meine Tochter ist da drin und hat Todesangst«, knurrt Philip, hält wenige Zentimeter vor Bobby an und starrt ihm in die Augen. Diese explosive Mischung aus Zorn, Panik und Schmerz kann Philip Blake in Sekundenschnelle die Kontrolle verlieren lassen.
Bobby starrt auf den blutigen Fußboden. »Tut mir leid, tut mir wirklich leid.«
»Hol die Plane, Bobby.«
Keine zwei Meter entfernt kauert Brian Blake noch immer auf Händen und Knien und würgt die letzten Reste heraus, bis nichts mehr übrig ist.
Philip tritt zu seinem älteren Bruder und kniet sich neben ihn. »Raus damit.«
»Ich … Oh …«, krächzt Brian und zieht den Rotz hoch, während er krampfhaft versucht, einen klaren Gedanken zu fassen.
Philip legt seine große, schmutzig schwielige Hand auf die Schultern seines Bruders. »He, mach dir nichts daraus, Bruderherz … Nur immer raus damit.«
»Es tut mir … mir so l-leid.«
»Ist nicht wichtig.«
Brian fängt sich allmählich und wischt sich den Mund mit dem Handrücken ab. »Glaubst du, du hast sie alle erwischt?«
»Ja.«
»Sicher?«
»Klar.«
»Hast du das … das ganze Haus durchsucht? Auch den Keller und so?«
»Yes, Sir. Sämtliche Räume. Selbst auf dem Speicher haben wir nachgeschaut. Der letzte Zombie hat sich aus seinem Versteck gewagt, als er deinen verdammten Husten gehört hat. Der ist ja auch laut genug, um Tote zu wecken. Es war ein junges Mädchen, das anscheinend Appetit auf Bobbys Doppelkinn hatte.«
Brian schluckt. Sein entzündeter Hals kratzt und tut weh. »Diese Leute … Sie … Sie haben hier gelebt.«
Philip seufzt. »Jetzt nicht mehr.«
Brian schafft es, sich einmal kurz umzublicken, ehe er zu seinem Bruder aufsieht. Sein Gesicht ist tränenfeucht. »Aber das war … Es war eine Familie.«
Philip nickt schweigend. Am liebsten würde er seinen Bruder an den Schultern packen und schütteln: Na und? Aber stattdessen nickt er erneut. Er denkt weder an die untote Familie, die er gerade ins Jenseits befördert hat, noch an die emotionalen Folgen des furchtbaren Gemetzels, das er während der letzten drei Tage angerichtet hat – das Abschlachten von Menschen, die einmal Mütter, Briefträger, Tankstellenwarte gewesen waren. Gestern noch gab Brian irgendeinen Bockmist zu Moral und Ethik angesichts dieser Situation von sich. Er meinte, moralisch gesehen dürfe man nicht töten, und zwar niemals. Aus ethischer Sicht jedoch – und das sei ein großer Unterschied – könne man das Töten zur Selbsterhaltung durchaus rechtfertigen. Philip hält das Ganze allerdings gar nicht für Töten. Schließlich kann man etwas nicht umbringen, das bereits umgebracht wurde. Man macht vielmehr kurzen Prozess damit, wie man es mit einem Insekt tut. Auf jeden Fall darf man nicht so viel nachdenken!
Tatsächlich denkt Philip im Augenblick so gut wie gar nicht nach – nicht einmal darüber, was seine kleine bunt zusammengewürfelte Truppe als Nächstes machen soll, obwohl das höchstwahrscheinlich allein seine Entscheidung sein wird – schließlich ist er der inoffizielle Anführer dieses Haufens, und je früher er sich damit abfindet, desto besser. Für den Augenblick konzentriert sich Philip Blake jedoch nur auf eines: Seitdem dieser Albtraum vor weniger als zweiundsiebzig Stunden angefangen hat und Menschen ganz einfach zu Monstern werden – aus bisher unerfindlichen Gründen –, gibt es für Philip Blake kein anderes Ziel mehr, als seine Tochter Penny in Sicherheit zu bringen. Deswegen ist er auch so schnell es ging vor zwei Tagen aus seiner Heimatstadt Waynesboro geflüchtet.
Die Gegend, ein Farmerstädtchen am östlichen Rand von Georgia, war im Handumdrehen zur Hölle gefahren, als die Menschen dort zuerst starben, dann aber plötzlich wieder vor den Lebenden standen. Es war jedoch vor allem Pennys Wohlbefinden gewesen, was Philip dazu gebracht hatte, von dort zu verschwinden. Und wegen Penny hatte er sich auch an seine alten Schulkameraden gewandt. Wegen Penny waren sie nach Atlanta gefahren. Dort sollten nämlich den Nachrichten im Fernsehen zufolge Flüchtlingslager aufgebaut werden. Alles nur wegen Penny. Sie ist das Einzige, was Philip noch geblieben ist. Sie ist es, die ihn noch aufrecht erhält – der einzige Trost für seine geschundene Seele.
Lange, ehe diese unerklärliche Epidemie über das Land hereingebrochen ist, schreckte ihn eine Leere in seinem Herz jeden Morgen um drei Uhr aus dem Schlaf. Genau um drei Uhr morgens verlor er seine Frau. Kaum zu glauben, dass es schon vier Jahre her ist. Das Ganze geschah auf einem regennassen Highway südlich von Athens. Sarah hatte eine Freundin an der Universität von Georgia besucht und etwas Alkohol getrunken, ehe sie auf der kurvigen Straße in Wilkes County die Kontrolle über das Auto verlor.
Von jenem Moment an, als er die Leiche identifiziert hatte, wusste Philip, dass sich sein Leben grundlegend geändert hatte. Er hatte keine Probleme damit, das zu tun, was getan werden musste: Er nahm einen zweiten Job an, um Penny alles geben zu können wie zuvor. Dennoch würde es nie mehr so sein wie zuvor. Vielleicht ist das der Grund für all das, was jetzt passierte. Ein kleiner Scherz von Gott. Wenn Heuschreckenplagen über das Land kommen und Blut die Flüsse rot färbt, nimmt der Mann, der am meisten zu verlieren hat, das Ruder in die Hand.
»Ist doch egal, wer sie einmal waren«, sagt Philip schließlich. »Oder was sie einmal gewesen sind.«
»Hm … Vielleicht hast du recht.« Mittlerweile hat sich Brian wieder etwas besser im Griff. Er sitzt mit überkreuzten Beinen auf dem Boden und atmet tief ein und aus. Er wirft einen Blick auf Bobby und Nick, die jetzt eine große Plane ausrollen und Müllsäcke bereitlegen. Dann schleppen sie die triefenden Leichen auf die Plane.
»Das Einzige, was jetzt zählt, ist aufräumen«, gibt Philip zu bedenken. »Wir können heute Nacht hier bleiben. Und wenn wir morgen früh Benzin auftreiben, fahren wir bis nach Atlanta weiter.«
»Das macht keinen Sinn«, murmelt Brian und starrt auf die Leichen.
»Was soll das heißen?«
»Schau sie dir doch an.«
»Was?« Philip wirft einen Blick über die Schulter auf die grausigen Überreste. Nick und Bobby sind gerade dabei, die Frau in die Plane einzupacken. »Was soll sein?«
»Das ist eine Familie.«
»Na und?«
Brian fängt wieder zu husten an und hält sich dann den Ärmel vor den Mund, um ihn daran abzuwischen. »Was ich damit sagen will … Wir haben eine Mutter, einen Vater und vier Kinder im Teenageralter … Fällt dir nichts auf?«
»Nein. Was soll mir auffallen?«
Brian blickt zu Philip hoch. »Wie kann so etwas passieren? Sind sie etwa alle auf einmal … Oder ist einer von ihnen gebissen worden und hat sich dann auf die anderen Familienmitglieder gestürzt?«
Philip überlegt einen Moment. Schließlich denkt auch er in stillen Momenten durchaus darüber nach, was vor sich geht und wie dieser Wahnsinn überhaupt angefangen hat. Doch dann langweilt ihn das Denken, und er meint: »Los, steh auf und fang endlich an, uns zu helfen.«
Es dauert eine Stunde, bis sie alles halbwegs aufgeräumt haben. Penny wartet die ganze Zeit über in der Abstellkammer. Philip bringt ihr zwei Kuscheltiere aus einem der Kinderzimmer und verspricht ihr, dass sie bestimmt bald herauskommen darf. Brian wischt das Blut auf und kämpft dabei immer wieder gegen seine Hustenanfälle an, während die anderen drei verpackte Leichen – zwei große und vier kleinere – aus der hinteren Schiebetür auf die Zedernholzveranda schleppen.
Es ist Ende September, und der klare Nachthimmel wirkt eisig wie ein schwarzer Ozean. Unzählige Sterne schimmern auf sie herab und scheinen sie mit ihrem teilnahmslosen und doch fröhlichen Funkeln zu verspotten. Der Atem der drei Männer steigt weiß in der Dunkelheit auf, als sie die Bündel über die mit gefrorenem Tau bedeckten Holzplanken zerren. An ihren Gürteln hängen Pickel, und Philip hat sich eine Pistole hinten in den Hosenbund gesteckt – eine alte Ruger mit einem Zweiundzwanziger-Kaliber, vor vielen Jahren auf einem Flohmarkt erstanden. Er hat nicht vor, die Waffe zu benutzen, denn er will die Untoten nicht durch Schüsse auf sie aufmerksam machen. Der Wind trägt das verräterische Schlurfen der furchtbaren Wesen an ihre Ohren – wirres Gemurmel und schlurfende Schritte. Sie dringen aus der Dunkelheit zu ihnen herüber – wahrscheinlich aus dem Hinterhof eines der Nachbarhäuser.
Dieser Frühherbst ist ungewöhnlich kühl für Georgia. Heute Nacht soll das Thermometer bis null Grad und tiefer fallen. Zumindest verkündete das der örtliche Rundfunksender, ehe er sich mit einem lauten Rauschen verabschiedete. Bis jetzt konnten sich Philip und seine Leute per TV, Radio und das Internet über Brians Blackberry auf dem Laufenden halten.
Inmitten des Chaos versicherten sämtliche Nachrichtensender ihrem Publikum, dass alles nach Plan laufe. Die Regierung habe alles unter Kontrolle, und diese oder jene kleine Hürde würde innerhalb weniger Stunden überwunden sein. Auf fest zugeordneten Frequenzen gab der Zivilschutz regelmäßige Warnungen aus: Man solle das Haus nicht verlassen und wenig besiedelte Gegenden meiden. Außerdem solle man die Hände waschen, nur Wasser aus Flaschen trinken und so weiter und so fort.
Natürlich hat niemand auch nur einen blassen Schimmer. Das Schlimmste ist, dass immer mehr Fernseh- und Rundfunksender ausfallen. Zum Glück gibt es an Tankstellen noch Benzin, Lebensmittelläden verkaufen noch etwas zu essen, und das Stromnetz und die Ampeln funktionieren auch noch genauso wie Polizei und sonstige Infrastruktur, an deren dünnen Fäden die Zivilisation hängt.
Philip macht sich jedoch Sorgen, dass ein Stromausfall verheerende Folgen haben könnte.
»Ich schlage vor, wir werfen sie in den Müllcontainer hinter der Garage«, flüstert er kaum hörbar und zerrt zwei Plastikbündel den Holzzaun entlang in Richtung der riesigen Garage. Er will alles so rasch und so leise wie möglich hinter sich bringen. Sie dürfen bloß keine Zombies auf sich aufmerksam machen. Kein Feuer, keine lauten Geräusche und vor allem keine Schüsse, wenn es nur irgendwie geht.
Hinter dem zwei Meter hohen Zaun aus Zedernholz befindet sich ein schmaler Kiesweg, der zu den großen Garagen hinter den Höfen führt. Nick schleppt eine Leiche bis zum hohen Hoftor, einer soliden Konstruktion aus Planken mit einem geschmiedeten Griff. Er lässt den Sack fallen und öffnet.
Hinter dem Zaun wartet eine weitere Leiche auf ihn – diesmal aufrecht stehend.
»VERDAMMT! ALLE MANN AUFPASSEN!«, ruft Bobby Marsh warnend.
»Halt deinen Mund!«, zischt Philip ihn an und reißt sich den Pickel vom Gürtel, während er auf das Gartentor zusprintet.
Nick zuckt zurück.
Der Zombie wirft sich mit aufgerissenem Kiefer auf ihn, bereit zuzubeißen. Nur um wenige Zentimeter verfehlt er Nicks Brust. Das Geräusch der in der Luft zusammenschnappenden gelben Zähne ähnelt dem Klacken von Kastagnetten. Im Mondlicht kann Nick deutlich erkennen, dass er es mit einem Mann zu tun hat, der einen zerrissenen Izod-Pullover, eine Golfhose und dazu passende teure Schuhe trägt. In seinen milchigen Augen spiegelt sich fahl das Sternenlicht wider: Das war mal ein Großvater.
Nick erhascht noch einen Blick auf das Monster, bevor er rückwärtstaumelnd mit dem Hintern auf dem üppig wachsenden Kentucky Bluegrass landet. Der tote Golfer wankt durch den Spalt im Tor auf den Rasen, als ein fliegendes, rostiges Stück Metall im Mondlicht aufblitzt.
Philips Pickel gräbt sich tief in den Kopf des Untoten und spaltet die Schädeldecke des Alten, ehe er die dichten, fasrigen Membranen der harten Hirnhaut durchdringt und sich in die gallertartige Masse seines Scheitellappens gräbt. Es hört sich so an, als ob man Stangensellerie zerbricht. Eine bräunliche Flüssigkeit spritzt hervor. Die insektenhafte Entschlossenheit im Gesicht des Alten ist plötzlich verschwunden und verwandelt sich in ein verblüfftes Staunen.
Der Zombie sackt in sich zusammen.
Philip reißt an dem Pickel, der tief im Schädel steckt. Er versucht es noch einmal, aber die Spitze hat sich verhakt. »Schließ das gottverdammte Tor! Sofort! Aber sei bloß leise«, faucht Philip panisch flüsternd, ehe er mit der Stahlkappe an seinem linken Arbeitsstiefel heftig auf den bereits zerstörten Schädel des Leichnams tritt.
Die beiden anderen Männer bewegen sich, als ob sie synchron miteinander tanzen würden: Bobby lässt rasch sein Leichenbündel fallen und eilt zum Gartentor, während Nick sich aufrappelt, um dann vor Entsetzen rückwärtszustolpern. Bobby schiebt den Riegel ins Schloss. Das metallene Geräusch hallt über die düster daliegenden Rasenflächen der angrenzenden Gärten.
In der Zwischenzeit schafft es Philip, den Pickel aus dem störrischen Schädel des Zombies zu ziehen. Es hört sich wie ein schmatzender Kuss an. Einen Moment lang steigt Panik in ihm auf. Dennoch wendet er sich wieder der toten Familie in den Planen und Säcken zu, um sie endlich zu entsorgen, als ihm ein merkwürdiges Geräusch an seine Ohren dringt. Es kommt vom Haus.
Ruckartig blickt er auf. Licht dringt aus den Fenstern des Hauses.
Brians Silhouette zeigt sich hinter der gläsernen Schiebetür. Er klopft an die Scheibe und winkt Philip und die beiden anderen hektisch zu sich. Die Angst steht ihm im Gesicht geschrieben. Das hat nichts mit dem toten Golfer zu tun – so viel ist Philip klar. Im Haus stimmt etwas nicht.
Gütiger Himmel, bitte lass Penny unversehrt sein!
Philip lässt den Pickel fallen und überquert mit großen Schritten den Rasen.
»Und was ist mit den Leichen?«, ruft Bobby Marsh.
»Lass sie liegen«, erwidert Philip, während er die Stufen zur Veranda hinaufrennt.
Brian schaut ihn mit weit aufgerissenen Augen an. »Ich muss dir was zeigen, Mann.«
»Was ist los? Wie geht es Penny? Ist sie okay?« Atemlos stürzt Philip ins Haus. Bobby und Nick eilen zur Veranda und drängen sich hinter ihm hinein.
»Penny geht es gut«, erwidert Brian. Er hat ein gerahmtes Foto in der Hand. »Wirklich, ihr geht es gut. Es macht ihr nichts aus, noch länger in der Abstellkammer zu warten.«
»Mein Gott, Brian, was zum Teufel soll das dann?« Philip holt tief Luft und ballt die Hände zu Fäusten.
»Ich muss dir was zeigen. Wollen wir hier heute Nacht wirklich bleiben?« Brian dreht sich zur Schiebetür. »Sieh dir das an. Die Familie ist doch da drinnen gestorben, nicht wahr? Alle sechs.«
Philip wischt sich den Schweiß aus dem Gesicht. »Nun spuck es schon aus, Mann.«
»Pass auf. Irgendwie sind sie alle gleichzeitig infiziert worden, die ganze Familie. Oder – so scheint es doch, nicht wahr?« Brian hustet einen Moment lang und zeigt dann auf die sechs Bündel in der Nähe der Garage. »Da draußen auf dem Gras liegen sechs Leichen. Mutter, Vater und vier Kinder.«
»Was soll das?«
Brian hält das Foto hoch. Ein Familienfoto aus besseren Tagen. Alle lächeln etwas verlegen und tragen offenbar ihre schönsten Kleider. »Das habe ich auf dem Klavier gefunden«, erklärt Brian.
»Na und?«
Brian zeigt auf das jüngste Kind auf dem Foto. Ein etwa elf- oder zwölfjähriger Junge in einem marineblauen Anzug mit blonden Haaren und einem schüchternen Lächeln.
Brian blickt seinen Bruder an. »Da sind sieben Leute auf dem Foto.«