Petra Pinzler / Günther Wessel

Vier fürs Klima

Wie unsere Familie versucht,
CO2-neutral zu leben

Knaur e-books

Inhaltsübersicht

Über Petra Pinzler / Günther Wessel

Petra Pinzler, geboren 1965, studierte Wirtschafts- und Politikwissenschaft an der Universität zu Köln und besuchte die Kölner Journalistenschule. 1994 begann sie in der Wirtschaftsredaktion der ZEIT. Von 1998 bis 2001 war sie für die ZEIT Korrespondentin in den Vereinigten Staaten und bis 2007 Europakorrespondentin in Brüssel. Seither schreibt sie im Hauptstadtbüro in Berlin über Politik und Wirtschaft. Für ein ZEIT-Dossier zum Thema Freihandel/TTIP wurde ihr 2014 gemeinsam mit zwei Kollegen der Otto-Brenner-Preis für kritischen Journalismus verliehen.

Günther Wessel, geboren 1959, studierte Germanistik, Philosophie und Kunstgeschichte, arbeitet seit mehr als 20 Jahren als freier Journalist und Lektor. Er hat zahlreiche Sachbücher geschrieben und Hörfunkfeatures für alle großen deutschen Rundfunkanstalten verfasst.

Jakob, geboren 2000, studiert Mathematik und Philosophie in Berlin und arbeitet ehrenamtlich bei serlo.org.

Franziska, geboren 2004, ist Schülerin und Aktivistin bei Fridays for Future in Berlin. Gemeinsam mit ihren Eltern haben sie für diese Ausgabe ein Nachwort geschrieben.

Petra Pinzler und Günther Wessel wurden mit ihren beiden Kindern für dieses Buch mit dem UmweltMedienpreis 2018 ausgezeichnet.

Impressum

Erweiterte Neuausgabe Juli 2020

Droemer eBook Verlag

© 2018 Droemer Verlag

Ein Imprint der Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

Covergestaltung: Rothfos & Gabler, Hamburg

Coverabbildung: Julian Rentzsch

ISBN 978-3-426-44444-3

Einleitung

Der Test und ein Plan fürs ganze Jahr

Dass wir es genau wissen wollten, verdanken wir Franziska. Unsere damals zwölfjährige Tochter kam eines Tages von der Schule nach Hause, setzte sich vor den Computer und guckte nicht die üblichen Youtube-Pferdevideos. Sie öffnete stattdessen eine andere Webseite: den Klimabilanzrechner der Umweltorganisation WWF. Mit dessen Hilfe kann man ganz einfach seinen ökologischen Fußabdruck kennenlernen, also herausfinden, ob sich das eigene Verhalten auf den Rest der Welt auswirkt. Und wenn ja, wie.

Franziska füllte mit Papas Hilfe den Fragebogen aus – und das Ergebnis war ziemlich niederschmetternd: Unsere Familie ist, so das Ergebnis in aller Kürze, durch unsere Art zu leben für 42 Tonnen CO2 im Jahr verantwortlich. Dadurch, dass wir Auto fahren, wie wir wohnen und essen, wie viel wir kaufen und reisen, sprich, durch unseren Lebensstandard, tragen wir Mitschuld am Klimawandel. Wenn alle Menschen so lebten wie wir, braucht es dafür auf Dauer mehrere Erden. Oder die eine geht kaputt.

Franziska schockierte das Ergebnis. Ihr war bisher nicht klar gewesen, dass ihr ganz persönliches Verhalten eine so durchschlagende Wirkung auf die Umwelt haben kann. Der Vater, Günther, wusste es zwar, aber er musste gestehen, dass zwischen Wissen und Tun oft Gräben liegen – und zwar solche von der Größenordnung des Ärmelkanals.

Dann tröstete die beiden aber: Sie hatten den Klimarechner nicht so ganz ernst genommen, hatten viele Antworten über den Daumen gepeilt abgegeben. Beispielsweise Kilometer, die die Familie mit dem Auto fährt. »Wir haben 13000 im Jahr geschrieben, ich glaube aber, dass es nur 12000 sind«, sagte Günther später. »Und bei der Hausgröße und dem Einkaufen haben wir, glaube ich, auch zu viel angegeben.« Was man so sagt, wenn man das Ergebnis irgendwie doch ein bisschen peinlich findet. Aber erst einmal waren Franziska und Günther sich sicher, dass die Familie bei genauer Beantwortung bessere Werte erzielen würde.

Bizarrerweise beruhigte die beiden auch, dass – so stellte sich am nächsten Tag heraus – die Ergebnisse bei Franziskas Freundinnen und Freunden in der Klasse selten besser, aber häufig sogar schlechter waren. Was fürs Weltklima übel ist, war für die beiden schön. So konnten sie ihre Hände in gefühlter Unschuld waschen: An ihnen lag es schließlich weniger, die anderen waren schlimmer, im Zweifel tragen sie mehr Schuld, wenn es zur Klimakatastrophe kommt. Da war die Familie fein raus, uff!

Dass das nicht ganz stimmte – klar wussten wir das.

Wir sind eine vierköpfige Familie: Vater, Mutter, zwei Kinder – der sechzehnjährige Jakob, die heute dreizehnjährige Franziska. Alle vier essen gern abends gemeinsam (ja, tatsächlich) und reden dann, über den Tag, die Schule, das Leben. Mal mehr, mal weniger engagiert, je nach Thema. Das ist nicht immer lustig, wir streiten und muffeln, nerven uns gegenseitig ganz gehörig, aber es gibt oft genug doch etwas zu lachen, und wir hoffen, dass das auch noch eine Weile so bleibt. Durch Franziskas Schulaufgaben stand plötzlich das Thema »familiäre Ökobilanz« ganz weit oben.

Wir hatten es schon öfter diskutiert, bei Urlaubsreisen, wenn es um Nah- oder Fernziele ging, und vor allem bei Ernährungsfragen. Jakob ist seit mehr als vier Jahren strikter Vegetarier. Er möchte nicht, dass Tiere getötet werden. Aber macht das seine Ernährung auch besser für das Klima? Eine Freundin von uns isst kein Rindfleisch mehr, weil die Tiere angeblich zu viele klimaschädliche Gase produzieren. Oder konkret: weil deren Rülpser den Treibhauseffekt massiv verschlimmern. Spinnt sie oder ist da was dran? Die Klimabilanz eines Schweinenackensteaks aus einem niedersächsischen Mastbetrieb – egal ob biologisch oder konventionell »erzeugt« – soll besser sein als die eines auf der argentinischen Pampa gewachsenen Rindersteaks. Vielleicht sogar besser als die eines Steaks, das von einem Bio-Rinderzuchtbetrieb aus der Uckermark stammt. Stimmt das?

Bei jenem Abendessen warfen wir uns viel Halbwissen um die Ohren und stellten uns viele Fragen: Was darf ich im Winter essen, ohne dem Klima damit zu schaden: Tomaten? Treibhaus oder eingeflogen? Oder beides oder weder noch? Stattdessen immer nur Kohl aus deutschen Landen, Bohnen, Linsen und Feldsalat dazu? Das wäre mager. Sollen es gelagerte Brandenburger Bioäpfel sein oder frisch geerntete aus Chile, Neuseeland und Südafrika? Darf man argentinischen Rotwein trinken? Sollte man selbst Obst konservieren? Ist Biobutter aus dem Supermarkt klimafreundlicher als die konventionelle aus der Region – oder umgekehrt? Und wie sieht es eigentlich mit dem Urlaub und dem Autofahren aus? Nur noch Fahrradfahren und Laufen? Und nur noch Urlaub in Brandenburg? Oder ist Griechenland doch noch drin?

Eigentlich ist der Klimawandel ein Thema, bei dem wir inzwischen ziemlich schnell abschalten. »Langweilig«, sagen die Kinder zu solchen Problemen. Ja, das Klima ist bedroht, die Eisschollen für die Bären werden immer kleiner, die Temperaturen steigen. Schlimm, das. Längst ist die Überzeugung fest, aber man verzweifelt nicht daran, sondern hat sich damit recht gemütlich eingerichtet. Wir Eltern neigen da wie viele unserer Freunde zu einer Mischung aus Fatalismus, naiver Hoffnung, dass es doch noch mal gut geht, dem Verzicht auf Plastiktüten (wenigstens manchmal) und dem Einkauf von Biotomaten. Frei nach dem Motto: Wenn wir schon die Welt nicht verbessern können, wollen wir uns wenigstens an der Supermarktkasse ein bisschen besser fühlen.

Erschüttert wird das nur dann, wenn wir plötzlich konkret darüber nachdenken müssen, was sich da langsam, aber sicher zur Katastrophe entwickelt. Wenn wie durch Franziska solche scheinbar abstrakten Fragen plötzlich sehr konkret werden. Weshalb Günther den Ethikunterricht in den Berliner Schulen so liebt, denn in dem Fach hatte Franziskas Klasse über ihren ökologischen Fußabdruck gesprochen und ihr und uns damit jede Menge Hausaufgaben beschert.

Wir hatten uns bis dahin, das fiel uns plötzlich schlagartig auf, viele Fragen immer mehr oder weniger gefühlsmäßig und mit fundiertem Halbwissen beantwortet. Spargel außerhalb der Saison? Niemals! Erdbeeren auch nicht, schon weil die aus Spanien angeblich stark gespritzt sind, und wer will sich schon selbst langsam vergiften. Wir fühlten uns bei diesem Verzicht gut, dabei war er einfach, denn er war kein echter: Spargel und Erdbeeren von weit weg schmecken meistens einfach nicht. Aber die Mangos aus Mexiko eben doch. Und deswegen wurden die ab und zu gekauft, wenn sie nicht zu teuer waren. Wir hatten ja schon auf die Erdbeeren verzichtet.

Wir durchlebten an jenem Abend folgende Reaktionskette: Schlechtes Gewissen, Seufzen, gute Vorsätze, Relativieren, Ratlosigkeit. Als wir die Teller in die Spülmaschine räumten, waren wir fast bereit für die letzte Stufe. Das Verdrängen. Doch plötzlich sagte Jakob: »Ich will es genau wissen. Was könnten wir denn als Klimaretter tun, ohne dass es albern wird?« Und damit war sie geboren, die Idee, das Ganze fundiert anzugehen. In etwa zu notieren, wann eine ganz normale Familie was kaufen darf, was konsumieren, wann sie sündigt. Wie wir den Urlaub verbringen dürfen und wie viel Ökostrom – denn Ökostrom nutzen wir schon länger – wir wirklich verbrauchen. Wir würden zusammen erforschen, wie die Ökobilanz unseres Frühstücks aussieht und die des Abendessens. Und welche Fallen es gibt.

Wir wollten unsere Leben einmal ganz ungeschminkt angucken und ehrlich wissen, wo wir uns nur einbilden, bereits schön grün zu leben, aber in Wirklichkeit lächerliche Dinge tun. Was wir deswegen ändern müssen. Wo wir das Problem einfach durch den Kauf anderer Produkte würden lösen können – ob wir uns also würden freikaufen können von Ökosünden. Wann Freunde und Bekannte uns als neue Klimakämpfer albern und verschroben finden. Und wo das mit dem Klimaschutz heute für eine normale Familie einfach nicht geht, wenn man sich nicht komplett aus der Gesellschaft ausklinken will. Wie, wann und warum wir also mit dem Versagen würden leben müssen.

Wir haben in dieser Zeit sehr viele Gespräche geführt und gemerkt, wo wir alle inkonsequent sind, wo es dem einen leichtfällt, zu verzichten, und dem anderen schwer. Mitunter war es ein Wetteifern, mitunter sorgte es für lustige Gespräche, mitunter für gereizte Stimmung – dann, wenn der eine sich besser als der andere gab. Vor allem, wenn man kein richtiges Argument dagegen hatte, denn wer will schon als der Klimakiller dastehen, wenn das erklärte Familienziel ist, Energie und CO2 einzusparen. Trotzdem haben wir gemerkt: Je mehr wir im Alltag über unser gemeinsames Projekt sprachen, darüber, unser Leben ab sofort möglichst CO2-sparsam zu führen, desto leichter fiel es uns beispielsweise, auf das Auto zu verzichten. Verhaltensweisen ändern sich eher, wenn man nicht nur im stillen Kämmerlein darüber nachdenkt, sondern wenn man die Ergebnisse des Nachdenkens öffentlich mitteilt. Denn das verlangt dann Konsequenzen.

Man kann den Klimawandel natürlich auch einfach ignorieren. Der norwegische Ökonom, Psychologe und Unternehmensberater Per Espen Stoknes erzählt in seinem Buch »What We Think About Global Warming When We Try Not To Think About Global Warming« (zu Deutsch etwa: »Was wir denken, wenn wir versuchen, nicht an den Klimawandel zu denken« – nebenher ein Buch, das uns schwer beeindruckt hat und das später noch einmal vorkommen wird) von einer Gruppe Manager eines Ölkonzerns bei einer Tagung in Texas. Sie treffen sich in einem Hotel, das ehemals am Ufer eines Sees lag, und machen auch einen Bootsausflug. Doch wegen jahrelanger Dürren ist der Seepegel um mehr als zwölf Meter gesunken. Statt grüner Ufer gibt es schlammige Erde, die Bootsstege reichen gar nicht mehr ans Wasser heran. Aber dennoch wird beim Bootsausflug das, was hier sichtbar ist, nicht angesprochen: dass die Dürreperiode, wie von Wissenschaftlern vorhergesagt, dem Klimawandel durch CO2 geschuldet ist. Stattdessen machen sich die Manager weiter über Wissenschaftler lustig, nennen sie Katastrophenrufer und Blockierer des wirtschaftlichen Fortschritts.

Wir sehen das anders. Wir fürchten, dass die Wissenschaftler, die 99 Prozent der Klimaexperten, die vor der drohenden Erderwärmung warnen, recht haben. Dass es einen von den Menschen zu verantwortenden unguten Klimawandel gibt. Dass die düsteren Szenarien mehr oder weniger richtig sind. Aber wir hoffen zugleich immer noch, dass Klimawandel und Erderwärmung wenigstens begrenzt werden können – dadurch, dass Menschen ihr Verhalten verändern und als Konsumenten die Wirtschaft und als Bürger die Politik beeinflussen. Nein, wir sind nicht naiv. Wahrscheinlich bleibt Eltern einfach fast nix anderes übrig: Entweder sie lassen das Kinderkriegen. Oder sie werden zynisch. Oder sie setzen auf Luther, der heute das Apfelbäumchen pflanzen würde, selbst wenn morgen die Welt unterginge.

Verzicht hat noch nie funktioniert, hat der grüne Ministerpräsident aus Baden-Württemberg Winfried Kretschmann im April 2016 der Süddeutschen Zeitung diktiert. Wir haben es trotzdem probiert. Haben versucht, über ein Jahr hinweg unser Leben klimafreundlicher zu gestalten. Dass dafür ein paar Änderungen des Alltags irgendwann nötig sein würden, war uns allen vieren von Anfang an klar. Nur nicht, wie weit die gehen müssen. Wo es wehtun würde, worauf wir wirklich würden verzichten müssen. Und was überhaupt Verzicht für uns ganz persönlich ist. Oder ob es nicht umgekehrt manchmal ein Gewinn sein kann, nicht mit dem Auto zu fahren. So viel sei verraten: Es ist es tatsächlich, selbst wenn man es vorher kaum glauben kann und dabei ab und an fies nass wird. Wir sind all den Fragen nachgegangen, die am Wegesrand auftauchten. Immer wieder gescheitert, manchmal mit einem lachenden, manchmal mit einem weinenden Auge.

Vorab: Wir sind erheblich klüger geworden. Wir haben einiges über uns gelernt, uns gegenseitig genervt, heftig gestritten und erstaunlich viel gelacht. Denn es hat wider Erwarten ziemlich viel Spaß gemacht. Unser Optimismus ist gewachsen, wir haben Menschen getroffen, die voller Energie und oft genug mit einem Augenzwinkern versuchen, die Welt ein kleines bisschen zu verändern. Die uns geholfen haben, wenn die Sache zu kompliziert wurde – als Journalisten haben wir den großen Vorteil, dass Fragen zu unserem Beruf gehört und auch das Wissen, wen man im Zweifel fragen kann. Dieses Handwerk haben wir genutzt, wenn die Zusammenhänge für uns zu kompliziert wurden. Wenn wir auf Produkte stießen, wie die Biogurke, die neuerdings in Plastikverpackung daherkommt, und nicht wussten, ob das nur ein kleiner alltäglicher Irrsinn der schönen Konsumwelt ist oder ein Ökoproblem. Oder wenn wir uns zu verlieren drohten zwischen all den Umweltprodukten, Webseiten, den tausend großen und kleinen Verhaltenstipps und schon kurz davor waren, das Projekt aufzugeben. Mit dem Gefühl: Nützt doch eh alles nichts, wenn wir nicht zu Asketen werden.

Wir erzählen in den folgenden zwölf Kapiteln, die den Monaten eines Jahres folgen, deswegen meist nicht von kühlen, klaren Rechercheergebnissen und den Analysen der Spezialisten, sondern berichten vor allem von Situationen aus unserem Alltag. Wir haben aufgeschrieben, was dazu führte, dass wir etwas genauer recherchierten, von Gesprächen in der Familie und mit Freunden und den Konsequenzen, die wir dann (manchmal mit einem weinenden Auge) zogen. Manchmal aber sprachen wir nur darüber, dass es gut ist, was wir vorhaben – warum das wichtig ist, auch das erzählen wir.

Spannend fanden wir alle, zu lernen, wie wir den inneren Schweinehund, den Auto-Einflüsterer, den Mango-Esser, die Ich-brauche-eine-neue-Bluse-Käuferin, den Der-Klimawandel-kommt-nicht-so-schnell-Beschwichtiger und den Nutzt-doch-eh-nix-Verzweifelten in uns besiegen können. Und auch, dass wir unsere Freunde und Bekannten neu kennengelernt haben – manche verwunderten uns durch ihre Ignoranz, andere, bei denen wir es gar nicht vermutet hätten, beeindruckten durch ihre Nachdenklichkeit. Denn ja, erstaunlich viele Leute denken doch über den Klimawandel nach und darüber, was und ob sie etwas tun können. Auch wenn eine Freundin uns nach einem Essen, an dem wir über dieses Buch sprachen, am nächsten Tag schrieb: »Ich weiß nicht, ob meine Ehe dieses Experiment überleben würde.« Die Sorge konnten wir ihr nehmen, über offene Zahnpastatuben kann man sich mindestens so arg streiten wie über die Frage, ob die frischen Möhren vom Markt nun auch an die Kaninchen verfüttert werden. Ja, darüber kann man streiten. Denn die kosten mehr als die aus dem Supermarkt. Auch hier die Antwort vorab: Ja, sie kriegen manchmal die guten Möhren, weil wir nicht extra für die Kaninchen Gemüse einkaufen.

Gerade die lächerliche Alltäglichkeit des Klimaproblems macht es oft so interessant. Denn am Ende steht auch die Frage: Auf wie viel Geld und Bequemlichkeit wollen wir verzichten? Und wo ist das sinnvoll?

Noch ein paar Dinge vorweg, quasi als Gebrauchsanweisung: Wir werden hier immer wieder eine bestimmte Begrifflichkeit nutzen müssen. Beispielsweise sprechen wir sehr häufig von Kohlendioxid (abgekürzt CO2). Das hat einen spezifischen Grund: Kohlendioxid (oder Kohlenstoffdioxid) spielt bei der Berechnung der klimaverändernden, vom Menschen erzeugten Gase die zentrale Rolle. Einmal als Treibhausgas selbst, zum anderen weil andere Treibhausgase international in sogenannte CO2-Äquivalente umgerechnet werden. So trägt Methangas beispielsweise ungleich stärker zum Treibhauseffekt bei als Kohlendioxid. Wird nun durch eine technische Maßnahme der Methanausstoß um eine Tonne reduziert (Methangas entsteht in der Landwirtschaft, in Kläranlagen, auf Mülldeponien und im Steinkohlenbergbau), entspräche das einer Reduktion von 21 Tonnen Kohlendioxid anderswo. Ein Kilogramm irgendwo gespartes Lachgas entspräche sogar 300 Kilo CO2. Deshalb spricht man in der Wissenschaft meist von Kohlendioxid-Äquivalenten (CO2e), im Alltag aber immer von CO2. Wir übernehmen im Buch die Alltagssprache, sprechen also von CO2 oder Kohlendioxid – gemeint sind damit alle klimaschädlichen Gase. Die dann abgekürzt mitunter einfach als Klimagase bezeichnet werden.

Kilowattstunden (kWh) oder Joule beschreiben die aufgewandte Energie, die man braucht, um einen Staubsauger zu bedienen oder eine Mahlzeit zu kochen. Also das, was an Energie aus der Steckdose kommt. Wir versuchen möglichst Beispiele dafür zu finden, wie sich Energiesparen praktisch vergleichen lässt. Also kann man mit einer Kilowattstunde Energie etwa:

Der dritte Teil der Gebrauchsanweisung: In unserem Buch gibt es keine Fußnoten. Allerdings finden sich zu jedem Kapitel im Anhang kommentierte Lesehinweise, die auf Studien, Webseiten oder andere Medien verweisen.

Zuletzt noch eine Entwarnung: Dies ist kein Buch, nach dessen Lektüre sich alle selbst kasteien müssen. Wir fordern nicht von Kapitel zu Kapitel mehr Askese und machen all denen ein schlechtes Gewissen, die gern mal eine Currywurst essen oder für eine Reise das Auto oder schlimmer noch das Flugzeug benutzen.

Bei manchen Problemen haben wir herausgefunden: Ohne ein paar andere politische Weichenstellungen wird es fast unmöglich, dass wir alle viel ökologischer leben werden. Denn das ginge viel leichter mit einer ressourcenschonenderen Verkehrspolitik, einer ökologischeren Agrarpolitik und einer faireren Handelspolitik. Diese und ein paar ganz konkrete weitere Forderungen an die Politiker können wir nach dem Jahr sehr klar formulieren – und gut begründen. Übrigens ohne damit gleich die Revolution zu verlangen.

Allerdings finden wir mehr denn je: Das politische Versagen entschuldigt nicht die private Faulheit. Dass »die Politik« erst handeln müsse, damit die Bürger endlich anders leben, ist ebenfalls falsch. So falsch wie der berühmte Adorno-Satz, dass es kein richtiges Leben im falschen gäbe, der, auf die Umweltpolitik übertragen, suggeriert, dass es angesichts der Klimakatastrophe überhaupt nicht mehr darauf ankäme, ob wir den Müll trennen. Wir glauben nach wie vor, dass es darauf ankommt. Dass wir handeln können. Ohne Selbstkasteiung, aber durch bewussteres Leben, und ohne schlechtes Gewissen, wenn es mal wieder nicht klappt. Aber mit Nachdenklichkeit und dem Versuch, es zukünftig besser zu machen. Schon weil das guttut.

Garantien gibt es nicht. Nur Versuche. Auch viele gescheiterte. Aber weiter versuchen, erneut und besser scheitern, nur so entsteht etwas Neues – und Besseres. Davon sind wir fest überzeugt.

Denn schon unsere ersten Gespräche über das Thema waren sinnvoll. Am Abend gingen wir alle seltsam getröstet ins Bett. Jakob löschte zum ersten Mal seit Langem das Licht im Flur. Petra drehte die Heizung runter. Und Franziska schaltete den Fernseher aus, und zwar nicht nur auf Stand-by-Modus, sondern an der Steckdose. Und Günther, der so etwas bislang allein gemacht hatte, freute sich.

Januar

Fehlstart und Bestandsaufnahme als Klimasünder

Das nennt man wohl einen klassischen Fehlstart: Unser Jahr als Klimaretter begann damit, dass wir alle Heizungen im Haus aufdrehten. In Berlin war es eisig kalt, wir waren eine Woche verreist und unser Haus deswegen ordentlich ausgekühlt. Knappe 500 Kilometer Auto waren wir an dem Tag auch schon gefahren. Wir hatten die Weihnachtstage und den Rutsch ins neue Jahr mit den Großeltern und Geschwistern erst im Sauerland und dann im Rheinland verbracht. Also stand die heimische Bude ein paar Tage leer, und im Kühlschrank war nichts Frisches mehr zu finden. Auch nichts anderes, was lecker aussah. Gut, dass es Pizzataxis gibt. Wir bestellten, die Heizung rauschte, der elektrische Heizlüfter, der für Notfälle im Keller liegt, brummte. Müde, aber zufrieden saßen wir dann zu viert vor der Glotze, kauten Pizza und guckten auf Netflix die »Big Bang Theorie«. Gleichzeitig spielten und lasen alle nebenher noch auf dem iPad, Notebook oder Handy. Multitasking. Petra steckte die Füße in einen elektrischen Heizschuh, den sie von ihren Eltern zu Weihnachten geschenkt bekommen hatte. Noch eine Umweltsünde.

Zu unserer Ehrenrettung muss gesagt werden, dass wir erst zwei Wochen später, nämlich Mitte Januar, auf die Idee kamen, unsere Klimabilanz zu verbessern – nachdem Franziska und Günther diese am CO2-Rechner des WWF nachgerechnet hatten. Das Ergebnis ist bekannt, nicht katastrophal schlecht, ein bisschen besser als der Durchschnitt, aber damit eben noch lange nicht gut. Wir sind durch unseren Lebenswandel eindeutig für viel zu viele CO2-Emissionen verantwortlich – und damit eben auch für den Klimawandel. Und das soll sich ändern.

»Was müssten wir tun, um ’ne Eins zu kriegen?« Franziska stellt die entscheidende Frage, am Wochenende nach dem Check, als wir gemeinsam überlegen, mit welchen Schritten wir unser Experiment starten und was überhaupt ein realistisches Ziel sein kann. Dass uns die Suche nach der Antwort dann gleich mehrere Tage beschäftigen würde, damit hatten wir allerdings nicht gerechnet. Ausgerechnet wir, die wir uns doch für aufgeklärte, umweltbewusste und informierte Bürger gehalten hatten. Wir mussten sogar noch einmal nachgucken, wie CO2 nun ganz genau auf die Erdatmosphäre wirkt, warum es also so schädlich für das Klima ist. Irgendwie blamabel.

Franziska liest auf der Internetseite von Wikipedia nach und berichtet uns davon: CO2 – Kohlendioxid ist ein Gas. Eines, das man nicht riechen, nicht anfassen, nicht sehen kann. So viel wussten wir noch. Auch dass es eine Verbindung aus Kohlenstoff und Sauerstoff ist, nicht brennbar, farb- und geruchlos. In Wasser gelöst, sorgt es für Sprudel – und wird dann Kohlensäure genannt. Es kommt in der Natur vor, auch als natürlicher Bestandteil der Luft. Den Klimawandel kann man kurz und bündig so erklären: Weil die Menschheit zu viel fossile Energien verbrennt – Braun- und Steinkohle, Torf, Erdgas und Erdöl –, hat sich das CO2 in der Atmosphäre von 280 ppm (parts per million, Anzahl der Teile pro Million Teilchen) am Beginn des Industriezeitalters auf 400 ppm im Jahre 2015 erhöht. Dadurch sorgt es für den Treibhauseffekt: Die Sonnenstrahlen erwärmen die Erde wie eh und je, nur kann diese Wärme wegen des dichter werdenden CO2 in der Luft nicht mehr so schnell ins Weltall entweichen. Es wirkt wie der Deckel auf einem Topf oder das Glasdach eines Treibhauses. Also verändert sich das Klima.

Wir erinnern uns mithilfe von Wikipedia schwach an UN-Klimakonferenzen und dass Regierungen in Paris im Dezember 2015 beschlossen haben, die globale Erwärmung deutlich unter 2 Grad Celsius zu halten, am besten sogar unter 1,5 Grad Celsius. Weil die Klimaforscher inzwischen fast alle überzeugt sind, dass ab diesem Temperaturanstieg die Folgen unkalkulierbar werden können. Und auch, dass die CO2-Emissionen deswegen weltweit spätestens zwischen 2045 und 2060 mehr oder weniger auf null sinken müssen. Aber was das für uns konkret bedeutet? Da kann keiner spontan beantworten. Auch nicht, wie viel CO2 pro Person eigentlich heute noch okay wäre. Oder wie eine gute Bilanz aussieht.

»Ist deine Klimabilanz in Ordnung?«

»Ist meine was in Ordnung?« So verdutzt wie ein Kollege reagieren die meisten, die wir in den kommenden Tagen fragen. Wir tun das mit allen Freunden und Bekannten, die wir zufällig treffen. Manche fügen noch Sätze hinzu wie: »Ich bin bestimmt nicht gut fürs Klima, so viel wie ich fliege.« Oder: »Na, bei unserem Auto …«

Wir versuchen es dann konkreter: »Weißt du, für wie viel CO2 du im Jahr verantwortlich bist? Und wie viel okay wäre – also so, dass es den Klimawandel nicht beschleunigt?«

Aber auf diese Fragen weiß niemand eine Antwort – bis auf die paar professionell gebildeten Freunde, die fast den ganzen Tag über Umweltfragen nachdenken. Die helfen uns.

Also, was wäre gut? Eine gute Quelle ist die Internetseite des Umweltbundesamtes. Auf der steht, dass 2016 in Deutschland 906 Millionen Tonnen CO2 in die Luft geblasen wurden. Geteilt durch 82 Millionen Bürger bedeutet das: Im Durchschnitt sind das für jeden Deutschen elf Tonnen CO2.

Wir sind als Haushalt in diesem Jahr für knapp 42 Tonnen verantwortlich, was 10,5 Tonnen pro Person sind, also ziemlich dem Durchschnitt entspricht. Na, ein kleines bisschen besser schon.

Deutschland steht insgesamt damit gar nicht so schlecht da – verglichen mit Katar: Das Emirat am Persischen Golf liegt mit 33,38 Tonnen pro Person international an der Spitze. Die Bauarbeiter auf den Großbaustellen für die Fußball-WM 2022 leben und arbeiten unseres Wissens aber nicht in klimatisierten Räumen, das heißt, die anderen, die reichen Großfamilien der Scheichs, müssen einen irren Energieverbrauch haben: wahrscheinlich wegen ihrer Indoor-Skihallen oder der klimatisierten Bushaltestellen.

Ein paar Tage und ein paar Internetrecherchen später sitzen wir wieder im Wohnzimmer. Gerade haben die KiKA-Nachrichten über die Zerstörung der Meere durch Plastiktüten berichtet. Das erinnert Franziska ans Klima. Also fragt sie wieder nach, mit diesem speziell genervten Unterton, den nur Pubertierende so gut können: »Uuuund, was ist jetzt? Sind wir gut oder schlecht?«

»Schlecht!«, sagt Günther und: »Gut wäre eine Null!« Er hat auf die Frage schon gewartet und sich vorbereitet.

»Null?! Wie soll denn das gehen? Gibt es denn überhaupt Familien, die das schaffen?«

»Ja, manche schaffen es fast. Aber nicht hier.«

»Wo denn?«

»In manchen Ländern Afrikas. In Ländern wie Burundi, dem Tschad, der Zentralafrikanischen Republik, Mali oder Äthiopien. In Europa nicht, in Amerika nicht. In Industrienationen ist das nicht möglich.«

»Aber null steht ja im Moment noch nicht zur Debatte«, sagt Jakob, der bisher still auf sein Handy geguckt hat – eine Haltung, bei der man nie weiß, ob und was er von unseren Gesprächen mitkriegt. Jakob ist eine Weile immer mal wieder zu den Treffen einer Umweltgruppe gegangen. Daran erinnert er sich jetzt und daran, dass es sehr wohl Berechnungen gibt, wie viel zusätzliches CO2 die Atmosphäre noch verkraftet, bis es wirklich schlimme Folgen haben wird. Aber wie viel noch geht, das weiß auch Jakob nicht.

Wir finden die Antwort im »Kassensturz für den Weltklimavertrag«. Einer unserer Freunde aus der Umweltbewegung hat uns die Lektüre empfohlen. Sie ist kein Vergnügen, aber für unsere Zwecke ziemlich hilfreich. 2009 hatte der »Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen« (WBGU) diesen Bericht veröffentlicht, dessen wichtigste Aussage lautet: Will man zu zwei Dritteln sicher sein, dass die Temperaturen durchschnittlich weltweit nicht über zwei Grad steigen, dürfen bis 2050 noch 750 Milliarden Tonnen CO2 in die Atmosphäre gelangen. Soll sich die Wahrscheinlichkeit auf drei Viertel erhöhen, dürfen es sogar nur noch 600 Milliarden Tonnen sein.

»Ach, das ist ja alles doch nicht so schlimm«, sagt Franziska, sehr erleichtert. Sie hat schnell die riesigen Summen mit unseren 42 Tonnen verglichen.

750000000000 Tonnen klingt wirklich nach ziemlich viel.

Das sind immerhin 750 Billionen Kilogramm, in Ziffern 750000000000000 Kilogramm.

Nur sagt die große Zahl natürlich noch nichts darüber aus, wie viel CO2 wir als Familie noch in die Atmosphäre entlassen dürfen. Die gilt ja für die gesamte Menschheit – und für die nächsten 34 Jahre. Das bedeutet Folgendes: Zurzeit teilen wir uns den Planeten mit 7,39 Milliarden anderen Menschen. Und da natürlich alle dieselben Rechte haben, steht ganz einfach allen auch dasselbe Recht zu, die Erde zu verschmutzen. »Keiner hat mehr Recht auf Dreck als andere, ist doch klar«, meint Jakob. Das fanden auch die Wissenschaftler und teilten deshalb die 750 Milliarden Tonnen CO2 durch die Anzahl von Menschen, die von nun an bis 2050 auf der Erde leben und leben werden. Dabei gehen sie davon aus, dass dann, nach 2050 kein weiteres CO2 mehr in die Luft gepustet wird – so wie es fast alle Regierungen der Welt zuletzt auf dem Klimagipfel in Paris versprochen haben. Weil die Wirtschaft dann anders funktioniert. Weil Strom durch Solar- und Windenergie erzeugt wird, Autos elektrisch fahren und sich auch sonst noch eine Menge getan hat.

Wie das alles gehen soll und was die Politiker dafür tun müssten – die Antworten auf diese Fragen verschieben wir. Uns geht es ja darum, was wir jetzt tun können.

Petra, die das Gutachten inzwischen auf dem Rechner geöffnet hat, scrollt sich durch den Text. Und findet endlich die eine Zahl, die längst nicht mehr nur Franziska, sondern wir alle so gerne wissen möchten. Sie lautet: 2,2 Tonnen!

2,2 Tonnen. So viel CO2-Emissionen darf jeder Mensch verursachen. Pro Jahr!

In Deutschland sind es elf Tonnen pro Person und Jahr.

Fast gleichzeitig sagen nun Jakob und Franziska: Also verbraucht jeder Deutsche 8,8 Tonnen zu viel. Und wir, die wir mit unseren zehneinhalb Tonnen pro Person eben schon ein bisschen, bisschen besser als andere sind, liegen immer noch 8,3 Tonnen über dem, was erlaubt ist.

Ob wir das einsparen können?

»Ob wir das schaffen?«, sagt Franziska zweifelnd. Sie hat, als sie gemeinsam mit Günther den CO2-Rechner des WWF bediente, gesehen, wie viel unsere angenehme Art zu leben mit dem Kohlendioxid zu tun hat. Dass fast jedes Verhalten auf die Umwelt wirkt, und zwar viel mehr, als man das spontan annimmt: Fahren wir Auto, zählt nicht nur, was das Auto an Benzin, Diesel, Erdgas oder Strom verbraucht. Nein, es muss auch der Ressourcenverbrauch bei der Herstellung dazugerechnet werden, wie weit die Teile transportiert werden mussten und was beim Abbau der Rohstoffe passierte. So hat jede unserer Lebens- und Kaufentscheidungen ihre CO2-Konsequenzen: was wir essen und trinken, wie und wie viel wir heizen, wo und wie wir Urlaub machen oder was und wie viel wir kaufen und wegschmeißen.

»Schaffen wir nicht«, sagt Günther schnell. Er erinnert sich. Als Franziska und er den WWF-Klimarechner nutzten, wurde ihnen pro Person direkt etwa eine Tonne aufgebürdet. Das sind sogenannte staatliche Emissionen pro Person, die Treibhausgase, die staatlicherseits durch Verwaltung, Infrastruktur oder Bildung anfallen. Die wir also nicht loswerden, solange wir in Deutschland leben und unsere Behörden nicht CO2-neutral planen, bauen und verwalten. Verteilt man diesen Staatsverbrauch auf die Bundesbürger, schlägt er sich als Emissions-Grundstock individuell nieder. Also bleibt am Ende von den zwei Tonnen pro Bürger pro Jahr nur noch knapp etwas mehr als eine Tonne für den ganz privaten Verbrauch pro Nase übrig. »Und das ist wirklich nicht zu schaffen«, sagt Günther noch mal. Und kurz spielen wir mit dem Gedanken, das ganze Experiment wieder abzublasen.

Aber da haben wir die Rechnung ohne Franziska gemacht. Die hat in der Schule gelernt, dass sie nicht immer gleich alles auf einmal hinkriegen muss. Dass sie, wenn der Berg an Hausaufgaben zu groß ist, ihn in kleine Portionen aufteilen soll. Dass sie sich realistische Ziele stecken sollte statt gleich den Kopf in den Sand.

Aber was wäre zu schaffen? Weil wir das so schnell nicht rauskriegen, beginnen wir, uns zur Abwechslung das Ausmaß unserer Spuren in der Atmosphäre mal vorzustellen. So als Gedankenspiele.

»Eine Tonne CO2«, sagt Petra da und kratzt sich an der Nase. »Wie viel ist eigentlich eine Tonne CO2

»Na, 1000 Kilo.«

»Blöd bin ich auch nicht. Ich meine nicht als Gewicht, sondern als Volumen.«

Schweigen, keiner weiß eine Antwort, doch Jakob tippt schon auf seinem Handy rum. Spielt mit den Zahlen (wen das nicht interessiert, der kann den nächsten Absatz überspringen) und findet schnell eine Antwort: Demnach wiegt ein Liter CO2 knapp zwei Gramm, genau 1,96 Gramm. Somit – ein Dreisatz genügt – hat ein Kilogramm CO2 ein Volumen von 510,2 Litern. Das entspricht dem Inhalt einer Kiste mit einer Grundfläche von einmal einem Meter und einer Höhe von 51 Zentimetern. Oder dem Inhalt von 510 Milchtüten.

Da CO2 ein Gas ist, könnte man damit auch Luftballons füllen. Normale Ballons fassen 2,5 Liter, was dann 204 Ballons entsprechen würde.

Und nun geht das Zahlenspiel erst richtig los:

»510 Milchtüten bei nur einem Kilo. Bei einer Tonne wären das dann tausendmal so viele«, staunt Franziska. »Und bei elf Tonnen das Elftausendfache.« Sie sieht vor ihrem inneren Auge, wie sich langsam der Raum mit Milchtüten füllt. Und überquillt, weil wir zwar nur zehneinhalb Tonnen CO2 pro Nase verursachen, zu viert aber 42 Tonnen – was 42000 mal 510 Tüten entspräche, also 21,42 Millionen. Eine normale Schulturnhalle misst 27 Meter in der Länge, 15 Meter in der Breite und ist 5,5 Meter hoch. Das entspricht einem Rauminhalt von 2227,5 Kubikmetern.

Also könnten wir mit dem von uns verursachten CO2 knapp neun Hallen vollständig füllen.

Bisher haben wir ziemlich abstrakt über Emissionen und Klimawandel geredet, doch nun ändert sich das Gespräch. Es wird plötzlich persönlich. Denn Franziska will es jetzt wissen: »Was passiert genau, wenn wir Menschen es nicht schaffen, die Emissionen zu reduzieren?«

Wir erzählen vom Steigen der Meeresspiegel, weil durch die Wärme die Eiskappen der Pole schmelzen. Von der möglichen Veränderung der Meeresströme und den Unwettern, die dann folgen können. Wir wollen ihr keine Angst machen, aber auch nichts beschönigen. Die Szenarien entspringen ja leider nicht unserer Fantasie, deswegen finden wir, dass sie mit zwölf Jahren ein Recht darauf hat, zu erfahren, wie die Welt wirklich ist, was mit ihr passiert und was passieren kann. Alles andere wäre unfair.

Franziska hört interessiert zu, als Günther erklärt: »Wir und all die Menschen in den anderen Ländern müssen bis 2050 einfach alles abschaffen, was CO2 ausspuckt. Also die Autos vielleicht durch Elektroautos ersetzen, besser natürlich durch Fahrräder, andere Flugzeuge bauen, die Kohlekraftwerke abschaffen.«

Franziska guckt ungläubig. So eine Welt kann sie sich nicht vorstellen.

»Das klappt doch nie«, sagt sie und: »Dann wird es also schlimm?« Dann schweigt sie.

Und irgendwann steht sie auf und geht.

Wir finden sie später im Wohnzimmer, auf dem Sofa in eine Decke gewickelt. Petra nimmt sie in den Arm. Und die beiden reden weiter. Petra erzählt von den Katastrophen, vor denen sie sich früher gefürchtet hat. Dem Atomkrieg. Dem Waldsterben. Dem Ozonloch. »Ach ja«, sagt Franziska, von dem Loch habe sie im Fernsehen, in den KiKA-Nachrichten, gehört, und auch, dass das jetzt wieder kleiner wird. Ganz langsam.

»Siehst du, man kann was machen. Man muss es nur tun«, sagt Petra.

»Und wenn es nicht hilft?«, fragt Franzi immer noch zweifelnd.

»Dann kann man sich wenigstens nicht vorwerfen, es nicht versucht zu haben«, sagt Petra. Außerdem wisse man schließlich nie, wie die Zukunft werde. Man könne morgen sterben oder in hundert Jahren. Wichtig sei, dass man davor richtig lebe. Und dass man sich besser fühlt, wenn man was tut. Dass wir deswegen in den kommenden Tagen durchs Haus gehen und dann gemeinsam schauen würden, wo wir was tun und sparen können. Dass wir einen Energieberater einladen. Und einen Plan schreiben. Um unser Ziel zu schaffen.

Ein bisschen mulmig ist uns dabei schon.

Was, wenn das Ergebnis heißt, dass wir unser Leben radikal ändern und zu Asketen mutieren müssen?

Oder dass wir es einfach nicht schaffen?

Abends, kurz vor dem Einschlafen, wenn das Licht schon aus ist, bleiben immer ein paar Minuten zum Kuscheln. »Wir haben heute in der Schule über Glück geredet«, flüstert Franziska Petra zu. Viele in ihrer Klasse seien unglücklich, erzählt sie und dass sie das verwunderlich fände. Sei doch alles gut oder jedenfalls das, was wichtig ist. Sie sei glücklich. Sie habe ein Lieblingspony (das zwar dem Reitverein gehört, aber sich für sie wie ein eigenes anfühlt) und eine tolle Familie (in der Reihenfolge). Und die Schule, na ja, die sei auch ganz okay.

Die Bestandsaufnahme

An einem Sonntagvormittag machen wir uns dann alle zusammen an unsere erste, ganz private Bestandsaufnahme. Die sieht zu Beginn des Experimentes im Groben so aus: Wir wohnen in einer (zu) großen Doppelhaushälfte im grünen Berliner Südwesten, mit einem schönen Garten, in dem außer Wiese, Bäumen, Blumen und Büschen auch ein kleiner und ein großer Apfelbaum wachsen, dazu ein junger Pflaumenbaum, eine krüppelige Süßkirsche, eine kleine Sauerkirsche, zwei alte, viel tragende Johannisbeersträucher, zahlreiche Erdbeeren, wuchernde Brombeeren und zwei riesige Haselnusssträucher, die zahlreiche Eichhörnchen und Brandmäuse ernähren. Kein Hund, dafür aber zwei Zwergkaninchen, die in einem Zwergkaninchenparadies mit viel Auslauf im Garten leben. Der Stolz der heimischen Landwirtschaft ist das mit ihrem Mist gedüngte Hochbeet, das jedes Frühjahr arbeitsintensiv angelegt wird, Salat, ein paar Tomaten, zwei oder drei Kürbisse und Küchenkräuter liefert – und nebenbei weitere Mäuse und viele Schnecken miternährt.

Wir besitzen insgesamt sieben Fahrräder. Sprich, es gibt pro Person ein normales Fahrrad, dazu ist Günther noch sehr stolzer Eigentümer eines Rennrads, Petra hat noch ein zweites im Büro stehen und ein altes wartet im Keller auf Gäste oder Notfälle. Die Kinder haben je eine Schülermonatskarte, sie können damit alle öffentlichen Verkehrsmittel im Berliner Stadtgebiet nutzen. Jakob gelangt mit einer Kombination aus Fahrrad und U-Bahn zu seiner Schule in Schöneberg (stadteinwärts), während Franziska je nach Wetter mit dem Fahrrad, dem Fahrrad und der S-Bahn oder dem Bus zu ihrer Schule nach Nikolassee (weiter nach Südwesten stadtauswärts) fährt. Petra besitzt ein Jahresabo für den Nahverkehr, eine Umweltkarte, mit der am Wochenende und abends ab acht bis zu zwei Erwachsene plus zwei Kinder fahren können. Vor der Haustür steht noch ein mittlerweile elf Jahre alter VW Caddy Diesel.

Alles in allem verbrauchen wir im Jahr 4582 Kilowattstunden Strom, wobei unser Verbrauch in den letzten Jahren etwas zurückgegangen ist. Aber auch mit unserem derzeitigen Stromverbrauch liegen wir über dem Durchschnitt eines 4-Personen-Haushalts in einem Einfamilienhaus. Das hat allerdings einen guten Grund: Günther arbeitet zu Hause. Die Lampen in seinem Arbeitszimmer brennen, dazu kommt, dass er pro Tag eine Kanne Tee und zwei Tassen Kaffee mindestens trinkt – würde er woanders arbeiten, würden die auch nicht auf unserer Stromrechnung auftauchen. Sein Computer läuft durchschnittlich sechs Stunden am Tag, und das fünf Tage die Woche (mitunter auch am Wochenende). Das sind allein schon knapp 250 kWh. Der Drucker arbeitet nicht ganz so viele Stunden, aber auch hin und wieder. Und mitunter vergisst Günther, ihn auszuschalten, dann läuft er stunden-, manchmal tagelang im Stand-by-Betrieb weiter. Noch während der Bestandsaufnahme gelobt Günther Besserung, und wir haben die erste Sparmöglichkeit gefunden. »Dann schaltet ihr aber bitte auch das Licht im Bad aus«, sagt er unbestimmt in Richtung der drei anderen. Er hat recht damit, hätte aber auch mal vornehm schweigen können. Kann er aber nicht.

Unseren Strom beziehen wir als Ökostrom von Lichtblick, die Fernwärmeversorgung der gesamten Siedlung, in der wir wohnen, erfolgt über Vattenfall – wir könnten uns etwas Schöneres wünschen, schon weil die noch Atomkraftwerke betreiben, haben aber darauf keinen Einfluss. Es sei denn, wir würden uns aus dem Fernwärmesystem abkoppeln, dann müssten wir aber eine eigene Heizungsanlage ins Haus einbauen lassen. Doch das lohnt sich weder finanziell noch ökologisch.

Energie sparen ist unser erstes Ziel. Ein paar einfache Lösungen fallen uns auch sofort ein. Den Lichtschalter häufiger als bisher betätigen, den Stand-by-Betrieb der Glotze ausschalten. Günther stellt den Kühlschrank von vier auf sieben Grad Celsius hoch. »Reicht aus«, sagt er. »Ist kalt genug. Steht auch genau so auf allen Lebensmitteln drauf. Vier bis sieben Grad.«

Aber was noch?, fragen wir uns. Heizung abends immer runter. Klar!

Und sonst?

Günther ruft die Verbraucherzentrale an. Die bietet Energieberatung an – kostet uns 20 gut investierte Euro. In Wirklichkeit kostet das natürlich mehr, nämlich 226,10 Euro, aber das Bundeswirtschaftsministerium bezahlt den Rest. Ein Service für Bewohner von Einfamilienhäusern, für Mieter von Wohnungen gibt es Ähnliches (was weniger kostet). Man macht einen Termin aus, und ein paar Tage später kommt der Berater.

Pünktlich um halb zehn steht er an einem Mittwochvormittag vor der Tür. Karl-Heinz Dubrow, ein freundlicher, leicht berlinernder Mann, unser Energieberater. Herr Dubrow ist kein Berater für alle klimarelevanten Lebenslagen. Aber seine Tipps, so hoffen wir, können ein erster Schritt sein. Denn der Mann hat sich auf den Energieverbrauch spezialisiert und darauf, in Haushalten die großen Verschwendungsquellen zu finden und Alternativen vorzuschlagen – um den Leuten beim Energie- und Geldsparen zu helfen. Das, so finden wir, ist ein guter Anfang. Er trägt einen Computer unter dem Arm und eine Mappe voller Broschüren und sagt: »Dann wollen wir mal.« Dass er gleich das Haus sehen wolle, alles protokollieren würde und wir dann eine Woche später einen Bericht bekämen. »Die 20 Euro müssen Sie mir gleich bar geben«, sagt er und dass das ein guter Preis sei. Dann öffnet er seinen Computer. Und fragt. Viele Fragen.

Ist das Dach gedämmt?

Wie dick sind die Wände?

Wie alt der Kühlschrank?

Schalten Sie den Fernseher ab oder läuft der immer auf Stand-by?

Mit welchem Programm spült die Maschine das Geschirr?

Er will noch viel mehr wissen, die Stromrechnung sehen und die für die Fernwärme. Alle Antworten tippt er ein. Und als Günther stolz erzählt, dass er den Kühlschrank kürzlich von vier auf sieben Grad Temperatur hochgestellt hat, sagt er sogar: »Super! Klasse!«

Wir fühlen uns für einen Moment wirklich gut. Leider sagt Günther dann, dass wir wahrscheinlich ein bisschen besser als der deutsche Durchschnitt beim Energieverbrauch seien. Da aber wiegt Herr Dubrow nur nachdenklich den Kopf und sagt: »Da bin ich mir nicht so sicher.«

Dann zieht er eine Art Pistole aus der Tasche und richtet sie auf Fenster und Wände. Das Ding malt rote Punkte auf die Ziele und misst in wenigen Sekunden, wie die Temperatur im Raum ist und wie an der jeweiligen Stelle.

»Da zieht es«, sagt Herr Dubrow, zeigt auf den Rahmen des Fensters und erzählt uns was von einem U-Wert, der bei 1,3 liegen müsse, und dass unserer bei 3 läge. Wir verstehen nur Bahnhof. Bis Herr Dubrow erklärt, dass die Fenster und Rahmen oft die Schwachstelle bei alten Häusern wären. Da gehe viel zu viel Wärme und damit Energie verloren. Tatsächlich liegt die Temperatur am Fensterrahmen gerade mal bei 13 Grad.