Svend Brinkmann
Pfeif drauf!
Schluss mit dem Selbstoptimierungswahn
Aus dem Dänischen von Andreas Brunstermann
Knaur e-books
Prof. Dr. Svend Brinkmann, Jahrgang 1975, lehrt Psychologie an der Aalborg University, Dänemark. In seinen Forschungen beschäftigt er sich insbesondere mit philosophischen und moralischen Fragestellungen in der Psychologie und anderen human- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen. Mit Pfeif drauf! landete Brinkmann einen großen Bestseller in Dänemark, das Buch wurde breit in Skandinavien, Großbritannien und den Niederlanden verkauft. Seitdem gilt Brinkmann als der akademische Popstar für Lebensfragen.
Die dänische Originalausgabe erschien 2014 unter dem Titel »Stå fast. Et opgør med tidens udviklingstvang« bei Gyldendal.
© 2018 der eBook-Ausgabe Knaur eBook
© 2014 Svend Brinkmann & Gyldendal, Copenhagen; published by agreement with Glydendal Agency
© 2018 der deutschsprachigen Ausgabe Knaur Verlag
Ein Imprint der Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit
Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
Übersetzung: Andreas Brunstermann, Berlin
Redaktion: Dr. Ulrich Steinmetzger, Halle
Covergestaltung: Kathrin Keienburg-Rees, Freiburg
Coverabbildung: Kathrin Keienburg-Rees, Freiburg
ISBN 978-3-426-45142-7
Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
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Mein Interesse für diesen Bereich entstand vor ungefähr zehn Jahren, als ich zusammen mit Cecilie Eriksen die frühe kritische Arbeit Selvrealisering – kritiske diskussioner af en grenseløs udviklingskultur (Selbstverwirklichung – Kritische Diskussion über eine unbegrenzte Entwicklungskultur), Klim, Aarhus 2005, redigierte.
Der Begriff wurde von dem Soziologen Zygmunt Bauman ins Spiel gebracht. Vgl. dazu sein Buch Flüchtige Moderne, Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003, sowie eine Reihe später erschienener Bücher, in denen u.a. Liebe, Angst, Kultur und das Leben an sich im Licht der »flüchtigen« Metapher analysiert werden.
Vgl. dazu meine Analysen im Buch Identitet – udfordringer i forbugersamfundet (Identität – Herausforderungen in der Konsumgesellschaft), Klim, Aarhus 2008.
Dies wurde von dem Soziologen Hartmut Rosa nachgewiesen in Beschleunigung und Entfremdung – Entwurf einer kritischen Theorie spätmoderner Zeitlichkeit, Suhrkamp. Berlin 2013. Ich selbst habe das Phänomen beschrieben in einem Beitrag zu Nye perspektiver på stress (Neue Perspektiven zum Thema Stress), redigiert von Malene Friis Andersen und Svend Brinkmann, Klim, Aarhus 2013.
Der dänische Soziologe Anders Petersen hat dies vielfach beschrieben, vgl. dazu den Artikel »Authentic self-realization and depression«, in: International Sociology, 26/2011, S. 5–24.
Der Begriff der reinen Beziehung wurde von Anthony Gibbens eingeführt, u.a. im Buch Modernity and Self-Identity. Self and Society in the Late Modern Age, Polity Press, Cambridge/Oxford 1991.
Vgl. Zygmunt Bauman, Flüchtige Zeiten. Leben in der Ungewissheit, Hamburger Edition, Hamburg 2008.
Für eine Einführung mit Fokus auf dem Stoizismus als praktische Philosophie vgl. William B. Irvine, A Guide to the Good Life – The Ancient Art of Stoic Joy, Oxford University Press, Oxford 2009.
http://www.telegraph.co.uk/finance/businessclub/management-advice/10874799/Gut-feeling-still-king-in-business-decisions.html.
Vgl. Philip Cushman, »Why the self is empty«, in: American Psychologist, 45/1990, S. 599–611.
Søren Kierkegaard, Entweder–Oder. Ein Lebensfragment, Leipzig 1885. S. 476 f.
Vgl. dazu den Artikel des Arztes Arthur Barsky, »The paradox of health«, in: New England Journal of Medicine, 318/1988, S. 414–418.
Vgl. http://www.information.dk/498463.
Honneth formuliert den Gedanken in verschiedenen Schriften. Als Beispiel angeführt sei hier der Artikel »Organized self-realization«, in: European Journal of Social Theory, 7/2004, S. 463–478.
Vgl. für eine Analyse dieser Entwicklung: Luc Boltanski/Eve Chiapellos, The New Spirit of Capitalism, Verso, London/New York 2005.
Richard Sennett hat in vielen Büchern darauf hingewiesen. Am bekanntesten ist Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen Kapitalismus, Berlin Verlag, Berlin 1998. Der Paradoxe hervorrufende Charakter des Spätkapitalismus wurde von Martin Hartmann und Axel Honneth analysiert im Artikel »Paradoxes of capitalism«, in: Constellations, 13/2006, S. 41–58.
Jean-Jacques Rousseau, Bekenntnisse, Insel, Frankfurt am Main 1959, S. 7.
William B. Irvine, A Guide to the Good Life – The Ancient Art of Stoic Joy, Oxford University Press, Oxford 2009, vgl. insbesondere Kapitel 7.
Vgl. den Artikel »The tyranny of the positive attitude in America: Observation and speculation«, in: Journal of Clinical Psychology, 58/2002, S. 965–992.
Dies wurde u.a. von Barbara Ehrenreich aufgegriffen und kritisiert in dem Buch Bright-sided – How the Relentless Promotion of Positive Thinking Has Undermined America, Metropolitan Books, New York 2009.
Vgl. Levines Beitrag auf http://www.madinamerica.com/2013/12/10-ways-mental-health-professionals-increase-misery-suffering-people/.
Dazu habe ich mich eingehender geäußert im Kapitel »Den positive psykologiske filosofi: Historik og kritik« (Philosophie der Positiven Psychologie: Geschichte und Kritik), in: Positiv psykologi – en introduktion til videnskaben om velvære og optimale processer (Positive Psychologie – Einführung in die Wissenschaft von Wohlergehen und Optimale Prozesse), Hans Reitzels Forlag, Kopenhagen 2008. Seligmans bekanntestes Buch ist Der Glücks-Faktor, Bastei Lübbe, Bergisch Gladbach 2005.
Vgl. Rasmus Willig, Kritikkens U-vending (Die Kehrtwende der Kritik), Hans Reitzels Forlag, Kopenhagen 2013.
Der Artikel in der Berlingske Tidende ist (auf Dänisch) nachzulesen unter: http://www.b.dk/personlig-udvikling/positiv-psykologi-er-ikke-alltid-lykken.
Deutsche Fassung von: http://www.lederweb.dk/Personale/Medarbejdersamtaler-MUS/Artikel/79932/Vardsattende-medarbejderudviklingssamtaler.
Barbara Held, Stop Smiling, Start Kvetching, St. Martins Griffin, New York 2001.
Das übersetzte Zitat stammt aus Irene Oestrichs Selbsthilfebuch Bedre selvværd: 10 trin til at styrke din indre GPS (Erhöhtes Selbstwertgefühl: 10 Schritte zur Stärkung Ihres inneren GPS), Politikens Forlag, Kopenhagen 2013, S. 193.
Vgl. dazu William B. Irvine, A Guide to the Good Life – The Ancient Art of Stoic Joy, Oxford University Press, Oxford 2009, S. 69.
Seneca, »Epistulae morales«, zitiert aus: Seneca zum Vergnügen, Reclam, Ditzingen 2014, S. 169.
Vgl. dazu Oliver Burkeman, The Antidote: Happiness for People Who Can’t Stand Positive Thinking, Canongate, Edinburgh 2012.
Per Schultz Jørgensen, Styrk dit barns karakter – et forsvar for børn, barndom og karakterdannelse (Stärken Sie den Charakter Ihres Kindes – eine Verteidigung von Kindern, Kindheit und Charakterbildung), Kristeligt Dagblads Forlag, Kopenhagen 2014. Das Originalzitat befindet sich auf S. 75.
Vgl. http://www.plan4u.dk/foredrag/på-med-ja-hatten/.
Vgl. Anders Fogh Jensen, Projektsamfundet (Projektgesellschaft), Aarhus Universitetsforlag, 2009.
Simon Critchley, How to Stop Living and Start Worrying, Polity Press, Cambridge 2010. Das Originalzitat befindet sich auf S. 34.
Nils Christie, Små ord om store spørsmål (Kleine Worte über große Fragen), Universitetsforlag, Oslo 2009. Das Originalzitat befindet sich auf S. 45. Mein Dank geht an Allan Holmgren, der mir dieses kleine, feine Buch vermacht hat.
Vgl. Richard Rorty, Kontingenz, Ironie und Solidarität, Suhrkamp, Frankfurt am Main 1989.
Hannah Arendt, Vita activa oder Vom tätigen Leben, Piper, München/Zürich/Berlin 2016, S. 354.
Dies ist auch eines der Hauptthemen in Søren Kierkegaards Schriften, u.a. in Die Krankheit zum Tode. Darin wird das Selbst als eine Beziehung definiert, die mit sich selbst verbunden ist. Zusammen mit dem norwegischen Psychologen Ole Jacob Madsen habe ich die der Schöpfungsgeschichte innewohnende Psychologie in dem Artikel »Lost in paradise: Paradise Hotel and the showcase of shamelessness« beschrieben, in: Cultural Studies Critical Methodologies, 12/2012, S. 459–467.
Vgl. Zygmunt Bauman, Flüchtige Zeiten. Leben in der Ungewissheit, Hamburger Edition, Hamburg 2008.
http://coach.dk/indlaeg-om-coaching-og-personlig-udvikling/lever-du-et-passioneret-liv/350.
Vgl. Eva Illouz, Gefühle in Zeiten des Kapitalismus. Adorno-Vorlesungen 2004, Suhrkamp, Frankfurt am Main 2006.
Richard Sennett, Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität, Fischer, Frankfurt 1986.
E. Harburg u.a. »Expressive/Supressive Anger-Coping Responses, Gender, and Types of Mortality: a 17-Year Follow-Up«, in: Psychosomatic Medicine, 65/2003, S. 588–597.
Christina Hoff Sommers/Sally Satel, One Nation Under Therapy: How the Helping Culture is Eroding Self-Reliance, St. Martin’s Press, New York 2005, S. 7.
Vgl. R. Baumeister u.a., »Does high self-esteem cause better performance, interpersonal success, happiness, or healthier lifestyles?«, in: Psychological Science in the Public Interest, 4/2003, S. 1–44.
Vgl. Barbara Held, Stop Smiling. Start Kvetching, St. Martins Griffin, New York 2001.
Vgl. Seneca, Von der Kürze des Lebens, Über den Zorn, Von der Muße, Goldmann, München 1963.
Dieses Beispiel wird erwähnt in William B. Irvines A Guide to the Good Life – The Ancient Art of Stoic Joy, Oxford University Press, Oxford 2009.
Diese Analyse basiert auf meinem Artikel »Coachificeringen af tilværelsen« (Coachifizierung des Daseins), in: Dansk Pædagogisk Tidsskrift, 3/2009, S. 4–11.
Religionssoziologen haben lange Zeit Begriffe wie »das sakralisierte Selbst« verwendet, um auf die Heiligung des Selbst in vielen aktuellen Verfahren wie etwa Therapie, Coaching und New Age zu verweisen. Vgl. z.B. Ole Jacob Madsen, Det er innover vi må gå (Nach innen müssen wir gehen), Universitetsforlaget, Oslo 2014, S. 101.
Dies war Hauptthema in Kirsten Marie Bovbjergs aufschlussreichen Studien über das Arbeitsleben, vgl. z.B. »Selvrealisering i arbejdslivet« (Selbstverwirklichung im Arbeitsleben), in: Svend Brinkmann/Cecilie Eriksen, Selvrealisering – kritiske diskussioner af en grenseløs udviklingskultur (Selbstverwirklichung – Kritische Diskussion über eine ausufernde Entwicklungskultur), Klim, Aarhus 2005.
Vgl. den Artikel in Berlingske Nyhedsmagasin, Nr. 31, Oktober 2007.
Vgl. Rasmus Willig, Kritikkens U-vending (Die Kehrtwende der Kritik), Hans Reitzels Forlag, Kopenhagen 2013.
Ich weiß, dass auch die Positive Psychologie empfiehlt, was im Englischen »random kindness« genannt wird, nämlich eine Art spontane und zufällige Wohltätigkeit. Die Motivation für den Spender besteht hierbei jedoch darin, ein gutes inneres Gefühl zu bekommen. Ich hingegen möchte den Wert der guten Handlung an sich geltend machen – ungeachtet der emotionalen Konsequenzen für den Spender. Man soll Gutes tun, weil es gut ist, und nicht nur, weil dadurch ein gutes Gefühl entsteht (wobei natürlich nichts dagegenspricht, wenn eine gute Tat auch von einem guten Gefühl begleitet wird).
Vgl. Charles Taylor, The Ethics of Authenticity, Harvard University Press, Cambridge 1991.
Ich muss hier ergänzen, dass ich mit meiner Kritik nicht alle Biographien meine. Denn nicht alle sind linear erzählt oder inhaltlich trivial. Da ich selbst ein relativ eifriger Leser von (Auto-)Biographien bin, kann ich aber sagen, dass sie am besten funktionieren, wenn sie über die übliche Präsentationsform des Genres hinausreichen.
Vgl. Ole Jacob Madsen, Det er innover vi må gå: En kulturpsykologisk studie av selvhjælp (Nach innen müssen wir gehen: Eine kulturpsychologische Studie über Selbsthilfe), Universitetsforlaget, Oslo 2014.
Vgl. Thomas H. Nielsen, »En uendelig rekke af spejle – litteraturen og det menigsfulde liv« (Eine unendliche Reihe von Spiegeln – die Literatur und das sinnvolle Leben), in: Cecilie Eriksen (Hrsg.), Det meningsfulde liv (Das sinnvolle Leben), Aarhus Universitetsforlaget, Aarhus 2003.
Vgl. Kjærstads Artikel »Når virkeligheden skifter form« (Wenn die Wirklichkeit die Form verändert), in: Information, 30. November 2011.
Vgl. dazu »On the Genealogy of Ethics: An Overview of Work in Progress«, in: Paul Rabinow (Hrsg.), The Foucault Reader, Penguin, London 1984.
Die Lektüre von Houellebecq basiert auf einer früheren Analyse, die zu finden ist in meinem Buch Identitet: Udfordringer i forbrugersamfundet (Identität: Herausforderungen in der Konsumgesellschaft), Klim, Aarhus 2008.
Michel Houellebecq, Elementarteilchen, List, München 2001, S. 201.
Ebda., S. 14.
Ebda., S. 238.
Vgl. dazu meinen Artikel »Literature as qualitative inquiry: The novelist as researcher«, in: Qualitative Inquiry, 15/2009, S. 1376–1394.
Hubert Dreyfus/Sean Dorrance Kelly, Alles, was leuchtet. Wie große Literatur den Sinn des Lebens erklärt, Ullstein, Berlin 2014.
Vgl. Alain de Botton, Trost der Philosophie. Eine Gebrauchsanweisung, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2003.
Das übersetzte Zitat stammt aus Simon Critchleys Buch How to Stop Living and Start Worrying, Polity Press, Cambridge 2010, S. 118.
Vgl. z.B. Thomas Thaulov Raab/Peter Lund Madsen, En bog om hukommelsen (Ein Buch über die Erinnerung), FADL’s forlag, Kopenhagen 2013.
In Dänemark werden diese Perspektiven am besten von meiner Kollegin Prof. Lene Tanggaard vermittelt.
Paul Ricœur, Das Selbst als ein Anderer, Fink, Paderborn 2005.
Das übersetzte Zitat stammt aus seinem Buch Whose Justice? Which Rationality?, University of Notre Dame Press, 1988, S. 12.
Seneca, Von der Kürze des Lebens, aus: Ausgewählte Schriften des Philosophen Lucius Annäus Seneca. (Langenscheidtsche Bibliothek sämtlicher griechischen und römischen Klassiker in … Musterübersetzungen; 105, 2), Hoffmann, Stuttgart 1867, S. 216 f.
Ich habe in diesem Buch wiederholt die Formulierung »seine Pflicht tun« verwendet, dabei aber offengelassen, was diese Pflicht beinhaltet. Meiner Ansicht nach ist Pflicht stets konkret und nicht abstrakt definiert. Menschen haben Pflichten aufgrund ihrer konkreten Beziehungen zu anderen Menschen. Man ist seiner Mutter, seinem Vater, seinem Chef, seinem Angestellten, seinem Lehrer, seinem Schüler etc. verpflichtet. In seinem Buch Die ethische Forderung, Laupp, Tübingen 1959, hebt K.E. Løgstrup hervor, dass man die Macht, die man unumgänglicherweise über andere hat, zu ihrem Besten und nicht zu seinem eigenen Besten ausüben soll. Der Begriff »ethische Forderung« ist eng mit dem Pflichtbegriff in diesem Buch verwandt und gleichermaßen offen wie konkret.
Der m.E. interessanteste Philosoph des Pragmatismus ist John Dewey, über den ich auch Artikel und Bücher geschrieben habe, z.B. (auf Dänisch) John Dewey – en introduktion (John Dewey – eine Einführung), Hans Reitzels Forlag, Kopenhagen 2006.
Dies ist ein Hauptthema in Alasdair MacIntyres Buch Die Anerkennung der Abhängigkeit. Über menschliche Tugenden, Rotbuch, Hamburg 2001, in dem er unsere Existenz als verletzbares, animalisches Wesen für die Entwicklung einer Ethik der Tugend ins Zentrum stellt.
Mein philosophiehistorischer Abriss basiert in erster Line auf Irvines A Guide to the Good Life – The Ancient Art of Stoic Joy, Oxford University Press, Oxford 2009.
Dieser Kontext wird besonders gut geschildert in Charles Taylors Quellen des Selbst. Die Entstehung der neuzeitlichen Identität, Suhrkamp, Frankfurt am Main 1996.
Vgl. William B. Irvine, A Guide to the Good Life – The Ancient Art of Stoic Joy, Oxford University Press, Oxford 2009.
Am laufenden Band erscheinen zahlreiche Bücher über Selbstentfaltung, Selbstoptimierung und Selbstverwirklichung. Tausende sogenannter Selbsthilfebücher werden jedes Jahr über die Verkaufstresen der Buchhändler gereicht, und auch in Arbeits- und Ausbildungszusammenhängen ist die Philosophie der Selbstentwicklung allgegenwärtig. [1] Unser Leben ist von permanenten Umstellungen und Veränderungen geprägt, wobei Heerscharen von Coaches, Therapeuten und Lifestyle-Beratern bemüht sind, uns den rechten Weg zu weisen. Dieses Buch versucht, eine Gegenposition – und Alternative – zu dieser Kultur der Selbstoptimierung zu formulieren. Anders ausgedrückt, geht es dabei nicht darum, wie man sich weiterentwickelt, sondern darum, wie man standhaft bleibt. Das Buch handelt nicht davon, wie man sich selbst findet, sondern davon, wie man sich mit sich selbst abfindet. Es empfiehlt in erster Linie kein positives Denken, sondern negatives Denken. Und es leitet seine Thesen nicht von modernen, populären Philosophien wie etwa Die 7 Wege zur Effektivität, spirituellen Lehren oder der Theorie U ab, sondern von der nüchternen (aber niemals langweiligen) Philosophie des Stoizismus, die im antiken Rom sowohl von einem Sklaven (Epiktet) als auch von einem Kaiser (Marcus Aurelius) in Worte gefasst wurde. Die Idee mag vielleicht im ersten Moment seltsam erscheinen, aber ich verspreche: Sie ergibt Sinn.
Heutzutage erleben viele von uns, dass alles immer schneller und schneller geht. Die Geschwindigkeit des Lebens scheint ständig zuzunehmen. Mehr oder weniger kontinuierlich müssen wir uns mit neuen Technologien, permanenten Umstrukturierungen und ständig wechselnden Trends bei Themen wie Ernährung, Mode oder Lifestyle auseinandersetzen. Hat man sich erst vor kurzem ein Smartphone zugelegt, vergeht nicht viel Zeit, bis es gegen ein anderes Modell ausgetauscht werden muss, das mit den neuesten Apps kompatibel ist. Kaum hat man sich am Arbeitsplatz an das aktuelle IT-System gewöhnt, wird eine neue Version eingeführt, und sobald man es geschafft hat, die lästigen Kollegen zu akzeptieren, werden organisatorische Veränderungen vorgenommen, und man muss in einem neuen Team arbeiten und mit neuen Menschen zurechtkommen. Wir leben in lernenden Organisationen, in denen konstante Veränderung das einzig Stabile ist und Sicherheit allenfalls darin besteht, dass das, was wir gestern gelernt haben, schon morgen wieder veraltet ist. Lebenslanges Lernen und permanente Erweiterung eigener Kompetenzen sind somit zu Schlüsselbegriffen geworden, um die Ausbildungssysteme, Firmen und Organisationen kreisen.
Einige Sozialwissenschaftler beschreiben unsere Gegenwart als »Flüchtige Moderne« [2], in der alles ständiger Veränderung unterliegt. Nicht zuletzt wird Zeit als flüchtig wahrgenommen. Man könnte auch sagen, wir erleben, dass alles – wir eingeschlossen – dahintreibt, dass alle Grenzen aufgehoben sind. Warum das so ist, vermag niemand zu sagen. Ebenso wenig lässt sich beantworten, wohin wir getrieben werden. Allerdings wird häufig behauptet, die Globalisierung – oder eigentlich »die mit der Globalisierung einhergehende Bedrohung« – sei dafür verantwortlich, dass wir uns auf permanente Veränderung einstellen müssten. Unternehmen seien gezwungen, sich den ständig verändernden Wünschen und Anforderungen des Marktes anzupassen, weswegen die Angestellten flexibel und anpassungsfähig sein sollen. Seit etwa zwei Jahrzehnten lautet daher die reichlich abgedroschene Phrase in Stellenanzeigen: »Gesucht wird ein/-e Mitarbeiter/-in, der/die flexibel und veränderungsbereit ist und Offenheit gegenüber fachlicher und persönlicher Weiterentwicklung mitbringt.« Das Schlimmste, was man also tun kann, ist stillzustehen. Denn wenn man stillsteht, während alle anderen sich vorwärtsbewegen, fällt man zurück. Stehenbleiben, wo man sich befindet, ist heutzutage gleichbedeutend mit Rückwärtsgewandtheit.
In dieser flüchtigen Moderne, die auch unter Bezeichnungen wie flexibler Kapitalismus, Post-Fordismus oder Konsumgesellschaft bekannt ist, muss das Individuum in erster Linie am Ball bleiben. [3] Doch in einer Kultur, in der die Geschwindigkeit aller Dinge konstant zunimmt, wird es immer schwieriger, dieser Anforderung gerecht zu werden. Das Tempo, mit dem wir uns durch das Leben bewegen und in dem wir Dinge tun (den Arbeitsplatz wechseln, eine Aufgabe lösen, Essen zubereiten usw.), hat sich im Laufe der letzten Jahre ständig erhöht. Als Beispiel sei hier angemerkt, dass wir mittlerweile durchschnittlich eine halbe Stunde weniger schlafen als noch Ende der 1970er Jahre und sogar bis zu zwei Stunden weniger als am Ende des 19. Jahrhunderts. [4] Fast alle Aspekte unseres Daseins sind von einer Erhöhung der Geschwindigkeit betroffen, und nicht von ungefähr sprechen wir von Fastfood, Speed-Dating, Powernaps oder Kurztherapie. Erst neulich habe ich eine App (namens Spitz) ausprobiert, mit Hilfe derer sich durch die clevere Darstellung eines einzelnen Wortes unsere Lesegeschwindigkeit von circa 250 Wörtern pro Minute auf 500 bis 600 Wörter erhöhen lässt. Plötzlich kann man einen Roman in zwei Stunden lesen! Aber führt diese quantitative Erhöhung der Geschwindigkeit tatsächlich zu einem qualitativ besseren Verständnis von Literatur? Wieso ist Geschwindigkeit zu einem Ziel an sich geworden?
Kritiker dieser immer weiter um sich greifenden Entwicklung verweisen darauf, dass die Geschwindigkeitszunahme zu einer allgemeinen Entfremdung von unseren Erlebnissen sowie einem Gefühl permanenter Zeitknappheit führt. Die technologischen Innovationen sollten uns eigentlich mehr Zeit verschaffen – so dass wir Fußball mit unseren Kindern spielen, einen Keramikkurs besuchen oder mit unseren Freunden über Politik diskutieren können. Tatsächlich geschieht jedoch das Gegenteil, wenn wir die freigeschaufelte Zeit (etwa, wenn wir Fließbänder zum Einsatz kommen lassen oder indem Routineaufgaben neuen Technologien überlassen oder in die Dritte Welt outgesourct werden) in immer mehr Projekte einfließen lassen, mit denen wir unsere ohnehin schon überbuchten Terminkalender füllen. In einer säkularisierten Gesellschaft können wir nicht mehr auf einen ewigen paradiesischen Zustand im Jenseits hoffen, stattdessen versuchen wir, so viel wie möglich in unser immer noch relativ kurzes Leben hineinzustopfen. Sein Leben auf diese Weise anzureichern ist natürlich ein von Verzweiflung getriebenes Projekt, das zum Scheitern verurteilt bleibt. Somit liegt es geradezu auf der Hand, die massive Ausbreitung von Depressionen und Burn-out-Syndromen in unserer Zeit als eine Reaktion des Individuums auf die Unerträglichkeit der permanenten Beschleunigung zu deuten. Das sich verlangsamende Individuum, das eher einen Gang herunterschaltet – und vielleicht sogar völlig stillsteht –, erscheint in einer manisch anmutenden Optimierungskultur deplaziert und wird schnell als krank (depressiv) [5] betrachtet.
Sollte