Tacitus, De vita Iulii Agricolae, Kap. XII.
Cedric Horven, Chronica Minora, Band 2, zitiert in Flores Historiarum von Roger von Wendover (1236) und in Annals of Invasion AD 480–1265 von Matthew Paris (Elgin University Press, 1972).
Glenton University Press, New Jersey 1987.
William Auld, Edinburgh 1774.
Edward Black & Sons, Glasgow 1750.
A Tour in Scotland and Voyage to the Hebrides 1772 von Thomas Pennant, John Monk, 1774.
The Journal of a Tour in the Hebrides with Samuel Johnson, LLD von James Boswell, Malone, 1785.
›Valediction‹ nach John Donne, 1959. Nachdruck in Warld in a Gless: The Collected Varse of Grigor McWatt, Smeddum Beuks, 1992.
Nach dreißig Jahren gemäß Informationsfreiheitsgesetz von den UK National Archives 1971 veröffentlicht.
Virr Press, 1962.
Buirlie Books, 2003.
Großvater der Verfasserin.
Smeddum Beuks, 1994.
In: Kenspeckelt, Virr Press 1959. Nachdruck in Warld in a Gless: The Collected Varse of Grigor McWatt, Smeddum Beuks, 1992.
Gloomy Memories of the Highland of Scotland von Donald McLeod, Archibald Sinclair, Glasgow 1892.
Letterbook of Highland and Island Emigration Society, 30. Juni 1852, National Archives of Scotland.
In: Kowk in the Kaleyard, Virr Press, 1975. Nachdruck in Warld in a Gless. The Collected Varse of Grigor McWatt, Smeddum Beuks, 1992.
Éditions du Soie, 1872.
Le Spleen de Paris, 1869.
Regie von Victor Saville, mit Charles Coburn und Gladys Cooper in den Hauptrollen, 1946. Deutsch: Das Vermächtnis.
Auchwinnie Pibroch, 17. März 1951. Nachdruck in: Frae Mambeag Brae: Selected Columns and Essays of Grigor McWatt, Stavaigin Press, 1985.
Vgl. Anhang I.
Vgl. die Rezepte in Anhang I.
Grigor McWatt nach Frances Cornford, 1965. In: Kowk in the Kaleyard, Virr Press, 1975. Nachdruck in Warld in a Gless. The Collected Varse of Grigor McWatt, Smeddum Beuks, 1992.
Nachdruck in Frae Mambea Brae: Selected Columns and Essays of Grigor McWatt, Stravaigin Press, 1980
Die Korrespondenz findet sich in der Yale University Library.
»Gin We Hae Warld Eneuch« nach Andrew Marvell, 1968. In: Kowk in the Kaleyard, Virr Press, 1975. Nachdruck in Warld in a Gless. The Collected Varse of Grigor McWatt, Smeddum Beuks, 1992.
Grigor McWatt nach John Masefield, 1969. In: Kowk in the Kaleyard, Virr Press, 1975. Nachdruck in Warld in a Gless. The Collected Varse of Grigor McWatt, Smeddum Beuks, 1992.
Virr Press, 1975. Smeddum Beuks, 1992.
Nachdruck in Frae Mambeag Brae: Selected Columns and Essays of Grigor McWatt, Stravaigin Press, 1985.
Scotsman, 5. September 1975.
Glasgow Herald, 8. September 1975
Glasgow Herald, 10. September 1975.
Auchwinnie Pibroch, 13. September 1975. Nachdruck in Frae Mambeag Brae: Selected Columns and Essays of Grigor McWatt, Stravaigin Press, 1985.
Scotsman, 17. September 1975.
Auchwinnie Pibroch, 20. September 1975. Nachdruck in Frae Mambeag Brae: Selected Columns and Essays of Grigor McWatt, Stravaigin Press, 1985.
»It’s Square Go the Poetry Men«, Alastair Galbraith, Quill & Thistle, Oktober 1976.
Auchwinnie Pibroch, 16. September 1975. Nachdruck in Frae Mambeag Brae: Selected Columns and Essays of Grigor McWatt, Stravaigin Press, 1985.
Nachdruck in Wittins: Mair Selected Columns and Essays of Grigor McWatt, Stravaigin Press, 2011.
Grigor McWatt nach Dylan Thomas, 1988. In: Teuchter’s Chapbook, Smeddum Beuks, 1998.
Grigor McWatt nach Chidiock Tichborne, 1988. In: Teuchter’s Chapbook, Smeddum Beuks, 1998.
Thierry Malouf, Eigentümer von Severine Investments, erklärte später in einem Interview mit dem Herald, er sei über Fascaray falsch informiert gewesen. Mitten in der Auktion habe er erfahren, dass die Insel im unwirtlichen Norden und nicht im Mittelmeer liegt und dass dort in den milderen Monaten »kleine beißende Insekten, die Midges, in solchen Massen schwärmen, dass man Schutzkleidung braucht«. Daraufhin habe er sein Gebot zurückgezogen.
Für Ian
»Auf uns! Wer ist wie wir?
Sehr wenige, und sie sind alle tot.«
Schottischer Trinkspruch, überliefert
»Eine Sprache ist ein Dialekt mit einem Heer.«
Dem Sprachwissenschaftler Max Weinreich 1944 (fälschlich) zugeschrieben
Incomers
Nach der Heimat zieht mich mein Verlangen.
Hat ein Gott erneut mich auserkoren
Für Schiffbruch, mag es sein!
So viele Leiden hat mein Herz ertragen,
Auf See, im Kampf! Noch ist nichts verloren.
Grigor McWatt nach Homer, 1942
In: Kenspeckelt [Vertraut], Virr Press, 1959. Nachdruck in Warld in a Gless [Welt im Glas]: The Collected Varse of Grigor McWatt, Smeddum Beuks, 1992.
Der Anblick der Insel von Osten ist im Wesentlichen unverändert geblieben, seit die Wikinger im achten Jahrhundert die Clinch Straits in ihren Langschiffen überquerten, wobei sie Vergewaltigung und Plünderung im Schilde führten.
Der Besucher von heute reist mit der Fähre an und hat vielleicht eine kleine Wanderung im Sinn, ein paar Sehenswürdigkeiten oder einen Garnelenteller zu Live-Musik im Pub. Von fern sieht er dieselbe weite grüne Platte, mittig überragt von einem kegelförmigen Gipfel, der auch Sigtrygg Barelegs und seine Krieger grüßte, als sie übers Meer eilten, um die Insel und ihre Bewohner zu verwüsten.
Die niedrigen weißgetünchten Häuser des heutigen Fascaray gab es im Jahr 795 natürlich noch nicht, als die einheimischen Pikten, die in ihrer Sommersiedlung am Westufer von Lusnaharra hockten, von Wächtern auf dem Beinn Mammor alarmiert wurden, ein geschwungener Bug durchmesse zielstrebig die Wellen gen Finnverinnity Bay. Gleichzeitig sputeten sich oben in der Priorei auf dem Gezeiteneiland Calasay Mönche in Sandalen, Kelch, Hostienteller und Reliquienschrein vor dem Ansturm der Heiden zu verbergen.
Einen Großteil des Geländes dürften Kiefernwälder
bedeckt haben, gleich »majestätischen grünen Gewitterwolken, Kumulonimben, durchbohrt von himmelwärts gerichteten Speeren«, wie McWatt sie später beschreiben sollte. Der örtliche Bedarf an Brennmaterial war gering, und der Kahlschlag der heimischen Wälder durch die Holzindustrie lag noch über tausend Jahre in der Zukunft, wie auch die dunklen Regimenter von Sitka-Fichten, die im zwanzigsten Jahrhundert über Fascarays Berge in Marsch gesetzt wurden von modernen Plünderern – englischen Steuerberatern, die Schlupflöcher für ihre Mandanten ausnutzten.Doch diese Veränderungen mitsamt den einstöckigen Katen oder crofts und den Ställen, den Reihen von Fischerhütten, dem Großen Haus, der kirk (Kirche), der Pfarrei, dem rudimentären howff (Gasthof), der Erneuerung von Finnverinnitys Schiffsanleger und dem schmalen Granitbau des Temperance Hotel, im zwanzigsten Jahrhundert dann zusätzlich Krämerladen und Postamt, Grundschule, Andenkenladen, Teestube und Museum sowie die architektonischen Extravaganzen des Balnasaig Centre im Nordosten, haben Fascaray nicht mehr geformt und geprägt als die Sprühnebel, die auf seine sturmgepeitschten Ufer geblasen wurden.
Die Insel, Teil des Fascaredes-Archipels, ist Überbleibsel eines erloschenen Vulkanrings des Neoproterozoikums, der aus einem vierzig Meter starken Plateau auf dem Meeresgrund zum achthundertvierundsiebzig Meter hohen Gipfel des Beinn Mammor emporragt und Granit, Gneis, Pyrit und Gabbro, ein magmatisches Moine-Gestein, einfasst – »eine Granitballade« laut McWatt; sie ist seit mehr als achttausend Jahren bewohnt.
Fascarays vielfältige geologische Merkmale, seine Lochs und Berge, Hochland und Tiefland, Torfmoor und Wälder, seine Strände mit blondem Machair-Gras und elfenbeinfarbenem Sand, verstreuten Muscheln und Findlingen, seine steilen Klippen und tiefen Höhlen, alles auf das Terrain eines Inselchens gepfercht, das man an einem einzigen Sommertag zu Fuß umrunden kann, haben Fascaray in jüngerer Zeit den Spitznamen »Miniatur-Schottland« eingetragen.
Fascarays Schauplätze aus der Vorzeit – der Ring von Drumnish, ein gezackter Steinkreis westlich von Balnasaig; die Trümmer des Forts Wallburg Mammor; Killiebraes Broch, der die nördliche Seepassage zu den Doonmara-Klippen bewacht; die Kökkenmöddinger aus der mittleren Steinzeit, die auf 6700 Jahre v. Chr. zurückgehen, gefunden in den Höhlen von Slochd und Clochd; die Ruinen des jungsteinzeitlichen Dorfs über Lusnaharra, freigelegt nach einem Sturm im Jahr 1902; die Ruinen des Klosters St Maolrubha auf Calasay; die Grabkammer von Heuchaw Cairn und die dachlosen, geräumten clachan, Dörfer, die über die Insel verstreut liegen – erzählen ihre eigenen Geschichten.
Von Tacitus stammte der erste Bericht über die Inselgruppe. Tacitus schilderte, wie die Flotte im Jahr 80 v. Chr. gen Norden entsandt wurde, und zwar von seinem Schwiegervater Agricola, der als kürzlich ernannter römischer Statthalter Britanniens die Grenzen seines neuen Territoriums zu kartieren wünschte. Sie muss im Monat Junius gesegelt sein, den wir jetzt als Juni kennen, denn Tacitus schildert das endlose Licht des Hochsommers auf den nördlichsten insulae des Reichs.
»Die Länge ihrer Tage ist jenseits des Maßes unserer 1
Welt: Die Nacht ist klar, und […] so kurz, dass man kaum das Zwielicht von der Dämmerung unterscheiden kann. Doch sofern die Wolken nicht stören, sagt man, sei die Helligkeit der Sonne die ganze Nacht zu sehen. Sie gehe weder auf noch unter, sondern ziehe über den Himmel.«Wäre die Flotte im Dezember gesegelt – einer Zeit tiefster Finsternis, die sich in einer scheinbar endlosen Nacht einen kurzen grauen Lichtstrahl wie »das Zuschlagen einer Kerkertür gönnt«, schrieb McWatt später –, wäre das eine andere Geschichte gewesen. Tacitus bemerkte die Fruchtbarkeit des Bodens, einen Himmel, »verschmutzt vom häufigen Regen«, und das weite Reich der See: »Nicht nur gegen das Ufer steigt oder fällt [der Regen], sondern er fließt tief hinein, schlängelt und bohrt sich zwischen Hügel und Berge, als wäre er ganz zu Hause.«
Die Pikten von Fascaray und ihre jung- und mittelsteinzeitlichen Vorgänger hinterließen kein schriftliches Zeugnis von ihrer Zeit auf der Insel. Im achten Jahrhundert waren die friedliebenden und des Lesens und Schreibens kundigen mönchischen Jünger des heiligen Maolrubha (sprich Mail-ruva, manchmal latinisiert als Rufus) auf Calasay eher daran interessiert, über die Meditationen ihres Ordensgründers nachzusinnen sowie über sein Märtyrertum in den Fängen der Heiden im Jahr 624 als am Aufzeichnen zeitlicher Dinge. Die erste Beschreibung von Fascaray (vom gälischen foisneach, freundlich, friedlich – und dem norwegischen ey – Insel) blieb marodierenden Normannen vorbehalten.
795, eingewickelt in eine Glückshaube des seinerzeit so geschätzten bombastischen Supranaturalismus. Dies war jungfräuliches, fruchtbares Land – en groenn ey av fridr og blidr –, und wenn es ein, zwei unberührte Maiden beherbergte – moer – und einen kahlgeschorenen pazifistischen munkr in Sackleinen, der über einem Schatz bibberte, umso besser. Die Invasoren, Männer mit Appetit, hätten sich eventuell kurz vom Finnverinnity Inn ablenken lassen, so es denn dort gestanden hätte, doch sie brauchten keine Schenke; sie brachten ihre eigenen Vorräte mit, mangat – in Ledersäcke eingenäht –, ein dunkles Ale, aus Heide gebraut, das sie in ihrem Vorsatz bestärkte und ihrem Vorhaben ein gewisses mörderisches Extra verlieh.
In der Fascaringa Saga findet man einen nahezu zeitgenössischen Bericht von der Wikingerexpedition im JahrDie Fascaringa Saga, zusammengestellt von unbekannten Schreibern in den Jahren 800 bis 820, ist eine unablässige Bestandsaufnahme von Wollust, Gier, beiläufiger Brutalität, Zauberei und Machtkämpfen unter Wikingergöttern im rachsüchtigen Spiel. Sie skizziert beiläufig die Topographie der Insel, ihre Berge, Wasserwege und frühen Siedlungen, und dies so exakt wie ein beliebiger Wanderführer des einundzwanzigsten Jahrhunderts, schweigt sich dagegen über die genaue Natur der Umtriebe der sterblichen Krieger auf Fascaray aus, die unter der Führung des berüchtigten Sigtrygg Barelegs standen, von dem geschrieben steht: »Keine Klinge konnte ihm etwas anhaben, keine Stärke, die nicht nachgab, keine Dicke, die vor ihm nicht dünn wurde.«
Ein besserer Führer zur historischen Wahrheit war der Benediktinermönch Cedric Horven, ein glücklicher
Überlebender von Sigtryggs Massaker im dalriadischen Festlandkloster von Achadh an Uinnseann (Feld der Esche), jetzt Auchwinnie. Cedric tauchte aus seinem Versteck auf, um von dem Vormarsch der Invasoren über das westgälische Königreich zu berichten, und schilderte weitere Vorkommnisse in Auchwinnies Nachbarkloster St Dorcas.Als die Äbtissin Ulla die Nachricht von den vorrückenden Wikingern vernahm, versammelte sie um Mitternacht ihre Gemeinschaft und erzählte von der heidnischen Schändung heiliger Orte, dem Hinschlachten von Männern und Knaben und dass Frauen – Matronen, Mädchen und Nonnen – zu Schamlosigkeit gezwungen würden. Sie appellierte an die göttliche Gnade, sie von dem »Zorn der Barbaren zu erlösen und die Heiligkeit ewiger Jungfräulichkeit zu bewahren«, und nötigte ihrer Gemeinde das Versprechen ab, ihrem Befehl in allem zu gehorchen und ein Beispiel an Keuschheit zu geben, »nicht nur zu eigenem Nutz und Frommen, vielmehr sollten auf ewig alle Jungfrauen diesem folgen.«2
Die Äbtissin Ulla ergriff sodann »ein scharfes Messer und schnitt sich die Nase und Oberlippe bis hinunter zu den Zähnen ab. Die Schwestern waren Augenzeuginnen dieses entsetzlichen Anblicks, sahen, dass ihr Tun in bewundernswerter Weise dem erwünschten Zweck diente, und reichten das Messer von einer zur anderen, wobei jede den gleichen Akt an sich selbst vollzog.«
In der Dämmerung kamen die Räuber, nachdem sie ein anderes nahe gelegenes Kloster mit Kapelle geplündert und die Mönche abgeschlachtet hatten, über das Kloster hernieder, um die heiligen Frauen zur Liederlichkeit zu zwingen. Der entsetzliche Anblick, der sie empfing – die verstümmelten Antlitze der Jungfrauen, ihre Hände voller Blut, die Gewänder befleckt und blutverkrustet –, verscheuchte für den Augenblick jegliche lüsternen Anwandlungen. Sigtrygg und seine Mannen stoben entsetzt davon, doch trotz aller Eile nahmen sie sich die Zeit, das Kloster anzuzünden und dafür zu sorgen, dass die schrecklich entstellten Nonnen nicht entkommen und die Augen anderer Wikinger beleidigen konnten. Die Mutter Oberin und ihre Gemeinschaft, ihre Ehre unberührt, starben in den Flammen und stiegen auf gen Himmel, laut Cedric, im vollen Glanz und Gloria des Märtyrertums.
Die verbrannte, blutgetränkte Erde von Auchwinnie hinter sich lassend, setzten Sigtryggs Marodeure vom Festland aus die Segel, umrundeten hohe östliche Klippen und eilten den riesigen, von Vögeln umringten Felsen von Plodda und Grodda entgegen – unbewohnte Inseln, die einen Guano-durchsetzten Felsenkorridor bildeten, an dessen Ende Fascaray, ein helles Hügelchen aus Grün mit einem pyramidischen Gipfel in der Mitte, aus dem dunklen Meer emporstieg, »ein Smaragd, der an einem sternlosen Nachthimmel funkelt«, wie McWatt es formulierte.
Wären diese Plünderer wie ihre Götter in der Lage gewesen zu fliegen, sie hätten auf eine kleine Insel herabgeschaut, die drei mal acht Meilen umspannt: zwei überlappende Ovale, breit geformt wie eine Gewandspange, eine
brosje – die schlichtere Gemüter oder jene mit geringen Altnordisch-Kenntnissen vielleicht als zwei brosjts oder Frauenbrüste bezeichnet hätten –, die Küstenlinie markiert von steilen Klippen im Nordwesten, weißen Sandbuchten, gesäumt von hohem Machair-Gras, im Südwesten und Nordosten und einer breiten Hafenbucht im Süden, umrandet von einem Kieselstrand.Herabschwebend auf den östlichen Fuß des Beinn-Mammor-Bergs, der sich aus dem grünen Herzen der Insel erhebt, hätten Thor und Freyja ihre Spiegelbilder zu ihnen aufschauen sehen aus dem weiten schwarzen Spiegel von Loch Och. Auf der westlichen Flanke von Mammors langem Kamm hätte sich der kleine Dubh Lochan als zusätzlicher Handspiegel für eitlere Götter dargeboten. Über den Osten der Insel strömt wie eine breite silberne Schärpe von Kap Ruh im Norden bis Finnverinnity im Süden der schnellfließende Lingel. Die Allgegenwart von Wasser – glitzernd durch aufgeweichte Torfmoorschwaden, glänzend und blitzend in den Fascarayer Glens, die im Donnerkeil-Zickzack bergab fließen – erweckt den Eindruck, dass an diesem meerumschlungenen Ort die Insel und nicht der Himmel über ihr die Quelle des Lichts wäre.
Eine halbe Meile vor Ruh hätten die fliegenden Götter einen kleinen grünen Hügel entdeckt, geformt wie der diakritische sirkel des altnordischen Alphabets. Dies ist die Gezeiten-Insel Calasay. Wenn Fascaray Schottland im Kleinformat ist, dann ist Calasay – mit seinem kleinen Loch Aye, seinem unscheinbaren Berg Mambeag, laut McWatt »ein schüchterner Hang, der das Knie vor dem Prahlhans Mammor beugt«, seinen murmelnden Bächen und
rieselnden Wasserfällen, seinen kompakten nördlichen Klippen und seinem gebogenen Mikrostreifen von Machair-Küste, ein schmaler Fingernagelrand wie das Neulicht des zunehmenden Mondes am Strand von Lusnaharra – ein Fascaray im Taschenformat, ein schwaches, aber getreues Echo seines größeren Nachbarn, mit dem es verbunden war und bleibt durch einen Sandstreifen, der zweimal am Tag zu Fuß passierbar ist.Rund zwölf Jahrhunderte nach Sigtryggs Raubzug, im Jahr 1942, erblickte Grigor McWatt Fascaray zum ersten Mal. In Umkehrung der Wikingererfahrung, schrieb McWatt, eroberte die Insel ihn. Er befand sich auf einem gecharterten Fischerboot, das Elitetruppen zu einem Kommando-Ausbildungslager im requirierten Finnverinnity House beförderte. Vielleicht war dies sein erster Anblick der Insel, mit der sein Name als »Barde von Fascaray« untrennbar verbunden werden sollte wie Wordsworth mit den Seen, Clare mit den Mooren und Crabbe mit Suffolk, doch wie McWatt bekanntlich sagte, war es auch eine Heimkehr – oder um genau zu sein, »a hamecomin« – auf die Insel seiner Ahnen, die historische Schanze (eingenommen nach dem heimlichen Abzug der Wikinger, die endlich satt waren, an Beute und Katzenjammer) der Fascarayer McWatts (Gälisch: MacBhàidh), ein Zweig des edlen Clans McCawker oder MacCaulker (Gälisch: MacCuilcheachdh), deren Motto »Autem videtis me« – »Jetzt seht ihr mich« – lautet.
Eine Granitballade. Annäherungen an Grigor McWatt,
Mhairi McPhail (Thackeray College Press, 2016)
Ich muss wieder aufs Meer zurück, nichts als den Himmel im Blick.
Ein Segelboot hätte ich dafür gern und zum Steuern einen Stern;
Zurück ans Ruder, zum singenden Wind und flatternden weißen Segeln
Und grauen Nebeln im Morgenrot, die aus dem Meer sich heben.
Ich muss wieder aufs Meer zurück, dem Ruf der Flut gehorchend,
Dem stürmischen, dem lebhaften Ruf, dem ich unbedingt folgen muss.
Dazu brauche ich einen Tag voller Wind und treibende weiße Wolken,
Sprühende Gischt in meinem Gesicht und über mir kreischende Möwen.
Ich muss wieder aufs Meer zurück in messerscharfen Winden
So wie die Möwen und Wale auch ein unstetes Leben finden.
Ein Reisegefährte bringt mich dann mit einem Schwank zum Lachen.
Ich schlafe ruhig und träume süß nach dem Ende der langen Wachen.
Grigor McWatt nach John Masefield, 1944
In: Kenspeckelt, Virr Press, 1959. Nachdruck in Warld in a Gless: The Collected Varse of Grigor McWatt, Smeddum Beuks, 1992.
Mein erster Eindruck von der Insel ist nicht verheißungsvoll. Während der Überfahrt vom Festlandhafen Auchwinnie kann ich Fascaray kaum ausmachen. »Schau mal!«, sage ich mit gespielter Munterkeit und deute durch die Regenschlieren am Bullauge auf einen fernen grauen Streifen, der wild auf der aufgewühlten See schaukelt, vermutlich das Ufer. »Land ahoi!«
Meine neunjährige reiseerprobte Tochter Agnes, der im Auto noch nie übel geworden ist, wählt just diesen Augenblick, um zu beweisen, dass sie nicht seefest ist. Wir kauern im Passagierraum, und ich streiche Agnes übers Haar, während sie sich in eine Papiertüte erbricht, bereitgestellt vom Kapitän. Es ist quasi unsere Parodie des kunstgeschichtlichen Klischees: Madonna mit Kind in nassen Anoraks und Spucktüte. Dafür haben wir New York verlassen, das unter wolkenlosem Himmel in der Hitze flimmerte.
Es regnet immer noch heftig, als das Schiff endlich in den Hafen von Finnverinnity einläuft und wir uns in die Schlange der Fahrgäste zum Aussteigen einreihen. Plötzlich durchzuckt mich heiße Panik, als ich unser Gepäck nicht mehr sehe. Es steht nicht in der Ecke des Decks, wo ich es sorgfältig verstaut hatte, halb versteckt unter einer Plane mit anderen Koffern und Rucksäcken, neben einem
Postsack, Säcken mit Getreide, Lebensmittelkisten und Motorölkanistern. Jetzt wird mir übel. Ich hab’s doch gewusst, ich hätte die Sachen in unserer Nähe behalten sollen. Als wir an Bord kamen, war an unserer Holzbank im Passagierraum kein Platz. Wenigstens einen Teil davon hätten wir bei uns behalten können, statt wie die anderen Fahrgäste unsere Sachen am Heck aufzustapeln. Unser Gepäck ist weg. Verschwunden.Das ist eine ernste Angelegenheit. Nicht nur all unsere handverlesenen Siebensachen (die Vorauswahl und das Auswahlverfahren waren insbesondere für Agnes schmerzhaft), auch mein Laptop, lektorierte Ausdrucke von Kapitelentwürfen meines neuen Buchs – nicht alle davon gemailt oder auf dem Memorystick in meiner Handtasche gespeichert –, Kopien der wertvollen Briefe, Fotos, Dokumente und siebzigtausend Wörter des Fascaray-Kompendiums, die ich im Verlauf von mehr als zwei Monaten abgetippt, ausgedruckt und mit eigenen unersetzlichen Bleistiftanmerkungen versehen habe.
Ich höre förmlich, wie Marcos Stimme aus zweitausendsechshundert Meilen Entfernung den Lärm des Schiffs übertönt: »Warum zum Teufel hast du nicht mit ›Änderungen nachverfolgen‹ gearbeitet? Wenigstens wäre dann deine ganze Arbeit auf einem Stick gespeichert?« – »Weil ich«, murmle ich, typisch verschrobene Amerikanerin, »gern mit Papier und Bleistift arbeite, verdammt noch mal!« Agnes, die sich für das öffentliche Auftreten ihrer Eltern neuerdings fremdschämt, ist das wohl entgangen, auch meinen Mitreisenden, bis jetzt nette junge Familien, flachsende Bauarbeiter, ein Pulk von Jugendlichen, die sich von einer
anstrengenden Nacht auf dem Festland erholen, und Wanderer in primärfarbener Regenkleidung, die über die Aussicht die Stirn runzeln. Plötzlich sind sie alle neu besetzt – als Schurken!Gefühlt ist das Verschwinden unseres Gepäcks ein Verbrechen und schlimmer als bloßer Diebstahl – es ist ein existentieller Angriff, die Vergeltung eines Rachegottes dafür, dass ich unser Leben in New York mutwillig ausgelöscht habe. Du willst dein Leben ruinieren? Da – bitte sehr!
In Gedanken mache ich eine Checkliste der Sachen, die in meiner Reisetasche sein müssten – Pässe, Häkchen; Kreditkarten, Häkchen; Bargeld, Häkchen; Handys, Häkchen; iPad, Häkchen. Nein! Das iPad habe ich in meinen schwarzen Koffer geschoben, bevor wir auf die Fähre kamen – da! Ich sehe Agnes’ lila Koffer: für diese Reise gekauft nach stundenlangem Hin und Her mit ihrem Vater bei Bloomingdale’s. Jemand ziemlich weit vorn in der Schlange, einer von den liebenswürdig lustigen Bauarbeitern, hält ihn, und ich gehe erzürnt auf ihn zu.
In New York – ja, da erwarten wir so etwas, wir rechnen ständig mit Gelegenheitsdieben, ob sie aus Not oder aus Habsucht handeln. Wenn so viele Habewasse in enger Nachbarschaft mit so vielen Habenichtsen existieren, erwischt es diejenigen Habewasse, die abgesichert und versichert sind. Darum sind wir vorsichtig. Es gehört nun mal zum Leben in einer so dicht bevölkerten Stadt. Aber hier? So viel zur »freundlichen Insel«. Wie tief kann man sinken? Einen Kinderkoffer zu stehlen!
Mein Weg ist versperrt, und ich will schreien (haben die hier Polizei?), während der Koffer und der breite Rücken
des Diebs in der Ferne kleiner werden, als ich hochblicke und eine Gruppe von Inselbewohnern in glänzender Regenkleidung auf dem Dock über uns stehen sehe. Jugendliche lungern an der Kaimauer herum, während ein grinsendes altes Paar auf das Boot herabschaut und mit einem Schirm einer rothaarigen jungen Frau vor mir zuwinkt. Wie in einer Choreographie treten die Teenager jetzt zu den anderen Insulanern und bilden eine Kette mit dem Kapitän der Fähre, dem Ersten Offizier und den Fahrgästen am Kopf der Schlange, die beginnen, die Stufen des Landungsstegs hochzuklettern auf das, was fälschlich fester Boden heißt. Sie reichen die gesamte Schiffsladung weiter, den Postsack, die Getreidesäcke, Lebensmittelkisten, Motorölkanister und das ganze Gepäck, unser Gepäck, Agnes’ Koffer, meinen, die Dokumentenbox, die Treppe hoch und das Dock entlang bis zur Kaimauer, wo sie es sanft zu einem ordentlichen Haufen stapeln.Die Inselbewohner zerstreuen sich, und Agnes und ich sind allein. Der Regen ist stärker geworden – es ist wie unter der Hochdruckdusche in meinem Fitnessstudio in Cobble Hill. Meinem ehemaligen Fitnessstudio. Agnes setzt ihre Kapuze auf und besteht tapfer darauf, ihren eigenen Koffer zu manövrieren, der Rollen und einen langen Griff hat. »Oma-Koffer« nennt sie ihn beifällig. Meine eigenen zwei Koffer, auch auf Rädern, sind größer, und darauf balanciere ich die wasserdicht versiegelte Dokumentenbox, die meine Kopien des rudimentären Archivs enthält, das kostbarer ist als alle unsere Habseligkeiten.
Immer noch beschämt wegen meiner großstädtischen Misanthropie, betrachte ich die Aussicht – die lange Reihe
niedriger weißgetünchter Crofts, die sich wie eine Kurve um die Bucht legt, die dunklen Berge, deren Gipfel in Wolken verborgen liegen – und bin bestürzt. Dies soll zwei Jahre lang unser Zuhause sein. Dafür haben wir unser komfortables mietpreisgebundenes Apartment in Brooklyn aufgegeben. Agnes’ Platz in einer freundlichen staatlichen Grundschule mit ausgezeichnetem Matheunterricht, unsere Freunde, die Läden und Cafés, Konzerte und Kinos, die Nähe zu Flughäfen, Eisenbahnen, anderen Städten, anderen Leben? Den Vater meiner Tochter? Meine Beziehung?Agnes dagegen ist putzmunter. Sie hat den Krämerladen entdeckt, der sich von den anderen weißgetünchten Gebäuden durch den roten Briefkasten am Eingang und eine verblasste Eisreklame im Schaufenster unterscheidet.
»Eis!«, sagt sie, sofort gutgelaunt.
Wir gehen hinein, und ich stelle mich einem zurückhaltenden jungen Asiaten an der Kasse vor. Er schickt mich zum Postschalter in der Ecke, wo eine Frau, blass, im mittleren Alter und mit ernster Miene, kurz von einem Stapel Pakete aufschaut und fragt: »Sind Sie Mhairi McPhail?« Als ob eine andere Amerikanerin mit einem neunjährigen Kind ihr Leben aufgeben, die weite Reise und die Strapazen mitsamt dem schlechten Wetter auf sich nähme, nur um sich selbst als mich auszugeben. Wenigstens spricht die Postmeisterin meinen Namen richtig aus: Mhairi wie Harry, nicht Myri oder Mary oder Marie. Nicht mal, wie manche gälischen Puristen beharren, Varry oder irgendeine der anderen komischen Varianten, die mich als missmutiger Teenager eine Namensänderung in Jane in Erwägung ziehen ließen.
19. Ich lasse Agnes ein Eis aussuchen – ein Erdbeerhörnchen mit bunten Zuckerstreuseln. Armes Kind. Was habe ich ihr nur eingebrockt?
Sie kramt in einer Schublade, händigt mir den Schlüssel aus und deutet auf das Cottage, das wir gemietet haben, NummerUnser neues Zuhause liegt vier Türen vom Finnverinnity Inn entfernt, das schon jetzt, vormittags um halb elf, rappelvoll ist. Ein paar Männer – scharlachrote Wangen, blumige Nasen, Sepiazähne – bahnen sich einen Weg nach draußen mit ihren Drinks, um zu rauchen, zu quatschen und aufs Meer zu starren. Sie schauen uns an, als wir vorbeigehen, ihre Köpfe drehen sich synchron wie in einer Revue, um unseren Fortschritt zu verfolgen und unser Ziel zu erraten. Im Pub keucht zögerlich ein Akkordeon zu vereinzeltem Gesang. Ich hoffe, der Lärm schallt nicht weit. Mein Schlüssel klemmt im Schloss, und als es mir gelingt, die Tür aufzustoßen, schlägt mir ein Mief entgegen, dass ich fast umfalle. Agnes dreht sich zu den Rauchern um und winkt. Einer von ihnen winkt etwas unsicher zurück.
Der Lichtschalter funktioniert nicht, und draußen ist der Sturm schlimmer geworden, es ist dunkel wie im tiefen Winter. Überall sonst im Vereinigten Königreich und in Europa ist Sommer, die Jahreszeit der Wärme und beschwingten Lässigkeit. Zu Hause in New York ist es die Zeit der brüllenden Hitze – Krawallwetter hat Marco es immer genannt –, wenn die Stadt sich leert und denen von uns überlassen bleibt, die sich tatsächlich für die chaleur erwärmen können oder zu arm sind, um in die Hamptons zu fahren. Es ist meine liebste Jahreszeit in Brooklyn. Wer auch nur einen Teil seines Lebens in Schottland verbracht
hat, wird wolkenlosen Himmel und anhaltenden Sonnenschein niemals für selbstverständlich halten. Und ich habe meine Tochter hierhergebracht, an diesen Ort, dunkel wie ein U-Bahn-Tunnel, kalt wie Alaska (im August!). Was bin ich nur für eine Mutter?Ich taste mich zu einem Tischchen, stolpere über einen großen Pappkarton – unsere Lebensmittel, im Voraus bestellt, geliefert per Boot vom Supermarkt auf dem Festland und vermutlich hierher verfrachtet durch eine altruistische Menschenkette – und knipse eine Lampe an. Das Zimmer nimmt Konturen an. Im Kamin steht ein Heizofen mit Kohlenfeuerdekor, flankiert von zwei abgewetzten Sesseln mit Schottenmuster. Neben dem Tischchen steht eine geblümte Couch mit verdächtigen Flecken, Hinweis auf Inkontinenz oder Gewalt. Der Teppich, gemustert mit konzentrischen violetten und grauen Wirbeln, mutet wie eine Wetterkarte an: ein sich ausbreitendes Tiefdruckband in den westlichen Highlands, mit drohenden Schauerböen der Windstärke acht.
Seufzend betrachte ich die Bilder an der Wand – Hochlandrinder, die inmitten unterschiedlicher Heimatkulissen freundlich unter rötlichen Fransen hervorlugen: an Wasserfällen, huftief in der Heide, im Machair herumstehend –, als ich Agnes oben höre. Sie juchzt vor Freude. Ich finde sie in dem kleineren der beiden Mansardenschlafzimmer, auf und ab hüpfend auf ihrem schmalen Bett.
»Cool, Mom! Schau doch mal! Ich kann das Meer sehen.«
Man kann nichts sehen außer dem Meer.
»Wenn ein Mann vom Ufer auf das Meer hinausschaut, steht er am Gestade seines Unbewussten«, schrieb McWatt. Drüben auf Calasay pflegte er täglich und bei jedem Wetter die Machair-Küste entlangzuwandern, Hände voll kleiner leuchtend weißer Muscheln aufzuheben, den »Schatz des armen Mannes«, in einem Weidenkorb Riementang und Rotalgen zu sammeln und Ausschau zu halten nach brauchbarem Treibgut. Er beobachtete die Seevögel bei ihrem »mörderischen Ballett in den Lüften«, wandte sein Dichterauge der »gutartigen Gelbsucht« der Schlüsselblume zu, dem »Parkinson’schen Zittern« der Glockenblume oder der Fascaray-Orchidee mit ihren »Trauben winziger, bleicher Mäulchen, die sich stumm an blassen Stengeln grämen«.
Selbst im schlimmsten Unwetter wurde er der Aussicht aus dem hinteren Fenster seiner Kate An Tobar nicht müde: vorbei an den niedrig wachsenden Birken, Eichen und Erlen, die sich Halt suchend gegen Wind und Sturm stemmten, über den Klippenbogen bis hin zum Ozean mitsamt dessen Launen unter seinem »stürmischen Zwilling«, dem Himmel, und zu den fernen Schären – unbewohnten Felseninseln, die aus dem Meer emporragen wie so viele »liegende Fabelwesen, Inspiration für die Flügelgreife und die sich windenden Höllenhunde der keltischen Kunst«. In der Ferne ließ der Leuchtturm von Kap Fascaray (errichtet 1844 von Robert Louis Stevensons Onkel Alan und bemannt mit einer Reihe bärtiger Einsiedler mit Alkoholproblemen, bis zur Automatisierung im Jahr 1989) den nächtlichen »Strahl des Zyklopen« über die nachleuchtende Seelandschaft schweifen.
Die bekannteste Fotografie von McWatt, ein 1981, findet sich in Charles Knox-Cardews A Vulgar Eloquence, einer wissenschaftlichen Studie über mundartliche Weltliteratur.3 Das Bild zeigt den »Barden von Fascaray« als Sechzigjährigen, gegen Ende seiner mittleren Periode (er hatte noch mehr als drei Jahrzehnte seines Dichterlebens vor sich), der skeptisch in die Gegend blinzelt, einen dicken Otter mit glattem Fell in den Armen und einen Border Collie zu Füßen. McWatt ist eine grauhaarige Gestalt im Kilt mit grimmig funkelnden blauen Augen unter der Denkerstirn. Eine Bruyère-Pfeife steckt ihm zwischen den Zähnen, und Strähnen der wilden, grauen Mähne lugen aus einer Baskenmütze hervor, die er statt der traditionellen Tam-o’-shanter-Kappe trug, laut Knox-Cardew vermutlich »zu Ehren der Auld Alliance und der französischen Dichter Baudelaire und Rimbaud«.
Schwarzweißporträt aus dem JahrAn McWatts eigenwilliger Variante einer Hochlandtracht fällt nicht nur die Baskenmütze auf. Das Spitzenjabot am Hals ersetzt er durch ein gepunktetes Taschentuch, wie es Landstreicher aus dem Märchen für improvisiertes Handgepäck an einen Stock knoten, und statt kreuzgeschnürter Gillie-Schuhe und Kniestrümpfen trägt er dreckverkrustete Gummistiefel; somit können wir uns für das Vorhandensein oder Fehlen des schmückenden Sgian-dubh-Dolchs, der üblicherweise im rechten Strumpf steckt, nicht verbürgen.
Eine Granitballade. Annäherungen an Grigor McWatt,
Mhairi McPhail (Thackeray College Press, 2016)
Agnes schläft, und ich sitze Jetlag-geplagt und abgezehrt am Küchentisch in unserem neuen Heim und starre auf McWatts Bild in Knox-Cardews einschüchterndem Buch, als könnte das meine nächtlichen Ängste besiegen und einen Anhaltspunkt bieten – eine Begründung wäre zu viel verlangt –, was zum Teufel ich hier mache.
McWatts Kilt – im McWatt-Tartan, wie die Bildunterschriften stets anmerken – ist nicht bemerkenswert, aber der Sporran erscheint lächerlich groß, wie der Pelz eines skalpierten Zwergspitzes. Knox-Cardew ist ein amerikanischer Gelehrter, der auf dem Autorenfoto eine Fliege, eine Hornbrille und ein Einstecktüchlein trägt, zum Gedenken an seinen WASP-Stammbaum. Er leitet den Titel seines Buchs von de vulgari eloquentia – »die Volkssprache« – ab, Dantes billigender Bezeichnung für Literatur, die eher auf Italienisch als in Latein verfasst ist. Neben Reflexionen über Boccaccio, Dante, Chaucer, van Maerlant, Ngugi wa Thiong’o, Barbour und die Nicht-Tagalog-Literatur der Philippinen gibt es ein 110-seitiges Kapitel über den »Barden von Fascaray«, den Knox-Cardew durchgehend mit gönnerhafter Hochachtung behandelt.
Seine Forschungstätigkeit beinhaltete offenbar keine Reise nach Fascaray oder auch nur Schottland. Ich
vermute, der Vorschuss der Glenton University Press hätte die Reisespesen nicht gedeckt. Auch hat er keinen einzigen Band des Manuskripts von Das Fascaray-Kompendium gelesen. Niemand hat das. Das ist meine Aufgabe – wobei Knox-Cardew schon auf deren Existenz anspielt, indem er McWatt als einen »›Pepys der Hebriden‹ beschreibt, dessen Meisterwerk, eine amtliche Untersuchung seiner Insel von den Anfängen bis zur Gegenwart, bislang unveröffentlicht« sei.A Vulgar Eloquence wird auf dem Buchumschlag als »kollektive kritische Biographie« bezeichnet, und sie ist sehr kritiklastig, von der ehrfürchtigen Art Literaturkritik – zu viele Trochäen und Spondeen für meinen Geschmack und meine Zwecke –, dagegen eher leicht, was den biographischen Anteil betrifft. Das Buch ist außerdem, was nicht überrascht, vergriffen. Meine Forschungsassistentin in Glasgow, Ailish Mooney, eine gewissenhafte irische Doktorandin, konnte ein Exemplar aus der Innerpeffray Library auftreiben – laut Datumszettel im Buchdeckel nur zweimal ausgeliehen und dann als »gelöscht« gestempelt – und hat es mir nach Brooklyn geschickt. Am Ende hatte ich keine Zeit, es aufzuschlagen, bis Agnes und ich im Flieger von New York saßen, und selbst dann weckten das Bordmagazin und die Karte mit den Sicherheitshinweisen eher meine Neugier – »im Fall einer Wasserlandung …«, wem wollen die was vormachen? –, bevor ich endlich nachgab und das McWatt-Kapitel von Knox-Cardews Buch aufschlug. Mein Blick fiel auf den letzten Abschnitt der dritten Seite.
Auchwinnie Pibroch sowie in seinem umfassenden, noch unveröffentlichten Hauptwerk Das Fascaray-Kompendium mögen die Verbindung zur Gemeinschaft und zur Natur geknüpft haben, aus der er in düstersten Zeiten Kraft schöpfte, und die Schönheiten der Highlands für ein breiteres Publikum offengelegt haben; seine Wildtier-Menagerie befriedigte vielleicht die emotionalen Bedürfnisse dieses einsamen Mannes, brachte etwas Wärme und Humor in sein Leben und inspirierte eine Generation von Naturforschern; seine knappen und eleganten Lebenserinnerungen mögen das Genre neu definiert haben; seine populären Geschichten, sein polemischer Journalismus und politischer Aktivismus schärften zweifellos sein Verständnis seiner eigenen Vergangenheit und stärkten das Bewusstsein des modernen Schottlands für die eigene Identität; aber es waren fünf Strophen und ein vierzeiliger Refrain – später von ihm als »thon skitterie wee sang«, das belanglose Liedchen, verworfen –, gekritzelt auf ein Päckchen Sweet-Afton-Zigaretten während einer »geschlossenen Gesellschaft« im Finnverinnity Inn, die Grigor McWatts Ruhm begründeten, allen Reichtum, den er je scheffeln konnte, sowie die unbezahlbare Freiheit, seiner Muse zu folgen.
Seine Nachdichtung von Weltliteratur im facettenreichen Prisma der schottischen Sprache mag sein Lebenswerk gewesen sein; seine Lobeshymnen über die Kultur, Flora und Fauna der Insel in den Kolumnen für denIch bekämpfte eine aufsteigende Beklemmung, klappte das Buch zu und widmete mich wieder meinem jetzt schlafenden Kind. Agnes’ Kopf ruhte an meinem Arm, als wir mit sechshundert Meilen die Stunde unserem neuen Heim entgegenrasten. Mit Blick auf die zarte Kurve ihrer Wange fragte ich mich erneut: Wollte ich wirklich die nächsten zwei Jahre allein mit meiner Tochter verbringen, isoliert in einer abgelegenen Ecke des Planeten, als Dienerin eines toten Dichters, der zufällig berühmt wurde für einen einzigen Popsong, von dem er sich distanzierte, ein einsiedlerischer Graphomane, der die natürliche Welt geliebt haben mag, aber nach allem, was ich gelesen hatte, kein Menschenfreund war?
Aus der Nacht, die mich umfängt,
Aus dunkler Tiefe zwischen beiden Polen,
Dank ich den Göttern, so es sie denn gibt,
Für meine resolute Seele.
Von Pech und Unglück stets verfolgt,
Hab ich gescherzt nicht noch geklagt.
Trotz aller Schicksalsschläge
Bleibt unbesiegt mein blutig Haupt.
Jenseits unseres Tränentals
Dräut nur das Grau’n des letzten Schattens,
Dennoch wird auch in späteren Jahren
man kühn mich finden. Ich weiche nicht.
Was Narren reden, schert mich nicht,
Ob auch die Last mich quäle.
Ich selbst bin meines Glückes Schmied,
Der Schiffer meiner Seele.
Grigor McWatt nach William Ernest Henley, 1946
In: Kenspeckelt, Virr Press, 1959. Nachdruck in Warld in a Gless: The Collected Varse of Grigor McWatt, Smeddum Beuks, 1992.
SOE) genutzt. Es war ein zermürbender Lehrgang, doch irgendwie begann McWatt auf einem schmalen Feldbett unter Leinwand im Gebüsch, zwischen herkulesartigen Manövern, gnadenlosen Stärke- und Ausdauertests und spätnächtlicher Unterweisung in den dunklen Künsten von Sabotage und Mord die ersten der Kladden zu schreiben, aus denen Das Fascaray-Kompendium hervorgehen sollte.
McWatt begann sein Lebenswerk gegen Ende des Zweiten Weltkriegs in einem Armeezelt, aufgeschlagen auf dem Gelände von Finnverinnity House, dem nördlichen Wohnsitz von Montfitchett, Fascarays abwesendem Laird. Das Haus, vor Ort auch Großes Haus genannt, war von der britischen Regierung requiriert worden und wurde als geheimes Ausbildungslager für Kommandosoldaten und Agenten der Sondereinsatztruppe (In diesem ersten Band lag sein Fokus auf der Inselgeschichte. »Auf dem Gelände von Finnverinnity House stand seit dem frühen sechzehnten Jahrhundert ein Gebäude, das die Kurve der Bucht zum Westen des Hafens beherrschte …«, lauteten die ersten Worte. Knox-Cardew, der keinen Zugang zum Kompendium hatte, aber von dessen thematischer Breite wusste, nahm an, dass »in jenen dunklen Tagen es ihm, wie auch anderen, ein Trost gewesen
sein muss, sich in die Vergangenheit zurückzuziehen im Versuch, die Herausforderungen der Gegenwart zu verstehen«.Im Lauf der Zeit schrieb McWatt seine Chronik von Fascarays uralter und mittelalterlicher Vergangenheit neu und erweiterte sie anhand von veröffentlichten Geschichtswerken und Archivmaterial. Der rastlose Pfarrer Donald Monro, dessen Spitzname Dean (Dekan) der Inseln lautete, besuchte Fascaray 1563, laut McWatt »in der Zeit, die anscheinend eine seltene Phase des Friedens und Wohlstands« war. Monro notierte in seiner Description of the Western Isles of Scotland4: »Eine Burg von Fasquarhaye, zugehörig Malcolm McQuhatt durch das Schwert, aber dem Bischof der Isles durch Tradition, mit einem schönen Obstgarten […] rauhes Land, mitunter Birkenwäldchen, viel Rotwild und ausgezeichnet zum Fischen.« Von Munro stammt auch der erste Bericht über die jährliche »Guga-Jagd« – das Fangen, Töten und Räuchern junger Basstölpel –, »ein Brauch bis zum heutigen Tag«, schrieb McWatt.
Zwei Jahre nach Monros Besuch und drei Monate nach ihrer Vermählung mit Darnley soll Maria Stuart der Hochzeit von Malcolms Tochter Mariota auf der Insel Fascaray beigewohnt haben. »Den Quellen nach übernachtete die dem Untergang geweihte Königin in einer damals bescheidenen Burg oder einem befestigten Haus mit einem ummauerten Hof, das schlicht Finnverinnitie hieß«, schrieb McWatt. Maria soll das Haus erneut aufgesucht haben, »als sie 1568 nach ihrer Flucht aus der Gefangenschaft Schutz in Loch Leven Castle suchte und ihren Gastgebern rührende französisch geschriebene Dankesworte hinterließ«.