Nr. 2957
Die Hooris-Prozessoren
Der Terraner und die Admiralin – sie kämpfen um die GORATSCHIN
Michael Marcus Thurner
Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt
Cover
Vorspann
Die Hauptpersonen des Romans
1. Amber Dessalin
2. Fhyorsharg
3. Amber Dessalin
4. Fhyorsharg
5. Amber Dessalin
6. Fhyorsharg
7. Amber Dessalin
8. Fhyorsharg
9. Maorim D'Abo
10. Amber Dessalin
11. Fhyorsharg
12. Amber Dessalin
13. Fhyorsharg
14. Amber Dessalin
15. Maorim D'Abo
16. Fhyorsharg
17. Amber Dessalin
Glossar
Clubnachrichten
Impressum
PERRY RHODAN – die Serie
Gut dreitausend Jahre in der Zukunft: Perry Rhodans Vision, die Milchstraße in eine Sterneninsel ohne Kriege zu verwandeln, lebt nach wie vor. Der Mann von der Erde, der einst die Menschen zu den Sternen führte, möchte endlich Frieden in der Galaxis haben.
Unterschwellig herrschen immer noch Konflikte zwischen den großen Sternenreichen, aber man arbeitet zusammen. Das gilt nicht nur für die von Menschen bewohnten Planeten und Monde. Tausende von Welten haben sich zur Liga Freier Galaktiker zusammengeschlossen, in der auch Wesen mitwirken, die man in früheren Jahren als »nichtmenschlich« bezeichnet hätte.
Besucher aus anderen Galaxien suchen Kontakt zu den Menschen und ihren Verbündeten. Derzeit machen vor allem die Thoogondu aus der Galaxis Sevcooris von sich reden, einst ein von ES erwähltes und dann vertriebenes Volk. Perry Rhodan hat sie auf ihre eindringliche Einladung hin in ihrer neuen Heimat aufgesucht und sich ein Bild von der dortigen Lage gemacht.
Die Thoogondu scheinen hilfsbereit zu sein, doch ihre Mittel sind alles andere als lauter, sodass auch Zweifel an ihren Zielen angebracht scheinen. Insbesondere scheuen sie vor Geschichtsklitterung nicht zurück, was letztlich auch dazu führt, dass sich ihre Verbündeten von ihnen distanzieren. Die Gäonen, ein Menschenvolk, das ebenfalls in Sevcooris ansässig ist, ist ein solcher Verbündeter. Nun kehrt Perry Rhodan zurück in die Milchstraße. Dort kämpft er gegen DIE HOORIS-PROZESSOREN ...
Perry Rhodan – Der Terraner kämpft gegen Statuen.
Amber Dessalin – Die Admiralin kämpft um ihr Schiff.
Fhyorsharg – Der Thoogondu kämpft für die Zukunft des Gondunats.
Maorim D'Abo – Die Technikerin will nicht kämpfen.
Das von Myles Kantor bei einem Vortrag am Terrania Institute of Technology am 13. März 1198 NGZ vorgestellte Paradoxon:
1. Eine Positronik gehorcht ihren Alpha-Befehlen. Es existieren keine Rechenansätze, die ein anderslautendes Verhalten zulassen.
2. Eine Raumschiffpositronik trifft pro Sekunde millionenfach Entscheidungen. Alle müssen ausgewogen sein und algorithmischen Rechenprozessen folgen. Ist die Datentiefe nicht ausreichend, gehorcht die Positronik heuristisch-mathematischen Grundlagen.
3. Die Heuristik bedient sich Annäherungsregeln und beruht nicht auf eindeutiger Faktenlage. Folgt eine Positronik heuristischen Grundsätzen, kann dies zu Ungenauigkeiten führen.
4. Der größte Unsicherheitsfaktor bei der Entscheidungsfindung einer Positronik sind fehlerhafte Angaben oder falsches Verhalten des Benutzers. Der Rechner bezieht die Fehlerhaftigkeit seines Benutzers mit ein. Ein geringer Teil seiner Arbeitsergebnisse birgt dennoch Ungenauigkeiten.
5. Deshalb kann die rechnerische Faktenfindung in Ausnahmefällen durch den Benutzer gestört werden und zu Zweifel bei der Positronik führen.
6. Wenn ein Rechner aber zweifelt – wie kann er dann seinen Alpha-Befehlen vertrauen, wo sie doch vom Benutzer formuliert wurden?
1.
Amber Dessalin
Das ist mein Schiff! Meine Heimat! Man hat sie mir weggenommen!
Sie eilte dem jüngeren Mann hinterher, der in Wirklichkeit um so vieles älter war als sie, die Grande Dame des gäonischen Militärs. Sie keuchte und war kaum in der Lage, mit ihm Schritt zu halten.
Perry Rhodan zögerte an einer Gangkreuzung, sah sich suchend um, wartete auf sie. »Wohin?«, fragte er.
»Nach links«, antwortete Dessalin und stemmte die Hände gegen die Knie, während sie um Atem rang. »Rauf nach B-Frei. Antigrav.«
Rhodan blickte sie verwundert an, wohl wegen der Bezeichnung der Ebene, sagte aber nichts und trabte erneut los.
Dessalin folgte ihm. Trotz der schmerzenden Knie, trotz der Atemlosigkeit.
Sie meinte, einen HaLem-Soldaten hinter sich zu hören. Ein Geschöpf, über das sie so gut wie nichts wusste, das ihnen aber im Kampf grenzenlos überlegen war. Zumal sie bloß leichte Bordkombinationen trugen und lediglich Rhodan über einen Kombistrahler verfügte. Ihr Gegner hingegen feuerte aus Strahlermündungen, die im Ellbogen integriert waren, und schützte sich mit einem energetischen Konturschirm.
Es ging einen Gang entlang, von dem in regelmäßigen Abständen Seitenwege abzweigten. Sie rannten eine kleine Rampe hoch. In eines der Zwischendecks. Vorbei an lose dastehenden Tonnen, in denen Robotschrott gesammelt und dem Recycling zugeführt wurde.
Ein verwahrlostes Labor. Ein Raum, vollgestopft mit Robotbestandteilen. Zwei menschenähnliche Servoroboter, die gegen Gangwände starrten. Eine bunt schillernde Lache, die sie überspringen mussten ...
Was ist mit meinem Schiff geschehen? Wie konnte es so weit kommen?
»Rechts!«, rief sie Rhodan zu, der etwa zehn Meter vor ihr lief. »Und gleich nochmals rechts.«
Er verschwand aus ihrem Blickfeld. Sie holte ihn erst vor dem Antigravschacht ein. Dieser war schmal und ausschließlich für den Personentransport gedacht.
Hinter ihnen polterte etwas zu Boden. Dessalin zuckte zusammen. Sie zog Rhodan mit sich in die Röhre. Die Dämpfung wirkte geringfügig verzögert, wie immer. Der Sog des Antigravs ließ sie nach unten sacken. Viel zu langsam für ihren Geschmack.
Dessalin nutzte die Gelegenheit, um kräftig durchzuatmen und endlich wieder klare Gedanken fassen zu können. Immer noch brummte ihr Kopf von der ungeschützten Transition, in die vermutlich die HaLem-Soldaten die GORATSCHIN gezwungen hatten. Sie litt unter Übelkeit und dem Gefühl der Desorientierung.
Durchatmen, Dessalin. Du kennst die Auswirkungen einer Transition. Die Schmerzen werden in fünf bis zehn Minuten verschwunden sein.
Endlich bekam sie wieder ausreichend Luft. Ihre Flucht basierte auf Improvisation, auf Entscheidungen aus dem Bauch heraus. Nun brauchte es einen Plan, um dem Verfolger entkommen zu können.
»Wir steigen im nächsten Deck aus«, sagte sie. »In H-Fort. Dieser Sektor ist frei. Es gibt kaum Überwachungssensoren oder Kameras. H-Fort steht der Besatzung zur Erholung zur Verfügung. Hier soll sich niemand eingeschränkt fühlen.«
Rhodan nickte und sprang ins Freie. Dessalin folgte ihm. Sie stolperte, fing sich rasch und lief hinterher. Als Rhodan an der nächsten Kreuzung stehen blieb, eilte sie an ihm vorbei und übernahm die Führung.
Sie rannten durch einen biolumineszierenden Moosgang, dessen Leuchten an die Tiefen Wälder auf Gäon erinnerte, und hinein in den Naturbereich Dagstan, eines der beliebtesten Ziele jener Besatzungsmitglieder, die dienstfrei hatten und Erholung suchten.
Der Gang öffnete sich nach allen Seiten, der Horizont weitete sich. Dessalin blickte in einen blauen Himmel, der von diesigen Wolkenstreifen durchzogen wurde. Eine Kunstsonne spendete milde Wärme. Unter ihren Füßen spürte sie weiches Moos, das wenige Schritte später in Gras überging.
Rhodan blieb neben ihr. Immer wieder sah er sich um, ohne dabei nervös zu wirken. So, als gehörten derartige Verfolgungsjagden zu seiner Tagesroutine.
Dessalin zog ihn an Hecken vorbei, an deren Ästen kleine, dunkelrote Früchte sprossen. Störbeeren. Scharf und bitter zugleich. Hinein in jenen versteckten Bereich, der ihr als das bestmögliche Versteck erschien.
Zwischen zwei Meter hohen Hecken ging es in ein Gartenlabyrinth. Tulpinen richteten ihre grellfarbenen Blütenköcher in Richtung der Kunstsonne aus, niedrig wachsende Majoritten verströmten süßlichen Geruch.
Dessalin nahm den linken dreier von Hecken eingerahmter Wege und suchte nach jener markierten Abzweigung, die zu ihrem Lieblingsplatz führte. Dort hatte sie im letzten Jahr einige Zeit verbracht. Stets dann, wenn ihr in der Enge des hochtechnisierten Schiffs die Luft zum Atmen gefehlt hatte. An jenem Ort hatte sie sich erholt, fernab von Pflichten, Verantwortung und von der durchtechnisierten Welt des Raumschiffs.
»Unser Versteck«, sagte sie und hielt inne.
»Wir sollen uns auf einer offenen Liegewiese verbergen?!«, fragte Rhodan verständnislos.
»Auf dem beliebtesten Campingplatz der GORATSCHIN«, korrigierte Dessalin und zog an einem handgroßen Griff, der im Erdboden kaum erkennbar war.
Ein spitzes Ding durchstieß den Boden und wuchs auf eine Höhe von einem Meter an. Die kreisrunde Kommandoblüte entfaltete sich. Das gesamte Konstrukt besaß die Anmutung einer Sonnenblume. Die vermeintlichen Blütenblätter dienten zur Steuerung und zum Umbau des Campingplatzes.
»In Dagstan gibt es keinerlei Überwachung«, wiederholte Dessalin. »Wer hier Urlaub macht, ist von all seinen Pflichten befreit und darf nicht belästigt werden.« Sie schluckte hart und verbesserte sich: »Durfte nicht belästigt werden.«
Rhodan betrachtete sie zweifelnd, sagte aber kein Wort.
Sie berührte einige Blätter der Kommandoblüte. Ein kleines Paket kam aus dem Nichts herbeigerollt und entfaltete sich explosionsartig. Ein Zelt mit zwei Apsiden, vier mal vier Meter groß, entstand binnen weniger Sekunden. Aus dem Inneren drangen Gerüche nach gebratenem Fleisch und Gemüse.
Ein weiterer Befehl an die Kommandoblüte, und die Hecken verschoben sich auf wundersame Art und Weise. Sie bildeten ein undurchdringliches Hindernis, das sie von der Außenwelt abschottete.
»Das ist zwar nicht im Sinne des Erfinders«, sagte Dessalin, »aber hier werden uns die HaLem-Roboter nicht finden.«
Rhodan nickte. »Wie sieht es mit unseren Biowerten aus? Lassen die sich ebenfalls dämpfen?«
»Mal sehen.« Dessalin beschäftigte sich konzentriert mit der Kommandoblüte. In manchen Teilaspekten konnte sie Zugriff auf eine Nebenpositronik der IWAN nehmen. Sie musste allerdings darauf achten, keine Spuren zu hinterlassen.
»Sieht gut aus.« Sie schloss ihre Arbeit ab und gab den abschließenden Befehl. Ein grünes Signalfeld zeigte an, dass sie Erfolg gehabt hatte. »Wir sind so gut wie möglich aus der Wahrnehmung des Schiffs und seiner Besatzer ausgespart.«
»Sehr gut.«
Rhodan ließ sich auf dem Boden nieder, Dessalin tat es ihm gleich. Sie streckte sich aus, starrte in das beruhigende Blau des Himmels und ließ alle störenden Gedanken beiseite. Für eine Minute gönnte sie sich die Freiheit einer Illusion.
Sie war mit einem Mal weit weg, zu Hause auf Gäon. Im Karatakk-Gebirge, das in ihrer Jugend von weit verstreuten Gehöften gesprenkelt gewesen war. Maranthana-Kühe waren im Sommer auf Hochalmen getrieben worden, während in den dunklen Tälern schrullige Aussteiger der gäonischen Gesellschaft biologische Landwirtschaft betrieben hatten.
Sie hatte Ferien bei ihrem Großvater gemacht, der einer dieser Aussteiger gewesen war und der sie viel über die Natur der Dinge gelehrt hatte. Ihm hatte sie mehr Wissen zu verdanken als all den Lehrmeistern an der Schiller-Flottenakademie.
Wie lange war das her? Hundert Jahre? Mehr?
Amber Dessalin richtete sich abrupt wieder auf. Sie wollte nicht an ihr Alter erinnert werden. Sie war gut in Form, körperlich wie geistig. Auch wenn sie mit einem wie Perry Rhodan nicht mithalten konnte.
»Hast du Hunger?«, fragte sie. »Der Selbstkocher sollte seine Arbeit mittlerweile getan haben.«
Rhodan ignorierte ihre Frage. »Kannst du von hier aus Funkkontakt mit der RAS TSCHUBAI oder mit Quinto-Center aufnehmen?«
»Die Kommandoblüte hat mir den Zugriff auf die Funkzentrale verweigert«, gestand Dessalin. »Ich habe kaum Zugriff auf den Rechner der GORATSCHIN.«
Rhodan nickte knapp. »Wie sieht es mit einer der Nebenzentralen aus? Denk nach, Admiralin!«
Sie wollte aufbrausen. Sie mochte es ganz und gar nicht, derart drangsaliert zu werden. Schließlich war sie eine der ranghöchsten Offizierinnen des Zweiten Solaren Imperiums.
Dessalin schluckte ihren Ärger hinunter. Ihr Rang hatte in dieser Situation kaum Bedeutung. Sie hatte ihr Kommando über die GORATSCHIN offiziell an die Terraner übergeben. Ihr Status war der einer leidlich gelittenen Kriegsgefangenen.
Ihr kam ein gewagter Gedanke. Was, wenn sie das Gespräch mit den HaLem-Soldaten suchte? Was, wenn sie diesen sonderbaren Wesen ihre Lage verständlich zu machen versuchte und ihnen erklärte, dass die GORATSCHIN ihr Schiff war? Würden sie ihr zuhören, sie womöglich unterstützen?
Wobei denn?, fragte sich Dessalin. Die gäonische Mission in die Milchstraße ist zum Debakel geraten. Wir sind gekommen, um den Boden für eine zukünftige Zusammenarbeit mit den Terranern zu bereiten und dafür zu sorgen, dass die Knechte des Wanderers an Einfluss verlieren. Wir haben versagt. Dazu kommt, dass ich die Argumente und Taten Perry Rhodans durchaus verstehe. Und er ist er mir zudem durchaus sympathisch. Meistens zumindest.
»Woran denkst du?« Rhodan blickte sie forschend an.
Gab es nicht das Gerücht, dass der Terraner Gedanken lesen konnte?
»Ich frage mich, wer oder was hinter diesen HaLem-Soldaten steckt.«
»In einem von ihnen war Zuos Geist gefangen. Der des Thoogondus, dem du vertraut hast. Du erinnerst dich, Admiralin?«
Rhodan bohrte in einer tiefen Wunde. Während der jahrelangen Reise über die Abgründe des Alls hinweg war Zuo stets an ihrer Seite gewesen. Hatte sie unterstützt, ihr geholfen, sie beraten. Dessalin hatte seinen Weisheiten gelauscht und Gefallen an seinen bunten Erzählungen über das Gondunat und den herrschenden Gondu gefunden.
In der Milchstraße hatte er dann sein wahres Gesicht gezeigt. Hatte keine Rücksicht mehr auf die Besatzung der GORATSCHIN genommen und sogar versucht, das Schiff zu vernichten. Ihr Schiff.
»Ich erinnere mich«, echote sie.
»Überleg mal, Amber: Wir waren stundenlang mit den fünf unbelebten HaLem-Statuen beschäftigt und erreichten – nichts. Bis sie sich auf einmal bewegten und über uns herfielen.«
Ja. Die aus rötlich schimmerndem Metall geformten Wesen hatten – grün? – aufgeleuchtet und die anwesenden USO-Wissenschaftler und –Spezialisten angegriffen. Hatten getötet.
Es war bloß Perry Rhodans Instinkt und Geschick zu verdanken gewesen, dass sie beide rechtzeitig hatten fliehen können, verfolgt von einer der so plötzlich belebten Statuen. Just, als sie aussichtslos in eine Ecke gedrängt gewesen waren, war es zur Transition der GORATSCHIN gekommen. Rhodan und sie waren um Sekunden früher als der HaLem zu sich gekommen und hatten die Gelegenheit zur neuerlichen Flucht genutzt.
»Die HaLem-Soldaten wurden, nun ja, belebt«, sagte Rhodan, »ihre toten Leiber durch Bewusstseine angereichert.«
»Du meinst, dass Zuo mehrere HaLems in Besitz genommen hat?«
»Nein. Diese Dinger reagierten unterschiedlich. Vier von ihnen waren rascher bei sich als der fünfte. Einer von ihnen torkelte gänzlich unkoordiniert umher.«
»Das heißt?« Dessalin wusste ganz genau, worauf Rhodan hinauswollte. Doch sie wollte es aus seinem Mund hören.
»Das heißt, dass zumindest fünf weitere Thoogondu ihr Leben ließen, um in diese Metallleiber zu schlüpfen.«
Amber Dessalin nickte. Sie fühlte sich mit einem Mal schrecklich müde. »Meinst du, dass sie kollektiven Selbstmord begangen haben?«
»Vielleicht. Es mag aber auch sein, das Zuo sie getötet hat, um den Bewusstseinstransport zu erzwingen, von dem Monkey erzählte. Meinst du, dass er zu solch einer Tat fähig wäre?«
»Ich weiß längst nicht mehr, was ich glauben und wem ich was zutrauen soll.«
Rhodan betrachtete sie nachdenklich.
Erwartete er, dass sie zugab, sich geirrt zu haben? Wollte er, dass sich eine hochdekorierte Admiralin der Gäonischen Flotte von den Idealen des ZSI abwandte und ihn, den Feind, umarmte?
»Wir sollten essen«, sagte sie stattdessen. »Und nachdenken, wie wir die GORATSCHIN zurückerobern können.«
»Das ist normalerweise mein Text.« Rhodan grinste jungenhaft.
»Es ist mein Schiff. Ich werde nicht zulassen, dass eine fremde Macht darüber verfügt. Was immer diese HaLem-Soldaten vorhaben und wer immer sie sind – sie bekommen es jetzt mit mir zu tun. Ich kenne die GORATSCHIN besser als jeder andere. Das Schiff, du und ich – wir werden die HaLems besiegen.«
Dessalin wandte sich von Rhodan ab und trat ins Innere des Zelts. Auf einem kleinen Lufttisch standen Teller mit selbst erhitztem Fleischsubstrat und Nudeln. Das Grummeln in ihrem Magen ließ sie wissen, dass sie seit geraumer Zeit nichts mehr gegessen hatte.
Sie setzte sich auf den Rasenboden, griff nach dem Besteck und begann schweigend mit ihrer Mahlzeit. Die besten Ideen waren ihr stets beim Essen gekommen.
Rhodan ließ sich neben ihr nieder. Er sagte keinen Ton, während er sich an den Nudeln gütlich tat.
Erst nachdem er den letzten Bissen getan und den leeren Teller vor sich abgestellt hatte, wiederholte er: »Wir holen uns dein Schiff wieder, Admiralin. Versprochen.«
2.
Fhyorsharg
eine halbe Stunde zuvor
Oh, es war schrecklich, tot zu sein!
Oh, es war herrlich, tot zu sein!
Fhyorsharg vermochte einfach nicht, seine Gefühlslage richtig zu erfassen. Er hatte gewusst, dass eines Tages der Augenblick kommen würde, da er in seinen Hooris-Prozessor überwechselte. Nun, da es geschehen war, war er dennoch überrascht. Vielleicht gar ein wenig überfordert.
Er schlug um sich. Fühlte, dass er getroffen und sein metallener Leib erhitzt wurde.
Er schüttelte sich und torkelte auf einen Feind zu. Hieb zu, mit einer Hand, die nicht seine war, und sah in einer falschfarbenen Darstellung der vermeintlichen Realität, wie der andere meterweit davonflog.
Fhyorsharg kämpfte weiter. Er tat es, weil Instinkte sein Denken übernahmen. Rings um ihn waren Gegner, also musste er sich gegen sie wehren.
Sie waren schwach, behäbig, dumm, überrascht. USO-Leute, wenn er die Situation richtig einschätzte.
Was war geschehen?
Fhyorsharg erinnerte sich an den Gefangenentransport, den er und die anderen überlebenden Thoogondu der IWAN IWANOWITSCH GORATSCHIN durchgemacht hatten. Agenten der USO hatten sie an Bord eines kleinen Schiffs von der RAS TSCHUBAI nach Quinto-Center bringen wollen, als es geschehen war.
Die Fähre war beschossen worden. Die Lichter an Bord waren ausgegangen, die Schwerkraft mit einem Mal erloschen. Dann war eine Feuerlohe auf ihn zugerast, abrupt erstickt von Kälte. Für ein Zweizucken seiner doppelten Augenlider hatte er Hoffnung geschöpft, diesen Angriff auf das Schiff zu überleben.
Dann hatte ihn die Kälte gepackt. Hatte ihm den Atem geraubt und ihm jegliche Bewegungsfreiheit genommen. Einen letzten Gedanken der Angst hatte er nicht mehr vollenden können.
Es war vorbei gewesen. Seine Existenz hatte ein Ende gefunden. Um hier, im Unbekannten, eine Fortsetzung zu finden. Einen Neubeginn.
Falsch: einen Wiederbeginn.
Fhyorsharg sah vier andere, die wie er waren. Ihre Streitkraft bestand also aus fünf Hooris-Prozessoren. Gemeinsam verrichteten sie ihre Arbeit. Sie töteten die Feinde. Dank der Hilfsmittel, die in den Hooris-Prozessoren verborgen waren und die sich instinktiv bedienen ließen.
Fhyorsharg zog beide Unterarme hoch. Aus den Ellbogengelenken spie Feuer. Thermostrahlen, die einen USO-Mann einhüllten und seinen Schutzschirm zum Explodieren brachten, nachdem sich Fhyorshargs Energien mit denen zweier anderer Hooris-Prozessoren verbunden hatten.
Sie säuberten ihre Umgebung vom Ungeziefer. Von denen, die in ihrer Stupidität den falschen Idealen des Wanderers huldigten.
Einige der Gegner zogen sich zurück, gedeckt durch Sperrfeuer, das andere legten. Alle trugen bloß leistungsschwache Schutzanzüge, kaum einer war nennenswert bewaffnet.
Fhyorsharg fühlte eine weitere deutliche Hitzeentwicklung. Die thermischen Entladungen entzogen der Luft in der Halle rasant allen Sauerstoff, der Boden unter seinen Beinen warf Blasen.
Ihm fiel die Orientierung schwer, immer wieder torkelte er und drohte zu stürzen. Doch sie unterstützten einander. Sie, die Wiederbelebten.
Sie töteten einen USO-Spezialisten nach dem anderen, die es wagten, sich zur Wehr zu setzen, und spürten jene auf, die sich verbargen.
Fhyorsharg bemerkte, dass die anderen Hooris-Prozessoren allmählich zurückblieben.
»Die GORATSCHIN muss übernommen werden!«, rief ihm einer seiner Gefährten mit erbärmlich klingender Stimme nach. »Bring du die Flüchtenden zur Strecke!«
Fhyorsharg wollte bestätigen, doch er brachte kein vernünftiges Wort hervor. Es war ein Gemisch aus Knurren und Seufzen, das er aus dem viel zu kleinen Mund presste. Es klang schauderhaft.
Den nächsten Galaktiker stellte er bald darauf. Er hatte sich in einem Labor unter einem Schreibtisch verkrochen.
Zwei weitere verhielten sich ungeschickt; sie quietschten vor Angst, atmeten und hechelten laut in ihrem Versteck.
Eine Terranerin wollte sich ergeben. Mit hoch erhobenem Haupt trat sie vor ihn und sagte etwas in diesem grässlichen Interkosmo.
Fhyorsharg tötete auch sie.
Es stand nicht im Interesse der Hooris-Prozessoren, durch diese Geschöpfe in ihrer Arbeit behindert zu werden.