Impressum
Bearbeitung: andersseitig.de
Covergestaltung unter Verwendung eines Fotos Freuds von Max Halberstadt: Erhard Koch
2017 andersseitig.de
ISBN:
9783961186143 (ePub)
9783961186150 (mobi)
andersseitig Verlag
Helgolandstraße 2
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Wir haben in der ›Vorläufigen Mitteilung‹! berichtet, daß sich uns während der Forschung nach der Ätiologie hysterischer Symptome auch eine therapeutische Methode ergeben hat, die wir für praktisch bedeutsam halten. »Wir fanden nämlich, anfangs zu unserer größten Überraschung, daß die einzelnen hysterischen Symptome sogleich und ohne Wiederkehr verschwanden, wenn es gelungen war, die Erinnerung an den veranlassenden Vorgang zu voller Helligkeit zu erwecken, damit auch den begleitenden Affekt wachzurufen, und wenn dann der Kranke den Vorgang in möglichst ausführlicher Weise schilderte und dem Affekt Worte gab« (S. 85).
Wir suchten uns ferner verständlich zu machen, auf welche Weise unsere psychotherapeutische Methode wirke: »Sie hebt die Wirksamkeit der ursprünglich nicht abreagierten Vorstellung dadurch auf, daß sie dem eingeklemmten Affekte derselben den Ablauf durch die Rede gestattet, und bringt sie zur assoziativen Korrektur, indem sie dieselbe ins normale Bewußtsein zieht (in leichterer Hypnose) oder durch ärztliche Suggestion aufhebt, wie es im Somnambulismus mit Amnesie geschieht« (S. 97).
Ich will nun versuchen, im Zusammenhange darzutun, wie weit diese Methode trägt, um was sie mehr als andere leistet, mit welcher Technik und mit welchen Schwierigkeiten sie arbeitet, wenngleich das Wesentliche hierüber bereits in den voranstehenden Krankengeschichten enthalten ist und ich es nicht vermeiden kann, mich in dieser Darstellung zu wiederholen.
Ich darf auch für meinen Teil sagen, daß ich am Inhalte der ›Vorläufigen Mitteilung‹ festhalten kann; jedoch muß ich eingestehen, daß sich mir in den seither verflossenen Jahren – bei unausgesetzter Beschäftigung mit den dort berührten Problemen – neue Gesichtspunkte aufgedrängt haben, die eine wenigstens zum Teil andersartige Gruppierung und Auffassung des damals bekannten Materiales an Tatsachen zur Folge hatten. Es wäre unrecht, wenn ich versuchen wollte, meinem verehrten Freunde J. Breuer zuviel von der Verantwortlichkeit für diese Entwicklung aufzubürden. Die folgenden Ausführungen bringe ich daher vorwiegend im eigenen Namen.
Als ich versuchte, die Breuersche Methode der Heilung hysterischer Symptome durch Ausforschung und Abreagieren in der Hypnose an einer größeren Reihe von Kranken zu verwenden, stießen mir zwei Schwierigkeiten auf, in deren Verfolgung ich zu einer Abänderung der Technik wie der Auffassung gelangte. (1) Es waren nicht alle Personen hypnotisierbar, die unzweifelhaft hysterische Symptome zeigten und bei denen höchstwahrscheinlich derselbe psychische Mechanismus obwaltete; (2) ich mußte Stellung zu der Frage nehmen, was denn wesentlich die Hysterie charakterisiert und wodurch sich dieselbe gegen andere Neurosen abgrenzt.
Ich verschiebe es auf später mitzuteilen, wie ich die erstere Schwierigkeit bewältigt und was ich aus ihr gelernt habe. Ich gehe zunächst darauf ein, wie ich in der täglichen Praxis gegen das zweite Problem Stellung nahm. Es ist sehr schwierig, einen Fall von Neurose richtig zu durchschauen, ehe man ihn einer gründlichen Analyse unterzogen hat; einer Analyse, wie sie eben nur bei Anwendung der Breuerschen Methode resultiert. Die Entscheidung über Diagnose und Art der Therapie muß aber vor einer solchen gründlichen Kenntnis gefällt werden. Es blieb mir also nichts übrig, als solche Fälle für die kathartische Methode auszuwählen, die man vorläufig als Hysterie diagnostizieren konnte, die einzelne oder mehrere von den Stigmen oder charakteristischen Symptomen der Hysterie erkennen ließen. Dann ereignete es sich manchmal, daß die therapeutischen Ergebnisse trotz der Hysteriediagnose recht armselig ausfielen, daß selbst die Analyse nichts Bedeutsames zutage förderte. Andere Male versuchte ich Neurosen mit der Breuerschen Methode zu behandeln, die gewiß niemandem als Hysterie imponiert hätten, und ich fand, daß sie auf diese Weise zu beeinflussen, ja selbst zu lösen waren. So ging es mir z. B. mit den Zwangsvorstellungen, den echten Zwangsvorstellungen nach Westphalschem Muster, in Fällen, die nicht durch einen Zug an Hysterie erinnerten. Somit konnte der psychische Mechanismus, den die ›Vorläufige Mitteilung‹ aufgedeckt hatte, nicht für Hysterie pathognomonisch sein; ich konnte mich auch nicht entschließen, diesem Mechanismus zuliebe etwa soviel andere Neurosen in einen Topf mit der Hysterie zu werfen. Aus all den angeregten Zweifeln riß mich endlich der Plan, alle anderen in Frage kommenden Neurosen ähnlich wie die Hysterie zu behandeln, überall nach der Ätiologie und nach der Art des psychischen Mechanismus zu forschen und die Entscheidung über die Berechtigung der Hysteriediagnose von dem Ausfalle dieser Untersuchung abhängen zu lassen.
So gelangte ich, von der Breuerschen Methode ausgehend, dazu, mich mit der Ätiologie und dem Mechanismus der Neurosen überhaupt zu beschäftigen. Ich hatte dann das Glück, in verhältnismäßig kurzer Zeit bei brauchbaren Ergebnissen anzukommen. Es drängte sich mir zunächst die Erkenntnis auf, daß, insofern man von einer Verursachung sprechen könne, durch welche Neurosen erworben würden, die Ätiologie in sexuellen Momenten zu suchen sei. Daran reihte sich der Befund, daß verschiedene sexuelle Momente, ganz allgemein genommen, auch verschiedene Bilder von neurotischen Erkrankungen erzeugen. Und nun konnte man, in dem Maße, als sich das letztere Verhältnis bestätigte, auch wagen, die Ätiologie zur Charakteristik der Neurosen zu verwerten und eine scharfe Scheidung der Krankheitsbilder der Neurosen aufzustellen. Trafen ätiologische Charaktere mit klinischen konstant zusammen, so war dies ja gerechtfertigt.
Auf diese Weise ergab sich mir, daß der Neurasthenie eigentlich ein monotones Krankheitsbild entspreche, in welchem, wie Analysen zeigten, ein »psychischer Mechanismus« keine Rolle spiele. Von der Neurasthenie trennte sich scharf ab die Zwangsneurose, die Neurose der echten Zwangsvorstellungen, für die sich ein komplizierter psychischer Mechanismus, eine der hysterischen ähnliche Ätiologie und eine weitreichende Möglichkeit der Rückbildung durch Psychotherapie erkennen ließen. Anderseits schien es mir unbedenklich geboten, von der Neurasthenie einen neurotischen Symptomenkomplex abzusondern, der von einer ganz abweichenden, ja, im Grunde genommen gegensätzlichen Ätiologie abhängt, während die Teilsymptome dieses Komplexes durch einen schon von E. Hecker (1893) erkannten Charakter zusammengehalten werden. Sie sind nämlich entweder Symptome oder Äquivalente und Rudimente von Angstäußerungen, und ich habe darum diesen von der Neurasthenie abzutrennenden Komplex Angstneurose geheißen. Ich habe von ihm behauptet, er käme durch die Anhäufung physischer Spannung zustande, die selbst wieder sexualer Herkunft ist; diese Neurose hat auch noch keinen psychischen Mechanismus, beeinflußt aber ganz regelmäßig das psychische Leben, so daß »ängstliche Erwartung«, Phobien, Hyperästhesie gegen Schmerzen u. a. zu ihren regelmäßigen Äußerungen gehören. Diese Angstneurose in meinem Sinne deckt sich gewiß teilweise mit der Neurose, die unter dem Namen »Hypochondrie« in so manchen Darstellungen neben Hysterie und Neurasthenie anerkannt wird; nur daß ich in keiner der vorliegenden Bearbeitungen die Abgrenzung dieser Neurose für die richtige halten kann und daß ich die Brauchbarkeit des Namens Hypochondrie durch dessen feste Beziehung auf das Symptom der »Krankheitsfurcht« beeinträchtigt finde.
Nachdem ich mir so die einfachen Bilder der Neurasthenie, der Angstneurose und der Zwangsvorstellungen fixiert hatte, ging ich an die Auffassung der gemeinhin vorkommenden Fälle von Neurosen heran, die bei der Diagnose Hysterie in Betracht kommen. Ich mußte mir jetzt sagen, daß es nicht angeht, eine Neurose im ganzen zur hysterischen zu stempeln, weil aus ihrem Symptomenkomplex einige hysterische Zeichen hervorleuchten. Ich konnte mir diese Übung sehr wohl erklären, da doch die Hysterie die älteste, die bestbekannte und die auffälligste der in Betracht kommenden Neurosen ist; aber es war doch ein Mißbrauch, derselbe, der auf die Rechnung der Hysterie so viele Züge von Perversion und Degeneration hatte setzen lassen. Sooft in einem komplizierten Falle von psychischer Entartung ein hysterisches Anzeichen, eine Anästhesie, eine charakteristische Attacke zu entdecken war, hatte man das Ganze »Hysterie« genannt und konnte dann freilich das Ärgste und das Widersprechendste unter dieser Etikette vereinigt finden. So gewiß diese Diagnostik unrecht war, so gewiß durfte man auch nach der neurotischen Seite hin sondern, und da man Neurasthenie, Angstneurose u. dgl. im reinen Zustande kannte, brauchte man sie in der Kombination nicht mehr zu übersehen.
Es schien also folgende Auffassung die berechtigtere: Die gewöhnlich vorkommenden Neurosen sind meist als »gemischte« zu bezeichnen; von der Neurasthenie und der Angstneurose findet man ohne Mühe auch reine Formen, am ehesten bei jugendlichen Personen. Von Hysterie und Zwangsneurose sind reine Fälle selten, für gewöhnlich sind diese beiden Neurosen mit einer Angstneurose kombiniert. Dies so häufige Vorkommen von gemischten Neurosen rührt daher, daß deren ätiologische Momente sich so häufig vermengen; bald nur zufälligerweise, bald infolge von kausalen Beziehungen zwischen den Vorgängen, aus denen die ätiologischen Momente der Neurosen fließen. Dies läßt sich unschwer im einzelnen durchführen und erweisen; für die Hysterie folgt aber hieraus, daß es kaum möglich ist, sie für die Betrachtung aus dem Zusammenhange der Sexualneurosen zu reißen; daß sie in der Regel nur eine Seite, einen Aspekt des komplizierten neurotischen Falles darstellt und daß sie nur gleichsam im Grenzfalle als isolierte Neurose gefunden und behandelt werden kann. Man darf etwa in einer Reihe von Fällen sagen: a potiori fit denominatio.
Ich will die hier mitgeteilten Krankengeschichten daraufhin prüfen, ob sie meiner Auffassung von der klinischen Unselbständigkeit der Hysterie das Wort reden. Anna O., die Kranke Breuers, scheint dem zu widersprechen und eine rein hysterische Erkrankung zu erläutern. Allein dieser Fall, der so fruchtbar für die Erkenntnis der Hysterie geworden ist, wurde von seinem Beobachter gar nicht unter den Gesichtspunkt der Sexualneurose gebracht und ist heute einfach für diesen nicht zu verwerten. Als ich die zweite Kranke, Frau Emmy v. N., zu analysieren begann, lag mir die Erwartung einer Sexualneurose als Boden für die Hysterie ziemlich ferne; ich war frisch aus der Schule Charcots gekommen und betrachtete die Verknüpfung einer Hysterie mit dem Thema der Sexualität als eine Art von Schimpf – ähnlich wie die Patientinnen selbst es pflegen. Wenn ich heute meine Notizen über diesen Fall überblicke, ist es mir ganz unzweifelhaft, daß ich einen Fall einer schweren Angstneurose mit ängstlicher Erwartung und Phobien anerkennen muß, die aus der sexuellen Abstinenz stammte und sich mit Hysterie kombiniert hatte.