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Die Geschichte Josephs gehört zu den Begebenheiten in der Bibel, die uns besonders zu Herzen gehen. Kinder finden an dieser Geschichte bereits ihre Freude, aber der größte Gelehrte ist gleichzeitig nicht in der Lage, sie in ihrer ganze Tiefe zu erfassen.
Wir können die Geschichte Josephs – wie viele andere Begebenheiten im Alten Testament – unter drei Gesichtspunkten betrachten.
Unter diesem dritten Gesichtspunkt wollen wir uns in dieser Arbeit ein wenig mit einigen Passagen aus dem Leben Josephs beschäftigen. Der Leser erwarte keine Vers-Führ-Vers-Abhandlung der Geschichte Josephs. Wir werden bestimmte Abschnitte herausgreifen und uns dabei die Frage stellen: Wie können wir hier unseren Herrn und Heiland besser kennenlernen? Wir wollen das Licht des Neuen Testaments auf diese alte Geschichte fallen lassen und werden dabei Herrlichkeiten und Schönheiten entdecken, die uns sonst verborgen bleiben würden.
Fußnoten
[1] Diese Schriften können nur die des Alten Testaments sein, denn andere Schriften gab es zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Unter den vielen Gottesmännern, deren Leben uns im Alten Testament beschrieben wird, nimmt das Leben Josephs in gewissem Sinn eine Sonderstellung ein. Andere Gottesmänner wie z. B. David, Salomo, Simson und Jona waren nur zeitweise oder in ganz bestimmten Lebenssituationen ein Bild von dem Herrn Jesus, da in ihrem Leben Fehlverhalten gefunden und beschrieben wurde[1]. Das Leben Josephs aber ist fast durchgängig ein Hinweis auf den Herrn Jesus. Natürlich war auch Joseph ein fehlbarer Mensch, aber es fällt auf, dass uns – abgesehen von der einen oder anderen Schwäche – keine direkte Sünde von ihm berichtet wird. Deshalb war er – wenn auch selbst nicht vollkommen – besonders geeignet, in seinem Leben etwas von der Person des Herrn Jesus vorzustellen.
Die große Linie, die sich durch das Leben Joseph als Vorbild auf den Herrn Jesus zieht, lautet:
Durch Leiden zur Herrlichkeit
Josephs Weg war ein Weg, der durch tiefe Leiden führte. Er hat im Haus seines Vaters unter der Hand seiner Brüder gelitten. Er hat gelitten, als seine Brüder ihn ablehnten, in die Grube warfen und nach Ägypten verkauften. Er hat gelitten, als er ein Sklave bei Potiphar war. Er hat gelitten, als er inhaftiert wurde und zu Unrecht im Gefängnis war. Doch am Ende dieser Leidenszeit stand er vor dem Pharao und wurde von diesem zum Herrscher über Ägypten gemacht.
Das alles weist uns auf unseren Herrn Jesus hin. Auch sein Weg war ein Weg unendlicher Leiden, aber es war ein Weg, der ihn zur höchsten Herrlichkeit führte. Philipper 2 macht uns das sehr eindrucksvoll klar: „... Christus Jesus ..., der ... sich selbst zu nichts machte und Knechtsgestalt annahm, indem er in Gleichheit der Menschen geworden ist, und, in seiner Gestalt wie ein Mensch erfunden, sich selbst erniedrigte, indem er gehorsam wurde bis zum Tod, ja, zum Tod am Kreuz. Darum hat Gott ihn auch hoch erhoben und ihm den Namen gegeben, der über jeden Namen ist, damit in dem Namen Jesu jedes Knie sich beuge, der Himmlischen und Irdischen und Unterirdischen, und jede Zunge bekenne, dass Jesus Christus Herr ist, zur Verherrlichung Gottes, des Vaters“ (Phil 2,5–11).
Als der Herr Jesus sich mit den Emmaus-Jüngern unterhielt, sagt er ihnen: „Musste nicht der Christus dies leiden und in seine Herrlichkeit eingehen“ (Lk 24,26)? Petrus schreibt später, dass schon die alttestamentlichen Schreiber – geleitet durch den Heiligen Geist – von den „Leiden, die auf Christus kommen sollten und von den Herrlichkeiten danach“ zuvor gezeugt hatten (1. Pet 1,11). In seinem ersten Brief spricht Petrus immer wieder von diesem gewaltigen Gegensatz: den Leiden des Christus und seinen Herrlichkeiten danach. Ja, Christus hat gelitten wie nie ein Mensch vorher und nachher. Er hat unter der Hand seines eigenen Volkes gelitten. Er hat unter der Hand der Nationen gelitten. Aber Christus ist auch auf eine einzigartige Weise verherrlicht worden.
Als Jakob am Ende seines Lebens seine Söhne segnet (1. Mo 49), gibt er seinem Sohn Joseph zwei Titel. Er nennt ihn erstens „den Sohn eines Fruchtbaumes“ und zweitens „den Abgesonderten unter seinen Brüdern“ (1. Mo 49,22.26). Diese beiden Titel geben uns eine Einteilung zum Leben Josephs:
Fußnoten
[1] Eine weitere Ausnahme finden wir bei Daniel, der allerdings in erster Linie ein Vorbild für uns ist und weniger ein Hinweis auf den Herrn Jesus.
Der erste Abschnitt der Geschichte Josephs beschäftigt sich mit dem Leidensweg, den dieser junge Mann ging. Er wird uns in drei großen Teilen vorgestellt:
Wir erkennen darin unschwer den Weg unseres Herrn und Heilands. Er war der Geliebte des Vaters, der von den Menschen gehasst wurde. Er kam zu seinem irdischen Volk Israel und wurde von ihnen abgelehnt. Sie ruhten nicht eher, bis sie ihn zum Tod verurteilt hatten. Der Herr kam aber auch in diese Welt und die Welt hat ihn nicht erkannt. Die Nationen (Heiden) wurden genauso schuldig an seinem Tod wie die Juden.
In Kapitel 37 findet die Geschichte Jakobs ihre Fortsetzung in seinem Sohn Joseph. Die einleitenden Verse 1–11 zeigen uns einerseits die Person Josephs, andererseits sehen wir den Hass der Brüder.
Gleich zu Beginn wird uns Joseph als Hirte vorgestellt (V. 2). Er weidete die Herde mit seinen Brüdern. Es liegt nahe, dabei an den Herrn Jesus zu denken, der sich im Neuen Testament selbst als der „gute Hirte“ vorstellt und der in den Briefen der „große Hirte“ und „der Erzhirte“ genannt wird.
Joseph ist nicht der einzige Gottesmann im Alten Testament, der seine Laufbahn als Hirte begann. Unter den verschiedenen Hirten, die uns gezeigt werden, erinnern wir uns an zwei Männer, deren Weg deutliche Parallelen zu dem Weg Josephs aufweist. Es sind Mose und David. Auch sie wurden zuerst von ihren Brüdern abgelehnt und abgewiesen, bevor Gott sie dann in verantwortlicher Position gebrauchen konnte. Dennoch gibt es Unterschiede zwischen den dreien:
Alle drei zeigen uns etwas von der Herrlichkeit unseres Herrn. Er wurde abgelehnt, ist aber nach vollbrachtem Werk am Kreuz sowohl der Retter der Welt, der Führer seines Volkes und der König der Könige und Herr der Herren.
Der Beruf des Hirten steht in der Bibel in einem bemerkenswerten Gegensatz zu dem Beruf des Jägers. Der erste Jäger in der Bibel war Nimrod, „ein Gewaltiger auf der Erde“ (1. Mo 10,8). Der Jäger tötet, während der Hirte das Gegenteil tut. Er bemüht und kümmert sich um die Schafe. Er hat ein Herz für die ihm anvertrauten Tiere. Deshalb sind große Führer in der Bibel in ihrer Jugend oft Hirten gewesen. Bevor sie Menschen führen konnten, haben sie Schafe geführt. Der Hirte sucht, er führt zurück, er verbindet, er stärkt, er sorgt für Nahrung, er schützt. Er wird von Hingabe, Treue, Sanftmut und Mitempfinden gekennzeichnet. Wir brauchen nur ein Kapitel wie Hesekiel 34 zu lesen, um ein Bild davon zu bekommen, was ein guter Hirte tut.
Das alles finden wir vollkommen im Leben des Herrn Jesus. Er war gekommen, um zu suchen und zu erretten, was verloren ist. Prophetisch lesen wir von unserem Herrn: „Er erwählte David, seinen Knecht, und nahm ihn von den Schafhürden; hinter den Säugenden weg ließ er ihn kommen, um Jakob, sein Volk, zu weiden, und Israel, sein Erbteil. Und er weidete sie nach der Lauterkeit seines Herzens, und mit der Geschicklichkeit seiner Hände leitete er sie“ (Ps 78,70–72). Als er hier auf der Erde war, sagte er selbst: „Ich bin der gute Hirte; der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe“ (Joh 10,11). Er war gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel (Mt 10,6), aber er hatte auch andere Schafe, die nicht aus dem Schafhof Israels waren (Joh 10,16). Es ist für uns ein unbeschreibliches Glück, ihn als den Hirten zu kennen!
In Ägypten sollte Joseph einmal zum Herrscher über das ganze Land werden. Doch sein Weg begann nicht als Regent, sondern als Diener. So war es in dem Plan Gottes vorgesehen. Joseph war als Knabe (als Knecht) bei seinen Brüdern.
Der Herr Jesus belehrte seine Jünger einmal so: „Wer irgend unter euch groß werden will, soll euer Diener sein; und wer irgend unter euch der Erste sein will, soll euer Knecht sein“ (Mt 20,26.27). Darin ist der Herr Jesus selbst das vollkommene Vorbild. Er sagt: „Ich aber bin in eurer Mitte wie der Dienende“ (Lk 22,27). Obwohl er der Sohn Gottes war, kam er nicht auf diese Erde, um bedient zu werden, „sondern um zu dienen und sein Leben zu geben als Lösegeld für viele“ (Mk 10,45). Er war es, der es nicht für einen Raub achtete Gott gleich zu sein, und der doch Knechtsgestalt annahm und sich selbst erniedrigte (Phil 2,7–9). Das Wort „Knechtsgestalt“ bedeutet wörtlich „Sklavengestalt“. Das zeigt uns, wie tief die Erniedrigung unseres Herrn war. Im Alten Testament war es schon angekündigt worden, dass er „der Knecht“ sein würde (z.B. Jes 52,13). Beim Lesen des Markus-Evangeliums wird uns diese Herrlichkeit des Herrn Jesus als Knecht besonders groß.
Dann wird uns in Vers 2 der Wirkungskreis von Josephs Dienst gezeigt. Er war bei den Söhnen Bilhas und Silpas. Bei diesen Brüdern wird er es nicht einfach gehabt haben. Es ist bemerkenswert, dass die Namen der Mütter hier genannt werden. Bilha und Silpa waren Nebenfrauen von Jakob. Sie waren Mägde der eigentlichen Frauen Rahel und Lea. In Galater 4 wird Hagar, die Magd Saras, vorgestellt. Dort wird mehrfach ein Gegensatz aufgezeigt zwischen „der Magd“ und „der Freien“. Die Magd war nicht frei. So war das Volk Israel, zu dem der Herr Jesus kam, nicht frei. Sie befanden sich nicht nur in der Macht Satans, sondern sie waren ein von den Römern beherrschtes Volk. Und doch galt gerade ihnen der Dienst des Herrn Jesus – so wie Joseph den Söhnen der Mägde diente.
Joseph war der Abgesonderte unter seinen Brüdern. Er diente zwar mit seinen Brüdern. Er lebte in ihrer Mitte. Dennoch hatte er ganz offensichtlich mit ihrem bösen Tun keinerlei Gemeinschaft. Er war davon völlig getrennt. Gleichzeitig zog es ihn hin zu seinem Vater. Mit ihm konnte er über das schlechte Verhalten der Brüder reden. „Er brachte ihre üble Nachrede (ihren üblen Ruf) vor ihren Vater“ (V. 2). Was die Brüder taten, muss Joseph geschmerzt haben. Er war ganz anders.
Was muss der Herr Jesus empfunden haben, als er hier auf der Erde war. Die Erde war voll Gewalttat und Sünde. Dort erschien er als der Reine und Heilige. Er war vollkommen von der Sünde getrennt. Er kannte keine Sünde. Er tat keine Sünde. Sünde war und ist nicht ihn ihm. So hat er unter Sündern gelebt, mit ihnen gesprochen und mit ihnen gegessen. Aber niemals hat das böse Tun dieser Menschen einen negativen Einfluss auf ihn gehabt. Er war und blieb das Speisopfer, „Feinmehl, gemengt mit Öl“. Ein geschätzter Ausleger schreibt: „Seine Gnade brachte Ihn uns sehr nahe in all unserer Not, aber Seine Heiligkeit hielt Ihn völlig getrennt von allen unseren Sünden. Er war der himmlische Fremdling auf dieser Erde.“
Und doch hat der Herr Jesus darunter gelitten, die Folgen der Sünde zu sehen. Noch mehr als Joseph hat er es empfunden, was es bedeutete, dass seine Mitmenschen so große Sünder waren. Und wie Joseph hat der Herr Jesus Zeugnis davon gegeben. Er sagte von der Welt: „Mich aber hasst sie, weil ich von ihr zeuge, dass ihre Werke böse sind“ (Joh 7,7). Und wie Joseph mit seinem Vater darüber Austausch hatte, so auch unser Herr in viel tiefer gehender Weise. In Johannes 17 sehen wir z. B., wie der Herr Jesus mit seinem Vater über die Welt und ihren Hass redete.