Die spanische Ausgabe erschien 2016 unter dem Titel «Azul Marino» bei Ediciones Siruela, S.A., Madrid.
Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, Juni 2019
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«Azul Marino» Copyright © 2017 by Rosa Ribas & Sabine Hofmann
Die Übersetzung der Zeile des Gedichtes von Francisco de Quevedo auf Seite 28 stammt von Werner von Koppenfels und ist erschienen in: Francisco de Quevedo, Gedichte aus dem Turm, Mainz: Dietrich’sche Verlagsbuchhandlung, 2003, S. 154.
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Redaktion Johanna Schwering
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ISBN Printausgabe 978-3-499-27307-0 (1. Auflage 2019)
ISBN E-Book 978-3-644-30018-7
www.rowohlt.de
Hinweis: Alle angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Printausgabe.
ISBN 978-3-644-30018-7
Für Juan Ribas.
Für die Erinnerungen.
Für die Geschichten.
Für alles.
«Hurengeschiss.»
Ein Fluch war sicher nicht die beste Art, den Tag zu beginnen, aber in der letzten Zeit gehörte das für Isidro Castro genauso dazu wie der starke Kaffee, den er trank, bevor er das Haus verließ, und das stumme Nicken, mit dem er jeden Morgen die beiden Polizisten links und rechts des Eingangs zum Präsidium grüßte.
An diesem Montag fluchte er noch einmal, als er nach einem Gespräch mit seinem Vorgesetzten in sein Büro zurückkehrte. Er öffnete das Fenster, und der Verkehrslärm der Vía Layetana füllte den kleinen Raum. Castro blickte auf Fahrzeuge und Menschenmassen hinunter. Das zögerliche Blau des Morgenhimmels war grauen Wolkenmassen gewichen. Der Inspektor musterte sie verächtlich. Nicht einmal einen ordentlichen Regen bekam diese Stadt hin. In all den Jahren hatte er hier noch nie Regen wie den in Galicien gesehen. Das war echter Regen und nicht das Hin und Her, das einem hier in Barcelona als Regen verkauft wurde: entweder regelrechte Wolkenbrüche oder ein fades Geniesel, genauso überempfindlich und unentschieden wie die Menschen in dieser Stadt, die er nicht mochte und auch nie mögen würde, selbst wenn seine Kinder hier geboren waren. Er zündete sich eine neue Zigarette an und schickte eine dichte Rauchwolke hinunter auf die Straße, in der Hoffnung, dass sie auf diese Weise aus seinem Blickfeld verschwand. Vor einigen Monaten hatte er wieder angefangen zu rauchen, obwohl seine Frau seinen Tabakatem widerlich fand. Allzu häufig küssten sie sich allerdings ohnehin nicht mehr.
«Hurengeschiss.»
Kommissar Goyanes hatte ihm einen neuen Fall übertragen. Das war im Prinzip gut, wenn es da nicht zwei Haken gegeben hätte. Zum einen war er im Moment mit einer anderen Ermittlung beschäftigt, keine große Sache, aber noch nicht abgeschlossen. Wenn Castro etwas nicht mochte, dann waren es halbgelöste Fälle, umso mehr, wenn andere hinterher die Lorbeeren für den Abschluss kassierten, wie jetzt bei dem Fall mit dem Enkeltrick.
Das Schlimmste aber war, dass der neue Fall etwas mit Ausländern zu hatte. Mit Amerikanern. Seit die Schiffe der Sechsten Flotte vor ein paar Jahren begonnen hatten, den Hafen von Barcelona anzulaufen, missfielen ihm die Horden hochgewachsener Matrosen, die mit schlingerndem Schritt, lautem Geschrei und lächerlich schief sitzenden Mützchen in die Stadt einfielen.
Er mochte die Amerikaner einfach nicht. Nicht unbedingt, weil sie da drüben alle Protestanten waren. Es waren ihre Allüren, sich als große Verteidiger der Freiheit zu gebärden. Als ob das etwas Wichtiges oder Notwendiges wäre. Die Arroganz, mit der sie auf die Spanier herabblickten, als seien sie eine Art Pygmäen. Ihre Weise, mit Dollars um sich zu werfen, damit die Leute nach ihnen schnappten wie Seehunde im Zirkus. Ihre Sprache, ihre Musik, ihr verdammter Kaugummi, den sie wie Wiederkäuer malmten. Ihr Tabak allerdings war hervorragend, das musste man ihnen lassen. Castro rauchte trotzdem weiterhin spanischen. Er nahm einen langen Zug von seiner Zigarette.
Und nun also ein toter Amerikaner. Ein Matrose von einem der Schiffe der Sechsten Flotte, die gerade wieder im Hafen vor Anker lag. Erstochen.
«Hurengeschiss!», sagte er noch einmal, als ihm sein Gespräch mit Kommissar Goyanes wieder einfiel.
«Dass ein Toter in dem Lokal lag, haben sie erst gemerkt, als die Militärpolizei erschien.»
Während er Goyanes’ Ausführungen zuhörte, klebte Castros Blick am rechten Mundwinkel des Kommissars, der nervös zuckte. Seit einigen Wochen war sein Chef besonders angespannt. Stundenlang verharrte er in stumpfer Lethargie, bis er plötzlich zu frenetischen Aktivitätsschüben erwachte, herumbrüllte, mit der Faust auf den Tisch schlug, die Türen knallte und seinen Untergebenen mit seinem Kontrollwahn das Leben schwermachte. Castro hatte sich nie für politische Winkelzüge interessiert und sich von Seilschaften jeder Art ferngehalten, aber den Gerüchten im Präsidium aus dem Weg zu gehen war unmöglich.
«Die Wasser oben sind trüb», hatte ein Kollege nach dem letzten Tobsuchtsanfall des Kommissars zu ihm gesagt und dabei mit dem Daumen in Richtung Decke gedeutet.
Castro hatte lediglich das schiefe Sprachbild kommentiert, indem er bemerkt hatte, dass Schlamm immer von unten kam; der andere hatte, trotz Castros deutlichem Desinteresse, dennoch hinzugefügt, dass im Land ein neuer Wind wehe, die alte Garde immer mehr Terrain verliere und damit auch ihre ergebenen Jünger, zu denen auch Goyanes als treuer Anhänger der Falange gehörte.
Das war wohl der Grund für Goyanes’ zuckenden Mundwinkel und die nahezu hysterische Dringlichkeit, mit der er Castro den Fall schilderte.
«Der Matrose befand sich in einem Séparée, mit dem Kopf auf der Tischplatte. Als man ihn aufrichtete, war der tiefe Schnitt am Hals zu sehen. Wahrscheinlich eine wüste Schlägerei. Wie viele dabei waren, ist noch nicht bekannt …»
«Aber ist das nicht Sache der amerikanischen Militärpolizei? Um diese Schlägereien kümmern die sich doch selbst.» Castro presste den Rücken gegen die Stuhllehne. Seit einigen Wochen spürte er Stiche neben den Lendenwirbeln. Das Alter, sagte er sich. Im August war er siebenundfünfzig geworden. Der Schmerz kam wahrscheinlich von den Sorgen, die ihm sein älterer Sohn, Cristóbal, machte.
«Ja, aber wir haben einen Toten auf spanischem Boden, und offenbar waren nicht nur Amerikaner an der Schlägerei beteiligt. Deshalb hat das amerikanische Militär uns um unsere Mitarbeit gebeten. Sowohl unser Militärgouverneur als auch der Zivilgouverneur haben sofort zugesagt.» Goyanes machte eine Pause, sein Blick richtete sich auf einen Punkt hinter Castro. «Wenn sie sich schon gegenseitig umbringen müssen, sollen es diese verdammten Amerikaner auf ihren Schiffen tun. Nichts als Probleme machen sie uns, nichts als Probleme. Und wir, wir haben ihnen das Land verkauft, Isidro. Der Caudillo wurde schlecht beraten. Sie mögen noch so stramme Antikommunisten sein, unsere Verbündeten sind sie längst nicht, denn sie haben nicht unsere Prinzipien, nicht unsere Moral … Und jetzt auch noch das.»
Er verstummte. Falangisten wie Goyanes waren diejenigen gewesen, die sich am meisten gegen ein Abkommen mit den Amerikanern gewehrt hatten.
Castro wartete schweigend. Obwohl er die Abneigung seines Vorgesetzten durchaus teilte, würde er ihm auf keinen Fall beipflichten.
Goyanes’ nahezu quadratisches Gesicht, von einem feinen Schnurrbart in zwei gleich große Hälften geteilt, verdüsterte sich zwischen dem Porträt Francos und dem des Falange-Gründers José Antonio. Bis auf das nervöse Zucken im rechten Mundwinkel war es genauso reglos wie die Gesichter der beiden Männer auf den Bildern. Nach einer Weile blinzelte Goyanes und kehrte in die Wirklichkeit zurück.
«Oben heißt es, dies sei eine ausgezeichnete Gelegenheit, aller Welt die gute Beziehung zwischen unseren beiden Ländern zu zeigen. Merkwürdigerweise ist vor allem der Zivilgouverneur daran interessiert. Na ja, genau genommen ist das nicht so merkwürdig: Sein Stuhl wackelt, und er braucht dringend Erfolge. Umso mehr, als im Dezember der amerikanische Präsident, dieser Eisenhower, den Caudillo besuchen wird. Egal. Das Entscheidende ist, dass dies nun unser Fall ist, Isidro. Genauer gesagt: deiner.»
«Comisario, ich bearbeite zurzeit noch eine andere Sache …»
Sein Vorgesetzter ignorierte den Einwand und sprach mit abwesendem Blick weiter.
«Das ist ein vergifteter Fall, Isidro. Vergiftet. Ein Fall mit politischen Verwicklungen. Meine Feinde liegen schon lange auf der Lauer. Bei der erstbesten Gelegenheit werden sie meinen Kopf fordern. Dieser Fall hier ist eine solche Gelegenheit, denn jeder Fehler wird den Verantwortlichen teuer zu stehen kommen. Und genau deshalb wurde er mir übertragen. Sie wollen meinen Kopf.»
Dann wackelt dein Stuhl also auch, dachte Castro und fragte: «Und warum geben Sie ihn mir?»
Der Kommissar verpasste dem Tisch einen seiner üblichen Faustschläge.
«Du willst wohl immer wieder hören, dass du der Beste bist, was?»
So gereizt, wie Goyanes’ Stimme klang, hätte seine Bemerkung ebenso gut eine Beleidigung sein können.
«Nun ja …»
«Schau, Isidro, wir müssen mit ihnen zusammenarbeiten, wir müssen gut arbeiten, und wir müssen ihnen zeigen, dass wir nicht die Hinterwäldler sind, für die sie uns halten. Wir müssen …»
Goyanes nannte noch weitere Dinge, die sie unbedingt müssten, bis ihm die Luft ausging.
«Gewiss, Comisario, ich habe nur gedacht …»
«Denk nicht so viel, Isidro, gehorche lieber.»
Castro ärgerte sich über die Bemerkung seines Vorgesetzten, aber er ließ es sich nicht anmerken. Er stand auf. «Gut, dann fang ich mal an.»
«Du musst dich noch etwas gedulden. Ich habe dir ja gesagt, dass wir uns mit den Amerikanern abstimmen müssen. Morgen hast du sämtliches Material und kannst beginnen.» Als er Castros irritierten Blick sah, fügte Goyanes hinzu: «Ja, ich weiß schon. Die Leiche wird alles andere als warm sein, aber so sind die Befehle von oben. Also halten wir schön die Füße still. Morgen früh um zehn hast du einen Termin im amerikanischen Konsulat. Es ist nicht weit von hier, die Straße rauf bis zur Calle Junqueras und dann bist du schon da, der Weg reicht gerade mal für eine Zigarette. Dort lernst du den amerikanischen Polizisten kennen, der mit dir arbeiten wird.»
«Ach so?» Castro blieb mitten im Raum stehen, die Arme eng am Körper, Stimme und Gesicht ausdruckslos. «Und was sollen wir tun, dieser Amerikaner und ich?»
«Gemeinsam ermitteln.»
«Gemeinsam ermitteln.»
Goyanes’ Äußerung war ein Befehl, Castros eine tonlose Frage.
«So sieht es aus: Ihr werdet zusammenarbeiten, Hand in Hand. Morgen werden sie dir alle Informationen geben, über den Toten, die Schlägerei und was du sonst noch brauchst.»
«Comisario, ich spreche kein Englisch.»
Der Kommissar zuckte mit den Schultern. «Das musst du auch nicht. Sie haben einen Dolmetscher.»
Da Castro nicht reagierte, fühlte sich Goyanes anscheinend bemüßigt, ihm ein paar aufmunternde Worte zu sagen.
«Mach dir keine Sorgen. Am Ende wird sich rausstellen, dass es ein ganz banaler Fall ist. Bei all den Schlägereien, die die Amerikaner sich liefern, musste irgendwann so etwas passieren.»
Castro hätte ihn fragen können, warum er ihn, wenn die Sache so banal war, von einem Fall abzog und ihn mit einer solchen Banalität beschäftigte, aber er wusste, jeder Einwand war reine Zeitverschwendung.
Er hatte die Türklinke schon in der Hand, als die Stimme seines Vorgesetzten ihn zurückhielt.
«Eine Sache noch. Kein Wort hierüber. Zu niemandem, vor allem nicht zu Segura oder Rovira.»
Castro nickte knapp und verließ den Raum. Goyanes’ letzte Anweisung war überflüssig. Segura und Rovira gehörten zu den Parteigängern von Montesdeoca, einem neuen Polizeioffizier, der gerade frisch aus Madrid eingetroffen war und kräftig auf den Putz haute. Er war als neuer Chef der Brigada de Investigación Criminal im Gespräch. Goyanes selbst hatte seinerzeit nach einem steilen Aufstieg seinen Vorgänger aus dem Amt gedrängt. Dank seiner Verschlagenheit hatte er seine Stellung lange halten können, sogar als einige seiner politischen Schutzpatrone von Machtkämpfen hinweggefegt worden waren, über die Castro weit mehr wusste, als ihm lieb war. Nun fürchtete Goyanes offenbar, als Nächster an der Reihe zu sein.
Castro fluchte. Das hatte ihm gerade noch gefehlt: Ausländer und hausinterne Zwistigkeiten.
«Hurengeschiss.»
Castro setzte sich an seinen Schreibtisch und warf einen Blick in die Akte zu dem Fall mit dem Enkeltrick. Ein junger Mann tauchte bei einsamen alten Frauen auf, deren Angehörige das Land im Krieg verlassen hatten, und stellte sich als ein aus dem Exil heimgekehrter Enkel vor, der sie endlich, nach Jahren in Südamerika und einer langen Suche, gefunden hatte.
«Liebe Oma, nun ist mein größter Wunsch in Erfüllung gegangen.» Er führte sie hinters Licht, sprach mit falschem argentinischem oder mexikanischem Akzent, die Damen schenkten ihm ihr Vertrauen, überließen ihm die Wohnungsschlüssel, später ihr Geld, und am Ende waren sie wieder allein und noch dazu mittellos. Castro war ihm dicht auf den Fersen, eine Frage von ein paar Tagen, mehr nicht. Und gerade jetzt kam Goyanes mit dem anderen Fall daher. Er riss seine Bürotür auf und brüllte den Flur hinunter: «Sevilla!»
Sein Untergebener, der einzige Beamte, dem er im Präsidium vertraute, erschien prompt.
«Hast du mit dem letzten Opfer schon gesprochen?»
«Ich war gerade auf dem Weg.»
«So ein Zufall. Und jetzt erzähl mir nicht, dass ich dich davon abhalte.»
Sevilla blinzelte, ohne etwas zu sagen. Sie arbeiteten seit einigen Jahren zusammen, und Sevilla wusste, wann er besser den Mund hielt. Seine Gefügigkeit rief in Castro manchmal den zufriedenen Stolz eines Dompteurs hervor, der ein wildes Tier allein mit seiner Stimme und der erhobenen Peitsche zu dirigieren weiß. Darunter mischte sich bisweilen Bedauern darüber, dass sie niemals Freunde sein würden, obwohl er Sevilla im Grunde sehr schätzte. Aber Hierarchien verpflichteten nun einmal zu Distanz. Und Hierarchien durfte man ebenso wenig brechen wie eine Wirbelsäule, daraus folgten nur Lähmung oder Tod.
Sevilla stand vor ihm, hager und aufrecht, die seitlich herabhängenden Hände trommelten ungeduldig auf die Oberschenkel. Castro forderte ihn auf, sich zu setzen, und berichtete von seinem Gespräch mit Goyanes.
«Wo haben sie ihn gefunden?», fragte Sevilla.
«Im Metropolitano, in der Calle Conde del Asalto.»
«Das ist ja ein besonders feines Lokal», sagte Sevilla ironisch. «Soll ich hingehen?»
«Nein. Wir müssen auf die Amerikaner warten.»
«Und warum haben Sie es dann so eilig? Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich gerade …»
«Sevilla, werd nicht frech. Wenn ich sage, du kommst, dann kommst du. Basta.»
«Wie Sie befehlen, Chef, aber logisch ist es nicht.»
«Logisch!», murmelte Castro verächtlich, während er nach der nächsten Zigarette angelte. «Denk nicht so viel, gehorche lieber.»
Castro ärgerte sich, weil er sich dabei ertappte, dieselbe Wendung zu benutzen wie der Kommissar. Er wollte Goyanes auf keinen Fall in irgendeiner Hinsicht ähneln. Der Mann war sein Vorgesetzter, er befolgte seine Anweisungen, Punkt. Einige Male hatte er daran gedacht, sich in eine andere Abteilung versetzen zu lassen, aber man würde ihn vermutlich fragen, warum er das angesehenste Dezernat verlassen wollte, und dann würde die seit Jahren hinuntergeschluckte Abscheu vor den schmutzigen Manövern seines Chefs in einem Schwall aus ihm herausbrechen, wie Eiter aus einem Furunkel. Also sagte er nichts, nicht aus Rücksicht auf Goyanes, sondern auf die Institution, der er pflichtbewusst und stolz diente. Er hörte lieber zu und warf den Haken in ein schon geöffnetes Maul.
Und jetzt redete er schon selbst wie Goyanes. Wenn Sevilla auch nichts von seinem Fauxpas ahnte, war er Castro dennoch peinlich, und deshalb erzählte er seinem Untergebenen in komplizenhaftem Ton von der geplanten Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Militärpolizisten.
«Aber wie wollen Sie denn miteinander reden?»
«Wir bekommen einen Dolmetscher.»
«Und Sie wollen sich auf das verlassen, was einer von denen übersetzt?» Sevilla verschränkte seine langen, dünnen Arme vor der Brust.
«Was soll mir wohl anderes übrigbleiben?»
Mit seiner Bemerkung versuchte er zu kaschieren, dass ihn Sevillas Einwand beunruhigte. Das Treffen im Konsulat war ein Auswärtsspiel. Er wäre vollkommen auf die Person angewiesen, die seine Worte übersetzte, und er würde nicht verstehen, was die Amerikaner untereinander redeten, ob sie sich über ihn lustig machen oder ihn übers Ohr hauen wollten. Abhängig und machtlos, das würde er sein. Die Vorstellung behagte ihm ganz und gar nicht, an Abhängigkeit und Machtlosigkeit war er nicht gewöhnt. Nein, es war nicht nur ein Auswärtsspiel, sondern dazu noch eins, bei dem selbst der Schiedsrichter zur gegnerischen Mannschaft gehörte.
Sevilla wartete auf Befehle.
«Gut. Reden wir darüber, warum ich dich gerufen habe. Wenn ich recht verstanden habe, arbeite ich allein mit den Amerikanern und vielleicht einigen Polizisten für die Kleinigkeiten. Ich traue der ganzen Sache allerdings nicht, deshalb wirst du parallel Ermittlungen anstellen. Inoffiziell. Daher zu niemandem ein Wort darüber, ist das klar?»
«Selbstverständlich.»
«Zu niemandem heißt zu wirklich niemandem.»
«Wollen Sie mich beleidigen, Chef?» Gekränkt drehte Sevilla den Kopf zur Seite.
«Entschuldige, Sevilla. Den Fall mit dem Enkeltrick übergeben wir an Kollegen.»
Da sein Untergebener ihn verblüfft ansah, fügte er hinzu: «Glaubst du, mir macht das Spaß? Den Fall haben wir beide beinahe gelöst, und jetzt verschenken wir ihn. Fehlt nur noch eine Schleife drum. Aber Befehl ist Befehl. Stell die Unterlagen zusammen.»
«Für wen soll denn das Päckchen sein?»
Castro überlegte einen Moment. Er erinnerte sich an Goyanes’ Warnung.
«Für Rovira und Segura.»
«Aber Chef! Das sind doch Leute von Montesdeoca!»
«Das brauchst du mir nicht zu erzählen.»
«Dann erklären Sie mir, warum gerade die beiden.»
Castro bohrte seinen Blick in Sevillas Augen, bis dieser immer mehr von der Tischkante zurückwich. Dann sagte er, ohne die Stimme zu heben oder das Gesicht zu verziehen:
«Dir muss ich überhaupt nichts erklären.»
Nie im Leben würde er zugeben, dass sich dahinter der Versuch verbarg, sich Kommissar Montesdeoca zu nähern. Wenn Sevilla es erraten und sich getraut hätte, eine entsprechende Bemerkung zu machen, hätte er ihn hochkant aus dem Büro geworfen. So aber schwiegen sie beide einen Moment lang, bis Castro ein listiges Funkeln in Sevillas Augen bemerkte.
«Ein Geschenk für Segura und Rovira, klar, Chef. Wie früher, wenn man als Kind ein gebrauchtes Spielzeug geschenkt bekam und immer ein Teil fehlte, oder?» Sevilla hatte die Stimme zu einem verschwörerischen Flüstern gesenkt.
Mit einem barschen «Warum nicht?» signalisierte Castro seine Zustimmung.
Sevilla ahnte nicht, dass Castro in diesem Augenblick eingefallen war, dass vor ein paar Monaten, just in dem Moment, als er jemanden für die Übersetzung eines englischen Briefs benötigte, der Zufall, das Glück, das Schicksal oder wie man es immer nennen wollte, dafür gesorgt hatte, dass Ana Martí wegen einer Reportage für ihre Zeitschrift ins Präsidium kam. Die Journalistin hatte ihm den Brief ohne Probleme übersetzt. Wenn die Amerikaner einen Dolmetscher hatten, gut, dann hatte er eben eine Dolmetscherin. Falls sie sich darauf einließ. Das würde sie allerdings, da war er ziemlich sicher, denn er konnte ihr im Gegenzug etwas anbieten, dem sie gewöhnlich nicht widerstehen konnte: eine gute Geschichte.
Sein Gesicht nahm einen für Isidro Castro eher ungewöhnlichen Ausdruck an. Er lächelte.
«Alles in Ordnung, Chef?»
Während sie die Treppen zu ihrer Wohnung hinaufstieg, dachte Beatriz Noguer, dass ihre Epoche, in der aus Klatsch und Tratsch im Handumdrehen Denunziation und Verrat wurden, ein Goldenes Zeitalter für Hausmeister und Concierges war.
«Sie haben es heute aber eilig, Doña Beatriz», hatte Jesús zu ihr gesagt, als sie das Haus betreten wollte. Der Besen, der die Anwesenheit des Hausmeisters auf der Straße rechtfertigen sollte, hatte aufgehört, hin- und herzuschwingen, und Jesús hatte sich in Erwartung eines kleinen Plausches mit beiden Händen auf den Stiel gestützt.
Nein, kein Goldenes Zeitalter, korrigierte sie sich, die heutigen Klatschmäuler waren fade Gestalten, boshafte, kleinkarierte Mitläufer. Mit dem kühnen Einfallsreichtum der Lästerzungen des Siglo de Oro hatten sie wenig gemein. Selbst beim Tratsch gibt es Klasse, und Jesús hatte keine. Den Kopf schiefgelegt wie ein Geier, hatte er sein billiges Sätzchen scheinheilig lächelnd vorgebracht, um ihr kundzutun, dass er sehr wohl registriert hatte, dass sie nun wieder ausging, nachdem sie wochenlang das Haus nicht verlassen hatte.
Sie hatte mit einem Nicken gegrüßt und war schnell vorübergegangen.
Vielleicht glaubte er tatsächlich, sie wisse nichts davon, dass er immer noch, seit Jahren schon, jedem Besucher von dem Dienstmädchen erzählte, das in diesem Haus ermordet worden war. «Es war das Dienstmädchen von Señora Noguer, sie haben sie abgemurkst. In der Küche. Ab-ge-murkst.» Er hatte es auch den jungen Frauen erzählt, die sich auf ihre Anzeige hin gemeldet hatten, und Beatriz war sicher, dass sich so manche nach den Erzählungen des Hausmeisters nicht mehr zu der geräumigen Wohnung in der Beletage des Hauses an der Rambla de Cataluña hochgetraut hatte, um sich als Dienstmädchen zu bewerben.
Beatriz öffnete die Wohnungstür und wurde von Kaffeeduft und den Stimmen aus Luisas Küchenradio empfangen.
Luisa hatte sich von den Geschichten des Hausmeisters nicht abschrecken lassen, sie war hinaufgestiegen und hatte sich vorgestellt, die Anzeige säuberlich ausgeschnitten und gefaltet.
Luisa war mehr Geräusch als körperliche Präsenz. Ein Singen, wenn sie beim Radiohören Schlagerstars wie Joselito, Sara Montiel oder Concha Piquer begleitete, Lachen und erstaunte Ausrufe, wenn sie Radioserien und Wettbewerben lauschte. Leises Türklopfen, um mitzuteilen, dass Frühstück, Mittag- oder Abendessen bereitstanden, eine entfernte Stimme, die Anrufe entgegennahm und sich dann näherte, um etwas auszurichten.
Doch die Stimme, die Beatriz begrüßte, war nicht die Luisas, sondern Anas. Sie kam ihr aus der Bibliothek entgegen.
«Du kommst gerade rechtzeitig. It’s tea time.»
Ihre Cousine Ana wohnte seit etwas mehr als einem Jahr bei ihr. Beatriz hatte es ihr angeboten, nachdem Ana zwei Wochen im Gästezimmer verbracht hatte, um sie wegen einer schlecht ausgeheilten Bronchitis, fast schon einer Lungenentzündung, zu pflegen. In der Wohnung gab es genügend Platz, damit sie beide bequem und sogar unabhängig voneinander dort wohnen konnten. Zu Beatriz’ Freude hatte Ana das Angebot angenommen und war eingezogen. Sie lebte im rückwärtigen Teil der Wohnung. Das alte Schlafzimmer von Beatriz’ Eltern hatte sie zu ihrem gemacht, und die breite, verglaste Galerie zu den Innenhöfen des Blocks hinaus beherbergte nun Anas Arbeitszimmer. Beatriz, in deren Bücherregalen strikte bibliothekarische Ordnung herrschte, war gleichermaßen entsetzt wie amüsiert von Anas Unordnung. Die Bücher standen nach Zufall oder vielleicht auch plötzlicher Eingebung geordnet auf den Regalbrettern, auf dem Fußboden und diversen kleinen Tischchen stapelten sich die Zeitungen, und über den gesamten Schreibtisch lagen Notizzettel verteilt wie von einem Kind im Zorn verstreute Puzzleteile.
Dank ihrer quasi ätherischen Erscheinung war Luisa in der Lage, dort Staub zu wischen und zu fegen, ohne ein einziges Papierstück von seinem Platz zu bewegen.
«Denk daran, die Tür zu schließen», sagte Beatriz ihr jedes Mal, damit die Unordnung nicht in ihr Arbeitszimmer auf der anderen Seite der Wohnung kroch. Wenn sie es gewollt hätten, hätten sie Tage verbringen können, ohne einander zu sehen. Ana, eine größere Liebhaberin von Ritualen als Beatriz, bestand jedoch darauf, dass sie sich um fünf zum Kaffee bei Beatriz trafen, wann immer es die Arbeit erlaubte. Ana war allerdings auf Tee umgestiegen, seit sie einen englischen Konversationskurs besuchte. Manchmal brachte sie ein Päckchen englischen Tee mit, ein Geschenk ihres Lehrers, eines gewissen Lawrence, den Ana zu mögen schien.
Beatriz zog sich um. In der Bibliothek erwartete sie Ana vor einem niedrigen Tisch mit einer Teekanne und, für Beatriz, einer Kaffeekanne, obwohl Ana nicht müde wurde, ihr die Vorzüge des englischen Tees zu preisen. Daneben stand ein Teller mit Gebäck.
«Wie war’s bei den Palau?», fragte Ana.
«Die Erben haben keine Ahnung, was ihnen da in die Hände gefallen ist, aber mit ihrem Raubtier- oder besser ihrem Aasfresser-Instinkt wittern sie, dass etwas Wertvolles dabei ist. Und deshalb brauchen sie mich. Zum Sortieren.»
«Bezahlen sie dich wenigstens anständig?»
«Sie bezahlen mich gut, und ich kann die Dokumente behalten, die keinen finanziellen, möglicherweise jedoch einen wissenschaftlichen Wert haben.»
Sie hoffte, dass ihre Cousine sie nach dem exakten Betrag fragen würde und sie ihr dann nonchalant die saftige Summe nennen könnte. Aber Ana schien ausnahmsweise nicht an exakten Informationen interessiert zu sein. Stattdessen betrachtete ihre Cousine sie mit dem freundlichen, etwas nachsichtigen Lächeln, mit dem man die Fortschritte eines Genesenden quittiert, sie schien sich darüber zu freuen, dass sie Beschäftigung hatte und wieder aus dem Haus ging. Daher sagte Beatriz ironisch: «Genau genommen bin ich die Beraterin der Hyänen, das allerletzte Glied in der Hierarchie.»
«Ach, komm. Hierarchien sind reine Konventionen. Warum ist der Löwe der König? Bloß weil er eine Mähne hat.»
«Du brauchst mich nicht zu bemitleiden.»
«Das tue ich nicht. Sonst würde ich dir das letzte Stück Buttergebäck übrig lassen.» Ana steckte es in den Mund und schloss genießerisch die Augen. «Damit geizen sie immer in der Konditorei. Welche Beutestücke hast du in der Bibliothek des alten Palau denn gefunden?»
«Einige Inkunabeln, die sich vermutlich gut verkaufen lassen werden. Ein paar handsignierte Bücher mit persönlicher Widmung. Sie könnten für einen Sammler interessant sein. Im Grunde ist die Bibliothek eine kleine Schatzkammer. Leider wissen die Erben es nicht zu schätzen. Sie begreifen nicht, dass die Lebensgeschichte ihres Vaters darin steckt.»
Genauso, wie auch Beatriz’ Bücher ihr Leben erzählten. Bücher, die sie mit Leidenschaft gelesen und studiert hatte, Bücher, die sie mit anderen geteilt hatte, andere, die sie selbst geschrieben hatte, selbst Bücher, die fehlten, weil sie sie in Notzeiten verkaufen musste. Alles steckte in ihrer Bibliothek, ihre Vorlieben, ihre Abneigungen. Sogar ihre Liebschaften, dachte sie, als sie traurig fünf in granatrotes Leder gebundene Bände betrachtete.
In diesem Moment klingelte das Telefon auf dem Flur. Sie hörten Luisas Schritte, dann ihre Stimme. Kurz darauf näherten sich ihre Schritte der Bibliothek.
«Señorita Ana, für Sie. Señor Rubio.»
Enrique Rubio rief sie gewöhnlich aus zwei Gründen an: Entweder musste ein Text verändert werden, damit er die Zensur passieren konnte, oder er hatte einen neuen Auftrag für sie. Am Vortag hatte Ana ihm ihren letzten Artikel in seine Wohnung bringen lassen, die zugleich die Barceloneser Redaktion der Zeitschrift El Caso war.
Seit fast fünf Jahren arbeitete sie für ihn. Am Anfang hatte sie sich geschämt, für ein Revolverblatt zu arbeiten. Ana Martí, Tochter und Enkeltochter angesehener Journalisten, schrieb über Morde, Unfälle und Betrügereien aller Art. Deshalb erschienen ihre Artikel zunächst unter einem Pseudonym. Aber vor zwei Jahren hatte sie die Maske gelüftet, was ihr eine gewisse Berühmtheit verschafft hatte. In Barcelona war sie nun die Reporterin von El Caso, so wie Margarita Landi es in Madrid war. Sie waren sehr unterschiedlich: Landi pflegte ihre Extravaganz, sie fuhr ein rotes Cabriolet und rauchte Pfeife; Ana hingegen zog eine gewisse Diskretion vor, obgleich sie, wie ihre Madrider Kollegin, Hosen trug, wenn sie an unzugänglichen Orten Nachforschungen anstellte, selbst wenn man sie deswegen schief ansah.
Sie nahm den schweren Hörer auf.
«Sehr gelungen, dein Artikel über den Taxi-Mörder. Sobald die Fotos entwickelt sind, schicke ich alles nach Madrid.»
«Hast du etwas Neues für mich? In diesem Monat scheint es in der Stadt besonders ruhig zu sein.»
Und in ihrem Portemonnaie besonders leer. Wenige Aufträge von El Caso, genauso wenige von Mujer Actual, einer Frauenzeitschrift, für die Ana ebenfalls arbeitete.
«Nein. Es ist nicht so, dass es keine Geschichten gäbe. Es gibt welche, aber es hat keinen Sinn, dass wir uns darum kümmern.»
Die anschließende Kunstpause war ein alter und häufig benutzter Trick, aber er war immer noch wirkungsvoll.
«Komm, erzähl mir eine.»
«Eine ziemlich hässliche. Ich war im Leichenschauhaus, um zu sehen, ob es etwas Neues über die Identität des Ertrunkenen gibt, der im Strandbad an der Barceloneta gefunden wurde. Zufällig lag dort auch die Leiche von Rodrigálvarez, dem Industriellen. Und der Gerichtsmediziner war in Plauderlaune.»
Rubio offensichtlich auch, trotzdem verstummte er.
Ana ahnte, warum. «Ging es um etwas Unanständiges?»
Ihr Chef hüstelte. Obwohl er in all den Jahren viel gesehen, viel geschrieben und vieles umschrieben hatte, kostete es ihn immer noch Überwindung, mit einer Frau über bestimmte Dinge zu reden.
«Es hat den Anschein, dass Señor Rodrigálvarez ein … na ja, er bevorzugte Männer. Die Autopsie hat ergeben, dass er von hinten erdrosselt wurde.»
«In voller Aktion?»
«Ja.» Am anderen Ende der Leitung war es einen Moment still, bis Rubio weitersprach. «Sie haben das Gummi noch in seinem … im … im Popo gefunden.»
«Im Popo …» Ana lachte laut über den kindlichen Ausdruck, auf den ihr Chef zurückgegriffen hatte. Sie wusste, dass Beatriz sie in der Bibliothek hören konnte, und fragte sich, was sie wohl für ein Gesicht machte. «Und in der Traueranzeige haben sie geschrieben, dass er einen christlichen Tod gestorben ist.»
«Was sollten sie sonst schreiben, Aneta?»
«Weiß man, wer es war?»
«Nein. Aber falls der Mörder gefasst wird, wird es bei dem Einfluss, den die Familie hat, ausgehen wie bei den Mördern von Masana.»
Masana … Masana. Ana erinnerte sich. Antonio Masana, ein Bauunternehmer, war vor einigen Jahren von Angehörigen des aktiven Widerstands getötet worden, als sie ein berüchtigtes Stundenhotel in Pedralbes überfielen, während Masana dort mit einer Minderjährigen im Bett lag. Wenn sie sich richtig erinnerte, wurden drei der Täter verhaftet und von einem Militärgericht verurteilt, ohne dass je der Name des Opfers genannt wurde.
Rubio fasste das Ganze noch knapper zusammen: «Urteil, Garotte, Massengrab. Reden wir über etwas anderes. Ich habe eine Information für einen Kurzbericht und wäre dir dankbar, wenn du der Sache nachgingest.»
«Worum geht es?»
«Um etwas Trauriges.»
«Als ob wir je über etwas Fröhliches geschrieben hätten.»
«Diesmal ist es besonders traurig. Ein Selbstmord. Eine junge Näherin hat sich in ihrem Zimmer erhängt.»
«Ein Selbstmord?», unterbrach Ana ihn. «Das bekommen wir nicht durch. Hast du nichts Handfesteres?»
Wenn schon geschriebene Artikel nicht veröffentlicht werden konnten, wurde Ana für ihre Arbeit nicht bezahlt. In letzter Zeit hatte die Zensur sie einige Honorare gekostet.
«Ich glaube, hier können wir den Zensor herumbekommen. Die Geschichte hat nämlich eine Moral: Das Mädchen war offenbar guter Hoffnung und tat es deswegen. Ich weiß, es ist keine große Sache, aber vielleicht können wir damit eine Lücke füllen. Ich gebe dir die Adresse.»
Ana klemmte den Hörer zwischen Ohr und Schulter und griff nach dem Notizheft, das immer neben dem Telefon bereitlag. Rubio schien sie sehen zu können, denn er wartete so lange, bis sie die erste weiße Seite gefunden hatte.
«Es ist eine Wohltätigkeitseinrichtung, die von den Damen der Schwesternschaft der Verehrerinnen der heiligen Maria Magdalena betrieben wird.»
Ana verkniff es sich, den Namen zu kommentieren, und sagte lediglich «Ja», um ihm zu signalisieren, dass er fortfahren konnte.
«Sie nehmen gefallene Mädchen auf.»
«Von wo sind sie denn heruntergefallen?», unterbrach sie ihn.
«Ana, sei nicht so bissig, du weißt, was ich meine.» Rubio fuhr fort, allerdings redete er nun weniger geschwollen. «Mädchen, die nicht wissen, wohin. Sie geben ihnen ein Dach über dem Kopf, und ihren Kindern auch.»
«Aha, Kinder. Darin bestand also ihr Fall!»
Rubio überhörte die Bemerkung. «Und sie können einen Beruf erlernen, damit sie für sich sorgen können. Sie werden als Näherinnen ausgebildet.»
Ana wollte Rubio nicht weiter reizen. Ein Auftrag ist ein Auftrag, daher fragte sie ihn: «Also soll ich zum Nähatelier gehen und nicht in die Wohnung der Toten, oder?»
«Es ist dieselbe Adresse. Die Mädchen wohnen über der Näherei.»
«Wo ist es?»
«In der Calle Valencia, zwischen der Calle Balién und der Calle Gerona.»
«In der Nähe des Paseo de Juan. Eine gute Gegend.» Das wusste sie nur zu genau. Ihre Familie hatte dort gelebt, bevor ihr Vater aus politischen Gründen entlassen worden war und sie in ein bescheideneres Viertel ziehen mussten.
«Du hast es nicht weit. Um elf erwarten sie dich. Die Leiterin der Schneiderei heißt Aurora Peiró.»
«Peiró, Peiró. Der Name sagt mir nichts.»
«Sie gehört nicht zu den Kreisen, in denen du dich für Mujer Actual bewegst. Die Damen von der Schwesternschaft allerdings schon.»
Sie plauderten noch ein wenig, mehr über die nicht publizierbare Geschichte des homosexuellen Mordopfers als über die banale Nachricht, die sie nun schreiben sollte. Danach kehrte Ana zu Beatriz in die Bibliothek zurück.
«Nach allem, was ich von deinem Anruf mitbekommen habe, glaube ich, dass mein Geist einer gewissen Reinigung bedarf.» Beatriz stand auf und ging zu einem der Bücherregale. Mit einem Band mit Gedichten von Francisco de Quevedo kehrte sie zurück.
«Aber Quevedo hat auch ziemliche Ferkeleien geschrieben.»
Beatriz hob das Buch wie ein Schild, das sie vor Anas Worten schützen sollte, und zitierte lachend aus einem seiner Liebessonette: «Verschließen mag die Augen mir der letzte Schatten, und ganz den weißen Tag verwehren.»
Das Nähatelier lag im Erdgeschoss eines modernistischen Gebäudes. Hinter dem Glas der breiten Eingangstür spannten sich Scheibengardinen, die Licht hineinließen und gleichzeitig für Diskretion sorgten. Schon von der Straße aus war der schnelle Rhythmus ratternder Nähmaschinen zu hören. Die beiden Fenster rechts und links der Tür wurden von zwei Schaufensterpuppen ohne Kopf und Gliedmaßen in Beschlag genommen. Der rechte Torso war der eines Mannes, bekleidet mit einem eleganten Frack und einem weißen Hemd mit Jabot-Kragen, der linke, eine weibliche Figur, trug eine Satinbluse mit Schlitzärmeln, Spitzenkragen und gefältelter Taille, ein lächerliches Kleidungsstück, das vermutlich allein dazu diente, die Kunstfertigkeit der Näherinnen unter Beweis zu stellen.
Ana schloss den Regenschirm und trat ein. Eine Ladenglocke kündigte ihre Ankunft an, und das Rattern hörte auf. Die Nähmaschinen standen hinter einer dunklen Holztheke, aufgereiht wie in einem Klassenraum: drei auf der linken, zwei auf der rechten Seite. Vier Köpfe hatten sich von den Maschinen gehoben, schauten Ana an und wandten sich dann, wie auf Kommando, der ersten Maschine auf der linken Seite zu, die verlassen und nackt dastand.
Die Ladenglocke war wieder verstummt, und auch die vier jungen Frauen schwiegen. Sie trugen Trauerkleidung, ebenso die Dame, die nun aus einer Tür im hinteren Teil des Ladens trat. Das energische Klappern ihrer Absätze klang wie ein verspätetes Echo des Nähmaschinenratterns. Das kastanienbraune, in Wellen um ihren Kopf gelegte Haar schimmerte, als sie die Reihen der Mädchen durchschritt und auf Ana zukam. Sie strich der jungen Frau an der Maschine hinter dem leeren Platz sanft über die Schulter, einem Mädchen mit hohen Wangenknochen und dunklen Augen, das die Tränen nicht zurückhalten konnte, als die Frau es berührte.
«Schon gut, Mila», sagte die Dame und ging weiter. Auf der anderen Seite der Theke angelangt, streckte sie Ana ihre Hand entgegen, eine weiche und kräftige Hand.
«Aurora Peiró, ich bin die Leiterin dieser Schneiderei. Sie müssen Ana Martí sein.» Ihre tiefe und warme Stimme erinnerte Ana an die tröstliche, etwas mütterliche Klangfärbung einer Radiosprecherin, die in einer bekannten Ratgebersendung von Radio Barcelona die Tipps in Herzensangelegenheiten verlas. «Ich kenne Ihre Artikel in Mujer Actual.»
«Aber heute bin ich für El Caso hier», stellte Ana richtig.
«Ich weiß», Aurora Peiró senkte verschwörerisch die Stimme. «Den lese ich ebenfalls.»
Ana fiel der populäre Ausspruch ein: «El Caso wird von Dienstmädchen gekauft und von Damen gelesen.»
«Es tut mir leid, dass wir uns unter diesen traurigen Umständen kennenlernen.»
«Wir mochten Elena alle sehr, sehr gern.» Als sie den Namen der Toten erwähnte, waren wie bei einer Totenwache mehrere Schluchzer zu hören. «Sie hatte nicht nur geschickte Hände, sie war so gut, so lieb …»
Aurora Peiró führte Ana zwischen den Maschinen entlang. Alle Köpfe drehten sich nach ihnen um. Das rothaarige Mädchen an der Maschine nächst der Theke bedeckte den Stoff ihres Arbeitsstückes mit den Armen, als hätte sie Angst, das Tuch mit den Tränen zu verderben, die ihr über das Gesicht rannen.
«Kommt, Mädchen, arbeitet weiter. Gegen Schmerz und Trauer hilft am besten Arbeit. Rosenkranzgebet um zwölf.»
Die Maschinen begannen wieder zu rattern, mit Ausnahme der Milas. Sie weinte, das Gesicht in die Hände vergraben. Aurora Peiró zog ein Taschentuch hervor und beugte sich zu ihr hinab, um es ihr zu geben. Während die junge Frau das Taschentuch mit zittrigen Händen entgegennahm, wandte sich die Schneiderin an Ana. «Sie waren enge Freundinnen.»
«Ich wusste nichts davon, Doña Aurora, wirklich nicht», sagte Mila, während sie sich die Augen trocknete. Dann richtete sie sich auf und begann, ins Pedal der Maschine zu treten.
Links auf einem Wandbord sah Ana einen großen Radioapparat stehen, wegen des Trauerfalls würde er einige Tage stumm bleiben. Sie folgte Aurora Peiró in einen Raum, der für die Kunden der Schneiderei gedacht war. Auf der einen Seite gab es zwei geräumige Umkleidekabinen mit großen Spiegeln, gegenüber, links der Tür, waren drei blaue Sesselchen um einen Glastisch gruppiert, auf dem einige französische Modejournale ausgebreitet waren; an den Wänden hingen Skizzen berühmter Modeschöpfer. Dank ihrer Jahre bei Mujer Actual erkannte Ana ein Kleid von Balenciaga und ein Modell, das Coco Chanel für Marlene Dietrich entworfen hatte. Aurora Peiró führte also eine Schneiderei mit einem gewissen Niveau.
Die Werkstattleiterin öffnete eine andere Tür, und sie kamen in das Lager. In den Regalen stapelten sich nach Farbe und Muster geordnete Stoffballen, rechts formten zahlreiche Röhrchen mit Knöpfen eine bunte Orgel, daneben türmten sich Kisten voller Reißverschlüsse, Schachteln mit Nieten, Druckknöpfen, Haken, Nadeln aller Art, Schneiderkreide, Bänder und Schnüre sowie verschiedene Kartons mit Stoffresten. Am Ende des Raums war hinter einem Fenster ein Hof zu sehen. Dort standen einige Korbstühle, und in den Ecken glänzten die Blätter großer Schusterpalmen.
«Im Patio können die Mädchen eine Pause an der frischen Luft machen», bemerkte Aurora Peiró.
Obwohl ihr die Augen in dem opulenten Lager übergegangen waren, erinnerte sich Ana daran, dass sie da war, um für einen Artikel zu recherchieren. «Diese junge Frau, Mila, was wusste sie nicht?»
Auroras Gesicht verdüsterte sich. Sie schien nach den richtigen Worten zu suchen. «Dass Elena einen Rückfall hatte.»
Ana hütete sich, auch nur einen Hauch der Ironie zu zeigen, die sie in dem Gespräch mit Rubio an den Tag gelegt hatte.
«Sie war schwanger», fuhr Aurora fort. «Sie kam aus einem Heim für obdachlose Mädchen zu uns, genauer gesagt aus einer Besserungsanstalt. In unserem Haus haben wir ihr die Gelegenheit geboten, in ein normales Leben zurückzukehren, aber leider hat sie diese missbraucht, um wieder der Sünde zu verfallen. Als ob sie ihre Lektion nicht gelernt hätte. Ihren Sohn hat sie zum Waisen gemacht.»
«Wie ist es passiert?» Obwohl Rubio ihr schon einige Informationen gegeben hatte, wollte Ana es aus erster Hand erfahren.
«Sie hat sich erhängt. In ihrem Zimmer. Mit einem Schal. An einem Balken.» Die Beschreibung kam stückweise aus Aurora Peirós Mund, während sie Stoffmuster sortierte. «Vorher hat sie sich offenbar betrunken. Um sich Mut zu machen, nehme ich an.»
«Könnte ich ihr Zimmer sehen?»
«Warum?» Aurora Peiró hielt in ihren Bewegungen inne und betrachtete ein Stoffstück, auf dem sich ein Rosenmuster leuchtend von einem schwarzen Hintergrund abhob.
«Damit der Artikel eine persönlichere Note bekommt. Obwohl wir nicht den vollständigen Namen nennen, nur die Anfangsbuchstaben der Nachnamen, kann die Erwähnung eines kleinen Details noch einmal Zeugnis von Elenas Existenz ablegen – entschuldigen Sie, wenn das etwas pathetisch klingt.»
Aurora Peiró legte das Stoffstück wieder an seinen Platz zurück und begann mit einem Maßband zu spielen, das wie eine schlafende Raupe zusammengerollt war.
«Selbstverständlich nur falls es Ihnen recht ist», fügte Ana hinzu.
«Gut, dann kommen Sie.» Sie steckte das Maßband in ihre Jackentasche, holte einen Schlüsselbund hervor und bedeutete Ana, ihr in den hinteren Teil des Lagers zu folgen. «Man gelangt von der Straße oder direkt von der Werkstatt in den ersten Stock.»
Neben der Tür, in einer Nische unter der Treppe, stand ein dickbäuchiges schwarzes Telefon auf einem Spitzendeckchen. Ana folgte Aurora über die enge Treppe hinauf, und sie gelangten in eine Wohnung wie die meisten im Stadtteil Eixample: ein langer Gang mit vielen Türen und hoher Decke. Mehr bekam sie von der Wohnung nicht zu sehen, denn Elenas Zimmer war direkt das erste hinter der Treppe.
Ana war schon häufig in Zimmern gewesen, in denen ein Toter gefunden worden war, doch trotz all der Jahre, die sie nun schon als Journalistin arbeitete, hatte sie sich nicht daran gewöhnt. Mehr als den Anblick, der sie hinter einer geschlossenen Tür erwarten mochte, fürchtete sie die Gerüche; es waren offenbar die Eindrücke des primitivsten aller Sinne, die es am ehesten schafften, sie zu schockieren und aus dem Gleichgewicht zu bringen.
Dieses Mal gab es jedoch keine schockierenden Sinneseindrücke. Das Zimmer, eigentlich eine Kammer ohne Fenster, war spartanisch wie eine Klosterzelle eingerichtet, sauber und aufgeräumt, es roch nach Schmierseife und, wie viele Zimmer in Barcelona im Herbst, ein wenig nach Feuchtigkeit. Das schmale Bett bedeckte ein weißes Laken, am Kopfkissen lehnte eine alte Puppe mit blonden Korkenzieherlocken in einem Volantkleidchen.
Mein Püppchen hat ein blaues Kleid, ein Hemdchen und ein braunes Pferd, begann es in Anas Kopf zu summen.
«Für den Fall, dass wir sie hier aufbahren dürfen», erklärte ihr Aurora Peiró und ließ sie eintreten.
«Haben die Mädchen alle ein eigenes Zimmer?»
«Ja. Es ist wichtig, dass sie nachts allein sind und über ihr Leben nachdenken können.»
Ana dachte, dass Elena Sánchez wohl zu viel über ihr Leben nachgedacht hatte. Mein Püppchen hat Schnupfen, krank liegt es im Bett, sang die Stimme in Anas Kopf weiter.
«Hatte sie Familie?»
«Keine, die sich kümmert.» Aurora Peiró blickte auf das Foto von Elenas Kind, während sie sprach. «Sie kam aus einem Dorf in Extremadura. Die Eltern haben sie sehr jung in Dienst gegeben, zunächst in Cáceres, dann hier. Der Hausherr schwängerte sie, und als man ihr die Schwangerschaft ansah, schickte sie die Hausherrin in eine Besserungsanstalt, da ihre Eltern sie nicht mehr aufnehmen wollten. Dort haben wir sie, wie gesagt, gefunden.»
Aurora Peiró rieb sich die Hände, als ob ihr kalt wäre, und sah zur Decke hoch. Ana folgte ihrem Blick bis zu einem Holzbalken, der sich mit der Zeit verformt hatte, sodass zwischen Zimmerdecke und Balken ein Loch klaffte.
«Wer hat sie gefunden?»
«Mila. Sie wollte nach ihr sehen, weil sie nicht zum Frühstück erschien. Dann hat sie mich gerufen, ich war schon in der Nähwerkstatt.» Aurora Peirós Kopf bewegte sich, als ob sie die verschiedenen Szenarien vor sich sehen würde. «Danach taten wir etwas, was vermutlich nicht korrekt war, zumindest war der Polizist, den wir riefen, darüber sehr wütend: Wir haben sie abgenommen. Und Mila hat ihr das Hemd gewechselt, da sie sich schmutzig gemacht hatte.»
Die Frau schien so zerknirscht, dass Ana nicht umhinkonnte, sie zu trösten. «Das ist sehr verständlich, auch wenn die Ordnungskräfte es anders sehen.»
Aurora Peirós Stimme klang nun wieder entschiedener: «Da wir nichts mehr für sie tun konnten, wollten wir wenigstens ihre Würde bewahren.»
Der Fall bedrückte Ana, weniger wegen der Geschichte, die Aurora Peiró erzählt hatte, sondern weil sie merkte, dass sie sich in all ihren Berufsjahren an derartige Tragödien gewöhnt hatte. Die Reporterin in ihr vergaß jedoch nicht, warum sie hier war. «Hat sie eine Nachricht hinterlassen?»
«Nein, was sollte sie hinterlassen, das arme Ding? Sie konnte kaum schreiben und lesen.»
Ana warf einen letzten Blick in das Zimmer: ein kleiner Kleiderschrank, eine Kommode mit einem Bild der Heiligen Jungfrau und dem gerahmten Foto eines Jungen, der stolz eine rechteckige Medaille in die Kamera hielt, ein Nachttisch mit dem Lämpchen und einem Gebetbuch, das Bett, das auf den Leichnam wartete. Und die Puppe mit den Korkenzieherlocken und dem blauen Kleid. Zwei mal zwei sind vier, das Glück steht vor der Tür, drei mal drei sind neun, wer’s Einmaleins kann, soll sich freu’n. Vier mal vier sind sechzehn, bald werd’ ich vor’m Altar steh’n.
«Vielen Dank. Ich glaube, das ist alles. Ich habe, was ich brauche.»
Schweigend kehrten sie in die Nähwerkstatt zurück, in der nur das Stakkato der Maschinen zu hören war. Aurora Peiró blieb einen Moment stehen, um die Arbeit einer jungen Frau zu kontrollieren, die Ana mit ihren blonden, zu einem lockeren Knoten zusammengebundenen Locken an Elenas Puppe erinnerte.
«Pass auf, María Jesús, der Saum hier wird schief.»
Zwei mal zwei sind vier, das Glück steht vor der Tür, drei mal drei sind neun, wer’s Einmaleins kann, soll sich freu’n.
Die Ladenglocke läutete und forderte die Aufmerksamkeit der Werkstattleiterin. Eine Frau in einem Lodenmantel trat ein und schüttelte das Wasser aus ihrem Schirm.
«Señora Pladevall», begrüßte Aurora Peiró sie und ging ihr entgegen. «Sie möchten sicher das Kleid anprobieren? Kommen Sie bitte. Möchten Sie einen Kaffee?» Sie führte die Dame zu dem Ankleideraum mit den Sesselchen.
In diesem Moment spürte Ana, dass jemand nach ihrer Hand griff. Es war die Rothaarige.
«Señorita … ich wollte Ihnen sagen, dass die Kinder …», flüsterte sie.
«Welche Kinder?», fragte Ana und beugte sich herab, um sie besser zu verstehen.
«Unsere Kinder. Sie sind in einem Internat und …»
Die Stimme der Werkstattleiterin unterbrach sie barsch: «Jacinta, hör auf, Señorita Martí lästig zu fallen.»
«Aber nicht doch, ganz und gar nicht», begann Ana.
«Ja, Doña Aurora.» Mit rot geweinten Augen wollte sich das Mädchen wieder an die Arbeit machen.
«Warum bringst du Señora Pladevall nicht einen Kaffee, während ich mich von Señorita Martí verabschiede?»
Das Mädchen stand auf und ging gesenkten Hauptes an Ana vorbei, ohne sie anzusehen. Das rote Haar schimmerte auf der schwarzen Trauerkleidung. Aurora Peiró kam mit ernstem Gesicht auf Ana zu, und sie traten vor die Ladentheke.