cover image

Paul Heyse

Am Tiberufer

Novelle

Paul Heyse

Am Tiberufer

Novelle

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019
1. Auflage, ISBN 978-3-962811-07-5

null-papier.de/495

null-papier.de/katalog

Dan­ke

Dan­ke, dass Sie sich für ein E-Book aus mei­nem Ver­lag ent­schie­den ha­ben.

Soll­ten Sie Hil­fe be­nö­ti­gen oder eine Fra­ge ha­ben, schrei­ben Sie mir.

 

Ihr
Jür­gen Schul­ze

Newslet­ter abon­nie­ren

Der Newslet­ter in­for­miert Sie über:

htt­ps://null-pa­pier.de/newslet­ter

Am Tiberufer

Es war tief im Ja­nu­ar. Der ers­te Schnee hing am Ge­bir­ge, und die Son­ne, die hin­ter dem Ne­bel stand, hat­te nur einen ge­rin­gen Streif am Fuß der Hö­hen weg­ge­schmol­zen. Aber die Öde der Cam­pa­gne grün­te wie Früh­ling. Nur die ge­lich­te­ten Zwei­ge der Öl­bäu­me, die hie und da in Rei­hen die ge­lin­den Sen­kun­gen der Ebe­ne hin­ab ste­hen oder eine ein­sa­me Ca­pan­ne1 um­ge­ben, und das nie­de­re Ge­strüpp, das be­reift an den Stra­ßen wu­chert, emp­fan­den den Win­ter. Um die­se Zeit sind die zer­streu­ten Her­den in die Hür­den nahe bei der Hüt­te des Cam­pa­gnuo­len ge­sam­melt, die ge­wöhn­lich, im Schutz ei­nes Hü­gels er­rich­tet, mit Stroh bis auf den Bo­den dürf­tig ge­nug vor dem Wet­ter ver­wahrt ist, und wer von den Hir­ten zu sin­gen oder Flö­te und Sack­pfei­fe zu spie­len ver­steht, hat sich auf­ge­macht, in Rom nach­zü­gelnd als Pif­fera­ro, den Ma­lern zum Mo­dell zu die­nen, oder mit an­derm Er­werb das arme, frie­ren­de Le­ben zu fris­ten. Her­ren der Cam­pa­gne sind nun die Hun­de, die in großen Ru­deln die ver­las­se­ne Wei­te durch­strei­fen, vom Hun­ger ver­wil­dert, von den Hir­ten nicht mehr streng be­wacht, de­ren Ar­mut sie nur zur Last fal­len.

Ge­gen den Abend, als der Wind stär­ker wur­de, schritt ein Mann durch die Por­ta Pia und wan­der­te den Fahr­weg zwi­schen den Land­häu­sern hin. Der Man­tel hing ihm nach­läs­sig um die star­ken Schul­tern und der brei­te graue Hut saß tief im Na­cken. Er sah nach den Ber­gen hin­über, bis der Weg tiefer ward und nur ein ge­rin­ges Stück der Fer­ne zwi­schen den Gar­ten­mau­ern durch­blick­te. Die Enge schi­en ihn zu be­klem­men. Er ver­lor sich wie­der un­mu­tig in sei­ne Ge­dan­ken, de­nen zu ent­rin­nen er das Freie ge­sucht hat­te. Eine statt­li­che Emi­nenz trip­pel­te mit ih­rem Ge­fol­ge an ihm vor­bei, ohne dass er sie ge­wahr­te und grüß­te. Erst der nach­fol­gen­de Kar­di­nals­wa­gen er­in­ner­te ihn an sei­nen Ver­stoß. Von Ti­vo­li her roll­ten Ka­ros­sen und leich­te­re Fuhr­wer­ke voll Frem­der, die es ge­lüs­tet hat­te, die Ber­ge und Kas­ka­den im Schnee zu se­hen. Er warf kei­nen Blick auf die zier­li­chen Ge­sich­ter der jun­gen Eng­län­de­rin­nen, mit de­ren blau­en Schlei­ern die Tra­mon­ta­ne spiel­te. Has­tig bog er von der Stra­ße ab, links in einen Feld­weg hin­ein, der erst Müh­len und Schen­ken vor­über lief und dann mit­ten in die Wild­nis der Cam­pa­gne hin­aus führ­te.

Nun stand er einen Au­gen­blick, tief at­mend, und ge­noss die Frei­heit des wei­ten win­ter­li­chen Him­mels. Die ge­dämpf­te Son­ne schi­en röt­lich her­über, hauch­te die Trüm­mer der Was­ser­lei­tung an und färb­te den Schnee am Sa­bi­ner­ge­bir­ge. Hin­ter ihm lag die Stadt. Aber nicht fern von ihm be­gann eine Glo­cke zu läu­ten, nur lei­se durch den wid­ri­gen Wind. Das mach­te ihn un­ru­hig. Als wol­le er dem letz­ten Laut des Le­bens ver­weh­ren, zu ihm zu drin­gen, ging er vor­wärts. Er ver­ließ bald den schma­len Pfad, die Wel­len der Ebe­ne auf und ab kreu­zend, schwang sich über die Stan­gen, die im Som­mer die wei­den­den Rin­der ein­ge­hegt hat­ten, und ver­tief­te sich mehr und mehr in die ein­sa­me Dun­kel­heit.

Es war eine tie­fe Stil­le dort, wie mit­ten auf dem ru­hi­gen Meer. Fast hör­te man den Flü­gel­schlag der Krä­hen, die über den Bo­den hin hüpf­ten. Kei­ne Gril­le sang, kein Ri­tor­nell ei­nes heim­wan­dern­den Wei­bes drang von der fer­nen Stra­ße bis zu ihm. Da ward ihm wohl. Er stieß den Stock meh­re­re Male hart ge­gen den Bo­den und freu­te sich an dem Ton, der ihm ant­wor­te­te. – Sie spricht nicht viel, sag­te er vor sich hin im Dia­lekt des ge­mei­nen rö­mi­schen Volks, aber sie meint es ehr­lich und sorgt im Stil­len für ihre plap­pern­den Kin­der, die sie mit Fü­ßen tre­ten. Dass ich sie nie wie­der zu hö­ren brauch­te, die­se win­di­gen Schuf­te! Mei­ne Ohren sind wund von ih­ren glat­ten Phra­sen. Als wär’ ich nichts, als wüsst’ ich es nicht bes­ser, wor­an die­se Din­ge hän­gen, von de­nen sie zu schwat­zen wis­sen, wäh­rend ich nichts ver­ste­he, als sie zu schaf­fe. Und doch leb’ ich von ih­nen und muss eine gute Mie­ne ma­chen, wenn die Frat­zen mein Werk be­schnüf­feln! Ac­ci­den­ti! fluch­te er in den Bart. – Ein Echo kam zu­rück. Er sah be­trof­fen um­her. Kei­ne Hüt­te, kein Hü­gel war auf eine hal­be Stun­de im Um­kreis zu se­hen, noch konn­te er einen Men­schen nahe glau­ben. Er ging end­lich wei­ter und dach­te, ein Wind­stoß äffe ihn. Da klang es plötz­lich wie­der, nä­her und lau­ter. Er stand und horch­te scharf. Bin ich ei­ner Ca­pan­ne nah, oder ei­nem Schup­pen, aus dem die Rin­der brül­len? Es kann nicht sein – es klang an­ders – es kling­t an­ders – und jetzt, jetzt – und ein Schau­der schüt­tel­te ihn – es sind die Hun­de! sag­te er dumpf.

Das Ge­heul kam nä­her, hei­ser wie von Wöl­fen, kein Bel­len und Kläf­fen, son­dern ein Ge­stöhn, rau vor­ge­sto­ßen, das die Stim­me des Win­des in Eine un­un­ter­bro­che­ne furcht­ba­re Me­lo­die zu­sam­men­weh­te. Eine läh­men­de Kraft schi­en in ihr zu lie­gen. Denn der Wan­de­rer stand re­gungs­los, den Mund und die Au­gen starr ge­öff­net, das Ge­sicht der Sei­te zu­ge­wen­det, von der der Schlacht­ruf der wü­ten­den Tie­re her­an­schwoll. End­lich rich­te­te er sich ge­walt­sam in sei­nen Glie­dern auf und sag­te: Es ist zu spät, sie ha­ben längst die Wit­te­rung, und bei dem falschen Zwie­licht stürz­t’ ich nach dem zehn­ten Schritt, wenn ich lau­fen woll­te. Nun denn, wie ein Hund ge­lebt und von mei­nes­glei­chen um­ge­bracht – es ist doch Sinn dar­in. Hät­t’ ich ein Mes­ser, macht ich’s mei­nen Gäs­ten leich­ter. So aber – und er prüf­te die star­ke Ei­sen­spit­ze sei­nes Stockes – wenn es ih­rer we­ni­ge sind – wer weiß, ob mein Hun­ger nicht den ih­ren über­lebt?

Er schlug sich den Man­tel um, dass der rech­te Arm frei wur­de, und der lin­ke, viel­fach um­wun­den, zur Ab­wehr ge­rüs­tet war, und fass­te den Stock. Mit kalt­blü­ti­ger Ent­schlos­sen­heit un­ter­such­te er den Bo­den, wo er stand. Er fand ihn von Gras ent­blö­ßt, stei­nig und hart. Sie mö­gen kom­men, sag­te er, und stell­te sich fest ge­gen die Erde. Er sah sie jetzt und zähl­te in der Däm­me­rung, Fünf! zähl­te er, und da ein sechs­ter! Sie ra­sen her­an, wie der höl­li­sche Feind, dür­re, hoch­bei­ni­ge Bes­ti­en. Wart! – und er hob einen star­ken Stein – man muss doch den Krieg an­kün­di­gen, wie es Brauch ist.

Da­mit schleu­der­te er den Stein ge­gen den vor­ders­ten, auf fünf­zig Schritt hin­aus. Ein ver­dop­pel­tes Ge­heul ant­wor­te­te. Das Ru­del hielt einen Au­gen­blick im Ja­gen inne. Ei­ner von ih­nen lag zu­ckend am Bo­den.

Waf­fen­still­stand! sag­te der Mann. Sei­ne Lip­pe zit­ter­te, das Herz schlug to­bend ge­gen den lin­ken Arm, der den Man­tel krampf­haft fest­hielt. Aber die Wim­per über dem schar­fen Auge zuck­te nicht. Er sah sei­ne Fein­de wie­der los­bre­chen und ihre Au­gen glän­zen durch die Schat­ten. Zu Paa­ren ka­men sie, der größ­te vor­an. Ein zwei­ter Stein, der die­sen an­flog, sprang von der kno­chi­gen Brust ab, und das ge­reiz­te Tier stürz­te hei­ser auf­mur­rend ge­gen die dunkle Ge­stalt. Ein Ruck, und er lag rück­lings auf dem Ge­stein, und der im Wir­bel ge­schwun­ge­ne Stock fuhr ihm ge­walt­sam ge­gen den of­fe­nen Ra­chen. – –

Ein Rei­ter spreng­te durch das Grau der Win­ter­nacht, ei­ni­ge hun­dert Schritt dem Kamp­fe fern, über die pfad­lo­se Cam­pa­gne. Er späh­te nach der Stel­le, von der das Ge­heul in kur­z­en Pau­sen zu ihm kam, und sah einen Mann ste­hen, wan­ken, zu­rück­wei­chen, wie­der fes­ten Fuß fas­sen, wäh­rend die Fein­de sich ab­lös­ten im An­griff und von al­len Sei­ten auf ihn ein­stürm­ten. Dem zu Pfer­de graus­te. Er stieß sei­nem Tie­re die Spo­ren in die Sei­te und flog her­an. Der Huf­schlag drang dem Kämp­fen­den zu Ohren; aber es war, als ob der jähe Schreck der Hoff­nung ihm plötz­lich die Kraft brä­che. Sein Arm sank nie­der, sei­ne Sin­ne ver­wirr­ten sich, er fühl­te sich von hin­ten nie­der­ge­ris­sen und tau­mel­te zu Bo­den. Noch hör­te er durch den Ne­bel des Be­wusst­seins ei­ni­ge Schüs­se fal­len; dann ver­fiel er in Ohn­macht.

Als er sich wie­der er­mann­te und die Au­gen zu­erst auf­schlug, sah er das Ge­sicht ei­nes jun­gen Man­nes über sich, an des­sen Knie sein Haupt lehn­te und des­sen Hand ihm mit aus­ge­rauf­tem nas­sen Gras die Schlä­fe rieb. Das Pferd stand damp­fend ne­ben ih­nen; ihm zu Fü­ßen wan­den sich zwei Hun­de, blu­tig, im letz­ten To­des­zu­cken.

Seid Ihr ver­wun­det? hör­te er fra­gen.

Ich weiß nicht.

Ihr wohnt in Rom?

Beim Tri­to­ne.

Der An­de­re half ihm sich auf­rich­ten. Er ver­moch­te nicht zu ste­hen, der lin­ke Fuß schmerz­te ihn hef­tig. Er war bar­haupt, der Man­tel in Fet­zen, der Rock am Arm auf­ge­ris­sen und blu­tig, das Ge­sicht blass und starr. Ohne zu spre­chen, ließ er sich von sei­nem Ret­ter stüt­zen, der ihn die kur­z­en Schrit­te zu dem Pfer­de mehr trug als führ­te. Er saß end­lich im Sat­tel, und der An­de­re fass­te den Zü­gel des Pfer­des und lei­te­te es lang­sam nach der Stadt zu.

Bei der ers­ten Os­te­rie2 au­ßer­halb der Mau­ern hiel­ten sie. Der jun­ge Mann rief der Wir­tin, dass sie Wein brin­ge. Als der Ver­wun­de­te ein Glas ge­leert, be­leb­ten sich sei­ne Züge, und er sprach:

Ihr habt mir einen Dienst ge­leis­tet, Herr. Vi­el­leicht ver­wün­sch’ ich ihn noch ein­mal, statt ihn Euch zu dan­ken. Fürs ers­te dank’ ich aber. Man hängt nun ein­mal am Le­ben, wie an an­de­ren schlech­ten Ge­wohn­hei­ten. Man weiß, die Luft ist voll von Fie­ber und Fäul­nis und nichts­wür­di­gem Dunst der Men­schen, und doch dünkt Je­den Atem­ho­len eine gute Sa­che.

Ihr seid schlecht auf die Men­schen zu spre­chen.

Ich habe Kei­nen ge­fun­den, der mich nicht für einen Dumm­kopf hielt, wenn ich gut von ihm sprach. Ver­zeiht, Ihr seid nicht aus Rom?

Ich bin ein Deut­scher.

Gott segn’ es Euch!

Sie er­reich­ten schwei­gend das Tor und lenk­ten ein nach Pi­az­za Bar­ber­ini. Der Ver­wun­de­te wies auf ein klei­nes Haus im Win­kel des Plat­zes, bau­fäl­lig und dun­kel. Als das Pferd vor der nied­ri­gen Tür hielt, ließ sein Rei­ter sich nie­der­glei­ten, ehe der An­de­re ihn stüt­zen konn­te, brach aber hilf­los zu­sam­men. Es ist är­ger als ich dach­te, sag­te er. Tut noch das und helft mir hin­ein, und da ist der Schlüs­sel. – Der jun­ge Mann un­ter­stütz­te ihn schwei­gend, rief ei­nem Kna­ben, das Pferd zu hal­ten, und ei­nem mü­ßi­gen Bur­schen, das Haus zu öff­nen. Drin­nen war es dun­kel, die feuch­te Käl­te schlug ih­nen un­heim­lich ent­ge­gen. Sie tru­gen ihn durch den Flur, wie er’s ih­nen sag­te, links in ein wüs­tes großes Ge­mach. Wo ist Euer Bett? frag­te der Deut­sche. – Wo Ihr wollt; aber legt mich lie­ber drü­ben an die Wand. Dort hin­ten ist die Mau­er nicht zu­ver­läs­sig. Die­ser bra­ve alte Palaz­zo, im Früh­jahr wol­len sie ihn nie­der­rei­ßen; ich glau­be, er hat nicht die Ge­duld, es ab­zu­war­ten.

Und Ihr hal­tet es hier aus? –

Es ist die bil­ligs­te Art, sich be­gra­ben zu las­sen, sag­te der An­de­re tro­cken. Ich spie­le hier den Wirt für frei­es Quar­tier.

In­des­sen hat­te der Bursch Feu­er an­ge­schla­gen und die klei­ne Mes­sing­lam­pe an­ge­zün­det, die am Fens­ter stand. Der jun­ge Mann half dem Ver­wun­de­ten auf eine De­cke, über Stroh aus­ge­brei­tet, und deck­te ihn mit dem zer­ris­se­nen Man­tel not­dürf­tig zu. Mit ei­nem tie­fen Atem­zu­ge streck­te sich die kräf­ti­ge Ge­stalt aus und schloss die Au­gen. Der Deut­sche gab dem Bur­schen Geld und trug ihm Ver­schie­de­nes auf; dann ging er ohne Ab­schied hin­aus, warf sich aufs Pferd und ritt ei­lig da­von.

Nach ei­ner Vier­tel­stun­de be­trat er wie­der das Ge­mach und brach­te den Arzt. Wäh­rend die­ser die Wun­den an Bein und Arm un­ter­such­te und ver­band, was der Kran­ke ge­sche­hen ließ, ohne einen Laut von sich zu ge­ben, sah sich der jun­ge Deut­sche an den Wän­den um. Sie wa­ren kahl und der Be­wurf in großen Stücken ab­ge­fal­len. Die Bal­ken am Dach stan­den nackt und ge­schwärzt her­aus, das schlech­te Fens­ter ließ die schnei­den­de Luft ein, we­ni­ges Gerät stand her­um. In­des brach­te der Bursch einen Arm voll Holz und mach­te ein Feu­er im Ka­min. Wie es nun rot auf­pras­sel­te, wur­den im Win­kel ei­ni­ge ver­staub­te Ton­fi­gu­ren und Gips­ab­güs­se sicht­bar, ein großer Del­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­