Schönheit der Tiere
Fröhliche Wissenschaft 126
De Natura III
Herausgegeben von Frank Fehrenbach
Evolution biologischer Ästhetik
Die Konjunktur der Natur in gegenwärtigen Debatten ist erstaunlich. Als Oppositionsbegriff zur menschlichen Kultur hat Natur schon aus zwei Gründen ausgedient. Einmal wegen des Scheiterns traditioneller dualistischer Ansätze als Konsequenz der modernen Naturwissenschaften, die den Menschen ohne Rest als Teil der Natur definieren. Zum anderen wegen der ungeheuren zivilisatorischen Dynamik, die auf, weit über und zunehmend auch unter der Erdoberfläche keine vom Menschen unberührten Residuen des Natürlichen erlaubt. Inwiefern lässt sich also auch heute noch »über Natur« sprechen? Die Bände der Reihe DE NATURA versammeln Antworten aus ganz unterschiedlichen Disziplinen. Sie gehen auf Vorträge zurück, die von der Forschungsstelle Naturbilder im Hamburger Warburg-Haus veranstaltet wurden.
– Frank Fehrenbach
DE NATURA bei Matthes & Seitz Berlin
Harmut Böhme, Aussichten der Natur.
Naturästhetik in Wechselwirkung von Natur und Kultur
Wolfgang Riedel, Unort der Sehnsucht.
Vom Schreiben der Natur. Ein Bericht
Teil 1:
Evolution und Ästhetik
Evolution
Schönheit
Schmuck
Ästhetik
Kommunikation
Mustererkennung
Teil 2:
Die Entstehung von Farben und Mustern
Farben
Die Haut
Musterbildung
Pigmentzellen
Zebrafisch
Evolution der Schönheit
Dank
Literatur zum Thema
Die Natur wendet uns gar mannigfaltige Seiten zu; was sie verbirgt, deutet sie wenigstens an; dem Beobachter wie dem Denker gibt sie vielfältigen Anlass, und wir haben Ursache, kein Mittel zu verschmähen, wodurch ihr Äußeres schärfer zu bemerken und ihr Inneres gründlich zu erforschen ist.
Johann Wolfgang von Goethe,
Anmerkungen zum Akademiestreit, 1832
Menschen finden Farben, Muster und Gesänge von Tieren schön, ebenso wie Kunstwerke, Malerei und Musik. Menschliche Kunstprodukte sind vom Menschen für Menschen gemacht, aber wie steht es mit den wunderschönen Naturprodukten, den Ornamenten und Lauten der Tiere, der Farben- und Mustervielfalt der Pflanzenblüten? Wie kommen sie zustande, wozu sind sie da und für wen?
Schönheit ist kein Attribut, das in der Biologie zur Beschreibung von Organismen verwendet wird. Der strenge Forscher wendet den Begriff schön nicht auf Formen, Farben und Töne an, weil Schönheit vom Betrachter abhängt und mit subjektivem Empfinden verbunden ist, das zwar durch die physikalischen Eigenschaften des schönen Objekts hervorgerufen wird, sich jedoch nicht messen lässt. Und dennoch ist es wohl so, dass die Schönheit von Pflanzen und Tieren, wie wir sie erleben, in der Natur eine ähnliche Funktion wie Kunst in der menschlichen Kultur einnimmt.
Schon seit prähistorischer Zeit schmückt sich der Mensch mit fremden Federn und Fellen, da er selbst von Natur aus eher sparsam ausgestattet ist; er erwirbt die Vielseitigkeit der Farbgebung durch Artefakte. Andere Tiere können das nicht, sie zeigen ihrem Lebensstil entsprechend Formen und Farben, die – wie beim Menschen – von Artgenossen erkannt werden und der Kommunikation dienen. Wie diese Farben und Muster zustande kommen und welche Funktionen sie im sozialen Leben der Tiere haben, soll in diesem Essay skizziert werden. Dabei können lediglich Stichproben etwas ausführlicher beschrieben werden, da zum einen die Vielfalt an möglichen Beispielen praktisch unbegrenzt, zum anderen das Wissen nicht überall gleich groß ist. Farbmuster werden nicht mit höchster Priorität erforscht, da sie als nicht lebensnotwendiges Luxusprodukt erscheinen, im Gegensatz zu anderen Attributen, zum Beispiel der Struktur von Gliedmaßen oder der Funktionsweise von Organen. Farbmuster erscheinen auch meist erst spät in der Individualentwicklung eines Tiers und ihr Werden ist so der direkten Beobachtung meist nicht zugänglich. Wie Insekten – Käfer, Fliegen und Schmetterlinge – sich färben, ist etwas genauer bekannt, aber bei Wirbeltieren liegt vieles im Dunkeln. Bei Säugetieren und Vögeln finden die entscheidenden Entwicklungen der Anlagen für Farbmuster, auch wenn sie sich erst spät ausprägen, im Bauch der Mutter oder im Vogelei, also im Verborgenen, statt. Recht gut wissen wir inzwischen bei Fischen Bescheid, und so wird am Ende des Buchs exemplarisch die Bildung des für den Zebrafisch charakteristischen Streifenmusters etwas ausführlicher geschildert.
Bereits Charles Darwin stellte die These auf, dass Tiere Ornamente und Melodien wie der Mensch aufgrund ihrer eigenen subjektiven Empfindungen und ihrer kognitiven Erfahrungen bewerten. Diese Bewertungen können zur Evolution von attraktiven Eigenschaften führen, die nicht zweckgebunden, sondern beliebig sind und sich grundlegend von anderen, auf physikalischen Eigenschaften beruhenden Selektionsvorteilen unterscheiden.
Darwin ist der Begründer der modernen Biologie; das Moderne war, dass er die charakteristischen Eigenschaften von Pflanzen und Tieren durch natürliche Prozesse erklärte, ohne übernatürliche Faktoren zuzulassen. In seiner Biologie gibt es keinen Platz für einen Schöpfer. Seine Theorie der Evolution legte das Fundament für unser heutiges Naturverständnis und veränderte die Weltanschauung des Menschen im 19. Jahrhundert revolutionär.
Als junger Mann ist Darwin auf einer fünfjährigen Reise um die Welt; er sieht und hört, er untersucht Felsen und Gebirgsformationen, er beobachtet und sammelt mit ungeheurer Neugier und durchdringendem Interesse Pflanzen, Tiere, Fossilien. Vieles der damaligen Diversität der Natur ist inzwischen verschwunden; Darwin hatte jedoch noch einen sehr viel direkteren Zugang und näheren Kontakt zur Natur, als wir ihn heute haben können. Das Beschreiben neu entdeckter Pflanzen- und Tierarten war ein großes Thema der damaligen Biologie, was es heute längst nicht mehr ist.
Dass nicht nur Erdformationen sich im Lauf der Zeiten verändern, sondern auch biologische Evolution stattfindet, wurde Darwin durch drei Schlüsselerlebnisse auf dieser Reise klar. Er erkannte
− die Verwandtschaft zwischen den lebenden (kleinen) und fossilen (riesigen) ausgestorbenen Gürteltieren in Südamerika;
− die Aufspaltung des Strauß-ähnlichen Nandu in geografische Unterarten und
− die verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen den einzigartigen Formen der Tier- und Pflanzenarten auf den vulkanischen Galapagosinseln, die sich offenbar von denen des südamerikanischen Festlands ableiteten.
Bereits sehr kurz nach dieser Reise formulierte er die natürliche Selektion als Mechanismus der Artenveränderung; es brauchte jedoch noch viele zusätzliche Untersuchungen und Informationen, bis er 1859 schließlich das große Werk On the Origin of Species by Means of Natural Selection, or the preservation of favoured races in the struggle for lifeveröffentlichte. In diesem Buch beschreibt Darwin, wie der Überlebensvorteil von besser angepassten Individuen allmählich, über Millionen von Jahren, zur Veränderung der Formen, der Neuentstehung und auch dem Aussterben von Arten führt. Die Theorie der Evolution durch natürliche Selektion ist inzwischen unbestritten und durch molekulare Analysen der Gene aufs Beste bestätigt worden.
Eine Art, Spezies, ist eine Gruppe von Organismen, die einander erkennen, als Geschlechtspartner akzeptieren und untereinander fruchtbar sind. Evolution, also die Veränderbarkeit von Arten, ergibt sich aus zwei allgemein verbreiteten Eigenschaften der Organismen.
1. Variation. Individuen einer Art sind nie vollkommen gleich, sondern unterscheiden sich geringfügig in vielen Strukturen sowie auch im Verhalten. Diese Variationen treten zufällig und ungezielt auf, sind jedoch häufig erblich. Das heißt: Auch besondere Eigenschaften werden an die Nachkommen weitergegeben und solche, die sich als günstig erweisen, können sich durchsetzen.
2. Überschuss. Zur Erhaltung einer Population genügen rechnerisch zwei Nachkommen pro Elternpaar. Es werden jedoch mehr, häufig sogar sehr viel mehr Nachkommen produziert, als überleben können. Damit werden die Verluste an Nachkommen, die das fortpflanzungsfähige Alter nicht erreichen, kompensiert. Gäbe es keinen Tod vor der Fortpflanzung, so würde eine Population exponentiell, also proportional zur existierenden Zahl wachsen. Normalerweise ist der Zuwachs aber dadurch begrenzt, dass ungünstige Umweltbedingungen, beispielsweise Fressfeinde, Kälte, Hitze, Nahrungsmangel, Trockenheit, oder ungünstige Eigenschaften die Population reduzieren.
Darwin stellte nun die These auf, dass von der großen Zahl an Nachkommen bevorzugt diejenigen Individuen überleben, die besser als ihre Geschwister den Anforderungen des Lebens und der Umwelt gewachsen sind. Die Variation erlaubt, dass bei Änderung der Lebensbedingungen in beliebigen Richtungen besser angepasste Individuen Überlebensvorteile haben. Sinken beispielsweise die Temperaturen, so sind Tiere mit dichterem Fell etwas besser dran, steigen die Temperaturen, ist ein weniger dichter Haarwuchs vorteilhafter. Das führt dazu, dass die besser angepassten Individuen im Ringen ums Dasein erfolgreicher sind und sich letztlich innerhalb der Population durchsetzen, da sie mehr Nachkommen haben werden. Da Neuerungen in der Anpassung erblich sind, wird sich die durchschnittliche Konstitution einer Population von Individuen, die Art, im Lauf der Generationen unausweichlich verändern. Dieses Prinzip nannte Darwin natürliche Selektion – „natural selection“.
In einem weiteren Buch The Variation of Animals and Plants under Domestication, das 1868 erschien, erklärt Darwin das Prinzip der Selektion bei Haustieren und Kulturpflanzen. Bei der Züchtung von Pflanzen und Tieren spielt der subjektive Geschmack des Züchters eine entscheidende Rolle. Es ist erstaunlich, in welch kurzer Zeit die Auslese besonderer Varianten zu Hunderassen oder Rosensorten mit sehr unterschiedlichen neuen Eigenschaften führen kann, die den Schönheitsvorstellungen des Züchters entsprechen, wenn der Züchter die Elternpaare nur streng genug nach bestimmten Kriterien aussucht. Bei der Züchtung werden allgemein recht auffallende Individuen ausgelesen, die nur in der geschützten Umgebung als Haustier, Gartenblume oder Kulturpflanze überleben können, während sie in freier Wildbahn kaum eine Chance haben, sich zu behaupten.
Darwin erklärte mit seiner Evolutionstheorie auf plausible Weise unzählige bis dahin schwer verständliche biologische Phänomene. Er begründete auch, dass die genetische Verwandtschaft der Arten aufgrund gemeinsamer Vorfahren die Klassifizierung nach dem „natürlichen System“ von Carl von Linné (Systema NaturaeOrigin of Species