Aus dem Amerikanischen von Patrick Baumann
Impressum
Die amerikanische Originalausgabe Clear by Fire (Search and Destroy 1)
erschien 2015 im Verlag Touchstone, Simon & Schuster.
Copyright © 2015 by Joshua Hood
Copyright © dieser Ausgabe 2017 by Festa Verlag, Leipzig
Lektorat: Alexander Rösch
Titelbild: Dean Samed
eISBN 978-3-86552-555-0
www.Festa-Verlag.de
www.Festa-Action.de
Dieser Roman ist den Männern und Frauen
der Streitkräfte gewidmet,
die im Rahmen von Operation Iraqi Freedom und
Operation Enduring Freedom ihr eigenes Leben
dem Kampf für dieses großartige Land unterordneten.
Ich habe dieses Buch für euch geschrieben
und hoffe, dass es euch gefällt.
1
Washington, D. C.
Der nationale Sicherheitsberater Winfield ›Duke‹ Cage nickte den zwei Secret-Service-Agenten zu, die den Eingang zum Situation Room des Weißen Hauses flankierten, und rückte die ungewohnte Krawatte zurecht, die ihn zu erwürgen drohte.
Als er zum letzten Mal durch diese Tür gegangen war, hatte er als Vorsitzender des Generalstabs den Rücktritt eingereicht und damit eine mehr als zwei Jahrzehnte lange Karriere in den Wind geschossen.
Er hatte sich geschworen, nie mehr zurückzukehren. Aber damals war ein anderer Präsident im Amt gewesen, und obwohl es nur acht Monate zurücklag, fühlte sich Cage jetzt wie ein anderer Mann – als frisch ernannter nationaler Sicherheitsberater.
Der Raum kam ihm kleiner vor als in der Erinnerung, jedoch ausgesprochen vertraut. Die polierte Holzplatte des massiven Tischs glänzte im Licht der Deckenlampen und spiegelte sich in den Flachbildschirmen an den Wänden. Der in Blau- und Graubraun-Tönen gehaltene Teppich bildete das makellose Gegenstück zur neutralen Wandfarbe und den im Kreis angeordneten schwarzen Ledersesseln.
Dukes Blick wanderte über die Gesichter der mächtigsten Personen in Washington. Männer, die nun für die Beratung des neuen Präsidenten verantwortlich waren. Cage fragte sich, ob er noch die Kraft für eine letzte Schlacht in sich fand.
Sein Assistent Jacob Simmons bahnte sich einen Weg durch das Gedränge. Er reichte Cage den täglichen Geheimdienstbericht und sagte: »Es gibt ein Problem. Wir müssen reden.«
Cage war 1,93 Meter groß, hatte einen Körperbau wie ein Footballprofi und überragte seinen stämmigen Helfer deutlich. Die beiden Männer bildeten seit ihrer gemeinsamen Zeit an der Militärakademie in West Point ein Team und hatten ihre Freundschaft in hitzigen Gefechten mehrfach auf eine harte Probe stellen müssen. Simmons war der einzige Mann auf der Welt, dem Cage vertraute, und auch der Einzige, der ihm während seiner kurzzeitigen Verbannung den Rücken gestärkt hatte. Außerdem gehörte er zu den fähigsten Geheimdienstagenten, die er kannte.
»Nicht jetzt«, erwiderte Cage, der aus dem Augenwinkel den Verteidigungsminister auf sich zukommen sah.
»Duke, wir haben wirklich ein ernsthaftes Problem«, presste Simmons zwischen den Zähnen hervor.
»Dann kümmern Sie sich drum …«
»Cage«, rief Verteidigungsminister Collins und lenkte die Aufmerksamkeit von seinem Helfer ab.
»Herr Minister«, begrüßte Cage ihn förmlich.
»Ich war überrascht, als der Präsident mir von Ihrer Ernennung berichtete«, begann Collins herablassend.
»Sicher nicht so überrascht wie ich«, gab Cage zurück, wobei er nach der ausgestreckten Hand des Ministers griff und sie kräftig schüttelte.
Er wusste, dass Collins hart darum gekämpft hatte, seine Aufnahme in den Stab des Präsidenten zu verhindern. Obwohl er nicht den Mumm hatte, es offen auszusprechen, arbeitete der Verteidigungsminister bereits jetzt an seiner erneuten Vertreibung vom Capital Hill. Aber es war nicht das erste Mal, dass es jemand auf ihn abgesehen hatte, und Cage glaubte, ihm bereits einen Schritt voraus zu sein.
Sein Ass im Ärmel bestand darin, dass er keine Bestätigung durch den Kongress benötigte und daher nur vom Präsidenten persönlich entlassen werden konnte. Solange er diesen bei Laune hielt, passierte ihm nichts. Cage spürte, wie der Verteidigungsminister seine Hand förmlich zerquetschte, während er dem Ex-General forschend in die Augen blickte. Der Tag hatte noch gar nicht richtig angefangen, schon wurde er herausgefordert.
Bei den Green Berets hatte Cage die Lektion gelernt, dass man so früh wie möglich seine Dominanz im Rudel behaupten musste. Also drückte er die klamme Hand des Kontrahenten langsam zusammen, bis er fühlte, wie dessen dünne, vogelartige Handknochen aneinanderstießen. Er zog den Mann dicht an sich heran, als wollte er ihn umarmen, und raunte: »Sei bloß vorsichtig, Freundchen.«
Genau in diesem Moment betrat der Präsident das Zimmer, umgeben von seinen wichtigsten Helfern und dem Stabschef. Cage löste seinen eisernen Griff und trat zurück, als der Anführer der freien Welt ihn auch schon ansah und ein breites Lächeln aufsetzte.
Präsident John Bradley war schlank und sportlich, hatte stark gebräunte Haut und eine mehr als flüchtige Ähnlichkeit mit Robert Redford. Die amerikanische Öffentlichkeit liebte seinen jugendlichen Übermut und den vertrauenswürdigen Blick, der ihm einen erdrutschartigen Wahlsieg beschert hatte. Der Präsident machte die Runde. Er zog die Versammelten an wie das Licht die Motten, auch Minister Collins konnte sich diesem Einfluss nicht entziehen. Nach einem letzten Starren wandte er Cage den Rücken zu und näherte sich auf direktem Weg dem mächtigsten Mann der Welt.
»Was zum Teufel sollte das?«, flüsterte Simmons und schob sich näher heran. »Ich dachte, wir wollen den Ball flach halten.«
»Machen Sie sich um den keine Sorgen. Halten Sie sich an den Plan, dann wird er gar nicht wissen, wie ihm geschieht.«
»Hören Sie, wir müssen wirklich reden. In Kona ist was vorgefallen.«
Der Präsident kam auf Cage zu. Er trat wortlos vor und signalisierte seinem Helfer, dass sie die Unterhaltung später fortsetzen mussten. Trotz seiner äußerlichen Ruhe wünschte er sich nichts mehr, als einen Moment Zeit zu haben, um zu erfahren, was zur Hölle eigentlich los war. Aber vorerst blieb ihm nichts anderes übrig, als seine Geduld zu zügeln.
»Duke«, sprach der Präsident ihn an, streckte ihm die Hand hin und setzte das unverwechselbare Lächeln auf, das seine Wahl entschieden hatte.
Das Staatsoberhaupt gehörte zu den wenigen Menschen, denen Cage erlaubte, ihn Duke zu nennen. Die meisten hielten es für eine unbedeutende Kleinigkeit – aber diesen Spitznamen reservierte er für jene, die an seiner Seite gekämpft und geblutet hatten, und er achtete peinlich genau auf die Einhaltung dieser Regel. Aufgrund der Tatsache, dass Cage mit Bradleys Vater gekämpft hatte, ließ er es ihm durchgehen – vorwiegend aber deshalb, weil es unhöflich gewesen wäre, den Präsidenten der Vereinigten Staaten zu maßregeln.
»Mr. President«, erwiderte er mit einem festen Händedruck.
»Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie froh ich bin, dass Sie sich bereit erklärt haben, mir zu helfen.«
»Tja, Mr. President, ich dachte mir, dass Sie ein Nein als Antwort kaum akzeptieren werden.«
Präsident Bradley hatte dem amerikanischen Volk naiverweise versprochen, den Krieg im Nahen Osten zu beenden und die Ehre des Landes wiederherzustellen. Um dieses Versprechen zu halten, brauchte er Cage.
»Ich freue mich, Sie bei mir im Team zu haben.« Er starrte ihm tief in die Augen. »Vor uns liegt eine Menge Arbeit.«
Cage nickte. Der Stabschef beugte sich zum Präsidenten und mahnte: »Mr. President, unser Zeitplan ist eng bemessen.«
Präsident Bradley zwinkerte, ließ Cages Hand los und ging zu seinem Platz am Kopfende des Tisches.
2
Marrakesch, Marokko
Mason Kane schaute auf die Armbanduhr und versuchte, dabei nicht an den Nähten an der Unterseite des Arms zu kratzen. Die saubere Reihe schwarzer Linien glich einem haarlosen Tausendfüßler, der auf seinen Ellbogen zukroch. Aber was noch schlimmer war: Es juckte höllisch.
Er war ein gesuchter Mann, verleugnet vom eigenen Land und der einzige US-Amerikaner, dessen Name auf einer Abschussliste stand.
Mason kannte den Nahen Osten besser als jeder andere Angehörige der westlichen Welt, aber ihm gingen allmählich die Verstecke aus. Am Vortag hatte ein Mann, dem er seit Jahren nicht mehr begegnet war, in Kona einen Versuch unternommen, ihn zu ermorden. Die Suche nach Antworten hatte Mason nach Marrakesch geführt.
Die Uhr tickte. Seit jeder Geheimdienst im Nahen Osten nach ihm suchte, waren juckende Nähte aktuell das geringste seiner Probleme.
Die Berber hatten der Stadt den Namen Mur Akush gegeben. Land Gottes. Für Auswärtige mochte dieser Name Sinn ergeben – aber hielt man sich, so wie Mason in diesem Moment, tief im Inneren der Medina auf, vermisste man jegliche Anzeichen, dass Gott sich hier je hatte blicken lassen.
Zeus, einer der wenigen Verbündeten, die ihm noch blieben, hatte ihm dazu geraten, erst einmal abzuwarten, wie sich die Lage entwickelte, bevor er nach Marrakesch kam. Aber Mason hatte es satt, ständig davonzulaufen. Er wusste, dass die Regeln des Spiels sich geändert hatten.
Es gab nur eine Antwort auf die Frage, woher Decklin gewusst hatte, wo er ihn finden konnte. Irgendjemand hatte geredet – und die Summe, die die Operation in Kona gekostet haben musste, verriet ihm, dass es sich um jemanden mit tiefen Taschen handelte.
Hass oder Gier waren übliche Motive, um einen Mann zu töten, und Mason hatte nicht lange gebraucht, um darauf zu kommen, wer ihn tot sehen wollte: Colonel Barnes musste die Finger im Spiel haben. Aber er verstand nicht, weshalb der andere plötzlich so versessen darauf war, ihm eine Kugel in den Kopf zu jagen.
Er war dem Colonel zum ersten Mal 2006 begegnet, als es offensichtlich wurde, dass den USA eine Niederlage im Irakkrieg drohte. Der Präsident hatte einen Sieg gewollt und es war die Aufgabe des Verteidigungsministeriums gewesen, ihm einen zu liefern. Als Lösung zauberten sie das Anvil-Programm aus dem Hut; ein altes Konzept, das aus dem Repertoire der CIA stammte.
Zu Zeiten des Vietnamkriegs hatte man es noch Phoenix-Programm genannt. Die Green Berets sowie die zur CIA gehörende Special Operations Group, kurz SOG, waren zur asymmetrischen Kriegsführung gegen Aufständische außerhalb der juristischen Grenzen des Militärs eingesetzt worden. Im Nahen Osten war alles, was die CIA brauchte, der richtige Mann vor Ort – und da kam Barnes ins Spiel.
Bei seiner Ernennung war Barnes ein frischgebackener Colonel gewesen. Seine Befehle ließen sich denkbar simpel zusammenfassen: Er sollte ein Team ausbilden, damit es kämpfen konnte wie der Feind, und die Männer danach auf die Aufständischen loslassen. Vergesst die Einsatzregeln, vergesst die Medien, fangt einfach an, Leichen zu produzieren. Genau das taten sie.
Barnes wurde mit der Befugnis ausgestattet, zur Erreichung seines Ziels jeden gewünschten Soldaten aus sämtlichen verfügbaren Einheiten zu rekrutieren. Und es war von überragender Bedeutung, die richtigen Männer zu finden. Er besorgte sich die Akte von jedem Delta-Operator, jedem Navy SEAL und jedem Green Beret, den er kriegen konnte. Als er auf Mason Kane stieß, wusste er, dass er einen Agenten gefunden hatte, der für diese Art von Mission wie geschaffen war.
Mason war stolz darauf, Soldat zu sein. Er stammte aus dem Nichts, ein Mischling, auf der Straße aufgewachsen, umgeben von Zuhältern und Dealern. Aber die Army kümmerte es nicht, dass seine Mutter eine Trinkerin war oder sein Vater ihn verlassen und sich später mit einer billigen Walmart-Schrotflinte das Hirn weggeschossen hatte. Die Army interessierte lediglich, ob er seinen Job verstand, und Mason galt als einer der Besten. Irgendwo gab es eine Kiste voller Auszeichnungen und in jeder Begleitschrift hieß es: »Für selbstlosen Dienst und Tapferkeit in der Schusslinie«. Aber das bedeutete Mason nichts.
Als der Colonel ihn fand, setzte Mason seine besonderen Talente gerade bei Undercover-Operationen im Irak ein. Seine Fähigkeit, sich unter die Zivilbevölkerung zu mischen, machte ihn in Verbindung mit den ausgezeichneten Kenntnissen der arabischen Sprache für das Joint Special Operations Command zu einem unverzichtbaren Beobachter vor Ort. Er war alles, was der Colonel brauchte, und noch mehr.
Wie die restlichen Soldaten im Team hatte auch Mason mit persönlichen Dämonen zu kämpfen gehabt. Erst später wurde ihm klar, dass der Colonel gezielt gebrochene Männer um sich geschart hatte.
Mason scannte die Straße. Er wusste, dass er sich nicht zu lange im Freien aufhalten durfte; entschieden zu viele ausländische Agenten benutzten Marokko als Operationsbasis. Die Lage in Nordafrika war nicht mehr so stabil wie noch vor 15 Jahren. Nach dem Arabischen Frühling konzentrierten sich viele Geheimdienste gezielt auf diese Region.
Er schlüpfte in eine der vielen namenlosen Gassen von Marrakesch, zog die Glock 23 aus dem Holster und schraubte schnell einen Schalldämpfer auf. Das klobige Zubehör machte die Pistole schwerer, aber das war allemal besser als die Alternative. Als er die Waffe in die Jackentasche gestopft hatte, machte er sich auf den Weg zu dem dreistöckigen Apartmentgebäude, das er beobachtet hatte.
Es erinnerte ihn an East Los Angeles, wo er aufgewachsen war und gelernt hatte, nicht aufzufallen. Als einziger Nichtlatino unter den Jungen im Barrio hatte er schnell den Wert von Unauffälligkeit zu schätzen gelernt. In Verbindung mit der dunklen Hautfarbe, die er von seiner Mutter geerbt hatte, half es ihm, sich unter die Einheimischen Nordafrikas zu mischen.
Seine Füße scharrten über die abgenutzten Pflastersteine, als eine Frau auf einem Balkon zum Vorschein kam. Sie schüttelte einen fadenscheinigen Teppich über dem Geländer aus. Mason bedachte sie mit einem vorwurfsvollen Blick, während er der Dreckdusche aus dem Weg ging. Die Frau ignorierte ihn und klopfte den dicht gewebten Stoff mit gewaltigen Schlägen an das Geländer aus, die das rostige Metall zum Zittern brachten.
Mit einer letzten verächtlichen Handbewegung wandte die Frau sich ab und verschwand in ihrer Wohnung, sodass der Amerikaner seinen Weg fortsetzen konnte.
Mason ging geduckt den niedrigen Bogengang des Apartmentgebäudes entlang. Er hielt den Griff der Pistole fest umschlossen, während er vorsichtig die Außentreppe hochstieg.
Die Fassade war alt und braun, so wie alles andere in der Stadt. Brocken brüchigen Betons hatten sich gelöst und der Staub des Mauerwerks bedeckte die rissige Ziegeltreppe.
Im zweiten Stock angekommen, stieß er die dünne Metalltür auf, die in den Flur führte, und gelangte schließlich zu einem unauffälligeren Gegenstück aus Holz. Der dicke graue Lack schälte sich im flackernden Licht, das dem überlasteten Stromnetz noch den letzten Rest Energie abtrotzte.
Mason benutzte einen Schlagschlüssel, um das Schloss zu knacken, und huschte rasch hinein. Die Wohnung war klein und vollgestopft, roch nach Safran und Speiseöl. Im Hauptraum stand ein winziges Sofa neben einem ordentlich aufgeschichteten Stapel Schlafmatten. Über dem Kopf drehte sich langsam ein Ventilator.
Niemand zu Hause. Der Amerikaner zog die Tür hinter sich zu und ging zur gläsernen Schiebetür. Er öffnete sie, trat auf den Balkon hinaus und ließ den Blick über das eng bebaute Viertel wandern, um sicherzugehen, dass ihn niemand beobachtete. Dann rüttelte er am Metallgeländer, um dessen Stabilität zu prüfen. Es war mit rostigen Bolzen an der Wand befestigt, aber offenbar halbwegs stabil. Nach einem letzten Check kletterte er hinauf und sprang hinüber zum nächsten Apartment.
Mit gezogener Pistole spähte er durch die Scheibe. Bei einem flüchtigen Blick in die Ecken des Türrahmens entdeckte er keine Drähte. Als er sicher war, nicht in eine Sprengfalle zu tappen, zückte Mason ein Messer. Er wollte gerade das Schloss der Schiebetür aufhebeln, als er merkte, dass gar nicht abgeschlossen war.
Der stechende Geruch von Marihuana waberte ins Freie und warnte ihn, dass die Zielperson ganz in der Nähe sein musste.
So ein Amateur!, dachte Mason verächtlich, während er das Zimmer betrat.
Er hob die Pistole und sicherte rasch den Hauptraum. Auf dem Weg zum Schlafzimmer wurde der Haschgeruch stärker. Er verfolgte ihn bis zum Ursprung und betrat den kleinen Raum.
»Was ist hier los?«, fragte er auf Arabisch.
Der Algerier, der auf dem Bett saß, hob den Blick von der Wasserpfeife, die er gerade rauchte, und seine Augen weiteten sich überrascht. Er hob die Hand zum Tisch, auf dem eine Pistole lag. Mason hob die Glock und warnte: »Lass es.«
Der Mann ignorierte den Hinweis. Als seine Finger die Waffe fast berührten, schoss Mason ihm in die Hand. Der Schalldämpfer machte den Schuss nicht lautlos, dämpfte ihn aber zu einem dumpfen Twack.
Die Kugel traf Karims Hand unterhalb der Fingerknöchel und ließ Blut an die Wand spritzen. Instinktiv riss er die Hand an den Oberkörper zurück und schrie vor Schmerz auf.
»Ich hab’s dir gesagt«, kommentierte der Amerikaner achselzuckend und nahm die Pistole vom Tisch. Es war eine russische Makarow, frisch gereinigt.
»Mason, ich – ich …«, stammelte der Mann auf Arabisch.
»Ich werd euch Typen nie verstehen. Ihr putzt eure Waffe, bekifft euch und vergesst, die Hintertür abzuschließen. Du hast wohl gedacht, ich käme nicht zurück.«
Der Kerl starrte ihn bloß mit leerem Blick an.
»Karim, ich dachte, wir haben einen Deal. Ich meine, dafür bezahlt dich Ahmed doch, oder nicht? Um mich den Leuten vorzustellen und mir den Rücken freizuhalten?«
Mason gab sich den Anschein von Lässigkeit, während er das Zimmer nach weiteren Waffen absuchte, die der Spion womöglich besaß. Er glaubte zu wissen, weshalb Decklin ihn tot sehen wollte – aber ihm fehlte die Erklärung, warum dieser Algerier ihn verraten hatte.
»In den letzten sechs Monaten war ich in jedem Drecksloch in Afrika und bin den Amerikanern, den Franzosen und deinen Dschihadistenfreunden aus dem Weg gegangen. Herrgott, jeder will mich umbringen und alles, was du zu tun hattest, war, das Geld einzustecken und den Mund zu halten.«
»Das hab ich auch getan, glauben Sie mir«, rief der Mann mit flehender Stimme.
»Ich hab’s dir sogar geglaubt, bis ich in Kona einem alten Freund in die Arme lief. Woher zum Teufel wusste Decklin, dass ich dort bin?«
»Mason, das ist ein Missverständnis, lassen Sie mich erklären …«
Der Amerikaner unterbrach ihn, indem er die Pistole langsam auf die Kniescheibe des anderen richtete.
»Komm schon, Karim, ein Missverständnis? Du sitzt hier und willst mir erzählen, dass Barnes’ Handlanger ganz zufällig in Kona gewesen ist und versucht hat, mir ’ne Kugel in den Kopf zu jagen? Du weißt, wie das läuft. Wir sind beide Profis, also tu mir den Gefallen und lüg mich nicht an. Ich geb dir noch eine Chance, mir die Wahrheit zu sagen, oder du kassierst einen Schuss ins Knie.«
Der Mann nickte, während das Blut von der verstümmelten rechten Hand auf das verdreckte graue Hemd tropfte. Mason wusste, dass er in diesem Moment seine Alternativen durchspielte.
Als Kind war Mason weich gewesen und hatte dafür bezahlt. Da er in einem gefährlichen Viertel aufwuchs, musste er entweder stärker oder klüger sein als der Gegner. Er hatte mehr als genug Prügel eingesteckt – aber den Jungen von damals gab es nicht mehr; er war in der Hölle des Krieges gereinigt und abgehärtet worden. Jetzt gab es nichts Weiches mehr an ihm, und hätte er nicht ständig darum gekämpft, seine Menschlichkeit zu bewahren, hätte er mit Leichtigkeit ein Drecksack wie Decklin werden können.
»Ich hab keine Ahnung, wovon Sie reden«, meinte der Algerier schließlich.
Mason hielt die Pistole ruhig und drückte ab, zielte genau auf die Kniescheibe des Arabers. Karim schrie schon, bevor die Patronenhülse klirrend auf den Betonboden fiel.
»Karim, so dumm bist du doch nicht. Zwing mich nicht, mich wie ein Arschloch zu verhalten.«
»Mason, ich schwör Ihnen …«
Der Amerikaner visierte mit der Glock das andere Knie an und legte den Zeigefinger langsam an den Abzug.
»Okay, okay, ich sag’s Ihnen. Der Mann von der CIA.«
»Vernon?«
Mason hatte dem Kerl nie vertraut, aber auch nicht damit gerechnet, dass dieser ihn verriet – schon gar nicht an Barnes.
»Ja, es hat nie einen Job gegeben. Hier ging’s nur darum, Sie an Decklin auszuliefern.«
Mason trat einen Schritt vom Bett zurück und rang mit sich selbst, weil er wusste, was er nun eigentlich zu tun hatte. Karim verdiente den Tod. Allerdings wollte er dem sinnlosen Morden Einhalt gebieten.
Er schnappte sich ein Handtuch, das vor der Tür am Boden lag, warf es Karim hin und sagte: »Ich will dich nie wieder sehen. Wenn doch, bist du tot.«
Mason verließ das Apartment durch die Hintertür. Die Hitze des Tages hatte sich noch nicht über die Stadt gelegt. Auf überfüllten Straßen machte er sich auf den Weg ins Gueliz-Viertel. Diese ›Neustadt‹ zog vorwiegend amerikanische Touristen und wohlhabende Europäer an. Er schritt so schnell wie möglich durch dieses Meer von Gesichtern hindurch, um keine unnötige Aufmerksamkeit zu erregen.
Er hatte es im Leben schwer gehabt, aber es war nie seine Art gewesen, anderen die Schuld an seiner Situation zu geben. Mason wünschte, er könnte behaupten, dass seine Mutter stets ihr Bestes getan habe, aber das wäre eine Lüge gewesen. Sie interessierte sich nur für ihren nächsten Rausch. Während die meisten Menschen viele schöne Erinnerungen an ihre Kindheit hatten, erinnerte er sich vor allem an die mürrischen Tage und gewalttätigen Nächte, die er als Sohn einer Alkoholikerin durchlebt hatte. Seine Mutter hatte ihn vielleicht nicht geliebt, aber von Anfang an einen zähen, widerstandsfähigen Menschen aus ihm gemacht.
Nachdem er die Makarow in einem Mülleimer entsorgt hatte, zückte er das Telefon und wählte eine Nummer. Einen Augenblick später meldete sich ein Mann auf Arabisch.
»Ja?«
»Sie hatten recht, es war Vernon. Sind Sie mit dem Download fertig?«
»Ich gehe gerade. Ich schicke das, was ich an Daten habe, an Ihr Telefon.«
»Gut. Er ist im Emirates Café. Bringen Sie das Paket mit.«
Zehn Minuten später stand Mason in der Nähe des Eingangs zum Emirates Café im Schatten und begutachtete die von Vernons Computer abgezogenen Dokumente. Eine Sonnenbrille verbarg seine dunklen Augen, während er zum Tisch der Zielperson hinübersah.
Das grelle Sonnenlicht sorgte dafür, dass sich der Text auf dem verschmierten Display nur schwer lesen ließ. Er wollte das Handy gerade hochhalten, als ihm schlagartig etwas klar wurde. In Sekundenbruchteilen erfasste sein Hirn die Bedeutung von zwei Wörtern, die er soeben registriert hatte. Mit einer hektischen Bewegung wischte er über den Bildschirm, um sie noch einmal zu lesen.
›Operation Karakul.‹
Sein Herz setzte für einen Schlag aus und eine Adrenalinwelle durchflutete sein Nervensystem. Er war kaum in der Lage, den Finger ruhig zu halten, um die entsprechende Nachricht zu öffnen.
In Masons Zeit beim Anvil-Programm hatte er zu mehr geheimen Daten Zugang bekommen als sämtliche Analysten in Langley. Es galt als überlebensnotwendig für sein Team, über jede aufkeimende Bedrohung informiert zu sein. In diesem Zusammenhang war er schon einmal auf ›Karakul‹ gestoßen – der Codename für Hamid Karzai, den Präsidenten Afghanistans.
Die E-Mail stammte von ›Razor 5‹, was, wie er wusste, für das Joint Special Operations Command stand, aber was ihn wirklich verblüffte, war der Inhalt. Der Absender kam direkt auf den Punkt: Razor 5 bestätigt Freigabe für Operation Karakul. Zielverfolgung sofort aufnehmen.
Mason konnte es nicht glauben. Seine Gedanken überschlugen sich, während er das Handy in die Tasche steckte und Vernon anstarrte, der an einem Außentisch vor dem Café saß und das leere Glas systematisch mit einer weißen Serviette auswischte.
»Dieser elende Wichser«, murmelte Mason und fuhr sich mit der Hand rasch durch das dunkle zurückgegelte Haar. Dann schnippte er die Zigarette auf die Straße, ging zur Vordertür und betrat den Außenbereich des Cafés.
Der überraschte Gesichtsausdruck des CIA-Agenten bei Masons Auftauchen verriet dem Soldaten bereits alles, was er wissen musste.
Der Algerier hatte die Wahrheit gesagt. Vernon hatte ihn verraten.
»Tut mir leid, dass ich so reinplatze, aber ich hab ’n paar hektische Tage hinter mir.«
Vernon lächelte hastig und schindete Zeit, indem er einen Schluck Wasser trank. »Schön, Sie zu sehen. Ich war gerade … beim Mittagessen. Ich wusste nicht, dass Sie wieder in der Stadt sind«, stotterte der Spion in ehrlicher Verwirrung.
»Sie haben mir einen Auftrag gegeben und ich habe ihn ausgeführt. Jetzt bin ich hier, um mir zu holen, was Sie mir dafür schulden.« Mason beobachtete aufmerksam, wie der Spion diese Botschaft aufnahm.
»Äh, ja, sicher.« Vernon wurde kreidebleich und schaute sich im überfüllten Café um – auf der Suche nach einem Ausweg und um festzustellen, ob Mason allein gekommen war.
Der Kellner kam. Mason bestellte Kaffee und Hummus und zündete sich eine Zigarette an, während sein Gegenüber sich unbehaglich auf dem Stuhl wand.
»Wollen Sie nichts bestellen?«, fragte er mit Unschuldsmiene.
»Nein, ich habe eigentlich keinen Hunger.«
Mason sah winzige Schweißperlen auf der Stirn des Mannes. Seine Pupillen weiteten sich und er rutschte im vergeblichen Versuch, es sich bequem zu machen, auf dem Stuhl herum.
»Wer zum Teufel ist Razor 5?«, hätte er ihn am liebsten angeschrien, aber er musste cool bleiben, wenn er den Spion für seine Zwecke benutzen wollte. Vernon war ein aalglatter Mistkerl, der das, was ihm an Verstand fehlte, mit Durchtriebenheit wettmachte. Tatsächlich hatte er sich aus etwas, das als Witz begann, eine Karriere gebastelt.
Als zum ersten Mal jemand vorschlug, eine Drohne zu bewaffnen, hatten noch alle gelacht – aber Vernon witterte Potenzial in dieser Idee und scharte genug Unterstützer um sich, damit man ihm ein eigenes Team zuteilte. Fünf Monate später vernichtete Vernons bewaffnete Predator-Drohne vor den Augen der versammelten Zuschauer ein ganzes Haus voller Dschihadisten. Er wurde von einer Null zum Helden, noch bevor die Bombe einschlug, und bald darauf beauftragte man ihn, die offizielle Kill List zusammenzustellen, auf deren Grundlage die Drohnen weitere Dschihadisten ausschalten sollten. Ein guter Job, von niemandem beaufsichtigt, womit er genau der richtige Mann für Barnes war.
Mason ärgerte sich, dass er nicht schon viel früher darauf gekommen war. Vernon und der Colonel passten zusammen wie die letzten zwei Teile eines Puzzles. Der verzweifelte Drang, endlich jemandem vertrauen zu können, hatte ihn unvorsichtig werden lassen.
Vernon inspizierte erneut sein Glas, da kehrte der Kellner an den Tisch zurück. Mason sprach auf Arabisch mit ihm.
»Er hat Angst vor Bakterien«, erklärte er dem Bediensteten, während er eine Rauchwolke in Richtung Glas blies.
»Diese Scheißamerikaner immer mit ihren Bakterien«, schimpfte der Kellner und ging.
Mason nahm die Sonnenbrille ab und starrte Vernon an. »Wir hatten einen Deal. Ich arbeite für Sie. Im Gegenzug bringen Sie mich zurück nach Amerika. Das wissen Sie doch noch, oder?«
»Der Deal gilt nach wie vor, das verspreche ich Ihnen. Da muss ein Fehler passiert sein. Lassen Sie mich einen Anruf machen …« Vernon wollte in die Tasche greifen, aber Mason schlug mit der Hand auf den Tisch.
»Moment mal, Boss. Wenn Sie Karim anrufen wollen, sparen Sie sich die Mühe. Den habe ich gerade getötet.«
Der Mann erstarrte, die Hand nur wenige Zentimeter von der leichten Jacke entfernt, die er trug. Mason erkannte, dass der andere abschätzte, ob er es wagte, ihn in aller Öffentlichkeit umzubringen. Der Agent liebte Stellvertreterkriege, aber wenn die Auseinandersetzung in seiner unmittelbaren Nähe stattfand, fühlte er sich äußerst unwohl.
Der Kellner brachte den Teller mit Hummus. Mason riss einen Streifen Fladenbrot ab, um sich etwas davon in den Mund zu schaufeln. Er wusste genauso viel über Vernon, wie der Spion über ihn wusste.
»Bei dem Job gab’s ein Leck. Ich glaube, Sie wollten mich ins offene Messer laufen lassen.«
»Jetzt warten Sie mal. Ich weiß ja nicht, woher Ihre Informationen stammen, aber jemand setzt Ihnen da einen Haufen Blödsinn in den Kopf.«
Vernon war verzweifelt, das wussten sie beide. Er versuchte nur, Zeit zu schinden, in der Hoffnung, die Situation unter Kontrolle zu bekommen.
»Ach, wirklich? Im Laufe der letzten sechs Monate hab ich ’nen ganzen beschissenen Kontinent zwischen mich und Decklin gebracht. Ich hatte ihn für tot gehalten, aber kaum tauche ich in Kona auf, ist er auch schon da. Wollen Sie mir erzählen, dass er ’n Hellseher ist oder dass ich keine Ahnung von meiner Arbeit habe?«
Der Spion ging zum Gegenangriff über. »Sie hatten eine schlechte Mission, das kommt manchmal vor. Aber hören Sie auf, mir das in die Schuhe zu schieben. Es gibt fünf Länder, die Sie tot sehen wollen, darunter die USA. Ich schlage vor, bevor Sie mit Anschuldigungen um sich schmeißen, sollten Sie sich vor Augen führen, wer Ihre Freunde sind.«
»Freunde wie Barnes? Erledigen Sie etwa die Drecksarbeit für ihn?« Er probierte es auf gut Glück mit einer Konfrontation. Einem Typen wie Vernon durfte man keinen Zentimeter Spielraum lassen. Er musste ihn jetzt unter Druck setzen, sonst erfuhr er die Wahrheit nie.
»Was?« Vernon wirkte geschockt, was Mason verriet, dass er ihn an der Angel hatte.
»Ich weiß, was Sie vorhaben, aber dazu wird es nie kommen«, log er.
Vernon starrte ihn an und sein Mund stand offen wie ein aus den Angeln hängendes Scheunentor. Der Spion wirkte völlig verblüfft, aber er erholte sich rasch und zog einen Umschlag aus der Tasche. Während er ihn über den Tisch schob, sah er Mason in die Augen.
»Hören Sie, ich hab Ihnen nicht gesagt, dass Sie sich plötzlich ’n Gewissen zulegen und Ihr Leben versauen sollen. Das haben Sie ganz allein hingekriegt, Kumpel. Sie haben eine Entscheidung getroffen und die ging nach hinten los. Tut mir leid, die Welt ist nun mal nicht fair.«
Mason griff nach dem Kuvert, das Vernon mit der Fingerspitze festhielt. Der Spion fühlte, dass sich das Blatt gewendet hatte. Er war nach wie vor auf den anderen angewiesen.
»Wissen Sie eigentlich, was die da draußen von uns verlangt haben?«
»Weiß ich nicht, und das ist mir auch egal. Mason, Sie müssen erwachsen werden. Wir stecken in einem Krieg und Sie müssen die Vergangenheit ruhen lassen. Ich hab Ihre Akte gelesen, traurige Geschichte, aber ich sag Ihnen mal was: Das interessiert kein Schwein. Sie sind nur deshalb weder tot noch eingesperrt, weil ich das so will.« Er löste die Finger vom Umschlag, damit Mason ihn an sich nehmen konnte. »Die einzigen Leute, denen Sie wichtig waren, sind nicht mehr da. Die einzigen Aufzeichnungen, die Ihre Existenz dokumentieren, steckten in einer Akte, die ich am selben Tag verbrannt habe, als ich sie fand. Vergessen Sie das nicht.«
Mason steckte den Umschlag in die Tasche, als der Kellner mit einer Rechnung und einer Wasserkaraffe zurückkehrte. Der junge Araber legte die Rechnung auf den Tisch und füllte Vernons Glas. Mason griff nach der Rechnung, wobei er den Arm des Kellners anstieß, was dazu führte, dass dieser das Wasser über die weiße Tischdecke und Vernons Hose verschüttete.
»Verdammte Scheiße«, fluchte Vernon und rückte vom Tisch ab, als das Wasser seine Hose durchnässte. Masons Hand zuckte bei dieser plötzlichen Bewegung zur Pistole, aber er gewann schnell die Fassung zurück, während der Kellner die Karaffe auf den Tisch stellte und eine große Show daraus machte, das Wasser auf Vernons Jacke zu trocknen.
»Herrgott noch mal, Mason, was soll dieser Blödsinn?« Vernons Gesicht war rot vor Wut, während er die unbeholfenen Versuche des Kellners abwehrte.
»Ganz ruhig, ist doch nur Wasser.« Vernon gelang es endlich, sich von dem übereifrigen Araber loszureißen.
Er setzte sich wieder hin, wobei er Abstand von der tropfenden weißen Tischdecke hielt, und warf Mason einen anklagenden Blick zu. »Das war einfach nur kindisch.«
Offensichtlich glaubte der CIA-Mann, er hätte es mit Absicht getan.
»Ich sagte doch, es tut mir leid. War doch bloß ein bisschen Wasser.«
»Ja, aber ich bin der, der jetzt aussieht, als hätte er sich in die Hose gepisst, nicht Sie.«
»Scheiße, vielleicht sollte ich mir einfach ’nen Unterschlupf suchen, wo ich für ’ne Weile bleiben kann, bis ich alles wieder geregelt kriege.« In Masons Kopf nahm ein Plan Gestalt an, während er sich eine weitere Zigarette anzündete und die anderen Gäste die Aufmerksamkeit wieder ihren Mahlzeiten zuwandten.
»Irgendwas müssen Sie tun. Sie haben sich nicht im Griff. Lassen Sie sich mal flachlegen, wenn sonst nichts hilft. Ich mach ein paar Anrufe und wir schauen mal, ob wir Sie in ein paar Wochen zurück in die Staaten bringen können.«
»Sie haben recht. Tut mir leid, dass ich Sie so angeblafft habe.«
Vernon musterte ihn über den Tisch hinweg. Mason wirkte niedergeschlagen, und das war genau der Eindruck, den er vermitteln wollte.
»Ich hab Ihnen doch gesagt, dass ich mich um Sie kümmere. Sie werden mir einfach vertrauen müssen, okay?« Vernons Stimme klang jetzt sanfter, aber er verstellte sich.
»Ich weiß. Ich zahl die Rechnung und dann hau ich hier ab. Ich glaube, ich muss in ein anderes Land. Können Sie mir Papiere besorgen?«
»Wo wollen Sie denn hin?« Vernon stand auf. Er wollte sich so rasch wie möglich zurückziehen, solange Mason noch durch den Wind war.
»Vielleicht die Küste rauf. Ich hab Freunde in Libyen.« Mason senkte den Kopf, als gäbe er sich geschlagen, während er fieberhaft einen Plan entwickelte. Er musste Decklin aus der Deckung hervorlocken und hoffte, dass Vernon den Köder schluckte.
»Lassen Sie mich sehen, was ich für Sie tun kann. Geben Sie mir eine Stunde.« Vernon schulterte den Militärrucksack und ging.
Mason trank den restlichen Kaffee, zog eine Handvoll zerknüllter Scheine aus der Tasche und warf sie auf den Tisch. Der Kellner kam, um die Rechnung zu kassieren, und blickte auf den verzweifelt wirkenden Amerikaner.
»Möchten Sie noch Kaffee?«
»Ja, ich nehm noch ’ne Tasse.« Mason griff in die Jacke und holte einen Stapel druckfrischer amerikanischer Dollarnoten aus Vernons Kuvert.
Der Kellner nickte, nahm das Geld in Empfang und legte ein Telefon vor ihn.
»Das war ein toller Trick«, lobte Mason.
»Ich weiß.« Mit einem Lächeln steckte der Kellner die Scheine ein und räumte den Tisch ab.
Mason hatte Vernon nie vertraut und eine Menge Geld für dessen Überwachung bezahlt. Das geklonte Handy verdankte er dieser Investition. Er strich mit den Fingern über den mickrigen Bildschirm und entfernte eine dünne Staubschicht. Er musste das Land verlassen, aber dazu musste er erst sicher sein, dass Vernon angebissen hatte.
Der Amerikaner hatte auf die harte Tour gelernt, dass es nur sehr wenige Menschen gab, denen er trauen konnte. Colonel Barnes war einer von ihnen gewesen, und er zahlte noch heute den Preis für diese Fehleinschätzung. Als er den zweiten Kaffee ausgetrunken hatte, schob er das Handy in die Tasche und trat hinaus auf die Straße.