MAILAND
DER AUTOR
Gottfried Aigner konzentriert sich mit seinen Reiseführern vorwiegend auf spanische Inseln und italienische Urlaubsziele. Das Leben allgemein und seine Recherchen erleichtert und verschönert er sich dadurch, dass er mit seiner Frau und Kollegin neben München einen zweiten Wohnsitz im romantischen Dorf Musaga über dem Gardasee hat. So ist er dem italienischen Flair und seiner Arbeit um einiges näher, auch der lombardischen Regionalhauptstadt Milano.
Inhalt
Willkommen in Mailand
Top 10 & Mein Mailand
Top 10: Das müssen Sie gesehen haben
Mein Mailand: Lieblingsplätze des Autors
Stadttouren
Vom Dom zum Castello Sforcesco
Vom Domplatz über Sant’Eustorgio zum »Abendmahl«
Streifzüge
Mit dem Zug nach Como
Nach Süden zur Kartause von Pavia
Monza – mehr als nur Formel 1
Vista Points – Sehenswertes
Museen und Galerien
Kirchen
Architektur und andere Sehenswürdigkeiten
Erleben & Genießen
Übernachten
Essen und Trinken
Nightlife
Kultur und Unterhaltung
Shopping
Mit Kindern in der Stadt
Sport und Erholung
Chronik
Daten zur Stadtgeschichte
Service von Abis Z und Sprachführer
Service von A bis Z
Sprachführer
Register
Bildnachweis, Danksagung und Impressum
Zeichenerklärung
Top 10 Das müssen Sie gesehen haben |
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Mein Mailand Lieblingsplätze des Autors |
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Vista Point Museen, Galerien, Architektur und andere Sehenswürdigkeiten |
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Kartensymbol: Verweist auf das entsprechende Planquadrat der sowie zu Google Maps. |
Mailand, eine Weltstadt, eine Metropole für alle Ansprüche, für Menschen mit Kultur, für den Mann von Welt, für die modebewusste Dame, für Sammler von Museen und Kirchen aber auch für Tagträumer und Nachtbummler, für Feinschmecker und Liebhaber eines guten Tropfens.
Und für alle gilt: Die Hauptstadt der Region Lombardei gehört zu den teuersten Italiens, das spürt man schnell an der Urlaubskasse. Im Triangolo d’Oro, dem Mode-Mekka, schleppen daher vor allem schicke Leute pralle Einkaufstaschen mit sündhaft teuren Designerkleidern und -schuhen.
Das ist die eine Welt. Andere Besucher kommen wegen der Kultur nach Mailand. Sie wollen vielleicht den »Barbier von Sevilla« in der Scala sehen oder den Dom mit allen Sinnen genießen – seine riesigen Ausmaße einer typischen Basilika mit erhöhtem Mittelschiff, sein Dach, die Terrazzi, mit Hunderten von Figürchen und Türmchen, der goldenen Madonnina und – kaum zu glauben – Kampfszenen eines ehemaligen Boxweltmeisters.
Doch der Dom ist nicht alles. Es lohnt sich, in stillen Gassen zu suchen: in Santa Maria presso San Satiro Bramantes Trick mit einer nicht vorhandenen Apsis, in San Maurizio die Kunst des Bernardino Luini, der Kirchenraum und Nonnenbereich vollkommen mit Fresken ausschmückte und dessen Sohn eine wunderbare Szene der Arche Noah malte. In Sant’Eustorgio erfährt man, dass dort – nicht nur im Kölner Dom – Gebeine der Heiligen Drei Könige aufbewahrt werden.
Dazu kommen die Museen mit ihren unermesslichen Schätzen wie die berühmte Pinacoteca Brera, der Kunsttempel für Anhänger von Tiepolo bis Raffael, ohne die kein Mailand-Besuch denkbar wäre, oder das Museo Poldi Pezzoli, das schönste der Stadt, u.a. mit Cranachs »Luther mit Frau«. Seit seiner geglückten Restaurierung 1999 ist ein weiteres Highlight in seiner Bewegung und Farbigkeit zu bewundern: da Vincis »Abendmahl«.
Und last, but not least gibt es die herrlichen Abende und Nächte, die Aperitivo-Kultur bei flotter Musik und leckeren Häppchen, die Bars und Restaurants, die bis 1 Uhr nachts geöffnet sind. Und wer dann noch nicht genug hat, findet genügend Discos, die erst morgens um 5 Uhr ihre Pforten schließen.
Duomo Santa Maria Nascente
S. 9 ff., 36 ff. H12/Google Map
Alles macht atemlos: die Ausmaße des Gotteshauses, die großen farbigen Glasfenster, die unter dem Domplatz ausgegrabene Taufkirche San Giovanni und sowieso der Aufstieg auf das Dach des Doms.
Teatro alla Scala
S. 13 f., 47, 60 G11/12/Google Map
Hier begeistern nicht nur die Aufführungen, ob Opern oder Ballett, auch die edlen Logen und vor allem das Publikum: bravi, bravi – und noch ein Vorhang.
Museo Poldi Pezzoli
S. 14 f., 33 f. F12/Google Map
Das schönste Museum der Stadt, wohnlich eingerichtet die Säle, einmalig die Sammlungen, wunderschön das »Bildnis einer jungen Dame«.
Pinacoteca di Brera
S. 15, 35 E/F11/Google Map
Ein unvergesslicher Besuch bei den großen Meistern, angefangen bei Piero della Francesca bis zu Rubens, van Dyck, El Greco, Tizian und Tintoretto.
Parco Sempione
S. 16 f., 21, 46 D–F7–10/Google Map
Die grüne Lunge der Stadt, ein Park für Spiele und Picknick, für ein Sonnenbad und ein Nickerchen im Schatten.
Triennale Design Museum
S. 16 f., 35 f., 46 E8/Google Map
Hier lebt man mitten in der Fantasie großer Designer, darf aber auch schmunzeln über manche verrückte Idee.
Castello Sforzesco
S. 17 f., 21, 30 f. F9/10/Google Map
Wuchtig die Festung, prächtig der Corte Ducale, anrührend Michelangelos »Pietà Rondanini« und sensationell preiswert der Besuch der vielen Museen.
Sant’Ambrogio
S. 20, 39 f. H9/Google Map
Überall Schmuckstücke: mitten in der Kirche der frühchristliche Sarkophag, der Goldaltar, das Apsismosaik und über der Schatzkammer die kleine, goldene Mosaikkuppel.
Cenacolo Vinciano
S. 21, 41 f. G8/Google Map
Leonardo da Vinci verwendete für sein Meisterwerk die falsche Technik, die Farben blätterten ab. Seit 1999 kann »Das Abendmahl« nach langjähriger Restaurierung wieder aus nächster Nähe betrachtet werden.
Naviglio Grande
S. 45 f., 55, 57, 68 M7–L9/Google Map
Da muss man mehrmals hin: morgens ein Spaziergang entlang den Kanälen, mittags eine Bootsfahrt, abends ein Aperitivo mit Übergang zum nächtlichen Barbesuch.
Liebe Leser,
das sind einige Plätze in Mailand, die ich bei jedem Aufenthalt gerne wieder aufsuche. Eine schöne Zeit in Mailand wünscht Ihnen
Gottfried Aigner
Kirche San Maurizio
S. 21, 38 f. G9/Google Map
Farbenrausch, Fresken von oben bis unten, zum Verlieben schön die hl. Katherina in der Besozzi-Kapelle, weiter hinten wie im Film die Rettung aller Tiere in die Arche Noah, der Zug der Kamele, Giraffen, Elefanten, Vögel etc. Da muss ich bald wieder hin.
Restaurant Al Mercante
S. 53 H11/Google Map
Ein Stuhl auf dem Platz, gegenüber dem Backstein-Palazzo della Raggione, auf dem Tisch dampfende »Spaghetti frutti di mare« neben einem schillernden Roten.
Aperitivo-Bar Jazz Café
S. 55 f., 58 D8/Google Map
Heiteres Leben herrscht draußen auf dem Corso Sempione und ein reiches Aperitif-Buffet wartet drinnen im Jazz Café; Abendstimmung bei heißer Musik. Die sehen mich bald wieder.
Gianluca Saitto
S. 65 F11/Google Map
Gianluca war Architekt, jetzt »baut« er fantasievolle Design-Kleidung, beim nächsten Besuch muss er mir eine Weste basteln.
Giardini Pubblici
S. 69 f. D–F13/14/Google Map
Pause im Grünen: Mütter schieben Kinderwagen, ein »Spritz« in der Kneipe, Ponys vor der Kutsche, Besuch bei den Schmetterlingen und im Naturkundemuseum.
Vormittag
Piazza del Duomo – Dom – Galleria Vittorio Emanuele II – Piazza della Scala – Scala und Museo Teatrale – Museo Poldi Pezzoli – Museo Civico del Risorgimento – Palazzo di Brera mit Pinacoteca.
Mittag
Bar Brera E11/Google Map
Via Brera 23, 02 87 70 91
Tägl. durchgehend 7–3 Uhr geöffnet (vgl. S. 55, 57).
Nachmittag
Museo Minguzzi – San Simpliciano – Acquario Civico – Parco Sempione – Triennale Design Museum – Castello Sforcesco und Museen.
Über 150 Stufen steigt man dem Dom H12/Google Map auf das Dach, auf die Terrazzi. Wer Kraft sparen will, nimmt hinter beiden Querschiff-Armen den Lift. Atemberaubend ist es da oben auf jeden Fall: diese Fülle von Figuren, Türmen, Streben und Maßwerk. Und dann die vier Meter hohe, vergoldete Madonnina, 108,5 Meter hoch über dem Chor. Sie ist nicht nur Mailands Wahrzeichen, sondern auch Liebling der Mailänder. Um ihr noch näher zu kommen, geht man nur noch ein paar Schritte zurück, auf die Chorseite zu.
Von oben erkennt man, was schon die römischen Siedler des Ortes meinten, als sie, 222 v. Chr. den Kelten abgeknöpft, ihre neue Gründung zwischen Alpenkamm und Po-Ebene Mediolanum – Ort in der Mitte – nannten.
Der Blick vom Dach des Doms beweist die zentrale Lage Mailands, die es zu dem heutigen Zentrum der Mode, der Medien und der Moneten werden ließ.
Doch von hier oben wird nicht nur die zentrale Lage der lombardischen Regionalhauptstadt deutlich, sondern auch, dass sich der Dom so ziemlich genau in ihrer Mitte befindet. Vom Dach aus sind Kirchen, Paläste und moderne Bankengebäude zu erkennen. Und bei klarer Sicht scheinen die Alpen zum Greifen nahe – direkt hinter der Kuppel der Galleria Vittorio Emanuele II im Norden.
Manche Besucher nutzen das Dach des Mailänder Doms als Flaniermeile, einige bewegen sich mit vorsichtigen Schritten über die schrägen Dachplatten, manche machen es sich sogar liegend auf dem Dach bequem, das Gesicht der Sonne zugewandt. Andere lehnen geradezu mit Verzückung an einem der 135 Fialentürmchen und betrachten die einzelnen Figuren, Schnecken und sonstigen 3000 kunstvoll gehauenen Formen. Wenn manche Figuren nicht dem gotischen Idealbild entsprechen, liegt es daran, dass der Dom wie jedes andere Gotteshaus von Bedeutung ständig restauriert werden musste. Wen wundert’s also, dass zur Zeit der Faschisten Kampfszenen des beliebten Primo Carnera, 1934 Box-Weltmeister im Schwergewicht, ganz oben in Stein gehauen wurden.
Von oben lässt sich die Stadttour aus der Vogelperspektive vorzeichnen und planen, ob wir lieber mit der nördlichen Stadthälfte – wie im Anschluss – beginnen oder mit der südlichen (am nächsten oder einem anderen Tag, vgl. S. 18 ff.).
Begibt man sich nach vorne, zur Westfassade also, der Madonna den Rücken zugewandt, streift der Blick zunächst abwärts zur Piazza del Duomo H11/12/Google Map. Wie Ameisen schwirren Menschen über das Pflaster, scheuchen immer wieder Schwärme von Tauben auf, die sich dann auf Köpfen und Händen der Kinder niederlassen. Ein Foto für Freunde oder für Oma und Opa, die zu Hause geblieben sind. Hohe Paläste umsäumen das Areal, mittendrin das mächtige Reiterstandbild Vittorio Emanueles II, des ersten Königs von Italien.
Als die Untergrundbahn gebaut wurde, gab es hier lange Verzögerungen, weil unter dem alten Pflaster das Battistero San Giovanni alle Fonti entdeckt und freigelegt wurde. Dieses Baptisterium aus dem 4. Jahrhundert ist eines der frühesten Zeugnisse christlichen Lebens in Mailand und jetzt vom Dom aus zugänglich.
Gleich im Norden von der Piazza del Duomo beginnt Mailands Prachtstück, der wahre Salon der Stadt, die kreuzförmige Galleria Vittorio Emanuele II G/H11/12/Google Map, ein Durchbruch zur Piazza della Scala mit dem weltberühmten Teatro alla Scala G11/12/Google Map. Rechts von der Galleria mit ihrer hohen gläsernen Kuppel kann man die Dachterrasse des Kaufhaus-Giganten Rinascente entdecken. Sollte man sich für den nächsten Brunch mit garantiertem Domblick vom Dachgeschoss merken!
Für den südlichen Teil der Stadttour muss man sich auf dem Domdach auf die andere Seite begeben. Gleich südlich des Doms steht der Palazzo Reale H12/Google Map, das ehemalige königliche Schloss. Rechts davon schaut man vom Domdach nach Westen auf die zur Zeit der Faschisten beliebten, in strenger Bauweise errichteten Doppeltürme.
Gleich dahinter beginnt nach Westen mit der Via Spadari die superfeine Schlemmermeile Mailands, die ein ganzes Rechteck umfasst. Dort verbirgt sich auch ein kirchenarchitektonisches Kleinod: die Kirche Santa Maria presso San Satiro H11/Google Map, in der sich Bramante mit seiner Architekturmalerei, die Tiefe vortäuscht, unsterblich gemacht hat.
Davon in Richtung Südwesten sieht man vom Domdach aus die Renaissance-Kuppel von Mailands ältestem Gotteshaus, der Kirche San Lorenzo Maggiore J/K10/Google Map mit ihrer großartigen, frei stehenden Säulenhalle, ein oft belebter Treffpunkt der Jugend. Genau in westlicher Richtung erhebt sich Sant’Ambrogio H9/Google Map, dem ersten Bischof Mailands und Wohltäter Ambrosius (340–397) geweiht, den die Mailänder bis heute, ob religiös oder nicht, verehren. Zieht man eine imaginäre Linie zwischen San Lorenzo und Sant’Ambrogio weiter nach Nordwesten, ist am Horizont der obere Teil des Eingangs zum Fußballstadion San Siro aD2/Google Map zu entdecken. Doch genug der Übersicht, jetzt geht es wieder hinunter zum Domplatz.
Auf der Piazza del Duomo H11/12/Google Map schaut man zunächst auf die helle Fassade des Doms, dessen fünf Hauptportale gerne als Treffpunkt gewählt werden, weil man sich sonst auf dem großen Platz verfehlen würde. Die rechte Bronzetür stammt von dem Mailänder Künstler Luciano Minguzzi, dessen Arbeiten im Museum Minguzzi zu bewundern sind.
Geblendet von der sonnenüberfluteten Piazza stehen die Besucher zunächst im Innenraum des Doms in vermeintlich totaler Finsternis. Ganz langsam versuchen die Pupillen, den grandiosen Raum in den Griff zu bekommen. Allmählich tritt die Parade der 52 Pfeiler aus dem Dunkel, die Kapitelle mit vielen wunderbaren Figuren. Endlich erreichen die Augen ihre volle Sehkraft und schon werden sie von der Farbenflut der Kirchenfenster überschüttet. Zu den Sehenswürdigkeiten im Dom gehören rechts unterhalb des Chors die kleine Kammer mit dem Domschatz sowie die Krypta und ihr gegenüber die Grabkapelle von Erzbischof Borromeo (1538–84). Nicht versäumen sollte man den Abstieg in das unter dem Domplatz liegende frühchristliche Baptisterium; in der Taufkapelle San Giovanni alle Fonti (4. Jh.) soll der heilige Ambrosius seine Anhänger getauft haben.
Auch wenn es recht teuer ist, eine kleine Pause mit Stil sollte man sich in der Galleria Vittorio Emanuele II G/H11/12/Google Map gönnen, und zwar mit einem Spritz oder einem Kaffee im historischen Biffi von 1867 oder einem Essen im Jugendstil-Café-Restaurant Zucca in Galleria, wo übrigens das weltberühmte Bittergetränk Campari erfunden wurde. Hier sollen sich schon Puccini und Verdi zum Aperitif getroffen haben. Eine weitere eingeführte Restaurant-Adresse ist das einst sympathisch-altmodische und inzwischen mit seiner angeschlossenen Caffetteria auf moderne Kreativität getrimmte Savini. Relativ preiswert in der teuren Umgebung ist Il Salotto di Milano.
Die Galleria begrenzt die Nordseite der Piazza del Duomo. Man wird geradezu magisch vom Eingang der Stahl-Glas-Konstruktion angezogen. Nach einer Strecke von fast 200 Metern mündet sie in die Piazza della Scala G11/12/Google Map mit einem Denkmal zu Ehren von Leonardo da Vinci, der vom Mailänder Bildhauer Pietro Magni (1817–77) zusammen mit vier seiner Schüler zu Füßen dargestellt ist. Ehrfürchtig wandern die Augen zur klassizistischen Fassade des 1778 erbauten Teatro alla Scala G11/12/Google Map. Hier haben Italiens große Vier, Verdi, Bellini, Rossini und Donizetti, ihre Triumphe erlebt, doch auch Richard Wagner kam in diesem Haus zu Ehren. Die Scala war aber auch ein Ort der leisen Revolutionen, hier trafen sich die Befürworter des Risorgimento (= Wiederaufleben, gemeint sind die Befreiungskämpfe). Bei der Uraufführung von Vinzenzo Bellinis »Norma« kam die Wut der unter der Fremdherrschaft durch die österreichischen Habsburger leidenden Italiener zum ersten Mal zum Ausbruch. Als der Chor der Druiden »Guerra, guerra« (Krieg, Krieg) anstimmte, schwenkte das italienische Publikum Tücher in den italienischen Nationalfarben, die österreichischen Offiziere aus der ersten Reihe spürten die Auflehnung und verließen leise das Theater. Der Aufruhr wiederholte sich auch bei Verdis »Nabucco« mit dem Chor der in babylonischer Gefangenschaft lebenden Juden »Va pensiero, sull’ali dorate …« (Flieg’, Gedanke, auf goldenen Flügeln …). VV, »Viva Verdi« wurde zum Signal der Freiheitsbewegung, unterschwellig aber auch für Vittorio Emanuele, den König von Italien, also zu »Viva Vittorio«, ohne dass es expressis verbis ausgesprochen werden musste.
Spritz hat tatsächlich etwas mit Spritzen zu tun, nämlich mit dem aus urigen dicken Flaschen mit Spritzvorrichtung in den Drink hineingespritzten Selters. Die erfrischende Mischung besteht aus Weißwein, Campari oder Aperol und eben Selters. Obendrauf eine duftende Orangen- oder Zitronenscheibe.
Gerne erzählt man sich in Mailand diese Anekdote: Als Arturo Toscanini während der Uraufführung von Puccinis unvollendeter Oper »Turandot« an der Stelle angelangt war, über die der Komponist selber nicht mehr hinausgekommen war, unterbrach er das Orchester und sagte zum Publikum gewandt: »Hier starb Puccini«. Die Oper wurde nach Toscaninis Vorschlag von Puccinis Schüler Franco Alfano nach Notizen des Meisters vollendet.
Dass Musik nicht nur Tonkunst ist, sondern auch zu Initiativen der Bevölkerung führen kann, ist im Museo Teatrale alla Scala G11/Google Map zu erfahren. Und auch dazu gibt es eine aufregende Geschichte: Im kühlen Februar 1911 wurde in Mailands kulturellen Kreisen bekannt, dass der Antiquitätenhändler Giulio Sambón seine kostbare Sammlung von Theater-Raritäten in Paris zur Versteigerung freigeben wollte. Ein amerikanischer Industrieller sollte auch noch die Hände im Spiel gehabt haben. Mailands Kulturhüter und Musik liebende Privatleute waren sich schnell einig, dass die unschätzbare Sammlung nicht außer Landes gehen durfte, erst recht nicht über den Ozean. Eine Delegation machte sich auf dem Weg nach Paris, spielte alle erdenklichen diplomatischen Hilfen aus und hatte Erfolg. Am 8. März 1913 konnte das Museo della Scala eröffnet werden, im Kern mit der geretteten Sammlung.
Von der Tonkunst zur bildenden Kunst. Wir gehen ein kleines Stück zurück in die Via Alessandro Manzoni, wo in der Nummer 12 eine der bedeutendsten Pinakotheken Mailands in den beiden zusammengehörenden Palazzi Poldi-Pezzoli untergebracht ist. Die Palazzi mitsamt Sammlungen hat Gian Giacomo Poldi-Pezzoli 1872 seiner Heimatstadt Mailand testamentarisch hinterlassen. Daraus wurde das Museo Poldi Pezzoli F12/Google Map, das von Kennern als schönstes Museum der Stadt bezeichnet wird. In den original eingerichteten Räumen zeigt die Privatsammlung des Barons u. a. Lucas Cranachs Bildnis Luthers und seiner Frau Katharina von Bora. Zum Sinnbild für Stil und Eleganz Mailands wurde Piero del Pollaiolos anmutiges Tafelbild »Bildnis einer jungen Dame«, das Profil einer eleganten, jungen, blonden Frau. Vielleicht als Sinnbild für Härte und kaufmännische Tüchtigkeit kann Andrea Mantegnas »Porträt eines Mannes« gelten (ca. 1450), ein ernster Mailänder mit Hakennase, zusammengekniffenem Mund und großen Ohren. Ein Bankier? Unter den Sammlungen bietet vor allem der Uhrenraum Überraschungen wie die zahlreichen Taschenuhr-Aufziehschlüssel.
Die Via Alessandro Manzoni ein Stück weiter nordwärts und an der Metrostation Montenapoleone nach links in die Via Borgonuovo gelangt man zum neoklassischen Palazzo Moriggia (1775) mit dem Museo del Risorgimento Italiano E12/Google Map. Hier erfährt der Besucher alles über den Befreiungskampf des Landes, das seit 1525 zuerst von den spanischen und dann den österreichischen Habsburgern beherrscht wurde. Erst 1859 tritt Österreich Mailand an Sardinien ab, von 1861 an gehört die Stadt zum geeinigten Königreich Italien.
Weiter geht es rund um den Palazzo di Brera, zuerst in die Via Fiori Chiara und gleich nach links in die Via Brera mit der Pinacoteca di Brera E/F11/Google Map, die Kunstfreunde aus aller Welt anzieht. Nach 200 Jahren verstecktem Aufenthalt in der zu einem Ausstellungssaal umfunktionierten Kirche Santa Maria di Brera und der langjährigen Restaurierung in Florenz ist jetzt Antonio Canovas »Napoleon« im Saal XIV zu sehen, eine prächtige, über drei Meter hohe und fast zwei Tonnen schwere Gestalt. Dazu muss man erwähnen, dass Canova seine Gipsabgüsse mit ebenso großer Sorgfalt bearbeitete wie seine Marmorskulpturen, die ihn berühmt und als Bildhauer begehrt gemacht hatten. Vom selben Künstler stammt das Bronzedenkmal in der Mitte des Ehrenhofs, das Napoleon I. als Friedensstifter darstellt, in seiner rechten Hand auf einer Kugel die Siegesgöttin Victoria, die dem Gipsmodell gestohlen wurde.
Auffallend im Gang, der oben zum nackten Napoleon führt, sind die aus verschiedenen Kirchen abgenommenen Fresken von Bernardino Luini, seine Werke schmücken auch die Kapelle in Saal XII. Eine ganze Wand nimmt in Saal VIII das Gemälde »Die Predigt des hl. Markus in Alexandria« ein. Es stammt von Gentile Bellini (um 1429–1507) und wurde nach dessen Tod von seinem Bruder Giovanni (um 1430–1516) vollendet.
Interessant sind die Vergleiche zum »Letzten Abendmahl«: In Saal XXX zeigt Daniele Crespi (1597–1630) ein üppiges Mahl mit Fisch und Zitronenscheiben, Zicklein und Brötchen, Salzfass und oben links einem Servierer. In Saal XXXI stellt Rubens eine karge Mahlzeit mit nur einem Brot dar.
Im Viertel der Brera hat sich eine intensive Szene etabliert, die ihr Zuhause in den Aperitif-Bars hat. Die gibt es hier in so ziemlich jeder Kategorie im engen Gassengewühl westlich der Pinakothek. Am einfachsten zu merken ist da die Bar Brera E11/Google Map. Dort kann man sich am frühen Abend an der Aperitif-Theke, wenn das Glas Wein an der Kasse bezahlt ist, so viel zu essen holen, wie der Teller fasst. Klar, dass hier junge Mailänder und Touristen mit knapper Reisekasse eintreffen.
Die Via Brera geht im Norden über in die Via Solferino, die am Largo C. Treves endet. Vorher links ab in die Via Palermo, dort versteckt sich in Nummer 11 das Museo Minguzzi E11/Google Map (www.lucianominguzzi.it). Luciano Minguzzi (1911–2004) hat sich international mit seinen modernen Plastiken und Malereien einen Namen gemacht. Wenn geschlossen ist, einfach klingeln. Ein Höhepunkt seines Schaffens sind »Le Due Figure« (Die zwei Figuren), eine Bronzeplastik, und die Zeichnung »La Donna che salta la Corda« (Die Seilspringerin).
Ein paar Schritte den benachbarten Corso Garibaldi südwärts liegt ein weiterer Ort der Ruhe, die Kirche San Simpliciano E10/11/Google Map, eine Gründung des San Ambrosius, vollendet von seinem Nachfolger, dem hl. Simplician. Dessen Graburne befindet sich hinter dem Hochaltar. Beachtenswert ist das Fresko in der Apsiskuppel: Gottvater mit dem Heiligen Geist und der Krönung der Gottesmutter. Im Kloster bieten die beiden Kreuzgänge Gelegenheit für eine Ruhepause. Ein Stück den Corso abwärts in Richtung des Teatro Strehler, überquert man rechts eine große Kreuzung zum Viale Gadio, wo sich der Eingang zum Acquario Civico E10/Google Map befindet, ein Ort des Wunderns bei der Betrachtung der Welten unter Wasser. Kaum wegzubringen sind die Kinder von den Aquarien mit Fischen, Muscheln und Korallen.
Dem Aquarium gegenüber befindet sich ein Eingang zum öffentlichen Parco Sempione D–F7–10/Google Map, dem früheren Jagdgebiet der Sforza mit alten, Schatten spendenden Bäumen und der schönsten aller Grünanlagen in Mailand. Hier kann man sich erholen vom heißen Pflaster der Stadt, hier dürfen die Kinder toben und tanzen. Vorbei an der alten Arena, dem Stadio Civico, führen vorwiegend schattige Wege entweder hoch zum Arco della Pace D/E8/Google Map, einem Triumphbogen zur Erinnerung an den Europäischen Frieden von 1815, oder westwärts zum Triennale Design Museum E8/Google Map. Mittendrin steht die 100 Meter hohe Torre Branca mit Blick über Park und Burg und die Kulturstrecke, die wir bisher hinter uns gebracht haben.
Bosco Verticale
Grüne Konkurrenz zum Parco Sempione gibt es seit November 2014 nördöstlich der grünen Lunge im Viertel Porta Nova (vgl. S. 43). Diesmal ist es aber ein bosco verticale – 7400 m2 Wald, senkrecht verteilt auf insgesamt 44 Stockwerke. Sein Planer, der italienische Architekt Stefano Boeri, folgt damit der Tendenz des ökologischen Bauens: Zwei Wolkenkratzer mit 900 Bäumen und 2000 weiteren Pflanzen auf den Terrassen und Balkonen sind ein Musterbeispiel für höhere Lebensqualität der Bewohner und setzen ein Zeichen gegen die Zersiedelung der Stadt. Die Bäume, Sträucher und Pflanzen sollen Lärm, Staub und Hitze mildern, Insekten und Vögeln neue Lebens- und Nahrungsräume bieten.
Die spektakulären Hochhäuser werden von Hobby-Fotografen gerne besucht. Wer Glück hat, entdeckt, wie die drei angestellten Gärtner sich per Kran an der Außenfront abseilen, um die vertikale Waldfläche (7400 m2!) zu pflegen.
Der Hochhausturm Torre E ist 110 Meter hoch und über 26 Etagen begrünt, Torre D misst 76 Meter und hat 18 Etagen. Gegossen wird der senkrechte Wald mit dem Brauchwasser der Wohnungen, in einem Becken im Keller gesammelt und durch ein Schlauchsystem auf die Terrassen befördert.
Südlich des Viale Gadio erreicht man das Castello Sforzesco F9/10/Google Map. Die mit vier Ecktürmen uneinnehmbar scheinende Burg flog 1521 nach einem Blitzschlag in die Luft, denn in seinem mächtigen Hauptturm lagerten rund 250 000 Pfund Schießpulver. 1880 wollten die Mailänder Stadtväter die Ruine ganz beseitigen lassen – was sie zum Glück nicht durchsetzten konnten. Dafür hatten sie ordentlich zu investieren, um das grandiose Bauwerk wieder aufzubauen. Man sieht: Es hat sich gelohnt! Das Castello beherbergt heute mehrere Museen. Sie sind hinter dem früheren Exerzierplatz, der Piazza d’Armi, rund um den Corte Ducale untergebracht. Zum Pflichtbesuch gehört die Skulpturensammlung mit antiker Bildhauerei. Im sogenannten Spanischen Hospital steht die »Pietà Rondanini«, ein unvollendetes Werk Michelangelos.
Piazza del Duomo – Santa Maria presso San Satiro – San Lorenzo Maggiore – Sant’Eustorgio – Sant’Ambrogio – Santa Maria delle Grazie mit »Abendmahl« – Piazzale L. Cadorna – San Maurizio al Monastero Maggiore – Parco Sempione.
Die Stadttour ist in der ausfaltbaren Karte und im Kartenausschnitt S. 20/21 blau eingezeichnet.
Rund um den Domplatz stehen eindrucksvolle Paläste. Auch wenn manche nur von außen zu besichtigen sind, bekommt man ein Gefühl für die Arbeit und Fantasie der Baumeister in der Renaissance und ihr folgend im Barock sowie im unübersehbaren Fascismo. Im südlichen Teil der Piazza wird der Palazzo Reale H12/Google Map für Wechselausstellungen genutzt. Im selben Komplex befindet sich das Museo del Duomo H12/Google Map mit Informationen zur Baugeschichte des Doms. Westlich schließt sich die geruhsame Piazza dei Mercanti H11/Google Map an. Früher war sie das Zentrum der Stadt, Anwälte mit Tinte und Feder, Schuster, Bäcker, Schneider, Weber und andere Handwerker boten hier ihre Dienste an. An der Flanke des Händlerplatzes steht der Palazzo della Ragione, ein edles Backsteingebäude und das erste Rathaus der Stadt (1228).
Durch den Passagio degli Osii geht es in die Via Orefici und rüber zur Schlemmerecke Mailands mit der Via Spadari, der Via Speronari und der Via Victor Hugo – die reinste Verführung. Wer hier einkehren möchte, sollte wissen, dass er tief, teilweise auch sehr tief in die Tasche greifen muss. Angefangen beim traditionellen Delikatessentempel Peck in der Via Spadari 9 und aufgehört beim supermodernen, stylischen Zweisternerestaurant Cracco in der Via Victor Hugo 4. Nicht nur das Ambiente ist modern und von Rationalität geprägt, auch die Küche ist es, die sich als kreativ und experimentell versteht. Da wird man pro Menü locker 100 Euro los, Getränke nicht inklusive, versteht sich.
Ganz in der Nähe, verfolgt von den Düften der Fressmeile, steht an der Piazza Pio XI der Palazzo dell’Ambrosiana H11/Google Map. Seine Pinakothek mit Werken italienischer und niederländischen Künstler, von Boticelli und Ghirlandaio, Caravaggio, Luini und Leonardo da Vinci mit dem Codice Atlantico, begeistern Besucher. Gegenüber mündet die Via Spadari in die Via Torino. Auf der östlichen Seite ein paar Schritte zurück versteckt sich hinter einem Plätzchen Santa Maria presso San Satiro H11/Google Map. Die ehemalige Kirche aus dem 9. Jahrhundert, heute die Capella della Pietá, wurde zu Ehren von San Satiro, dem Bruder von Ambrosius gebaut. Interessant ist, wie Bramante die Illusion eines Chors, für den kein Platz mehr war, erweckte.
Weiter nach Südwesten, am lebhaften Corso di Porta Ticinese, ragen Tambour und Laterne der Kirche San Lorenzo Maggiore J/K10/Google Map aus dem Gebäudekomplex. Der Zentralbau stammt aus frühchristlicher Zeit, die Renaissancekuppel von 1574, sehenswert sind vor allem die Mosaiken aus dem 4. Jahrhundert in der Aquilinus-Kapelle. Hinter der Kirche beginnt der Parco delle Basiliche J–L10/Google Map, ein willkommener Ruheplatz. An seinem Ende steht die Kirche Sant’Eustorgio L10/Google Map, wo die Gebeine der Heiligen Drei Könige 700 Jahre lang versteckt waren, bis Barbarossa das Gotteshaus zerstörte und die Reliquien nach Köln verschleppte. Im Kreuzgang der Kirche kann man das Museo Diocesano besuchen.
Durch den Park geht es wieder zurück zur Kirche San Lorenzo, dann hoch bis zur Porta Ticinese, wo links die Via Lanzone beginnt. Sie endet an der Piazza Sant’Ambrogio mit der Kirche Sant’Ambrogio H9/Google Map, dem wichtigsten Bauwerk der lombardischen Romanik und einem der bedeutendsten Kunstdenkmäler Mailands. 379 wurde der Bau der Kirche vom Stadtpatron, dem heiligen Bischof Ambrosius veranlasst, der auch hier in der Krypta begraben liegt. Auffallend an der Emporenbasilika sind die zwei Glockentürme rechts und links der Fassade. Mönche und Domherren sollen um das Recht, die Glocke läuten zu dürfen, gestritten haben. Deshalb steht links der Campanile dei Canonici, der Domherren, rechts der Campanile dei Monaci, der Mönche. Gleich nebenan ist die Università Cattolica besonders zur Mittagszeit nicht zu übersehen, dann herrscht ein lebhaftes Gewusel. Hier hat sich Bramante mit zwei wunderbar ausgearbeiteten Kreuzgängen verewigt.
Westlich von Sant’Ambrogio finden technisch Interessierte das Museo Nazionale della Scienza e della Tecnologia Leonardo da Vinci H/J7/8/Google Map, Italiens größtes Museum seiner Art, u. a. mit der weltweit größten Sammlung von da Vincis Maschinenmodellen.
Über Via San Vittore und Via B. Zenale erreicht man die Kirche Santa Maria delle Grazie G8/Google Map mit dem Cenacolo Vinciano, da Vincis »Abendmahl«. Durch viele Reparaturen war es lange Zeit stark ramponiert, aber seit der letzten Restaurierung (1977–1999) ist es wieder in seiner ursprünglichen Gestaltung zu bewundern.
Wer sich noch intensiver mit dem großen Genie beschäftigen möchte, findet in der Pinakothek des Palazzo dell’Ambrosiana den berühmten Codice Atlantico (vgl. S. 34).
Weiter geht es über die Via Caradosso zur Piazza Virgilio und über die Via Boccaccio zum Piazzale L. Cadorna. Hier erinnert das moderne Kunstwerk »Nadel, Faden und Knoten« daran, dass wir uns in der Hauptstadt der Mode befinden. Die Via G. Carducci abwärts bis zum Largo P. d’Ancona und dort links auf dem Corso Magenta zum ehemaligen Kloster San Maurizio al Monastero Maggiore G9/Google Map, in dessen Räumen das Archäologische Museum untergebracht ist. Die gezeigten Funde stammen aus dem Garten rund um die restaurierten römischen Mauern. Nebenan bietet die Renaissancekirche San Maurizio eine Überraschung: ein in leuchtenden Farben von Bernardino Luini und seinen Söhnen total freskierter Kirchenraum, ebenso total bemalt sind die abgetrennten Klausurräume der Nonnen.
Nur ein Katzensprung ist es über die Via S.G. sul Muro zum Largo Cairoli G10/Google Map mit einem modernen Brunnen und der zentralem Station für Metro, Straßenbahn und Bus. Von hier blickt man auf das wunderbare, überdimensionale Halbrund des Foro Buonaparte mit seinen hohen Stadtpalästen und auf das nächste Halbrund der schattigen Piazza Castello, Auftakt zum grünen Areal vor dem Castello Sforzesco. Nach langem Pflastertreten bietet der Parco Sempione D–F7–10/Google Map hinter der trutzigen Festung auch auf dieser Tour Gelegenheit für eine schattige Pause.