Andrew Summers
Merry Christmas
STREETBOY
X-Mas Lovestory
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Das Model auf dem Coverfoto steht in keinem Zusammenhang mit dem Inhalt des Buches.
Das Model, das den Autor Andrew Summers darstellt, steht in keinem Zusammenhang mit dem realen Autor und dessen Werke. © malestockphoto.com/model_1240
Alle Rechte vorbehalten. Ein Nachdruck oder eine andere Verwertung, auch auszugsweise, ist nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages gestattet.
Originalausgabe: November 2014
ISBN: 978-3-944672-24-3
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Handlung, Charaktere und Orte sind frei erfunden.
Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder toten Personen ist rein zufällig.
Im realen Leben gilt verantwortungsbewusster Umgang miteinander und Safer Sex.
Wir weisen daraufhin, dass Meinungen oder Behauptungen unserer Autoren nicht zwingend unsere eigene widerspiegeln.
Wortlos sah Dave seiner besten Freundin Claudia in die Augen. Sie standen nun schon seit einer gefühlten Ewigkeit wie zwei Statuen in dem gigantischen Kaufhaus und schwiegen sich an. Doch dann konnte Dave sich nicht länger zurückhalten: „Vergiss es!“
„Warum denn nicht?“, fragte Claudia mit einem Schulterzucken. „Es wäre doch die Möglichkeit, in den Himmel zu kommen.“
Dave rollte die Augen und schaute sie genervt an. „Seit wann bist du zu den Gläubigen übergewechselt?“
„Ähm … Spielt ja auch keine Rolle. Ich wette mit dir, dass du es nicht schaffen wirst.“ Claudia wusste, dass Dave solche Äußerungen nicht ausstehen konnte. Er wollte schließlich in allem immer der Beste sein. Und sie konnte in seinen Augen lesen, dass er nachgeben würde. Sie bräuchte nur noch ein paar schlagende Argumente, um ihn überreden zu können. „Wie lange machen wir das jetzt schon?“
„Zehn Jahre“, antwortete Dave angestrengt. „Aber das kannst du nun wirklich nicht von mir verlangen.“
„Seit zehn Jahren machen wir zur Weihnachtszeit das Gleiche: Eine gute Tat vollbringen, und dies wäre jetzt deine Aufgabe für dieses Jahr.“
Dave schüttelte den Kopf. „Findest du nicht, dass es einfach unmöglich ist?“
„Seit wann ist für dich etwas unmöglich?“
„Ich meine, wir haben viel Gutes getan, aber ich kann kein Wunder vollbringen. Ich bin kein Zauberer!“
„Nein, aber du bist Dave! Und soweit ich weiß, hat Dave noch nie etwas nicht gekonnt.“
Dave atmete tief durch und wagte einen Blick über die Schulter. „Wenn ich das mache, dann wirst du dieses Jahr das Fest mit deiner Mutter verbringen.“
Claudia gab ein lautes und abfälliges „Ha!“ von sich. „Von wegen!“ Sie zeigte ihm den Vogel. „Wer bin ich denn?“
„Claudia“, erwiderte er mit einem kleinen gemeinen Lächeln. „Wenn ich das da“, er zeigte mit dem Finger auf jemanden, „tun soll, dann wirst du mit deiner Mutter ein fröhliches und tolles Weihnachten verbringen. Ihr werdet gemeinsam die Wohnung schmücken, Plätzchen backen und euch Geschenke machen.“
„Niemals.“
„Und als Beweis dafür lieferst du mir ein Videotagebuch ab. Deal?“ Er streckte ihr die Hand entgegen.
Claudia zögerte. Sie hasste ihre Mutter und ihre Mutter hasste sie. Schon seit Jahren sahen sie sich nur noch, wenn sie sich zufällig über den Weg liefen. „Da verlangst du echt viel von mir.“
„Im Gegensatz zu mir, wirst du es ja wohl leicht haben. Also?“
Claudia prustete. „Von mir aus.“ Sie gab ihm die Hand darauf. „Aber wehe, du versagst.“
„Ich versage niemals“, meinte Dave selbstsicher.
„Das werden wir ja noch sehen. Um welchen Einsatz spielen wir?“
„Wer verliert, der wird nächstes Jahr auf dem Weihnachtsmarkt in einem Elfenkostüm die Kinder glücklich machen – jeden Tag.“
„Ich und ein Elfenkostüm“, sagte Claudia abschätzig. „Darin sehe ich nicht aus wie eine Elfe, sondern wie ein Walross.“
„Dann bekommst du eben noch eine Extraaufgabe: Abnehmen.“
„Wenn es denn sein muss. Ich werde sowieso gewinnen.“
„Was macht dich da so sicher?“, wollte Dave wissen.
Claudia fasste Dave bei den Schultern und drehte ihn um. „Schau da!“, sagte sie und zeigte mit dem Finger auf eine Person. „Mein Vorhaben ist im Gegensatz zu deinem ein Kinderspiel.“ Sie kicherte.
Dave schaute sich den jungen Kerl, der dort mit ein paar besoffenen Typen auf einer Bank saß, von Kopf bis Fuß an. Verdreckte Boots, eine zerfetzte Jeanshose, ein Pullover, der älter nicht hätte sein können, und eine Lederjacke, die zwar schick aussah, aber nicht zum Rest des katastrophalen Outfits passte. „Oh Mann!“, seufzte Dave. „Wenn ich das schaffen sollte, dann will ich einen VIP-Platz im Himmel bekommen.“
Claudia klopfte ihm auf den Rücken. „Ich wünsch dir viel Glück.“ Mit einem dreisten Kichern ging sie davon.
„Glück ist das wenigste, was ich brauchen werde“, murmelte Dave und blickte erneut zu dem Typen mit dem kurzen, braunen Haar und dem Dreitagebart.
Dave verehrte Weihnachten. Es gab für ihn keine Zeit im Jahr, die so wundervoll war wie diese. Er liebte es, seine Wohnung zu schmücken, Veranstaltungen zu organisieren, anderen Menschen eine Freude zu bereiten und gute Taten zu vollbringen. Sein jetziges Vorhaben schien jedoch allein schon an der Vorstellung zu scheitern. Wie sollte er das nur anstellen?
♂♂
Der erste Montag im Dezember und Dave hatte die Hände voller Tüten. Das hatte er aber auch schon an etlichen Tagen im November gehabt. Wenn Weihnachten vor der Tür stand, dann wurde er zum regelrechten Weihnachtsschreck. Wer nicht feiern wollte, der wurde mit solch bösen Blicken bestraft, dass er es sich schnell anders überlegte, und wer nicht das tat, was Dave verlangte, der wurde auch mal angemeckert – und schlimmer. Dave betrat den Friseursalon und stellte die Taschen ab. Das ewige Braun auf seinem Kopf war er leid. „Ich hätte gern ein paar Highlights“, sagte er nett, aber auffordernd zu der Friseuse. „Aber nicht zu viele. Nur ein paar.“
♂♂
Mit einem zufriedengestimmten Lächeln verließ Dave den Salon. Endlich hatten seine Haare (im Messy Hairstyle) ein paar helle Strähnen. Zuhause angekommen stellte er seine Einkäufe ab. Seit sechs Uhr in der Früh war er nun schon auf. Von acht bis 15 Uhr hatte er gearbeitet, um 15:30 Uhr eingekauft, um 16:30 Uhr die Haare stylen lassen und nun war es bereits kurz nach 18:00 Uhr. Füße hochlegen und sich ausruhen, kam aber nicht infrage. Dazu hatte er einfach viel zu viel um die Ohren. Er griff nach seinem Handy und rief seine beste Freundin Claudia an.
Claudia nahm mit einem angestrengten Stöhnen ab. „Ja?“
„Was hast du denn für Probleme?“, wunderte Dave sich.
„Es ist einfach unmöglich…“, beschwerte Claudia sich, „mit dieser Frau Weihnachten zu feiern!“
Dave hörte ihr zwar zu, aber irgendwie ging ihm das Gemecker in das eine Ohr rein und zum anderen wieder raus. Irgendwann fragte er: „Bist du jetzt fertig?“
Sie brummte. „Was ist denn?“
„Wo treffe ich ihn um diese Zeit an?“
„Ja, wo wohl?“
„Wenn ich wüsste, wo sich heruntergekommene Straßenjungs aufhalten, dann würde ich dich nicht fragen.“
„Auf der Straße vielleicht?“
„Geht es auch noch etwas genauer?“
„Moment … wir haben kurz nach sechs. Also nehme ich an, dass sie sich in der Suppenküche treffen. Haben ja auch mal Hunger.“
„Nein, wirklich?“, nahm Dave sie auf den Arm. „Dass Straßenkinder auch Hunger haben könnten, darauf wäre ich nie im Leben gekommen.“
„Sehr witzig. Vielleicht findest du ihn ja da. Und falls nicht, dann viel Spaß beim Suchen.“ Claudia lachte und legte auf.
Dave schüttelte den Kopf und atmete tief durch. „Dann mal auf.“ Doch bevor er losging, musste er sich einen Schluck Mut antrinken. Da kam ihm der Hunsrück GG Spätburgunder in der Magnumflasche gerade recht. 170 Euro hatte er einst für die 1,5 Liter bezahlt, und eigentlich hatte er sie erst zu einem passenden Anlass öffnen wollen, doch da Sekt nicht zu der Situation passte und er Bier nicht anrührte, da er es verabscheute, kam etwas anderes nicht infrage. Dave trank ein Glas davon, ehe er sich in seinen teuren TIGER of Sweden-Mantel einhüllte und hinaus in die Kälte ging. Nur das Beste und meist Teuerste kam an Daves Leib. Von billigen Kleidern ließ er seit jeher die Finger. Unterhosen von Kick? Niemals! No-Name-Socken? Vergiss es! Wühltische? Im Leben nicht! Dave achtete stets darauf, gut angezogen zu sein. Es war eine Eigenschaft von ihm, die ihm schon oft Hohn und Spott eingebracht hatte. Meistens von Leuten, die einfach nicht das Geld besaßen, sich so etwas Schickes leisten zu können, oder von pubertierenden Jugendlichen, die Extravaganz als unnormal ansahen. Doch all der Hass und die neidvollen Blicke gingen Dave am Allerwertesten vorbei. Er arbeitete schließlich hart für sein Geld und er liebte den Luxus fast so sehr wie Weihnachten.
Planlos blieb Dave an der Unterführung des Bahnhofs stehen. Wo musste er langgehen? Links? Rechts? Oder doch geradeaus? „Wo ist bloß der …“, er verstummte, als zwei Männer, die für ihn wie Penner aussahen, mit je einer Bierflasche an ihm vorbei gingen. Sollte er es wagen? All seinen Mut nahm er zusammen. „Ähm, Entschuldigung?“, sagte er – vergebens. „Hallo?“ Dave mochte es nicht, wenn man ihn ignorierte. „Ey, ihr beiden Obdachlosen!“ Ja, Dave hatte oftmals eine große Klappe. Dass er deswegen bisher noch nie geschlagen worden war, war pures Glück gewesen.
Die beiden fast Kahlköpfigen drehten sich langsam zu ihm um.
Mit einem scheinheiligen Lächeln ging Dave ein paar Schritte auf sie zu. „Könnt ihr mir vielleicht sagen, wo die Suppenküche ist?“
Verdutzt sahen sich die beiden an.
„Also da ...“, meinte Dave und klatschte einmal in die Hände, „... wo sich die Penner zum Essen treffen.“
„Du bist ganz schön frech, Kleiner“, sagte einer der beiden.
„Machen wir uns doch nichts vor. Ich nenne die Dinge nur beim Namen. Also? Könnt ihr mir sagen, wo ihr euch so trefft, wenn ihr hungrig seid?“
„Für´n Fünfer sage ich es dir.“
„Bist du bescheuert?“, fluchte sein Freund leise. „Der hat Kohle!“
„Für´n Zehner“, korrigierte er sich.
Zwar spendete Dave gern mal ein paar Euro, aber doch nicht an Leute, die es versaufen würden! „Tut mir leid, Jungs. Aber ich kann eure Sucht nicht unterstützen.“
„So tut es uns auch leid“, antwortete einer. „Dann kannst du halt noch lange weitersuchen.“ Die beiden Typen drehten sich um und gingen weiter.
Spring über deinen Schatten!, meckerte Dave sich selbst in Gedanken an. „Fünf Euro!“, rief er. „Nicht mehr!“
Die beiden liefen zu ihm zurück. „Ein Fünfer – für jeden von uns.“
„Von mir aus.“ Dave machte ein genervtes Gesicht, als er in seine Geldbörse sah, denn dort war der kleinste Schein ein Zwanziger. „Könnt ihr wechseln?“, fragte er beinahe schon verzweifelt. Die beiden wollten sich gerade wieder umdrehen, da sagte Dave hastig: „Ist ja schon gut!“ Er zückte den Zwanziger, der ihm sofort aus der Hand gerissen wurde. Dave mochte es nicht, dass die beiden Typen sich vor Freude fast bepinkelten. „Jungs? Jungs! Könntet ihr mir dann jetzt bitte sagen, wo …“
Einer der Kerle zeigte über die Bahngleise. „Da vorn. Das große Gebäude, auf dem VKU steht. Gleich daneben ist der unheimliche Ort, an dem sich die Penner zum Fressen treffen.“
Dave schaute doof aus der Wäsche. Dem Ziel so nah…, dachte er. „Danke.“ Mehr wollte er nicht sagen. Noch eine Weile konnte er die beiden Obdachlosen – sofern sie es überhaupt waren – sich freuen hören. „Das sollte als gute Tat eigentlich schon ausreichen“, murmelte er. Dave näherte sich dem Gebäude und sah sie bereits es betreten und verlassen: Menschen, die gekleidet waren, als gäbe es keine Waschmaschinen. Vor der Tür angelangt wollte Dave nicht öffnen. „Wer weiß, welche Krankheiten diese Leute haben.“ Jemand kam heraus. Es war seine Chance, hineinzugelangen. Gespielt fröhlich grüßte Dave den Mann, dessen Gesicht aussah, als ob er sich absichtlich mit dreckiger Erde beschmiert hätte. Geschockt von diesem Anblick hätte Dave fast die Chance verpasst, ins Gebäude zu gelangen. Sein Mantel streifte die Tür, was ihm überhaupt nicht gefiel. „Bäh!“, ekelte er sich und klopfte auf den 500 Euro teuren Stoff herum. Plötzlich biss ein ekelhafter Geruch in sein Riechorgan. Langsam schaute er auf und wäre am liebsten sofort wieder hinaus gegangen. Zwar waren nicht alle Anwesenden asozial gekleidet, aber der Anblick genügte, um den Ekel in ihm noch zu steigern. „Das stinkt hier wie bei meiner Oma, wenn sie ihren ekelhaften Käseauflauf zubereitet“, meckerte er leise und sah sich um. Es wäre schneller und vor allem leichter gewesen, wenn er sich von der Stelle bewegt hätte, aber das wollte er sich selbst nicht antun. Stattdessen stellte er sich auf die Zehenspitzen und suchte mit Adleraugen nach dem höheren Säugetier, das hier seine Mahlzeiten zu sich nahm. Doch Dave fand den Homosapien nicht. „Wahrscheinlich liegt er besoffen in irgendeiner Ecke oder spritzt sich irgendwelche Drogen“, lästerte er. Als ihn ein paar ältere Herrschaften von einem Tisch aus betrachteten, schüttelte Dave sich vor Ekel. Raus, er wollte nur noch raus aus dieser Siffbude. Es kostete ihn viel Überwindung, die Tür zu öffnen. Er tat es, und zwar sehr schnell. Ja, Dave schlug sie regelrecht auf und donnerte die Tür unabsichtlich jemandem vors Gesicht. „Oh, Entschuldigung!“, sagte Dave peinlich berührt, als der Mann sich mit geneigtem Kopf die Hände vors Gesicht hielt.
„Au, au, au, au!“
„Entschuldigen Sie bitte. Das war keine Absicht! Hab ich Ihnen wehgetan?“ Als der Kerl sich langsam zu erkennen gab, war Dave noch geschockter. „Du?!“
„Ja, ich.“
„Lucas, was machst du hier?“
„Das Gleiche könnte ich dich fragen“, meinte er und rieb sich die Nase.
„Ich hab dich schon gesucht.“
„Und als Begrüßung dachtest du dir: Schlag ich ihm doch einfach mal die Tür vors Fressbrett.“ Lucas war alles andere als erfreut, Dave wiederzusehen.
„Nein, so war das eigentlich nicht geplant.“
„Nicht? Was war denn geplant? Ein Regen bestehend aus roten Rosen?“
„Nein, ich, ähm …“ Dave fehlten die Worte, als er Lucas betrachtete. Allerdings nicht im positiven Sinn, denn Lucas trug genau das Gleiche wie an dem Tag, an dem er ihn zusammen mit Claudia aus der Ferne im Kaufhaus betrachtet hatte. Aus einem unerklärlichen Grund hoffte Dave, dass Lucas wenigstens frische Unterwäsche anhaben würde.