Inhaltsverzeichnis
Impressum
Angela Adhikari Ein Jahr Texas
Egon Börner Wenn die Wunderkerzen brannten
Michael CramerPhilosophisches vom Rhein – Zeit der Besinnung
Zoltán Dinók A finom kávé
Ursula Eichiner Abenteuer in Ägypten
Maike Johnke Lilly
Sia La Vache Die letzte Banane
Sándor László Versek
B. Lédyco Versek
Endre Rudolf Lichtenberger Atlantisz Fényúrhölgye
Claus Meyer In Anlehnung an mein Buch „Mensch bleiben“
Ruud Pieterse Het simpele leven van Piet Scholman
Sasa Popovic Kinder unserer Welt
Sándor Rohács Életre-Halálra
Luigi Rossetti ALOYSIUS, PRIVATE DETECTIVE OF FIVE YEARS OF AGE
Harald Schöffling Kleiner Weinkrimi
Barbara Scholz Fischmaulgeschichten und Parkgaragen
Katalin Tilk A Messzilátó domb
Ildikó Tomsek Versek
Othmar Traninger Gedichte Trilogie „Am Fluss“
Peter Wittich Brutale Abrechnung am Tigris
Impressum
Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.
Für den Inhalt und die Korrektur zeichnet der Autor verantwortlich.
© 2017 united p. c. Verlag
ISBN Printausgabe: 978-3-7103-3361-3
ISBN e-book: 978-3-7103-3362-0
Umschlagfoto: Lenise Calleja | Dreamstime
Umschlaggestaltung, Layout & Satz: united p. c. Verlag
Innenabbildungen: Bild 1. © Heinz Hub (Bildtitel: Blick auf Speyer),
Bild 2. © Ruud Pieterse, Bild 3-5. © Luigi Rossetti, Bild 6. © Rainer Volmerhausen (2016), Bild 7. © Barbara Scholz, Bild 8-9. © Othmar Traninger, Bild 10. © Peter Wittich
www.united-pc.eu
Angela Adhikari
Ein Jahr Texas
Das Feature
Auszug aus dem bisher unveröffentlichten Adoleszensroman, erstes Kapitel
Ankunft … oder: Wofür der Revolver unter dem Autositz gut ist
Hallo. Ich bin Marie. Marie Keller. Siebzehn Jahre alt. Vorgestern war ich noch Sweet Sixteen. „Du bist jetzt fast volljährig“, sagt mein großer Bruder Kalle. Der weiß es sowieso immer besser. Ich jedenfalls steige erstmal aus. Drei Monate sind mir zu wenig. Ich gehe ein Jahr. Ein Jahr weg von meiner Chaos Familie. Ein Jahr weg von Peppo, der hat mich sowieso sitzen lassen. Dummkopf. War ja vorherzusehen, sagt meine Mutter. Ich kann das nicht mehr hören. Warum wollen die mich alle ärgern? Ich geh nach Texas.
Nochmal bitte. Das geht zu schnell, du sprichst durcheinander.
Ich fand die Aufnahme eigentlich gut. Es war so, Moritz! Ich fand mich von niemandem gemocht. Immer nur Stress.
Ok, ich lass es drin. Aber pass auf, dass du nicht immer sowieso sagst. Klingt irgendwie dämlich.
Hallo. Da bin ich wieder. Dies ist das Feature über mich und mein Austauschjahr. Eigentlich war es ziemlich cool. Jedenfalls habe ich viel erlebt.
Schon besser.
Ich kam am Flughafen Tyler an, so einem kleinen texanischen Miniflughafen. War eine Propeller Maschine, in der ich saß. Neun Passagiere und zwei Piloten. Egal. Ich steige raus und gehe über die Landebahn, da steht schon Sheila und holt mich ab. Die nimmt mich einfach so in ihr quietschrotes Auto und meint, mein Koffer kommt später, der wird nach Hause gebracht.
Moment, wer ist denn Sheila und was ist mit deinem Gepäck?
Schiilaa ist die Gastmutter, meine erste Gastmutter. Richtig jung, gerade mal Mitte Zwanzig.
Das musst du uns schon sagen. Weiter.
Ich setze mich also zu Sheila in dieses quietschrote Auto, schlage die Türe zu. Sie sitzt neben mir, faltet einen pappigen Sonnenschutz zusammen, der vor die Windschutzscheibe geklemmt war, es ist ja soo heiß in Texas. Ich glaube, an dem Tag waren es mindestens 43 Grad oder besser gesagt: 109 Grad Fahrenheit. (Hust) Sie zieht ihre gigantisch große Sonnenbrille nach oben und beugt sich zu mir: „Weißt du, Mary, zu deiner Sicherheit, für den Notfall, unter dem Beifahrersitz liegt der Revolver.“ Ich verschlucke mich fast, mein Atem stockt. Herzstilstand. „Sollst du wissen, ist für den Notfall“, fügt sie etwas leiser hinzu. Dann rückt sie auf ihrem Sitz zurecht und die Fahrt geht los.
Sprachlos. Ich war einfach nur sprachlos. Unter meinem Sitz eine Knarre. Musste das sein? Ich schaute aus dem Fenster. Hügel, weite, grüne Landschaft. Pinien, ging mir durch den Kopf. Lauter Pinienwälder! Keine Wüste und Staub, wie das in den Wildwestfilmen immer ist. In meinem Gehirn rauschte es: Du bist in TEXAS. Dem Land der Cowboys. OSTTEXAS!
Nach circa zwei Stunden Fahrt hielten wir an. Ich dachte: OK, das ist eine Pause mitten im Grünen. Das war es aber nicht, wir waren zuhause angekommen. Also, da, wo ich nun ein Jahr zuhause sein sollte. „Du kannst aussteigen“, sagte Sheila. Sie hatte während der ganzen Fahrt nicht viel gesprochen, jedenfalls nichts, was ich verstehen konnte. Mein Englisch war so grottenschlecht, dafür war ich ja auch hier: um Englisch zu lernen. Irgendwie schien sie bedrückt. Ich wusste aber nicht warum.
Mensch, das war jetzt aber ziemlich viel. Mit gerade siebzehn ohne Koffer, mit Revolver im Auto, keine Sprache, fern der Heimat… Und dann diese ganzen Wälder. Kann ich mir gar nicht vorstellen
Eben, das soll ja auch im Feature rüberkommen. Ich mach mal weiter… Wie viel Zeit habe ich noch?
So gut fünf Minuten. Dann ist Schluss, die Sendung wird zu lang sonst. Bitte jetzt ein paar mehr Fakten, Marie.
Ok. Ich versuch es mal.
Osttexas. Pienienwälder, subtropisches Klima. Viele Tiere. Schlangen, Gürteltiere, Moskitos und im Haus viele amerikanische Schaben, diese riesigen braunen Dinger. Bibelgürtel, also viele viele Kirchen aller protestantischen Arten. Baptisten, Lutheraner, Methodisten, Episkopale und viele mehr. Da war ich nun gelandet. In einem kleinen Farmhaus vor den Toren der Kleinstadt Palestine, Texas.
Das erste, was ich etwas deutlicher wahrnehmen konnte, war ein gewaltiger Hundeauslauf. Ein Gartenstück umzäunt mit vermutlich fünf Hunden darin. Einige sahen räudig aus, andere riesengroß, einer ganz klein. „Das sind unsere Draußenhunde“, sagte Sheila und machte die Moskitotür auf, die vor der eigentlichen Haustüre angebracht war. Es war anscheinend der Hintereingang, denn er lag direkt neben der Garage.
Angela M. Adhikari,
lebt mit ihrer Familie in Hessen mag Geschichten und Menschen aller Art ist ehemalige Austauschschülerin, heute Interkulturelle Sprachpädagogin, Märchenerzählerin, Kinder- und Jugendbuchautorin (Zertifikat, Schule des Schreibens), und auch Practitioner in der Traumaarbeit mit Somatic Experiencing (SE). Bisher veröffentlicht bei United p.c.: „Schuu-hii fliegt in den Kindergarten“
Egon Börner
Wenn die Wunderkerzen brannten
Heute weiß ich nicht mehr, woran es lag, dass ich nach der Konfirmation, das Ende meiner Grundschulzeit vor Augen, keine Vorstellung davon hatte, was aus mir einmal werden sollte. Üblicherweise folgte dem Ende der Grundschule der Anfang der Lehre. So war das in meiner Familie väterlicherseits seit Generationen geregelt. Ich hatte mir über meine Zukunft keine Gedanken gemacht und niemand war scheinbar auf die Idee gekommen, mit mir darüber zu sprechen. Anders meine Großmutter Emma. Völlig unverhofft hatte die mich eines Tages gefragt, was ich denn beruflich einmal zu werden gedächte. >Ich gehe einmal ins Büro!<, war damals meine knappe Antwort.
Ich nehme nicht an, dass der im Kindesalter geäußerte Wunsch eine Rolle für die Entscheidung gespielt hat, mir den Besuch der Mittelschule zu ermöglichen. Damit hätte ich zwei Jahre Zeit, mir auszumalen, wohin die berufliche Reise einmal geht, meinte meine Mutter. Mein Vater beurteilte die „Höhere Schule“ zwar als verschenkte Zeit, sah aber offensichtlich keine andere Möglichkeit angesichts der eingetretenen Misere, die Weichen nicht rechtzeitig gestellt zu haben. Meine Lehrer hingegen betrachteten es als eine willkommene Gelegenheit, einem Arbeiterjungen solide Bildung angedeihen lassen zu können, ganz im Sinne der von der Schulbehörde durchzusetzenden Politik. Mein Schulfreund Kalle hat mir später einmal vorgehalten, dass es ihm nicht so leicht gemacht wurde, in eine weiterführende Schule aufgenommen zu werden, weil sein Adoptivvater als selbständiger Schlosser in unserem Dorf arbeitete und sein leiblicher Vater Beamter in Osnabrück war. Unabhängig davon hat er dennoch seinen Weg machen können. Fernab von dem Gedanken, mir damit einen Bärendienst zu erweisen, hielten es meine Lehrer offensichtlich für geboten, mit Blick auf den Besuch der Mittelschule meine Noten zu schönen. Auf meinem Abschlusszeugnis nach acht Jahren Grundschule standen plötzlich für die Fächer Mathematik, Physik und Russische Sprache die Noten zwei, obwohl mir zuvor eröffnet worden war, dass ich in diesen Fächern nicht über die Note drei hinaus käme. Ahnungslos, wie ich seinerzeit war, nahm ich die geänderten Zeugnisnoten zur Kenntnis und freute mich über die Tatsache, dass mir der Staat monatlich 25.- Ostmark Stipendium zahlen würde, weil meine Bedürftigkeit als Arbeitersohn und Mitglied einer kinderreichen Familie offensichtlich war. Um das Geld für ein Monatsticket der Buslinie vom Wohnort zum Schulort zu sparen, trat mir mein Vater sein Fahrrad ab, und so radelte ich denn Tag ein Tag aus, sommers wie winters etwa sechs Kilometer hin und sechs Kilometer zurück. Ich würde lügen wenn ich behauptete, dass mir das Lernen an der renommierten Schule leicht gefallen wäre. Meine Defizite waren offensichtlich. Besonders in Mathematik und Russisch hatte ich große Mühe, die Anforderungen zu erfüllen. An der Schule existierte ein Gesangschor dem ich schon bald beitrat, nicht weil ich mich sonderlich musikalisch wähnte, sondern weil ich keinen Bock hatte, schon früh am Tage wieder zu Hause zu sein. Dort erwarteten mich nämlich viele Arbeiten in Haus, Hof, Garten und auf Feldern meiner Großfamilie, genauso, wie die Beaufsichtigung meiner jüngeren Geschwister. Durch meine Mitgliedschaft im Fanfarenzug – er war Bestandteil der Sportgemeinschaft „Traktor“ – war es mir schon als Grundschüler gelungen, mich wenigstens an den Sonntagen, an denen entweder geprobt oder aufgetreten wurde, den anstehenden Arbeiten zu entziehen. Gleiches gelang mir als ganz junger Kicker in den Fußballmannschaften von „Traktor“. Meinem Vater gefiel das überhaupt nicht, aber meine Freizeitbeschäftigungen fanden, so als würden Wunderkerzen brennen, uneingeschränkte Unterstützung durch die Verantwortlichen des Sportvereins, zumal jedermann wusste, dass es durchaus in meinem und auch in höherem Interesse lag, wenn ich mich der Obhut meines Vaters wenigstens hin und wieder entzogen sah. Das mag verwundern. Aber mein Vater und ich, wir wurden ein Leben lang nicht vertraut miteinander. Erziehung hieß für ihn vor allem Züchtigung. Als Heranwachsender habe ich mich oft gefragt, warum das so war und ich konnte es mir nur so erklären, dass die Wirren des Krieges und die ungewollte Abwesenheit des Vaters von der Familie in jener Zeit an besagter Misere schuld gewesen sein könnten.