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Über dieses Buch

Arbeit ist alles, und wer keine Arbeit hat, steckt in Schwierigkeiten. Noch vor wenigen Jahren meinte der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder im Zusammenhang mit der Agenda 2010: »Es gibt kein Recht auf Faulheit in unserer Gesellschaft!«

Wer in Zeiten des Burnouts oder der ständigen Erreichbarkeit dem nicht mehr unhinterfragt folgen will, wird in Karl Marx’ Schwiegersohn Paul Lafargue (1842–1911) einen frühen Mitstreiter finden: Der wendete sich in seiner kleinen Schrift gegen die Verteidiger eines Rechts auf ungezügelte Arbeit. Man solle »sich darauf beschränken, nicht mehr als drei Stunden am Tag zu arbeiten und den Rest des Tages und der Nacht zu faulenzen und zu feiern« – ein ebenso aktueller wie brandgefährlicher Text.

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Fußnoten

Das Recht auf Faulheit. Zurückweisung des »Rechts auf Arbeit« von 1848.

Descartes, Les Passions de l’âme.

Doktor Beddoe [John Beddoe (18261911), britischer Ethnologe], Memoirs of the Anthropological Society.

Charles Darwin [18091882, bedeutender Anthropologe und Biologe, machte mit seiner Theorie über die natürliche Anpassung aller Lebewesen an ihren jeweiligen Lebensraum durch Variation und natürliche Selektion Furore], Descent of Man [nach On the Origin of Species ist The Descent of Man, and Selection in Relation to Sex (Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl) Darwins zweites wichtiges Werk. Mit der sexuellen Selektion führte er dort 1871 einen zweiten Mechanismus ein, um die Abstammung des Menschen zu erklären].

Die europäischen Forscher bleiben erstaunt vor der körperlichen Schönheit und der stolzen Haltung der Männer der primitiven Volksstämme stehen, die nicht durch das besudelt sind, was Poeppig [Eduard Friedrich Poeppig (17981868), berühmt vor allem als Zoologe und Botaniker für seine 10-jährige Amerikareise, dessen Werke Lafargue vermutlich in spanischer Übersetzung kannte] den »vergifteten Atem der Zivilisation« nannte. Über die Ureinwohner der ozeanischen Inseln schrieb Lord George Campbell [18231900, engl. Indien-Minister 186874]: »Es gibt kein Volk auf der Welt, das auf den ersten Blick mehr beeindruckt. Ihre ebene Haut mit einem leicht kupferfarbenen Teint, ihre goldfarbenen, lockigen Haare, ihre schönen und fröhlichen Gesichter, mit einem Wort: ihre ganze Person stellte ein neues und prachtvolles Modell des genus homo dar; ihre körperliche Erscheinung vermittelte den Eindruck einer uns überlegenen Rasse.« Die Zivilisierten des alten Roms, ein Caesar [Gaius Julius Caesar, 10044 v. Chr., römischer Staatsmann, Autor, Diktator] und Tacitus [um 58 – um 120, bedeutender römischer Historiker, vgl. dessen Annalen], betrachteten mit derselben Bewunderung die Germanen der kommunistischen Stämme, die in das römische Reich einfielen. – Und ebenso wie Tacitus führte auch Salvianus [Salvianus von Marseille, um 400 – um 475, einer der wichtigsten christlichen Kirchenväter], der Priester des 5. Jahrhunderts, dem man den Beinamen »Lehrer der Bischöfe« gab, die Barbaren gegenüber den Zivilisierten und Christen als Beispiel an: »Wir sind schamlos mitten unter den Barbaren, die keuscher sind als wir. Mehr noch, die Barbaren sind verletzt durch unsere Schamlosigkeiten. Die Goten dulden es nicht, dass Wüstlinge aus ihrem Volk unter ihnen weilen; einzig die Römer in ihrer Mitte haben durch das traurige Privileg ihrer Nationalität und ihres Namens das Recht, unzüchtig zu sein. (Die Päderastie war damals sehr in Mode unter den Christen) … Die Unterdrückten flüchten sich zu den Barbaren, um Menschlichkeit und Schutz zu suchen.« – (De Gubernatione Dei [so Salvianus de Marseille in seinem Von der Weltregierung Gottes]). Die antike Zivilisation und das aufstrebende Christentum verdarben die Barbaren der alten Welt, so wie das alternde Christentum und die moderne kapitalistische Zivilisation die Wilden der neuen Welt verderben.

 Monsieur F. Le Play [Frédéric Le Play (18061882), bedeutender Ökonom, Sozialreformer, Ingenieur und Geologe], dessen Talent für Beobachtungen man anerkennen muss, selbst wenn man seine mit philanthropischen und christlichen Schlaumeiereien verhafteten soziologischen Schlussfolgerungen zurückweist, erklärt in seinem Buch Les Ouvriers européens [Die europäischen Arbeiter] (1855): »Der Hang der Baschkiren zur Faulheit (Die Baschkiren sind halbnomadisch lebende Hirten der asiatischen Seite des Urals); die Muße des nomadischen Lebens, die Gewohnheiten der Meditation, die diese bei den begabtesten Individuen wecken, übertragen oft auf diese ein vornehmes Benehmen, eine Scharfsinnigkeit des Geistes und des Urteilsvermögens, die man selten auf demselben sozialen Niveau in einer weiter entwickelten Zivilisation beobachtet … Was sie am meisten abstößt, sind landwirtschaftliche Arbeiten; sie tun eher alles andere, als den Beruf eines Bauern anzunehmen.« Der Ackerbau ist in der Tat die erste Erscheinungsform sklavischer Arbeit in der Menschheitsgeschichte.

»Oh Meliboeus [Tityrus spricht hier zum Hirten M.], ein Gott hat uns diesen Müßiggang geschenkt«. VERGIL, Bucolica. (Siehe Anhang.) [Im Anhang findet sich kein Verweis.]

Evangelium nach dem Hl. Matthäus, Kap. 6 [Mt. 6,28 f.].

Auf dem ersten Wohltätigkeitskongress, der 1857 in Brüssel stattfand, berichtete Monsieur Scrive [vermutlich Antoine-Désiré Scrive-Labbe (17891864), Sohn und Nachfolger des Firmengründers Joseph-Désiré Scrive (17571808)], einer der reichsten Manufakturbesitzer aus Marquette nahe Lille, unter dem Beifall der Mitglieder des Kongresses mit der vornehmen Genugtuung einer vollbrachten Leistung: »Wir haben einige Ablenkungsmittel für die Kinder eingeführt. Wir bringen ihnen bei, während der Arbeit zu singen und auch bei der Arbeit zu zählen: das lenkt sie ab und lässt sie tapfer die zwölf Arbeitsstunden erdulden, die nötig sind, um ihnen die Existenzgrundlagen zu verschaffen.« – Zwölf Arbeitsstunden, und was für eine Arbeit! Kindern aufgezwungen, die noch keine zwölf Jahre alt sind! – Die Materialisten werden ewig bereuen, dass es keine Hölle gibt, in die man diese Christen, diese Philanthropen und Henker der Kindheit sperren könnte!

Rede vom Mai 1863, gehalten vor der Société internationale d’études pratiques d’économie sociale de Paris [Pariser Internationale Gesellschaft für praktische Studien der Sozialökonomie], in derselben Zeit veröffentlicht in L’Économiste français.

L.-R. Villermé, Tableau de l’état physique et moral des ouvriers dans les fabriques de coton, de laine et de soie, 1840 [Schilderung des körperlichen und moralischen Zustands der Arbeiter in den Baumwoll-, Woll- und Seidenfabriken, 1840]. Nicht weil die Dollfus’ [s. Anm. 34], Koechlins [s. Anm. 36] und andere elsässische Fabrikbesitzer Republikaner, Patrioten und protestantische Philanthropen waren, behandelten sie ihre Arbeiter auf diese Weise; denn die Herren Blanqui [s. Anm. 32], der Akademiker, sowie Reybaud, der Prototyp des Jérôme Paturot [Jérôme Paturot, Romanfigur von Louis Reybaud (17991879): kann alles, weiß nichts, vgl. Anm. 79] und Jules Simon [vgl. Anm. 20], der politische Mann für Alles, haben bei den sehr katholischen und sehr monarchischen Fabrikanten von Lille und Lyon dieselben Annehmlichkeiten für die Arbeiterklasse festgestellt. Es handelt sich um kapitalistische Tugenden, die wunderbar mit allen politischen und religiösen Überzeugungen harmonieren.

Die Indios der kriegerischen Stämme Brasiliens töten ihre Behinderten und ihre Alten; sie bezeugen ihre Freundschaft, indem sie ein Leben beenden, das nicht mehr durch Kämpfe, Feiern und Tänze erfreut wird. Alle Naturvölker haben den ihren diese Liebesbeweise erbracht: Die Massageten des Kaspischen Meeres (Herodot) genauso wie die Wenden Deutschlands und die Kelten Galliens. In den Kirchen Schwedens bewahrte man noch jüngst Keulen auf, die man Familienkeulen nannte und die dazu dienten, die Eltern von der Freudlosigkeit des Alters zu befreien. Wie verdorben sind doch die modernen Proletarier, dass sie geduldig das entsetzliche Elend der Fabrikarbeit akzeptieren!

Auf dem industriellen Kongress, der am 21. Januar 1879 in Berlin stattfand, schätzte man den Verlust, den die Eisenindustrie in Deutschland während der letzten Krise erlitten hatte, auf 568 Millionen Francs.

In der Justice von Monsieur Clemenceau vom 6. April 1880 hieß es im Finanzteil: »Wir haben gehört, wie die Meinung vertreten wurde, dass Frankreich selbst ohne Preußen die Milliarden des Krieges von 1870 ebenso verloren hätte und zwar in Form von Anleihen, die in regelmäßigen Abständen zum Ausgleich der Budgets fremder Staaten ausgegeben wurden; wir teilen diese Meinung.« Man schätzt den Verlust des englischen Kapitals bei Anleihen durch die Republiken Südamerikas auf fünf Milliarden. – Die französischen Arbeiter haben nicht nur die fünf Milliarden produziert, die an Monsieur Bismarck gezahlt wurden; vielmehr bedienen sie auch weiterhin die Zinsen auf Reparationszahlungen an Leute wie Ollivier [Émile Ollivier, 18251913, frz. Politiker, obwohl ursprünglich liberal, arrangierte er sich mit der Politik von Kaiser Napoleon III. und war 1869/1870 Vorsitzender des französischen Ministerrats, wurde aber vor Kriegsende entlassen], Girardin [vgl. Anm. 75], Bazaine [François-Achille Bazaine, 18111888, Marschall von Frankreich, verschlechterte durch zögerliches Verhalten zu Beginn des deutsch-französischen Krieges die frz. Lage, kapitulierte im Oktober 1870 mit ca. 170 000 Mann in der eingeschlossenen Festung Metz und wurde u. a. wegen Verrats vor ein Kriegsgericht gestellt] und andere Inhaber von Rententiteln, die den Krieg und den Zusammenbruch verursacht haben. Doch es bleibt ihnen ein kleines Trostpflaster: Diese Milliarden werden keinen Eintreibungskrieg auslösen.

Unter dem Ancien Régime garantierten die Gesetze der Kirche den Arbeitern 90 Tage Erholung (52 Sonntage und 38 Feiertage), während deren es ihnen streng verboten war zu arbeiten. Das war das große Verbrechen des Katholizismus und die Hauptursache der Irreligiosität der industriellen und handeltreibenden Bourgeoisie. Unter der Revolution, sobald letztere das Sagen hatte, hob sie die Feiertage auf und ersetzte die Sieben- durch die Zehntagewoche, damit das Volk nur noch an einem von zehn Tagen Erholung hatte. Sie befreite die Arbeiter vom Joch der Kirche, um sie besser dem Joch der Arbeit unterwerfen zu können.

 Der Hass gegen die Feiertage wird erst offensichtlich, als die moderne industrielle und handeltreibende Bourgeoisie zwischen dem 15. und dem 16. Jahrhundert Gestalt annimmt. Heinrich IV. bat den Papst um ihre Verringerung; dieser lehnte diese ab, weil »eine der heute geläufigen Ketzereien darin besteht, die Feiertage anzutasten« (Brief des Kardinals d’Ossat). Allerdings baute der Erzbischof von Paris, Perefix, im Jahr 1666 in seiner Diözese 17 Feiertage ab. Der Protestantismus, der die christliche Religion darstellte, die an die neuen industriellen und handeltreibenden Bedürfnisse der Bourgeoisie angepasst war, sorgte sich weniger um die öffentliche Erholung; er entthronte im Himmel die Heiligen, um auf Erden ihre Feiertage abschaffen zu können.

 Die religiöse Reform und das philosophische Freidenkertum waren nichts als Vorwände, die es der jesuitischen und habgierigen Bourgeoisie erlaubten, die öffentlichen Feiertage zu stehlen.