Zeitschrift für
Regional- und Kulturgeschichte
Nord-, Ost- und Südtirols
Begründet von Hermann Wopfner
Herausgegeben von Christina Antenhofer
und Richard Schober
81. Band 2017
Universitätsverlag Wagner
© 2017 by Universitätsverlag Wagner Ges.m.b.H., Erlerstraße 10, A-6020 Innsbruck
E-Mail: order@studienverlag.at
Internet: www.studienverlag.at
Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, Mikrofilm oder in einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
ISBN 978-3-7030-0932-7
Buchgestaltung nach Entwürfen von Kurt Höretzeder
Satz: Studienverlag/Karin Berner
Umschlag: Studienverlag/Roland Kubanda
Dieses Buch erhalten Sie auch in gedruckter Form mit hochwertiger Ausstattung in Ihrer Buchhandlung oder direkt unter www.studienverlag.at
Editorial
Aufsätze
PATRIZIA HARTICH
Jenseits der üblichen Kanäle:
Kommunikation zwischen Schwaben und Tirol
MARIA PRANTL
Der Schatz der Katharina von Burgund
MICHAELA FAHLENBOCK
„Durch uns und unnser Landtschaften gemacht [...]“
Landesfürst und Landstände am Tiroler Landtag des 15. Jahrhunderts
ROBERT BÜCHNER
Die Geschäfte des Rattenberger Kaufmanns,
Wirts und Bürgermeisters Lamprecht Auer († 1544)
und die Geschichte seiner Familie
GEORG NEUHAUSER / HANNAH KANZ
„Wir haben ime darauf alle jar bis auf unnser widerueffen
neunzig guldein Reinisch zu sold zugeben zuegesagt.“
Eine Bestandsaufnahme und eine Annäherung an die Besoldung
der Bergbeamten in Südtirol in der frühen Neuzeit
URSULA SCHATTNER-RIESER / HEINZ NOFLATSCHER
Der hebräische Taufhymnus des Karl Sigmund Konstantin (1637) –
Ein Zeugnis jüdisch-christlicher Konversion
am Hof Claudia de’ Medicis
ANDREAS OBERHOFER
Verbotene Bücher im Ahrntal:
Lesende Geheimprotestanten als Fallbeispiel für die Literalität
einer ländlichen Gesellschaft im 18. Jahrhundert
HANSJÖRG RABANSER
„Ich würde zu viel Zeit brauchen, die Menge der schönen Stücke
zu specificiren [...].“ Die Reise des Andreas Alois Dipauli
nach Genua und Turin (1785)
EVI PECHLANER
Anton Melchior von Menz (1757–1801),
ein Bozner Kaufherr und Musikmäzen
Miszelle
GEORG JÄGER/ KURT SCHARR/ ERNST STEINICKE
Gesamttirol im Blick. Tit. ao. Univ.-Prof. i. R.
Dr. Hugo Penz zum 75. Geburtstag
Nachrufe
JOSEF RIEDMANN
Hofrat Dr. Walter Neuhauser †
JOSEF RIEDMANN
Univ.-Prof. Senatsrat Dr. Franz-Heinz Hye †
Besprechungen
Walter Landi, Otto Rubeus fundator. Eine historisch-diplomatische
Untersuchung zu den karolingischen und ottonischen Privilegien
für das Kloster Innichen (769–992) (JOSEF RIEDMANN)
Helmut Rizzolli / Federico Pigozzo, Der Veroneser Währungsraum.
Verona und Tirol (CHRISTINA ANTENHOFER)
Helmut Stampfer / Oskar Emmenegger, Die Ywein-Fresken
von Schloss Rodenegg (LEO ANDERGASSEN)
Alois Niederstätter, Die Vorarlberger Burgen
(JULIA HÖRMANN-THURN UND TAXIS)
Archäologie im Überetsch. Archeologia dell’Oltradige,
hg. von Günther Kaufmann (ELIAS FLATSCHER)
Nicolaus Cusanus. Ein unverstandenes Genie in Tirol,
hg. von der Stiftung Bozner Schlösser (IOANNA GEORGIOU)
Der frühe Buchdruck in der Region. Neue Kommunikationswege
in Tirol und seinen Nachbarländern, hg. von Roland Sila
(ERIKA KUSTATSCHER)
Druckfrisch. Der Innsbrucker Wagner-Verlag und der Buchdruck
in Tirol, hg. von Wolfgang Meighörner / Roland Sila /
Tiroler Landesmuseen-Betriebsgesellschaft m.b.H.
(ERIKA KUSTATSCHER)
Riesen und Zwerge, hg. von der Stiftung Bozner Schlösser
(JULIA HÖRMANN-THURN UND TAXIS)
Christine Zucchelli / Irmeli Wopfner, Anno 1613 von Tirol
nach Rom. Die abenteuerliche Pilgerfahrt des Doktor
Hippolyt Guarinoni (CHRISTINA ANTENHOFER)
Praktiken der Frühen Neuzeit. Akteure – Handlungen – Artefakte,
hg. von Arndt Brendecke (CHRISTINA ANTENHOFER)
Genealogisch-heraldisches Adelslexikon von Tirol und Vorarlberg,
verfasst von Joseph Sebastian Kögl († 1856), für den Druck
bearbeitet und in 2 Bänden hg. von Olaf Stanger
(CHRISTINA ANTENHOFER)
Angela Jursitzka / Helmut Pawelka, Carl von Etzel.
Ein Leben für die Eisenbahn (KURT SCHARR)
Die Festungen im Alttiroler Raum. I forti militari nel Tirolo storico,
hg. von Gustav Pfeifer (MARKUS SCHMIDGALL)
Melachgeflüster. Allerlei Geschichten und Nachrichten
aus dem Sellraintal. Ein historisches Lesebuch für Einheimische
und Gäste, hg. von Georg Jäger (HUGO PENZ)
Hans Grießmair, Stuben und Möbel im Tiroler Bauernhaus
(THOMAS BERTAGNOLLI)
Hansjörg Bader, Sterbebilder in Tirol.
Vom Gebetsaufruf zur Erinnerung (ELLEN HASTABA)
Markus Wurzer, „Nachts hörten wir Hyänen und Schakale heulen.“
Das Tagebuch eines Südtirolers aus dem Italienisch-
Abessinischen Krieg 1935–1936 (INGRID BÖHLER)
Thomas Casagrande, Südtiroler in der Waffen-SS.
Vorbildliche Haltung, fanatische Überzeugung
(INGRID BÖHLER)
Stefan Lechner, Die Absiedlung der Schwachen in das
„Dritte Reich“. Alte, kranke, pflegebedürftige und behinderte
Südtiroler 1939–1945 (EVA PFANZELTER)
Oliver Seifert, Leben und Sterben in der Heil- und Pflegeanstalt
Hall in Tirol 1942 bis 1945. Zur Geschichte einer psychiatrischen
Anstalt im Nationalsozialismus (ULRICH LEITNER)
Kriegsende in Lienz. Das Wintertagebuch der Ila Egger-Lienz
1944–1945. Mit einer historischen Einführung von Wilfried
Beimrohr, hg. von Roland Sila (EVA PFANZELTER)
Sabine Mayr / Joachim Innerhofer, Quando la patria uccide.
Storie ritrovate di famiglie ebraiche in Alto Adige. Premessa di
Peter Turrini, a cura del Museo ebraico di Merano (HANS HEISS)
Bocksiedlung. Ein Stück Innsbruck,
hg. von Melanie Hollaus / Heidi Schleich (ULRICH LEITNER)
Horst Schreiber, Restitution von Würde. Kindheit und Gewalt
in Heimen der Stadt Innsbruck. Mit einem Beitrag
von Ulrike Paul (ULRICH LEITNER)
Bruno Kreisky und die Südtirolfrage / Bruno Kreisky e la questione
dell’Alto Adige, hg. von Gustav Pfeifer / Maria Steiner
(STEFAN LECHNER)
Gebhard Bendler, Wilder Kaiser. Von Sommerfrischlern,
Kletterlegenden, Skipionieren und dem Bergdoktor.
200 Jahre Alpingeschichte und Reisekultur (KURT SCHARR)
Ländliche Gemeingüter. Kollektive Ressourcennutzung
in der europäischen Agrarwirtschaft / Rural Commons.
Collective Use of Resources in the European Agrarian Economy,
hg. von Niels Grüne / Jonas Hübner / Gerhard Siegl
(ANDREAS OBERHOFER)
Cities as Multiple Landscapes. Investigating the Sister Cities Innsbruck
and New Orleans, hg. von Christina Antenhofer / Günter Bischof /
Robert Dupont / Ulrich Leitner (FRANZ MATHIS)
Wanderungen. Migration in Vorarlberg, Liechtenstein und in der
Ostschweiz zwischen 1700 und 2000, hg. von Peter Melichar /
Andreas Rudigier / Gerhard Wanner (KARIN SCHNEIDER)
einheimisch – zweiheimisch – mehrheimisch.
Geschichte(n) der neuen Migration in Südtirol,
hg. von Eva Pfanzelter / Dirk Rupnow (VERENA SAUERMANN)
Wild und schön. Der Krampus im Salzburger Land,
hg. von Matthäus Rest / Gertraud Seiser (ANNA HORNER)
Abstracts
Autorinnen und Autoren dieses Bandes
Der diesjährige Band der Tiroler Heimat legt einen Schwerpunkt auf akteurszentrierte und biographische Beiträge. Zwei Aufsätze zu Fragen der Religion und Konfessionalisierung fügen sich thematisch in das Luther-Jubiläumsjahr. Zunächst setzt sich PATRIZIA HARTICH mit der Kommunikation zwischen Schwaben und Tirol am Beispiel der Esslinger Missivenbücher auseinander. Während sich Kommunikation über längere Distanzen nur selten in diesen Büchern findet, enthalten diese eine beachtliche Anzahl von Schreiben an Tiroler Städte, die in der Regel durch Erbangelegenheiten bedingt waren, die Esslinger Bürger nach Tirol führten. Damit liefern die Missiven zugleich wertvolle Einblicke in menschliche Schicksale, die ansonsten wenig Spuren in Archiven hinterlassen haben. MARIA PRANTL widmet ihren Beitrag Katharina von Burgund, Gattin Herzog Leopolds IV., und rekapituliert die Spuren ihres Lebens insbesondere am Beispiel ihres reichen Brautschatzes. In einer genauen Analyse des Brautschatzinventars beschreibt die Autorin die Zusammensetzung der Aussteuer einer Fürstin um 1400, die zugleich Einblicke in ihre Lebenssituation und Handlungsräume erlaubt. Mehrere Dokumente aus der späteren Zeit ermöglichen zudem, einzelne Objekte über einen längeren Zeitraum zu verfolgen und damit stückweise Objektbiographien zu schreiben. MICHAELA FAHLENBOCK bietet gleichfalls einen akteurszentrierten Ansatz, wenn sie in ihrem Beitrag das Zusammenspiel von Ständen und Landesfürst am Tiroler Landtag des fünfzehnten Jahrhunderts untersucht. Ausgehend von den methodischen Ansätzen der politischen Kommunikation gilt ihr Interesse nach einem Blick auf die Entwicklung des Landtags der Zeit Sigmunds des Münzreichen und den Formen des politischen Verhandelns, welche sie insbesondere am Beispiel des Innsbrucker Landtags von 1474 darlegt. Im Zentrum des Beitrags von ROBERT BÜCHNER steht gleichfalls ein historischer Akteur, namentlich Lamprecht Auer, Händler, Wirt und Bürgermeister im Rattenberg des 16. Jahrhunderts. In einer detaillierten Quellenauswertung gelingt es dem Autor, sowohl der Geschichte Lamprechts als auch jener seiner Familie in zahlreichen Facetten Gestalt zu verleihen und damit ein Stück frühneuzeitlicher Stadtgeschichte zu rekonstruieren. Lamprecht Auer galt um 1530 als einer der drei reichsten Männer der Stadt, dessen Handelsinteressen bis in das heutige Südtirol und nach Italien reichten. Nicht zuletzt zeigt sich sein hohes Ansehen im Umstand, dass er dreizehnmal das Amt des Bürgermeisters der Stadt einnahm. GEORG NEUHAUSER und HANNAH KANZ behandeln in ihrem Beitrag ebenso akteurszentrierte Fragen, wenn sie die Besoldung der Bergbeamten im Gebiet des heutigen Südtirol in der Frühen Neuzeit zu rekapitulieren versuchen. Die quellenbasierte Bestandsaufnahme kann auf Arbeiten, die im Sonderforschungsbereich HiMAT zur Bergbaugeschichte an der Universität Innsbruck durchgeführt wurden, aufbauen und setzt sich zum Ziel, den Mythos des Reichtums der Bergbaubeamten zu relativieren. URSULA SCHATTNER-RIESER und HEINZ NOFLATSCHER nehmen ein bemerkenswertes Selbstzeugnis des 17. Jahrhun derts zum Anlass, um das Schicksal und Selbstverständnis eines jüdischen Konvertiten am Hof der Claudia de’ Medici zu rekonstruieren. Das seltene autobiographische Zeugnis erlaubt Einblicke in spirituelle Auffassungen und subjektive Sichtweisen des jüdischen Verfassers, dessen Fall durch drei weitere Beispiele von Konvertiten kontextualisiert wird. Die wohl erzwungene Konversion forderte Assimilation, die sich insbesondere in der Namensgebung des Konvertiten zeigte und die mit der Diplomatie der Tiroler Habsburger der Zeit eng verwoben war. Fragen der Konfessionali- sierung wendet sich der Beitrag von ANDREAS OBERHOFER zu, der Prozessakten über die Befragung von Kryptoprotestanten der Jahre 1733, 1759 und 1768 im Tauferer Ahrntal im heutigen Südtirol untersucht. Die Akten erlauben seltene Einblicke in den Buchbesitz ländlicher Bevölkerungsgruppen und damit in Fragen nach der Lese- und Schreibfähigkeit. Dabei handelt es sich vor allem um den Kauf, Besitz und den Umgang mit Büchern und Schriften, die von den Autoritäten als gefährlich angesehen wurden, da sie als ketzerisch und damit verboten eingestuftes Gedankengut enthielten. Im Ahrntal galt eine Gruppe von Kryptoprotestanten seit dem 16. Jahrhundert als Zentrum religiöser Devianz und wurde deshalb entsprechend verfolgt und überwacht. HANSJÖRG RABANSER bietet in seinem Aufsatz eine biographische Skizze, die auf einem Selbstzeugnis ruht, das er auswertet und in den zentralen Teilen transkribiert. Es handelt sich um die Beschreibung der Reise, die der Tiroler Student Andreas Alois Dipauli während seiner Studienzeit an der Universität Pavia gemeinsam mit seinen Kollegen Anton von Remich und Joachim Insam 1785 nach Genua und Turin unternahm. Der Beitrag setzt die Serie der Analyse und Publikation der Reisebeschreibungen von Dipauli aus dem Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum fort, welche im letzten Band der Tiroler Heimat mit der Beschreibung der Certosa von Pavia begonnen wurde. Auch diese Reisebeschreibung bietet vor allem Informationen zu den Städten, den besuchten Kirchen, Kunstschätzen und der Architektur, jedoch kaum Einblick in die persönlichen Eindrücke des Autors. EVI PECHLANER beschließt den diesjährigen Band mit einer weiteren biographischen Skizze. Ihr Interesse gilt dem Bozner Händler und Musikmäzen Anton Melchior von Menz (1757–1801). Basierend auf der archivalischen Überlieferung im Südtiroler Landesarchiv kann die Autorin seine Lebensstationen detailreich nachzeichnen. Menz’ Erfolg und Reichtum ruhte auf Handel und klugen Investitionen in Seidenproduktion und Handelskompanien in Rovereto. Bereits in jungen Jahren begann er Musikalien zu sammeln. In Bozen nutzte er seinen Reichtum nicht nur für karitative Werke, sondern ebenso für kulturelle Initiativen. Insbesondere organisierte er in den 1780er- und 1790er- Jahren mehrere Opernproduktionen. Damit kann Menz als typischer Repräsentant der selbstbewussten reichen Bozner Bürger angesehen werden.
CHRISTINA ANTENHOFER / RICHARD SCHOBER
Der ausgehende Briefverkehr der Reichsstadt Esslingen im späten Mittelalter liegt durch die Missivenbücher1 im Umfang von 44 Bänden noch heute vor. Diese enthalten die nur durch kleine Lücken unterbrochene Überlieferung der vom Bürgermeister und dem Rat der Stadt Esslingen ausgehenden Korrespondenz der Jahre 1434 bis 1598. An ihrer Entstehung waren fast ausschließlich der Esslinger Stadtschreiber und sein Unterschreiber beteiligt, sodass sich in den meisten Bänden nur zwei Hände finden. Anhand ihrer Eintragungspraxis lassen sich kanzleiinterne Verwaltungsvorgänge und die Bewerkstelligung der städtischen Kommunikation nachvollziehen, zum Beispiel belegen aufgefundene Originalbriefe, dass vereinzelt Briefe keinen Eintrag in den Büchern erhalten hatten,2 gleichzeitig zeugen die Kürzungen, die am Formular der Briefeinträge vorgenommen wurden, von Bemühungen um zeitsparendes Arbeiten im Verwaltungsalltag.3
Zudem geben die Bücher mit den Inhalten der zahlreichen verzeichneten Brieftexte Aufschluss über die verschiedensten Ereignisse und stellen damit unter anderem eine ergiebige Quelle für die Sozial- und Kulturgeschichte sowie für prosopographische Studien dar. Neben der Erfassung der Inhalte bietet der Umfang der Esslinger Missivenbücher zudem die Möglichkeit, die Verteilung von Korrespondenzpartnern der Stadt über einen längeren Zeitraum festzustellen. Es bestätigt sich hier die naheliegende Vermutung, dass die Kommunikation mit geografisch nahe gelegenen Korrespondenzpartnern häufiger ist als mit weiter entfernten. Häufiger Nachrichtenaustausch konnte jedoch auch mit entfernteren Adressaten stattfinden, wenn diese in irgendeiner Weise, kirchlich oder weltlich, für die Stadt zuständig waren.4
Mit Adressaten in Tirol, wo für die Stadt Esslingen keine weltliche oder geistliche Zuständigkeit vorlag, kommunizierte Esslingen nur zu seltenen Gelegenheiten, sodass hier die Kommunikation als außergewöhnlich angesehen werden kann. Die nähere Betrachtung der Korrespondenz Esslingens mit Tiroler Adressaten im Hinblick auf Inhalte und Anlässe soll daher Gegenstand der folgenden Analyse sein. Im Zentrum steht dabei die Frage, was die Auslöser für diese außergewöhnliche Kommunikation waren, welche Gründe es für Briefkorrespondenz über diese Distanz gibt. Hinzu kommt die Frage nach der Bewerkstelligung des Briefverkehrs: Obwohl durch Tirol verschiedene wichtige Verkehrswege in Richtung Süden führten,5 ist der regelmäßige Einsatz von Esslinger Boten an einzelne Orte bei der Entfernung und beim vergleichsweise seltenen Austausch kaum vorstellbar. Anhand der Briefinhalte soll versucht werden, die zeitgenössische Organisation des Briefverkehrs bei der Kommunikation über größere Distanz zu untersuchen.
Der Begriff der Kommunikation im Mittelalter kann, wie die große Zahl von Publikationen der letzten Jahrzehnte gezeigt hat, die verschiedensten Arten von Interaktion zwischen Menschen bezeichnen.6 Der Terminus communicatio umschließt für sich genommen schon mehrere Bedeutungen, beispielsweise hinsichtlich sozialer oder politischer Gemeinschaft oder auch wirtschaftlicher Teilhabe.7 Entsprechend kann der Kommunikationsakt als solcher die Verwendung verschiedener Medien oder die unterschiedlichsten Arten kommunikativer Handlungen, wie beispielsweise mündliche und schriftliche oder verbale und nonverbale Kommunikation, umfassen.8
Für die folgende Abhandlung soll aufgrund des differenzierten Forschungsbegriffs eine klärende Definition vorangestellt werden. Kommunikation meint im Folgenden in erster Linie schriftliche Kommunikation, also den Briefverkehr, der im Wechsel zwischen der Stadt Esslingen und ihren Korrespondenzpartnern stattfand.9 Die mündliche Kommunikation soll einbezogen werden, wenn sie ergänzend zum Briefverkehr angewendet wurde und dies aus den Briefen ersichtlich ist.
Bereits 1989 wurden die Verbindungen zwischen Schwaben und Tirol im Rahmen einer Ausstellung thematisiert, woraufhin 1991 entsprechende Forschungsbeiträge schriftlich in Form von zwei Bänden vorgelegt wurden.10 Zu Recht hatte der Ausstellungsleiter Wolfram Baer damals angemerkt, dass bei der Größe des Raumes und der Fülle des Materials Schwerpunkte gesetzt werden mussten.11 Der Schwerpunkt, der auch hier gesetzt werden soll, liegt auf der Korrespondenz zwischen der Reichsstadt Esslingen und den in den Missivenbüchern festgehaltenen Empfängern in Tirol im Zeitraum von 1434 bis 1517, was den ersten 16 Bänden der Bücher entspricht.
Insgesamt finden sich in diesem Zeitraum 26 Einträge von Brieftexten an Tiroler Adressaten, die acht verschiedene Fälle betreffen. Für das Spätmittelalter meint die Bezeichnung noch den Bereich des historischen Tirols, also Nord-, Süd-, Osttirol und das Trentino, tatsächlich befanden sich die Adressaten allerdings nur im heutigen Südtirol, nämlich in Feldthurns, Glurns, Bruneck und Bozen.12 Die Analyse der Korrespondenz Esslingens mit diesen Städten erfolgt im Folgenden entsprechend entlang der genannten Städte. Die Reihenfolge, in der sie behandelt werden sollen, richtet sich nach dem Umfang der überlieferten Korrespondenz.
Die Kommunikation mit der Stadt Feldthurns betrifft die Tiroler Korrespondenz, die über den längsten Zeitraum verfolgbar ist. Sie ist begründet durch die verwandtschaftliche Verbindung zwischen Stephan Sächerlin, einem Esslinger Bürger, und Heinrich Sächerlin, dem Pfarrer in Feldthurns. Acht Briefeinträge sind in der Korrespondenz zu den beiden Brüdern im Zeitraum zwischen 1453 und 1468 festgehalten.13
Bei dem ersten Eintrag handelt es sich um einen Brief Esslingens an Heinrich Sächerlin. Dieser datiert auf den 2. April 1453.14 Darin bat die Stadt Heinrich, seinen Bruder Stephan, der ein Kind zu versorgen hatte, offenbar in finanzieller Hinsicht zu unterstützen. Ihre Fürsprache rührte daher, dass er lange im Dienst der Stadt gestanden und sich fromm und redlich verhalten habe. Es stellt sich heraus, dass der Feldthurner Pfarrer im Vorfeld an Erhart Sachs, einen ehemaligen Esslinger Bürgermeister, sowie an seinen Bruder Stephan geschrieben hatte. Dieses Schreiben war im Esslinger Rat verlesen worden. Am Inhalt des Esslinger Briefes zeigt sich, dass die Brüder bereits im Vorfeld miteinander in Kontakt gestanden hatten, und zudem, dass parallel zur Briefübergabe durch Stephan auch eine Kommunikation in mündlicher Form zwischen ihm und seinem Bruder erfolgen würde, im Zuge derer Stephan wegen eines Leibgedinges in Esslingen mit Heinrich sprechen würde.
Danach findet sich in dieser Sache 14 Jahre lang kein Eintrag mehr. Im Jahr 1467 allerdings, am 28. Januar, zeigt sich der Feldthurner Pfarrer Heinrich Sächerlin wiederum als Adressat eines Esslinger Briefes.15 Offenbar wollte Sächerlin einen Zinsbrief in Höhe von 15 Gulden in Esslingen erwerben. Genaue Umstände dieses Kaufes gehen aus dem Briefeintrag nicht hervor, jedoch lässt der weitere Inhalt vermuten, dass der Pfarrer die Schulden seines Bruders begleichen und gleichzeitig für ihn in finanzieller Hinsicht sorgen wollte. In diesem Rahmen verhandelte Sächerlin mit der Stadt über den genauen Inhalt der Kaufurkunde. Ein nächster Brief, datiert auf den folgenden Tag, ist diesem Brief zuzuordnen, da er weitere Verhandlungen zum Zinsbrief und schlussendlich den Kauf durch den Pfarrer gegen die Übergabe von 300 Gulden an die Stadt darlegt. Obwohl die Einträge in den Büchern generell chronologisch aufeinander folgen, ist der zweite Eintrag einige Blätter weiter hinten im Missivenbuch zu finden.16 Gründe dafür können eine falsche Datierung durch den eintragenden Schreiber oder ein späteres Festhalten des Textes im Buch sein.
Ein halbes Jahr später setzte sich die Korrespondenz mit Sächerlin fort. Die Stadt bat den Pfarrer in Feldthurns erneut, 14 Jahre nach der ersten Bitte, um Hilfe für seinen Bruder Stephan.17 Hier wird deutlich, wie lange sich der Kontakt zwischen der Stadt und dem Pfarrer unter diesen Umständen gehalten hatte. Es scheint, als habe sich die Situation Stephans trotz der Unterstützung seines Bruders weiter verschlechtert. Durch lange Krankheit habe er nun sein Gut verloren und benötige weiter Hilfe. Die schriftliche Bitte der Stadt, die „hilf nit abzustellen, sunder im die wie vor und bishr brůderlich mitzutaillen“,18 wurde Stephan für seine Reise nach Feldthurns mitgegeben.
Etwa acht Monate danach, im Februar 1468, ergaben sich neue Umstände: Der Pfarrer Heinrich Sächerlin verstarb in Feldthurns.19 Diese Nachricht war Stephan Sächerlin schriftlich von Georg von Kestlan, dem Richter und Pfleger in Feldthurns, überbracht worden. Um den hinterlassenen Besitz zu holen, reiste Stephan nach Tirol. Die Stadt Esslingen schaltete sich zu diesem Zweck wiederum für ihn und für die Durchsetzung seines Erbes ein: Sie stellte einen Brief an Georg von Kestlan aus, in dem sie ihn um Unterstützung für ihren Bürger beim Erlangen des Erbes bat.
Der nächste Eintrag in dieser Sache datiert auf den 6. April 1468,20 als sich Esslingen an den Markgrafen von Baden wandte. Offenbar war Stephan in Feldthurns auf Schwierigkeiten gestoßen, denn der Markgraf wurde gebeten, an Erzherzog Sigmund von Österreich zu schreiben. Dieser sollte Stephan, dem wohl das Erbe verweigert wurde, einen Tiroler als ortsansässigen Berater zur Seite stellen. Einige Tage später, am 11. April, schickte Esslingen erneut eine Missive, dieses Mal direkt an Herzog Sigmund,21 mit demselben Anliegen, ihrem Bürger einen rechtlichen Beistand zur Verfügung zu stellen. Die Kosten hierfür sollte Stephan selbst übernehmen. Es ist nicht bekannt, ob der Markgraf ihre Bitte, an Herzog Sigmund zu schreiben, abgelehnt hatte oder ob die Esslinger die Missive zusätzlich zur Bekräftigung an Sigmund sandten. Ebenfalls am 11. April stellten die Esslinger einen Brief an die Stadt München aus,22 aus dem hervorgeht, dass der Verstorbene zusätzlich zum Hab und Gut in Feldthurns auch Besitz in München hatte, den zu holen Stephan kommen würde. Auch hier baten sie um Unterstützung für ihren Bürger beim Erlangen seines Erbes. Beide Briefe vom 11. April nahm Stephan mit auf die Reise, sodass er auf dem Hinoder Rückweg einen Zwischenstopp in München vornehmen konnte.
Weitere Korrespondenz findet sich in den Missivenbüchern nicht zu dieser Angelegenheit. Es ergeben sich aber verschiedene Erkenntnisse. Zunächst lässt sich die Verbindung Esslingens mit Tirol über die Verwandtschaft ihrer Bürger feststellen. Unter anderem aus Besitzungen, die beispielsweise schwäbische Klöster oder der dortige Adel in Tirol erworben hatten, und in geringerem Maße auch umgekehrt, lassen sich die wechselseitige Migration und damit auch Verwandtschaften zwischen Schwaben und Tirol erklären.23 Das Beispiel der Sächerlins ist nicht direkt in diesen Zusammenhang einzuordnen, zudem lässt sich nicht mit Sicherheit bestimmen, ob Heinrich oder Stephan nach Tirol beziehungsweise Schwaben ausgewandert war, sodass die Gründe für die Migration in diesem Fall nicht geklärt sind.
Es zeigt sich ferner, dass ein Angehöriger auch über größere Entfernungen um Hilfe gebeten wurde. Bemerkenswert ist zudem, dass sich die Stadt Esslingen selbst für ihren Bürger einsetzte, um die Bitte gegenüber seinem Bruder in Feldthurns zu unterstreichen. Das Einschalten des Esslinger Rats, bei Heinrich für Stephan einzutreten, weist darauf hin, dass der Pfarrer zunächst nicht für seinen Bruder aufkommen wollte. Ähnliches zeigt sich bei der zweiten Bitte der Esslinger, als Heinrich seine Unterstützung einstellen wollte. Die Stadt versicherte dem Pfarrer, dass die Armut Stephans nicht selbstverschuldet war. Somit bürgte sie für ihn und nutzte die offiziellen Wege zur Zusammenarbeit.24 Außerdem fällt in den Verhandlungen zum Erbe auf, wie die Stadt im Kontakt mit anderen Instanzen die eheliche Geburt der beiden Brüder betonte, um den Anspruch zu legitimieren.25
Im Verlauf der Korrespondenz tritt ein Problem auf, das möglicherweise auch der Distanz geschuldet ist. Das Erbe wurde dem Esslinger Stephan verwehrt, oder er stieß zumindest auf Schwierigkeiten. Es ist wahrscheinlich, dass es vor Ort weitere Personen oder sogar Instanzen gab, die Anspruch auf die Besitzungen Heinrichs erhoben. Hierbei ergibt sich ein weiterer bemerkenswerter Umstand: Esslingen wandte sich hilfesuchend an eine höhere Instanz, den Markgrafen von Baden, und nahezu gleichzeitig an Herzog Sigmund. Beide konnten mit größerem Einfluss auf die Verantwortlichen einwirken. Deren Reaktion ist zwar aus den Missivenbüchern nicht ersichtlich, wie aber im Folgenden noch gezeigt werden soll, war zumindest der Markgraf eine Option, auf die sich die Esslinger weiterhin verlassen konnten.
An diesem Beispiel lässt sich zudem die Organisation der Kommunikation über eine größere Entfernung gut verfolgen: Zwar werden wir nicht über den Überbringer der Briefe aus Feldthurns an Stephan Sächerlin informiert, umgekehrt nimmt aber Stephan selbst die Briefe Esslingens zur Unterstützung seines Anliegens mit auf seine Reise nach Tirol. Der Überbringer des Briefs an den Markgrafen von Baden ist wiederum unbekannt, aufgrund der regelmäßigen Korrespondenz, die, wie aus den Missivenbüchern ersichtlich ist, die Esslinger mit ihm führten, kann hier aber ein beständiger Botenwechsel vermutet werden.
Ähnlich wie im Fall Feldthurns ist in den Esslinger Missivenbüchern ein umfassender Briefwechsel mit der Stadt Bruneck vorhanden.26 Dabei war die Zeitspanne der Kommunikation weniger langfristig. Auch hier geht es um einen Erbfall: Der Brunecker Bürger Friedrich Görlin verstarb im Jahr 1475 und hinterließ nicht näher bekanntes Hab und Gut. Sein Bruder, der Esslinger Bürger Bernhart Görlin, erhielt die Nachricht des Todes und wandte sich daraufhin an den Rat der Stadt Esslingen.
Der erste Brief in dieser Sache wurde am 27. September 1475 von der Stadt Esslingen an Pfleger und Richter der Stadt Bruneck geschickt.27 Aus ihm geht hervor, dass Bernhart mit diesem Brief nach Bruneck gereist war, um die Erbangelegenheit zu klären28 – dasselbe Procedere, wie es bei Stephan Sächerlin beobachtet wurde. Seinen Anspruch erhob er wegen seiner nächsten Verwandtschaft mit dem Verstorbenen, die von den Esslingern nochmals hervorgehoben wurde. Gleichzeitig baten sie um die Unterstützung Bernharts beim Einholen des Erbes.
Etwa drei Wochen später findet sich in den Missivenbüchern der Eintrag einer Urkunde29 mit der Überschrift „Bernhart Grlins unnd anndern siner frúnd kuntschafft“. Darin wurde festgehalten, dass Bernhart mit seinen Nichten Margreth und Barbara vor dem Esslinger Rat erschienen war und sich die Verwandtschaft des verstorbenen Friedrich mit ihm und den weiteren Erben in dem konkreten Verwandtschaftsgrad bestätigen ließ. Hier galt zum einen besonders die Nähe der Verwandtschaft als berechtigter Grund, Erbansprüche zu erheben, so etwa, dass Bernhart Friedrichs Bruder gewesen war und die weiteren Erben ebenfalls entweder Geschwister oder Neffen und Nichten Friedrichs waren. Zum anderen war die eheliche Geburt der Brüder sowie aller weiteren genannten Personen von besonderer Bedeutung und wird mehrfach hervorgehoben. Das Ausstellen dieser Urkunde für Bernhart Görlin drei Wochen nach dem ersten Brief deutet an, dass in Bruneck zusätzlich der Nachweis der ehelichen Geburt und der nahen Verwandtschaft für die Erhebung der Erbansprüche erforderlich geworden war.
Es folgen zwei weitere Briefe an den Markgrafen Albrecht von Baden und an die Stadt Bruneck. Beide wurden am selben Tag, am 20. Oktober 1475, ausgestellt und datieren damit einen Tag später als die Verwandtschaftsurkunde. Im erstgenannten Brief30 baten die Esslinger den Markgrafen um Unterstützung für ihren Bürger Bernhart sowie darum, wieder an Herzog Sigmund zwecks Vermittlung zu schreiben. Damit kann angenommen werden, dass diese Vorgehensweise üblich war und der Markgraf der Bitte auch nachkam. Der zweite Brief dieses Tages an die Stadt Bruneck31 beinhaltet wiederum einen Appell, Bernhart und seinem Anwalt Hans Raydel, ebenfalls Esslinger Bürger, gewogen zu sein. Hier wurde nochmals darum gebeten, dass, falls ihnen das Erbe verweigert würde, die Stadt Bruneck den Esslinger Bürgern unverzüglich Gerechtigkeit zukommen lassen sollte. Da es in den beiden Briefen an den Markgrafen und nach Bruneck keinen Hinweis auf Bernhart als „zaiger ditz briefs“32 gibt und sein Kommen darin erst angekündigt wird, ist nicht klar, ob er selbst die Briefe vorlegte oder ob ein anderer als Bote fungierte.
Drei Monate später finden sich weitere vier Briefeinträge, sämtlich datiert auf den 16. Januar 1476. Der erste ist an den Markgrafen Albrecht von Baden adressiert,33 die anderen richten sich an den Bischof von Brixen, den Stadtherren von Bruneck,34 an den Hauptmann von Bruneck35 sowie den Pfleger in Taufers.36 Daraus geht hervor, dass Bernhart und seine Familie tatsächlich auf Widerstand gestoßen waren, als sie das Erbe für sich beanspruchen wollten. In diesem Fall führte dieser Widerstand zu einer gerichtlichen Verhandlung. Der Termin wurde auf „sannt Agatha tag“,37 den 5. Februar festgelegt, zu dem Bernhart in Bruneck anwesend sein würde. Dem Markgrafen wurde zunächst die Dankbarkeit Bernharts für dessen bisherige Hilfe übermittelt. Gleichzeitig baten die Esslinger um ein Einwirken des Markgrafen auf den Bischof von Brixen und „andern das im das fruchtper wesen mag“,38 wobei es sich wohl um die anderen genannten Adressaten handelt. Ähnlichen Inhalts ist der Brief an den Bischof von Brixen, mit dem um dessen günstigen Einfluss auf Pfleger und Amtleute in Bruneck für die Verhandlung gebeten wurde. Der Hauptmann von Bruneck sowie der Pfleger in Taufers wurden angehalten, den Esslinger Bürger zu unterstützen.
Diese vier Briefe legen dar, dass Bernhart die Stadt Esslingen zwischen dem 20. Oktober 1475 und dem 16. Januar 1476 über den Stand seiner Erbschaft unterrichtet und um weitere Hilfe gebeten hatte; aufgrund der langen Zeitspanne ist es möglich, dass er dazu zwischenzeitlich selbst zurück nach Esslingen gereist war. Zudem bestätigte er den Esslingern, dass sich der Markgraf von Baden nach der ersten Esslinger Aufforderung tatsächlich in Tirol für ihn eingesetzt hatte. Im Hinblick auf die Verhandlung sandte Esslingen erneut ein Schreiben an den Markgrafen und stellte gleichzeitig drei Briefe für die Zuständigen vor Ort für Bernhart zur Vorlage aus.
Dieser Fall ähnelt dem vorhergehenden in einigen Aspekten: Ein naher Verwandter kam nach Tirol, um das hinterbliebene Gut seines Bruders zu holen. Er stieß dabei auf Widerstand, was die Esslinger dazu veranlasste, sich an die höhere Instanz, den Markgrafen von Baden, zu wenden. Jedoch wird hier ein Nachweis für die Verwandtschaft gebracht, den die Stadt Esslingen in Form einer Urkunde lieferte. Durch das Anführen sämtlicher Erben und ihrer Verwandtschaftsgrade untereinander mit dem Hinweis auf die eheliche Verwandtschaft wird zudem gezeigt, wie viele Personen den Anspruch unterstützten. Zusammen mit den offiziellen Schreiben der Stadt erhöhte dies den Druck auf die Brunecker. Hinzu kommt, dass sich dieser Streit ausweitete, sodass eine Verhandlung zur Klärung des Erbanspruchs vonnöten wurde. Dazu setzte sich die Stadt Esslingen wiederum für ihren Bürger und seine Verwandten ein, indem sie nicht nur den Markgrafen von Baden, sondern zeitgleich auch die örtlichen Behörden um Hilfe bat.
Ein weiterer Erbfall betrifft die Tiroler Korrespondenz in den Briefeinträgen der Missivenbücher. Im März 1466 schrieben der Esslinger Bürgermeister und Rat nach Glurns an der Etsch,39 da sie vom Todesfall des Konrad Fuß gehört hatten, der neben seinem Hab und Gut auch ein Kind hinterlassen habe. Da sich in Esslingen die nächsten Verwandten des Kindes und damit auch Erben der Habseligkeiten von Fuß befanden, nämlich die Bürger Claus, Hans und Barbara Bröglin, sah sich die Stadt in der Pflicht, unterstützend einzugreifen. Hinzu kam, dass der letzte Wille des Verstorbenen vorsah, dass sich die drei um Kind und Habseligkeiten kümmern sollten. Hans und Barbara Bröglin sowie Barbaras Ehemann Berchtold hatten daher ihren Bruder und Schwager Claus Bröglin mit der Vollmacht ausgestattet, diesen Willen durchzusetzen. Gleichzeitig bat die Stadt Esslingen den Glurnser Bürgermeister und das zuständige Gericht von Glurns und Mals,40 ihm dabei behilflich zu sein. Zudem folgte die Bitte, den Vertreter Claus Bröglin so zu unterstützen, dass man sich um das Kind nicht nur nach dem Willen des Konrad Fuß, sondern auch nach Gewohnheit des Landes kümmern sollte. Die Entscheidung über Kind und Erbe wurde vor Ort gefällt.
Einige Monate später, im November 1466, findet sich erneut ein Eintrag in den Missivenbüchern. Dieses Mal schrieb Esslingen an Caspar Übelin, den Pfleger zu Mals und Richter in Glurns, sowie die dortigen Eidschwörer.41 Die Stadt schilderte den Erbfall erneut aus ihrer Perspektive. Aus diesem Schreiben ergibt sich, dass Konrad Fuß der Vetter der Esslinger Bröglins war und dass es sich bei dem Kind um ein Mädchen namens Barbara handelte. Zu dieser Zeit hatten die Bröglins einen anderen Bevollmächtigten, Hans Metzger, eingesetzt, der ihre Sache in Glurns vertreten sollte. Er sollte seiner Vollmacht gemäß das Kind gemeinsam mit dem Hab und Gut des Toten nach Esslingen bringen. Dabei baten die Esslinger die Adressaten weiterhin um Unterstützung und Rat für den Vertreter Hans Metzger. Unter dem Briefeintrag findet sich der Zusatz: „Consimiliter Peter Hůter, lantrichter an Meron und burgermaister und rate daselbs.“ Derselbe Brief wurde also zusätzlich nach Meran geschickt.
Auch in diesem Fall ging es um ein Erbe, das Esslinger Bürger als Verwandte des verstorbenen Glurnser Bürgers für sich beanspruchten. Die Bröglins hatten Kenntnis vom letzten Willen, dem Testament des Toten. Möglicherweise wurde ihnen der Inhalt zusammen mit der Nachricht des Todes von Konrad Fuß übermittelt. Der Erbanspruch der Bröglins leitet sich aus der Verwandtschaft ab, hier wird erneut auf die „nächste“42 Verwandtschaft hingewiesen. Die Esslinger sandten einen Bevollmächtigten nach Glurns, jedoch ergaben sich Komplikationen. Zwar handelte es sich wohl nicht um einen Rechtsstreit, denn die Korrespondenz verlief zu knapp und es gibt keinen Hinweis darauf. Der zweite Brief, mit dem ein anderer Bevollmächtigter zur Klärung der Angelegenheit nach Glurns geschickt wurde, lässt allerdings vermuten, dass zunächst versucht wurde das Kind vor Ort zu versorgen, und erst dann entschieden wurde, es nach Esslingen zu bringen. Es hatte durch die Existenz eines Testaments somit keine Probleme bezüglich des Erbanspruchs gegeben, die Klärung der Vormundschaft über das Kind hatte den Fall aber in die Länge gezogen. Auch hier setzte sich die Stadt Esslingen dafür ein, dass ihre Bürger vor Ort unterstützt wurden, indem sie mit den zuständigen Amtleuten vor Ort schriftlich kommunizierte.
Bozen als verkehrsgünstig gelegene Stadt mit regelmäßig veranstalteten Jahrmärkten und Messen zog im untersuchten Zeitraum auch Menschen aus umliegenden sowie entfernteren Territorien an.43 Daher verwundert es nicht, dass sich in der Korrespondenz zwischen Esslingen und Bozen gleich mehrere, nicht miteinander verbundene Fälle finden, die im Folgenden chronologisch dargestellt werden.
In dieser Kommunikation befindet sich auch der zeitlich früheste Briefeintrag für Empfänger in der Region Tirol. Er steht im ersten Band der Missivenbücher und ging am 25. Mai 1435 von Esslingen an die Stadt Bozen.44 Darin geht es um die Mitteilung, dass der Ehemann der Esslinger Bürgerin Gret Senger, Albrecht, Arzt von Göppingen, in Bozen verstorben war, sodass diese als Witwe nun Erbansprüche auf sein hinterlassenes Hab und Gut erhob. Zu diesem Zweck schickte sie einen Vertreter, Rudolf Keller, nach Bozen, um das Erbe für sich zu erlangen. Da sein Beiname „Tirol“45 lautete, kann bei ihm von einem tirolischen Familienursprung ausgegangen werden.
Gret Senger hatte sich zugleich hilfesuchend an den Esslinger Rat gewandt, woraufhin dieser den Brief für Keller zur Vorlage in Bozen ausstellen ließ und um Unterstützung für ihn bat. Weitere Briefeinträge finden sich in den Missivenbüchern dazu nicht. Der Fall von Gret Senger ähnelt den vorhergegangenen insofern, als es wiederum um eine Erbangelegenheit geht, der Erbanspruch aufgrund der nächsten Verwandtschaft geltend gemacht wurde und Esslingen für seine Bürgerin eintrat, nachdem diese an den Rat herangetreten war. Der Grund für den Aufenthalt ihres Mannes in Bozen ist aus dem Brieftext nicht ersichtlich. Auch sie hatte einen Beauftragten, dessen Benennung in diesem Fall auf eine Herkunft aus Tirol schließen lässt. Damit zeigt sich erneut der Befund, dass man als Fürsprecher ortskundige Personen auswählte.
Ein weiterer Erbfall aus dem Jahr 1485 liefert ähnliche Erkenntnisse. Es handelt sich wiederum um eine Gruppe von Verwandten, die die Hinterlassenschaften ihres verstorbenen Angehörigen für sich beanspruchte und zu diesem Zweck einen Anwalt schickte. Jedoch wurde hier nicht vorrangig nur einer der Verwandten als Stellvertreter für alle genannt, sondern es traten alle gleichermaßen ein. Der Name des Verstorbenen war Cristan Hätzer, der ehemals Bürger in Bozen gewesen war und dort Hab und Gut hinterlassen hatte. Seine Erben, die Esslinger Bürger Hans Schoch sowie Anna, Agnes und Katharina Hätzer, ließen sich zu diesem Zweck ihre Verwandtschaft mit ihm mittels einer Urkunde detailliert belegen.46 Daraus geht hervor, dass sie Neffe beziehungsweise Nichten des Toten waren und damit die nächsten noch lebenden Verwandten. Zudem werden die Eltern aller Erben aufgeführt und die eheliche Geburt aller Beteiligten bestätigt. Bei der Verwandtschaft Hans Schochs zeigt sich ein Sonderfall: Zwar war er von Leonhardt Holder und Leonhardt Vaseldt aufgezogen worden, diese waren aber nur seine Vormunde. Seine leiblichen und bei seiner Geburt verheirateten Eltern seien Barbara Hätzer, Schwester Cristans, und Hans Schoch gewesen. Somit war Hans Schoch Cousin der anderen drei Erbinnen, weshalb die Urkunde, die die Verwandtschaft belegte, bis zur Großelterngeneration zurückging, damit die Familienbande hinreichend geklärt waren.
Die Urkunde ist zwar nicht datiert, gehört aber inhaltlich zu dem Brief vom 19. Mai 1485,47 der direkt davor eingetragen wurde. Geht man von einer prinzipiell chronologischen Eintragungspraxis in den Missivenbüchern aus, kann dasselbe Datum auch für die Urkunde angenommen werden. Im Brief bittet die Stadt Esslingen die Stadt Bozen um die Kooperation der Bozner mit den Anwälten der Hätzers in dieser Erbsache, „damitt inen one langen uffenthaltt gedyhe, das inen von recht zu statt“.48 Der Brief wurde von den Bevollmächtigten der Hätzers nach Bozen mitgeführt, die darin als „bewyser“ auftreten. In der Folge findet sich kein weiterer Eintrag zu dem Fall, sodass von einer unkomplizierten Regelung ausgegangen werden kann.
Ein letzter Fall, der im Zusammenhang mit der Stadt Bozen steht, ereignete sich im Jahr 1501. Drei Einträge vom 14. Januar 1501 zeugen von einem Erbfall, der einen Esslinger Priester, Heinrich Taler, betraf.49 Der erste Eintrag ist ein Urkundentext,50 mit dem die eheliche Geburt des Priesters, der Bürger in Esslingen war, vom Esslinger Bürgermeister und Rat bestätigt wurde. Die Urkunde wurde zusammen mit einem Brief an den Landrichter sowie an Bürgermeister und Rat in Bozen ausgestellt,51 damit Taler diese auf seiner Reise bei Bedarf vorlegen konnte. Das Schreiben verkündet, dass der Vetter Heinrich Talers, der Barbier Hans Stoffel, genannt Taler, in Bozen verstorben war. Es wird die Rechtmäßigkeit betont, mit der Heinrich Taler Anspruch auf Hans’ Hinterlassenschaft erhob. Gleichzeitig bat die Stadt um die Unterstützung Heinrichs bei seinem Anliegen, damit der Erbfall schnell und mit möglichst geringen Kosten geregelt werden könne. Der Grund für die Unterstützung der Stadt für ihre Bürger wird hier genauer genannt: „Hierumb, dwil wir die unnsern zů irem rechte zú fůrdern schuldig unnd genaigt sind.“
Zwischen der Urkunde und dem Brief nach Bozen findet sich der Eintrag eines Brieftextes an die Stadt Biberach,52 aus dem hervorgeht, dass Heinrich auch dort eine Bitte vorbringen wollte. Worum es sich genau handelte, ist nicht beschrieben. Von Bedeutung ist dies nur, da Heinrich sich offenbar auf den Weg nach Tirol machte, um den Tod seines Vetters zu regeln und auf dem Weg dorthin in Biberach zu anderem Zweck Halt zu machen plante. Der Priester hatte somit den Esslinger Rat um Unterstützung für seine Reise gebeten und sie in schriftlicher Form erhalten; er führte die Briefe selbst mit sich. Alle Einträge sind von derselben Hand verfasst und auf den gleichen Tag datiert, sodass seiner Bitte wohl in einem Arbeitsgang entsprochen wurde.
Dass nicht nur Esslinger in Tirol ansässig waren, sondern auch umgekehrt, bezeugen zwei Briefeinträge. Der erste Eintrag betrifft erneut einen Erbfall. Dieses Mal fragte ein Bozner Bürger, Michel Walch, nach Informationen zu den Hinterlassenschaften eines Peter Lottasch, der in Esslingen verstorben war. Offenbar hatte er sich nach der konkreten Summe erkundigt, die Lottasch bei seinem Tod bei sich gehabt hatte. Zudem hatte Walch eine Abschrift des Testaments von Lottasch beigelegt. Die Antwort Esslingens, die am 16. Februar 1496 erstellt wurde,53 war für Walch sicherlich ernüchternd: Lottasch hatte bei seinem Tod zwar etwas mehr als neun Gulden bei sich, habe aber Schulden an Hauszins, Steuern und außerdem bei seiner Schwester, sodass der geschuldete Betrag die neun Gulden überstieg. Sollte er noch mehr hinterlassen haben, würden sie ihm seinen Teil ausbezahlen. Der Hinweis „wolten wir ew das so gern, als ir das hette(t), auch eroffnet haben“ verdeutlicht, dass hiermit auf die Anfrage reagiert und Auskunft erteilt wurde. Zudem muss auch hier vorher bereits Kontakt bestanden haben: Michel Walch hatte vom Tod Peter Lottaschs erfahren und daraufhin dessen Testament mit der Anfrage nach Esslingen geschickt.
Bei dem anderen Eintrag handelt es sich um ein Zeugnis, ausgestellt am 7. Juni 1498,54 für einen „erber maister Mathis auss dem landt von Brysen“, womit wohl Brixen gemeint ist.55 Er war offenbar ein Handwerker, der im Esslinger Stadtgraben gearbeitet und eine Zeit lang in Esslingen gewohnt hatte. Eine Streichung im Brieftext lässt erahnen, dass diese Arbeit schon einige Jahre zurücklag.56 Seine Tätigkeit in Esslingen schien nun aber endgültig beendet, da er „ain gutten, erbern abschid von uns genomen haut“ und sich für künftige Arbeit an anderen Orten das vorliegende Zeugnis ausstellen ließ. Der Esslinger Bürgermeister und Rat bestätigten, dass er sowohl in seiner Arbeit zuverlässig und freundlich als auch allgemein während seines Aufenthaltes fromm und redlich gewesen war. Der Text entspricht den üblichen Esslinger Gepflogenheiten bei der Ausstellung eines Zeugnisses.57 Die Kommunikation in diesem Fall ist einseitig und an unbestimmte Adressaten gerichtet.
Anhand der vorangegangenen Ausführungen lassen sich einige Thesen zur Kommunikation zwischen der Stadt Esslingen und Tiroler Adressaten im 15. Jahrhundert aufstellen. Der Briefverkehr betrifft fast ausschließlich Erbfälle, die durch den Tod von Verwandten Esslinger Bürger ausgelöst wurden. Die wesentlichste Erkenntnis daraus ist wohl, dass die mit Verwandtschaft und Erbfällen zusammenhängende Korrespondenz bis auf eine Ausnahme die einzige sich in den Esslinger Missivenbüchern widerspiegelnde Kommunikation ist, die die Stadt mit Tiroler Adressaten unterhielt. Das lag sicherlich an der großen Distanz, denn mit Korrespondenzpartnern der Region, mit denen natürlicherweise mehr kommuniziert wurde, tauschte man politische und militärische oder auch handwerkliche Informationen aus. Dieser Austausch war bei weiter entfernten Regionen unnötig oder schlicht zu aufwändig. Trotzdem bleibt festzuhalten, dass die Inhalte der angeführten Briefe nicht außergewöhnlich waren, zumindest soweit sich dies durch die Esslinger Missivenbücher zeigt. Erbfälle und Konflikte bei der Lösung kamen häufig und überall im Reich vor,58 sodass sich der Briefwechsel Esslingens mit Tiroler Adressaten kaum von demjenigen mit häufigeren Adressaten unterschied.
In dieser Korrespondenz zwischen Schwaben und Tirol handelte es sich somit nicht um ungewöhnliche Arten und Themen von Kommunikation, sondern lediglich um ansonsten weniger häufige Adressaten der Stadt Esslingen. Anhand der Missivenbücher ergibt sich eine Besonderheit: Im Gegensatz zu den generell in den Quellen besser fassbaren adligen Verbindungen zwischen Schwaben und Tirol59 liegt hier ein Quellenfundus vor, in dem sich konkrete Verbindungen aus unteren Ständen nachvollziehen lassen. Diese Verbindungen betrafen in allen Fällen Verwandtschaft, die aus wechselseitiger Migration, im Besonderen aber aus der Migration von Schwaben nach Tirol entstand.60
Weiterhin fällt auf, dass die Esslinger Bürger über den Tod ihrer Verwandten und die hinterlassenen Güter informiert wurden. Dies war auch umgekehrt beim Bozner Bürger Michel Walch der Fall, dessen Beziehung zu dem Verstorbenen zwar nicht genannt wird, der aber vom Tod Peter Lottaschs erfahren hatte und unter Beilegung des Testaments Auskunft über den hinterlassenen Besitz erbat. Der Kontakt zwischen Esslinger und Bozner Bürgern muss also bestanden haben. Das betrifft in den dargelegten Fällen nicht nur den Kontakt nach dem Tod eines Verwandten, sondern konnte auch die Bitte um finanzielle Hilfeleistung an einen entfernt lebenden Verwandten umfassen.
Im Falle der Beanspruchung eines Erbes wie auch bei Bitten um finanziellen Beistand und um Unterstützung durch Ortsansässige trat die Stadt für ihre Bürger ein, indem sie ihnen oder ihren Vertretern entsprechende Briefe oder Urkunden mit den notwendigen Nachweisen und Bestätigungen zur Mitnahme ausstellte. Darüber hinaus wandte sie sich bei problematischen Fällen an höhere Instanzen wie den Markgrafen von Baden oder Erzherzog Sigmund von Österreich. Die Formulierungen in diesen Brief- und den Urkundentexten betonen meist die eheliche Geburt, die nahe Verwandtschaft und zählen die am Erbe beteiligten männlichen wie auch weiblichen Personen auf. Zudem wird eine mehr oder weniger detaillierte Beschreibung geliefert, wie die Erben miteinander verwandt waren. In Rechtsfällen dieser Art spielten schriftliche Dokumente somit eine wesentliche Rolle: Die Bürger benötigten diese Schriftstücke als Unterstützung für ihre Verhandlung vor Ort, führten sie daher selbst mit sich und legten sie als „zaiger ditz briefs“61 vor. Es handelt sich bei diesen Einträgen um eine Sonderform brieflicher Kommunikation, die in die Nähe von Kredenzen für Gesandte zu stellen ist.62
Praktisch gesehen hat die angeführte Korrespondenz gezeigt, dass sich der Streit um ein Erbe einige Zeit hinziehen konnte. Im Fall des Pfarrers in Feldthurns verlief die Korrespondenz über etwa zwei Monate, im Fall des in Bruneck Verstorbenen sogar über knapp vier Monate mit unklarem Ausgang. Die Aufforderung in anderen Fällen, die Bürger der Stadt zu unterstützen, um einen langen Aufenthalt zu vermeiden, war daher begründet und betraf sicherlich auch Kostenfragen.
Die Tiroler, die sich in den Missivenbüchern als in der Stadt Esslingen befindlich zeigten, waren deutlich in der Unterzahl. Da in den Büchern in der Regel nur ausgehende Korrespondenz und kaum innerstädtisches Schriftgut zu finden ist, verwundert dies nicht.63 Die beiden Fälle, die dennoch auftraten, haben zum einen die andere Seite in einem Erbfall gezeigt, einen Erben, der um Auskunft über das hinterlassene Gut bat. Zum anderen offenbarte sich hier der einzige Fall, der keine Verwandtschaft und kein Erbe zum Thema hatte, nämlich schlicht der Fall eines Handwerkers, der fern der Heimat lebte und arbeitete.