Schäffer-Poeschel Verlag für Wirtschaft · Steuern · Recht GmbH, Stuttgart
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Satz: Claudia Wild, Konstanz
März 2018
Schäffer-Poeschel Verlag Stuttgart
Ein Unternehmen der Haufe Group
Thomas Jefferson, Verfasser der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung und dritter Präsident der Vereinigten Staaten, hatte keine hohe Meinung von Banken und dem Kreditwesen: „Ich glaube aufrichtig, wie Sie, dass Bankanstalten gefährlicher sind als stehende Armeen; und dass das Prinzip, unter dem Namen Finanzierung, Geld auf Kosten der Nachwelt auszugeben, großmaßstäblicher Betrug ist“, schrieb er 1816 in einem Brief an seinen engen Freund John Taylor, einen Politiker der Demokratischen Partei.[2]
Diese Aussage Jeffersons hätte auch auf die Finanzkrise gemünzt sein können, die auf die Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers im September 2008 folgte. Was als Finanzkrise begann, weitete sich erst zu einer Wirtschafts- und dann in vielen Ländern zu einer Staatsschuldenkrise aus. Denn Banken sind eine ganz spezielle Branche. Für moderne Volkswirtschaften sind ihre Dienstleistungen wie der Zahlungsverkehr einfach unentbehrlich. Jede große Störung hat das Potenzial, ganze Volkswirtschaften und Gesellschaften zu destabilisieren.
Jeffersons Aussage beschreibt deshalb gut, warum Staaten Kreditinstitute und ihre Geschäfte überwachen – mit immer mehr und immer komplexeren Gesetzen. Nur wenige Menschen setzen sich näher mit den Details dieser Vorschriften auseinander. Meist sind Regulierung – also das Schaffen bindender Vorschriften für Banken – und Bankenaufsicht – also die konkrete Überwachung der Institute –Themen, die Fachleute unter sich ausmachen.
Das ist ein Fehler! Denn diese rechtlichen Vorgaben prägen das Bankgeschäft – und damit einen wichtigen Teil des Wirtschaftssystems – beträchtlich. Wer das Bankgeschäft und das Bankensystem besser verstehen will, sollte deshalb wissen, wie Aufsicht und Regulierung dieser besonderen Branche ihren Stempel aufdrücken.
Dieses Buch soll dabei helfen. Es soll vor allem Studierenden und Berufseinsteigern, aber auch allgemein Interessierten einen Einblick und Überblick über Bankenaufsicht und Bankenregulierung geben. Dazu behandelt es die wichtigsten Fragen und Fachbegriffe und fühlt sich einer verständlichen Sprache verpflichtet. Fachbegriffen geht es nicht aus dem Weg, sondern erklärt sie.[3]
Das Ziel der Autorin ist es, Vorschriften nicht nur zu beschreiben, sondern auch ihre Hintergründe und ihre Wirkung zu beleuchten – und gegebenenfalls auch die Kritik daran aufzuzeigen. Das geschieht in sieben Kapiteln.
Das 1. Kapitel beschreibt, warum Banken beaufsichtigt werden, und bietet einen groben historischen Abriss darüber, wie sich die Bankenaufsicht in Deutschland entwickelt hat. Schließlich gibt es einen Überblick darüber, wie Vorschriften für die Banken entstehen und welche Behörden sie umsetzen, und erläutert kurz die wichtigsten Begriffe, mit denen man es beim Thema Bankenregulierung zu tun hat.
Im 2. Kapitel werden die zahlreichen Institutionen vorgestellt, die an der Bankenaufsicht mitwirken. Vom international besetzten Basler Ausschuss für Bankenaufsicht, über die Europäische Zentralbank bis hin zur deutschen Bundesanstalt für Finanzaufsicht werden diese Gremien und ihre Aufgaben vorgestellt. Das Kapitel soll dabei helfen, die unterschiedlichen Institutionen und ihre Kompetenzen voneinander abzugrenzen.
Das 3. Kapitel erläutert die wichtigsten Stellschrauben, mit denen Banken aufsichtsrechtlich gesteuert werden. Das betrifft quantitativ messbare Vorgaben, etwa zum erlaubten Verschuldungsgrad, aber auch „weichere“ Faktoren wie die Eignung des Führungspersonals. Besonderes Gewicht legt das Kapitel auf die Regeln für die Eigenkapitalbasis der Banken, auf die nach wie vor das Hauptaugenmerk der Bankenaufseher gerichtet ist. Die Berechnung der aufsichtsrechtlichen Eigenkapitalquote bei Banken unterscheidet sich grundlegend von der anderer Wirtschaftsunternehmen. Erklärt wird auch, warum das Konzept unter Aufsehern und in der Wissenschaft umstritten ist.[4]
Gegenstand des 4. Kapitels ist die Frage, wo große Bankenreformen eigentlich ihren Anfang nehmen, bevor sie über die Europäische Union in nationale Gesetze durchsickern, und welche Spielräume auf den Ebenen darunter bleiben. Das Kapitel gibt außerdem einen Überblick über die wichtigsten Großreformen der vergangenen Jahrzehnte und das, was sie kennzeichnet.
Kapitel 5 widmet sich den Instrumenten, die Bankaufseher nutzen, um sicherzustellen, dass Banken all diese Vorgaben auch wirklich einhalten. Es zeigt im Grunde, wie die Bankenaufsicht im Alltag funktioniert.
Regulierung setzt den Rahmen, in dem Banken Geschäfte betreiben können. Das 6. Kapitel beschäftigt sich mit der Frage, wie sich solche Vorgaben auf die Geschäftsmodelle von Banken auswirken können. Es beschränkt sich nicht allein auf bankaufsichtliche Vorschriften, etwa zu Eigenkapital und Liquidität, sondern setzt sich auch mit einigen wichtigen Gesetzen auseinander, die das Geschäft der Institute beeinflussen, etwa den Zahlungsverkehr oder die Wertpapierberatung. Auch der Effekt, den Regulierung auf die Größe von Banken haben kann, wird behandelt.[5]
Kapitel 7 richtet den Blick nach vorne und versucht zu skizzieren, auf welche Felder Bankenaufseher und Regulierer wohl in den nächsten Jahren ihr Augenmerk richten werden.
Mein Dank gilt den Menschen, die mich ermutigt, ermuntert und konstruktiv kritisiert haben. Das gilt insbesondere für meine Kollegen Norbert Häring und Kerstin Leitel sowie Prof. Dr. Hermann Schulte-Mattler, die mich mit vielen nützlichen Anregungen unterstützten, und für meinen Lektor Frank Katzenmayer, der die Idee für dieses Buch hatte und mich bei der Entstehung auch hervorragend begleitet hat. Fehler und Schwächen des Werks nimmt die Autorin auf ihre eigene Kappe.
Yasmin Osman
Frankfurt/Köln im Februar 2018
Es gibt kaum einen Wirtschaftszweig in Deutschland der annähernd so streng reguliert wird wie die Bankenbranche. Banken müssen nicht nur genau Auskunft über ihre Geschäfte und deren Risiken erteilen. Nein, der Staat und seine Behörden legen auch fest, wie gut sie mit Eigenkapital ausgestattet sein müssen, wer eine Bank kaufen oder in ihren Vorstand einziehen darf und sie kontrollieren, ob die Aufsichts- oder Verwaltungsräte von Kreditinstituten ausreichend qualifiziert sind. Eine solche Regelungsdichte ist ungewöhnlich in einer freien Marktwirtschaft.
Doch die engmaschige „Begleitung“ der Banken durch den Staat hat gute Gründe. Denn Banken sind so etwas wie die Lebensader jeder modernen Volkswirtschaft: Sie organisieren den Zahlungsverkehr, sorgen also dafür, dass Unternehmen Löhne überweisen, Kunden Rechnungen bezahlen oder Bargeld abheben können. Sie verwalten die Ersparnisse vieler Menschen in Form von Einlagen wie Tagesgeldkonten, Festgeld oder Sparbüchern. Sie verleihen Geld an Unternehmen, die mithilfe dieser Kredite Investitionen finanzieren können. Entsprechend groß sind die Schäden, die strauchelnde Banken am Rest der Wirtschaft verursachen können.[6]
Gerade, wenn eine große Bank zusammenbricht, wird sich so eine Krise selten auf dieses eine Kreditinstitut beschränken. Spektakuläre Bankpleiten verunsichern häufig die Kunden anderer Banken, die sich dann sicherheitshalber auch von ihrer Bank ihre Ersparnisse auszahlen lassen wollen. Einem allgemeinen Bankrun, also einem Massenansturm ihrer Kunden, die ihre Konten leeren wollen, sind aber selbst an sich gesunde Banken nicht gewachsen.
Denn Banken verleihen Geld meist sehr langfristig und leihen es sich selbst kurzfristiger. Eine Baufinanzierung hat häufig Laufzeiten von mehr als zehn Jahren. Doch Privatkunden legen ihre Ersparnisse bei einer Bank in der Regel als Tagesgeld an oder für einige Monate. Auch am Kapitalmarkt sind die Laufzeiten für Geldmarktpapiere oder Anleihen in der Regel kurzfristiger. Weil kurzfristige Einlagen meist niedriger verzinst sind, als langfristige Kredite, erwirtschaften die Institute damit in normalen (Zins-)Zeiten Erträge.[7]
Diese Strategie – sich kurzfristig Geld leihen und es langfristiger zu verleihen – wird Fristentransformation genannt. Und es zählt zu den volkswirtschaftlichen Aufgaben von Banken, dafür zu sorgen, dass die Wirtschaft an langfristige Kredite kommt und Sparer dennoch einigermaßen flexibel über ihr Erspartes verfügen können. Doch kaum eine Bank wäre in der Lage, auf einen Schlag alle Kundeneinlagen auszuzahlen. Ihre Liquiditätsreserven reichen in der Regel nicht aus, um einer größeren Panik standzuhalten.
Ein schönes Beispiel dafür, wie präsent die Furcht vor einer Vertrauenskrise in das Finanzsystem in der Politik noch immer ist, war die Reaktion von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesfinanzminister Peer Steinbrück, die am 5. Oktober 2008 während der Krise um die Münchner Immobilienbank Hypo Real Estate vor die Kameras traten. „Die Bundesregierung sagt am heutigen Tag, dass wir nicht zulassen werden, dass die Schieflage eines Finanzinstituts zu einer Schieflage des gesamten Systems wird“, sagte die Bundeskanzlerin. „Wir sagen den Sparerinnen und Sparern, dass ihre Einlagen sicher sind. Auch dafür steht die Bundesregierung ein.“ (Schultz/dpa 2008).
Banken leben noch stärker als andere Branchen vom Vertrauen in ihre Stabilität. Zweifel an der finanziellen Stabilität sind für ein Kreditinstitut daher kritisch. Doch vergleicht man die Eigenkapitaldecke einer normalen Bank mit der Eigenkapitalquote eines normalen Industrieunternehmens, dann sieht man, dass sie mit einem relativ geringen Kapitaleinsatz operiert. Der Spielraum für verkraftbare Fehler ist also denkbar gering. Auch das ist ein Grund, weshalb Regierungen Banken relativ streng regulieren.[8]
Das bedeutet konkret, dass staatliche Behörden den Kreditinstituten Vorgaben machen, wie viel Eigenkapital sie für ihre Geschäfte mindestens benötigen, oder sie schreiben Banken bestimmte Liquiditätspolster vor, so dass Banken eine gewisse Zeit lang durchhalten, wenn in größerem Umfang Kundengelder abfließen. Die Bankenaufsichtsbehörden prüfen außerdem, ob jemand fachlich und persönlich geeignet ist, eine Bank zu führen. Auch der Käufer von größeren Anteilen an einer Bank wird von den Behörden zunächst überprüft.
Die Geschichte der Bankenaufsicht ist eine Geschichte der Finanzkrisen. Die Aufsicht über Kreditinstitute entwickelte sich stets dann maßgeblich weiter, wenn eine große Krise gerade gezeigt hatte, wie dramatisch die volkswirtschaftlichen Folgen ausfallen können, wenn eine oder viele Banken zusammenbrechen. Am folgenreichsten war in dieser Hinsicht die Bankenkrise von 1931. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte in Deutschland die in der Gewerbeverordnung von 1869 verankerte Gewerbefreiheit gegolten, nach der „nur wenige gewerbliche Tätigkeiten einer besonderen gewerbepolizeilichen Kontrolle“ unterlagen, etwa die „Ausübung von Heilberufen, die Herstellung von Schießpulver, der Betrieb eines Theaters, einer privaten Krankenanstalt, einer privaten Irrenanstalt“. „Jeder mündige Bürger, der es sich zutraute, Bankgeschäfte zu betreiben, konnte frei über die Zahl und den Ort der Niederlassungen entscheiden (Niederlassungsfreiheit), frei die Art seiner Geschäfte sowie die Zusammensetzung seiner Aktiven und seiner Schulden und deren Verhältnis zueinander bestimmen (freie Bestimmung der Geschäftsstruktur), frei seine Beschaffungspreise kontrahieren (Habenzinsfreiheit) und – von den Beschränkungen durch den allgemeinen Wucherschutz abgesehen – frei seine Absatzpreise vereinbaren (Sollzinsfreiheit).“ (Stützel 1983, S. 9). Einzig für bestimmte Bankgruppen wie die öffentlich-rechtlichen Sparkassen und die Hypothekenbanken sowie für einzelne Bankgeschäfte gab es spezielle Vorschriften.[9]
Mit diesem Laisser-faire war Schluss, als die durch den Börsencrash in New York ausgelöste Weltwirtschaftskrise das deutsche Finanzsystem erreichte. Im Mai 1931 löste die Insolvenz einer österreichischen Bank bereits Unruhe unter vielen Einlegern aus, die in der Folge zunehmend Geld auch von deutschen Banken und Sparkassen abzogen.
Als dann die Darmstädter- und Nationalbank KGaA (Danat-Bank) am 13. Juli 1931 ihre Schalter nicht öffnete, brach unter deutschen Bankkunden Panik aus. Die Danat-Bank hatte schließen müssen, weil einer ihrer größten Kreditnehmer, Europas größter Wollkonzern, die Bremer Nordwolle, Insolvenz angemeldet hatte. Zwar war an allen Danat-Filialen eine Erklärung angeschlagen, wonach die Reichsregierung für die Sicherheit aller Einlagen der Danat-Bank einstehen würde. Darauf verlassen wollten sich aber viele Deutsche nicht. „Die Massen stürmten die Kassenschalter und verlangten die Auszahlung möglichst all ihrer verfügbaren Gelder. Die Privatbanken stellten in zahlreichen Filialen schon um die Mittagszeit ihre Geschäfte ein. Die Topmanager der Großbanken flehten den Reichskanzler um Hilfe an, und der handelte sofort.“ (Fischer 2013, S. 260).[10]
Die Regierung ordnete zwei Bankenfeiertage an, an denen alle Banken geschlossen blieben, und stellte enorm hohe Staatshilfen für die Sanierung der deutschen Großbanken bereit. Der Staat brachte für die privaten Banken bis 1932 – dazu gibt es unterschiedliche Angaben – zwischen 910 Millionen und 1,3 Milliarden Reichsmark auf, von denen 536 Millionen Reichsmark dauerhaft verloren waren. Das war eine für damalige Verhältnisse dramatisch hohe Summe: Die Gesamteinnahmen des Reiches an Einkommen- und Körperschaftsteuern betrugen 1932 gerade einmal 453 Millionen Reichsmark. Auch öffentliche Banken benötigten damals vorübergehend – deutlich geringere – Staatshilfen, die sie allerdings zurückerstatten konnten (Fischer 2013, S. 262).
Die Folgen für die deutsche Wirtschaft, die von der Weltwirtschaftskrise von 1929 ohnehin schon geschwächt war, waren katastrophal: Das Kreditvolumen der Banken an die Wirtschaft schrumpfte in kurzer Zeit dramatisch und verschärfte so die Depression (Burhop 2009, S. 77).[11]
Zur Bankenkrise hatten gleich mehrere Faktoren beigetragen: So waren die bilanziellen Eigenkapitalquoten der Banken in den Jahrzehnten zuvor bereits deutlich gesunken. Finanzierten sich Banken im Jahr 1900 noch zu etwa einem Drittel mit bilanziellem Eigenkapital und zu zwei Dritteln mit Fremdkapital, so finanzierten sich Kreditinstitute 1927 zu 90 Prozent über Schulden.
Verschärft wurde diese Eigenkapitalknappheit noch dadurch, dass viele Banken im erheblichen Umfang eigene Aktien zurückgekauft hatten. Ein Aktienrückkauf bedeutet, dass die Bank Aktionäre auszahlt, die dem Institut zuvor eigenes, nicht rückzahlbares Kapital zur Verfügung gestellt hatten. Die Bank gibt also Eigenkapital an die Aktionäre zurück, wodurch sich ihre Eigenkapitalbasis verringerte. Danat-Bank, Dresdner Bank und Commerzbank etwa hielten im Sommer 1931 etwa die Hälfte ihres Aktienbestandes in den eigenen Büchern (Seifert 2006, S. 19 und Wettberg 2003, S. 56 ff.).
Ein weiteres Problem war die Schuldenstruktur vieler Institute: So hatten sie sich vielfach sehr kurzfristig Geld geliehen, das sie langfristig verliehen hatten. Daneben hatten sich die Institute auch stark im Ausland verschuldet. Spätestens nach dem Wahlsieg der Nationalsozialisten 1930 begannen ausländische Investoren aber, Geld aus Deutschland abzuziehen. Gepaart war dies mit einer unglücklichen Geschäftspolitik auf der Aktivseite: Großbanken hatten riskante Großkredite vergeben wie etwa die Danat-Bank an Nordwolle oder erheblich in Aktien investiert. Viele öffentlich-rechtliche Institute hatten hoch verschuldeten Kommunen Geld geliehen.[12]
Entsprechend umfassend waren die Konsequenzen, die die Regierung aus der Krise zog, um die Ursachen für die Bankenkrise zu bekämpfen. Sie verschärfte etwa das Aktienrecht und begrenzte das Recht einer Aktiengesellschaft, eigene Aktien zu kaufen. Daneben wurden per Notverordnung des Reichspräsidenten die privaten Banken unter die Aufsicht eines Reichskommissars für das Bankgewerbe gestellt, dem die Institute detailliert Auskunft erteilen mussten. Mit dem „Reichsgesetz über das Kreditwesen (KWG) vom 5. Dezember 1934“ wurden dann erstmals alle deutschen Banken und Sparkassen einer staatlichen Aufsicht unterworfen.
Einige der darin verankerten Leitplanken für Kreditinstitute gelten bis heute: So benötigen Banken seither etwa eine staatliche Lizenz für ihr Geschäft, die Vergabe von Großkrediten ist begrenzt und es gibt Vorschriften darüber, wie viel Eigenkapital ein Kreditinstitut mindestens benötigt und wie viel Liquidität es vorhalten muss.
Als das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen am Nachmittag des 26. Juni 1974 dem Kölner Bankhaus I. D. Herstatt KGaA die Lizenz und damit die Betriebserlaubnis entzog, ging die Nachricht von der bis dato größten deutschen Bankenpleite seit dem zweiten Weltkrieg medial zunächst fast völlig unter. Deutschland war im Fußballfieber, die Weltmeisterschaft fand auf heimischen Boden statt und die deutsche Nationalmannschaft siegte an diesem Nachmittag 2:0 über Jugoslawien.[13]
Das Fußballspiel war am Abend die Top-Nachricht in der „Tagesschau“. Dass die Herstatt-Bank wegen unglücklicher Devisenspekulationen geschlossen wurde, folgte auf einem der hinteren Nachrichtenplätze (Kellerhoff 2014). Das änderte sich, als sich in den Tagen danach vor den Filialen Schlangen verunsicherter Kunden bildeten.
Wie brenzlig die Lage war – dieses Ereignis hätte einen allgemeinen Bankrun auslösen können – beschreibt die Bundesbank in ihrem Jahresbericht 1974: „Für die Bundesbank erschien es zu diesem Zeitpunkt vordringlich, einer größeren Vertrauenskrise vorzubeugen“, heißt es darin. Die Notenbank befürchtete, massive Geldabhebungen könnten andere Banken in Liquiditätsnot bringen. Deshalb sicherte sie den Banken erhebliche Liquiditätsspritzen zu, für die besonders betroffenen Privatbankiers und Regionalbanken gab es zusätzliche Möglichkeiten.
Die Nervosität der Bundesbank war nicht ganz unbegründet. Die Herstatt-Pleite wirkte sich „kurzfristig in einem scharfen Anstieg des Bargeldumlaufs im Juli bei nur sehr schwachem Einlagenanstieg im Juni und August aus“, wie die Notenbank schreibt. Bankkunden hoben also verstärkt Geld von der Bank ab und zögerten, es auf ihre Konten einzuzahlen. Das ist ein mögliches Indiz dafür, dass die Herstatt-Pleite zumindest einige Bankkunden misstrauisch gemacht hatte. Mehr geschah jedoch nicht. Die befürchtete Kundenpanik blieb aus.
Weitaus höher schlugen die Wellen an den internationalen Devisenmärkten. Denn so klein das Bankhaus Herstatt auch war – in Deutschland gerade einmal die Nummer 35 unter den Banken –, so international verflochten war das Institut wegen seiner umfänglichen Wechselkurs-Geschäfte. Hinzu kam, dass die deutschen Bankenaufseher wenig internationale Weitsicht bewiesen – und die Probleme damit verschärften: Herstatt wurde um 15:30 Uhr geschlossen, am Ende des deutschen Bankentages. Da hatte der Bankentag in New York aber gerade erst begonnen.[14]
Viele Banken, die mit Herstatt Devisen handelten, hatten im Rahmen von Wechselkursgeschäften bereits Zahlungen auf das Herstatt-Konto in New York, das von der Chase Manhattan Bank geführt wurde, geleistet. Im Gegenzug hätten sie von dem Kölner Institut Zahlungen in anderen Währungen erhalten müssen. Doch nachdem in New York die Schließung des Bankhauses Herstatt bekannt wurde, stellte die Chase Manhattan Bank jegliche Zahlung ein. Das traf auch diejenigen, die ihren Teil eines Devisengeschäfts bereits erfüllt hatten. Rund 620 Millionen Dollar an Zahlungen wurden nicht geleistet. Banken rund um den Globus waren betroffen.
Das Risiko bei einem beidseitigen Geschäft, dass ein Vertragspartner seinen Teil der Vereinbarung erfüllt hat, der andere seine Zahlungspflichten aber nicht einhält, wurde danach umgangssprachlich „Herstatt-Risiko“ genannt. Heute bezeichnet man dieses Erfüllungsrisiko als Gegenparteiausfallrisiko.
Der New Yorker Interbankenmarkt, an dem sich Banken untereinander kurzfristig Geld leihen, fror ein. Das lag daran, dass niemand wusste, welche Banken durch die Herstatt-Pleite welche Verluste erlitten hatten und ob sie diese würden schultern können. Banken, die im Verdacht standen, sich mögliche Herstatt-Verluste nicht leisten zu können, erhielten von anderen Banken nur noch zu hohen Zinsen Kredite – oder überhaupt keine. Bei der Abwicklung von Devisengeschäften über andere Zeitzonen hinweg, zahlten Banken zeitweise erst dann ihren Part, wenn gesichert war, dass auch der Geschäftspartner seine Zahlung geleistet hatte.[15]
Auch die deutschen Bankenaufseher trugen eine Mitschuld am Ausmaß der Herstatt-Krise. Nicht nur der Zeitpunkt der Schließung der Bank war unglücklich gewählt. Dass es so lange dauerte, bis die Aufseher überhaupt aktiv wurden, war für die Behörde ebenso wenig ein Ruhmesblatt.
Das zeigt eine Analyse des Wirtschaftshistorikers Emmanuel Mourlon-Druol (2015, S. 1–5) von der Universität Glasgow: Spekulationen über Probleme bei Herstatt hatte es ihm zufolge bereits lange vor der Schließung gegeben. Andere Banken und Notenbanken hatten die deutschen Beamten wiederholt darauf aufmerksam gemacht, dass Gerüchte über enorme Devisen-Operationen von Herstatt im Umlauf waren. Die Rede war davon, dass das Institut zum Teil die selbst gesetzten Limite erheblich überschritt.
Das führte zwar zu einigen Untersuchungen sowie Telefonaten zwischen Bankenaufsehern und Herstatt. Doch lange Zeit blieben die Verluste Herstatts, die sich ab Herbst 1973 ansammelten, im Verborgenen. Das lag auch daran, dass die Devisenhändler ihre Buchungen zum Teil verschleierten.[16]
Regulatorisch hatte die Herstatt-Pleite weitreichende Folgen. Das gesetzlich erlaubte Risiko aus Devisengeschäften wurde noch im gleichen Herbst beschränkt (Grundsatz 1a). In Deutschland wurde das Kreditwesengesetz (KWG) 1976 novelliert. Seither darf die Bankenaufsicht Sonderprüfungen ohne besonderen Anlass vornehmen. Weil Herstatt über Tochtergesellschaften weit mehr Kredit aufnehmen konnte als gesetzlich eigentlich vorgesehen war, schob der Gesetzgeber 1984 auch solchen Kreditpyramiden einen Riegel vor.
Außerdem beschlossen die privaten Banken den Aufbau eines weitreichenden Einlagensicherungssystems, das die Spargelder von „Nicht-Banken“, also von Privatkunden, Unternehmen, Kommunen und institutionellen Investoren, in Höhe von 30 Prozent des Eigenkapitals der betroffenen Bank je Kunde absicherte.1
Die wohl weitreichendste Konsequenz aus der Herstatt-Pleite war die Gründung des Basler Ausschusses für Bankenaufsicht. Dieses Gremium, angesiedelt bei der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in Basel, diente den G10-Staaten zunächst dazu, Erfahrungen und Informationen auszutauschen, um die jeweiligen Aufsichtssysteme zu verbessern. Die Pleite von Herstatt hatte den Bankenregulierern vor Augen geführt, wie schnell sich Zusammenbrüche selbst verhältnismäßig kleiner Finanzinstitute mittlerweile international ausbreiten konnten.
Aus diesem Gremium, dem zunächst nur Vertreter der zehn wichtigsten Industrienationen angehörten, ist mit der Zeit eine sehr große internationale Gruppe geworden mit Mitgliedern aus 27 Nationen und der EU. Die wichtigsten Leitplanken in der internationalen Bankenregulierung werden mittlerweile im Basler Bankenausschuss verhandelt.[17]
Als in den USA 2006 eine ausgedehnte Immobilienblase platzte, schien zunächst nur ein verhältnismäßig kleiner Teil des amerikanischen Immobilienmarktes betroffen: sogenannte Subprime-Kredite, also zweitklassige Immobiliendarlehen, die an schwache Schuldner vergeben wurden oder an solche, die wichtige Unterlagen wie etwa einen Vermögensnachweis nicht vorgelegt hatten. Viele Subprime-Darlehen waren so konstruiert, dass die Zinsen nach einer besonders günstigen Anfangsphase an den Marktzins gekoppelt wurden. Kurz nach dem Platzen der Immobilien-Blase lief die günstige Zinsphase für viele dieser schwachen Darlehen aus. Da damals die Notenbank aber gerade die Zinsen erhöhte, konnten sich viele Kreditnehmer die neuen, deutlich höheren Monatsraten für ihre Eigenheime nicht mehr leisten. Eine wachsende Zahl von ihnen geriet in Zahlungsverzug. Da Banken Immobilien säumiger Schuldner rigoros verwerteten, beschleunigten sie noch den Preisverfall am Häusermarkt.
Das hätte ein lokales, auf den nordamerikanischen Kontinent begrenztes Ereignis bleiben können. Dass diese Krise sich rund um den Globus ausbreitete, hatte mit einer Revolution am Finanzmarkt zu tun, die es Investoren aus aller Welt – darunter vielen Banken – ermöglicht hatte, in den US-Häusermarkt zu investieren: Die meisten Hypothekenanbieter in den USA behielten Immobilienkredite nicht in den eigenen Büchern. Sie verkauften diese an Investmentbanken, die jeweils eine große Zahl dieser Darlehen zu Wertpapieren, sogenannten Verbriefungen, bündelten und an Investoren verkauften. Den Investoren dienten diese Darlehen dann als Sicherheit für die Zinsen und die Rückzahlung: Sie waren Miteigentümer dieses Kreditbündels.[18]
Unterteilt war dieser Sicherheitenpool aus gebündelten Darlehen dann in Wertpapiere mit gestaffeltem Risiko. Treten Verluste auf, müssen zunächst die Investoren der riskantesten Tranche dafür einstehen und zwar solange, bis diese vollständig aufgezehrt ist. Danach brauchen die Verluste die nächst-riskantere Wertpapiertranche auf. Nach diesem „Wasserfall“-Prinzip fressen sich die Verluste allmählich in immer (vermeintlich) risikoärmere Tranchen durch.
Das System barg viele Probleme: Die Hypothekenanbieter hatten finanziell nichts zu befürchten, wenn ein von ihnen vergebener Kredit platzte. Das Risiko trugen die Investoren. Die Investoren wiederum verschafften sich keinen Überblick darüber, welche Qualität die Kredite in den Sicherheitenpools tatsächlich hatten, denn häufig waren die Transaktionen sehr komplex.
Sie verließen sich blind auf die Bonitätsnoten der Ratingagenturen. Die Noten der Wertpapiere in der besten Risikoklasse fielen häufig sehr gut aus. Doch die Ratingagenturen hatten diese Wertpapiere vielfach sehr schlampig beurteilt. Sie ignorierten etwa, dass wegen der exorbitanten Preissteigerungen am US-Immobilienmarkt das Rückschlagrisiko gewachsen war. Teils drückten sie bei der Bewertung aber auch beide Augen zu. Im Wettbewerb um Aufträge im Ratinggeschäft gab es für die Bonitätsbewerter schließlich einen ökonomischen Anreiz, nicht allzu streng zu urteilen. Als die zweitklassigen Immobilien-Darlehen nun im Verlauf massenhaft platzten, führte das dazu, dass die Verlustraten dieser Hypotheken-Wertpapiere dramatisch höher ausfielen, als zunächst gedacht. Sie erfassten selbst die Tranchen mit Bestnoten der Ratingagenturen. Im Sommer 2007 begannen die Ratingagenturen damit, die Ratings solcher Wertpapiere reihenweise herabzustufen.[19]
Europäische Banken wähnten sich von diesem Problem zunächst kaum betroffen, weil sie bevorzugt in die Tranchen investiert hatten, die als besonders sicher galten. Doch schon nach wenigen Monaten stellte sich heraus, dass selbst Subprime-Verbriefungen, die mit den besten Noten der Ratingagenturen versehen waren, ein hohes Verlustrisiko bargen. Es mag verwundern, weshalb Wertpapierkäufer überhaupt darauf vertrauten, dass eine Investition in schwache Hypothekenschuldner eine sichere Anlage sein kann. Doch viele hatten sich darauf verlassen, dass die schlechter geschützten Risikotranchen genug Verluste abfedern würden.
Einigen deutschen Banken wie IKB und Sachsen LB wurde zum Verhängnis, dass sie über Zweckgesellschaften (Conduits) groß ins Verbriefungsgeschäft eingestiegen waren.2[20] Die Conduits kauften Immobilien-Verbriefungen auf und refinanzierten sie durch extrem kurzfristige Geldmarktpapiere. Das warf in guten Zeiten eine üppige Rendite ab, weil die Schuldzinsen für die kurzfristigen Geldmarktpapiere niedriger waren als die Zinsen, die die Verbriefungen vor dem Zusammenbruch des US-Immobilienmarktes abwarfen. Zum Verhängnis wurde diese Konstruktion, als die Conduits nicht mehr umschulden konnten, weil die Ausbreitung der Krise potenzielle Abnehmer der Geldmarktpapiere abschreckte. Da beide Banken – wie andere europäische Institute auch – ihren Zweckgesellschaften Liquiditäts- und Kreditlinien eingeräumt hatten, gerieten zunächst die IKB und dann die Sachsen LB in Schieflage und mussten gerettet werden. Mit der Rettungsaktion für die IKB im Juli 2007 erreichte die Finanzkrise 2007 Deutschland.
Zum Flächenbrand wurde die Finanzkrise am 15. September 2008 als die US-Regierung die amerikanische Investmentbank Lehman Brothers in die Insolvenz schickte. Zuvor hatte die Regierung drei Banken vor einer Pleite gerettet. Mit der Insolvenz von Lehman Brothers wollte sie aber ein Exempel statuieren und zeigen, dass Banken sich nicht auf die schützende Hand des Staates verlassen dürfen. Lehman Brothers galt als relativ kleine Investmentbank und in den USA ging man zunächst davon aus, dass die Entscheidung ausländische Institute härter treffen würde als amerikanische.[21]
Doch die Lehman-Pleite entwickelte sich weitaus dramatischer als von vielen vermutet: Denn die Banken trauten sich innerhalb kürzester Zeit gegenseitig nicht mehr über den Weg: Aus den Bankbilanzen ließ sich nicht ablesen, wie stark ein Institut im US-Immobilienmarkt engagiert war, direkt oder über verschachtelte Wertpapiere, in der Bilanz oder außerhalb von ihr. Es ließ sich aus den Bilanzen auch nicht ablesen, welchen womöglich maroden Banken ein Institut Geld geliehen hatte.
Waren Kredite, die sich die Geldhäuser gegenseitig gewährten, bis zu diesem Zeitpunkt eine wichtige Finanzquelle, so trocknete diese schlagartig aus. Rund um den Globus mussten die Notenbanken als Kreditgeber der letzten Instanz („Lenders of Last Resort“), also als Notnagel, einspringen. Staaten schnürten weltweit Rettungspakete für gefährdete Institute, um weitere katastrophale Bankenzusammenbrüche zu verhindern. In Deutschland wurde zur Rettung und Stabilisierung des Finanzsystems die Bundesanstalt für Finanzmarktstabilisierung (FMSA) gegründet, die den Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung (SoFFin) verwaltet. Die Regierung hatte den SoFFin mit 480 Milliarden Euro ausgestattet. Davon hätte er bis zu 80 Milliarden Euro für Kapitalhilfen ausgeben können und den Rest für Garantien für Banken. Das Volumen wurde nie vollständig ausgeschöpft. Seit 2016 können Banken keine neuen Hilfsanträge beim SoFFin mehr stellen.
Der SoFFin trug unter anderem zur Rettung der Immobilienbank Hypo Real Estate und der Commerzbank bei. Daneben beteiligte er sich finanziell an der Abwicklung der Westdeutschen Landesbank.[22]
Für Deutschland war die Bankenkrise zwar sehr teuer, aber sie gefährdete nicht nachhaltig die Staatsfinanzen. Andere Staaten, in denen das Finanzsystem die heimische Wirtschaft dominierte, gerieten durch die Bankenrettungen selbst in finanzielle Bedrängnis. Irland etwa griff seinen Banken mit Milliardenbeträgen unter die Arme und musste danach von den anderen Staaten der Europäischen Union (EU) gerettet werden. Island schrammte nur knapp an einem wirtschaftlichen Zusammenbruch vorbei, unter anderem weil es noch rechtzeitig Kapitalverkehrskontrollen einführte und teilweise seine Schulden nicht mehr bediente. Die isländischen Banken, die diese Misere ausgelöst hatten, wurden verstaatlicht.
Das Ausmaß der Staatshilfen für marode Banken empörte Bürger weltweit. Die politische Reaktion kam prompt. Nachdem der Finanzsektor in den 1980er- und 1990er Jahren von einer Deregulierungswelle profitiert hatte, setzte nun eine jahrelange Re-Regulierung ein, die auch im Jahr 2018 noch nicht abgeschlossen ist.
2009 einigten sich die G20, die zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer, auf einem Gipfel in Pittsburgh auf eine Reihe von Maßnahmen, um Lehren aus der Finanzkrise zu ziehen. „Das weitgehende Versagen der Regulierungs- und Aufsichtsbehörden im Zusammenspiel mit dem leichtsinnigen und verantwortungslosen Eingehen von Risiken seitens Banken und anderer Finanzinstitutionen haben zu gefährlichen Schwachpunkten geführt, die erheblich zur gegenwärtigen Krise beigetragen haben“, teilten die G20-Staaten in ihrer Abschlusserklärung mit. Eine Rückkehr zum Eingehen exzessiver Risiken, das vor der Krise in bestimmten Ländern weit verbreitet gewesen sei, dürfe es nicht geben. Zu den wichtigsten Reformen, die dabei angestoßen wurden, zählen:[23]
Ein Reformpaket für Banken, im Fachjargon „Basel III“ genannt. Basel III verlangt von Banken eine deutliche Verbesserung der Qualität und der Quantität ihrer Eigenmittelbasis. So gelten praktisch nur noch Aktien und einbehaltene Gewinne als „richtiges“ Eigenkapital. Die Möglichkeiten, außerbilanziell Geschäfte zu treiben, also Geschäfte, die nicht oder nur unvollständig in der Bilanz auftauchen, wurden eingeschränkt. Außerdem müssen Banken bestimmte Geschäfte, die sich in der Krise als schwer kalkulierbar erwiesen haben, mit mehr Kapital unterlegen. Das gilt generell für Handelsgeschäfte und auch für komplexe Verbriefungen. Es ist eine Reaktion darauf, dass viele Banken in Not gerieten, weil ihre bilanzielle Eigenkapitalbasis viel zu dünn war. In einem weiteren im Dezember 2017 verabschiedeten Reformpaket („Basel IV“) geht es darum, wie viele Freiheiten Banken behalten sollen, wenn sie ihre Risiken und damit auch ihren Kapitalbedarf ermitteln.
Regeln für die bessere Abwickelbarkeit von Banken. Viele Kreditinstitute wurden mit enormen Summen vom Staat gerettet, weil man befürchtete, ihr Zusammenbruch hätte sonst große Schäden für die Volkswirtschaften nach sich gezogen. Man sagt, die Banken waren „too big to fail“, zu groß, um sie fallen zu lassen. Deshalb wurden Regeln entwickelt, mit dem Ziel, bei Bankzusammenbrüchen künftig seltener oder zumindest weniger Steuergeld einzusetzen.[24]
Neue Vorschriften für Vergütungs- und Bonussysteme. Banken müssen variable Vergütungssysteme so anpassen, dass sie sich am längerfristigen Erfolg von Geschäften orientieren. Außerdem wird ein Teil des Geldes erst nach einigen Jahren ausgezahlt, und auch nur dann, wenn sich nicht herausgestellt hat, dass ein Angestellter zu hohe Risiken eingegangen ist. Zum Teil können sogar schon ausgezahlte Boni wieder zurückgefordert werden. Diese Reform ist eine Reaktion darauf, dass die vorherigen Bonussysteme einen Anreiz dafür setzten, hohe Risiken einzugehen und vor allem auf den kurzfristigen Erfolg von Transaktionen zu achten. Die Deutsche Bank etwa soll 2009 einem einzelnen Händler einen Bonus in Höhe von 80 Millionen Euro genehmigt haben. Das Pikante: Dieser Händler wurde später geschasst und landete vor Gericht, weil ihm vorgeworfen wurde, an den Manipulationen des Referenzzinssatzes Libor beteiligt gewesen zu sein. Die Deutsche Bank musste wegen ihrer Beteiligung an den Libor-Fälschungen Strafen in Milliardenhöhe zahlen.
Zentral gehandelte Derivate. Die Pleite von Lehman Brothers hatte sich unter anderem deshalb so verheerend auf das Bankensystem ausgewirkt, weil die US-Investmentbank mit vielen anderen Banken geschäftlich verbunden war. Das Institut hatte Zins- und Währungsrisiken anderer Banken über Derivate abgesichert. Das bedeutet, die Banken hatten bei Lehman eine Art Versicherung gekauft, die sie vor ungünstigen Entwicklungen bei Devisen- und Zinsentwicklungen schützen sollte. Wenn diese ungünstigen Entwicklungen eingetreten wären, wäre Lehman wie eine Versicherung für die „Schäden“ aus diesen Zins- und Devisentrends aufgekommen. Für diese Derivate-Geschäfte hatten Lehmans Geschäftspartner der Investmentbank außerdem Sicherheiten stellen müssen. Mit der Pleite verloren Banken nicht nur diesen „Versicherungsschutz“, den sie bei Lehman eingekauft hatten, sondern sie mussten auch – zum Teil zu ungünstigeren Konditionen – neue Versicherungen abschließen. Außerdem verloren sie zum Teil auch die Sicherheiten, die sie Lehman zuvor hatten stellen müssen. Deshalb müssen standardisierte Derivate, die außerbörslich gehandelt werden (OTC-Derivate), mittlerweile über eine „Zentrale Gegenpartei“, etwa ein Clearinghaus abgewickelt werden. Dieser Zentrale Kontrahent bekommt die Sicherheiten aus solchen Geschäften und übernimmt das Ausfallrisiko beider Geschäftspartner. Für OTC-Derivate, die nicht über Zentrale Kontrahenten gehandelt werden, gelten höhere Kapitalanforderungen. Darüber hinaus müssen alle außerbörslich gehandelten Derivate in Transaktionsregistern gemeldet werden. Für Derivate, die nicht über eine Zentrale Gegenpartei gehandelt werden, müssen zudem Sicherheiten hinterlegt werden. Das macht sie unattraktiver.[25-26]
Regeln für Ratingagenturen. In Europa müssen sich Ratingagenturen in Reaktion auf die Erfahrungen in der Finanzkrise bei der Europäischen Wertpapieraufsicht (ESMA) registrieren lassen. Es gibt Vorschriften über den Umgang mit Interessenskonflikten, erhöhte Transparenzpflichten und die Bonitätsprüfer können für ihre Urteile unter strengen Voraussetzungen auch haftbar gemacht werden. Ein weiteres Ziel der Regulierer ist es außerdem, den großen Einfluss von Ratingagenturen in der Bankenregulierung zu reduzieren. Denn in vielen Vorschriften wird auf die Bonitätsnoten der Ratingagenturen Bezug genommen. Wie viel Eigenkapital Banken für bestimmte Kredite benötigen, hängt in bestimmten Fällen von Ratings ab. Diese Anbindung von gesetzlichen Vorgaben an Ratings wurde in den USA in vielen Fällen entfernt. In Europa gab es bislang zwar viele Absichtserklärungen dazu, die Bedeutung von Ratings in der Regulierung zu schmälern, doch bislang ist kaum etwas geschehen.
Ähnlich wie nach anderen großen Bankenkrisen führte auch die Finanzkrise 2007 zur Schaffung neuer Institutionen, etwa einer neuen Bankenaufsichtsbehörde: Seit November 2014 ist eine bei der Europäischen Zentralbank (EZB)angesiedelte Behörde, der Single Supervisory Mechanism (SSM), für die Aufsicht über die Kreditinstitute der Eurozone zuständig. Die rund 120 wichtigsten Institute überwacht der SSM direkt. Die kleineren Banken befinden sich zwar nach wie vor in der Obhut der nationalen Aufseher. Doch auch für die Überwachung dieser Institute setzt der SSM seither die Leitplanken.[27]
Das Ausmaß, in dem neue Vorschriften eingeführt und Regeln verschärft wurden, markiert einen drastischen Einschnitt in der Bankenaufsicht, der jahrelange Reformarbeiten nach sich zog und zu strengeren Regeln führte. Zehn Jahre nach Ausbruch der Finanzkrise scheint der Regulierungseifer nun zu erlahmen. Zunehmend werden Stimmen laut, seitens der Banken, aber auch in der Politik, die ein Ende der Regulierungsbestrebungen fordern. Während Regulierungsbefürworter vor den hohen Kosten von Finanzkrisen für die Volkswirtschaft warnen, argumentieren die Gegner strengerer Vorschriften, es bremse das Wirtschaftswachstum, wenn die Banken zu stark in ihrer Kreditvergabe behindert würden.
Die Leitplanken für neue Regeln trifft heutzutage der Basler Ausschuss für Bankenaufsicht. Das ist ein internationales Gremium aus Notenbankern und Bankenaufsehern, in dem kein Politiker sitzt. Bislang hat der Basler Ausschuss drei Großreformen beschlossen, die Basel I, Basel II und Basel III genannt wurden. Während sich die ersten beiden Reformpakete vor allem auf die Kapitalausstattung von Banken und deren Berechnung konzentrierten, umfasst Basel III auch Liquiditätsvorschriften. Ein weiteres Reformpaket vom Dezember 2017, das Aufseher als die Vollendung von Basel III bezeichnen, nennen viele Banken und Fachleute wegen seines Umfangs Basel IV.
Im Großen und Ganzen prägen die Basel-Pakete aber die Gesetzgebung für die Bankenaufsicht wesentlich. Das gilt auch für die Europäische Union und damit für Deutschland. Denn die maßgeblichen rechtlichen Rahmenbedingungen für die Bankenaufsicht in der Bundesrepublik werden auf EU-Ebene festgelegt. Das Bankenreformpaket Basel III etwa wurde in Form einer EU-Richtlinie, der Kapitaladäquanzrichtlinie IV (Capital Requirements Directive IV, CRD IV) und der dazugehörigen EU-Kapitaladäquanzverordnung (Capital Requirements Regulation, CRR) umgesetzt. Die Inhalte der EU-Verordnung sind dabei in allen Mitgliedsstaaten unmittelbar geltendes Recht, während Richtlinien noch von den nationalen Parlamenten in Gesetze gegossen werden müssen. Bei der Umsetzung von Richtlinien können nationale Parlamente in einem vorgegebenen Rahmen noch eigene Akzente setzen, bei einer Verordnung geht das nicht.[29]
Der Rahmen für eigenständiges Handeln in einzelnen EU-Ländern ist also begrenzt. Dennoch gibt es, auch aus der Vergangenheit, nationale Unterschiede in der Bankenaufsicht. Daher soll die 2010 geschaffene europäische Bankenaufsichtsbehörde EBA möglichst einheitliche Standards erarbeiten, wie bestimmte Vorgaben von den nationalen Behörden zu „leben“ und zu interpretieren sind.
Aufgabe der eigentlichen Bankenaufseher ist es, diese Vorschriften bei Banken durchzusetzen und ihre Einhaltung zu überwachen. In der Eurozone ist die wichtigste „operative“ Aufsichtsbehörde seit 2014 die Bankenaufsicht der Europäischen Zentralbank (EZB). Sie kann Banken und Sparkassen etwa die Lizenz – also die Betriebserlaubnis – erteilen oder entziehen. Bei den größten Banken der Eurozone ist sie auch die Behörde, die überwacht, dass diese mit genügend Eigenkapital arbeiten, genügend liquide Puffer für Krisenzeiten vorhalten und von zuverlässigen Geschäftsleitern geführt werden. Für kleinere Banken übernehmen die meisten Kontroll- und Sanktionsfunktionen noch die nationalen Aufseher, die sich aber an Leitplanken der EZB-Aufsicht zu halten haben.
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Neben diesen „Eingriffsbehörden“ wurden in Reaktion auf die Finanzkrise auch Gremien wie der Europäische Ausschuss für Systemrisiken (ESRB) geschaffen, die das große Bild in der Finanzwelt im Auge haben: Finanzwächter wie der ESRB sollen verhindern, dass sich im Finanzsystem von den „operativen“ Bankaufsehern unbemerkt, allgemeine Risiken aufbauen, die sich nicht an der einzelnen Bankbilanz ablesen lassen, etwa in den Immobilienmärkten. Immobilienblasen sind die häufigste Ursache für schwere Bankkrisen, wurden von Bankaufsehern in der Vergangenheit aber häufig erst zu spät bemerkt. Der ESRB kann nur Warnungen und Ratschläge veröffentlichen, hat aber keine Eingriffsrechte.
Gesetze können nicht immer jedes Detail in der täglichen Aufsichtsarbeit ausleuchten. Normen müssen deshalb häufig erst interpretiert und ausgelegt werden, um praxistauglich zu sein. Auf EU-Ebene etwa geschieht das durch die EBA. Auf deutscher Ebene kann die deutsche Finanzaufsichtsbehörde BaFin sogenannte Mindestanforderungen erlassen. Solche Mindestanforderungen sind eine Interpretation und Auslegung von Normen. Ist eine Bank nicht mehr zu retten, dann wird für sie entweder die europäische oder eine nationale Abwicklungsbehörde zuständig. Das sind separate Institutionen, die aber von größeren Banken schon zu deren Lebzeiten Sanierungspläne, also eine Art Notfallplan für den Ernstfall, einfordern.
Aktiva: So werden die Vermögenswerte genannt, die auf der Aktivseite einer Bilanz stehen. Die Aktivseite eines Unternehmens zeigt, was das Unternehmen „hat“, womit es Geschäft macht. Bei Banken handelt es sich bei den meisten Aktiva um Forderungen, etwa um Kredite, oder um „verbriefte“ Forderungen, womit Anleihen gemeint sind. Anleihen sind, grob gesagt, ein Kredit in Form eines kapitalmarktfähigen Wertpapiers.
Passiva:
Eigenkapital:[32]
Eigenkapitalquote:
Risikogewichtete Aktiva (RWA): [33]
Leverage Ratio:
Liquidity Coverage Ratio (Mindestliquiditätsquote, LCR): [34]
Net Stable Funding Ratio (strukturelle Liquiditätsquote stabile Finanzierungskennziffer, NSFR):