In diesem und in den vorausgegangenen Bänden der » ausgewählten humoristischen Schriften Mark Twain’s« hat der Leser ohne Zweifel den amerikanischen Humoristen so lieb gewonnen und hochschätzen gelernt, daß er eine eingehendere Lebensbeschreibung desselben gewiß gern aufnehmen wird; zumal eine solche, welche – wie die nachfolgende – in mancher Beziehung neues Licht auf die Schriften des Verfassers wirft. Es hat gewiß einen eigenen Reiz, sich noch einmal an den Genuß der Lektüre Mark Twain’s und namentlich einzelner Episoden derselben zu erinnern, während man dem Verfasser auf seiner viel bewegten Laufbahn folgt. ‹
Inhaltsverzeichnis
Im Jahre 1895, um die Zeit seines 60. Geburtstags brach das Unglück durch den Bankrott der Firma Webster über ihn herein. Er verlor dabei sein ganzes Vermögen. Die Firma hinterließ eine große Schuldenlast, welche er mit einem geradezu heroischen Mute abzutragen beschloß.
Ohne auf die Vorstellungen seiner Freunde zu achten, daß er nach kaufmännischer Gepflogenheit die Gläubiger mit einem gewissen Prozentsatz abfinden solle, und ohne die ihm bereitwilligst gebotene finanzielle Hilfe anzunehmen, gab er sein Wort, die Schulden innerhalb 4 Jahren bei Heller und Pfennig abzutragen. Er hat diese Ehrenpflicht glänzend erfüllt.
Es war ein Riesenwerk. Um es zu vollbringen, unternahm er eine Vorlesungstour, die ihn zuerst durch den Norden der Vereinigten Staaten und dann rund um die Erde führte. Nur die moralische Notwendigkeit, jene Schulden zu bezahlen, veranlaßte ihn, jahrelang auf Ruhe und Behagen zu verzichten; denn das anstrengende Reisen machte ihm in seinem Alter kein Vergnügen mehr.
Aber das Opfer ist nicht vergeblich gewesen. Schon die freundliche Aufnahme und das herzliche Wohlwollen, welches ihm allenthalben bezeugt wurde, gewährte Mark Twain hohe Befriedigung und einen persönlichen Gewinn, der ihm ebenso wichtig war wie die Einnahmen, welche seinen Gläubigern zugute kamen. Zuerst ging er nach Australien. In jeder Stadt erfreute sich der beliebte Redner und Schriftsteller des wärmsten Empfanges; seine Reise glich einem Triumphzug durch das ganze Land. Großen Erfolg hatte er auch bei den Rajahs in Indien, und die dortigen englischen Bewohner zeigten sich unermüdlich in den Beweisen von Verehrung und Bewunderung, mit denen sie ihn überhäuften. Nicht minder angenehm waren die Erfahrungen, welche Mark Twain bei seinem Besuch in Südafrika machte. Er sah sich im Rückblick auf so viele hochinteressante Erlebnisse fast veranlaßt, das Mißgeschick zu preisen, das ihn genötigt hatte, jene wunderbaren Länder aufzusuchen.
Nach Europa zurückgekehrt, ließ sich Clemens zuerst in London nieder, wo er ein Haus in Chelsea mietete. Dort schrieb er seine › Reise um die Welt‹, in welcher er den reichen Stoff, den er gesammelt hatte, literarisch verwertete. Das Buch (1898 in deutscher Uebersetzung im Verlag des Herausgebers der vorliegenden Sammlung erschienen) bietet neben den bekannten Vorzügen des unvergleichlichen Humoristen eine Fülle von kulturgeschichtlicher Belehrung, so daß uns Mark Twain hier zugleich als ernster, gediegener Schriftsteller entgegentritt; immer wieder aber zuckt sein köstlicher Humor oft blitzartig durch alle Erzählungen und Beschreibungen hindurch, wo es der Leser am wenigsten erwartet.
Nach Vollendung seiner ›Reise um die Welt‹ ruhte er sich einige Monate in der Schweiz aus und lebte dann 1897-1899 mit seiner Familie in Wien. Der dortige Aufenthalt galt hauptsächlich der musikalischen Ausbildung seiner Tochter Clara unter der Leitung des berühmten Meisters Leschetitzky. Seine älteste Tochter Susan hatte Mark Twain während seiner Weltreise verloren, nachdem sie eben ihre Ausbildung als Gesangskünstlerin beendet hatte: der herbste Schicksalsschlag, der bis dahin den Vater getroffen. In Wien fand Mark Twain die einem so hervorragenden Gaste gebührende Aufnahme. Bald nach seiner Ankunft veranstaltete der Schriftsteller-und Journalistenverein ›Concordia‹ Mark Twain zu Ehren eine Festkneipe, bei welcher er zur allgemeinen Ueberraschung als Redner in deutscher Sprache auftrat. Er versicherte der Versammlung mit drolligem Ernste, es sei stets der Traum seines Lebens gewesen, ein Reformator der edlen deutschen Sprache zu werden. Daß es hauptsächlich die langen Wörter und Sätze, sowie die trennbaren Zeitwörter waren, gegen die er zu Felde zog, darüber wird niemand in Zweifel sein, der seinen gelungenen Aufsatz über die › Schrecken der deutschen Sprache‹ (Bd. VI, S. 72) gelesen hat.
Daß Mark Twain unter allen Nationen, mit denen er auf seinen Reisen in näheren Verkehr getreten ist, der deutschen den Vorzug giebt, beweist er schon dadurch, daß er sich oft und mit Vorliebe unter den Deutschen niedergelassen hat. Der ernste Fleiß und die Gründlichkeit ihres Wesens haben für ihn, seinem ganzen Charakter nach, die größte Anziehung.
So kann es denn auch nicht fehlen, daß die Deutschen ihm und seinen Werken überall die freundlichste Aufnahme bereiten und er sich auch bei uns allgemein einer Beliebtheit erfreut, wie sie ein Schriftsteller bei Lebzeiten nur selten genießen darf. Er hat unserm sorgenvollen, ernsten Geschlecht so viele harmlos frohe Stunden bereitet, daß wir ihn getrost einen Wohlthäter der Menschheit nennen dürfen.
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Als ich nach neunundzwanzigjähriger Abwesenheit (1882) meinem Heimatort einen kurzen Besuch machte, fand ich daselbst ebensoviel anders geworden, wie überhaupt am ganzen Mississippi. Die Stadt Hannibal, wie sie früher gewesen, stand mir noch klar und lebhaft im Gedächtnis, ich hätte sie malen können. Ich trat ans Ufer und mir war zu Mute wie einem Menschen aus einer längst begrabenen Generation, der wieder unter den Lebenden wandelt. Ein ähnliches Gefühl müssen, denke ich, die Gefangenen der Bastille gehabt haben, wenn sie nach jahrelanger Kerkerhaft ans Licht des Tages kamen und sich nun in Paris umschauten, wo ihnen alles so fremd und doch so vertraut war.
Wohl sah ich die neuen Häuser – sie standen ja leibhaftig vor mir – aber die Bilder aus alter Zeit, die in meiner Erinnerung lebten, berührte das nicht; durch die festgefügten Mauern hindurch sah ich die alten Häuser, die ehemals an ihrem Platz gestanden, mit größter Deutlichkeit.
Es war Sonntag-Morgen und alles lag noch in den Federn. So schritt ich denn durch die leeren Straßen, sah die Stadt nicht wie sie ist, sondern wie sie war und begrüßte im Geist hundert mir wohlbekannte Gegenstände, die vom Erdboden verschwunden waren. Schließlich stieg ich den Holiday-Hügel hinauf, um einen weiten Überblick zu gewinnen. Nun lag die ganze Stadt zu meinen Füßen ausgebreitet und ich konnte jedes Gebäude, jede einzelne Örtlichkeit genau bestimmen. Natürlich hatte ich Mühe, meine Rührung zu bemeistern. Ich sagte mir: »Von den Leuten, die ich einst in diesem friedlichen Hafen meiner Kindheit gekannt habe, sind schon viele in den Himmel gegangen, manche aber auch sicherlich nach einem andern Ort der Vergeltung.«
Alles, was ich rings um mich sah, rief meine Knabengefühle wieder wach; ich war überzeugt, ich sei noch ein Knabe und hätte nur einen ungewöhnlich langen Traum gehabt. Allein, sobald ich anfing zu überlegen, schwand diese Vorstellung. »Da drüben stehen etwa fünfzig alte Häuser,« sagte ich zu mir, »und ich brauche nur einzutreten, um überall Männer und Frauen zu finden, die noch in der Wiege lagen oder nicht geboren waren, als ich zuletzt von hier oben hinabschaute, vielleicht sogar eine Großmutter, die damals eine blühende junge Braut war.«
Man hat von jener Anhöhe aus einen unbegrenzten Blick den Fluß hinauf und hinunter und über die großen Waldungen von Illinois; die Aussicht ist wunderschön, fast möchte ich sagen, eine der schönsten am Ufer des Mississippi, aber das ist eine kühne Behauptung, denn die 800 Meilen, die der Fluß von St. Paul nach St. Louis durchläuft, bieten eine ununterbrochene Reihe der reizendsten Landschaftsbilder. Möglich, daß meine Vorliebe für die in Frage stehende Aussicht mein Urteil beeinflußt – ich weiß es nicht gewiß. Jedenfalls gewährte sie mir die vollste Befriedigung, denn sie hatte vor allem andern Lieben und Bekannten, was ich wiedersehen sollte, eines voraus – sie war ganz unverändert. So jung und frisch, so reizend und anmutig sah ich sie vor mir, wie sie je gewesen, während die Gesichter meiner ehemaligen Freunde natürlich alt sein mußten und voller Narben vom Kampf des Lebens. Sie alle trugen wohl Spuren ihrer Niederlagen und Kümmernisse und konnten mein Gemüt nicht erheben.