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Jon Acuff
Bring es zu Ende!
Jon Acuff
Bring es zu Ende!
Wie man mit mehr Spaß und weniger Perfektion alle Ziele erreicht – und sich selbst belohnt
Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch von Silvia Kinkel
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Für Fragen und Anregungen:
lektorat@redline-verlag.de
1. Auflage 2018
© 2018 by Redline Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH
Nymphenburger Straße 86
D-80636 München
Tel.: 089 651285-0
Fax: 089 652096
© der Originalausgabe 2017 by Jonathan Acuff
Die englische Originalausgabe erschien 2017 bei Portfolio, einem Imprint der Penguin Publishing Group, einer Abteilung der Penguin Random House LLC, unter dem Titel Finish – Give yourself the Gift of Done.
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Übersetzung: Silvia Kinkel, Königstein
Redaktion: Bärbel Knill, Landsberg am Lech
Umschlaggestaltung: Laura Osswald, München
Umschlagabbildung: Shutterstock, Cvijovic Zarko
Satz: Carsten Klein, Torgau
Druck: GGP Media GmbH, Pößneck
Printed in Germany
ISBN Print 978-3-86881-707-2
ISBN E-Book (PDF) 978-3-96267-022-1
ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96267-023-8

Inhalt

Einleitung
Das falsche Gespenst
Kapitel 1
Der Tag nach »perfekt«
Kapitel 2
Halbieren Sie Ihr Ziel
Kapitel 3
Was können Sie vernachlässigen?
Kapitel 4
Nur was Spaß macht, führt zum Ziel
Kapitel 5
Kommen Sie aus Ihrem Versteck und ignorieren Sie ehrenwerte Hindernisse
Kapitel 6
Verabschieden Sie sich von Ihren verborgenen Regeln
Kapitel 7
Feiern Sie Ihre nicht perfekten Fortschritte
Kapitel 8
Der Tag vor der Fertigstellung
Fazit
Danksagung
Anmerkungen
Über den Autor

Einleitung

Das falsche Gespenst

Im Jahr 2013 habe ich das falsche Gespenst bekämpft.
In jenem Jahr veröffentlichte ich ein Buch, in dem ich die Leser dazu drängte, loszulegen. Ich forderte sie auf, endlich vom Sofa aufzustehen. Ich ermunterte sie, ein Unternehmen zu gründen. Ich ermutigte sie, mit einer Diät anzufangen oder ein Buch zu schreiben oder eine Million anderer Ziele zu verfolgen, von denen sie schon jahrelang geträumt hatten.
Ich dachte, das größte Problem für die Menschen sei die Angst, die sie davon abhält, einfach loszulegen. Wenn ich diese Menschen über die Startlinie schubsen könnte, würde der Rest wie von selbst laufen. Angst war in meinen Augen das Gespenst, das sie zurückhielt, und loszulegen schien mir der einzige Weg, um es zu besiegen.
Ich lag zur Hälfte richtig.
Das Anfangen spielt eine Rolle. Das Anfangen ist wichtig. Die ersten paar Schritte sind von Bedeutung, aber sie sind nicht das Wichtigste.
Wissen Sie, was noch wichtiger ist? Wissen Sie, was den Anfang wie einen Klacks und beinahe bedeutungslos aussehen lässt?
Es auch zu Ende zu bringen.
Jahr für Jahr haben mich Leser bei Veranstaltungen beiseitegenommen und gesagt: »Mit dem Anfangen hatte ich nie ein Problem. Ich habe eine Million Sachen angefangen, sie aber nie zu Ende gebracht. Wie kann ich etwas zu Ende bringen?«
Darauf hatte ich keine Antwort, aber ich brauchte eine, auch in meinem eigenen Leben.
Ein paar Dinge habe ich zu Ende gebracht. Ich bin Halbmarathons gelaufen, habe sechs Bücher geschrieben und ich habe mich heute ordentlich angezogen, aber das sind die Ausnahmen in meinem Leben voller nur zur Hälfte erledigter Dinge.
Ich habe nur 10 Prozent der in meinem Besitz befindlichen Bücher ausgelesen. Ich brauchte drei Jahre für das sechstägige P90X-Home-Exercise-Progamm. Mit 23 Jahren habe ich es immerhin bis zum blauen Gürtel in Karate geschafft, etwa 26 Stufen unter meinem eigentlichen Ziel des schwarzen Gürtels. In meinem Büro habe ich genau 32 angefangene Moleskine-Notizbücher, und in meinem Badezimmer stehen 19 angebrochene Lippenpflegestifte. Ein Finanzberater würde vermutlich verrückt werden angesichts des Kostenfaktors »Lippenpflege« in meinem persönlichen Budget.
Meine Garage ähnelt einem Mausoleum. Dort findet sich das Teleskop (fünfmal benutzt), die Angel (dreimal benutzt) und das Snowboard mit der Saisonkarte für ein Skigebiet, das gleich in der Nähe liegt (nie benutzt). Und wer könnte das Moped vergessen, das ich vor drei Jahren gekauft habe und mit dem ich sage und schreibe dreieinhalb Kilometer gefahren bin? Ich habe es nicht einmal angemeldet und versichert. Ich lebe jenseits der Normalität. Der Normalität, etwas zu Ende zu bringen.
Wenigstens stehe ich mit meinem Problem, etwas bis zum Ende durchzuziehen, nicht alleine da.
Laut Studien werden 92 Prozent der Neujahrsvorsätze nicht umgesetzt. Jeden Januar starten Menschen voller Hoffnung und mit viel Tamtam und glauben, dass dieses Neujahr jenes ist, das auch ein neues Ich hervorbringt.
Aber obwohl 100 Prozent anfangen, gelangen nur 8 Prozent ans Ziel. Statistisch gesehen ist Ihre Chance ebenso groß wie die, an der New Yorker Juilliard School einen Platz im Studienfach Klassischer Tanz zu bekommen. Diese Chance liegt ebenfalls bei 8 Prozent, nur dass ihr es wisst, ihr lieben kleinen Ballerinen.
Ich dachte, mein Problem sei, dass ich mich nicht genug anstrenge. Genau das sagen mir nämlich sämtliche Online-Gurus mit ihren strahlend weißen Zähnen. »Du musst dich ins Zeug legen! Du musst dich abrackern! Schlafen kannst du, wenn du tot bist!«
Vielleicht war ich einfach nur faul.
Schließlich fand ich heraus, dass ich einen gefährlich niedrigen GRIT-Wert hatte. Das erfuhr ich, als ich mich Angela Duckworths hervorragendem GRIT-Test unterzog. Mein Wert war so niedrig, dass er nicht einmal angegeben wurde. Eigentlich hätte man Bonuspunkte dafür bekommen müssen, dass man den Test überhaupt fertig machte – was ich überraschenderweise schaffte.1
Ich begann, morgens früher aufzustehen. Ich trank so viele Energydrinks, dass es ein Pferd umgehauen hätte. Ich engagierte einen Life-Coach und aß mehr Superfood.
Nichts half, obwohl mein Augenlid von dem vielen Koffeinkonsum wie irre zuckte. Es war, als würde mein Auge jemandem zuzwinkern – und zwar wahnsinnig schnell.
Während ich mich ordentlich ins Zeug legte und nach den Sternen griff wie Abe Lincoln, erfand ich eine 30-tägige Online-Challenge. Sie nannte sich »30 Days of Hustle Challenge« (zu Deutsch: 30 Tage Hetze) und bestand aus einem Videokurs, der Tausenden von Menschen dabei helfen sollte, ihre Ziele zu erreichen.2
Was dann passierte, lässt sich bestenfalls als Zufall bezeichnen. In Büchern wie diesem sollte man so etwas nicht zugeben. Wenn du Selbsthilfe-Bibeln verfasst, ist die Versuchung groß, deine eigene Geschichte als Beweis dafür anzuführen, dass du qualifiziert bist, jemand anderem bei der Gestaltung seiner Zukunft zu helfen.
Die Führungskraft, die in den Erfolg gestolpert ist, blickt im Nachhinein zurück und erfindet zehn Schritte, die ihn oder sie dorthin gebracht haben, und dann schreibt er oder sie ein Buch mit dem Titel So erreichst du dein Ziel. Ich habe ganz ehrlich nicht geplant, was ich Ihnen hier sagen will. Im Gegenteil, ich war genauso überrascht, wie Sie es sein werden, und bin einfach nur begeistert, dass es wirklich funktioniert hat.
Im Frühjahr 2016 trat ein Forscher namens Mike Peasley von der University of Memphis mit einem Vorschlag an mich heran.
Er wollte Menschen beim Durchführen meiner »30 Days of Hustle Challenge« beobachten, um herauszufinden, was funktioniert und was nicht. Er schrieb gerade an seiner Doktorarbeit und wollte die Ergebnisse seiner Studie veröffentlichen. In den darauffolgenden Monaten befragte er mehr als 850 Teilnehmer, um eine solide Basis realer Daten zu schaffen.
Das war eine neue Erfahrung für mich, denn bis dahin galt für mich die wunderbare Prämisse von 2003: »Denk dir aus, was immer du willst, um es ohne Fakten als Grundlage im Internet zu verbreiten.«
Was Mike herausfand, veränderte meine Einstellung radikal, was das Thema »etwas zu Ende bringen« betrifft, aber auch meine Arbeit an diesem Buch und sogar mein Leben.
Mike fand heraus, dass bei Menschen, die an der Challenge teilgenommen hatten, die Wahrscheinlichkeit, ein Ziel zu erreichen, im Vergleich zu vorher um 27 Prozent angestiegen war. Das war ermutigend, aber nicht wirklich überraschend. Wenn man 30 Tage lang kontinuierlich an etwas arbeitet, liegt es nahe, dass man besser darin wird.
Überraschend war für mich jedoch etwas, das uns allen auffallen sollte: Die Übungen, die den Teilnehmern deutliche Fortschritte brachten, waren jene, die den Druck reduzierten, jene, die den lähmenden Perfektionismus aufhoben, der die Menschen dazu bringt, ihre Ziele aufzugeben. Ob sie nun versuchten, um eine Kleidergröße abzunehmen, mehr in einem Blog zu veröffentlichen oder eine Gehaltserhöhung zu bekommen, das Ergebnis war immer dasselbe. Je weniger die Menschen das Perfekte anstrebten, desto produktiver wurden sie.
Es zeigte sich, dass die Antwort nicht darin liegt, sich mehr anzustrengen.
Sich abzurackern ist nicht die Lösung.
Aus Menschen, die ständig etwas Neues anfangen, können Menschen werden, die die Dinge konsequent fertigstellen.
Wir können etwas zu Ende bringen.
Geben Sie es zu, Sie dachten, dieses Buch sei so etwas wie eine Red-Bull-Anzeige. Ich würde Ihnen ein paar Tipps geben, Sie motivieren, Ihnen die schnellsten Abkürzungen und die besten Tricks zeigen und Ihnen helfen, immer mehr zu schaffen!
Und wie soll das funktionieren? Macht es irgendetwas besser, wenn man sich noch mehr anstrengt? Macht es Ihr Leben lebenswerter, wenn Sie noch mehr tun? Haben Ihnen die ganzen Tipps für mehr Produktivität, das ganze Zeitmanagement-Gerede auch nur irgendwie geholfen?
Das haben sie nicht und das werden sie auch nicht.
Wenn Sie etwas zu Ende bringen wollen, müssen Sie alles in Ihrer Macht Stehende tun, Ihren Perfektionsdrang von Anfang an loszuwerden. Sie müssen Spaß haben, Ihr Ziel halbieren, sich aussuchen, welches Ziel Sie angehen wollen, und ein paar weitere Dinge tun, mit denen Sie erst einmal nicht rechnen.
Ich war selbst total überrascht darüber, was ich bei meinen Recherchen herausfand: Die Methoden, wie man etwas wirklich zu Ende bringt, sind derart entgegen jeder Intuition, dass sie sich oft wie eine Abkürzung anfühlen. Sie werden das Gefühl haben, zu schummeln, oder dass das, was Sie tun, »nicht zählt«.
Bekommen Sie ein schlechtes Gewissen bei dem Wort »Abkürzung«? Erinnern Sie sich an den Coach, den Vorgesetzten oder Elternteil, der Ihnen sagte: »Im Leben gibt es keine Abkürzungen«?
Fein, dann versprechen Sie mir erst einmal, dass Sie aufhören, Google zu benutzen. Das nächste Mal, wenn Sie etwas wissen müssen, schreiben Sie der Kongressbibliothek einen Brief. Auf Papier. Mit einer Briefmarke, die Sie mit der Zunge anlecken müssen. Selbstklebende Briefmarken sind nämlich eine Abkürzung.
Im Wesentlichen ist es das, was die Gebrüder Wright tun mussten, als sie einen Ort suchten, wo sie ihre Flugzeuge testen konnten. Sie schrieben an den nationalen Wetterdienst in Washington, D.C., und fragten, wo im Land der Wind am stärksten ist. Ein Bürokrat recherchierte ein bisschen, stellte Berichte zusammen und schrieb den Brüdern dann zurück. Nachdem sie die Daten studiert hatten, entschieden sie sich für Kitty Hawk, North Carolina. Als Nächstes schrieben sie an den dortigen Leiter des Postamts, um herauszufinden, wie dieser vorgelagerte Inselstreifen wirklich beschaffen war. Dann warteten sie auf seine Antwort.3
Das ganze Verfahren dauerte ewig, zumindest nach unseren heutigen Standards, denn nun haben wir Abkürzungen.
Einen Anwohner von Martha’s Vineyard nach einem guten Strand zu fragen, ist eine Abkürzung. (Nebenbei bemerkt: Die Antwort lautet »Fahren Sie nach Tashmoo«.)
Das Wi-Fi an Ihrem Laptop auszuschalten, wenn Sie sich auf etwas konzentrieren müssen, ist eine Abkürzung.
Wenn Sie es leid sind, Dinge anzufangen und dann nicht fertigzustellen, würde ich Ihnen gern ein paar Sachen zeigen. Alles fängt damit an, wie Sie mit dem wichtigsten Tag für jedes Ziel im Leben umgehen.

Kapitel 1

Der Tag nach »perfekt«

»Gut angefangen ist schon halb fertig« ist einer von meinen Lieblings-Motivationssprüchen, die schlichtweg nicht zutreffen. Der andere lautet: »Manchmal musst du einfach von der Klippe springen und dir auf dem Weg nach unten Flügel wachsen lassen.« Diesen sah ich auf dem Foto eines Wolfs, was mich verwirrte, da nach meiner begrenzten Kenntnis über das Tierreich noch nie einem Wolf Flügel gewachsen sind. Zum Glück. Sollten die Wölfe je herausfinden, wie man fliegt, dann war’s das für uns.
Wir konzentrieren uns meistens viel zu sehr auf das Anfangen. Und während wir das tun, übersehen wir den einen Tag, der mehr Ziele zunichtemacht als jeder andere. Während meiner ersten 41 Lebensjahre habe ich von diesem Tag noch nie etwas gehört. Ich war genauso ahnungslos wie die fiktiven Personen, die immer noch an dem Strand leben, an dem Der weiße Hai gedreht wurde. Es hätte keinen Der weiße Hai II geben sollen. Dieser Film hätte einfach heißen sollen Ein paar Küstenbewohner zogen nach Ohio, wo es keine Haie gibt. Das passt möglicherweise nicht auf ein Schriftdisplay, aber wenigstens wären sie einer weiteren Hai-Katastrophe entgangen.
Trotz all der Arbeit, die wir in das Planen unserer Ziele investieren, trotz der neuen Laufschuhe und Diäten und Geschäftspläne, verpassen wir den wichtigsten Tag, jenen Tag, der der Grund dafür ist, warum ich keine schwarzen Bohnen mehr bei Costco kaufen darf.
Das Geschäft würde mich lassen, es ist keine Managemententscheidung, obwohl ich das Verteilen von Gratisproben ausnutze. Einmal verteilten sie Oreos – für die sieben Amerikaner, die diese Kekse noch nie gegessen hatten. Das Gespräch mit den Mitarbeitern, die sie verteilten, war seltsam, da ich meinte, so tun zu müssen, als hätte ich noch nie davon gehört. »Wie heißen die? Ein Schokoplätzchen-Sandwich? Nein? ›Oreo‹ heißen die? Habe ich das richtig ausgesprochen? Wie skurril!«
Der Grund, warum ich keine schwarzen Bohnen kaufen kann, besteht darin, dass sie nur palettenweise verkauft werden. Man kann nicht nur eine Dose kaufen, man muss 1000 nehmen.
Das sind eine Menge Bohnen, aber mindestens einmal im Jahr bilde ich mir ein, so viele zu brauchen.
Beim Sporttreiben entscheide ich mich, »Ernst zu machen«. Ich erinnere mich, dass Timothy Ferriss in seinem Buch Der 4-Stunden-Körper ein einfaches Frühstück aus Eiern, schwarzen Bohnen, Spinat, Kreuzkümmel und Salsa empfiehlt. Wenn meine Familie sieht, wie ich den Küchenschrank nach schwarzen Bohnen durchforste, stöhnen alle. »Oh nein, jetzt geht das schon wieder los!«4
Sie wissen, dass ich an den kommenden zwölf Tagen schwarze Bohnen essen werde.
Wieso nur zwölf? Weil ich an Tag 13 zu beschäftigt sein werde, ein Meeting habe oder ohne meine Bohnen auf Geschäftsreise sein werde. Und weil ich einen Tag ausgelassen habe, beende ich dann das ganze Unterfangen.
Ist die Kontinuität erst einmal unterbrochen, kann ich sie nicht wieder aufnehmen. Meine Bilanz ist nun nicht mehr perfekt, also höre ich ganz damit auf. Das ist eine erstaunlich weitverbreitete Reaktion auf Fehlleistungen.
Wenn Sie Menschen danach fragen, warum sie ihre Ziele aufgeben, dann verwenden alle ähnlichen Formulierungen.
»Ich geriet in Verzug und kam dann nicht mehr in die Spur.«
»Mir kam etwas dazwischen, und dann bin ich von meinen Plänen abgekommen.«
»Das Projekt ist gleich zu Anfang schiefgelaufen, und dann war schon zu viel kaputt, um es wieder in Ordnung zu bringen.«
Der Wortlaut mag ja unterschiedlich sein, aber sie wiederholen alle das Gleiche: »Als es aufhörte, perfekt zu sein, habe auch ich aufgehört.«
Sie haben einen Tag lang Ihre Diät nicht eingehalten und daraufhin entschieden, dass die ganze Sache sowieso dämlich sei.
Sie waren an einem Vormittag zu sehr beschäftigt, um zu schreiben, also haben Sie Ihr unvollendetes Buch wieder zurück in die Schublade gelegt.
Sie haben einen Beleg verloren und deshalb Ihr Budget für diesen Monat gar nicht mehr eingehalten.
Ich hacke nicht auf Ihnen herum, weil Sie sich dem Perfektionismus beugen. Ich bin dem selbst schon so oft zum Opfer gefallen. Im Februar bin ich stolze 120 Kilometer gelaufen. Im März waren es 114 und im April 117. Wissen Sie, wie viele Kilometer ich im Mai gelaufen bin? Zwölf. Ahnen Sie, wie viele es im Juni waren? Drei.
Warum? Als meine perfekte Trainingssträhne auf eine Straßensperre traf, hörte ich auf.
Dies ist die erste Lüge, die der Perfektionismus Ihnen im Hinblick auf Ziele auftischt: Hören Sie auf, falls es nicht perfekt ist.
Das Geniale an dieser ersten Lüge ist ihre Subtilität. Es heißt nicht »wenn es nicht perfekt ist«, denn das würde auf die Realität hinweisen, dass es das nicht sein wird. Nein, der Perfektionismus sagt Ihnen, »falls es nicht perfekt ist«, als hätten Sie die Chance, die ganze Distanz zu schaffen und mit der Inschrift »100 Prozent« auf Ihrem Grabstein beerdigt zu werden.
Das beunruhigt uns, weil wir keine Zweier- und Dreier-Noten wollen, wenn wir ein Ziel haben. Wir wollen glasklare Einsen, vor allem, wenn es sich um ein Ziel handelt, über das wir eine Weile nachgedacht haben. Wir werden die ganze Sache sofort aufgeben, wenn wir irgendeinen Fehler oder eine Unvollkommenheit in unserer Leistung entdecken. Mehr noch, wir werden sogar schon im Vorfeld aussteigen, bevor wir auch nur angefangen haben.
Aus diesem Grund wollen viele Menschen kein neues Ziel angehen. Lieber akzeptieren sie 0 statt 50 Prozent. Sie halten »perfekt« für den einzigen Standard, und wenn sie den nicht erreichen können, machen sie nicht einmal den ersten Schritt. Ein düsteres Gefühl von »Was soll es bringen?« legt sich auf sie wie dichter Nebel. Wenn ich es gar nicht erst versuche, kann ich auch nicht scheitern.
Bei der Recherche für dieses Buch befragte ich 1000 Menschen in einer Online-Umfrage, ob sie sich je geweigert haben, eine Idee überhaupt aufzuschreiben, weil sie diese für nicht gut genug befanden. Ich dachte, dass ich möglicherweise der Einzige sei, der einen Perfektionsfilter besitzt, der Ideen aussortiert, noch bevor es diesen überhaupt gestattet wird, aufs Papier zu kommen. Mehr als 97 Prozent der Teilnehmer antworteten, dass sie dies bereits getan hätten.
Ich weiß nicht, wie ich es Ihnen sagen soll, aber Ihr Ziel wird nicht perfekt sein. Ich sage es Ihnen ja nur ungern, aber Sie werden scheitern. Möglicherweise auf ganzer Linie. Vielleicht von Anfang an. Eventuell stolpern Sie bereits an der Startlinie.
Das ist in Ordnung.
Wieso? Warum ich Sie ermutige, Unvollkommenheit zu akzeptieren? Nun, zum einen wird es Sie nicht umbringen, etwas Unvollkommenes zu tun.
Das denken wir zwar, weshalb wir unseren mangelnden Fortschritt mit einem Zugunglück vergleichen. »Ich bin aus der Spur gekommen, und meine Pläne waren nur noch Schrott.« Ein Zugunglück ist ein schwerer, schlimmer Unfall. In vielen Fällen sterben Menschen, es kommt zu Sachschaden im sechsstelligen Bereich und die Reparaturen dauern Tage oder gar Wochen.
Wissen Sie, was passiert, wenn Sie einen Tag lang Ihr Ziel verfehlen? Nichts davon.
Niemand stirbt. Es kostet keine 400 000 Dollar, wieder in die Spur zu kommen. Das Ausbessern dauert keine vier Wochen.
Und zum Zweiten: Wer es schafft, die Unvollkommenheit zu tolerieren, hat damit die entscheidende Voraussetzung, sich vom notorischen Neuanfänger in einen konsequenten Fertigsteller zu verwandeln. Notorische Neuanfänger geben am Tag nach »perfekt« auf. Was soll es bringen? Die Kurve des Erfolgs ist eingebrochen. Besser, sich im Versagen zu suhlen. Gestern Abend habe ich etwas Ungesundes gegessen. Dann kann ich genauso gut auch heute etwas Ungesundes zum Frühstück, Mittag- und Abendessen zu mir nehmen.
»Might as well«, zu Deutsch »Dann kann ich genauso gut« ist eine der gefährlichsten Formulierungen in der englischen Sprache. Oder auf Polnisch, denn aus irgendeinem Grund werden meine Bücher in der Regel zuerst in diese Sprache statt ins Spanische übersetzt. Ich hab es drauf in Krakau.
»Dann kann ich genauso gut« wird nie bei etwas Gutem verwendet. Es heißt nie »Dann kann ich genauso gut all diesen Waisenkindern helfen« oder »Dann kann ich genauso gut etwas Gesundes in diesem Gemeinschaftsgarten pflanzen«. Für gewöhnlich ist es die weiße Flagge der Kapitulation. »Ich habe ein Pommes gegessen, dann kann ich genauso gut 1000 essen.«
Das ist die Art von Dingen, die wir am Tag nach »perfekt« sagen, und dieser Tag ist schwierig.
Wissen Sie, an welchem Tag die Menschen ehrfahrungsgemäß am ehesten aus der »30 Days of Hustle Challenge« aussteigen? Die meisten tippen auf Tag 23 oder Tag 15, aber damit sind sie noch nicht einmal nah dran.
Es ist Tag 2, an dem die meisten abbrechen. Richtig gehört, der Tag, an dem die meisten Leute aufhören, ihre E-Mails mit den Übungen zu öffnen, ist Tag 2. Warum dieser Tag? Weil Unvollkommenheit nicht lange braucht, um aufzutauchen. Sie haben bestimmt schon mal an einem Montagmorgen an Ihrem Schreibtisch gesessen und gedacht: »Es ist 9 Uhr. Wie kann ich jetzt schon derartig hinterherhinken? Wie kann die ganze Woche jetzt schon ruiniert sein?«
Unvollkommenheit ist schnell, und wenn sie auftaucht, kapitulieren wir für gewöhnlich.
Deshalb ist der Tag nach »perfekt« so wichtig.
Es ist der entscheidende Tag für jedes Ziel. Dies ist der Tag, an dem Sie das Joggen haben ausfallen lassen. Dies ist der Tag, an dem Sie es nicht geschafft haben, früh aufzustehen. Dies ist der Tag, an dem Sie entschieden haben, dass eine ganze Schachtel Krispy-Kreme-Donuts als ein Donut zählt.
Der Tag nach »perfekt« trennt diejenigen, die etwas zu Ende bringen, von denen, die ständig etwas Neues beginnen.
Ein Ziel zu erreichen gleicht weniger einer Zugfahrt übers Land, sondern ist eher wie eine Fahrt mit einem Autoskooter. An manchen Tagen werden Sie ohne Zusammenstöße Ihre Bahnen ziehen. Nichts stellt sich Ihnen in den Weg, und für ein paar kurze Augenblicke fühlt sich dieser Autoskooter wirklich schnell an. An anderen Tagen kracht Ihnen völlig überraschend etwas in die Seite, mit dem Sie niemals gerechnet hätten. Oder Sie bleiben in einem Knäuel anderer Skooter stecken, regen sich wahnsinnig darüber auf und kommen sich vor, als hätten Sie fünf Rückschritte gemacht.
All das wird passieren.
Sie werden nicht perfekt sein, aber wissen Sie, was noch wichtiger ist als Perfektion? Wissen Sie, was Ihnen sehr viel länger dienen kann, als es der Perfektionismus je könnte?
Einfach weiterzumachen, obwohl es nicht vollkommen ist.
Widersetzen Sie sich der Vorstellung, dass der Tag nach »perfekt« bedeutet, dass Sie gescheitert sind.
Das ist nicht wahr.
Sie müssen es einfach nur noch mal versuchen.
Heute, morgen, nächste Woche.
Leider stirbt der Perfektionismus nur langsam. Er ist hartnäckig und besonders gefährlich, weil er sich als Spitzenleistung verkleidet. Manche Leser haben sich bei diesem Kapitel schon unwohl gefühlt, weil sie glauben, das Gegenteil von »perfekt« sei Scheitern. Ist es nicht. Das Gegenteil lautet »erledigt«.
Das sind die Türen, vor denen wir in diesem Buch und in unserem Leben stehen. Eine trägt die Aufschrift ERLEDIGT, und sie führt zu unzähligen Abenteuern, Möglichkeiten und Geschichten. Auf einer anderen steht PERFEKT, und dahinter ist nur eine dicke Mauer aus Frustration, Scham und unerfüllten Hoffnungen.
Das Schlimmste an dieser Situation ist, dass es sich schrecklich anfühlt, Ziele anzugehen und sie nie zu erreichen.
Wenn Sie sich ein Ziel setzen, dann geben Sie sich ein Versprechen. Sie wollen ein paar Pfund abnehmen. Sie wollen einen Schrank entrümpeln. Sie wollen einen Blog ins Leben rufen. Sie wollen einen alten Freund anrufen. In dem Moment, in dem Sie sich das Ziel setzen, leisten Sie stillschweigend ein Versprechen. Wenn Sie das Ziel dann nicht umsetzen, haben Sie dieses Versprechen gebrochen. Sie haben die Person belogen, mit der Sie die meiste Zeit verbringen: sich selbst.
Wenn Sie genügend Versprechen brechen, beginnen Sie, an sich zu zweifeln. Das ist nicht überraschend. Wenn sich jemand mit Ihnen bei einem Dutzend unterschiedlicher Gelegenheiten auf einen Kaffee verabredet hat und dann nie aufgetaucht ist, werden Sie dem Betreffenden nicht trauen. Wenn ein Elternteil versprochen hat, Sie nach dem Fußballtraining abzuholen, und es nicht tut, verlieren Sie das Vertrauen in diese Person. Wenn Ihr Chef Ihnen eine Beförderung zugesagt hat und diese dann Monat für Monat nicht umsetzt, hören Sie auf, diesem Vorgesetzten zu glauben.
Warum werfen so viele Menschen ihre guten Vorsätze fürs neue Jahr über Bord? Weil sie das auch im vergangenen Jahr getan haben, und im Jahr davor und im Jahr davor. Wenn Sie häufig genug abbrechen, dann ist das Abbrechen nicht mehr nur eine Möglichkeit, wenn Sie sich ein neues Ziel setzen, sondern es wird zu Ihrer Identität, und das fühlt sich schrecklich an.
Menschen erinnern sich an nicht verwirklichte Ziele besser als an erreichte. Ihre Unfähigkeit, etwas loszulassen, dieses Gefühl, dass etwas Unvollendetes an Ihnen nagt, ist nicht nur ein Gefühl. Es ist ein Sprung in einer Schallplatte, ein Schlagloch in der Straße, die nagende Erinnerung an einen Vorgang, den Sie nicht abgeschlossen haben. So ergeht es uns allen, wenn wir uns Ziele setzen und dann das Leben dazwischenfunken lassen.
Umgekehrt ist es das beste Gefühl der Welt, etwas fertigzubringen. Ein Start mit Entschlossenheit erzeugt eine vorübergehende Euphorie, aber das ist nichts im Vergleich zum tatsächlichen Fertigstellen. Sie werden die Medaille aufbewahren, wenn Sie Ihren ersten Fünf-Kilometer-Lauf durchgezogen haben. Es interessiert Sie nicht einmal, wie lange Sie für die Strecke gebraucht haben. Sie haben die Ziellinie überquert, und das war jeden Tag des Trainings wert. Ihr Diplom, der erste Dollar, den Sie mit Ihrer eigenen Firma verdient haben, die Visitenkarte, auf der »Partner« steht – ob groß oder klein, die Größe des Erreichten spielt keine Rolle. Sie haben es geschafft, und das ist ein wunderbares Gefühl.
Das Problem ist, dass der Perfektionismus Ihre Fehler aufbauscht und Ihren Fortschritt minimiert. Er glaubt nicht an einen Erfolg in kleinen Schritten. Perfektionismus betrachtet Ihr Ziel als Kartenhaus. Wenn nur eine Karte nicht richtig steht, fällt das ganze Haus zusammen. Der kleinste Fehler bedeutet, dass das gesamte Vorhaben ruiniert ist.
Der Perfektionismus vermiest die Sache auch dadurch, dass Ziele zu hoch gesteckt werden. Es gibt bestimmt Tausende von Gründen, warum 92 Prozent aller Vorsätze scheitern, aber einer der wichtigsten ist auch einer der irreführendsten.
Wenn wir uns ein Ziel setzen, streben wir nach etwas Besserem. Wir wollen besser aussehen. Wir wollen uns besser fühlen. Wir wollen besser sein. Aber dann verwandelt sich »besser« in »das Beste«. Wir wollen kein geringes Wachstum. Wir wollen gewaltigen Erfolg über Nacht.
Wer will fünf Kilometer laufen, wenn es einen Marathon gibt? Wer will die Gliederung für ein Buch schreiben, wenn man eine Trilogie über die Liebesgeschichte von Werwölfen aus dem All schreiben kann (Titel: Blutige Leidenschaft bei Vollmond)? Wer will 10 000 Dollar verdienen, wenn es 100 000 sein können?
Bei der Suche nach Beispielen aus dem wahren Leben befragte ich Freunde auf Facebook über Perfektionismus. Einer beschrieb es so: »Ich starte mit der Überzeugung, dass ich es schaffen kann. Dann werde ich ganz aufgeregt und beginne zu träumen. Anfangs bin ich zuversichtlich und glaube zu wissen, was ich tue. Dann werden meine Träume größer. Dann will ich Perfektion. Und ganz plötzlich fühle ich mich unfähig, diesen Job zu erledigen, weil ich nicht weiß, wie ich es auf diesem Niveau schaffen soll. Dann sterben die Träume, und das Ziel ist vergessen. Und das alles passiert nur in meinem Kopf. Ich habe nie etwas tatsächlich angefangen.«
Wenn Sie nicht von Natur aus versucht sind, so zu denken, dann wird Sie der größte Teil unserer »Verfolge deine Träume, erreiche deine Ziele«-Literatur in diese Richtung leiten.
Einer der Autoren für Motivationsbücher ermutigt die Leser, sich einen Film vorzustellen, »in dem Sie das, was auch immer Sie besser machen wollen, perfekt umsetzen«. Da ist dieses Wort »perfekt«. Sie sollen sich einen Film vorstellen, in dem Sie etwas wieder und wieder perfekt machen. An einem Punkt kriechen Sie sogar in Ihren Film, um das Gefühl von Perfektion richtig zu spüren. Nachdem Sie sich Ihren Film angesehen haben, werden Sie angewiesen, die Vorstellung einzuschrumpfen »auf die Größe eines Crackers«.5
Als ich diesen Teil der Anweisungen zum ersten Mal las, dass ich mein Ziel in einen fiktiven perfekten Cracker verwandeln soll, habe ich an meinem Schreibtisch laut losgelacht. Ich ahnte, wie das weitergehen würde, und ich wurde nicht enttäuscht.
»Führen Sie diesen Minibildschirm dann zu Ihrem Mund, kauen Sie ihn und schlucken Sie ihn hinunter.«
Sollten Sie sich je gefragt haben, warum Sie sich mit Motivationstipps schwertun, dann denken Sie an den Traumcracker, den Sie essen sollen, um Ihre Träume zu verwirklichen.
Je mehr Sie sich anstrengen, perfekt zu sein, desto unwahrscheinlicher wird es, dass Sie Ihre Ziele umsetzen werden.
Mir ist klar, dass sich das verkehrt anfühlt, aber es ist genau das, was die Forschung immer wieder sagt.
Ich wünschte, das würde genügen, um diesen allgegenwärtigen Dämon zum Schweigen zu bringen, aber Perfektionismus lässt sich nicht so leicht überwinden. Er ist sehr viel hartnäckiger. Er gräbt sich tiefer in unser Unterbewusstsein und lässt sich nicht so einfach entfernen.
Im Verlauf dieses Buches werden wir immer wieder auf den Perfektionismus als unseren ultimativen Bösewicht zurückkommen.
Der Perfektionismus wird alles tun, um Sie scheitern zu lassen, wenn Sie an einem Ziel arbeiten. Bei jeder Wendung wird er Sie vors Schienbein treten, Ihr Essensgeld für die Mittagspause stehlen und Sie mit Zweifeln erfüllen.
Woher ich das weiß? Weil er genau das mit mir gemacht hat und auch mit allen die ich kenne.
Aber das ist in Ordnung, denn wir wissen etwas, was die meisten Menschen nicht wissen.
Tag 1 ist nicht der wichtigste Tag eines Ziels.
Es ist der Tag nach »perfekt«, und nun sind wir bereit für ihn.
Manchmal wird es schmerzhaft und unbequem sein, aber wenn Sie lernen, dieses kleine Unbehagen auszuhalten, werden Sie es schaffen, über den Tag nach »perfekt« hinaus motiviert zu bleiben. Sie werden in der Lage sein, das Versprechen zu halten, das Sie sich selbst gegeben haben. Und Sie werden Ihr Vorhaben zu Ende bringen.

Kapitel 2

Halbieren Sie Ihr Ziel