ISBN: 978-3-95764-226-4
1. Auflage 2017, Altenau (Deutschland)
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Alle Rechte vorbehalten.
Friedrich I. (1657-1713), König in Preußen, genannt der schiefe Fritz
Sophie Charlotte (1668-1705), seine zweite Frau
Henriette Charlotte von Pöllnitz (1670-1722), Erstes Kammerfräulein und Vertraute der Königin
Johann Casimir von Kolbe, Reichsgraf von Wartenberg (1643-1712), Premierminister und Günstling des Königs
Catharina (1670-1734), Kolbes Frau, angebliche Mätresse des Königs
Matthes von Retzlow, Kammerherr am königlichen Hof
Christian Fahrenholtz, Barbier und Chirurg
Niklas Fahrenholtz, sein Bruder
Jakob, Niklas’ Sohn , Lehrling und Adlatus bei Christian
Henriette, Christians Ehefrau
Marie, Hausmagd bei den Fahrenholtzens
Florine Coulard, eine junge Hugenottin
Veitel Loeb, jüdischer Geldverleiher
Rahel, seine Tochter
Wendelin Lonicer (1639-1714), königlicher Hausvogt, Christians entfernter Verwandter
Julius, alias Michel Köppke, Diener und Vertrauter des Kriegsrats von Hielscher in Kleve-Jülich
Viel Volk war zusammengelaufen an diesem ersten warmen Apriltag des Jahres 1698 und ließ sich auch von den gelegentlichen Regenschauern nicht beeindrucken, die der böige Westwind über den Platz an der Frankfurter Straße wehte. Die Zeilen der niedrigen Häuser, wollte man denn die meisten der vor den Toren errichteten Buden so nennen, waren schon recht nahe herangerückt an den unheimlichen Ort mit dem alten Hochgericht und dem aufragenden Diebsgalgen. Es war die Rede davon, den Richtplatz in eine weniger bebaute Gegend zu verlegen.
Angesichts des zu erwartenden Ereignisses war kaum einer von den Berlinern und Cöllnern zu Hause geblieben, das niedere Volk der nahen Stralauer und der Georgen-Vorstadt sowieso nicht. Selbst aus der entfernten neuen Friedrichstadt, von den Refugierten aus der Dorotheenstadt und vom Friedrichswerder musste eine erkleckliche Anzahl so weit nach Osten gefunden haben, sah man sich in der auf und abwogenden Menschenmenge um, die ungeduldig des Kommenden harrte. Dass allerhand Hofschranzen und müßige Herren samt ihren sich verschämt gebärdenden Damen bei so einem Schauspiel nicht fehlen durften und sich unters Volk mischten, verstand sich von selbst. Die weniger Wagemutigen, die in einiger Entfernung zwischen den Buden und Ständen der Höker und Quacksalber in ihren Kaleschen sitzen blieben, bezahlten es mit dem weiten Abstand vom Blutgerüst, genossen dafür allerdings die bessere Sicht über die Köpfe des gemeinen Volkes hinweg.
Auch Jakob Fahrenholtz, mit seinen siebzehn Jahren ein hoch aufgeschossener, strohblonder Bengel, erfreute sich sogar aus der Nähe dieses Vorteils, überragte er doch die meisten der Umstehenden um eine halbe Haupteshöhe, aus der er seiner kleiner geratenen Begleiterin getreulich Bericht über alle Vorgänge erstattete. Sein Onkel und nunmehr auch Lehrmeister, der Barbier und Chirurg Christian Fahrenholtz aus der Spandauer Straße, hatte ihm die Teilnahme an dem Ereignis, von dem die Stadt seit Tagen sprach, ungern gestattet und ihn eindringlich vor Taschendieben, Beutelschneidern und sonstigen Halunken gewarnt, die bei derlei Schaustellung allemal auf ihre Kosten kamen. Von den Dirnen, die er bei ähnlichen Gelegenheiten nicht zu nennen vergaß, hatte er diesmal nicht gesprochen, allerdings auch nicht geahnt, dass Jakob längst im heimlichen Einvernehmen mit der brünetten Florine eine sittsame Gesellschafterin für den Tag gefunden hatte.
Florine, mehr als ein Jahr älter als Jakob, lebte bei ihrer greisen Tante in einem der Häuser am Wall zwischen dem alten und dem neuen Spandauer Tor und genoss in dem kleinen Haushalt genügend Freiheit, um sich einen solchen Ausflug zu gestatten. Natürlich in Begleitung anderer tugendhafter Hugenotten, die sie bedauerlicherweise im Gewimmel vor dem Georgentor verloren hatte, um gleich darauf ganz zufällig Jakob zu begegnen.
Ein so großer Menschenauflauf beunruhigte Jakob noch immer ein wenig. Seine Kinderjahre hatte er in dem friedlichen Ackerbürgerstädtchen Altlandsberg verbracht und sich nach der Flucht des Vaters und dem Tod der Mutter nur schwer an das unruhige Leben in der Residenz gewöhnt. Da er jedoch seine Augen stets offen hielt, bereitete es ihm wenig Mühe, jedwedes Gesindel – vor allem die Militärwerber – auch ohne den wohlmeinenden Rat des Oheims selbst herauszufinden und ihnen auszuweichen.
Mitten im Gedränge konnten Florine und er sich die Nachbarn nicht aussuchen. Drei Kerle, der eine vierschrötig, das Gesicht von einem martialischen Schnauzbart geziert und deutlich besser gekleidet als sein zaundürrer Kumpan mit einem Narbengesicht, der dritte fast ein Zwerg, drängten sich vor ihnen in auffälliger Weise an eine Schar braver Bürger und ihre breit geratenen Gattinnen heran, die mit schrillen Stimmen die zu erwartenden Leiden des Delinquenten auf dem Rabenstein erörterten.
Den, einen altgedienten, weißbärtigen Haudegen und Unteroffizier, hatten die Henkersknechte inzwischen auf das Gerüst geschleppt, wo er nun ungerührt stand und herablassend über die Menge zu seinen Füßen blickte. Wie oft mochte er dem Tod auf dem Schlachtfeld ins Auge geschaut haben, ohne dabei einen solchen Zulauf zu haben, wie ihn selbst brave Untertanen freiwillig kaum einem Fürsten gewährten.
Jakob schien es, als blicke der Alte ihm direkt in die Augen. Er wandte sich ab und legte seine Arme schützend um Florine, die ihm auswich. Allmählich kam Unruhe in die Menschenmenge. Das schob und drängte; hin und wieder wurden spöttische, mitunter gar unwillige Rufe laut. Für einen Augenblick jedoch erstarb der Lärm, als in der Ferne gen Süden etwas sichtbar wurde. Dann nahm das Geschiebe wieder zu. Jakob wurde gegen seinen Vordermann gestoßen und vernahm unfreiwillig, was der Vierschrötige gerade seinem dürren Begleiter zuraunte: „Ganz Bekhmokum leer. Was könnt man Massematten pflanzen!“
Erschrocken legte der andere den Finger an die Lippen. „Willst wohl am Dolme begern!“, zischte er zurück.
Jakob hatte ein feines Gehör. Er hatte Latein gelernt und sprach leidlich Französisch, worauf seine Mutter Wert gelegt und das ihm erst die Bekanntschaft mit Florine ermöglicht hatte. Rede und Gegenrede der beiden hatte er dennoch nicht verstanden. Er sah sich nach Florine um und blickte dem Dürren für einen Augenblick in die stechenden Augen. Er drängte sich zu dem Mädchen zurück und ergriff resolut ihre Hand. „Damit wir uns nicht verlieren“, sagte er. Zu seiner Freude widersprach sie nicht.
Auch einem vornehm aussehenden Herrn in der Nähe waren die fremden Worte nicht entgangen. Der musterte die drei Galgenvögel scharf und flüsterte seinem Bedienten etwas zu, der so eilfertig nickte, dass es Jakob auffiel. Wollte er die beiden anschwärzen? Vielleicht waren es ja nur herumziehende Handwerksgesellen, die in den Residenzstädten ihr Glück suchten.
Die unruhige Menge wandte sich jetzt dem Weg vom Stralauer Tor zu. Von dort näherte sich langsam ein jämmerlicher Zug. Ein erbärmlicher Klepper, dem die Knochen durchs Fell spießten, zog einen aus groben Bohlen gefügten Schlitten, hinter dem würdevoll zwei Stadtdiener schritten. Das Raunen nahm zu, je näher sich das schlurrende Gefährt auf die Menge zubewegte, die trotz der Enge zurückwich und eine breite Gasse bildete. Die war weniger der Ehrfurcht, als vielmehr dem Gestank geschuldet, der von dem Schlitten ausging und bis zu Florine und Jakob drang, die eingekeilt zwischen dem Vierschrötigen und dem besseren Herrn standen. Er fühlte, wie sich von hinten eine Hand an seinem Gürtel zu schaffen machte.
„Finger weg!“, schrie er grob und warf sich rückwärts ins Gedränge, ohne Florines Hand loszulassen. Jemand schlug nach ihm. Zu Boden fallen konnte er nicht, und zu stehlen war bei ihm nichts. Die Bürgerfrauen kreischten auf. Aber da wogte das Gewimmel schon zurück, denn der Schlitten mit der üblen Last näherte sich dem Gerüst, wo die Stadtdiener nur mühsam Ordnung hielten.
„Der nächste, den sie hochziehen, wird der Danckelmann sein!“, prophezeite altklug einer der Bürger. Nur Gemurmel antwortete ihm. Wer wollte sich schon zu derartigen Staatsangelegenheiten äußern. Dass der Kurfürst seinen getreuen Oberpräsidenten entlassen und bald darauf nach Spandau hatte verfrachten lassen, ging den gemeinen Mann nichts an.
„Er sitzt jetzt in der Festung Peitz und wartet auf sein Urteil“, wusste der Schlaue dennoch zu melden. „Der Kolbe wird ihm schon die Hölle heiß machen!“
Auch über den neuen Mann in Friedrichs Gunst wollte hier, inmitten einer Menge, in der sich dieser und jener und ganz sicher auch die kurfürstlichen wie die Kolbe-Wartenbergschen Zubringer verbargen, keiner reden. Nur die Weiber nahmen die Angelegenheit auf und hechelten lautstark Kolbes Ehefrau Catharina durch, die rheinische Matrosenhure, wie man sie nannte, die von ihrem erlernten Gewerbe nicht lassen wolle und nicht einmal den Kurfürsten selber ausließ und davon mancherlei Vorteil genoss.
„Haltet eure losen Mäuler!“, schimpfte jemand in der Menge, die nun endlich etwas zu sehen bekam.
Die Henkersknechte, vom Schafott herabgestiegen, machten sich über den Schlitten her und zerrten roh eine nackte männliche Leiche herunter. Vor den Augen der gespannt Wartenden zwängten sie den widerspenstigen Körper in ein blutverkrustetes Hemd und streiften ihm eine Hose über die haarigen Beine.
„Er heißt Hänschen Todt“, verkündete der Schlaue mit wichtiger Miene, als wüssten nicht alle, dass sich Todt und sein Kumpan Bartel Jürgens drei Wochen zuvor auf dem Holzmarkt vor dem Stralauer Tor duelliert und jener Todt zweifellos das bessere Los gezogen hatte, indem er tot auf der Wahlstatt zurückgeblieben war, drohte doch gemäß kurfürstlichem Edikt dem Überlebenden der Galgen. Und nicht nur das. Diesmal sollte die im Edikt ausgesprochene Drohung wahr gemacht und der Sieger zusammen mit dem Leichnam des Unterlegenen am Galgen aufgezogen werden.
„Man hat die Leiche drei Wochen lang im Cöllnischen Wursthof aufbewahrt“, merkte der Schlaumeier mit lauter Stimme an, während vorn auf dem Schaugerüst nach einigen im Gemurmel der Menge untergehenden Worten der Stab zerbrochen und dem Bartel Jürgens die Schlinge um den Hals gelegt wurde.
„Zieht ihn endlich hoch!“, rief eine kehlige Frauenstimme. Grölend stimmte die Menge zu.
Der Henker und seine Knechte walteten ihres Amtes. Eine Kette umschlang jetzt den Hals des Toten und den des Verurteilten. Der, als hätte er erst in diesem Augenblick erkannt, was der Geruch des Todes auch für ihn versprach, stieß nun doch einen Schreckensschrei aus und versuchte sich von dem Leichnam abzuwenden. Aber da hing er schon zappelnd in der Luft.
Die Menge johlte.
„Zur Abschreckung müssen die beiden hängen, bis sie von selber herunterfallen“, sagte der Klugscheißer mit Genugtuung. Und wirklich. Man schlang die Kette fester um den noch zuckenden Bartel Jürgens und seinen stillen Gefährten und zog beide ein Stück höher zum Querbalken. Jürgens Beine bewegten sich noch.
Jakob fasste der zierlichen Florine unter die Ellenbogen und hob sie ein Stück in die Höhe. Schaudernd blickte sie zum Galgen. Die Knechte traten an die Rampe des Gerüsts wie Schauspieler, die Beifall erwarten. Jakob verspürte ein seltsames Gefühl im Magen. Es war nicht die erste Hinrichtung, die er sah. Zweimal waren im letzten Jahr Männer auf dem Neuen Markt enthauptet worden, und im April hatte man unweit vom Spandauer Tor eine junge Frau in der Spree ersäuft, weil sie ihr Kind umgebracht hatte. Jakob hatte jedes Mal nur aus der Ferne zugesehen. Sein künftiger Beruf erlaubte es ihm nicht, zimperlich zu sein. Aber das qualvolle Sterben des Gehenkten und der Leichengeruch, der von dem Schaugerüst herüberwehte, setzten ihm doch zu.
„Viel zu schnell!“, rief jemand von unten und fand geräuschvolle Zustimmung. Die ersten Brocken Straßenkot flogen in Richtung Blutgerüst. Die Stadtdiener legten ihre Spieße und Hellebarden quer und begannen, den Platz um die Richtstätte zu räumen.
„Schert euch an die Arbeit!“, brüllten sie. „Lange genug Maulaffen feil gehalten!“
Nur widerwillig räumten die Leute das Feld, bis unversehens ein heftiger Regenschauer einsetzte. In langen Strähnen trieb das Wasser über den Platz und verwandelte ihn im Nu in eine schlammige Kotwüste.
Jakob zögerte keinen Augenblick, warf Florine seine Jacke über den Kopf und sie trabten los in Richtung Georgentor. Durch die Regenschauer hindurch sah er undeutlich, wie sich die Menge vor dem engen Tor staute. Und er sah auch, wie der bessere Herr eine Kutsche mit dem Doppelwappen derer von Wylich und Lottum bestieg.
Im Kopf gingen ihm noch immer die Wörter jener eigenartigen Unterhaltung um, die er belauscht hatte. Sein Onkel und Meister Christian würde eine Erklärung wissen, dessen war er sicher.
Der kleine, verwachsene Mann war stolz. Stolz auf sich und auf das, was er in weniger als dreizehn Jahren erreicht hatte. Man schrieb das Jahr 1701, und Preußen, wie er seinen sich von Memel bis Kleve erstreckenden Staatenteppich fortan zu nennen gedachte, war mächtiger als je zuvor. Gegen alle Erwartungen war die poetische Prophezeiung in Erfüllung gegangen, der auf des Königs Berg geborne dritte Sohn des Großen Kurfürsten werde dereinst König sein. Binnen eines Jahres war er im gerade erst angebrochenen Jahrhundert König geworden, ganz aus eigener Kraft und gegen alle Widerstände. Und noch war nicht aller Tage Abend. Entgegen den Voraussagen der Schwarzmaler vom Schlage eines Danckelmann hatte sich inzwischen ganz Europa den Gratulationen angeschlossen und die neue Majestät anerkannt. Nur der Papst nicht. Aber auf den konnte er gut verzichten. Er, Friedrich der Erste, herrschte schließlich nicht im glühend katholischen Österreich sondern in den dank seiner Vorfahren protestantisch-reformierten brandenburgischen und preußischen Ländern.
Während der lange Zug der zweiundsechzig Staatskaleschen durch die Wälder und die welligen Weiten der östlichen Provinzen auf die Residenzstädte zu rumpelte, blieb ihm genügend Zeit, darüber nachzudenken, wie glatt alles verlaufen war, seit der Kaiser in Wien endlich zugestimmt hatte, aus dem Vandalenland Preußen ein Königreich zu machen. Zumindest aus dem größeren Teil Preußens, in dem die Hohenzollern seit hundertfünfundsiebzig und die Brandenburger seit nunmehr vierzig Jahren endgültig und für alle Zeiten ihre Herrschaft ausübten. Westpreußen und das katholische Ermland würden früher oder später dazu gehören, dann war man endgültig König von Preußen und nicht nur in. Ein geringer Unterschied, der seine Gattin zu einer ihrer üblichen anzüglichen Glossen veranlasst hatte. Seit langem beherrschte er die Kunst, über ihre Sticheleien hinwegzuhören. Mit ihrem Stolz auf Heinrich den Löwen als Begründer des Welfenhauses und das königlich-englische Geblüt ihrer Mutter verärgerte sie ihn nur allzu gerne. Da half nicht einmal, dass der Kaiser ihm nunmehr den Titel Prinz von Oranien gewährt und bestätigt und damit seinerseits die englischen Thronansprüche der Hohenzollern anerkannt hatte.
Friedrich wusste wohl, dass Prinz Eugen zur Krönung eines protestantischen Fürsten bemerkt hatte: „Die Minister, die dem Kaiser dazu geraten haben, gehören aufgehängt!“ Er lächelte sein dünnes Lächeln und schob dabei das Kinn noch ein wenig mehr nach vorn. Minister, die eine solche Strafe verdienten, gab es auch in Berlin. Doch mit dem Kolbe schien nunmehr alles ins rechte Lot gekommen, selbst wenn die Frau Gemahlin schon wieder begann, auch gegen den ihre Fäden zu ziehen. Der meiste Ärger rührte nun einmal von den Weibern her, das hatte er in der zweiten Ehe seines Vaters am eigenen Leibe erfahren und daraus seine Lehren gezogen. Fritz aber bleibt ein Esel hatte ihn der von Schwerin einst schreiben lassen - aber ein solcher Esel war er nun doch nicht geblieben.
Sophie Charlotte war klug genug, die Grenzen seines guten Willens zu erkennen. Dennoch: So gescheit und gebildet sie sein mochte – es fehlte ihr an politischem Sinn. Statt ihm für die Erhöhung zur Königin dankbar zu sein, hatte sie die feierliche Zeremonie im Königsberger Schloss durch ordinäres Tabakschnupfen entweiht und auch sonst auf mancherlei Weise ihr Desinteresse am strahlenden Aufstieg ihres Gemahls bekundet. Er war froh, dass sie Wert darauf legte, in ihrer eigenen Kalesche zu fahren. Ihr spöttischer Ton und die ständige Erwähnung des Welfenhauses in Hannover oder ihres Lieblings Leibniz verminderten sein Vergnügen an jeder Unterhaltung mit ihr beträchtlich.
Dabei hatte sich ihr Verhältnis seit Danckelmanns unrühmlichem Abgang vor drei Jahren durchaus verbessert. Lange genug hatte Sophie Charlotte mit bösen Worten, mit offener Feindschaft und mancherlei Intrigen auf dessen Abschied hingearbeitet. Und sie hatte Recht behalten. Niemand rechnete ihnen beiden seitdem die Groschen und die Taler vor, die ein repräsentativer Hof nun einmal kostete. Und niemand fragte, wie viel Geld wohl an den Kaiserhof nach Wien geflossen sein mochte. Derlei konnte der König auch künftig dem frischgebackenen Reichsgrafen Kasimir Kolbe von Wartenberg überlassen. Der besaß dafür die rechte Hand und den rechten Sinn. Mit dem alten Knicker Danckelmann hingegen wäre es nie etwas geworden mit der preußischen Krone. Gewiss, dass der besserwisserische Alte, der durchaus seine Verdienste haben mochte, seitdem in der Festung Peitz schmachtete, versetzte ihm doch den einen oder anderen Stich, aber Danckelmann in Freiheit und ständig opponierend – das blieb undenkbar. Eigentlich musste er es seinem Vater noch im Nachhinein übel nehmen, dass der ausgerechnet diesen sauertöpfischen Friesen zum Erzieher eines schwächlichen, hilfsbedürftigen Kindes bestellt hatte, das zudem auf die Zuneigung und Liebe der Mutter verzichten musste, ja sich bald einer böswilligen Stiefmutter ausgeliefert sah, die den Vater vollständig beherrschte und ihm Kind auf Kind gebar.
Der Große Kurfürst! Friedrich litt unter diesem Namen und an dessen Erbe. Dennoch hatte er dem übermächtigen Vater das prächtigste Begräbnis ausgerichtet, das je einem Kurfürsten zuteil geworden und bei Schlüter das herrlichste Reiterstandbild in Auftrag gegeben, das bald die neu erbaute Lange Brücke schmücken würde. Vor allem aber hatte er das Erbe so verwaltet, wie es die Hohenzollerschen Hausgesetze und der Geraer Vertrag verlangten. Vergeblich hatte sich der Große Kurfürst klein gemacht für seine böse Gemahlin und deren Söhne. Es war nicht leicht gewesen, die Halbbrüder von den testamentarisch versprochenen Ansprüchen abzubringen und den Ältesten mit der Herrschaft Schwedt abzufinden, aber nach dem unerwartet schnellen Tod der schwarzen Dorothea fehlte die Hauptklägerin. Alle Rechtswissenschaftler hatten ihm, Friedrich, dem rechtmäßigen Thronfolger Friedrich Wilhelms, die Nichtigkeit jener Testamentsklauseln bescheinigt, die auf eine Teilung hinausliefen und Brandenburg geschwächt hätten.
Damals hatte Danckelmann noch sein Bestes getan, um die künftige Stärke des Landes zu sichern. Erst in den folgenden Jahren war er mehr und mehr zur Last geworden mit all seinen Bedenken und Einwänden und seiner unduldsamen Geradheit, die jedermann vor den Kopf stieß. Als mahnend aufgerichtete Riesengestalt begegnete er Friedrich noch häufig genug in den Träumen.
Wie anders dagegen der elegante, geschmeidige Kolbe, ein gepflegter Herr von Welt mit fuchsschlauen Augen, der in jeder Situation wusste, was einem König anstand. Und vor allem, wo sich das notwendige Geld auftreiben ließ. Friedrich fragte nicht nach den anscheinend munter sprudelnden Quellen. Auch Sophie Charlotte und ihr Anhang hätten besser daran getan, ihre so erfolgreiche Abneigung gegen Danckelmann nicht in neue Feindseligkeit gegen Kolbe, in Wahrheit aber wohl gegen dessen Frau zu verwandeln. Ein abscheuliches und mitunter nicht ungefährliches Intrigantenpack, all diese von Dohnas und von Dönhoffs, von Krosigk und von Pöllnitz, ganz zu schweigen vom Oberhofmarschall von Wylich und Lottum, den er gerade zum Grafen erhoben hatte, und dem schwerfälligen alten Generalfeldmarschall von Barfus, der nicht erkennen wollte, dass der Sieg über die Türken lange zurücklag und seine Zeit unerbittlich ablief.
Gewiss war auch der ewig Tabak schnupfende Kolbe kein fehlerloser Mensch. Zwei tiefe Falten um den herrischen Mund verrieten etwas von den Anstrengungen der Willensstärke und vielleicht auch etwas von seinem persönlichen Kummer, den ihm seine angetraute Catharina immer wieder bescherte.
Friedrich verzog den immer ein wenig vorgestülpten Mund, als er an die allzu unbeschwerte Frau mit dem rötlichen Haar dachte, die ihm schon manche Stunde erquicklich und unterhaltsam vertrieben hatte. Mit ihr redete er ungezwungen wie mit keinem anderen Menschen und ohne ihren Spott fürchten zu müssen. Sie stammte nicht aus steifen höfischen Verhältnissen, das merkte man ihr noch immer an, und die Zahl ihrer Verehrer mochte Legion sein, wie man allerorts gern behauptete. Bei einer Reise ins Klevische war der Geheime Kammerdiener und Sekretär Biedekap ihrem rheinischen Charme erlegen, hatte sie geheiratet und in die Residenz mitgebracht, wo bald Kolbes Blick wohlgefällig auf die angenehm proportionierte junge Frau fiel.
Der selige Biedekap war rechtzeitig verblichen, so dass Kolbe sich der jungen Witwe annehmen konnte. Alles wäre so geblieben, hätte nicht auch in diesem Fall der gestrenge Danckelmann das Ende der Unmoral und die Hochzeit Kolbes mit der kaum standesgemäßen Tochter eines kurfürstlichen Zolleinnehmers verlangt. Biedekaps Kinder – oder wer immer deren Vater sein mochte, und er wusste natürlich, dass man auch ihn selber insgeheim verdächtigte – hatte er zu Baronen von Aspach gemacht, benannt nach einer Burg aus Kolbes verstreutem Besitz. Seit dessen vom Kaiser abgesegneter Erhöhung zum Reichsgrafen war Catharina Biedekap von Aspach nun die Reichsgräfin von Wartenberg und ließ das gerne alle Welt spüren. Wenigstens Sophie Charlotte gegenüber hätte sie sich etwas zurückhaltender zeigen sollen, aber so waren die Weiber untereinander nun einmal, und Sophie Charlotte hatte wohl oder übel zurückstecken müssen in dieser schwelenden Rivalität.
Immerhin besaß sie jetzt in Lietzenburg ihr eigenes Schloss, wo sie sich ungestört ihrem Wohlleben hingeben konnte, des Morgens zu Bett, des Nachts auf der Redoute, wie sie es liebte, während er sich bereits wieder zur Tagesarbeit erhob.
Im Schloss wohnte er noch immer in den Gemächern seines Vaters. Nur manchmal blickte er vom hohen Balkon auf die träge dahin fließende Spree. Wie weit mochte Schlüter mit dem Schlossbau vorangekommen sein? Ein preußischer König konnte schließlich nicht in einem schmucklosen alten Kasten hausen, wie ihn die Vorfahren hinterlassen hatten, die ihr Geld lieber in blutigen Kriegen vergeudet hatten, statt es sinnvoll und mit einem Ziel einzusetzen, das er als Einziger erreicht hatte.
Ja, das liebe Geld! Dabei hatte der Vater bis zum qualvollen Ende seiner Tage einen ganz erklecklichen Batzen angehäuft, der jetzt längst dahin war. Kolbe und sein gescheiter Adlatus Ilgen würden es richten. Nur die Juden konnte man nicht schon wieder zur Kasse befehlen, nachdem sie im Vorjahr erst fünftausend Taler zur Bestätigung ihres Schutzes gezahlt hatten. Er selber hatte nichts gegen die Juden und verkehrte mit dem Hofjuwelier Liebman auf vertrautem Fuß. Auch den Veitel Loeb, den ihm sein Premierminister persönlich empfohlen und der ihm aus Antwerpen schon manchen edlen Stein für seine Sammlung beschafft hatte, sah er mit Wohlwollen. Nein, er kannte keine Voreingenommenheit gegen die Juden.
Woher sie das viele Geld nahmen, hätte er allerdings zu gern gewusst. Ob es unter ihnen einen geheimen Goldmacher gab? Zuzutrauen wäre es diesem auserwählten Volk mit seinen kabbalistischen Geheimwissenschaften. Er selber hatte bisher kein Glück mit den Alchimisten gehabt, die stets das Blaue vom Himmel herunter versprachen, vielmehr das Gold aus dem stumpfen Blei, und sich am Ende doch nur als Betrüger erwiesen. Immerhin – der Kunckel, der seinem Vater das begehrte Rubinglas beschert hatte, war jüngst in Schweden zu Ehren gelangt, und von einem Apothekergesellen in Berlin hieß es, er sei dem Geheimnis dicht auf der Spur. Man würde sich darum kümmern müssen. Vielleicht war dieser Leibniz, den die Königin so schätzte, auch einmal für derlei praktische Wissenschaft zu gewinnen. Wahrscheinlich aber war er nur das, wofür Friedrich ihn insgeheim hielt: ein doppelt bezahlter Spion des hannoverschen Hofklüngels.
Seufzend streckte sich der kleine Mann in die Polster. Alle Bequemlichkeit der Kutsche vermochte nicht über Preußens holprige Straßen hinwegzutäuschen. Vielleicht hatte es der Kronprinz Friedrich Wilhelm doch richtig gemacht, der die ganze Strecke zu Pferde zurücklegte. Eine beachtliche Leistung für den Zwölfjährigen, dessen hitziges Temperament es angeraten sein ließ, ihn nicht in einer Kutsche einzusperren. Wen hätte man dem ungebärdigen Jungen als Begleiter dazu setzen sollen? In der Tat, Friedrich Wilhelm, sein einziger Sohn, erinnerte ihn in mancherlei Hinsicht an seinen älteren Bruder Karl Emil, dessen frühem Tod er selber letztlich seine Königswürde verdankte.
Es ging auf Mittag zu und es wurde Zeit, dass sie den nächsten größeren Flecken erreichten, wo ihn das täglich mehrmals geübte Empfangszeremoniell samt einem Festessen und mancherlei andere Feierlichkeiten erwarteten. Er wurde der überschwänglichen Huldigungen, wie sie eines Königs würdig waren, nie müde. Erstaunlich nur, mit welchem Gepränge sich das angeblich ach so arme Bürgertum noch immer zu kleiden wusste. Hatte er nicht schon vor fünf Jahren ein Edikt erlassen, das den Luxus und die Üppigkeit in der Kleiderpracht ungeachtet der kümmerlichen und nahrlosen Zeiten im Lande geißelte und jegliche Prasserei bei Familienfesten und den überhand nehmenden Gastereien verbot? Wahrscheinlich wäre es gar nicht notwendig gewesen, all die Köstlichkeiten für die tägliche königliche Tafel mitzuführen. Das Land war reicher, als es seine Bewohner zugeben wollten!
Und richtig. Es sprengten Reiter heran und schwenkten jubelnd Arme und Wimpel. Am Wegrand setzte schon das Spalier der festlich gekleideten Landeskinder ein, ebenfalls jubelnd und Tücher und Fahnen schwenkend, bis die staubige Kalesche schließlich auf dem Marktplatz zum Stehen kam, wo die Bürgerschaft stramm angetreten stand.
Gravitätisch entstieg der kleine Mann der Kutsche. Ein juwelenbestickter Umhang umwallte den schmächtigen Leib. Die überlange, kunstvolle Allongeperücke bedeckte sein Haupt und verbarg zusammen mit dem weiten Samtcape die hohe rechte Schulter.
Der Bürgermeister des Städtchens, schwarz gekleidet und den goldenen Schlüssel umgehängt, verneigte sich tief. Die sämtlich wohlgenährten und kostspielig gekleideten Honoratioren taten es ihm gleich. Gerade aufgerichtet, das Haupt mit dem kräftigen Kinn hoch gereckt, ließ Friedrich die Huldigungen über sich ergehen, bevor er sich auf seinen hohen Schuhen mit leicht schleppendem Gang durch das Spalier der Jubelnden zur Festtafel begab. Kolbe, nicht viel größer als sein König gewachsen und wie der mit einer mächtigen Allongeperücke auf dem Kinderkopf, folgte ihm auf dem Fuß.
Die Pauker und die rechtzeitig heran geschafften vierundzwanzig Trompeter ließen ihre Instrumente erschallen.