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Silvia Nagels

Käthe ermittelt

Ein Krimi vom Land

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Zum Buch

Mord im Dorf Käthe Hansen führt ein beschauliches Rentnerleben in dem Dörfchen Barkenholt nahe Oldenburg. Der Alltag der Dorfbewohner wird bestimmt durch die Landwirtschaft, die Landfrauentreffen, den Schützenverein und den Gasthof. Dieser gemütliche Trott wird durcheinandergebracht, als der Landstreicher »Strothmann«, ein guter Bekannter Käthes, verletzt in den Dorfkrug taumelt und berichtet, Zeuge eines Mordes geworden zu sein – ein Mitarbeiter einer Oldenburger Düngemittelfirma ist tot. Dummerweise hält die Polizei Strothmann für den Täter. Gemeinsam mit ihrem Freund und Nachbarn Knut Sörensen will Käthe Strothmanns Unschuld beweisen, sie ermitteln auf eigene Faust. Dabei gerät Käthe ins Visier der Mörder und braucht die Unterstützung der Barkenholter Dorfgemeinschaft. Wird Käthe mit heiler Haut davonkommen und den Fall lösen?

Silvia Nagels wurde 1966 in Duisburg geboren und lebt seit 2004 mit ihrer Familie im niedersächsischen Peine. Nach dem Abitur machte sie ihr Hobby zum Beruf, wurde Köchin und arbeitete eine Zeit lang in Italien. Heute kocht sie in einem Krankenhaus in Hannover. Ihr Cosy-Krimi »Käthe ermittelt« ist eine Liebeserklärung an die Sprache und die Mentalität Norddeutschlands, zu denen sie, aufgewachsen mit den Stücken des Ohnesorg-Theaters, schon früh eine Affinität entwickelte.

Mehr Informationen unter www.silvianagels.de.

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Alle Rechte vorbehalten

1. Auflage 2018

Lektorat: Dominika Sobecki

Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © nicolasberlin/photocase.de

und © kostasgr/shutterstock.com

und © fneun/fotolia.com

ISBN 978-3-8392-5636-7

Haftungsausschluss

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

1. Kapitel

Nebelschwaden trieben zwischen den Bäumen des Barkenholter Wäldchens. Die Dämmerung ging in die Nacht über, der Herbst zeigte sich von seiner unangenehmsten Seite. Feuchtigkeit tropfte kalt von den wenigen Blättern der Bäume auf den Kopf eines zerlumpt aussehenden Mannes, der durch den Wald schlich. Bei jedem seiner Schritte stieg der Modergeruch des nassen Laubs vom Boden auf. Der alte, zerrissene Armeeparka schlotterte um seine hagere Gestalt, und der Saum der abgetragenen, fleckigen Arbeitshose war ebenso nass wie das lange graue Haar und der zottelige Vollbart. Von Zeit zu Zeit bückte sich der Mann und ließ das Licht einer Taschenlampe aufblitzen.

Er bewegte sich in Richtung des kleinen Angelsees und erschreckte eine Maus, die raschelnd durch das feuchte Laub flüchtete. Das leise Krächzen eines Käuzchens erklang, als es tiefer in den Wald flatterte.

Ein fernes Motorengeräusch durchbrach die nächtliche Stille. Scheinwerferlicht zerriss die Dunkelheit, das Geräusch wurde lauter.

Der Mann erstarrte, dann suchte er eilig Deckung hinter einem großen Busch in Ufernähe und beobachtete das näher kommende Licht.

Ein schwarzer SUV bog zum See ein und rollte langsam auf eine offene Grasfläche zwischen Waldrand und Uferböschung. Das Auto hielt, der Motor wurde abgestellt und die Scheinwerfer abgeblendet. Ein schmächtiger, schwarz gekleideter Mann stieg aus. Er schloss die Tür, lehnte sich an die Motorhaube und schien auf etwas zu warten.

Hinter seinem Gebüsch verborgen beobachtete der andere den Neuankömmling aufmerksam.

Plötzlich trat eine zweite Gestalt zwischen den Bäumen hervor. Ein bulliger Mann mit Glatze, ebenfalls in Schwarz, trug einen Aktenkoffer in der einen und eine Taschenlampe in der anderen Hand und stellte sich vor die Motorhaube.

Die beiden Männer unterhielten sich. Erst ruhig und freundlich, doch dann wurden ihre Gesten hektisch, wütend und aggressiv. Der Mann mit der Figur eines Türstehers griff in seine Tasche und zog ein Handy hervor. Er ging zur Seite, um ungestört zu telefonieren. Anschließend kehrte er zu dem Wartenden zurück.

Erneut entflammte zwischen den beiden eine Diskussion. Gereizt griff der Schmächtige nach dem Aktenkoffer, um ihn dem anderen zu entreißen.

Der versteckte Beobachter verfolgte, wie die beiden Männer um den Koffer stritten und schließlich ein Kampf entbrannte.

Nach einem Faustschlag in den Unterleib ging der Fahrer des SUV zu Boden. Der Glatzköpfige ergriff den Aktenkoffer. Im Licht der Scheinwerfer blitzte es in seiner rechten Hand. Er beugte sich über die am Boden liegende Gestalt und stieß zu. Dann durchwühlte er die Jackentaschen seines Gegners, zog einen Umschlag hervor und steckte ihn ein.

Der Mann im Gebüsch bewegte sich, ein Ast zerbrach unter seinen Füßen.

Der Glatzköpfige hielt inne, hob den Kopf und sah sich um, dann fasste er den Aktenkoffer und verschwand im Unterholz. Lautes Knacken und Rascheln erklang, wurde schwächer, je weiter er sich vom See entfernte.

Nach einer Weile war nichts mehr zu hören, See und Parkplatz lagen da, als ob nichts geschehen wäre. Einzig der von den Scheinwerfern angestrahlte reglos am Boden Liegende zeugte von dem, was sich ereignet hatte.

Zögernd trat der Beobachter hinter dem Gebüsch hervor. Meter für Meter näherte er sich dem Kampfplatz, bis er den regungslosen Mann erreichte. Er streckte seine Hand aus und legte sie dem anderen auf die Schulter. Als er keine Bewegung spürte, fasste er sich ein Herz und drehte ihn um. Leblose Augen und ein grotesk verzerrtes Gesicht blickten ihm entgegen.

Erschrocken zog er seine Hand zurück, schien zu überlegen, ob er flüchten sollte. Er riss sich zusammen und untersuchte den Mann auf Lebenszeichen. Als er an der Halsschlagader keinen Puls spürte, glitt seine Hand hinunter zur Brust. Tastend fuhr sie über den Oberkörper des anderen, auf der Suche nach einer Geldbörse oder Ähnlichem. Doch er fand nichts. Das Einzige, was seine Finger ertasteten, war eine klebrige Nässe. Der Mann zog seine Hand zurück und betrachtete im Licht der Scheinwerfer das Blut, mit dem sie besudelt war.

Entsetzt wischte er sie an seinem Parka ab und rannte wie vom Teufel gejagt davon. Atemlos blieb er erst stehen, als er den halb verfallenen Bauwagen mitten im Wald erreicht hatte, der ihm als Wohnung diente.

Der Landstreicher Jens Martins, ein in Barkenholt altbekannter und von allen liebevoll »Strothmann« genannter Zeitgenosse, der im Wald nur seine Kaninchenschlingen hatte kontrollieren wollen, atmete erleichtert auf.

Nu ’n ornlichen Sluck Koorn op de Schock, denn gaht mi dat bald wedder bannig goot, dachte er und stieg die Stufen zum Bauwagen hinauf.

Er öffnete die Tür und erschrak.

Auf seiner Schlafstätte saß der bullige Kerl vom See und versorgte seine Wunden, die er im Handgemenge davongetragen hatte. Der Aktenkoffer sowie der Umschlag, den er dem Toten abgenommen hatte, lagen neben ihm.

Strothmann stolperte rückwärts die Treppe hinunter.

Der fremde Mann sprang auf, riss dabei Aktenkoffer und Umschlag vom Bett. Er zückte das Klappmesser, mit dem er den anderen Mann attackiert hatte, und stürzte dem Landstreicher hinterher.

Strothmann rappelte sich auf, drehte sich um und flüchtete. Verfolgt von dem anderen brach er durch Büsche, stolperte über Wurzeln und blieb an Ästen hängen.

Alter und Alkohol forderten ihren Tribut und Strothmann taumelte nur noch durch den Wald. Eine Hand fasste ihn am Kragen und der Landstreicher spürte einen stechenden Schmerz in der Schulter.

Aufschreiend warf er sich herum und traf mit seinen wild umherwirbelnden Armen den Kopf des Verfolgers, sodass der benommen zu Boden ging.

Strothmann stürzte los, rannte und rannte, bis er aus dem Wald kam und das diffuse Licht der Straßenbeleuchtung von Barkenholt sah. Mit letzter Kraft schleppte er sich ins Dorf. Seine Schulter schmerzte und Blut lief an seinem Arm herunter.

Er wankte die Straße entlang und sah endlich das wohlbekannte Schild des »Klippkroogs«. Strothmann stieß die Tür auf und brach auf der Schwelle zusammen.

Barkenholt war ein kleines Runddorf in der Nähe von Oldenburg, umgeben von Wiesen, Mooren, Feldern und Wäldern. Ein Dorf, in dem jeder jeden kannte. Der Dorfplatz, umringt von alten Reetdachhäusern, bildete den Mittelpunkt des kleinen Ortes. Hier trafen sich die Straßen, die nach Oldenburg, in die Wälder und zu dem beliebten Angelsee führten, und schmale Wege schlängelten sich zu den Häusern am Dorfrand. Die Barkenholter waren stolz auf ihr Dorf – und ihre Gemeinschaft. Im Gegensatz zu anderen Gemeinden ihrer Größe nannten sie eine kleine gotische Backsteinkirche, einen Tante-Emma-Laden und sogar eine Polizeiwache ihr Eigen. Was störte es sie, dass sie sich Kirche und Polizei mit den Nachbarortschaften teilten? Tatsache war, dass Barkenholt damit eine gewisse Bedeutung hatte, die vor allem Polizeihauptmeister Geert Feddersen gern zur Schau trug. Seine Wache lag, anders als die anderen wichtigen Gebäude, nicht am Dorfplatz, sondern an der Ausfallstraße nach Oldenburg, direkt neben der Bushaltestelle.

Seit Kurzem war die verwaiste Arztpraxis neben dem Tante-Emma-Laden in Betrieb, ein Grund mehr für die Barkenholter, ihr Dörfchen zu lieben. Denn so bestand noch weniger Notwendigkeit als vorher, in die hektische und überfüllte Stadt zu fahren.

Kirche und Dorfkrug lagen, strategisch günstig nur durch die Straße zum See getrennt, einander gegenüber. So konnten Kirchgänger, Chormitglieder oder Friedhofsbesucher mit wenigen Schritten auf einen Absacker oder Frühschoppen dort einkehren.

Der »Klippkroog« war eine typische Dorfkneipe mit weißverputzten Wänden und Decken, unterbrochen von dunklen Eichenbalken. Wirt Hannes hatte sie liebevoll mit landwirtschaftlichem Gerät und vielen kleinen und großen Steingutgefäßen dekoriert. Die kupferne Bierzapfsäule war immer blitzblank gewienert.

Der große Saal, zu dem man durch einen schmalen Gang hinter dem Tresen gelangte und der von den Landfrauen oder dem Schützenverein genutzt wurde, war meist geschlossen. Die Barkenholter, die zum Großteil Mitglieder im Verein waren, saßen, außer bei Versammlungen, im Gastraum an kleinen Tischen mit kupfernen Lampenschirmen.

Als Strothmann in die Kneipe stolperte, verstummten die ausgelassenen Gespräche der Chormitglieder, die sich nach ihrer Probe zum üblichen Köm hier getroffen hatten.

Pfarrer Dierksen, der mit Käthe Hansen, Knut Sörensen und dem neuen Gemeindemitglied Dr. Daniel Winkler am Stammtisch saß, sprang auf. Der ansonsten so fröhliche Pfarrer, der mit seinem dichten weißen Vollbart an einen gutmütigen Seebären erinnerte, schob seine beachtliche Gestalt besorgt an Knut vorbei von der Sitzbank. Er ging zu dem Bewusstlosen und winkte sofort den Landarzt herbei. Der war schon auf halbem Weg. Er untersuchte den Landstreicher eilig, seine braunen Augen blickten besorgt.

»Das sieht nicht gut aus. Er hat eine stark blutende Stichverletzung am Rücken. Wir müssen ihn in die Praxis bringen.« Winkler richtete seine knapp 1,90 Meter auf und sah sich um. »Geert, Hannes«, rief er Polizeihauptmeister Feddersen und den Wirt herbei. »Fasst bitte mit an, damit wir ihn rüberbringen können. Käthe, kannst du mitkommen? Ich brauche wahrscheinlich Hilfe.«

Käthe, eine entschlossene Mittsechzigerin, hatte ihren Platz schon längst verlassen und stand an der Tür. Ihr freundliches Gesicht mit den tiefen Lachfalten um die hellblauen Augen drückte die Sorge aus, die die anderen ebenfalls empfanden. Winklers Bitte überraschte sie nicht, sie hatte früher als Sprechstundenhilfe bei ihrem verstorbenen Mann Fiete in der Praxis gearbeitet. Daher nickte sie und machte sich auf den Weg. Dierksen und Hannes ergriffen die Beine des Verletzten, während Feddersen und der Doktor die Arme nahmen. Knut hielt ihnen die Tür auf, und mit vereinten Kräften trugen sie Strothmann quer über den Dorfplatz zum Arzthaus. Käthe war vorausgeeilt, stand schon im Behandlungszimmer, das auf den Dorfplatz hinausging, und hatte mit den Vorbereitungen begonnen.

Die Männer legten ihre Last auf der Krankenliege ab und machten dem Doktor Platz. Hannes verabschiedete sich, um in den »Klippkroog« zurückzukehren.

Winkler zog seine Jacke aus, wusch und desinfizierte sich anschließend die Hände. »Kennt einer von euch den Mann?«, fragte er.

»Aver logisch. Dat is de oolte Strothmann, de Pennbroder.« Feddersen trat ein Stück an die Liege heran und betrachtete den Landstreicher. »Wat heste anstellt, oolter Plünnsack?«

Der Doktor sah den Polizisten verständnislos an. »Tut mir leid, Geert, aber so gut ist mein Platt nicht. Kannst du mir das übersetzen?«

Käthe, die Verbandsmaterial und Desinfektionsmittel bereitgestellt hatte, konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Winkler war eben ein Zugereister, der sich erst noch daran gewöhnen musste, dass die älteren Dorfbewohner manchmal ins Plattdeutsche verfielen. »Daniel, das ist Jens Martins. Aber weil er so gern Korn trinkt, heißt er überall nur ›der alte Strothmann‹. Er ist ein Landstreicher, der alle paar Monate hier durchkommt und in einem Bauwagen im Wald am See wohnt. Ein lieber Kerl, der allerdings manchmal einen über den Durst trinkt.«

Dem Arzt gelang es nur mit Mühe, sich ein Grinsen zu verkneifen. »Das riecht man. Na gut, dann wollen wir sehen, dass wir ihn aus den Klamotten rauskriegen.«

Strothmann stöhnte leise, seine Lider flatterten und er kam zu sich, als Käthe und Winkler ihn aus dem Parka schälten. Wild schlug er um sich, bis Dierksen und Feddersen ihn mit vereinten Kräften bändigten.

»Suutje, Strothmann, suutje. Wir wollen dir nur helfen. Du hast da ’ne böse Verletzung am Rücken, lass den Doktor die versorgen.« Der Pfarrer lächelte den Landstreicher beruhigend an.

»Möörder, in mien Huus. Ne Liek an de See. Möörder«, stammelte der entsetzt.

Winkler war es mittlerweile gelungen, Strothmann das Hemd auszuziehen. Er betrachtete den ausgemergelten, ungewaschenen Oberkörper und die Stichverletzung am Rücken.

»Tja, Käthe, da würde ich sagen: Erst Großreinemachen und anschließend die Wunde desinfizieren und nähen. Mann, Mann, Mann, was hat man Ihnen nur angetan?« Kopfschüttelnd machte er sich mit Käthe an die Arbeit.

»Was hat er da gerade gesagt, Käthe? Hab ich das richtig verstanden? Irgendwas über einen Mörder?«, flüsterte er seiner Hilfe zu, als sie den Verletzten gründlich wuschen.

»Hast du, mien Jung. Und von einer Leiche am See hat er erzählt.« Die ältere Frau wirkte beunruhigt, als sie aufsah und mit dem Schwamm auf Feddersen deutete. »Schau dir unseren Geert an. Der hat das noch nicht richtig verstanden, bei dem siehst du jeden Groschen einzeln fallen.« Käthe legte den Schwamm beiseite und reichte dem Doktor Nadel und Faden, nachdem dieser Strothmann vorsichtig abgetrocknet hatte.

»Ja, der Hellsten einer ist er nicht unbedingt. Aber erzähl ihm bloß nicht, dass ich das gesagt habe. Hat lang genug gedauert, bis er mir das Du angeboten hat«, raunte Winkler. Er fuhr sich durch das wellige braune Haar. »Ich krieg schon Kopfschmerzen, wenn ich nur an diesen Tag zurückdenke.« Ein Grinsen vertiefte die Lachfalten um die Augen. Dann vernähte er die Wunde fachmännisch und überließ das Verbinden seiner Assistentin.

Die unterdrückte ein Lachen. »Jo, Daniel, waren ’ne Menge Biere und Köm nötig, bis ihr zwei Arm in Arm nach Hause gewankt seid. Aber auch wenn er eine lange Leitung hat, sollte er das, was Strothmann da vor sich hingemurmelt hat, ernst nehmen. Irgendjemand hat den verletzt, da stellt sich mir sofort die Frage nach dem Warum.«

Strothmann hatte die medizinische Versorgung apathisch über sich ergehen lassen.

Nun schob Geert seine kräftige Gestalt an Winkler und Käthe vorbei und beugte sich über den Verletzten. »Nu sag, Strothmann: Was erzählst du da von einer Leiche am See, Jung? Hast wohl zwei oder drei Korn zu viel gehabt.«

»Nee, nee, Herr Schandarm, do is ne Liek an de See. Ik swör. Un de Möörder is in mien Huus gelopen. Un hebbt mi met de Knief angegriept.« Aufgeregt gestikulierte der Landstreicher mit den Armen, bis Käthe ihn festhielt.

»Suutje, mien Jung, ik glööv di dat. Nu hoolt still, sünst gaht de Wunn wedder op. Geert, lass den armen Mann in Ruhe, siehst doch, wie ängstlich der ist. Sieh lieber zu, dass du Inken herbeorderst und ihr zwei am See nachschaut, ob es dort wirklich eine Leiche gibt. Muss ich dir etwa erklären, wie du deine Arbeit zu machen hast?«

»Mit Sicherheit nicht, Käthe Hansen. Was mischst du dich in meine Befragung ein? Ich weiß schon, was ich tue.« Grantig starrte der Polizist sie an. Unterhalb der Glatze pulsierte eine Ader an seiner Schläfe und sein rundes Gesicht nahm eine ungesunde Röte an.

»Da bin ich mir manchmal nicht so sicher. Regst hier den armen Strothmann auf. Ist doch klar, dass er unter Schock steht, nach dem, was ihm passiert ist. Anstatt zum See zu fahren und nachzusehen, löcherst du ihn hier mit Fragen. Was glaubst du, wo er die Verletzung herhat?« Käthe stemmte die Hände in die Hüften und sah den Polizisten aufgebracht an. »Wahrscheinlich denkst du, dass er sie sich in seinem Suff selbst beigebracht hat.«

Knut eilte Käthe zu Hilfe. »Eben, irgendjemand muss unseren guten Strothmann angegriffen haben. Und das nicht ohne Grund. Warum rufst du Inken nicht an, wie Käthe gesagt hat, Geert? Sie hat doch recht. Ihr solltet wirklich zum See fahren und nach der Leiche suchen. Strothmann kannst du befragen, wenn er sich beruhigt hat.«

Geert sah den schmalen Rentner an und grummelte. »War klar, dass ihr zwei zusammenhalten müsst, Knut Sörensen. Ich gebe euch nur den gut gemeinten Rat: Hört auf, mir zu erklären, wie ich meine Arbeit zu machen habe. So, und jetzt werde ich mein Glück bei Inken versuchen.«

Er zückte sein Handy und ging hinaus, um zu telefonieren. Dabei wurde er fast von Swantje Petersen über den Haufen gerannt, die ihre ausladende Figur durch die Türe schob. Aufgeregt stürzte sie ins Behandlungszimmer und auf Strothmann zu.

»Jens, mien Jung, wat is schehn? Büst do verletzt?« Entsetzt starrte die Besitzerin des Tante-Emma-Ladens auf den großzügig mit Verband umwickelten Oberkörper des Landstreichers.

Pfarrer Dierksen hielt sie zurück. »Komm, Swantje, setz dich da hin. Lass dem armen Kerl Luft zum Atmen. Ist alles in Ordnung mit ihm, der Doktor hat sich schon um alles gekümmert.«

Swantje sackte auf den Hocker, den Dierksen ihr hingeschoben hatte. Der knackte bedenklich unter ihrem Gewicht. Sie schlug die Hände vor das Gesicht mit den roten Apfelbäckchen und schüttelte den Kopf. »Herr Paster, ik hebb dat ümmer saht: Dat is bannig gefährlich in’n Holt. Aver de Jens will nich hüren. He will nich bi mi wohnen. Dorbi hev ik ne schööne Stuuv för em.«

Dierksen verdrehte die Augen und sah über ihren Kopf hinweg zu Knut, der sich ein Grinsen kaum verkneifen konnte. Das ganze Dorf wusste um die unzähligen fehlgeschlagenen Versuche Swantjes, den Landstreicher in ihre Fänge zu bekommen. Käthe ging zu ihrer Freundin und legte ihr beruhigend den Arm um die Schulter.

»Mien Leev, nu entspann dich. Ist nur ’ne Fleischwunde. Vielleicht kannst du für Strothmann was Sauberes zum Anziehen besorgen. Du hast doch bestimmt noch irgendwo Kleidung von deinem Mann gelagert. Danach überlegen wir uns, wo er unterkommt. Mit der Wunde kann er jedenfalls nicht in den Wald zurück.« Aufmunternd lächelte sie ihrer Freundin zu, die schluckte und sich erhob.

»Jo, ik hev do wat, ik hol dat mol snell.« Swantje verließ die Praxis, um in ihr nebenan liegendes Häuschen zu gehen.

Geert kam zurück, begleitet von seiner Kollegin, Polizeimeisterin Inken Hansen. Ihre zierliche Gestalt ließ sich unter der Uniform kaum erahnen, ihre blonden Locken blitzten frech unter der Schirmmütze hervor. Ein gedämpftes »Moin« in die Runde werfend, betrachtete sie Strothmann kritisch und ihre blauen Augen verdunkelten sich.

Feddersen sah den Landstreicher ebenfalls prüfend an. »Na, Jens, geht’s dir etwas besser? Inken und ich fahren jetzt raus zum See. Kannst du mir sagen, wo genau du die Leiche gefunden hast?«

Der Blick des Polizeihauptmeisters fiel auf Strothmanns Parka, der über einem Stuhl hing. Er entdeckte den verschmierten Blutfleck auf der Vorderseite und sah den Landstreicher an. »Ist das dein Blut, Jens?«

Strothmann schüttelte den Kopf. »Nee, dat is vun de Liek.«

»So, so. Inken, wir müssen den Parka mitnehmen und untersuchen lassen. Hat jemand ’ne Tüte?«

Während der Doktor in der hinter dem Behandlungszimmer liegenden Küche verschwand, um eine Plastiktüte zu suchen, erklärte Strothmann den Polizisten, wo sie die Leiche finden würden. Winkler kam mit der Tüte zurück und reichte sie Inken, die den Parka darin verstaute. Gleichzeitig ging die Tür auf und Swantje tauchte auf, beladen mit Kleidung für den Landstreicher.

Geert räusperte sich. »In Ordnung, Inken und ich fahren dann los. Wollen mal nachsehen, ob an dem, was Strothmann erzählt hat, etwas Wahres dran ist. Anschließend kann er uns erzählen, was er über den Kerl weiß, der ihn angegriffen hat. Bleibt er solang in der Praxis? Oder geht er mit zu dir, Swantje? Was sagst du dazu, Doc?«

Der Arzt schüttelte den Kopf. »Lass ihn zu Swantje. Hier ist nicht genug Platz, bin immer noch am Renovieren.«

Er deutete hinaus in den Flur, in dem sich Umzugskartons und Farbeimer stapelten. Geert nickte. Ihm war das Chaos im Arzthaus schon aufgefallen, als er den langen Flur betreten hatte. Einzig Wartezimmer und Behandlungsraum waren fertig eingerichtet. Aber das war kein Wunder, Dr. Hansen hatte hier bis zu seinem Tod vor ein paar Jahren praktiziert und die medizinische Ausrüstung war an Ort und Stelle geblieben. Das hinter dem Wartezimmer liegende Wohnzimmer schien ebenso eine Großbaustelle zu sein, wie die Küche. Der Polizist fragte sich, ob die in der ersten Etage liegenden Schlafräume genauso aussahen. Kopfschüttelnd folgte er den anderen, die Winkler aus dem Zimmer gescheucht hatte, damit Strothmann sich umziehen konnte.

Der Pfarrer stand mit Knut, Käthe und Swantje vor der Tür. Inken saß bereits im Wagen und bedeutete Feddersen, sich zu beeilen. Schnaufend stieg der zu seiner Kollegin und klammerte sich am Sitz fest, als diese rasant losfuhr.

Käthe stülpte die Pudelmütze über die graublonden Strähnen und knöpfte ihren Mantel zu. Kopfschüttelnd blickte sie dem Polizeiwagen nach. Ihre Nichte besaß zu viel überschüssige Energie.

Sie legte ihrer Schulfreundin Swantje die Hand auf den Arm. »Nu quäl di nich üm. Wat häällst do davunn: Wi gahn to di un maken de Stuuv för Strothmann fardig.«

Swantje nickte, hakte sich bei Käthe unter und ging mit ihr in das kleine Reetdachhaus mit dem Laden, um das Zimmer für den Landstreicher herzurichten.

Knut war mit dem Pfarrer zurückgeblieben. Während sie auf den Doktor und Strothmann warteten, stopfte er seine Pfeife und zündete sie an. Heftig paffend sah er den Rauchschwaden hinterher.

»Ich will das gar nicht glauben, Herr Paster: ein Mord in Barkenholt. Ich kann mich nicht erinnern, dass hier jemals etwas Schlimmeres als Wilderei vorgekommen ist. Hier würde doch niemand jemanden umbringen. Das sind bestimmt die aus der Stadt. Müssen die ihren Kram jetzt schon hier zu uns schleppen? Sollen sie sich doch da die Köppe einschlagen.«

Der Pfarrer versuchte, ihn zu beruhigen. »Noch wissen wir doch gar nicht, was geschehen ist, Knut. Vielleicht gibt es gar keine Leiche und Strothmann hat sich das alles wirklich nur eingebildet.«

Knut schnaubte. »Und Sie glauben, dass er sich selbst verletzt hat? Wie Geert?«

»Natürlich nicht. Irgendjemand hat ihn verwundet. Aber ich bin sicher, Geert wird schon herausfinden, wie das passiert ist.«

»Sie kennen doch Geert, Herr Paster. Wenn er nicht Inken an seiner Seite hätte …« Er fuhr sich mit der Hand durch die kurzgeschorenen weißen Haare, dann setzte er seine speckige Bauernkappe auf. »Na ja, vielleicht klärt sich das alles schnell auf und hier kehrt Ruhe ein.« Hoffnungsvoll sah der Bauer den Pfarrer aus blauen Augen an.

Die Haustür öffnete sich und der Doktor kam mit Strothmann heraus. »So, Herr Martins ist fertig, ihr könnt ihn zum Laden bringen. Ich habe ihm noch was gegen die Schmerzen und zum Schlafen gegeben. Morgen früh soll er zum Verbandswechsel herkommen. Sagt ihr Swantje Bescheid?«

Knut und Pfarrer Dierksen nickten, nahmen den Landstreicher in ihre Mitte und begleiteten ihn ins Nachbarhaus.

2. Kapitel

Geert und Inken fuhren durch die nebelige Nacht zum See. Sie folgten der Beschreibung Strothmanns und kamen auf den Uferweg. Schon von Weitem sahen sie das schwache Licht der SUV-Scheinwerfer. Sie parkten, zogen Überschuhe und Einweghandschuhe an und näherten sich, nach allen Seiten sichernd, dem Fahrzeug. Vorsichtig umrundeten sie die Motorhaube und sahen dort einen Mann auf dem Boden liegen. Inken zog sofort ihr Handy hervor und benachrichtigte die Polizeizentrale in Oldenburg. Danach kümmerte sie sich um die Tatortabsicherung.

Geert hatte sich inzwischen davon überzeugt, dass der Mann tatsächlich tot war, und richtete sich auf. »Verdammich, der ist tot. Ich würde sagen, er ist erstochen worden. Hat Strothmann also keinen Mist erzählt. Wie kann so was hier bei uns passieren?«

Inken deutete auf das Auto. »Das ist aus Oldenburg, schau aufs Kennzeichen. Ich mach ’ne Halterabfrage. Wenn die Kriminaltechnik hier ist, kann sie im Fahrzeug nach Papieren suchen, aber so wissen wir schon ein wenig mehr.«

Sie telefonierte, während Geert seine Taschenlampe aus dem Polizeiwagen holte und die weitere Umgebung ableuchtete. Kurze Zeit später kehrte er zu seiner Kollegin zurück. Er deutete ins Unterholz. »Da vorne sind jede Menge abgebrochene Zweige. Schätze, da wird jemand durchgerannt sein. Und der Boden um den Toten ist aufgewühlt. Sieht aus, als ob ein Kampf stattgefunden hätte. Hast du etwas über den Fahrzeughalter herausfinden können?«

Die Polizistin nickte. »Das Auto ist auf einen Hans Hoffmann zugelassen, Adresse habe ich auch. Können unsere Kollegen direkt mit den Papieren des Toten abgleichen. Aber was verschlägt einen aus der Stadt hierher? Hier ist doch nichts und niemand. Sieht fast nach einem heimlichen Treffen aus. Ich bin gespannt, was Strothmann uns alles erzählen kann, wenn er ansprechbar ist. Willst du ihn heute noch befragen?«

»Nee, mien Deern, das machen wir morgen früh. So ungern ich das zugebe, deine Tante hat recht. Heute bekommen wir kein vernünftiges Wort aus dem heraus. Morgen sollte er den Schock und den Korn verdaut haben. Lass uns auf die Kollegen warten. Mal sehen, was denen noch einfällt. Danach sehen wir weiter.«

Kurze Zeit später kamen die Einsatzfahrzeuge aus Oldenburg und die Kollegen aus der Stadt begannen mit der Spurensuche.

Kriminalhauptkommissar Olaf Waldhoff stieg aus einem der Wagen und bewegte seine massige Gestalt auf die beiden Dorfpolizisten zu. »Moin, ihr zwei. Ein Schwerverbrechen in eurem beschaulichen Barkenholt? Ich hoffe, ihr seid jetzt nicht überfordert. Ist etwas anderes als Milchflaschenklau aufklären und Betrunkene nach Hause schaffen. Also erzählt mal: Was haben wir?«

»Moin, Olaf. Männliche Leiche, Messerstich in der Brust. Fahrzeug ist zugelassen auf Hans Hoffmann aus Oldenburg, Adresse habe ich aufgeschrieben«, antwortete Inken spitz und reichte dem Kommissar ihre Notizen.

»Außerdem habe ich da vorne mehrere abgebrochene Zweige gesehen. Sieht aus, als ob jemand eilig sein Heil in der Flucht gesucht hat.« Geert deutete in die maßgebliche Richtung.

»So, so, es sieht so aus. Na, wenn du das sagst, Geert. Habt ihr etwas angefasst?«, blaffte Waldhoff und sah die beiden grimmig an.

Inken schüttelte den Kopf. Geert zuckte gleichgültig mit den Schultern. »Ich habe mich überzeugt, dass der Mann tatsächlich tot ist. Dazu musste ich ihn natürlich berühren und habe meine Fußspuren auf dem Boden hinterlassen. Ansonsten haben wir uns aufs Warten beschränkt.«

Der Kommissar nickte zufrieden. »Sonst noch etwas, das ich wissen muss? Wie seid ihr auf die Leiche gestoßen?«

Feddersen und Inken berichteten abwechselnd. Als sie den verletzten Strothmann erwähnten, merkte Waldhoff auf.

»Habt ihr ihn schon befragt?«

Die Polizistin schüttelte den Kopf. »Nein, er war nicht vernehmungsfähig. Das holen wir morgen früh nach. Allerdings haben wir seinen blutverschmierten Parka sichergestellt, den kann die Kriminaltechnik mitnehmen.«

»Sehr gut. Und dieser Landstreicher sagt, er hat den Mörder in seinem Bauwagen angetroffen? Wisst ihr, wo der steht?«

Die beiden nickten.

Waldhoff schaute sich zufrieden um. »Also, wir übernehmen hier. Ihr sucht den Bauwagen auf und sichert dort Spuren. Solltet ihr etwas finden: Meldung natürlich an mich. Morgen befragt ihr den Penner und leitet den Bericht ebenfalls an mich weiter. Schönen Abend noch.« Damit ging der Kommissar zum Rechtsmediziner, der die Leiche untersuchte. Geert und Inken sahen sich an.

Der Polizeihauptmeister fuhr sich mit der Hand über die Glatze. »Typisch Waldhoff. Ich kann den Kerl nicht ab. Ein arroganter Schnösel! Behandelt uns, als ob wir nicht bis drei zählen könnten. Ich hätte ihn an seinen letzten Fall erinnern sollen. Da haben die Oldenburger so richtig gepennt.« Er seufzte und wandte sich ab. »Was soll’s, Inken, jetzt haben wir die Laufarbeit an den Hacken. Na los, machen wir, was der Herr Kommissar uns befohlen hat und gehen zum Bauwagen.«

Inken grinste. »Tu doch nicht so, Chef. Du hast doch gar keinen Bock auf die Arbeit von Waldhoff, sonst hättest du dich schon längst um einen Posten in der Stadt bemühen können.«

Geert kicherte. »Nee, hast recht, mien Deern. Mir geht nur seine Art auf die Nerven. Hier ist es wenigstens ruhig. Nichts außer Milchflaschendiebe und Betrunkene.«

Auch Inken lachte. »Aber ab und zu wäre ein größerer Fall nicht schlecht.«

Widerstrebend stimmte Geert zu. »Schon, wenn dann nur nicht Waldhoff aufkreuzen würde. Ich kann diese Überheblichkeit nicht ab.«

Die beiden Polizisten machten sich auf den Weg zu Strothmanns Unterkunft, umgingen dabei die Spuren, die die Kriminaltechnik untersuchte. Zitternd zuckten die Strahlen ihrer Taschenlampen durch den Wald und erfassten endlich den Bauwagen. Geert und Inken zogen erneut Handschuhe und Überschuhe an, richteten den Strahl ihrer Lampen auf den Boden vor dem Bauwagen und näherten sich vorsichtig. Geert stieg die Stufen hinauf und leuchtete durch die offene Tür. Er winkte Inken, ihm zu folgen und sah sich um. Etwas blitzte im Lichtstrahl. Geert bückte sich und hob ein blutiges Klappmesser auf. Inken reichte ihm einen Asservatenbeutel, in den er das Messer fallen ließ.

»Super, wahrscheinlich das Tatwerkzeug. Befolgen wir den Befehl des Kommissars und brechen hier ab. Ruf Waldhoff an, Deern. Sollen die aus der Stadt sich weiter kümmern. Wir können das ja nicht«, stänkerte der Polizist.

Inken seufzte und informierte den Kommissar telefonisch über den Fund. Waldhoff beorderte die Barkenholter zurück zum Tatort, damit sie der Kriminaltechnik den Weg zum Bauwagen zeigen konnten.

Während die beiden Polizisten ihre Arbeit verrichteten, Swantje sich um Strothmann kümmerte und der Pfarrer sich verabschiedet hatte, um zu seiner Frau zu eilen, begleitete Knut seine Nachbarin Käthe nach Hause. Untergehakt schlenderten die beiden durch den Nebel, vorbei an den alten, reetgedeckten Häuschen.

»Na, Käthchen, was geht dir durch den Kopf? Machst du dir Sorgen um Strothmann?«

Er spürte, wie sie mit den Schultern zuckte. »Ich versteh’s nicht, Knut. Wie kann so eine Untat hier bei uns geschehen? Der arme Jung, der kann doch keiner Fliege etwas zuleide tun. Warum geht jemand mit dem Messer auf ihn los?«

Der alte Sörensen seufzte. »Das will mir nicht in den Kopf. Wer weiß, was er beobachtet hat. Morgen kann er uns bestimmt mehr erzählen.«

Käthe schnaubte. »Das hoffe ich doch. Außer, wenn Geert in seiner typischen Art auf ihn losgeht. Was meinst du, soll ich Strothmann fragen? Ich bekomme sicher mehr aus ihm heraus.«

»Das lass man schön bleiben, mien Leev. Wenn sie tatsächlich einen Toten finden, wird das wahrscheinlich eine Mordermittlung. Da hast du nichts drin verloren.«

»Ja, ja, Knutchen. Ich will mich da auch gar nicht einmischen. Ich dachte nur … Ich werde trotzdem ein Auge auf Strothmann haben, allein um ihn vor Swantjes Tüddelei zu bewahren.«

Knut prustete los. »Genau, nachdem du sie quasi auf ihn angesetzt hast, als sie ihm Kleidung besorgen sollte. Und nun muss der arme Kerl bei ihr wohnen.«

»Knut, du bist albern. Reiß dich zusammen, du wirst bald Großvater. Dann solltest du dich nicht wie ein Pennäler benehmen.« Käthe öffnete die Gartenpforte, die auf ihr Grundstück führte, das am nördlichen Dorfrand lag.

Im Licht der Straßenlaternen ragten die Zweige eines uralten Rhododendrons am Zaun empor. Die Bank, auf der Käthe bei schönem Wetter gern mit ihrem Tee saß, stand verlassen unter dem kahlen Apfelbaum vor dem Stubenfenster. Im Sommer umgab ein verschwenderisch blühender Bauerngarten das weißgekalkte Fachwerkhaus. Doch jetzt hingen leere Blumenkästen vor den zur Straße hinausgehenden Sprossenfenstern von Küche und Stube. Die Hortensie an der linken Hausecke vor dem Küchenfenster reckte ihre kahlen Zweige in den dunklen Herbsthimmel. Gartentisch und Stühle, die hier im Sommer zum Verweilen einluden, hatten Käthe und Knut in dem blauen Gartenhäuschen eingelagert, das auf der großen Rasenfläche hinter dem Haus stand.

Ein Schatten strich um die Beine der Heimkehrer und begrüßte sie schnurrend.

»Hansen, du alter Zausel. Na, auf Mäusejagd gewesen?« Käthe bückte sich und kraulte ihren Tigerkater liebevoll. »Kommst du noch mit rein auf einen Tee, Knutchen?«

»Da sag ich doch nicht Nein, mien Deern. Ein Tee bei dir ist immer eine feine Sache.«

Sie betraten den langen Flur und gingen in die gemütliche Bauernküche. Während Käthe Tee aufbrühte, setzte Knut sich auf die Bank und zog seine Pfeife hervor. Hansen sprang auf die Fensterbank und putzte ausgiebig sein Fell, bevor er sich zusammenrollte und nach kurzer Zeit vernehmlich schnarchte.

Käthe schüttelte den Kopf, während sie Tee und Tassen auf den Tisch stellte. »Der ist eine Schlafmütze, unglaublich. So, Knut, nu erzähl schon: Wann ist es denn so weit bei Anni? Bist du schon aufgeregt? Das erste Enkelkind ist doch etwas ganz Besonderes.«

Knut winkte ab. »Hör bloß auf. Es ist die Hölle zu Haus. Ich habe Hartmut noch nie so hiddelig erlebt. Dabei hat er noch bis zum Frühjahr Zeit, bis es ernst wird. Aber er benimmt sich schlimmer als ’ne Glucke, tüddelt immer um seine Frau herum. Das macht mich schon fast wahnsinnig. Einen Vorteil hat die Sache allerdings: Ich darf endlich mehr auf dem Hof mithelfen. Anni soll sich schließlich nicht überanstrengen.«

Der Sörensen-Hof lag direkt hinter Käthes Häuschen. Knut war ihr nächster Nachbar und engster Freund. Ein ausgetretener Trampelpfad führte vom Hof zu Käthes hinterer Gartenpforte und wurde ständig als Abkürzung bei den gegenseitigen Besuchen benutzt.

Knut war schon vor einer ganzen Weile von seinem Sohn Hartmut aufs Altenteil geschoben worden. Erst seit Anni ihrem Mann von der Schwangerschaft erzählt hatte, durfte Knut seinen Sohn öfter bei der Hofarbeit unterstützen. Der fast Siebzigjährige war dadurch regelrecht aufgeblüht, was die nur unwesentlich jüngere Käthe freute. Die bevorstehende Ankunft des ersten Enkelkindes hatte ihn, wie es schien, verjüngt.

Käthe musste lachen, als sie sich Hartmut als Glucke vorstellte. »Das gibt sich spätestens beim nächsten Kind, du wirst sehen. Na ja, aber so ist der Lauf der Dinge. Auf der einen Seite begrüßen wir einen neuen Erdenbürger, auf der anderen Seite geben wir einem das letzte Geleit.«

Knut schlürfte nachdenklich seinen Tee. »Der Tod von Hauke Jespersen ist ein weiterer schwerer Schlag für Gut Poggenpool. Erst sein Schlaganfall, der ihn an den Rollstuhl fesselt, und dann sucht sein Sohn und Erbe das Weite. Ein Wunder, dass er doch noch so lang durchgehalten hat, er war schon weit über 90. Erinnere dich, wie sehr er die Familie immer tyrannisiert hat. Es scheint aber, es hat sich alles zum Guten gewendet. Hast du gehört, dass sein Enkel Gerit jetzt das Gut mit entfernten Verwandten aus Oldenburg führt?«

Käthe stellte ihre Tasse ab. »Ja, seine Tochter Lefke hat es mir erzählt, als ich sie letztens bei Swantje im Laden getroffen habe. Wahrscheinlich sehen wir sie alle schon übermorgen auf der Beerdigung. Ich bin gespannt darauf, die Oldenburger kennenzulernen. Ich hoffe, dass es mit dem Gutshof jetzt bergauf geht. Es wäre schade, wenn nicht.«

Sie seufzte. Hansen nieste und sprang von der Fensterbank, um sich zu strecken. Knut beobachtete ihn, stellte seine Tasse ab und stand auf. »Käthchen, ich glaube, der Kater hat recht, ich sollte nach Hause gehen und noch ein wenig schlafen. War ein langer Tag heute. Mach’s gut, mien Deern, schlaf schön. Wir sehen uns bestimmt morgen.«

»Komm gut heim, Knut, und grüß recht herzlich von mir.«

Käthe begleitete ihren Nachbarn über den Flur zur Hintertür und sah ihm nach, wie er über den Trampelpfad in der Dunkelheit verschwand. Hansen kam angelaufen, sprang auf die alte Aussteuertruhe und blickte sein Frauchen erwartungsvoll an. Lächelnd kehrte Käthe zurück in die Küche, holte das Futter aus der Kredenz und füllte seinen Napf. Wenig später lagen die beiden aneinandergekuschelt in Käthes Bett.

Am nächsten Morgen weckte Hansen seine Herrin auf die übliche Art, indem er ihr auf den Bauch sprang. Brummelnd schob Käthe ihn aus dem Bett und stand verschlafen auf. Dick eingepackt in Bademantel und Wollsocken stieg sie die Treppe hinunter, setzte Teewasser auf und versorgte den Kater. Danach ließ sie ihn nach draußen, warf einen Blick auf das kalte, trübe Herbstwetter und schloss schaudernd die Tür.

Nach dem Frühstück mummelte Käthe sich in Mantel, Schal und Mütze ein und machte sich durch die feuchtkalte Luft auf den Weg zu Swantje. Sie betrat das Häuschen ihrer Freundin durch das Ladenlokal. Hier schien die Zeit stillzustehen. Die alte mechanische Registrierkasse stand wie früher auf der hölzernen Theke neben der Kaufmannswaage und den großen Bonbongläsern. Buntgestreifte und braune Papiertüten hingen an einem Haken. In den Holzregalen hinter der Theke gab es alles an Putz- und Grundnahrungsmitteln für den täglichen Bedarf sowie eine kleine Auswahl an Backwaren. Neben der Eingangstür hatte Swantje ein Stiegenregal aufgebaut, in dem Kisten mit losem Obst und Gemüse standen.

Käthe ging hinter dem Tresen durch einen Gang an einem Lagerraum vorbei und gelangte in die Küche. Dort traf sie auf Geert und Inken, die mit Swantje und Strothmann um den Küchentisch saßen.

»Moin alle zusammen, alles klar bei euch?«, fragte sie, zog den Mantel aus und setzte sich neben Strothmann auf die Bank. »Na, was habt ihr zu berichten, Geert? Habt ihr eine Leiche gefunden?«

Geert seufzte. »Ja, haben wir. Und dazu die vermutliche Tatwaffe. Ich wollte Strothmann gerade fragen, was er gesehen hat. Du scheinst das geahnt zu haben, oder? Na, was soll’s. Ob du es später von Swantje erfährst oder sofort … Ich kann es sowieso nicht verhindern. Also, Jens, dann erzähl uns, was du gestern am See beobachtet hast.«

Doch Strothmann, frisch gewaschen und in sauberen Sachen, aber immer noch mit wilder Zottelmähne und Vollbart, schaute den Polizisten verängstigt an und schwieg beharrlich.