Cover

Biete Bruder! Suche Hund!

Nikola Huppertz wurde 1976 in Mönchengladbach geboren. Sie hat Geige in Duisburg und Psychologie in Berlin studiert. Schon als Kind hat sie gern Geschichten erfunden. Ihr erstes Buch erschien 2009, seitdem hat sie viele weitere Kinderbücher veröffentlicht. Nikola Huppertz lebt mit ihrer Familie in Hannover.

www.nikola-huppertz.de

Michael Bayer wurde 1971 in Friedrichshafen am Bodensee geboren. Er hat Visuelle Kommunikation in Münster studiert. Nachdem er den Abschluss als Diplomdesigner erworben hat, arbeitete er einige Zeit bei einer Werbeagentur. Heute ist er freiberuflicher Illustrator.

1. Kapitel, in dem es darum geht, dass Emil mir immer alles versaut und ich im Leben keinen Hund kriege

»Jaaaanne!« Die Wohnungstür donnert ins Schloss und ein Alukoffer landet scheppernd auf dem Flurfußboden. »Bist du fertig mit Hausaufgaben?«

Das ist Emil, mein Bruder.

Ich gucke auf meine Armbanduhr. Vierzehn Minuten hatte ich Ruhe vor dem kleinen Nerver. Ich will mich ja nicht beschweren, aber es hätte echt ein bisschen länger sein können. Wo ich gerade so gemütlich bastle!

»Dreckschuhe ausziehen«, kommt es aus Papas Arbeitszimmer, »und Hände waschen!«

»Ööh«, macht Emil im Flur, doch dann höre ich das Ratschen von seinen Klettverschlüssen.

Eben nach dem Mittagessen, als Mama noch mal zu so einem Studierdingsbums in ihrer Uni aufgebrochen war, hat Papa ihn in den Garten runtergeschickt. Weil es so schön frühlingshaft ist und weil ich dann angeblich deutlich besser rechnen kann.

Ich hab das sehr praktisch gefunden und vorsichtshalber nicht erzählt, dass Frau Brömer uns heute gar nichts aufgegeben hat.

Oft hab ich das Kinderzimmer schließlich nicht für mich allein.

Emil hatte allerdings keine Lust rauszugehen. »Ist doch langweilig!«, hat er geschimpft, und na ja, so besonders ist der Garten hinter unserem Haus nun wirklich nicht. Nur ein Grasstück mit Plattenweg, der an den Mülltonnen vorbei zur Straße führt, und ein Beet voller Unkraut.

Aber Papa hat ein ganz geheimnisvolles Gesicht gemacht. »Ich dachte, du willst Geheimagent werden«, hat er ihm zugeraunt.

Das hat gewirkt.

Emil hat nämlich einen Agententick und kommt sich unheimlich toll damit vor.

Sofort hat er sich den Flohmarkt-Aktenkoffer mit seiner Ausrüstung geholt, Taschenlampe, Sonnenbrille, Plastikhandschellen und was er sonst noch alles hat, und ist auf Spährunde losgezogen. Aber jemanden zum Ausspionieren hat er wohl nicht gefunden, so fix, wie er wieder reingekommen ist. Oder der komische Herr Kutschenreuter aus der Wohnung über uns hat ihn vergrault, der taucht ja immer und überall auf.

»Sag mal, Janne!« Jetzt flitzt Emil strumpfsockig ins Kinderzimmer. »Bist du fertig? Woll’n wir was machen?«

Ich beuge mich über meine Hundebilder und tue so, als hätte ich nichts gehört. Manchmal, ganz selten, spielt er einfach allein, wenn ich nicht antworte. Playmo oder Lego oder eins von diesen merkwürdigen Jungsspielen, bei denen man nur »pchchch« und »bschschsch« und »hiiiuiiiuiii« versteht und die irgendwas mit Kämpfen zu tun haben und mit schnellen Autos und vermutlich mit einer Explosion nach der anderen.

»Jan-ne!« Emil stapft zum Schreibtisch und baut sich neben mir auf. »He, du machst ja gar keine Hausaufgaben!«

Ich schreibe »Husky« auf eine der Karteikarten, die ich mir von Mamas Studiersachen genommen hab, und klebe ein Bild von einem Schlittenhundgespann dazu. Leider geht eine lila Werbeschrift mittendurch, aber es ist trotzdem voll schön. Hunde finde ich nämlich sooo super, bloß kriege ich nie einen.

»Nee«, sagt Papa, wenn ich ihn danach frage. »Zwei reizende Kinder reichen mir völlig, mein Schatz, da kann ich mich nicht auch noch um einen Köter kümmern.« Dabei bräuchte er das ja gar nicht, das würde ich schon selber machen.

Und Mama meint, es ginge sowieso nicht wegen Emils kleinem Hundeproblem, und das müsste mir doch klar sein.

Ein ziemlich hoffnungsloser Fall also.

Emil drängelt sich an mich. »Was wird das?«, fragt er.

Ohne ein Wort nehme ich die nächste Karte, schreibe »Dalmatiner« und klebe das allerniedlichste Bild auf, das ich in unseren alten Zeitschriften gefunden hab, gestern Abend, als Emil schon geschlafen hat und ich noch ein bisschen aufbleiben durfte.

Mama und Papa erlauben mir zwar nur eine halbe Stunde länger und das ist natürlich popelig, wenn man bedenkt, dass ich schon fast neun bin und er gerade erst sechs. Aber immerhin.

»Hooah, du hast ja Schmalz in den Ohren!«, ruft Emil und grapscht sich die Huskykarte. »Ich hab gefragt, was das wi-hird?!«

»Wenn hier einer Schmalz in den Ohren hat, dann du«, fauche ich und reiße ihm die Karte wieder aus der Hand.

Heute klappt es nicht mit dem Schweigetrick, so viel steht fest. »Das wird eine Kartei.«

»Ui«, sagt Emil, »darf ich mitmachen?« Und schon hat er sich den Klebestift geschnappt und die Kappe abgezogen. Plopp.

Es ist typisch. Wetten, Emil hat keinen Schimmer, was eine Kartei überhaupt ist? Und nur, weil ich mir eine bastle, will er das jetzt unbedingt auch. Aber es wäre ja noch schöner, wenn der mir an meinen süßen Bildern rumkleistern würde! Und hinterher pappt womöglich alles zusammen! Nee, nee, das hier hab ich mir ausgedacht und das mach ich ganz allein. Basta.

»Dafür muss man lesen und schreiben können«, sage ich. Emil kommt im Sommer ja erst in die Schule und kennt sich mit Buchstaben noch kein bisschen aus, außer vielleicht mit dem E und dem M und dem I und dem L. »Und das Alphabet.«

»Ä-äh, muss man gar nicht!« Er tippt sich an die Stirn. »Ich kann ja wohl was aufkleben.«

»Aber keine Kartei anlegen«, sage ich. »Tut mir leid.«

Da schmeißt Emil den Klebestift gegen mein Puppenhaus.

»Du Blöde!«, ruft er. »Dann mach ich mir eben selbst eine. Aber nicht mit so langweiligen Hunden. Eine mit Fingerabdrücken, das ist viel spannender.«

»Langweilige Hunde?« Ich pruste los. »Du hast doch bloß Schiss vor Hunden!«

Emil macht ein bitterböses Gesicht, denn darauf fällt ihm wohl nichts ein. »Pass auf, du«, sagt er nur und streckt zwei Pistolenfinger in die Luft. »Wenn ich ein Geheimagent bin ...«

O Mann, dieser Angeber! »Hoffentlich triffst du dann keine Hunde«, fauche ich ihn an. »Sonst pinkelst du dir noch in die Hose bei deinen tollen Missionen.«

»Du Blöde!«, ruft Emil wieder und witsch!, fegt er alle meine Bilder vom Schreibtisch.

Da sehe ich rot. »Duuu, duuu ...«, schreie ich. »Geh raaauuus!«

Und ich springe auf und jage Emil aus dem Kinderzimmer. Dummerweise fliegt er dabei hin und brüllt los wie ein Stier und eine Sekunde später steht Papa im Flur.

»Leute!«, stöhnt er. Und während er auf Emils Arm pustet, guckt er mich ganz stirnrunzelig an. Da weiß ich schon, was jetzt kommt. Hey, Janne, was soll der Mist ... Ich hör mir das jetzt schon die ganze Zeit an ... Ich weiß ja, aber ... Und wie alt bist du eigentlich?

Okay. Bitte sehr. Lass ich Emil eben wieder rein. Ich hab jetzt eh keine Lust mehr zu basteln. Eigentlich ist so eine Kartei ziemlich doof, wenn ich’s mir recht überlege. Davon kriege ich auch keinen Hund. Das Einzige, was ich jemals bekommen hab, ist dieser lästige kleine Bruder. Und auf den hätte ich auch gut verzichten können.

2. Kapitel, in dem Herr Kutschenreuter mir einen Schreck einjagt, Philine Französisch spricht und ihre Mutter einen Einfall hat

Der Nachmittag ist gerettet, als Philine anruft und erzählt, ihre Cellostunde fällt aus. Ich weiß, man soll sich nicht freuen, wenn einer krank ist. Aber es geht echt nicht gegen ihren Cellolehrer, dass ich sofort gute Laune hab. Bei Philine bin ich einfach so gern!

»Ich hab mich noch verabredet«, rufe ich ins Arbeitszimmer, wo Papa wieder am PC sitzt und programmiert – oder auch nicht. Denn neben ihm steht Emil, bewaffnet mit einem Stempelkissen, und nimmt ihm Fingerabdrücke ab. »Mit Philine. Ja, Papa?«

»Bitte, bitte«, antwortet Papa wenig begeistert und drückt seinen linken Daumen auf eine von Mamas Karteikarten. »Das ist ja eine ganz große Liebe, wie mir scheint.«

Emil wedelt wild mit der Hand. »Warte aber, Janne«, ruft er. »Noooch sieben oder zwölf Minuten.«

Jaja, schon klar, auf wessen Finger er es als Nächstes abgesehen hat. Aber ohne mich! In null Komma nichts schlüpfe ich in meine Schuhe und reiße die Wohnungstür auf. »Huch!«, entfährt es mir da. Direkt vor meiner Nase steht Herr Kutschenreuter und betrachtet unseren halb verkümmerten Treppenhaus-Gummibaum.

Als hätte er sich genau in dieser Sekunde hierhergebeamt.

Zum Glück kommt Papa gerade aus seinem Zimmer geeilt. »Moment mal, Süße«, ruft er und rubbelt sich im Laufen mit einem Papiertaschentuch über seine schwarzen Fingerkuppen. »Zum Abendbrot bist du wieder zurück, okay? Und benimm dich bei diesen Luxusleuten, sonst denken die noch – oh, Tag, Herr Kutschenreuter! Immer was los hier, was?«

Herr Kutschenreuter verzieht keine Miene. »Der Ficus elasticus muss gedüngt werden«, sagt er nur mit seiner etwas sonderbaren hohen Stimme und verschwindet nach oben.

»Ficus elasticus«, sagt Papa. »Alles klar.« Und er grinst schief.

Aber ich finde diesen Nachbarn richtig ein bisschen unheimlich.

In dem Augenblick taucht Emil schwer bepackt hinter mir auf. »Menno, Janne!«, schimpft er und klappt das Stempelkissen auf. »Ich wollte dir doch ...«

»Leider keine Zeit!«, rufe ich und galoppiere los. Mit Karteien mag ich heute nichts mehr zu tun haben. Soll sich Emil ruhig mal überlegen, warum.

Das erste Gute bei Philine ist das Haus. Im Vorgarten gibt es einen Quellstein mit weißen Kieseln drumrum und überhaupt sieht alles unheimlich vornehm aus. Das zweite Gute ist, dass Trinchen mir entgegenwackelt, sobald die Tür aufgeht. Trinchen ist Philines Rauhaardackelin und schon eine richtig alte Dame. Früher hat sie irgendeiner Großtante gehört, aber als die ins Altersheim gekommen ist, durfte Philine sie übernehmen, die Glückliche.

»Braver Hund!«, sage ich und kraule Trinchen hinter ihren graubraunen Schlappohren. Sofort streckt sie sich auf der Fußmatte aus und schnauft zufrieden.

»Diese faule Oma«, sagt Philine zärtlich. Dann zieht sie mich in ihr Zimmer. Und das ist das dritte Gute. Philine muss sich ihr Zimmer nämlich mit niemandem teilen. Erstens gibt es sowieso mehr als genug Platz bei ihr zu Hause und zweitens hat sie gar keine Geschwister. So ungerecht geht es zu in der Welt.

»Ich kann jetzt Französisch«, verkündet sie und lässt sich in ihren Sitzsack plumpsen. »Achtung!« Sie räuspert sich. »Bonjour! Y a t’il des crêpes?«

»Boah!« Ich setze mich im Schneidersitz auf den flauschigen Teppichboden. »Was heißt das?«

»Ob es hier Crêpes gibt. Hat Mama mir für Paris beigebracht.« Sie kichert. »Klingt affig, oder?«

Ich seufze. Das ist noch so was, womit Philine es gut hat. Ihre Eltern machen immer voll die tollen Sachen mit ihr! Essen gehen und sonntags in den Harz zur Sommerrodelbahn fahren oder bei schlechtem Wetter ins Spaßbad und jetzt diese Reise nach Paris. Mal eben so. Bloß weil übermorgen Christi Himmelfahrt ist und wir vier Tage schulfrei haben. Und was sie dort alles vorhaben! Auf den Eiffelturm steigen und mit dem Schiff auf einem Fluss fahren, der Seine heißt, und an einem Tag wollen sie sogar ins Disneyland.

»Was macht ihr eigentlich in der Zeit?«, fragt Philine.