I.

Inhaltsverzeichnis

Die bleigrauen, sturmgepeitschten Wogen jagten sich im starren, eisigen Nebel, schwarze, spitzige Riffe tauchten da und dort wie Seeungeheuer aus dem tosenden, schwankenden, ins Endlose zerfließenden Grau, um rasch wieder in schäumendem Gischt zu verschwinden, nur ein schwarzes, bald vor dem Anprall des Sturmes sich beugendes, bald wieder gerade sich aufrichtendes Gerüst hielt sich über den erregten Wassern. Dieses Gerüst war der Mast der ›Columbia‹, welche vor zehn Stunden an diesem Riff der Neufoundlandsbank sich zu Tode gestampft, mit seinen ächzenden, wie um Hilfe flehende Arme sich bewegenden Rahen, und die zwei dunklen Gestalten, die sich an dem Eisengeländer des Mars anklammerten, waren zwei junge Männer, der erbarmungswerte Rest des dritten und letzten Rettungsbootes, welches unter Führung des Kapitäns, überfüllt mit Menschen, kenterte, nachdem das erste und zweite, ebenso überfüllt, in Nacht und Nebel verschwunden war, wohl um ein gleiches Schicksal zu erleiden. Eine Woge nahm diese beiden halb erstarrten Männer auf ihren Rücken und warf sie auf das tafelförmige Gerüst aus Brettern und Bohlen, welches, auf die Salingen der Untermasten gelegt, den Mars bildet.

Sie erkannten sich nicht in der dicken Finsternis, der tosende Lärm der Wasser und des Sturmes erstickte jedes Wort, jeden Schrei, sie fühlten bloß ihre sich reibenden, stoßenden Körper, krochen, beglückt von diesem Gefühl des Lebens mitten im Tode, enger zusammen und umklammerten sich gegenseitig.

Die ›Columbia‹ hatte sich an einem unterseeischen Riff festgebohrt, es war unwahrscheinlich, daß sie tiefer sank, wenn nur der Mast dem Sturm Trotz bot, dann, – dann konnten sie hier erfrieren und verschmachten. Das war der qualvolle Gedanke der beiden in der endlosen Nacht. Sie sprachen ihn aus, indem sie sich die erstarrten Hände drückten, ihre triefenden Körper aneinanderpreßten, sich den warmen Atem in das Antlitz bliesen; wenn dann eine Sturzwelle über sie hereinbrach, und der Mast sich bebend hob aus dem eisigen, sie umgurgelnden Schleier, dann wurde wohl ein wilder Schrei hörbar, ein Ruf zu Gott, und die Hände griffen angstvoll nach dem Genossen, ob er nicht fortgerissen.

Ein Seil, das zerrissen von der Rahe herabhing, peitschte wiederholt ihr Antlitz, sie haschten danach und knüpften sich schweigend zusammen an den Mast, um den Halt zu vermehren. Der eine war groß und breit, der andere kleiner und schlank, sie fühlten es bei der Betastung. Einmal übertönte die grelle Stimme des Kleinen doch den Lärm der Elemente.

»Bemannung?« lautete das letzte Wort des Fragenden.

»Maschinist!« rang sich die Antwort durch.

»Noch Hoffnung?«

»Verloren!« klang es dumpf aus dem Munde des Genossen, und gleichsam zur Bekräftigung dessen bog sich der Mast jetzt wie eine Gerte, mit scharfem, splitternden Gekrach. Die Verbolzung der Marsstange hatte sich gelockert, vielleicht war auch einer der eisernen Ringe, welche die Mars- und Bramstangen verkuppeln, gesprungen, dem metallenen Klange nach.

Der Kleinere ergriff die Hand des Großen und drückte sie krampfhaft. Es war wie ein Abschied. Die Todesangst spannte die erstarrten Muskeln. Sein Haupt fiel mit einem jähen Ruck seitwärts auf die breite Brust des Leidensgenossen.

»Mut, Mut, der Tag kommt!« sagte dieser, indem er nach dem Munde des Unglücklichen tastete und ihm die noch einen kleinen Rest von Getränk enthaltende Schnapsflasche an die eisigen Lippen drückte; sie öffneten sich nicht mehr, die Zähne waren krampfhaft verbissen.

Das letzte Leben war wohl erloschen neben ihm, die Schauer der Verlassenheit schüttelten ihn. Er weinte um den Unbekannten, wie um seinen einzigen besten Freund.

Da traten allmählich die Wogenkämme aus dem Dunkel, ihre weißen Rücken leuchteten rings umher, er fühlte wieder einen Sinn, eine Waffe, – das Auge. Die furchtbare Leere bekam wieder Form, es war ihm, als verminderte sich die Höhe der Wogen und die Macht ihres Anpralls; sie bildeten jetzt sanfte Täler, gerundete Berge, schlichen wie riesige, geschmeidige Katzen unter ihm hinweg, ihn höchstens mit dem Rücken netzend. Neue Hoffnung erwachte. Auch der Nebel hob sich, sein weißer, immer mehr sich mit Licht tränkender Saum ließ wie durch eine dünne Spalte den Anblick frei über die wogende Fläche; eine sanfte, rosige Färbung durchglühte ihn – der Morgen!

Der Starke blickte auf seinen Gefährten, dessen Haupt noch immer an seiner Achsel lehnte, er verspürte jetzt den warmen Atem durch seine Wolljoppe hindurch.

Er erinnerte sich, das zarte, von einem schwarzen Barte umrahmte Gesicht im Zwischendeck gesehen zu haben, wenn auch die fahle Blässe, die zerzausten, über das Auge hereingeschwemmten Haare, die Angst der durchlebten Nacht es entstellten.

Beim Anblick dieses Erschöpften fühlte er doppelt die ihm noch verbliebene Kraft.

Er löste die freiwilligen Fesseln, die jetzt nicht mehr nötig, und ließ jenen auf den Boden nieder, ihn gegen den Mastbaum lehnend, der jetzt nur noch leise hin und her schwankte, dann rieb er ihm das Gesicht mit Branntwein und frottierte seine Brust. Mit schwerem Seufzer erwachte der Bewußtlose und ließ seine Blicke mit fragendem Ausdruck umherschweifen auf der endlosen Fläche, bis sie zuletzt oben an dem Top, wo der Wimpel noch lustig flatterte, haften blieben. Dann tat er einen heftigen Griff nach seiner Brust, als suche er dort nach etwas, die Hände blieben kreuzweise verschlungen darauf liegen, als wollten sie etwas festhalten oder verbergen.

»Ermannen Sie sich,« sprach eindringlich der stärkere Genosse, »nur die größte Energie kann uns retten, jedes Nachgeben ist Tod.«

»Retten! Was? Wer?«

Die Augen des Unglücklichen erglänzten, seine Finger gruben sich in die Arme des Trösters.

»Ein Schiff! – Ein Boot vom Lande, – wir müssen nahe daran sein – alles ist möglich.«

»Ein Schiff! – Ein Boot! – Land! – Wo? Wo?«

Er richtete sich plötzlich in die Höhe, ängstlich sich an den Mast schmiegend, mit suchendem Blick umherspähend in der Wasserwüste.

»Wo? Wo?« klang es jammervoll.

»Noch ist keines zu sehen, aber es kann – es kann, mein Freund,« tröstete der andere.

»Es kann!«

Wieder drückte er ängstlich beide Hände an die Brust.

»Es wird aber nicht und wir müssen – o, das ist fürchterlich; – fürchterlich!«

Er klapperte mit den Zähnen, dabei bildeten sich Wasserperlen auf der feuchten, fiebrigen Stirne. Er sank ins Knie, die Füße versagten ihm den Dienst, er faltete die Hände.

»Retten Sie mich, ich kann es lohnen, ich bin reich, glauben Sie mir; – ich sehe nicht danach aus, aber ich bin es. – Hier unter meiner Weste –«

Er hielt plötzlich inne und sah mit einem angstvollen, mißtrauischen Blick auf den Genossen.

Ein harter Kampf ging in ihm vor.

»Gott, was soll's mir denn noch, es gehört Ihnen, alles Ihnen, Sie brauchen mich nicht umzubringen; – alles Ihnen, alles, – hier! – hier!«

Er nestelte an seiner gestrickten Weste.

»Wenn Sie mich retten, – nur nicht sterben, – o, nur jetzt nicht, jetzt nicht –«

Er umklammerte die Kniee des Mannes.

Dieser schüttelte das mit einer Wollmütze bedeckte Haupt und blickte forschend über die Wasserfläche. Der Nebel hatte sich noch mehr gehoben, es war, als ob sich einzelne Strahlen des Tagesgestirnes in den Spalt zwischen ihn und das Meer drängen wollten.

Rosa Lichter tanzten auf den Wogen, da stutzte der Mann, eine ovale Kette schwarzer Klippen zog sich in der Ferne hin, und dunkle Umrisse schimmerten durch den weißen, flimmernden Dunst. – Wenn es Land wäre und die Klippen-Kette dahinführte! Er war ein geübter Schwimmer und die Klippen boten Ruhestationen.

Allein konnte es gelingen, mit einer Last nimmermehr. Jedenfalls war es der äußerste Versuch, aber er dachte ihn auch nicht zu lange hinauszuschieben, auch er fühlte seine Kräfte schwinden. Er dachte nicht einen Augenblick an die Versprechungen dieses Menschen, was kümmerte ihn jetzt Reichtum, wo es sich um das nackte Leben handelte.

»Hier, – hier, – nehmen Sie alles!«

Der Kleine riß seine Weste auf und entnahm ihr mit zitternden Fingern ein durchnäßtes Paket.

Der andere machte eine verächtliche Bewegung.

»Lassen Sie das dumme Zeug, eine Flasche Schnaps wäre jetzt wertvoller. – Es geht nicht.«

»Was? Ums Himmels willen, was?« stammelte jener.

»Dort, von Klippe zu Klippe. – Sehen Sie die schwarzen Punkte, – sie sind keine hundert Meter auseinander; – die See beruhigt sich, – können Sie schwimmen?«

»Mein Gott, das kann ich nicht, – aber Sie können es, – Sie werden mich verlassen und ich muß allein –«

Er stieß einen schrillen, fast wahnsinnigen Schrei aus.

»Erbarmen! – Töten Sie mich zuerst, – stoßen Sie mich hinunter!«

Er umschlang bei diesen Worten fester den Mast, sein Gesicht war verzerrt, ein Zittern durchlief seinen Körper.

»Nein! Nein!« flüsterte er. »Es kommt ja auch so schon der Tod, – warten Sie nur noch ein wenig. – ein wenig, – ich, – ich hab Ihnen noch was zu sagen, – ich kann nicht sterben damit –«

»Sprechen Sie, wenn Sie noch etwas auf dem Herzen haben; – es wird zwar nichts nützen, da ich Ihnen bald folgen werde, – aber es erleichtert Sie vielleicht,« ermahnte der Große.

»Wenn ich aber nicht stürbe, – wenn doch –«

»Rettung käme, meinen Sie? Dann schwöre ich Ihnen, daß kein Wort über meine Lippen kommt von dem, was Sie mir anvertrauten. Aber eilen Sie, ich fürchte, Sie haben nicht mehr lange Zeit.«

»Ja, Sie haben recht, – aber es ist so hart.«

Die höchste Seelenqual malte sich in seinem Antlitz.

»Dieses Paket, – um das handelt es sich, – – es – es klebt Blut daran; – fünfzigtausend Dollars in Banknoten.«

Plötzlich unterbrach er sich, hob sich mit letzter Kraft empor und spähte in die Ferne.

»Hören Sie nichts? Ein Signal! Und dort – dort –«

Er streckte den Arm aus.

»Ein Schiff! Mein Gott, ein Schiff! – Was hab ich denn gesagt? Hören Sie nicht darauf, – die Angst, – die Kälte –«

Er raffte das Paket zusammen und versuchte, es wieder zu sich zu stecken.

»Sehen Sie denn nicht? – Dort – die Segel! Schreien Sie doch! Hallo! Hoe!« kreischte er.

»Sie irren sich, weit und breit ist nichts zu sehen. Ich habe gute Augen und Ohren, verlassen Sie sich darauf.«

»Nichts!« seufzte der andere und sank wieder in sich zusammen.

»Nun denn, es muß sein. Mein Name, – Henry Smidt, – war im Dienst bei John Crosby auf Crosbys Farm, Missouri bei Pèoria, – liebte seine einzige Tochter Bessy, – sie wies mich ab, der Alte lachte mich aus, – da verkaufte er die Farm, – ich fuhr ihn nach Hause von Pèoria, wo das Geschäft abgemacht wurde, vor sechs Wochen, – er war betrunken, er zog mich auf mit Bessy; – wir fuhren durch den großen Wald, – er fing immer wieder an, – da packte mich die Wut, ich schlug nach ihm, er zog den Revolver, ich war flinker, ich erschoß ihn. – Bei Gott, ich dachte nicht an das Geld in seinem Gürtel, – aber als ich ihn tot sah, dachte ich daran, – fliehen mußte ich, – weiß Gott, wer ihn findet mit dem vielen Geld, – und Bessy soll es nicht verlieren, ich wollt's ihr schicken, – so nahm ich's denn mit –«

Er machte eine lange Pause, auch der andere schwieg, die Wogen wiegten jetzt wie versöhnlich schmeichelnd den Mast, und die Sonne rang mit dem Nebel.

»Jetzt, wo's zu Ende geht, – ja, es geht zu Ende, – jetzt ist's mir gerad, als ob alles Blut wäre da herum, als ob's über mich zusammenschlüge; – alles Crosbys Blut! – und dann die Bessy, – ich hab sie wirklich lieb gehabt, sie muß jetzt dienen ihr ganzes Leben, und ich nehm ihr ganzes Gut da mit hinunter auf den Grund. – Das darf nicht sein, – sie muß es wieder haben, – vielleicht, – o, das Sterben! – das Sterben! – Wenn der Crosby mir begegnet, – mein Gott, hab Erbarmen!«

Ein Schüttelfrost befiel ihn, sein Gesicht verzerrte sich qualvoll, – ein flehender Blick traf den Gefährten.

»Und ich soll Bessy Crosby dieses Geld zurückbringen? Das wollen Sie doch?«

Der Sterbende nickte mit dem Kopfe.

»So will ich's.«

Dann ward sein Blick plötzlich drohend, neues Leben zuckte darin auf.

»Und wenn Sie es nicht tun, – wenn Sie, – dann, – dann sind Sie der Mitmörder des Crosby, und wenn einst Ihre Stunde, – – o, es stirbt sich hart mit so etwas, – glauben Sie mir, – und –«

Seine Stimme wurde plötzlich ganz leise, zitternd hob sich seine Brust.

»Sagen Sie der Bessy, daß sie mir vergeben soll, – daß ich alles bereue, – daß es mir nicht um das Geld zu tun war, – nur der Zorn, – sie war so lieb, die Bessy; – – der Mitmörder, hören Sie, – der –«

Ein langer Seufzer, – er schloß die Augen und sank in die Arme seines Gefährten zurück, das Paket noch immer in den verkrampften Fingern.

Der andere atmete schwer auf, die furchtbare Last des Bekenntnisses ruhte auf ihm. Er löste das Paket aus der Hand des Genossen, sah ihm noch einmal in das bleiche Antlitz und tat den stillen Schwur, seinen letzten Willen zu vollziehen, wenn er am Leben bliebe.

Als er aufblickte, war ein Riß im Nebel, der bis an das Ende der Klippenkette lief. Eine felsige Küste hob sich aus der Flut, – ein Freudenschrei entrang sich seiner Brust! – Noch einen Blick auf den Gefährten, ein Griff in die Tasche, wo sein Vermächtnis steckte, dann sprang er über das Geländer in die Flut.

Aus der ersten Klippe glücklich angekommen, blickte er zurück, er glaubte, sich etwas bewegen zu sehen auf dem verlassenen Mars, einen schwachen Ruf zu vernehmen, doch rasch wälzte sich der Nebel wieder da vor. Er hatte keine Zeit zu verlieren, noch lag eine weite Strecke vor ihm, und das Wasser war eisig kalt.

Die dritte Station war ein etwas breiterer Felsrücken, es gelang ihm, das kleine Plateau zu erklimmen; seine Kräfte waren erschöpft, die Glieder starr, und das Ufer schien noch endlos fern.

Wenn seine Notrufe nicht gehört wurden, wenn die Küste unbewohnt war, so fiel er den Seevögeln zum Fraß, die ihn in Scharen umkreisten, und Bessy erhielt nimmer ihren Schatz.

Er rief mit dem letzten Aufgebot seiner Kräfte; die Möwen und Albatros, die blitzschnellen, verhöhnten ihn mit ihrem Geschrei, das wie gellendes Gelächter rings umher klang; – dazwischen war es, als ob Henry Smidt, der Mörder, seinen Namen rief, – dann schwand ihm das Bewußtsein.

*

Er erwachte in einem Bett, in einer niederen, warmen Stube. Ein alter Mann saß beim Ofen und strickte ein Netz; sein erster Gedanke war der unglückliche Gefährte.

»Wie komme ich hierher?« fragte er.

Der Alte fuhr jäh zusammen, ließ das Netz fallen und rief in einer fremden Sprache mit einer rauhen Stimme etwas zur Tür hinaus.

Auf Holzschuhen klapperte ein baumlanger Mensch herein, stellte sich vor das Bett, die Hände in den weiten Hosen, und lachte gutmütig.

Bernhard Weltz – das war der Name des Geretteten – wiederholte seine Frage auf Englisch. Der junge Riese deutete immerfort lachend mit dem Finger auf seine eigene Brust.

»Auf den Snaks fanden wir Sie, wie einen gestrandeten Stör.«

Er deutete zu dem niedrigen Fenster hinaus.

»Wann?« fragte Bernhard.

»Gestern Morgen.«

»Und der andere? – Es ist ja noch einer, keine Viertelmeile von dem Platz, wo ich, – saht Ihr denn nicht den Mast? –«

Der Mann schob das Priemchen in die andere Ecke des Mundes und, immer lächelnd, nickte er schwerfällig. »Habe ich schon gesehen, aber erst heute. Gestern Nebel, – alles leer.«

Er strich langsam mit der Fläche der Hand durch die Luft.

»Wollen Sie sehen?« Er nahm von dem Schrank herab ein Fernrohr, öffnete das Fenster und stellte das Glas ein. »Gerade links am Fensterkreuz vorbei.«

Bernhards Hand war zu schwach, das Rohr zitterte in ihr. Der junge Mann hielt es ihm, nachdem es eingeschraubt war.

Ein glänzender Sonnenschein breitete sich draußen, dicht vor dem Fenster über das tiefblaue, leicht bewegte Meer, die Riffe ragten jetzt weit heraus. Er folgte der Kette bis zum letzten Glied. Da stand der Mast der ›Columbia‹ wie festgewachsen, der Mars war leer. Herausgefallen konnte der Gefährte nicht sein, das Geländer war zu hoch, das Wetter ruhig. Wenn er nochmals erwacht wäre und in seiner Verzweiflung den Tod in den Wellen gesucht hätte?

Oder hatte doch ein Schiff, ein Boot den Sterbenden oder den Toten aufgenommen? – Gleichviel, und selbst wenn er noch lebte, – der Auftrag an Bessy mußte erfüllt werden.

»Wo bin ich hier?« fragte er weiter.

»Kap Sable! Neu-Schottland.«

»Wie kann man am schnellsten das amerikanische Festland erreichen?«

»Von Sormsuth, zehn Seemeilen von hier, – Dampfer nach Belfast jeden Mittwoch,« antwortete der Blondkopf.

»Sind keine Boote gelandet hier, in der Nähe von der ›Columbia‹, das ist nämlich die ›Columbia‹ da draußen. Liverpooler Steamer, hundertundfünfzig Passagiere.«

Er erregte sich über die Kälte dieses Menschen.

»Nichts gehört,« erwiderte der, ohne aus seiner Ruhe zu kommen. »Hatten scharfen Südwest, werden gegen Norden getrieben sein.«

»Hältst du es für möglich, daß ein Schiff oder ein Boot zwischen heute und gestern während des Nebels die ›Columbia‹ dort passiert und meinen Kameraden mitgenommen hat?«

»Ein Schiff oder Boot? Möglich wär's, warum nicht, nach Halifax, – aber einen toten Mann nimmt man nicht an Bord.«

»Wer sagt dir denn, daß der Mann tot war, oder hältst du es für unmöglich, daß er aushielt?«

»Sie hätten's ja auch nicht mehr ausgehalten, keine Stunde mehr, wenn wir nicht gekommen wären, der Alte dort und ich, wir holten unsere zerfetzten Netze; – verdammter Südwest das! Wer denkt daran, bei der Zeit! Alles verkehrt seit ein paar Jahren.«

Der Mann wurde jetzt von einer Frauenstimme gerufen.

»Ja, er hat recht, er konnte es nicht aushalten, auch wenn noch Leben in ihm war, als ich ihn verließ,« dachte Bernhard und blickte immer wieder durch das Rohr. Oft war es ihm, als erblicke er etwas, als stände der Unglückliche aufrecht am Mast und drohte zu ihm herüber, aber daran war nur die Schwankung seiner zitternden Hand schuld. Ein Mörder fand seinen verdienten Lohn, was weiter!

Das Paket auf seiner bloßen Brust drückte ihn wie eine schwere Last.

Die Sonne sank glühend herab in das Meer, schwarz hob sich jetzt der Mast der ›Columbia‹ von der wallenden Glut, er konnte den Blick nicht von ihm wenden. – –

II.

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Der Mord auf Crosbys Ranch machte den ganzen Winter viel von sich reden. Solche Bluttaten gehörten in den letzten Jahren zu den Seltenheiten, und gerade dieses County erfreute sich der größten Sicherheit. Außerdem genoß Tom Crosby als alter Pionier von Missouri überall die größte Achtung, obwohl seine Feinde alte Gerüchte über seine etwas zweifelhafte europäische Vergangenheit immer von neuem aufwärmten; doch damit nahm man es hierzulande nicht so genau. Auf neuem Boden ein neues Leben! Wer nur das Richtige anfängt und in diesem ein richtiger, brauchbarer Bürger wird.

Am meisten Teilnahme aber erregte bei dem blutigen Ereignisse die Tochter Crosbys, die vielumworbene Bessy, welche damit ihr ganzes Vermögen verlor und anstatt mit ihrem Vater, der gegen ihre dringende Vorstellung die Farm um einen allerdings sehr hohen Preis verkauft hatte, in die Großstadt zu ziehen, nun auf ihrem früheren Eigentum, wo sie die Herrin so vortrefflich zu spielen verstanden, dienen mußte.

Mac Taylor, ein Irländer, der neue Besitzer von Crosbys Ranch, machte ihr sofort großmütig den Antrag, als Wirtschafterin einzutreten, ihre Tüchtigkeit wohl kennend, und zur allgemeinen Verwunderung nahm sie den Antrag an, obwohl jeder wußte, daß sie erst kurz zuvor dem Sohne desselben Mannes, zum Verdrusse beider Väter, einen Korb gegeben. Man konnte sich das nur aus der übergroßen Anhänglichkeit Bessys an die alte Heimat erklären, wie hätte sie sonst die Demütigung ertragen, den abgewiesenen Freier zum Dienstherrn zu haben; ja, man vermutete fast, ihr Stolz sei durch das plötzliche Unglück völlig gebrochen, und sie hoffe, ihre übereilte Abweisung wieder gut machen und auf diese Weise wieder Herrin werden zu können auf Crosbys Ranch.

Sie änderte nichts in ihrem selbstbewußten, schroffen Wesen; wie zuvor sah man sie jede Woche zweimal zu Pferd oder zu Wagen nach Pèoria kommen, ihre Geschäfte, Ein- und Verkäufe, zu besorgen. Sie ließ sich nichts anmerken von ihrer Dienststellung, und die Leute wollten sie nicht kränken mit darauf bezüglichen Fragen, oder sie wagten es nicht, solche zu stellen. Beileidsbezeugungen, Ausdrücke des Mitleids über das unglückliche Ende des Vaters wies sie schroff ab. Jungen Männern, welche die stolze Bessy jetzt gefügiger glaubten und sich mit neuem Mut an sie heranwagten, ging es noch schlimmer, wie früher. Es war dies um so mehr zu verwundern, als der junge Taylor, ein roher, trunksüchtiger Mensch, öffentlich in allen Wirtshäusern erklärte, es fiele ihm gar nicht ein, dieses hochnäsige Bettelkind zu heiraten, zur Arbeit sei sie ja ganz recht, und es freue ihn, gerade ihr befehlen zu können.

Auf was wartete sie denn noch, daß ihr keiner gut genug war?

»Auf die fünfzigtausend Dollar, die ihr der Henry Smidt schickt, um Crosbys Ranch zurückzukaufen,« sagte ein Spottvogel.

Diese Worte machten die Runde im ganzen County, sie kamen auch Bessy wieder zu Ohren.

»Das ist viel eher möglich, als daß ich von diesen Einfaltspinseln einen zum Mann nehme,« erwiderte sie darauf. »Ich bin überzeugt, daß er den Vater nicht um des Geldes willen umgebracht hat. Weiß Gott, wie es zuging, er war oft recht hart mit ihm, der Vater.«