Endlich Ferien! Ein Zauberwort, das bei Erwachsenen wie bei Kindern höchste Glücksgefühle auslöst. Endlich den Alltag hinter sich lassen, frei sein für unbekannte Abenteuer, aufbrechen zu unbekannten oder lieb gewonnenen Orten, um Neues zu erleben oder einfach nur das zu tun, wozu man Lust hat. Man kann an die Ostsee fahren und dort auf einer Palmeninsel stranden wie Gustav mit der Hupe und seine Freunde, ein Schiff besteigen und auf dem Mond landen wie Münchhausen oder die sächsischen und Thüringer Täler und Höhen durchwandern wie Erich Kästner und seine Mutter. Es gibt so viele Möglichkeiten …
Erich Kästner behauptete zwar später, er reise nicht gern, aber er war viel zu neugierig, viel zu interessiert an der Welt, als dass man ihm diese Behauptung wirklich glauben könnte. Er liebte die See und die Berge und entdeckte früh, dass beides zusammen für ihn das Schönste überhaupt war, das ideale Ferienziel. So wie er es in seinem Modernen Reiselied besungen hat:
Wem Gott will rechte Gunst erweisen
(vorausgesetzt, dass es ihn gibt),
den lässt er in ein Seebad reisen,
besonders wenn er Berge liebt.
Ich wünsche allen Lesern, ob am Strand oder in den Bergen, ob unterwegs oder wieder zu Hause, viel Zeit und Muße, Kästners vorwiegend heitere Geschichten und Gedichte zu lesen und ihre Freude daran zu haben.
München, Frühjahr 2018
Sylvia List
Korlsbüttel ist keiner von den großen Badeorten. Noch vor zehn Jahren hatte Korlsbüttel nicht einmal einen Bahnhof. Damals musste man auf der Strecke Lübeck–Stralsund in einem kleinen Nest aus dem Zug steigen, das, wenn ich nicht irre, Stubbenhagen hieß. Dort stand, wenn man besonderes Glück hatte, irgendein altmodisches Fuhrwerk, das mit einem schweren mecklenburgischen Gaul bespannt war, und zockelte die Badegäste nach Korlsbüttel hinüber. Auf zerfahrenen, sandigen Waldwegen. Links und rechts dehnte sich die Heide. Die Wacholderbüsche standen wie grüne Zwerge zwischen den hundertjährigen Eichen und Buchen. Und manchmal fegte ein Rudel Rehe durch die Stille. Und von den Kohlenmeilern, die auf den Waldwiesen lagen, stieg blauer, beizender Rauch in die Sommerluft empor. Es war wie in Grimms Märchen.
Heute ist das anders. Heute fährt man, ohne umzusteigen, bis Korlsbüttel, stiefelt vornehm aus dem Bahnhof, gibt seinen Koffer einem Gepäckträger und ist in drei Minuten im Hotel und in zehn Minuten am Meer. Ich glaube, dass es früher schöner war. Damals war es mit Schwierigkeiten verbunden, ans Meer zu kommen. Und man soll Schwierigkeiten, die einem Ziel im Wege stehen, nicht unterschätzen. Sie haben ihr Gutes.
Halb Korlsbüttel war am Bahnhof, um den Ferienzug zu empfangen. Der Bahnhofsplatz stand voller Leiterwagen, Kutschen, Dreiräder, Tafelwagen und Karren. Man erwartete viele Gäste und noch mehr Gepäck.
Fräulein Klotilde Seelenbinder, Haberlands altes Dienstmädchen, lehnte an der Sperre und winkte, als sie den Justizrat erblickte, mit beiden Händen. Er überragte die aus dem Zug strömenden Menschen um Haupteslänge. »Hier bin ich!«, rief sie. »Herr Justizrat! Herr Justizrat!«
»Schreien Sie nicht so, Klotilde«, sagte er und schüttelte ihr die Hand. »Lange nicht gesehen, was?«
Sie lachte. »Es waren doch nur zwei Tage.«
»Ist alles in Ordnung?«
»Das will ich meinen. Guten Tag, gnädige Frau. Wie geht’s? Ein Glück, dass ich vorausgefahren bin. So ein Haus macht Arbeit. Guten Tag, Theo! Du bist blass, mein Liebling. Fehlt dir was? Und das ist sicher dein Freund Emil. Stimmt’s? Guten Tag, Emil. Ich habe schon viel von dir gehört. Die Betten sind überzogen. Heute Abend gibt’s Beefsteak mit Mischgemüse. Das Fleisch ist billiger als in Berlin. Ach, und das ist Pony Hütchen, Emils Kusine. Das sieht man sofort. Diese Ähnlichkeit! Hast du dein Fahrrad mitgebracht? Nein?«
Emils Großmutter hielt sich die Ohren zu. »Machen Sie ’ne Pause!«, bat sie. »Machen Sie ’ne Pause, Fräulein. Sie reden einem ja Plissee in die Ohrläppchen. Ich bin Emils Großmutter. Guten Tag, meine Liebe.«
»Nein, diese Ähnlichkeit!«, meinte Haberlands Dienstmädchen.
Dann verneigte sie sich und sagte: »Klotilde Seelenbinder.«
»Ist das ein neuer Beruf?«, fragte die Großmutter.
»Nein. Ich heiße so.«
»Sie Ärmste!«, rief die Großmutter. »Gehen Sie doch mal zum Arzt. Vielleicht verschreibt Ihnen der einen anderen Namen.«
»Ist das Ihr Ernst?«, fragte Klotilde.
»Nein«, erwiderte die Großmutter. »Nein, Sie kluges Geschöpf. Ich bin fast nie ernst. Es lohnt sich zu selten.«
Dann wurden die Koffer und Taschen auf einen Tafelwagen geladen. Den Wagen hatte Klotilde vom Fuhrhalter Kröger geliehen, und ein Knecht zog ihn. Emil und der Professor schoben. So ging’s die Blücherstraße entlang. Die Erwachsenen und Pony spazierten hinterdrein.
Plötzlich hupte es laut. Aus einem Seitenweg bog, in voller Fahrt, ein Motorrad. Das Motorrad bremste. Krögers Knecht hielt den Wagen an und fluchte, dass die Fensterscheiben der Umgegend zitterten. Glücklicherweise fluchte er plattdeutsch.
»Nu treten Sie sich bloß nicht auf den Schlips!«, rief der Motorradfahrer. »Is ja alles halb so wichtig.«
Emil und der Professor guckten erstaunt hinter den Koffern vor und brüllten begeistert: »Gustav!« Sie rannten um Krögers Wagen herum und begrüßten den alten Freund.
Der legte vor Schreck sein Motorrad auf die Straße, schob die Schutzbrille hoch und sagte: »Das hätte mir gerade noch gefehlt, Herrschaften! Dass ich meine zwei besten Freunde zerquetscht hätte! Eigentlich wollten wir euch nämlich von der Bahn abholen.«
»Gegen sein Schicksal kann keiner an«, behauptete eine Stimme aus dem Straßengraben.
Gustav blickte erschrocken auf sein Rad. »Aber wo ist denn der kleine Dienstag?«, rief er. »Er saß doch eben noch hinter mir!«
Sie blickten in den Straßengraben. Dort hockte der kleine Dienstag. Passiert war ihm nichts. Er war nur hoch im Bogen ins Gras geflogen. Er lachte den Freunden entgegen und sagte: »Die Ferien fangen ja gut an!« Dann sprang er auf und schrie: »Parole Emil!«
»Parole Emil!«, riefen sie alle vier und setzten einträchtig den Weg fort.
Die Erwachsenen folgten weit hinten. Sie hatten überhaupt nichts gemerkt. […]
Nach dem Frühstück erschien Dienstag auf der Bildfläche und holte sie zum Baden ab. Der Justizrat und seine Frau blieben zu Hause. Aber alle anderen, die Großmutter inbegriffen, pilgerten zum Strand. Die Jungen beschlossen, barfuß zu gehen. Das sei gesund.
Droben auf der Düne machten sie halt. Die Ostsee sah ganz anders aus als am Abend vorher. Grünlich und blau glänzte sie. Und manchmal, wenn Wind aufkam, schillerte sie golden, dass man die Augen schließen musste. Die Großmutter setzte eine Sonnenbrille auf, die ihr Fräulein Klotilde Seelenbinder geliehen hatte.
Unten am Strand wimmelte es, soweit man sehen konnte, von Strandkörben, Sandburgen, Fähnchen, Wimpeln und Menschen.
Manchmal liefen Wellen über den Meeresspiegel. Und Pony bemerkte: »Das sieht aus, als ob ein unsichtbarer Verkäufer auf einem unendlichen Ladentisch schillernde Seide aufrollt.«
Die vier Jungen schauten einander vielsagend an und schwiegen. Nur der kleine Dienstag konnte sich nicht beherrschen und platzte laut heraus.
»Blöde Bande«, sagte Pony und schlug den Strandweg ein. Emil und die Großmutter folgten ihr lächelnd. Als sie eine Weile gegangen waren, drehte sich Emil nach den Freunden um. Die standen in einiger Entfernung still und machten keine Anstalten weiterzulaufen.
»Wo bleibt ihr denn?«, rief Emil.
Sie setzten sich langsam in Bewegung. Aber schon nach ein paar Metern streikten sie von neuem. Gustav hüpfte auf einem Bein und schimpfte schrecklich.
Die Großmutter lachte. »Deine Berliner sind das Barfußlaufen nicht gewöhnt. Der Kiesweg stört sie.«
Emil lief zurück. Gustav zog ein schiefes Gesicht und knurrte: »Mensch, das soll gesund sein?«
Und der Professor erklärte: »Ich danke für Obst. Meine Fußsohlen sind doch nicht aus Rindsleder!«
»Nie wieder barfuß!«, schwor Dienstag und versuchte den nächsten Schritt. Er stieg wie ein Hahn auf den Mist.
Gustav ging vom Weg herunter und wollte im Gras weitergehen. Es war aber gar kein Gras, sondern Strandhafer. Und der schnitt ihm so in die Waden, dass er wütend »Aua!« schrie und auf den Kies zurückkam.
Emil erklärte: »Der Strandhafer enthält viel Kieselsäure.«
Gustav sagte: »Ich hätte nie gedacht, dass Kieselsäure so spitz ist. Da kann man genauso gut zwischen Rasiermessern herumlaufen.«
Emil erzählte noch einiges vom Aufbau der Pflanzenzellen und von der Beschaffenheit der Sand- und Strandgewächse im Besonderen.
Doch der Professor meinte: »Alles ganz schön und gut. Du magst zwar ein enormer Botaniker sein. Aber ich renne rasch in meine Villa zurück und hole meine Turnschuhe.«
Das tat er denn auch. Gustav und Dienstag rannten hinter ihm her.
Emil ging zu seiner Großmutter. Sie setzten sich auf eine Bank und betrachteten das Meer. An der Brücke lag gerade ein kleiner weißer Küstendampfer. Der Junge suchte Pony. Sie war schon weit voraus. […]
Schließlich landeten alle miteinander im Familienbad.
Die Großmutter setzte sich in den Sand, zog die Schuhe und Strümpfe aus und ließ die Füße von der Sonne bescheinen. Außerdem behütete sie die Badetücher, die man mitgebracht hatte.
Die Jungens nahmen Pony in die Mitte, fassten einander bei den Händen und rannten mit Gebrüll in die Wellen hinein. Eine dicke Dame, die nicht weit vom Ufer im Meer saß und still vor sich hin döste, schluckte bei dieser Gelegenheit Wasser und schimpfte wie am Spieß.
Die Großmutter schürzte den Rock, ging ein paar Schritte ins Wasser und fragte höflich: »Waren Sie auch einmal jung, meine Dame?«
»Natürlich« war die Antwort.
»Na also«, meinte die Großmutter. »Na also.« Und ohne ausführlicher zu werden, setzte sie sich wieder in den warmen Sand und blickte fröhlich hinter den jauchzenden Kindern her. Jetzt sah man nur noch die Köpfe. Und auch die nicht immer.
Gustav schwamm am schnellsten. Und als erster kletterte er auf das große Sonnenbrett, das draußen verankert lag und auf dem sich die Schwimmer ausruhten. Pony und Emil schwammen gleich schnell und halfen einander beim ›Landen‹. Dienstag und der Professor kamen wesentlich später.
»Wie macht ihr das bloß?«, fragte Dienstag, als er neben den Freunden auf den Planken saß. »Warum schwimmt ihr denn schneller als Theo und ich?«
Der Professor lachte. »Mach dir nichts draus. Wir sind eben Geistesarbeiter.«
Gustav sagte: »Mit dem Kopf hat das nur insofern zu tun, als ihr ihn zu hoch übers Wasser haltet. Ihr müsst kraulen lernen!« Er ließ sich von der Planke herunterrollen, plumpste in die Ostsee und zeigte ihnen, wie man krault.
Pony fragte ihn: »Was verlangst du für die Stunde?«
Er holte tief Atem, tauchte lange, kam prustend wieder zum Vorschein und meinte: »Sechzig Minuten!«
Dann schwammen sie alle wieder zurück. Gustav kraulte ihnen etwas vor. Sie versuchten es nachzumachen. Dabei stieß der Professor mit einem Herrn zusammen, der sich auf den Rücken gelegt hatte und gemächlich hinausschwamm. »Pass besser auf!«, rief der Herr. »Wo hast du denn deine Augen?«
»Unter Wasser«, antwortete der Junge und kraulte wie eine Schiffsschraube hinter den Freunden her.
Hier bist du. Und dort ist die Natur.
Leider ist Verschiedenes dazwischen.
Bis zu dir herüber wagt sich nur
ein Parfüm aus Blasentang und Fischen.
Zwischen deinen Augen und dem Meer,
das sich sehnt, von dir erblickt zu werden,
laufen dauernd Menschen hin und her.
Und ihr Anblick macht dir Herzbeschwerden.
Freigelassne Bäuche und Popos
stehn und liegen kreuz und quer im Sande.
Dicke Tanten senken die Trikots
und sehn aus wie Quallen auf dem Lande.
Wo man hinschaut, wird den Augen schlecht,
und man schließt sie fest, um nichts zu sehen.
Doch dann sieht man dies und das erst recht.
Man beschließt, es müsse was geschehen.
Wütend stürzt man über tausend Leiber,
bis ans Meer, und dann sogar hinein –
doch auch hier sind dicke Herrn und Weiber.
Fett schwimmt oben. Muss das denn so sein?
Traurig hängt man in den grünen Wellen,
vor der Nase eine Frau in Blond.
Ach, das Meer hat nirgends freie Stellen,
und das Fett verhüllt den Horizont.
Hier bleibt keine Wahl, als zu ersaufen!
Und man macht sich schwer wie einen Stein.
Langsam lässt man sich voll Wasser laufen.
Auf dem Meeresgrund ist man allein.
Die Old Hennessy, ein englischer Frachtdampfer, lag seestichfertig an der Langen Linie. Sie war, mit Kopenhagener Porzellan, für China bestimmt. Die Mannschaft versoff im Tivoli ihre Heuer. Die Bordwache saß in einer Schifferkneipe in der Frederiksgade. –
Zwei ziemlich blaue Jungens standen am Kai. Ernst spuckte in den Sund und sagte mit rissiger Kehle: »Wackerer Schoner, die Old Hennessy! Macht gut ihre acht Knoten bei günstiger Bö.« Erich verschluckte seinen Priem und knurrte: »Mit so lütten Speigatten nich.« – »Wetten?«, fragte Ernst und zog die Hosen hoch. Bei diesen Worten enterten beide bordseits. Höhnischen Blicks maß Erich die Speigatten. Ernst raffte den Anker und schrie gellend durch den Orkan: »Alles klar!«
Das Schiff schoss durch die finstere Nacht. Erich stapfte durch die Takelung zum Topp hinauf und hisste das Großsegel. Während er den Schalter fürs Topplicht nicht fand, suchte Ernst aufmerksam durchs Bullauge den Horizont ab. Dann eilte er ans Ruder und gab Süd einen Strich West. Umgehend gehorchte der bebende Schiffsleib und rauschte majestätisch in seinem Kielwasser auf und davon. Er sollte Kopenhagens Mädchen niemals wiedersehen.
Da sich das Meer inzwischen gestillt hatte, begaben sich die beiden Teerjacken zur Messe, wo bereits frisches Walfleisch im Kessel brodelte. So tüchtig sie auch zugriffen, ließen sie doch den Sextanten nicht aus dem Auge, welcher schon wieder Sturm anzeigte. Und richtig, als sie die Köpfe durch die Luke steckten, rollten die salzigen Fluten, Woge auf Woge, über Deck. Die Old Hennessy schien ein Opfer des ergrimmten Neptun werden zu sollen. Erich fluchte auf Englisch: »God save the king.« – Ein eisiger NO-Passat heulte in Strömen. An der Spitze des Besanmastes bildeten die zuckenden Blitze ein wahres Elmsfeuer. Ein Donnerschlag legte den Fockmast achtern. Das Schiff krengte wie ein angeschossenes Torpedo. Die Reling leckte stark. Die Großschott zersprang klirrend. Der Kompass tickte unruhig. Das Topplicht erlosch. Da senkte sich eine rabenschwarze Windhose auf das Schiff! Der Bugspriet ging langsam über Bord. Mittelschiffs schlugen Flammen aus der Kombüse. Die Kommandobrücke sackte in die Tiefe!
Als zu erkennen war, dass selbst ein Doppel-Nelson das Schiff nicht hätte retten können, nahm Ernst den Hut ab und intonierte das Seemannslos. Erich fiel ein. Und vor beider Augen verschwand die Old Hennessy. Auf 31 Grad 15 Minuten und 6 Sekunden nördlicher Breite trieben zwei Schiffbrüchige umher.
Eine Woche später nahm der Heringskutter Stolz von Pasewalk die beiden, auf gänzlich durchweichten Logbüchern Treibenden an Bord. Ihre Haare waren von A bis Z gebleicht. Wie hungrige Möwen fielen sie mit ihren Löffeln über die duftende Bohnensuppe her. Beim letzten Bissen meldete der Rudergast: »Land in Sicht!« Ernst und Erich nahmen bewegten Abschied und schenkten, bevor sie an Land gingen, dem braven Kapitän ein zwölfteiliges Teeservice. Es war das Einzige, was sie beim Untergang der Old Hennessy hatten retten können. – Sie landeten in Stettin und traten anschließend in die Reichswehr ein.
Postkarte aus Hornbæk, 7.8.1926
Mein liebes Muttchen! Heut nach dem Mittag sind wir per Zug bisschen an der Küste entlanggefahren und in Hornbæk, dem größten Badeort der Gegend, ausgestiegen. Aber Gilleleje ist viel schöner. Da gehen wir im Trikot aus dem Hotel an den Strand. Abends wundervolle Sonnenuntergänge. Überall Rosenhecken und Heidekraut, das blüht. Wetter wunderbar. Donnerstag früh werden wir hier wieder abgondeln. Bis Helsingör. Freitag Kopenhagen. Nachts mit Schiff nach Bornholm. Dort vielleicht paar Tage bleiben. Dann Saßnitz – Stralsund. Montag oder Dienstag hab ich von Dir wohl ein Briefchen. Auf frohes Wiederschaun Dein Junge.
Man nennt diese Küste hier die dänische Riviera. Das ist wirklich ein passender Name. Tausend Grüße. Auch an Papa.
Nachsatz Ilse Julius:
Hier könnte man wohl sein Leben lang seine Ferien verbringen, so schön ist das Meer & die Küste. Viel zum Wohlbefinden trägt auch das famose Essen bei. Herzlichste Grüße!
Ilse
Manches sieht man, wenn man reist.
Beispielsweise, wie sie essen.
Denn in Östreich wird gegessen,
und in Frankreich wird gespeist
und in Dänemark – gefressen.
Ach, wir standen vor den Tischen,
und wir staunten uns ein Loch.
So ein Berg von Krebs und frischen
Schinken, Bieren, Würsten, Fischen!
Und der Hummer lebte noch.
Um die Fremden nicht zu kränken,
tut der Deutsche, was er kann.
Voll von Speisen und Getränken
sanken wir von unsern Bänken.
Und die Dänen sahn uns an …
Und sie löffelten und stachen
mit den Gabeln rings umher.
Und sogar die Tische brachen!
Stunden eilten. Und wir sprachen
vor Ergriffenheit nicht mehr.
Nein, so was ist nicht zu glauben,
wenn man’s nicht gesehen hat.
Später kauten sie dann Tauben
und dann Käse, Eis und Trauben.
Doch sie waren noch nicht satt!
Sollen wir das Volk beneiden?
Doch das ist nicht unsre Art.
Wir sind arm und sind bescheiden;
und mit einem Magenleiden
wird oft sehr viel Geld gespart.
Aus Briefen an Luiselotte Enderle
11. Juli 1966
Liebe Lotte,
vielen Dank für 4mal Post! […] Das Wetter war ideal. Heute Sturm. Aber sehr malerisch. Und immer Boote, Frachter, Überseedampfer, Jachten vor den Augen, wundervoll. Also die Geographie: Nördlich von Kopenhagen, am Sund-Vorortbahnhof, 3mal pro Stunde Züge nach und von Kopenhagen. Fahrtdauer ½ Stunde. Wie München–Starnberg etwa. (Ich kauf mal paar Ansichtskarten und schick sie.)
Fünf Gehminuten vom Hotel und Meer aus beginnt der Königliche Tierpark. Mit Rieseneichen und -buchen. Und 5000 Rehen und Hirschen, die auf Greifweite nahe kommen. Und einem Barockschlösschen, wo im Herbst das Halali mit Königs gefeiert wird. Dann sind’s nur noch 4000 Rehe. Und im Herbst drauf wieder 5000. Man kann laufen, in den Wiesen sitzen und mit Droschkenkutschen fahren. Hünengräber gibt’s auch. Aber das Tollste sind doch die Bäume. Bis zu 800 Jahre alt.
Daneben, auch 5 Min. vom Meer, der älteste Kinderrummelplatz Dänemarks. Vor 150 Jahren gegründet. Das Vorbild des »Tivoli« in Kopenhagen. Heißt »der Bakken«. Warum, weiß ich nicht.
Das wäre also eine Prise Geographie. Karten folgen morgen. Am Sonntag (17.7.) geht’s nach Berlin. Dann bricht hier die Hochsaison aus. Es wird voller und teurer. Hat keinen Zweck. Na, in Lübbars (bei Hermsdorf) kann er auch schwimmen. Und die Bronchitis ist völlig vorbei. Die Luft ist prima. Tut auch mir gut. Und in München so ein Mistwetter? Wie schade.
12. Juli 1966
Liebe Lotte, richtig schöne Karten gibt’s leider nicht. Aber einen kleinen Eindruck hat man vielleicht doch: Schloss Eremitage, mitten im Tierpark, rechts unten der Park-Eingang.
10. Juli 1967
Für die gelben Kuverts hab ich noch kein Nachporto zahlen müssen. Aber sonst sind die Dänen sehr geldgierig. Außer den Service-Prozenten muss man noch, auch in Läden, zehn Prozent Staatssteuer zahlen! Trotzdem, ein nettes kleines Land. Schon die Sprache! Am Tierpark steht für Motorfahrzeuge ein Verbotsschild: »Knallert forbudt!« Das verstehe sogar ich, als Nichtdäne und Nichtknallert.
Bellevue Strandhotel, Klampenborg, 181967