VORWORT
I. FAMILIENBANDE
Umfeld und Persönlichkeit
II. ZU DRITT IST MAN STÄRKER ALS ALLEIN
Die Künstlerkompanie
III. THEATER, TRÄNEN UND INTRIGEN
Bilder für das Burgtheater
IV. ZENSUR ZWECKLOS
Der Kampf um die Fakultätsbilder
V. KUNST FÜR ALLE UND ÜBERALL
Präsident der Secession
VI. DER „ALTE ESEL“ UND „DAS SCHÖNSTE MÄDCHEN WIENS“
Die Liebesaffäre mit Alma Schindler
VII. DAS LIEBE GELD
Das Ende des Materialbilds
VIII. DIE BEETHOVEN-AUSSTELLUNG
Geniekult und Götterdämmerung
IX. DER KÜNSTLER ALS „PROPHET“
Das Vorbild Karl Wilhelm Diefenbach
X. DIE FRAU ALS ORNAMENT
Porträtist der schönen Wienerin
XI. GEFÜHL VERSUS VERNUNFT
Die Rolle der modernen Wissenschaft
XII. GESCHLECHTERKAMPF IN WIEN
Frauenrechte und Selbstliebe
XIII. AUF DEM LAND UM 1900
Sommerfrische am Attersee
XIV. FOTOKUNST UND MODE
Emilie Flöge und die Reformkleider
XV. ASIEN, AFRIKA, WIEN
Exotische Einflüsse
XVI. MENSCHENVERACHTUNG UND FASZINATION
Das vergessene Porträt eines Stammesfürsten
XVII. DAS WILDE KABINETT
Die letzten Ausstellungen
XVIII. KUNST UND ANTISEMITISMUS
Die starken Frauen
XIX. DAS ENDE
Die letzten Jahre
XX. KLIMT-AUSSTELLUNGEN OHNE KLIMT
Zur Rezeptionsgeschichte
ANHANG
I. Gustav Klimt (1862–1918)
II. Ateliers
III. Bibliothek
IV. Ausstellungen bis 1918
V. Biografien
VI. Literatur
Anmerkungen
Personenregister
Warum Klimt? Warum jetzt? Nach gefühlt Tausenden von Büchern über ihn und seine Kunst! Weil wir uns nach den vielen Jahren, die wir uns mit Gustav Klimt beschäftigen, nachdem wir selbst einige Bücher über ihn beigesteuert haben, fragen mussten, wie es so weit kommen konnte, dass seit Christian M. Nebehays 1969 erschienener Klimt-Dokumentation keine umfassende Biografie mehr publiziert wurde.
Über viele Teilbereiche wurde natürlich ausführlich geforscht und geschrieben, über so manchen Teilbereich, etwa „Klimt und die Frauen“, bis zur Erschöpfung. Aber eine Klimt-Biografie, die auf Quellenstudien fußt und den aktuellen Forschungsstand kennt, die konnten wir nicht finden. Zur großen Freude von Verleger Nikolaus Brandstätter, der uns mit unserem Vorhaben sofort unter Vertrag nahm. Darum also Klimt – nicht als Dokumentation, sondern als Biografie.
Und warum jetzt? Weil zwar im letzten der zahlreichen Jubiläumsjahre rund um Gustav Klimt kein neues Buch mehr Platz zu haben scheint auf den Regalen, die sich aufgrund der Klimt-Literatur biegen. Aber wenn nicht jetzt, wann dann? Wann wäre ein besserer Moment, um ausführlich mit den vielen Anekdoten aufzuräumen, die sich um seine Person ranken. Sie klingen zwar aufregend und halten sich schon so lange, dass man fast wehmütig Abschied nimmt – doch viele lassen sich nicht belegen. Und wir meinen, dass weder Klimt als Mensch noch Klimts Kunst Legendenbildung nötig hat. Es gibt so vieles, worüber man schreiben kann: Seine respektvolle Wertschätzung gegenüber Frauen, die bei genauerer Betrachtung emanzipatorische Kraft besitzt und in den patriarchalen Zeiten des Fin de Siècle geradezu revolutionär wirkt; sein Interesse an Kunst aus anderen Kulturen und wie das seine eigene Arbeit beeinflusst hat; seine Pionierleistung als Ausstellungsmacher in der Secession; seine verschwenderische Großzügigkeit; sein unbeugsamer Kunstgeschmack, für den er gekämpft hat.
Gustav Klimt war stur und zielstrebig, selbstbewusst und uneitel. Er hat für seine Kunst und durch seine Kunst gelebt und sich nicht verbogen. Auch nicht vor dem Adel; dem österreichischen Staat hat er sowieso den Rücken zugekehrt – zugewandt hat er sich allerdings wenig zeittypisch den jüdischen Intellektuellen und Kunstfreunden. Man hat seine Arbeit darum auch „Bankdirektorenkunst“ genannt und dabei verkannt, dass in Wien um 1900 Antisemitismus offen ausgelebt und diskutiert wurde. Das jüdische Großbürgertum machte ihn zu ihrem Porträtisten, weil er einer der wenigen Künstler von Rang war, die liberal genug waren, diese Aufträge anzunehmen, auch wenn das in Folge andere Aufträge ausschließen würde. Das jüdische Großbürgertum machte ihn aber auch darum zu ihrem Porträtisten, weil wenige andere Großbürger der zeitgenössischen Kunst gegenüber aufgeschlossen waren.
Es war lange Zeit eine Win-Win-Situation – bis 1938. Gustav Klimt wurde erfolgreich durch seine jüdischen Mäzene, die im Krieg alles verloren haben. Mit ihrem Verschwinden verschwindet auch Klimt aus dem Fokus der Kunstgeschichte – und taucht erst wieder auf, als Restitutionsforderungen öffentlich diskutiert wurden und die Preise auf dem Kunstmarkt für Klimts Werke exorbitant stiegen. Die Klimt-Rezeption – der letzte Schwerpunkt dieses Buches – ist untrennbar mit der Geschichte der Juden in Wien und der Welt verbunden. Diese Aufarbeitung steht noch am Anfang. Die Autoren danken den Expertinnen Olga Kronsteiner und Monika Mayer für ihre wertvollen Hinweise.
„Das muss ein Pfarrer werden!“, ruft die Großmutter von Gustav Klimt aus, als sie den Neugeborenen zum ersten Mal sieht. Doch weit gefehlt. Zwar entwickelt sich der propere Säugling zu einer imposanten Persönlichkeit, doch anstatt Pfarrer wird er einer der wichtigsten Künstler Österreichs, mit großem Talent zu Skandalen.
Die handwerklichen und musikalischen Neigungen liegen in der Familie. Der Vater Ernst Klimt (1834–1892) ist Graveur und Goldschmied mit böhmischen Wurzeln, die Mutter Anna (1836–1915), gebürtige Wienerin, wollte in ihrer Jugend zur Oper, ein Weg, der ihr verschlossen bleibt. Anna Klimt wird als fröhlich und liebevoll beschrieben, ihr Mann hat ein aufbrausendes Temperament, das er auch dem erstgeborenen Sohn Gustav vererbt. Das Einkommen des Vaters reicht oft nicht aus, um Miete und Essen zu bezahlen. Immer wieder muss umgezogen werden, von einer „Zinskaserne“ zur nächsten.1 „Zinskaserne“ heißt: enge Stiegen, oft fensterlose Räume, fließendes Wasser und Sanitäranlagen auf dem Flur, die sich alle Bewohner eines Stockwerks teilen. Hier geht es rau und unbarmherzig zu. Wer mit der Miete in Rückstand gerät, fliegt raus. Gustavs Schwester Hermine hat in späteren Jahren einen Bericht über das Leben ihres Bruders verfasst. Wie groß die Not oft war, davon spricht ein Eintrag über Weihnachten: „Es gab zu Weihnachten nicht einmal Brot im Haus, geschweige denn Geschenke.“2 Die finanziell angespannte Situation bessert sich erst langsam, als Gustav und sein Bruder Ernst anfangen, Geld zu verdienen. „Ich erinnere mich noch gut, wie er [Gustav] die ersten selbst verdienten Gulden der Mutter auf den Tisch zählte“,3 berichtet Hermine in einem Interview für das Neue Wiener Tagblatt, das mehr als zwanzig Jahre nach Gustav Klimts Tod abgedruckt wird.
Insgesamt sind die Klimt-Geschwister zu siebt. Die älteste Tochter Klara (1860–1937) leidet schon als junges Mädchen an Depressionen, damals noch „stiller Trübsinn“ genannt. Sie bleibt unverheiratet und bildet gemeinsam mit Mutter und Schwester Hermine die Kernfamilie, die sich lebenslang mit Gustav eine Wohnung teilen. Viel mehr wissen wir nicht über Klara. Gustav (1862–1918) wird als zweites Kind geboren, sein Bruder Ernst (1864–1892) kommt zwei Jahre nach ihm zur Welt. Die beiden verbindet neben ihrer zeichnerischen Begabung auch eine große Zuneigung. Gemeinsam besuchen sie die Kunstgewerbeschule in Wien und gründen 1882 mit Franz Matsch die Künstlerkompanie, die sie bis zu Ernsts viel zu frühem Tod erfolgreich betreiben.
Hermine (1865–1938) wird als zweite Tochter und viertes Kind geboren. Auch sie bleibt unverheiratet und damit Teil des Familienhaushalts. Ihre handschriftlichen Aufzeichnungen über das Leben ihres Bruders sind eine wichtige, weil authentische Quelle. Wie sie ihrem Wesen nach ist, darüber kann man nur spekulieren, doch ist anzunehmen, dass sie den Haushalt wesentlich nach den Bedürfnissen Gustavs ausrichtet. Laut ihrer Aussage ist er kein Gesellschaftsmensch, eher ein Einzelgänger, dem Hermine und Klara den lästigen Alltag erleichtern. Jeden Abend, wenn er nach Hause kommt, nimmt er wortkarg eine Mahlzeit zu sich und geht früh zu Bett. Alles dreht sich um Gustav, der vor allem Ruhe braucht, damit er „erholt mit solchem Ungestüm an die Arbeit [geht], dass wir oft meinten, die Flammen seines Genies würden ihn bei lebendem Leib aufzehren“.4
Auf Hermine folgt Georg (1867–1931), ein begabter Metallbildhauer und Medailleur. Auch er besucht die Kunstgewerbeschule und macht sich 1896 selbstständig. Für kurze Zeit übernimmt er ein Lehramt an der Kunstschule für Frauen in Wien. Die Berufswege der Brüder Gustav und Georg kreuzen sich immer wieder, oft haben sie dieselben Auftraggeber und ab und zu arbeiten sie sogar zusammen, aber nie wird die Bindung aneinander so eng wie zwischen Ernst und Gustav. Da beide identische Initialen haben, kommt es immer wieder zu Verwechslungen. Zum Beispiel ist bekannt, dass Gustav oft den Auftrag für Rahmen seiner Bilder an Georg gibt, die künstlerische Urheberschaft der Entwürfe ist aber lange ungeklärt. Ein Skizzenbuch aus dem Jahr 1901, das erst 1969 aufgetaucht ist, belegt allerdings, dass etwa der Rahmen für Judith von Gustav entworfen wurde, von Georg also nur umgesetzt wird. Man kann davon ausgehen, dass das die übliche Arbeitsteilung war. Gustav ist der Erfolgreichere und überlässt seinem Bruder immer wieder Teilaufgaben. Das wohl bekannteste Werk von Georg ist das getriebene Portal der Secession.
Zwei Jahre nach Georg wird Anna (1869–1874) geboren, die jedoch, immer kränkelnd, noch im Kindesalter stirbt. Ihr Tod trifft die Mutter schwer. Sie erleidet einen Zusammenbruch, von dem sie sich nur allmählich wieder erholt, und dennoch kommt noch ein siebtes und letztes Kind zur Welt: Johanna (1873–1950). Sie ist das einzige der Klimt-Mädchen, das eine Familie gründet. Sie heiratet 1895 den Buchhalter Julius Zimpel, mit dem sie vier Kinder bekommt, darunter Julius Zimpel junior, der die künstlerische Begabung der Familie erfolgreich in die nächste Generation trägt: Er ist ein ausgezeichneter Illustrator und Kalligraf und wird 1923 künstlerischer Leiter der Wiener Werkstätte.
Gustav Klimt hat einen sehr ausgeprägten Familiensinn. Und vor allem in späteren Jahren, mit zunehmender Bekanntheit, die von Anfang an mit viel Kritik einhergeht, wird ihm seine Familie ein wichtiger Hortus conclusus, in dem er Ruhe findet und in den er sich zurückziehen kann. Als im Juli 1892 sein Vater stirbt und sein Bruder Ernst sich im November eine so starke Erkältung zuzieht, dass er eine tödliche Herzbeutelentzündung entwickelt, wird Gustav Klimt zum Haupternährer seiner Mutter und Schwestern und übernimmt die Verantwortung für Ernsts Witwe Helene Flöge und deren gleichnamige Tochter. Erst vor etwas mehr als einem Jahr hat Ernst Helene (1871–1936) geheiratet, die gemeinsame Tochter Helene (1892–1980) ist noch ein Säugling. Gustav wird zum Vormund seiner Nichte bestimmt, eine Aufgabe, die er sich mit deren Taufpatin und Tante Emilie Flöge teilt.
Damit hat das Schicksalsjahr 1892 auch etwas Gutes, denn durch die veränderten Lebensumstände begegnen sich Gustav und Emilie häufig, nähern sich an und gehen eine enge Beziehung ein, die zuerst auf Liebe und schließlich auf Vertrauen und Zuneigung basiert und ein Leben lang Bestand hat. Bis dahin war der Kontakt zwischen den beiden eher lose. Emilie ist 17, als der zwölf Jahre ältere Gustav seinen Bruder zum Antrittsbesuch bei den Flöges begleitet. Eine wenig entspannte Situation, denn Helene ist bereits schwanger von Ernst und ihre Eltern sind von der Verbindung nicht gerade begeistert. Hermann Flöge ist als Meerschaumpfeifenfabrikant zu Wohlstand gekommen und die Familie genießt ein solides gesellschaftliches Ansehen.5 Dem können die Klimt-Brüder nichts Repräsentatives gegenüberstellen. Sie sind in Armut groß geworden. Und was die Zukunft bringen wird, ist ungewiss. Zwei Künstler, das ist schon nicht sehr vertrauenserweckend, zudem zwei Künstler, die ihre Eltern und Geschwister durchfüttern müssen – dass Hermann und Barbara Flöge sich für ihre Töchter eine bessere Partie wünschen, ist verständlich. Aber schwanger ist schwanger, also geben sie den beiden ihren Segen. Sie werden es nicht bereut haben, denn die Hochzeit führt zu einer Familienverbindung, die sich, abgesehen von Ernsts frühem Tod, für alle Beteiligten als Gewinn erweist: emotional, auf intellektueller Ebene und auch wirtschaftlich.
Die Beziehung zwischen Gustav Klimt und Emilie wird bis heute als Liebesbeziehung überzeichnet. Tatsächlich haben sie kurzzeitig eine leidenschaftliche Affäre, die von Emilie aber bereits 1899 jäh beendet wird, als sie sich klarmachen muss, dass Klimt sich nie nur an sie alleine binden würde. Immer hat er auch andere Frauen. Zum Zeitpunkt der Trennung geben seine „affaire d’amour“ mit der 19-jährigen Alma Schindler und die nahezu zeitgleichen Schwangerschaften seiner Modelle Maria Ucicky und Marie (Mizzi) Zimmermann den Ausschlag für Emilies Entscheidung, die aber nicht zum vollständigen Bruch führt, Emilie bleibt Klimts engste Gefährtin.6
Aus der Anfangszeit ihrer Beziehung schickt Klimt, der laut eigener Aussage nicht gerne Briefe schreibt,7 zahlreiche, seitenlange Liebesbriefe an Emilie, ihre Antworten sind leider nicht erhalten. Nachdem die Erotik zwischen den beiden abgekühlt ist, schickt er weiter regelmäßig Postkarten mit kurzen Berichten über seinen Alltag. Die Briefe aus der Anfangszeit ihrer Bekanntschaft sind liebevoll, ausführlich, manchmal romantisch bis kitschig und in Anspielung auf ihre „französische“ Beziehung8 teilweise auf Französisch: „Toi, ma gazelle, ma mignonne, Toi plus douce que l’eau de ciel“9 etwa, oder „Soit-moi fidèle ma belle amie que j’aime. Soit-moi fidèle, mon […] trésor, ma vie“.10 Er küsst sie zum Abschied „innig und lang, lang“ und bedauert: „Eigentlich“ müsse er einen „glühend heißen Wonne und Liebesbrief“ schreiben, „wie ihn jedes Mägdlein wenigstens einmal im Leben erhalten müsse“. Mit den Jahren wird aus „herziges, schönes Miederl“, „schöne Midi“ oder „schöne Mitz“ die „Liebe Emilie“, auch „ich vermisse dich“ oder „freu mich Dich wiederzusehen“11 steht nicht mehr unter seinen Zeilen. Wie strikt die Trennung von Liebe und Leben, wie Emilie es nach ihrer Trennung von Klimt verlangt, von den beiden eingehalten wird, darüber kann man nur spekulieren. Jedenfalls findet sich kein Hinweis in der Korrespondenz; in der Öffentlichkeit verhalten sie sich vertraut, aber es gibt keine erotischen Gesten.
Bis 1899 richtet sich Emilie eine postlagernde Adresse unter anderem Namen ein, wenn Klimt auf Reisen geht, damit seine Post bei der Familie Flöge nicht für Aufsehen sorgt.12 Die Inhalte der Postkarten und die öffentlich nicht anstößige Verbindung der beiden, immerhin sind sie ja verschwägert, machen das überflüssig. Doch Diskretion ist für Klimt lebenslang ein hohes Gut und seine Wegbegleiterinnen halten sich eisern daran, bis über seinen Tod hinaus. So verbrennt Emilie Flöge nach seinem Tod alle ihre Briefe an ihn.
Erhalten sind die Aufzeichnungen von Hermine Klimt zu ihrem Bruder, die Berichte des Schriftstellers Hermann Bahr, des Kunstkritikers Ludwig Hevesi, der Journalistin Berta Zuckerkandl sowie die seines frühen Biografen Hans Tietze. Sie alle sind von besonderer Bedeutung, denn ihre Autoren schreiben aus dem Zeitgeist heraus über Klimt. Zwar mag ihr Blick subjektiv gefärbt sein, trotzdem sind die Berichte wertvoll, weil sie am Puls der Zeit aufgeschrieben sind, mit einer Ahnung davon, wie bedeutend Klimt werden wird, aber ohne berechnend zu sein.
Was wissen wir durch sie über Klimts Persönlichkeit? Die umtriebige Journalistin und Salonière Berta Zuckerkandl (1864–1945) beschreibt ihn als einen Menschen, der wenig sagt, doch das, was er sagt, hat Gewicht: „Klimt – der Anführer, der Wegweiser, das von allen anerkannte Genie. Er, der keine Vorgänger gehabt hat und keine Nachfolger haben wird. Ein Einmaliger, Einsamer […]. Primitiv und raffiniert, einfach und kompliziert, immer aber beseelt.“13 Der Kunstschriftsteller Ludwig Hevesi schreibt ganz Ähnliches: Klimt ist dominant, er hat eine Meinung, die er prägnant äußert, doch das macht ihn nicht unsympathisch, sondern zeigt eher seine vertrauenserweckende Stärke: „Da sitzt [Gustav Klimt] in der Mitte der langen Tischseite, schlicht und bestimmt, Kraft ausströmend, geboren ein Mittelpunkt zu sein. […] Ein Zungenläufiger ist er nicht, obgleich er immer mit am Wort ist. Er hat so seine kurze, herzhafte oder sarkastische Art, ein paar Worte hinzuwerfen, als nähme er an einer Abstimmung teil, oder gäbe vielmehr dafür das Losungswort dafür aus. Immer ist Sinn dabei, und immer ein entschiedenes Parteinehmen. Sein Akzent, sein Tempo, seine Gebärde ist Aufmunterung. Darum können sich die jungen Leute unter allen Umständen nach ihm richten und haben ein felsenfestes Vertrauen.“14
Jeden Tag beginnt Klimt mit dem selben Ritual: erst Hantelübungen, dann ein vier Kilometer langer Spaziergang von seiner Wohnung in der Westbahnstraße nach Schloss Schönbrunn, wo er im Tivoli mit Freunden frühstückt. Beim Frühstück ist das Thema Kunst ausdrücklich verboten. Von Schönbrunn nimmt er entweder einen Fiaker oder geht zu Fuß in sein Atelier, wo er den ganzen Tag arbeitet. Klimt liebt Katzen. Er ist ein Stimmungsmensch, der die tägliche Routine braucht, um kreativ sein zu können. Darum schützt er sich: In sein Atelier wird nur eingelassen, wer das geheime Klopfzeichen kennt, das Klimt wenigen Ausgewählten verrät. In den innersten Kreis seiner Familie dringt niemand vor. Auf Reisen geht er nur selten, allerdings geht er regelmäßig zur Kur nach Bad Gastein und verbringt zahlreiche Sommermonate und Osterferien am Attersee mit der Flöge-Familie. In dieser Zeit kümmert er sich intensiv um seine Nichte Helene und malt seine Landschaftsbilder.
Der Verlust von Ernst wirkt sich auf Gustav Klimts künstlerische Entwicklung und Karriere aus. Die Klimt-Brüder freunden sich während des Studiums an der Kunstgewerbeschule mit Franz Matsch an und gründen 1882 gemeinsam die Künstlerkompanie. Bis 1894 übernehmen die drei erfolgreich im Kollektiv Aufträge für Dekorationsarbeiten, zunächst in den Kronländern der Habsburgermonarchie, ab 1897 dann auch in Wien.
Die Kunstgewerbeschule entsteht im Jahr 1867 aus dem Museum für Kunst und Industrie und ist diesem angeschlossen. Die jungen Institutionen werden aus den bürgerlich-liberalen Bestrebungen der 1860er Jahre heraus gegründet und folgen einem modernen pädagogischen Ansatz, nach dem die Kunstrezeption und praktische Lehre im Vordergrund stehen. Damit grenzt sich die Kunstgewerbeschule klar von der konservativ eingestellten Akademie der bildenden Künste ab, wie auch damit, dass der handwerklich ausgerichtete Unterricht die Möglichkeiten der neuen industriellen Produktionsformen im Blick hat. Im Unterricht stehen die künstlerisch-ästhetische und handwerklich-technische Ausbildung gleichberechtigt nebeneinander, denn hier soll eine neue Generation von umfassend geschulten Kunsthandwerkern dazu erzogen werden, industriell hergestellte Produkte mit ästhetischem Wert zu entwickeln. Damit klingt der Gedanke des Gesamtkunstwerks bereits an, der in Wien ein paar Jahre später florieren wird – und dem auch bei Gustav Klimt eine zentrale Rolle im künstlerischen Schaffen zukommt. Die intensive künstlerische und technische Schulung der Kunstgewerbler bewährt sich: Zahlreiche Schüler werden zu den führenden kreativen Kräften des modernen Wien, allen voran Gustav Klimt, der in dieser Zeit seine wichtigsten Unterstützer findet.
Die drei zentralen Förderer für die Klimt-Brüder und Franz Matsch sind der Gründer und Direktor der Schule Rudolf von Eitelberger sowie ihre Lehrer Ferdinand Laufberger, Julius Viktor Berger und Michael Rieser. Letzterer verschafft ihnen bereits während ihrer Ausbildung kleinere Aufträge, etwa die Werkzeichnungen für ein Glasfenster der Votivkirche. Laufberger bringt sie mit einem ihrer künftigen Auftraggeber, der Firma Fellner & Helmer in Kontakt, die sich auf Theaterbauten spezialisiert hat. Für sie übernehmen sie ihre ersten größeren Aufträge: die Deckenbilder und der Vorhang für das Stadttheater in Reichenberg (das heutige Liberec), die Deckenbilder für das Stadttheater in Fiume (das heutige Rijeka) und das Stadttheater in Karlsbad.
Dass keiner der frühen Aufträge aus Wien kommt, hat seine Ursache unter anderem darin, dass in der Donaumetropole der etablierte und hoch erfolgreiche Maler Hans Makart (1840–1884) dominiert. Makart ist der unangefochtene Star unter den Ringstraßenmalern und prägt mit seinem sinnlich-üppigen und historisierenden Malstil innerhalb von nur 15 Jahren die Dekorationskunst in Wien nachhaltig. Er übt mit seiner Präsenz als „Malerfürst“ wie als Leiter der Spezialschule für Historienmalerei an der Wiener Akademie großen Einfluss auf die nachfolgende Künstlergeneration aus. Die wichtigen Aufträge, für die sich auch die Künstlerkompanie bewirbt, gehen alle an ihn.
Erst durch Makarts frühen Tod wird der Weg für andere Künstler in Wien frei. Die Künstlerkompanie erhält als ersten Auftrag aus dem Erbe Makarts die malerische Ausstattung des Schlafzimmers der Kaiserin Elisabeth mit Szenen aus Shakespeares Sommernachtstraum, der zunächst an Julius Viktor Berger geht, ebenfalls ein Lehrer an der Kunstgewerbeschule, der ihn aber an seine Schüler weiterreicht. Die drei jungen Künstler liefern so zufriedenstellende Arbeit ab, dass sie direkt im Anschluss auch das Deckengemälde im Salon anfertigen dürfen. Der erfolgreiche Start des Trios ist damit gelungen. Dank der organisatorischen Begabung von Franz Matsch und dessen Talent, ein Netzwerk aufzubauen und die Qualitäten der Künstlerkompanie zu bewerben, geht es weiter aufwärts. 1884 wendet sich Matsch im Namen der Künstlerkompanie an Rudolf von Eitelberger, den ehemaligen Direktor der Kunstgewerbeschule:
„An seine Hochwohlgeboren dem Hochverehrten Herrn Hofrath Ritter von Eitelberger.
Hochverehrter Herr!
Erst jetzt, nachdem es uns gelungen, ein Atelier einzurichten, dass [!] wir darin arbeiten können, erlauben wir uns hiemit Euer Hochwohlgeboren, sehr geehrter Herr Hofrath, das Programm unserer Companie in möglichst kurzer Fassung zu unterbreiten. Wie sich Euer Hochwohlgeboren erinnern werden, führten wir unter der Leitung unseres unvergesslichen Meisters Professor Laufberger größere Arbeiten gemeinsam aus. Er legte hiemit den Grund unseres Zusammenwirkens, welches wir auch unter der späteren Leitung des Herrn Professor Berger fortsetzten. Die Lehren unserer Meister waren von so gesunder und universeller Art, dass wir uns glücklich schätzen, diese eben genossen zu haben. In Anbetracht, dass wir Schüler ein und derselben Meister waren, und jeder von uns bestrebt ist, deren unschätzbare Lehren hochzuhalten, glauben wir, den rechten Weg zu gehen, wenn wir auch fernerhin zusammenstehen und durch gegenseitige Correctur der Arbeiten, diese zu fördern suchen.
Wenn wir sehr geehrter Herr Hofrath sagen sollen, was wir eigentlich arbeiten wollen, so erlauben wir uns wieder auf unseren seligen Meister Professor Laufberger hinzuweisen, dessen Schöpfungen auf verschiedenen Gebieten der Kunst und des Kunstgewerbes uns als Aneiferung dienen und glauben, dass eben unser gemeinschaftliches Wirken von entschiedenem Vorteil ist, weil vermöge der großen Schaffenskraft, eine rasche Erledigung des Auftrages herbeigeführt wird und die Summe der Erfahrungen wächst. Unsere bisherige Arbeit war, wie sehr geehrter Herr Hofrath wissen werden, größtenteils für die Provinz und das Ausland bestimmt; unser sehnlichster Wunsch wäre daher, wenn wir einstens in unserer Vaterstadt eine größere Arbeit ausführen könnten und vielleicht wäre eben jetzt die Möglichkeit vorhanden, da die neuen Monumentalbauten Wiens ihrer Vollendung nahen, deren malerische Ausstattung gewiss nur in den bedeutendsten Teilen vergeben sein wird und dadurch die hervorragendsten Künstler vollauf beschäftigt sind; wir wagen deshalb an Euer Hochwohlgeboren die ergebendste Bitte zu richten, Ihre gütige und einflußreiche Verwendung uns in diese Richtung gnädigst angedeihen zu lassen. In Anbetracht, dass Euer Hochwohlgeboren uns, während unserer Studienzeit, Ihr Wohlwollen zu theil werden ließen, möchten wir Euer Hochwohlgeboren bitten, uns auch Ihre fernere hochherzige Gewogenheit, der wir so sehr bedürfen, gütigst zuwenden zu wollen. Zum Schluß erlauben wir uns zu bemerken, dass wir durch uneigennützige Überlassung eines für uns passenden Ateliers, von seitens des Herrn Chefs der Firma A. Markowitsch, in der Lage sind, das oben angedeutete Programm einhalten zu können.
Mit größter Hochachtung zeichnen sich [!] ergebenst
Franz Matsch, Gustav Klimt, Ernst Klimt.
Atelier VI. Bezirk, Sandwirthgasse Nr. 8
Wien, den 2. Februar 1884“1
Der Brief ist strategisch ein gelungener Schachzug. Die Darstellung der Künstlerkompanie als Trio, das sowohl effizient als auch kostengünstig große Aufträge übernehmen kann, gepaart mit der Beteuerung ihrer Traditionstreue trifft exakt die Bedürfnislage. Die Bauherren der Wiener Ringstraße sind neben dem österreichischen Staat und dem Hochadel noch das selbstbewusste, liberale und wirtschaftlich erfolgreiche Wiener Großbürgertum, das seine neue gesellschaftliche Position mit herrschaftlich ausgestatteten Palais unterstreicht. Die Ringstraße ist die architektonische Keimzelle des neuen Wien. Bereits die ersten Aufträge dort konfrontieren das Trio mit dem gesellschaftlichen Spannungsverhältnis, das sich in der Architektur und der Ausstattung nebeneinander findet: die Verherrlichung des Mäzenatentums des konservativen Kaiserhauses und die Selbstdarstellung des selbstbewussten und modernen Wiener Großbürgertums.
Dass sich die Künstlerkompanie an den im Kunstbetrieb höchst einflussreichen Eitelberger wendet, hat Erfolg. Er vermittelt ihnen die nächsten beiden Aufträge: die prunkvollen Stiegenhäuser des k. k. Hofburgtheaters und des k. k. kunsthistorischen Hofmuseums, in dem sie schon einige Jahre früher einen Innenhof mit Sgraffiti ausstatten durften.
Das Trio bekommt nach nur vier Jahren seit Gründung ihrer Arbeitsgemeinschaft die Chance, sich mit den Gemälden des alten Burgtheaters und der Ausstattung des Treppenhauses im neuen Burgtheater als Ringstraßenmaler in Wien zu bewähren.
Das alte Burgtheater am Michaelerplatz vor der Hofburg wird 1748 eröffnet, nachdem Maria Theresia die Umgestaltung des dort ansässigen Ballhauses genehmigt hat. Im Jahr 1888 schließt es seine Pforten und zieht in einen Neubau an der Ringstraße. Ehe es abgebrochen wird, erhalten Gustav Klimt und Franz Matsch den Auftrag, den alten Zuschauerraum in zwei Gouachen festzuhalten – das gefällt den beiden sehr, denn wie alle „echten Wiener [sind sie] auch förmliche Burgtheaternarren“1 und nutzen die ihnen für die notwendige Recherche kostenfrei überlassenen Karten im Parkett fast jeden Abend.
Klimt fällt die Aufgabe zu, den Theaterraum aus der Bühnenperspektive zu malen. Um den Raum zu beleben, der ohne Besucher in diesem Kontext kurz vor dem Abbruch nicht nur steril, sondern auch makaber gewirkt hätte, fügt er Porträts der Wiener Gesellschaft und der Stammgäste des Theaters ein. Klimt inszeniert das gesellschaftliche Schauspiel entsprechend dem Darstellungswillen derselben. Viele Wiener Persönlichkeiten bringen ihren Wunsch zum Ausdruck, auf dem Bild erkennbar dargestellt zu werden – Klimt tut ihnen diesen Gefallen, angeblich hat er sogar mehrere Repliken für einzelne Personen angefertigt. Auf einem Gemälde, das einer ehrwürdigen Wiener Institution gewidmet ist, dargestellt zu werden, bedeutet, als Mitglied einer kulturellen Elite sichtbar zu sein – und macht die Auswahl zum Politikum: Als das Bild schon fertig ist, bemerkt ein Gemeinderat, dass Karl Lueger, der spätere Bürgermeister der Stadt, fehlt.2 „Der Lueger muss noch drauf, sonst ist’s eine schwere Sache im Budget.“3
Franz Matsch erzählt als 74-Jähriger noch begeistert von dieser Zeit: „Zweihundert Prominente der Wiener Gesellschaft – hier die richtige Auswahl zu treffen, ist für [uns beide] ziemlich schwer. Als es sich herumzusprechen beginnt, dass das künstlerische und gesellschaftliche Wien auf zwei Burgtheaterbildern porträtgetreu verewigt werden soll, kann das Atelier […] die herbeiströmenden Modelle beinahe nicht fassen. Statt der von der Gemeinde Wien gewünschten Zweihundert reklamieren gut fünfmal soviel ihren Anspruch auf Unsterblichkeit. Vor allem müssen natürlich die Burgtheaterabonnenten berücksichtigt werden, dann kommen der Reihe nach alle bekannten Persönlichkeiten der Wiener Kunstwelt, Finanz und Wissenschaft daran, die populären Aristokraten und Offiziere, der Hof mit Kaiser Franz Joseph in der Hofloge, die berühmtesten Mitglieder der Privatbühnen und einige von Wiens schönsten Frauen. Es gibt viele Intrigen und viele Tränen fließen aus mehr oder minder schönen Augen, bis sich die [wir uns] über die zweihundert Köpfe unwiderruflich geeinigt haben.“ Halb Wien rennt Klimt und Matsch die Tür ein, und Klimt reüssiert mit seinem Bild als Porträtist der „schönen Wienerin“. Dass ihm dann auch noch der Kaiser-Preis verliehen wird, festigt seinen Erfolg zusätzlich.4
Auch beim Neubau des Burgtheaters ist die Künstlerkompanie involviert. Zwei Jahre lang arbeiten sie gemeinsam an den Deckengemälden der beiden Treppenhäuser. Das Thema der Dekoration, die Geschichte des Theaters, wird von Adolf von Wilbrand (1837–1911) erstellt, dem künstlerischen Direktor des Burgtheaters, und erfordert nun leider keine Porträtsitzungen mit dem „who is who“ von Wien, sondern das intensive Studium von Kostümen und Gegenständen aus dem Fundus, die dargestellt werden sollen. Weil sich die Künstlerkompanie in den ersten Jahren aber noch keine Berufsmodelle leisten kann, die für sie posieren, greifen sie auf Freundinnen, Freunde, Familienmitglieder und sich selbst zurück. Klimt hat das schon bei seinem Bild des Zuschauerraums des alten Burgtheaters gemacht. Für hübsche Freundinnen ist wohl trotz des offiziellen Andrangs noch das eine oder andere Plätzchen frei gewesen.5
Dem Geldmangel für Modelle verdanken wir das einzige Selbstporträt von Gustav Klimt. Zwar konstatiert dieser einmal: „Von mir gibt es kein Selbstporträt. Ich interessiere mich nicht für die eigene Person als Gegenstand des Bildes, eher für andere Menschen, vor allem weibliche, noch mehr jedoch für andere Erscheinungen.“6 Diese Haltung kann er sich allerdings in den frühen Jahren noch nicht leisten, und so ist er in Globe-Theater in London links mit Halskrause neben Franz Matsch zu sehen, hinter ihnen steht Ernst Klimt. Die Klimt-Brüder und Matsch können aber natürlich nicht stundenlang posieren, das würde ihnen die nötige Zeit zum Malen rauben, darum lassen sie Stellungsfotos anfertigen, die ihnen als Vorlage dienen. Für Globe-Theater haben sich einige Stellungsfotos erhalten, auch für jene Bilder, die Ernst übernimmt – allen voran Hanswurst auf der Stegreifbühne7 das mit neun Mitgliedern der Familien Klimt und Flöge aufwartet und damit schon fast als Familienporträt bezeichnet werden kann.
Im Jahr 1906 erscheint als fünfter Band in der Reihe Das Theater ein Büchlein von Rudolph Lothar über das Burgtheater. Er beleuchtet weniger die traditionsreiche Geschichte, in der das Haus von Menschen wie Schreyvogel, Deinhardstein, Holbein, Laube, Halm, Dingelstedt, Wilbrand, Förster, Burckhard und Schlenther geprägt wird, sondern hat den Anspruch „ein Bild dessen zu geben, was das Burgtheater heute ist, was es bedeutet, welchen Raum es einnimmt in der deutschen Geisteswelt“.8 Er stellt heraus, dass sich das Burgtheater nicht nur strukturell von anderen Schauspielhäusern unterscheidet, weil es durch die Anbindung an den Hof finanzielle Sicherheit genießt, sondern weil es diese Freiheit in besonderer Form nutzt. „Der Hof, das heisst heute der Kaiser, gibt ihm die Mittel zu glanzvoller Ausstattung, ermöglicht es ihm große Gagen zu zahlen, und ein Stück selbst dann zu halten, wenn die Einnahmen an anderen Theatern zu raschem Tode drängen würden. Die Kassa hat heute im Burgtheater nur mehr eine moralische Bedeutung. Wenn ihre Ziffern traurig werden, so bedeutet das dem Direktor, dass das Publikum nicht ins Theater geht und also das neue Stück nicht will. Er hat dann zwei Wege offen. Er kann dem Publikum recht geben und das Stück absetzen, er kann aber auch das Stück bei vorsichtiger Behandlung lange Zeit, vielleicht Jahre im Spielplan behalten und so dem Autor einen Rückhalt schaffen, den er sonst an keiner Bühne finden würde.“9
Im neuen Burgtheater kann sehr viel mehr realisiert werden, das der Kunstförderung dient, als in anderen Theatern – und das zeigt sich vom Programm bis hin zum Bühnenbild. „Die Burg“ ist der gesellschaftliche Tummelplatz Wiens. In Klimts Bild des Zuschauerraums schafft er diese Verbindung von Theaterkultur und Personenkult. Die Treppenhäuser im neuen Burgtheater sorgen dafür, dass er im Fokus bleibt.
Für die Ausstattung der Treppenhäuser des neuen Burgtheaters erhält Gustav Klimt 1893 die kleine Goldmedaille und der Künstlerkompanie wird vom Kaiser das Goldene Verdienstzeichen mit der Krone verliehen. Im Anschluss an diesen Auftrag setzt die Künstlerkompanie ihre erfolgreiche Arbeit im Treppenhaus des Kunsthistorischen Museums fort. Ursprünglich sollte dieses prunkvolle Treppenhaus auch von Hans Makart malerisch ausgeschmückt werden, doch durch seinen Tod kommt es nicht dazu, er kann nur die zwölf Lünettenbilder fertigstellen.10 Die Künstlerkompanie kann sich zwar nicht den Auftrag für den Plafond sichern, den schließlich auf eine Intervention durch Kaiserin Elisabeth doch der deutlich ältere und damit arriviertere Maler Michael von Munkacsy übernimmt, der für seine Apotheose der italienischen Renaissance ein enormes Honorar in Höhe von 5.000 Gulden (nach Kaufpreisparität11 ca. 67.000 Euro) bekommt.
Das Trio wird aber für die Zwickel- und Interkolumnienbilder beauftragt, leider für ein deutlich kleineres Honorar. Das allegorische Bildprogramm wird vom Direktor der kunstgewerblichen Sammlung des Museums, Albert Ilg, vorgegeben und sieht einen malerischen Zyklus vor, in dem die bedeutenden Stilepochen der europäischen Kunst, das alte Ägypten sowie die griechische und die römische Antike dargestellt sind.12 Dieser Bildzyklus befindet sich, eingebettet in die Säulen- und Arkadenarchitektur, in einer Höhe von über zwölf Metern oberhalb der Eingangshalle des Museums, darum fällt es dem Besucher leider schwer, die Bilder der Künstlerkompanie eingehend zu betrachten. Wer welches Bild malt, darüber lässt die Kompanie das Los entscheiden. Gustav Klimt übernimmt unter anderem das Interkolumnienbild Griechische Antike, anhand dessen man sehr gut seine individuelle künstlerische Entwicklung ablesen kann. Gustav Klimt wählt dafür eine junge Frau, die zwischen zwei Säulen hervortritt. Hinter ihr sind Weinranken, Amphoren und eine Skulptur der griechischen Antike zu sehen, die zum Bestand des Museums gehören. Sie selbst aber trägt ein Kleid nach der aktuellen Mode, auch Frisur und Haltung entsprechen nicht mehr den Vorgaben des historisierenden Nachahmens, wie es akademisch korrekt gewesen wäre. Die junge Frau ist das erste Zeugnis, dass Gustav Klimt sich von den Idealen seiner Lehrer abzuwenden beginnt und sich mit dem Jugendstil beschäftigt.
Der Historismus beherrscht im 19. Jahrhundert das Denken in politischer, sozialer, ökonomischer und künstlerischer Hinsicht. Bei Georg W. F. Hegel und Karl Marx bilden historische Forschungen die Grundlage für ihre politischen Theorien. In der Naturforschung ist Charles Darwins Evolutionstheorie maßgebend: „Wenn wir jedes Werk der Natur auf seine Geschichte hin ansehen, wie viel interessanter wird dadurch das Studium der Naturgeschichte!“13 Literarisch haben historische Romane und Bühnenstücke wie etwa von Victor Hugo und Walter Scott Konjunktur. In der Oper verhandelt Giuseppe Verdi die Geschichte der Madame Troubadour, des Don Carlos oder auch der Pariser Edelhetäre Marie Duplessis, der Alexandre Dumas d. J. in Die Kameliendame ein Denkmal gesetzt hat. In der bildenden Kunst und Architektur ist die Rückbesinnung auf moralisch aufgeladene historische Ereignisse und Stilelemente der Antike vorherrschend, wobei die Zitate um ihrer selbst willen gemacht werden, da sie keine Bezüge zum Jetzt, sondern nur idealisierte Verweise auf die Geschichte liefern. Nach der historistischen Logik hätte Klimt die griechische Antike streng nach den Überlieferungen rekonstruieren müssen, um sie als vorbildlich für die Gegenwart zu zeigen. Doch er begnügt sich nicht mehr damit, nur zu reproduzieren, sondern lässt seine eigenen Interpretationen mit einfließen – eine Haltung, die Klimt mit dem Jugendstil teilt: keine immer wiederkehrenden Neuauflagen historischer Inhalte und Formen, sondern Erneuerung. Für Klimt, wie für alle jungen modernen Künstler der damaligen Zeit, kommt der Atmosphäre in einem Bild immer mehr Bedeutung zu, ebenso wie individueller Ausdruck. Dafür müssen geltende Regeln gebrochen werden. Nicht das überlieferte Erscheinungsbild von etwas, sondern sein Sinngehalt muss durchdrungen und eine malerische Lösung gefunden werden.
In den nächsten Jahren reift Klimt als Künstler, weil er sich mit der Loslösung von etablierten Sichtweisen neuen Inhalten öffnet und zu experimentieren beginnt – doch dieser Schritt erfordert ein mutiges Voranschreiten und kommt zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt: Im Juli 1892 verliert Gustav Klimt seinen Vater und im Dezember seinen Bruder Ernst. Gerade erst hat das Trio der Künstlerkompanie ein neues Atelier in dem ruhig gelegenen idyllischen Gartenpavillon in der Josefstädter Straße bezogen. Gerade erst beginnen sie sich als Ringstraßenmaler zu etablieren. Gerade erst entwickelt Klimt künstlerisches Selbstbewusstsein. Und nun das. Wie Klimt den Tod seines Vaters empfunden hat, ist nicht belegt, da über ihr persönliches Verhältnis nicht allzu viel bekannt ist, aber unzweifelhaft ist der Tod eines Elternteils ein einschneidendes Erlebnis im Leben jedes Menschen. Der Verlust von Ernst trifft Klimt jedoch nachweislich tief. Ihre Beziehung war nicht nur brüderlich, sondern innig freundschaftlich und schließlich auch kollegial – dieser dreifache Schlag hat eine seelische und künstlerische Krise zur Folge, die fünf lange Jahre dauert.
Nach Ernst Klimts Tod bewirbt sich Matsch im Alleingang für die Ausschmückung der Aula der Universität. Doch weil dem Senat seine Skizzen nicht gefallen, bekommt er den Job nicht und zieht Klimt hinzu, der dann auch tatsächlich den Zuschlag für drei der fünf Bilder bekommt. Matsch malt Theologie und Triumph des Lichts über die Finsternis, Klimt Philosophie, Medizin und Jurisprudenz. Bisher hat die Künstlerkompanie immer im Kollektiv gearbeitet, doch ohne Ernst tun sich Klimt und Matsch schwer miteinander. Sie haben unterschiedliche Ansichten in Stilfragen und Klimt ist immer öfter alleine im Atelier. Die Art des Zustandekommens des Auftrags für die Fakultätsbilder macht deutlich, wie sehr Klimt und Matsch auseinandergedriftet sind. Dass sich darüber hinaus beide um eine Professur an der Wiener Kunstakademie bewerben, Klimt aber leer ausgeht und nur Matsch berufen wird, vergrößert nur noch den Konflikt, der offenbar Jahre später noch nicht beigelegt ist: Klimt unterlässt es, Matsch bei der Gründung der Secession zum Beitritt aufzufordern. Aber da ist die Künstlerkompanie schon zerbrochen und beide gehen ihren eigenen Weg, persönlich und künstlerisch. Matsch in Richtung Wiener Aristokratie, Klimt in Richtung Bildungsbürgertum. Darum, aber auch hinsichtlich des öffentlichen Streits, der über die Bilder ausbrechen wird, markieren die Fakultätsbilder eine Zäsur in Klimts Leben.1
Mittelbar führen die Fakultätsbilder zu einem skandalträchtigen Streit mit dem österreichischen Staat, den Klimt zwar 1906 für sich entscheiden kann, doch durch den ein Keil zwischen ihn und diesen so wichtigen Auftraggeber getrieben ist. Wie bei öffentlichen Aufträgen üblich, muss Klimt seine Kompositionsentwürfe den Vertretern des Ministeriums für Kultus und Unterricht sowie einer von der Universität zusammengesetzten Kommission vorlegen. Während die Theologie von Matsch akzeptiert wird, muss Klimt mehrfach Veränderungen vornehmen. Er ringt mit sich und bemüht sich sichtlich darum, dem Wunsch der Kommission zu entsprechen, die Themen klar verständlich darzustellen. Alleine für Philosophie zeichnet er mindestens 26 Kompositionsskizzen.2 Klimt schwankt von Anfang an zwischen dem Wahren seiner künstlerischen Freiheit und der Verpflichtung gegenüber seinem Auftraggeber.