Wioletta Greg
Unreife Früchte
Roman
Aus dem Polnischen
von Renate Schmidgall
C.H.Beck
In ihrem autobiographischen Roman erzählt Wioletta Greg in unvergesslichen poetischen Bildern eine mal groteske, mal herzzerreißende Coming-of-Age-Geschichte im Polen der 1970er- und 1980er-Jahre. Seit 1981 herrscht das Kriegsrecht unter General Jaruzelski, aber die großen politischen Ereignisse wirken sich nur gebrochen auf das Leben im schlesischen Dorf Hektary aus. Dort, in einer ganz wunderbar vermittelten Atmosphäre aus Alltag in der Großfamilie, Kargheit, ländlichen, fast heidnischen Bräuchen, einem sehr schlichten Katholizismus und kruden Sozialismus, schlägt sich die vitale, schlagfertige und neugierige Wiolka mit ihrer Mutter herum, entdeckt ihre Sexualität, nicht immer ganz freiwillig, und bemüht sich um den geliebten Vater, der viel zu früh stirbt. Als es heißt, der Papst wolle bei seinem historischen Polenbesuch auch an Hektary vorbeifahren, herrscht im Dorf Aufregung wie nie zuvor. Der Papst nimmt am Ende einen völlig anderen Weg.
Wioletta Greg (eigentlich: Grzegorzewska), 1974 in Koziegłowy (Polen) geboren, lebt seit 2006 in Großbritannien, inzwischen in Essex. Sie hat sieben Gedichtbände und bislang drei Romane veröffentlicht, «Unreife Früchte» erschien unter dem Titel «Swallowing Mercury» auf Englisch in Großbritannien und in den USA und stand auf der Man Booker International Longlist 2017, außerdem war sie für den Griffin Poetry Prize und den polnischen Nike Preis nominiert, sie ist in zahlreiche Sprachen übersetzt.
Renate Schmidgall übersetzte u.a. Werke von Paweł Huelle, Jacek Dehnel, Andrzej Stasiuk und Wisława Szymborska und Adam Zagajewski. Sie erhielt mehrere Preise, zuletzt 2017 den Voß-Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Sie lebt in Darmstadt.
Das Kirmesmädchen
Die Jesus-Tombola
Tischlein, deck dich
Der Wimpelabend
Das Mädchen mit den Farben
Das Bild kommt
Pfingsten
Der Osterpascha
Spinnen aus Jerusalem
Wellen
Gienek, der Mähdrescherfahrer
Deckel mit Löchern
Das Geheimnis der Schneiderin
Der Leberfleck
Die Frau mit dem Hund
Sauerkirschen
Die Phillumenistin
Gesammelte Werke
Dolce vita
Herrscher über den Schrott
Zorros Rückkehr
Verspätete Fütterung der Bienen
Unreife Äpfel
Neonlicht über dem Jupiter
Am Fenster unseres aus Stein gemauerten Hauses hing fast zwei Jahre lang eine kleine Taufdecke, geschmückt mit Immergrün und vergilbtem Asparagus. Die Decke verlockte mich mit einem Röschen in der Mitte, und ich hätte sie gern für mein Puppenbett benutzt, aber Mutter erlaubte mir nicht, ihr zu nahe zu kommen.
«Fass das Deckchen nicht an, Loletka, es ist ein Andenken, wir nehmen es ab, wenn Papa wiederkommt», sagte sie. Und einer Freundin aus der Nachbarschaft, die für einen Moment – das heißt für zwei Stunden – vorbeischneite, erzählte sie, wie ihr einen Monat nach der Verhaftung meines Vaters wegen Fahnenflucht und zwei Wochen vor dem Entbindungstermin eine Arbeit in der Baufabrik zugewiesen worden war. Dort musste sie im Rahmen des neuen Fünfjahresplans in einer Brigade von einem Dutzend Arbeiterinnen Gehwegplatten und Pflastersteine herstellen, damit die Gemeinde rechtzeitig neue Plätze vor den Amtsgebäuden, Schulen und Gesundheitszentren bauen konnte. Mutter hielt die Arbeit im Frost schließlich nicht mehr aus, versteckte sich hinter dem Betonmischer, und nachdem das Fruchtwasser in einen Eimer mit Kalk gelaufen war, fuhr man sie in den Kreißsaal.
Es war Februar, als sie mich nach Hause brachte. Sie hatte immer noch Nachblutungen, legte sich aufs Bett, wickelte das nach Schleim und Urin stinkende Päckchen aus, um zu sehen, ob ich heil war, rieb den Stumpf meiner Nabelschnur mit Enzian ein, band mir ein rotes Bändchen gegen bösen Zauber ums Handgelenk und schlief für ein paar Stunden ein. Es war die Art von Schlaf, während dessen der Mensch entscheidet, ob er geht oder noch einmal zurückkehrt.
Papa war immer noch nicht da. In einer Schuhschachtel vermehrten sich seine Briefe, die er mit Zeichnungen von Tieren und Pflanzen verziert hatte, die Blätter im Kalender nahmen ab, und nur noch ein dünner Stapel Tage trennte uns vom Jahresende. Weitere Monate vergingen. In der Diele schlüpften die Küken der Ente, Mama brachte sie zusammen mit der Entenmutter in den Schweinestall, von dort hatten sie es nicht weit in den Hof zu einem in der Mitte durchgeschnittenen Reifen, der mit Wasser gefüllt war. Großvater fing an, neue Fensterläden für den Dachboden und Kufen für mein Schaukelpferd zu hobeln. Großmutter flocht aus Bast farbige Hähne. Zwischen den Fensterrahmen erwachten die Fliegen. Als das Taufdeckchen ausgebleicht und die Blättchen des Immergrüns auf den Fenstersims gefallen waren, kam ein hagerer Mann mit gelocktem Haar und einem kleinen Schnurrbart zu uns ins Haus. Als er mich sah, weinte er den ganzen Tag, und er beruhigte sich erst wieder, als Polen in der Fußball-Weltmeisterschaft zu spielen begann.
Im Juni fuhren wir auf die Kirchweih zur Basilika des heiligen Antonius. Die Prozession begann. Aus der Kirche kam der Priester, hinter ihm bestickte Fahnen und als Prinzessinnen verkleidete Damen, die aus Stroh geflochtene Lämmer und Kränze trugen. Die Kommunionsmädchen schütteten ihnen Lupinenblüten vor die Füße. Ich schaute wie gebannt – und als Mutter in ihrem Täschchen nach Kleingeld für die Kollekte suchte, ließ ich ihre Hand los und lief der Prozession nach, als wäre sie ein Königsgefolge. Erst an einem Stand mit einem aufgeblasenen silbernen Wal blieb ich stehen. Der Wal konnte nicht in die Wolken davonfliegen. Die Sonne hielt ihn in violetten und roten Kreisen gefangen, sie blendete mich und brannte auf den Wangen. Vergoldete Menschen verschwanden zwischen Autos und Fuhrwerken und hinterließen lange Schatten auf einer Mauer.
Unter einem Baum stand ein Lama mit räudigem Fell. Aus seinem Maul tropfte Speichel. Leute näherten sich, warfen Geld in eine Büchse, die mit einer Kette am Zaun befestigt war, und setzten Kinder auf den Rücken des Tieres, auf dem eine gemusterte Decke lag; ein Herr mit Strohhut knipste sie mit einem schlauen Apparat, der sofort die Abzüge ausspuckte. Das Lama schaute traurig unter den langen Wimpern hervor. In seinen Augen drehten sich abgebrannte Blitzbirnchen. Ich wollte seine zerfranste Mähne streicheln, aber in diesem Moment schoss jemand aus einer Spielzeugpistole. Das erschrockene Lama machte einen Sprung, und ich flüchtete unter den nächstgelegenen, mit Wachstuch bedeckten Stand. Draußen raschelte Verpackungsfolie, Trompeten, Pfeifen, aufgezogene Spieldosen und Mundharmonikas ertönten. Ich hielt mir die Ohren zu und saß unter dem Stand, von dem Wachstuch tropfte Himbeersaft direkt auf mein neues Kleid.
Um meine Zöpfe herum begannen Wespen zu kreisen wie gestreifte Piranhas, sie tranken den Saft aus den Röschen des Musters auf meinem Kleid und wurden immer größer. Eines der Ungetüme setzte sich auf meinen Kopf und brummte mir ins Ohr. Ich legte mich auf die trockene Erde und weinte: «Mama, Mama! Die Wespen wollen mich entführen!» Aber Mama war nicht da.
Das Wachstuch schob sich zur Seite, der Herr mit dem Schnurrbart erschien.
«Hier bist du, mein …» Er zog mich unter dem Stand hervor und nahm mich in den Arm. «Mein Kirmesmädchen, wie kommst du denn hierher? Ich hab dich überall gesucht.»
«Lass los, Papa, lass los!», kreischte ich fröhlich und wischte heimlich meine verrotzte Nase am Revers seines Jacketts ab. Der Herr mit dem Schnurrbart, wahrscheinlich glücklich, dass ich ihn zum ersten Mal Papa genannt hatte, hob mich hoch und wirbelte mich durch die Luft. Ich kniff die Augen zusammen und lachte laut. Die Sonne stach auf die Wespen ein, sie schrumpften auf ihre normale Größe und flogen durch die violetten und roten Kreise davon. Das Licht kitzelte mich wie das Wasser während des Bades im Zuber auf dem Hof. Ich war hungrig geworden und begann auf dem Gürtel meines Kleides herumzukauen. Aus der dunklen Nische der Haltestelle neigte sich mir Mamas Kopf entgegen, um den eine Schnur von Brezeln hing.
Trotz Mamas Verbot begann ich, mit Blacky zusammen zu schlafen. Blacky roch nach Heu und Milch und hatte auf dem Hals eine schneeweiße Karte von Afrika. Er kam nachts zu mir, legte sich auf das Federbett, schnurrte und bewegte die Pfoten, als wollte er einen Hefeteig kneten. Seit ich ihn auf dem Dachboden gefunden hatte, lebte ich mit ihm in einer seltsamen Symbiose: Ich trug ihn wie einen Säugling in meinem Pullover, ich stibitzte für ihn die Sahne aus der Kredenz, und sonntags gab ich ihm mein Flügelchen aus der Hühnersuppe ab.
Den ganzen Sommer strich ich mit ihm durch die Felder. Blacky zeigte mir eine andere Geometrie der Welt, eine, in der nicht die mit Disteln und Gänsefuß bewachsenen Raine, die gepflasterten Wege, die Zäune, die gemähten oder von Menschen ausgetrampelten Pfade die Grenzen markierten, sondern das Licht, die Geräusche und die Elemente. Mit Blacky lernte ich, in Hohlblocksteine und Heumieten zu kriechen, auf Apfel- und Kirschbäume zu klettern, in Brombeerhecken versteckte Kalksteingruben zu umgehen, Hornissennester, Moraste und Schlingen im Getreide zu meiden.
Nach Weihnachten begann Blacky, mir aus dem Weg zu gehen. Er tauchte nur noch kurz bei uns auf, legte eine halbtote Maus auf die Schwelle, als wollte er sich mit dieser Geste für seine Abwesenheit entschuldigen. Am ersten Tag der Winterferien verschwand er für immer. Ich suchte ihn unter den Zeltplanen und in den leeren Nutria-Boxen von Onkel Lolek, wo er gerne ganze Tage verschlafen hatte, aber er war nirgends zu finden.
Onkel Lolek war mein Hauptverdächtiger, was Blackys Verschwinden betraf. Er hatte sich ein paar Monate zuvor einen Sack Zucker besorgt, ihn im Schuppen hinter der Kohle versteckt, und Blacky hatte sich in diesem Zucker sein Katzenklo eingerichtet. Mit Vaters Luftgewehr bewaffnet, lief ich zu Onkel Lolek, richtete den Lauf auf ihn und sagte, er solle mir auf der Stelle Blacky zurückgeben, ich würde nicht zulassen, dass mein Kätzchen zu Pelzen und Wurst verarbeitet werde wie diese stinkenden Nutrias. Mein Onkel stand wie angewurzelt da, dann lachte er dermaßen los, dass er beinahe in das Fass mit dem Sauerkraut gefallen wäre. Aus Dankbarkeit dafür, dass ich ihn am frühen Morgen so erheitert hatte, gab er mir ein paar Bonbons.
Am nächsten Tag sprach ich im Morgengrauen den Milchmann an, der das Pferd an unserem Weg angehalten hatte und mit einem Haken die Kannen auf das Fuhrwerk zog.
«Haben Sie vielleicht Blacky gesehen?»
«Wen?»
«Meinen schwarzen Kater.»
«Oje, das hat mir noch gefehlt, dass mir heute ein schwarzer Kater über den Weg läuft, aber warte mal, an der Brücke ist so ein gescheckter rumgestrichen.»
«Nein, kein gescheckter, aber wenn Sie einen schwarzen sehen, dann geben Sie mir Bescheid.»
«Warte, Wiolitka, ich hab was für dich.» Er gab mir ein Päckchen Vanillequark von der Genossenschaft, trieb das Pferd an und fuhr los.
Ich irrte noch etwa zwei Stunden durch Hektary, schaute in Abflussrohre und Weidengebüsch. Schließlich ging ich völlig verfroren nach Hause. Vater war von der Arbeit zurück, saß auf der Couch, hatte die kalten Füße in warmem Salzwasser und schnitzte einen Schwimmer aus Schaumstoff. Leise, damit er mich nicht bemerkte, kletterte ich über die Treppe auf den Dachboden, vergrub mich im Heu und versuchte, irgendeine Spur zu finden, die Blacky hinterlassen hatte: einen Fetzen Fell, ein Federchen, ein Stückchen Eierschale.
«Was machst du bei der Kälte da oben?!», rief Vater.
«Ich warte auf Blacky, Papa. Er ist seit drei Tagen weg.»
«Komm runter, du erfrierst ja. Wenn du willst, backen wir Kartoffeln im Aschenkasten.»
«Ich komm nicht runter, bis Blacky wieder da ist.»
«Na komm. Ich weiß, was mit ihm passiert ist.»
Ich lief die Treppe hinunter, als würde ich fliegen. Zum Glück lehnte an den untersten Sprossen ein Sack Hafer, sonst hätte ich mir im Fallen die letzten Milchzähne ausgeschlagen. Ich setzte mich in die Ecke neben den Christbaum, spielte aus Nervosität mit vertrockneten Fichtennadeln herum und wartete auf Neuigkeiten über Blacky, aber Vater schwieg. Er malte den letzten grellgelben Streifen auf den Schwimmer, legte diesen auf die Trybuna Ludu am Ofen und setzte sich mir gegenüber.
«Na … Wie soll ich dir …», begann er. «Vor drei Tagen wollte Blacky einen Fischkopf aus der Moschustierfalle ziehen und ist im Teich ertrunken», sagte er in einem Atemzug und sah mich besorgt an.
Ich legte mich auf die Couch und drehte mich mit dem Gesicht zur Strohmatte. In der folgenden Woche redete ich mit niemandem, flüsterte nur vor mich hin. Das war eigentlich nichts Ungewöhnliches, denn alle im Haus flüsterten, brummten vor sich hin oder summten ein Lied. Großmutter zum Beispiel rezitierte die Lauretanische Litanei, wenn sie über dem Küchenbrett Riebele für die Suppe machte. «Heilige Maria, Mutter soundso», flüsterten mit ihr die Wände und das Glashuhn für die Eier; «Mutter soundso, Mutter soundso», wiederholten die Wandteppiche, Spiegel, die herausquellenden Sprungfedern an der Couch, die auf vier Birkenklötzen stand; Vater summte Lieder von Elvis Presley und Gefängnisballaden, wie Schwarzes Brot, schwarzer Kaffee, und improvisierte auf einem Lindenblatt oder auf dem Banjo; Mutter sang «Setzte sich ein Bienchen auf den Apfelbaum», aber nur, wenn sie genervt war. Großvater begann morgens seine Arbeit in der Kalksteingrube mit dem verbotenen Lied: «Am ersten September versprach Hitler dreist, die Welt zu erobern in völkischem Geist.» Aber wenn ich mit mir selbst redete oder sang, schauten mich alle erstaunt an, und Mutter gab mir auf einem Löffel immer mehr von den Beruhigungstropfen Milocardin.
Eines Tages in der zweiten Ferienwoche saß ich am Fenster und goss die Geranien mit kaltem Pfefferminztee. Ich hatte Bauchweh, weil ich aus Sehnsucht nach Blacky heimlich Kalkstückchen aus der Wand und ein paar Fransen von der Tagesdecke gegessen hatte.
Zwischen den farnähnlichen Eisblumen auf der Fensterscheibe hatte mein warmer Atem einen Spalt entstehen lassen. Durch ihn schaute ich in den Hof. Nach einer Stunde quietschte die Gartentür. Ich hörte die Stimmen von zwei Klassenkameraden – Justyna und der Große Witek fragten Mama, die gerade Asche aus dem Kasten auf den Weg streute, ob ich nicht zu den Exerzitien in die Basilika des heiligen Antonius mitkommen wollte.
«Wiolka kommt wahrscheinlich nicht mit», hörte ich die heisere Stimme meiner Mutter. «Sie hat Bauchschmerzen.»
«Aber nach den Exerzitien ist heute eine Tombola», unterbrach sie der Große Witek.
«Was für eine Tombola?»
«Eine geweihte Figur wird verlost», erklärte Justyna.
«Wollt ihr das Wiolka nicht selbst sagen?»
«Sie müssen mir nichts sagen.» Bis über die Ohren in einen Wollschal gehüllt, kam ich in den Hof. «Ich gehe mit.»
Mama schien über meine plötzliche Gesundung erstaunt zu sein, sagte aber nichts. Sie stocherte mit dem Gummistiefel in den warmen Ascheresten, um die herum eine Schleife braunes Gras schimmerte, hob einen verrußten Nagel auf, warf ihn auf einen Sandhaufen und ging ins Haus zurück.
Am Nachmittag hatte das Kraftwerk Łagisza im Radio die zehnte Stufe der Energieversorgung bekannt gegeben. In der ganzen Gemeinde war der Strom abgeschaltet, und in der Kirche war es eiskalt. Mehr als hundert Kinder sandten Dampfwölkchen aus, die zu dem Gewölbe aufstiegen, wo fette Heilige wie im blauen Plattensee schwammen. Nur die Kerzen auf den Altären erhellten die drei Schiffe. Die Gabel der untergehenden Sonne durchbohrte den tönernen Jesus, der auf einem Sockel stand, in himmelblauem Gewand, das Herz mit einer Dornenkrone umflochten. Ich stand in einem der Seitenschiffe und beobachtete eine Maus, die durch das Labyrinth des vergoldeten Stucks irrte.
Am Schluss warf jedes von uns einen Zettel mit dem Stempel der Kirchengemeinde in eine hölzerne Urne. Ein als Engel verkleidetes kleines Mädchen zog ein Los und gab es dem Vikar. Es war mucksmäuschenstill. Der Strom wurde eingeschaltet. Das Licht blendete uns. Das Rauschen des elektrischen Gebläses kam wie die Sintflut über die Kirche. Der Pfarrer sagte meinen Namen. Das Echo seiner Stimme prallte an den Weihgaben ab. Vor Aufregung schluckte ich den Kaugummi, den ich vom Großen Witek bekommen hatte. Der Organist intonierte die Barke: «O Herr, Du hast mich gesehen. Dein Mund sprach heute meinen Namen.» Die Kinder traten auseinander. Justyna schubste mich in die Mitte der Kirche. In goldenem Licht schritt ich zum Altar. Der Vikar reichte mir die Stola zum Küssen, dann eine Jesusfigur. Jemand zog mich an der Schnur meiner Handschuhe auf den Gang. In Begleitung der Kinder von Hektary gelangte ich nach draußen und vergaß, die Finger ins Weihwasser zu tauchen.
Ich wickelte die Figur in meinen Wollschal, und abwechselnd mit Justyna und dem Großen Witek schleppte ich sie in der Dämmerung die vier Kilometer nach Hektary. Klümpchen von gefrorenem Schnee gerieten in unsere Stiefel, unsere Hände waren halb erfroren, aber das beachteten wir nicht. Wir waren durch den Gewinn so aufgeregt, dass wir uns vor allen Bildstöcken und vor der heiligen Quelle bekreuzigten, und Witek bekreuzigte sich auch vor der Villa der Direktorin unserer Grundschule, für alle Fälle, falls ihr Dobermann durch ein Loch im Zaun herausspringen würde.