GORDON D. SHIRREFFS

 

 

Der letzte Zug

von Gun Hill

 

 

 

 

 

Apex Western, Band 1

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

DER LETZTE ZUG VON GUN HILL 

1. 

2. 

3. 

4. 

5. 

6. 

7. 

8. 

9. 

10. 

11. 

12. 

13. 

14. 

 

101: Kirk Douglas zum Geburtstag - oder Der letzte Zug von Gun Hill 

Ein Essay von Dr. Karl Jürgen Roth 

 

 

Das Buch

 

U.S. Marshal Matt Morgan schwört, den jungen Mann, der seine Frau brutal vergewaltigt und ermordet hat, vor Gericht zu bringen – doch dessen Vater ist der mächtige Rinderbaron Craig Belden, ein langjähriger Freund Morgans. Dennoch ist Morgan fest entschlossen, den Täter mit dem 9.00-Uhr-Zug aus der Stadt zu bringen. Die Situation spitzt sich dramatisch zu, als er feststellt, dass er in Gun Hill gefangen ist – allein mit Belden, der die Einwohner tyrannisiert und sogar den Sheriff der Stadt  kontrolliert, und allein mit Beldens Revolverhelden, die nur ein einziges Ziel verfolgen: Morgan zur Strecke zu bringen...

 

Gordon D. Shirreffs, der Autor von Western-Klassikern wie Rio Bravo (1957), Judas Gun (1981) und der epischen Quint-Kershaw-Trilogie (1981 – 1984), schuf mit Der letzte Zug von Gun Hill ein eindringliches, düsteres Western-Drama, basierend auf John Sturges' gleichnamigem Film aus dem Jahr 1959. In den Hauptrollen: die Hollywood-Legenden Kirk Douglas (als Matt Morgan) und Anthony Quinn (als Craig Belden).

Zum Auftakt seiner Western-Reihe präsentiert der Apex-Verlag diesen Roman als neue und ungekürzte deutsche Übersetzung, ergänzt um ein Essay von Dr. Karl Jürgen Roth.

  DER LETZTE ZUG VON GUN HILL

 

 

  1.

 

 

  Der Kutschwagen schien wie aus dem Nichts aufzutauchen, als er aus einer Senke heraufkam und den nahegelegenen Hügelhang herunterrollte.

  Es war einer dieser zauberhaften Spätsommertage in Oklahoma: Die fernen Hügel

schienen in einem leichten Purpurnebel zu schwimmen, und das Präriegras wogte im heißen, trockenen Wind wie ein endloses Meer. Wiesen-Lerchen flatterten vor dem herankommenden Pferd aus dem Gras empor. Der Hals des Rappen bewegte sich anmutig auf und ab, und seine Hufe tauchten nahezu lautlos in den dicken Sandstaub der gewundenen Straße.

  Catherine Morgan lenkte die schwankende Kutsche mit den geschickten und leichten Bewegungen ihrer behandschuhten Hände, in denen die Zügel lagen. Man hätte sie in ihrem adretten, gestreiften Baumwollkleid für die Frau eines Ranchers oder Siedlers halten können, allerdings trug sie nicht jene typische, steif gestärkte Sonnenhaube trug. Stattdessen wurde ihr dickes, schwarzes Haar im Nacken von einem leuchtendroten Band zusammengehalten. Der kleine Junge an ihrer Seite hielt den Kopf hoch erhoben, als würde er den Wind gleich einem wilden Mustang trinken. Seine Augen leuchteten vor Vergnügen, wenn er abwechselnd die leichtfüßige Bewegung des Pferdes beobachtete und dann wieder seine Mutter ansah.

  »Sieh zu, dass er munter wird, Petey«, sagte sie mit gespieltem Ernst. »Er fängt schon an zu trödeln.«

  Der Junge lächelte, als er nach der Peitsche mit der Silberzwinge griff. Es war zwar nicht nötig, den lebhaften Rappen anzufeuern, aber er ließ die Peitsche hoch über dem Kopf des Pferdes schnalzen. Dann hielt er mitten in der Bewegung inne und blickte in die Ferne. Ein Habicht hing wie ein Fetzen verkohltes Stück Papier im klaren Himmel, und während der Junge noch hinschaute, drehte der stolze Vogel anmutig ab und schoss im Wind herunter, als hätte ihn etwas aufgeschreckt. Dann sah Petey den Staubschleier, der eine Viertelmeile entfernt über der Straße hing; ein helles Funkeln kam von dort.

  »Vor uns sind zwei Reiter, Mom«, sagte der Junge.

  Sie nickte. Die funkelnde Spiegelung der Sonne schimmerte wieder durch den Staub.

  »Elegante, silberbeschlagene Sättel«, sagte sie. »Das sind bestimmt keine gewöhnlichen Tramps.«

  Petey beobachtete die beiden Männer durch schmale Augenschlitze. »Die sind auch nicht eilig.«

  »Petey, deine Grammatik!«

  Er grinste. »Dad würde es so sagen.«

  Sie lächelte zu ihm hinunter. »Und deshalb ist es richtig, wie?«

  »Jedenfalls macht er das meiste richtig.«

  Sie antwortete ihm nicht. Ihre scharfen Augen hatten noch etwas anderes in der Sonne blinken sehen. Einer der Männer hatte eine Flasche zum Mund gehoben. Ihre Hände krampften sich fester um die Zügel.

  Jetzt war es zu spät zur Umkehr.

 

  Rick Belden drehte sich in seinem eleganten Sattel zur Seite, um die Straße entlang  zurückzuschauen. Eine Zigarette hing in seinem Mundwinkel, und ein Rauchfaden kräuselte sich an seinen halb geschlossenen Augen vorbei. Für die Dauer eines Augenblicks starrte er zurück; dann warf er die Zigarette fort.

  »Verdammt, Lee«, sagte er schnell. »Schau dir die Kleine an, die den Kutschwagen lenkt!«

  Lee Smithers hob eine Flasche an seine schlaffen Lippen und trank in langen Zügen. Er wischte seinen Mund mit dem Hemdärmel ab, drehte sich dann um und spähte durch den Staubschleier nach hinten.

  »An der ist wirklich was dran«, sagte er anerkennend. »Hier - fang auf!« Er warf die Flasche zu Rick hinüber, der sie geschickt auffing und sie entkorkte. Er trank ebenfalls in langen Schlucken und warf die Flasche anschließend ins Gras. Sein Gesicht schien sich unter der Haut zusammenzuziehen, als der Fusel-Whisky zu wirken begann. Er fummelte an seiner Satteltasche herum, zog eine andere Flasche heraus und hielt sie prüfend gegen das Licht.

  Der leichte Kutschwagen hatte sich den Männern inzwischen bis auf etwa zwanzig Fuß genähert. Beide drehten sich im Sattel und musterten mit unverschämter Direktheit Catherine Morgans wohlgeformten Körper.

  Es war ihr nicht anzumerken, dass sie sich von den abtastenden Blicken beleidigt fühlte. Sie nickte kurz, als die Kutsche zwischen den Reitern vorbeifuhr. Aber der Junge konnte es nicht über sich bringen, seinen Blick von dem Sattel zu lösen, auf dem Rick Belden saß. Es war das schönste Stück Pferdegeschirr, das er jemals gesehen hatte.

  »Starr sie nicht an«, sagte seine Mutter.

  »Ich seh' mir nur den Sattel an, Mom.«

  »Dreh dich um! Sie haben getrunken.«

  Rick Belden zog mit den Zähnen den Korken aus einer neuen Flasche und starrte aus blutunterlaufenen Augen auf den Rücken der Frau. Eilig hob er die Flasche und leerte den Rest. Dann warf er auch sie ins Gras. »Wieder ist ein toter Soldat zur Hölle gefahren«, sagte er mit schwerer Zunge.

  »Vorsichtig, Rick!«, protestierte Lee. »Das ist die dritte Flasche, die du heute erledigt hast, und ich schwöre, dass das meiste davon durch deine Kehle geflossen ist.«

  »Halt's Maul! Ich muss sie ja auch immer bezahlen, oder?« Rick zog seinen Hut in die Stirn. »Los, weiter!«

  »Es ist verdammt zu heiß, um die Pferde anzutreiben.«

  Rick grinste. Er schaute zu der Kutsche hin. »Wir werden die Gäule nicht lange antreiben müssen, Amigo.« Er gab dem Braunen die Sporen und galoppierte vorwärts.

  »Nein, Rick!«, rief Lee heiser. »Das nicht!«

  »Komm schon, du Einfaltspinsel, sonst nehm' ich sie allein.«

  Lee zögerte und trieb dann seinen Rotfuchs durch den aufwirbelnden Staub hinter Ricks Pferd her.

 

  Der Habicht hing hoch im Himmel und schwebte fast reglos gegen den Wind. Catherine Morgan drehte sich um und schaute die Straße zurück, als sie das Trommeln der Hufe hörte. Sie riss Petey die Peitsche aus der Hand und ließ sie über den Rücken des Rappen klatschen. Das Pferd bockte einen Augenblick bei der ungewohnten Behandlung und verfiel dann in einen glatten, leichten Galopp.

  Die Kutsche schwankte und sprang um die Kurven und über Radfurchen.

  Der Habicht schoss wieder gegen den Wind herunter und verschwand in Richtung der fernen Hügel.

  »Sie kommen näher, Mom«, sagte Petey ruhig. Er blickte in ihr angespanntes Gesicht. »Was wollen sie von uns?«

  »Sei still!«, rief sie scharf.

  Der Kutschwagen hatte eine weite, offene Fläche erreicht, wo das Gras verbrannt und die Erde geschwärzt war. Die Reiter verringerten den Abstand. Sie ritten jeder auf einer Seite der Straße. Ihre Reitpeitschen wirbelten unaufhörlich auf und ab, und von den Nüstern ihrer überhitzten Pferde stob Schaum weg.

  Rick Belden war in Hochstimmung. Er grinste schlaff, als er die Wärme des Whiskys in seinen Eingeweiden fühlte, und er war erregt von der stetigen Bewegung des muskulösen Pferdekörpers, der ihn trug. Sein Hut wurde von seinem dicken Haarschopf zurückgeweht und rutschte - vom Kinnband gehalten - in den Nacken hinunter. Er blickte zu Lee Smithers hinüber und grölte vor Vergnügen.

  Lee grinste unsicher zurück. Er war sich nicht im Klaren darüber, ob er diese neueste Eskapade des Sohnes seines Arbeitgebers gutheißen sollte, aber Rick würde ihn höllisch schikanieren, wenn er nicht mitmachte.

  Petey rückte näher an seine Mutter heran. Sie lenkte den Kutschwagen mit all ihrer natürlichen Geschicklichkeit, jede Furche und jedes Schlagloch in der gewundenen

Straße einberechnend. Das Trommeln der Hufe hinter ihnen wurde jetzt lauter, und Catherine Morgan blickte nicht zur Seite, als Rick Belden in gleiche Höhe mit dem

Wagen kam und die Gangart seines Pferdes etwas zügelte, um neben der Kutsche zu bleiben.

  Lee Smithers kam auf der anderen Seite heran. Er riskierte einen wilden, trunkenen Griff nach dem Zügel und wäre dabei fast aus dem Sattel gestürzt.

  Petey ballte die Fäuste. Er trug keine Waffe bei sich, nicht einmal das Klappmesser, das sein Vater ihm zum Geburtstag geschenkt hatte.

  Rick beugte sich zur Seite und griff nach den Zügeln.

  Catherine Morgan stand auf, hielt sich schwankend im Gleichgewicht und ließ dann die Peitsche mit vollem Schwung über Ricks schweißbedecktes Gesicht klatschen.

  Er grunzte vor Schmerz und lenkte seinen Braunen instinktiv mit den Knien vom Wagen weg. Und mit der Rechten tastete er nach dem tiefen Peitschenstriemen und erschauerte.

  Die Kutsche schaukelte bedenklich, und Catherine wurde auf den Sitz zurückgeworfen, Rick Belden drängte seinen Braunen in wilder Wut an den Rappen heran und ergriff die Zügel. Er duckte den Kopf unter Catherines Peitschenhieben und riss ihr die Zügel aus der Hand. Der Rappe bäumte sich auf, als das Gebissstück in sein schmerzempfindliches Maul schnitt. Er drehte sich scharf nach links. Eine Deichsel brach, als die Vorderräder in eine tiefe Furche gerieten und dadurch zur Seite gelenkt wurden. Der Kutschwagen kippte, hing einen Moment in der Schwebe und fiel dann um.

  Petey sprang und landete auf den Füßen, aber seine Mutter wurde hart zu Boden geschleudert. Sie überschlug sich zweimal und blieb dann still im hohen Gras liegen. Aus einem Mundwinkel rann Blut.

  Petey sprang in eine Mulde. Er schlängelte sich in das hohe Gras und drehte sich dann zur Seite, um mit weit aufgerissenen Augen aus seinem Versteck zu spähen.

  Catherine Morgan öffnete die Augen und schaute sich benommen um. Das Haarband hatte sich geöffnet, und ihr dichtes, schwarzes Haar floss über ihre Schultern. Sie tastete mit zitternder Hand über ihr zerschlagenes Gesicht und blickte dann zu den beiden grinsenden Männern empor.

  Rick Belden befühlte den Peitschenstriemen an seiner Wange. »Die verdammte Schlange«, sagte er gedehnt. »Beinahe hätte sie mein Auge erwischt, Lee.«

  Lee nickte in trunkenem Mitgefühl. Er versuchte, den Blick seiner blass-hellen Augen auf die Frau zu konzentrieren.

  »Die sieht nach was aus, Rick. Ganz bestimmt 'ne Squaw, oder?« Er rülpste.

  Rick nickte; er schwankte ein wenig im Sattel. »Los, steh auf«, sagte er.

  Catherine versuchte aufzustehen. Sie unterdrückte ein Stöhnen. Auf ihrer Stirn bildeten sich Schweißperlen. »Petey!«, rief sie.

  Der Junge hob seinen Kopf. Er schluckte schwer, als er sah, wie sich die Reiter seiner Mutter näherten.

  »Petey!«, rief sie erneut.

  Ein krampfartiger Schmerz verzerrte ihr Gesicht, und sie schlug mit der geballten Faust gegen die harte Erde. Als sie mit gepresster Stimme weitersprach, verfiel sie in ihren heimischen Cheyenne-Dialekt.

  Der Junge war furchtbar erschrocken über das seltsame Verhalten der Männer.   

  Seine Mutter redete schnell auf ihn ein und sagte ihm, er solle seinen Vater holen.

  Petey stand auf und ballte seine kleinen Fäuste. »Nein«, sagte er laut.

  Rick schwang sich aus dem Sattel, stellte sich mit gespreizten Beinen hin und blickte auf die verletzte Frau hinunter. Er wischte sich Schweiß und Blut vom Gesicht und... grinste.

  Petey riskierte einen mutigen Angriff.

  Rick wartete in lässiger Überlegenheit und schlug im geeigneten Augenblick mit der linken Hand zu. Der Schlag traf Petey am Kopf und schleuderte ihn zu Boden.

  »Verschwinde«, sagte Rick verächtlich.

  »Geh, Petey«, flehte seine Mutter in ihrer Cheyenne-Sprache. »Diese Männer bringen dich sonst um. Du kannst hier nichts mehr tun. Geh - und hol' deinen Vater.«

  Rick setzte zu einem Fußtritt gegen Petey an, aber der Junge rollte von dem schwingenden Stiefel fort und robbte ins tiefe Gras hinein. Er war so schnell verschwunden wie ein aufgescheuchtes Kaninchen.

  Rick zog seinen Gürtel hoch und versuchte, dem festen Blick der Frau standzuhalten.

  Lee schüttelte den Kopf. »Rick, ich weiß nicht recht...«, sagte er unsicher.

  Rick schlug ihm auf den Rücken, sodass eine Wolke von Staub aus seiner Weste und seinem Hemd hochwirbelte. »Es ist keiner da, der uns stören könnte«, sagte er. »Wir haben sie ganz für uns allein.«

  »Was ist mit dem Jungen?«

  Rick spuckte ins Gras. »Wen kümmert der?« Mit bösartigem Vergnügen starrte er die Frau an und befeuchtete seine Lippen. »Es hat keinen Zweck, dass du so aufsässig bist, Squaw«, sagte er beschwichtigend. »Du kommst damit nicht weiter. Beruhige dich... und gönn dir den Spaß.« Er griff nach ihr.

  Sie packte sein rechtes Handgelenk, zerrte es dicht an ihren Mund und vergrub ihre Zähne tief in seiner Hand.

  Er stieß mit dem Stiefel zu, traf sie an der Schläfe und warf sie dadurch ins Gras zurück. »Verdammte Schlange!«, schrie er und leckte die Wunde an seiner Hand.

  Lee Smithers wischte sich den Schweiß von seinem hageren Gesicht. »Sie ist eine Wildkatze, Rick«, warnte er. »Lassen wir sie lieber in Ruhe. Es gibt überall so viele Mädchen, die wir kriegen können. Die Sache hier würde uns nur in Schwierigkeiten bringen, aus denen uns nicht einmal dein Vater rausholen könnte.«

  »Mein Vater kann uns aus allem herauspauken«, antwortete Rick scharf. »Vergiss das nicht.«

  »Vielleicht hast du Recht. Aber...«

  Rick wandte sich ärgerlich seinem Gefährten zu. »Bist du verrückt? Schau sie dir doch einmal an. Schau dir an, wie sie gebaut ist. Sowas läuft einem nicht jeden Tag über den Weg!«

  Keiner von den beiden sah den Jungen, der schnell auf Ricks großen Kastanienbraunen zu kroch. Das Pferd weidete fünfzig Yards von dem umgestürzten Kutschwagen entfernt.

  Rick zog sich wieder den Gürtel hoch und beugte sich zu der Frau hinab. Sie kämpfte hart und schweigend. Ihr Atem ging schwer, während sie den Mann abzuwehren versuchte.

  Lee kam näher. Erregung übermannte ihn, als er das Reißen von Stoff hörte und die glatten Schultern der Frau sah. Er kniete sich neben Rick. Zwei Paar harte Männerhände waren zu viel für sie. Mit einem erstickten Schluchzen gab sie den Kampf schließlich auf.

  Rick sah seinen Gefährten mit einem schiefen Grinsen an.

  »Hab' ich dir nicht gesagt, dass sie schließlich Vernunft annehmen würde?«

  Der Wind bewegte das lange Gras.

  Kein Lerchen-Gesang war zu hören.

  Kein Laut außer dem sanften Seufzen des Windes, der über die einsame Prärie strich...

 

*

 

  Petey Morgan kroch auf den Kastanienbraunen zu. Die Sonnenstrahlen spiegelten sich in den Silberfacetten des reich verzierten Sattels. Petey spähte zu der Kutsche zurück. Der Rappe trottete in Windrichtung weiter und zupfte seelenruhig Gras. Einer der beiden Männer stand mit dem Rücken zu Petey hin und beobachtete etwas im tiefen Gras. Der andere war nicht zu sehen.

  Wie es ihn sein Großvater gelehrt hatte, redete Petey sanft in der Cheyenne-Sprache auf das schweißbedeckte Pferd ein. Das Tier wieherte leise. Petey stand auf und strich ihm sanft mit der Hand über die Nüstern. Das Pferd schnupperte an ihm.

  Er nahm die Zügel und zog sich in den Sattel empor. Seine Füße waren weit von den Steigbügeln entfernt, aber er klammerte sich mit den Knien fest und lenkte den

Kastanienbraunen in eine Senke hinunter. Dort konnte seine Flucht von den Männern nicht bemerkt werden. Als er die Anhöhe jenseits der Senke erreichte und zurückschaute, sah er den einen Mann immer noch dastehen.

  Von seiner Mutter... war nichts zu sehen.

  Petey trieb das Pferd an und ritt so schnell wie möglich in Richtung Pawley. Eine unbeschreibliche Angst rührte sich tief in ihm, und sie erfüllte ihn mit Panik. Er wusste, dass hinter ihm etwas Schreckliches vor sich ging, aber er wusste nicht, was es war.

  Als er mit dem Wind im Gesicht im Schein der untergehenden Sonne dahinritt, erschien ihm die Prärie nicht mehr hell und freundlich. Und kein jubilierender Lerchen-Gesang begleitete seinen Weg...

 

 

 

 

  

  2.

 

 

  Die Stadt Pawley schien im goldfleckigen Sonnenschein des späten Nachmittags vor sich hin zu dösen. Die Schienen der eingleisigen Eisenbahnstrecke blinkten im hellen Licht, und Hitzewogen schimmerten und tanzten darüber. Neben dem Stationsgebäude lag ein in eine Decke gehüllter Indianer schlafend auf einem Gepäckkarren, und sein Bastardhund schlummerte unter dem Wagen. Ein Schwein wälzte sich grunzend im dicken Schlamm unter dem Wassertank.

  Drei kleine Jungen in ihren steifen Sonntagsanzügen trotteten barfüßig durch den Sandstaub. Ihre Schuhe hatten sie an den Schnürsenkeln um den Hals gehängt.

  »Du meinst, dass er in seinem Büro ist, Joey?«, fragte der Kleinste von den dreien.

  Der größte Junge nickte mit einem Ausdruck von Überlegenheit.

  »Er ist immer im Büro, Harry«, erklärte er. »Marshal Matt Morgan lässt es sogar am Sonntag nicht darauf ankommen, dass irgendwelches Gesindel Unfrieden in Pawley stiftet.«

  Der dritte Junge nickte zustimmend. »Stimmt. Bloß schade, dass Petey Morgan heute nicht bei uns ist.«

  Ein einsamer Reiter kam langsam die Straße entlanggeritten. Er hielt im Zigarettendrehen inne, um einen vorbeistrampelnden Radfahrer mit steifem Derby-Hut zu beobachten. Dann grinste er den drei Jungs zu. »Es ist zu spaßig«, sagte er und schaute wieder dem Radfahrer nach. »An einem Sonntagnachmittag sieht man alles Mögliche in einer großen Stadt.«

  Joey schnaubte voller Verachtung. »Pawley ist doch nicht so groß, Mister.«

  Der Reiter riss ein Streichholz an seinem Gürtel an und blickte die fast leere Straße hinauf und hinab. »In den späten achtziger und frühen neunziger Jahren war das noch anders.« Er schüttelte den Kopf und zündete die Zigarette an. »Eines Tages wird dieses Pawley vielleicht sogar umgepflügt werden, so ruhig ist es jetzt geworden.«

  Er ritt weiter zum Bahnhof weiter.

  Joey wandte sich zur Seite und blickte auf Harry hinab. »Hast du gehört? Marshal Morgan hat damals Ruhe und Ordnung nach Pawley gebracht. Du wirst es selbst hören, wie es war, wenn er dir erzählt, was er damals alles tun musste, um die Banditen zu verjagen.«

  Harry blickte verächtlich die Straße entlang. »Trotzdem wäre es mir lieber, wenn wir hier noch so viel Leben wie damals hätten. Im Augenblick ist nichts zu sehen bis auf den dreckigen alte Indianer, der dort drüben schläft.«

  Joey packte Harry an der Schulter. »Pass auf, Harry: Mrs. Morgan ist eine Indianerin, eine reinrassige Cheyenne. Sprich also in Anwesenheit von Marshal Morgan besser nicht von dreckigen alten Indianern, die hier rumlungern.«

  Harrys Augen weiteten sich in seinem sommersprossigen Gesicht. »Stimmt das mit Mrs. Morgan?«

  »Ja...«

  Harry verzog nachdenklich das Gesicht und starrte hinüber zu dem schlafenden Indianer neben dem Bahnhofsgebäude. »Dann ist also Petey Morgan ein Halbblut-Indianer, nicht wahr?«

  Jimmy Tate wandte sich mit einer heftigen Bewegung dem kleinen Jungen zu.

  »Ja, er ist einer. Aber Petey ist unser Freund. Außerdem, wenn du jemals seinen Großvater Keno sehen solltest, würdest du nie wieder etwas Abfälliges über Indianer oder Halbblütige sagen.«

  Joey nickte. »Petey erzählt, sein Großvater sei in früheren Zeiten ein Crazy-Dog-Krieger gewesen, und das waren die besten Kämpfer bei den Cheyenne-Kriegern.«

  Harry wurde blass. »Ich sag' ja nichts mehr«, stieß er hervor.

  Joey ging auf das Büro des Marshals zu. An der einen Seitenwand war ein großes Plakat angeschlagen. Harry rieb langsam einen Fuß gegen den anderen. »Wird da auf dem Plakat ein Bandit gesucht?«, fragte er voll Ehrfurcht.

  Joey schüttelte den Kopf. »Nein. Das ist Teddy Roosevelt. Er und ein Bursche

namens Fairbanks bewerben sich bei den Republikanern um die Präsidentschaft.«

  »Wirst du einen von ihnen wählen, Joey? Ja?«

  Jimmy spuckte in den Staub. »Der?«, fragte er spöttisch. »Der ist doch noch nicht alt genug zum Wählen.«

  Joey runzelte die Stirn. »Ich werde ihn wählen, wenn ich alt genug bin«, sagte er. »Aber das ist jetzt unwichtig. Wir wollen schließlich den Marshal besuchen.« Er ging die Stufen zu der Veranda empor. »Marshal Morgan?«, rief er.

  Matt Morgan trat an die offene Tür, lehnte sich gegen den Rahmen und betrachtete die drei staubigen Jungen. Sie sahen aus großen Augen zu ihm empor. Um seine schlanke Reitertaille war kein tiefhängender Revolvergürtel geschnallt, aber man wusste, dass dort einer hingehörte. Matt sah die Jungen fragend an. »Soll das ein Überfall sein, Jungs?«, fragte er leise und tippte auf seinen Marshal-Schild. »Ich bin noch im Dienst, falls ihr etwas vorhabt.«

  »Wo ist Petey?«, fragte Jimmy Tate.

  »Wir waren bei Ihnen zu Haus«, sagte Joey. »Er ist nicht da.«

  Matt nickte. »Er ist mit seiner Mutter in die Reservation gefahren. Dort draußen hat es Tänze und Feste gegeben, und seine Mutter wollte ihm das zeigen.« Er beobachtete die enttäuschten Gesichter. »Er wird bald zurück sein. Habt ihr etwas mit ihm vor?«

  Harry befeuchtete sich die Lippen und sah die anderen Jungen an. »Petey wollte uns den Revolver zeigen, den Sie damals benutzt haben, als Sie die Bradley-Jungs umlegten.«

  Matt rieb sich sein hageres Kinn. Ein Schatten schien über seine grauen Augen zu huschen. »Das wollte Petey euch zeigen?«, murmelte er.

  »Ja«, bekräftigte Jimmy eifrig. »Und er wollte uns zeigen, wie Sie es getan haben. Vielleicht könnten Sie es uns selbst vormachen, Marshal?«

  Matt lächelte. »Ich bin sicher, dass ihr die Geschichte von Petey oft genug gehört habt.«

  Joey nickte. Er legte eine Hand auf Harrys Kopf. »Wir haben die Geschichte gehört, aber Harry ist neu in Pawley. Wir haben ihm von Ihnen erzählt, Sir. Würden Sie ihm zuliebe die Geschichte noch einmal wiederholen, Sir?«

  Matt zuckte mit den Schultern. Er schaute die stille Straße entlang. Nichts war ruhiger und stumpfsinniger als ein Sonntagnachmittag in Pawley. Er konnte sich das zur Ehre anrechnen oder sich die Schuld dafür geben - das war letztlich eine Frage der Sichtweise.

  »Wie wär's damit, Marshal?«, fragte Harry mit seiner Piepsstimme.

  Matt schob seinen Hut aus der Stirn zurück. »Also, die Bradley-Jungs waren wirklich hartgesottene Burschen. Ganz böse, wild und gemein. Sie hielten mich in Schach, als ich auf diese Veranda hinaustrat.«

  Harry schluckte schwer, »Und was geschah dann?«

  Matt ging auf einen Pfosten zu und steckte zwei Finger in zwei Löcher in Brusthöhe des Pfostens.

  »Siehst du diese beiden Einschusslöcher, Harry?«

  Joey drehte sich um.

  »Eine Kugel war von Jeb Bradley.«

  »Die andere war von seinem Bruder Frank«, sagte Jimmy.

  Matt wandte sich den Jungen zu und stemmte die Hände in die Hüften. »Hey, wer erzählt hier eigentlich die Geschichte?«

  Joey sah Matt verlegen an. »Entschuldigen Sie, Sir.«

  »Zeigen Sie uns, wie Sie es gemacht haben, Marshal«, bat Harry.

  »Wir werden Sie nicht mehr unterbrechen«, versprach Jimmy.

  »Also gut«, sagte Matt ernst. »Ich werde weitermachen, aber dazu brauche ich meine Utensilien.« Er ging in sein Büro zurück und schloss die Tür hinter sich.

  Hilfs-Marshal Andy Bellew schaute von seiner Patience auf.

  Matt nahm den Revolvergürtel mit dem Colt im Halfter aus seiner Schreibtisch-Schublade und schlang ihn mit geübtem Schwung um seine Hüften. Er schnallte den Gürtel zu und rückte ihn zurecht.

  »Zielübungen, Matt?«, fragte Andy trocken. »Oder etwa die Geister der Bradley-Jungs?«

  Matt grinste. »Einer von Peteys Amigos will die Geschichte von meinem Kampf mit den Bradleys hören.« Er zog den Colt aus dem Halfter und entlud ihn. Dann ließ er den Zylinder wirbeln. »Der alte Hokuspokus.«

  Andy kratzte sich das Kinn. »Soweit ich mich erinnere, war der Kampf alles andere als ein Hokuspokus.«

  Matt zuckte mit den Schultern. »Das stimmt, aber ich glaube, die Jungs draußen

würden sich nicht mit der Hälfte der Vorstellung zufriedengeben. Sie wollen alles richtig sehen. Mit Revolver und so weiter.«

  Er blickte zum staubigen Vorderfenster hin. Drei Nasen pressten sich dort von außen gegen das Glas. Matt blinzelte Andy zu. Er ließ den schweren Revolver am Abzugbügel um den Zeigefinger wirbeln, spannte mit einer schnellen Bewegung den Hahn und drückte ab. Dann ließ er den Colt schnell und leicht in den Halfter gleiten. Er zog den Hut in die Stirn, blinzelte Andy noch einmal zu und ging zur Tür hin.

  Drei Augenpaare folgten Matt, als er an der Tür stehenblieb. Er befeuchtete seine Lippen. »Es geht also los«, murmelte er vor sich hin. Dann hob er die Stimme. »Ich war hier in meinem Büro, Jungs, als ich Lärm und die Schüsse von der Straße her hörte.« Er warf die Schultern zurück, starrte aufmerksam auf die Tür, stieß sie dann vorsichtig auf und ging in eine übertriebene Lauerstellung. »Ich öffnete schnell die

Tür.« Er trat auf die Veranda hinaus und deutete die Straße hinunter. »Dort, wo jetzt Nicks Eis-Konditorei ist, war früher ein übler Salon, Zum rosa Pudel genannt.«

  Die Blicke der Jungen folgten ihm, als er hinter den von Kugeln durchlöcherten Pfosten trat. Matt deutete nach oben. »Jeb Bradley befand sich mit einem Revolver und einer Schrotflinte dort oben auf dem Balkon jenseits der Straße. Die Schrotflinte war mit einer groben, hässliche Wunden reißenden Ladung versehen. Ich war jetzt hier auf der Straße. Frank Bradley trat aus dem Torweg rechts von mir, wo der alte Miet-Stall stand, der im vergangenen Jahr niedergebrannt ist.«

  Joey schüttelte bewundernd den Kopf. »Ich wäre zu gern damals dabei gewesen«, stieß er erregt hervor.