Auch bei diesem Haus fehlte die Nummer, aber es musste 18 oder 20 sein. Jenes daneben auf dieser Straßenseite war 16, und 14 die Adresse, die er mir genannt hatte. Bevor ich weiterging, beschleunigte sich mein Puls auf einmal. Nur ein bisschen, doch ich spürte es. Irgendwann hatte ich angenommen, über solche Dinge längst hinaus zu sein, in letzter Zeit fühlte es sich manchmal wie bei meinen ersten Treffen an.
Beim beleuchteten Eingang sah ich, dass es ungefähr 20 Wohnungen dort gab. Wahrscheinlich würde er unten auf mich warten, denn Türnummer wusste ich keine. Niemand stand dort, aber ich war auch 12 Minuten zu früh. Sollte ich warten, oder ein Stück weiter und rechtzeitig wieder zurück gehen? Als ich einige Male tief durchatmete, war ich ungefähr so locker, wie ich mich selbst gern hätte. Es fühlte sich etwas kühl an, obwohl der Sommer noch lange nicht vorbei war. Manche Abende waren eben kühler, und erst für den nächsten Tag eine Wetterbesserung angesagt.
In 8 Minuten, stellte ich nach ein wenig Herumspielen mit meinem Telefon fest. Am besten, ich wartete, bis er aus dem Haus kam und mich begrüßte. Wie groß war er schnell noch einmal, und welche Haarfarbe hatte er? Egal, er würde mich erkennen, und außer ihm kaum jemand hier herumstehen. Eine Frau blieb vor dem Haustor stehen, sah mich eine Sekunde lang an, und suchte nach ihrem Schlüssel. Sollte ich mit ihr hineingehen? Wahrscheinlich keine gute Idee.
4 oder 5 Minuten später wurde das Gefühl in meiner Magengegend stärker. Ob er genau zur vereinbarten Uhrzeit auftauchen würde? Die Tür öffnete sich, und jemand trat auf den Gehsteig hinaus. Nein, das konnte er nicht sein. Der Mann ging sofort weiter, ohne mich zu beachten. Ich sah mich noch einmal um, überlegte, und nahm das Telefon zur Hand. Ich öffnete die Nachrichten, die wir uns geschickt hatten. Vielleicht wartete er darauf, dass ich ihm schrieb, wenn ich bei ihm war? Also gut …
„Ich bin da … stehe unten vor der Tür.“
Wieder schnellte mein Puls rasch nach oben, nur damit ich ihn sofort wieder unter Kontrolle haben konnte. Es passierte nicht ständig, aber alles war oft genug da gewesen. Ich lief schon lange nicht mehr jeder halbwegs interessanten Gelegenheit nach, nur weil ich bereits über 35 war. Aber an einem Abend, wo ich Zeit und Lust hatte, konnte es eben passieren. Hier geschah einmal nichts … eine halbe Minute später doch. Er antwortete mit einer Telefonnummer und sonst ohne jeden Text. Ein weiteres Mal atmete ich tief durch, wählte die Nummer – und es hob jemand ab. Ich hörte allerdings nur leise Geräusche.
„Ja, also ich wäre dann da“, sprach ich nach einigen Sekunden. Das Rascheln oder Herumtappen änderte sich nur wenig.
„Du bist da?“, antworte auf einmal eine Stimme, mit in die Länge und in die Höhe gezogener Aussprache.
Ich legte sofort auf, steckte das Telefon ein, und machte mich schnellen Schrittes auf den Rückweg. Das Vibrieren in meiner Hosentasche 20 Sekunden später ignorierte ich. Natürlich, jetzt hatte er auch noch meine Nummer. Als es eine Minute später nicht still war, drückte ich auf Ablehnen und blockierte die Nummer. Kaum eine halbe Minute später erhielt ich eine Nachricht von ihm.
„Was ist?“
„Keine Lust mehr?“
„Ruf mich an!“
„Komm schon!“
Als ich seine Nachrichten ebenfalls blockierte, war die Flut erst einmal zu Ende. Neben einer größeren Grünfläche starrte ich in den Nachthimmel und wartete, bis ich mich wirklich beruhigt hatte. Diesmal geschah es nicht so schnell. Hatte ich ernsthaft erwartet, dort endlich meinen Traummann zu treffen? Nicht wirklich, aber er musste irgendwo da draußen sein. Wenn ich ihm keine Chance gab, mich zu finden, würde ich ihn nie treffen.
Sollte er wirklich 10 Zentimeter kleiner als ich sein, der etwas größer als die meisten Männer war? Einer von denen, die auch einmal eine Frau treffen wollten und sich vielleicht nicht ganz sicher dabei waren? Sollte er am besten tiefschwarze Haare und eine glatte, straffe Haut haben? War doch alles völlig egal, aber er sollte ein süßes Lächeln haben. Wenn es sein musste, konnte er total schüchtern und zurückhaltend sein, doch er sollte sich gern im Liegen an mich kuscheln. Er konnte ruhig eine Unterhose tragen, aber ich wollte seine nackte Haut an meiner spüren, und seine Arme um mich. Toll, und meine Gedanken nahmen feste Formen an.
* * *
Wenigstens war es nur zwei Kilometer von mir entfernt und nicht am anderen Ende der Stadt gewesen. Es passierte mir dann und wann, dass jemand nicht aufgetauchte. Aber ob dieser Typ das ständig machte? Das nächste Mal würde ich auf mein Gefühl hören, das ohnehin nicht so gut gewesen war. Das mit dem Aneinanderkuscheln konnte ich mir lediglich vorstellen, andere Dinge auch allein ganz handfest erleben. Alle redeten von einem Dreier oder sogar einem Vierer, niemand von einem gepflegten Einser.
Bei mir zuhause war es ruhig, niemand störte mich. Also nahm ich die Dinge eben selbst in die Hand. Andererseits, die Lust wurde stärker, es wieder einmal mit meiner Suche zu probieren. Also gut. Ich legte mich bequem auf mein Bett, nahm das Handy und suchte wie ein paar Stunden davor nach jemand mit meinen Traum-Kriterien. Null Ergebnisse, also die Bedingungen etwas lockern. Die Haarfarbe war doch wirklich egal, ein paar Kilogramm mehr auch zu verkraften – und schon erschienen an die 20 Ergebnisse.
Der erste Typ schrie in Großbuchstaben nach einem Bild, obwohl er selbst keines im Profil hatte. Der andere … oh toll, ein Intimpiercing. Der nächste hörte sich gut an, und dieses Bauchgefühl tauchte auf einmal auf und schlug in eine angenehm prickelnde Richtung um. Er war perfekt und ich konnte ihn treffen – wenn ich genauso athletisch wie er aussehen würde und zwei Jahre jünger wäre. Bei den anderen stand nicht viel Text drinnen, aber ich schrieb allen kurz, dass sie sich bei Interesse gern melden konnten. Das nannte ich immer „Die Saat auslegen“ oder so. Ansonsten gäbe es noch die Möglichkeit, auf der Straße alle anzusprechen, die wie mein Traummann aussahen. Klar.
Diese plötzliche Müdigkeit überkam mich, und ich schloss für einen Moment die Augen. Nur ein bisschen ausrasten und dann noch ein bisschen … und ich schreckte auf einmal auf. Manchmal passierte das nach einer längeren Wandertour, wenn ich einmal eine unternahm. An den nächsten paar Tagen sollte es laut Wetterbericht warm und sonnig sein, oder? Auch nicht so heiß, dass wirkliches Badewetter herrschte – also perfekt für eine Tour. Zeit hatte ich, wusste schon ungefähr wo.
Sollte ich tatsächlich loslegen und mein Vorhaben für diesen Abend angehen? Ich lachte kurz und herzhaft bei diesem Gedanken, und diese schwere Müdigkeit lag auf einmal wieder über mir. Das T-Shirt konnte ich ruhig ausziehen, die kurze Hose auch, und … ich drehte mich einfach zur Seite und schlug die Decke halb über mich.
Wenn er neben mir liegen würde, konnte er sich genau jetzt von hinten fest an mich kuscheln. Es war nicht wichtig, ob er vielleicht ebenfalls seiner Lust nachgeben oder einfach nur menschliche Wärme spüren wollte. Wir konnten auch einmal umgekehrt liegen, doch an diesem Tag lag er genau so neben mir … wenn ich das wollte. Es hieß, alles würde wirklich geschehen, wenn jemand oft und intensiv genug daran dachte. Alle Gedanken konnten sich manifestieren, auch ohne an solche Dinge zu glauben. Also lag ich zur Seite gedreht und in meinen Polster gekuschelt, lächelte zufrieden … und mein Traummann lag neben mir. Seine Arme legten sich um mich, seine Finger schlossen sich sanft um meine, ohne fest zuzudrücken. Ich spürte seine warme Haut an meinem Rücken, und wie er ein Bein um meines schlang.
„Gute Nacht“, sagte ich leise, und er streichelte mich als Antwort sehr langsam.