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edition oberkassel

1

Andrew Collins fuhr die abgelegene Landstraße entlang, die angeblich von Castlebar Richtung Galway führen sollte. Allmählich hatte er das Gefühl, sich verfahren zu haben. Das letzte Hinweisschild hatte er gesehen, als er in die Seitenstraße der M 18 abgebogen war. Vielleicht hatte er eine Abzweigung verpasst, so in Gedanken, wie er war. Düstere Wolken hingen tief am Himmel, feiner Regen sprühte gegen die Frontscheibe seines Wagens, und in Böen fuhr der Wind übers Land. Bestimmt war er mittlerweile an die zehn Meilen von Castlebar entfernt. Es war nicht schlimm, falls er sich tatsächlich verfahren haben sollte. Er hatte ja kein Ziel, fuhr nur so durch die Gegend, um Abstand zwischen sich und Heather zu bringen, und wenn ihm danach war, würde er wieder umkehren. Um ihn herum gab es scheinbar endlose Wiesen, hügelig und sattgrün, hier und da ein paar Büsche sowie Steine und Mauerreste, die aus der Landschaft ragten und zum Teil mit Moos bewachsen waren. Bei schönem Wetter mochte die Gegend herrlich sein. Doch heute war alles grau in grau und man konnte nicht weiter als etwa hundert Fuß sehen. Danach versank die Natur in dichtem Nebel, passend zu seiner Verfassung. Weltende.

Seit er losgefahren war, hoffte er neuen Mut zu fassen und zu ein wenig innerer Ruhe zu finden. Dummerweise besänftigte die stille Landschaft sein aufgewühltes Gemüt nicht wie erhofft.

Andrew fuhr sich mit der rechten Hand durch die schwarzen Locken. Im Kofferraum seines VW Variant hechelte Callum und bewegte sich unruhig. Andrew warf einen Blick in den Rückspiegel. Der Hund musste raus, egal wie schlecht das Wetter war. Seitlich an der Straße konnte er nicht halten. Das Bankett war höchstens handbreit. Nach dem Regen der letzten Tage mochten die Wiesen neben der Fahrbahn matschig sein und er lief Gefahr, mit den Rädern im Erdreich stecken zu bleiben. Die Überlegung, wo er mit dem Tier ein paar Schritte laufen könnte, beschäftigte ihn noch, als nach einer lang gezogenen Kurve zur rechten Seite ein Feldweg auftauchte – wie bestellt. Andrew bremste, setzte gewohnheitsgemäß den Blinker und bog ab. Sein Wagen holperte über den groben Kies des Weges, durch dessen Mitte sich ein schmaler Grünstreifen zog. Die hochgewachsenen Gräser streiften die Unterseite seines Fahrzeugs. Ein Stück weit entfernt glaubte er, durch den immer dichter werdenden Nebel eine Parkbucht zu erkennen. Vielleicht konnte er dort anhalten, damit Callum sich erleichterte. Der Hund winselte.

»Ruhig, mein Junge. Du darfst gleich raus«, brummte Andrew und wunderte sich, dass er überhaupt noch sprechen konnte. Der heftige Streit vorhin mit Heather hatte ihm zunehmend die Sprache verschlagen, je wütender sie geworden war. Um ihren zornigen Tiraden zu entgehen, hatte er, zusammen mit dem Hund, die Flucht ergriffen, wie so häufig.

Die vermeintliche Parkbucht war nichts weiter als eine einseitige Verbreiterung des Feldweges. Er hielt an, stellte den Motor ab und stieg aus. Sofort fuhr ihm ein Windstoß in den Kragen seines grauen Mantels und zerrte an seinen Haaren. Er ging um das Auto herum und öffnete die Heckklappe. Mit einem Satz sprang der schwarze Labradorrüde aus dem Fahrzeug, schnüffelte hektisch über das Erdreich und hob das Bein an einem Grasbüschel. Andrew nestelte die Kapuze seines Sweatshirts unter dem Mantel hervor und zog sie über den Kopf. Der Wind blies unangenehm frisch. Wenn er nicht achtgab, bekam er gleich wieder eine Ohrenentzündung. Das bedeutete nicht nur Schmerzen, einen weiteren Arztbesuch und die Einnahme von Antibiotika, sondern noch mehr Häme von Heather. Er hatte einfach die falsche Frau geheiratet. Dabei hatte er seinerzeit geglaubt, sie sei die einzig richtige. Er musste blind gewesen sein. Er stopfte seine Haare unter die Kapuze und schloss das Band unter dem Kinn. Schon besser. Callum sprang über den Rasen. In Andrews Innerem regte sich ein warmes Gefühl. Immerhin ging es dem Tier gut. Er beschloss, hinter dem Hund herzugehen, ehe er gänzlich in Schwermut versank. Mit gesenktem Kopf, um dem Sprühregen wenigstens ein bisschen zu entgehen, stapfte er querfeldein hinter Callum her. Gedankenverloren schob er die Hände in die Manteltaschen und zuckte zurück. Er fühlte das zerknitterte Papier eines Schreibens seiner Bank, das er heute Morgen in aller Eile dort versteckt hatte. Die Nachricht wäre neuer Zündstoff für Heather gewesen. Wenn er in vier Wochen nicht die rückständigen Raten für das Haus beglichen hatte, lag der Rest seines Lebens in Scherben. Es war nicht die erste Erinnerung des Geldinstituts, seinen Verpflichtungen nachzukommen. Er hatte schon mehrere Termine bei seinem Sachbearbeiter und auch dessen Vorgesetztem gehabt und um Stundung der Raten gebeten, was abgelehnt worden war. Nun drohte die Zwangsversteigerung, womit auch seine Ehe am Ende sein würde, und sein Ruf als Anwalt wäre gleichfalls ruiniert. Welcher Klient wollte sich ihm denn noch anvertrauen und seine Hilfe in Anspruch nehmen, wenn ihm seine Habe unter dem Hintern weggepfändet wurde? Auch seine Büroräume waren noch nicht abbezahlt. Er mochte die Hand nicht dafür ins Feuer legen, dass die Bank ihm diese ließ, um seine Existenz zu sichern. Die waren doch wie die Geier und stürzten sich auf alles, was nur möglich war. Heather würde toben und ihn augenblicklich verlassen, machten die Halsabschneider ihre Rechte geltend. Viel Zeit blieb ihm nicht mehr, und eine Lösung war nicht in Sicht. Andrew zog die Schultern zusammen. Unsichtbare Wände und Decken schienen auf ihn zuzukommen und ihn zu erdrücken. Das Atmen fiel ihm schwer. Ganz ruhig. Für ein paar Sekunden blieb er stehen und sog bedächtig die kalte, neblige Luft ein, die in Schwaden über die Landschaft waberte. Langsam wurde es besser und er ging weiter. Nachdem er wahrhaft keine Ahnung hatte, wie er seine Schulden tilgen sollte, konnte er sich eigentlich die Kugel geben. Suizid war tatsächlich der einzige Ausweg, den er noch sah. Ernsthaft darüber nachgedacht hatte er noch nicht. Doch leise und nagend kam der Gedanke immer wieder. Aber da war Callum, das treue Tier. Ihn konnte und wollte er nicht im Stich lassen. Es schnürte ihm die Kehle zu. Andrew versuchte, sich aus seinen qualvollen Grübeleien zu lösen. Nein, er würde sich nichts antun. Eher resignierte er. Sollte die Bank ihm den Geldhahn zudrehen, sollte Heather ihrer Wege gehen – irgendwie würde er weiterexistieren. Und wenn er als Bettler mit seinem Hund am Straßenrand hockte. Es musste ja weder in Castlebar noch in Galway sein, wo ihn viele kannten. Irland war groß genug. Er konnte auch in Dublin oder Cork betteln, mit Callum an seiner Seite. Das Tier brauchte ihn. Wo war der Hund überhaupt? Andrew hob den Kopf und ließ den Blick über das Gelände gleiten. Von Callum war weit und breit nichts zu sehen. Der Regen hatte aufgehört und die grauen Schwaden des Nebels lichteten sich.

»Callum?«, rief er und drehte sich einmal um die eigene Achse. Nichts. Der Hund war verschwunden. In Andrews Magen ballte sich Furcht. Callum verschwand nie. Er hielt sich immer in seiner Nähe.

»Callum?«, rief er noch einmal und deutlich lauter. Es blieb still. Er holte Luft und stieß einen scharfen Pfiff aus. Wieder nichts. Sein Herz schlug hart gegen die Rippen. Wo war sein Hund? In einiger Entfernung sah er einen kleinen Hügel, an dessen Fuß etliche Büsche wuchsen. Locker verteilt seitlich der Erhebung ragten Hochkreuze, die sogenannten Keltenkreuze, in die Höhe. Eindeutig, dort befand sich ein Friedhof. Andrew hatte den Drang, sich durch die Haare zu fahren, doch über die hatte er sorgsam die Kapuze gezogen. Er mochte keine Friedhöfe und vermied es tunlichst, sich in der Nähe eines solchen aufzuhalten. Dennoch: Erklomm er den Hügel, konnte er die Landschaft besser überblicken. Er wollte seinen Hund wiederhaben, und die Toten würden ihm nichts tun.

Eilig machte er sich auf den Weg. Beim Näherkommen sah er hier und da, in einigem Abstand zu den Kreuzen, niedrige Mauerreste. Möglich, hier hatte vor Jahrhunderten eine Kirche gestanden, die zum Friedhof gehörte, oder ein Kloster. Immer wieder blieb er stehen, lauschte, rief und pfiff nach Callum. Das Tier war wie vom Erdboden verschluckt. Andrew war kalt vor Angst. Es konnte nicht sein, dass sein guter und einziger Kamerad fort war. Für einen Augenblick hatte er den Drang, hilflos um sich zu schlagen, als könnte er damit etwas bewirken. Er biss die Zähne aufeinander und lief weiter. Er hatte die gut mannshohe Erhebung fast erreicht, als er einige von Gras und Moos überwucherte steinerne Stufen entdeckte, die zwischen den Sträuchern in eine Senke des Hügels führten. In diesem Moment hörte er ein Winseln. Unendliche Erleichterung durchflutete ihn. Callum war hier irgendwo in der Nähe. Noch einmal rief er nach ihm. Der Hund antwortete mit einem Wuff, das gedämpft aus der Tiefe des Erdreiches zu kommen schien. Andrew näherte sich den alten Stufen, schob die Zweige der Sträucher auseinander und beugte sich vor. Er entdeckte einen niedrigen, bogenförmigen Eingang.

»Callum? Hierher!«

Das Tier fiepte und er hörte ihn mit einer Pfote schaben. In die Erleichterung, ihn wiedergefunden zu haben, mischte sich Ungeduld. Was war los mit ihm? Normalerweise gehorchte er aufs Wort. Andrew zwängte sich durch die Büsche. Fast rechnete er damit, an dornigen Zweigen hängen zu bleiben und sich den Mantel zu ruinieren, doch die Äste, mit erstem zarten Grün des Frühjahrs besetzt, schnellten zurück, sowie er an ihnen vorbei war, ohne Schaden anzurichten. Der Eingang zu dem unterirdischen Gewölbe war offen, nur zwei rostige, halb herausgebrochene Scharniere hingen links in der Mauer. Ein Frösteln rann ihm über den Rücken. Er wollte nicht dort hinunter. Bestimmt führten die Stufen in den Keller des Gotteshauses, dessen Mauerreste er auf seinem Weg hierher gesehen hatte. Vielleicht in Katakomben aus längst vergangenen Zeiten. Er sah niedrige Gewölbedecken vor sich, getragen von Säulen aus Felsgestein, Vertiefungen in den Wänden, in denen die Gebeine Verstorbener ruhten, Särge, die darauf warteten, gebraucht zu werden. Oder die gar schon … Er schluckte. Genug jetzt. Außerdem war der Friedhof noch ein Stück entfernt. Wenn er nicht irgendwelchen unterirdischen Gängen über eine längere Strecke folgte, befand er sich gar nicht unter den Gräbern. Er würde Callum holen und dann nach Hause fahren. Andrew tastete nach seinem Handy, fand es in der linken Manteltasche und schaltete die Lampenfunktion ein. Eine schmale Steintreppe führte den engen Einlass hinunter und machte nach wenigen Stufen eine Biegung nach links. Er stützte sich mit einer Hand an der feuchten rauen Mauer ab und tastete sich behutsam und mit vorsichtigen Schritten in die Tiefe. Die Treppe war ausgetreten und rutschig. Wenn er stürzte und sich ernsthaft verletzte, fand er vielleicht hier unten seine letzte Ruhe. Dann hatte das Schicksal entschieden. Andrew schnitt eine Grimasse. Natürlich nicht. Der Hund würde versuchen, Hilfe zu holen. In unregelmäßigen Abständen winselte Callum. Feuchte Kälte durchdrang Andrews Kleidung, die Luft roch modrig und war eiskalt. Das Licht seines Handys flackerte über die alten Mauern und warf unruhige Schatten, gleich nervösen Geistern, deren Ruhe er störte. Er hatte die Biegung der Treppe erreicht. Einige wenige Stufen führten noch in die Tiefe, dann tat sich ein schmaler Gang vor ihm auf, von dem etliche niedrige Holztüren abgingen. Vor einer der Türen hockte Callum, offenbar gesund und munter. Eine Last fiel von Andrew ab.

»Sag mal, mein Alter, was soll denn das? Abhauen und nicht mehr zurückkommen?« Er sprach mit gesenkter Stimme, ging zu dem Hund und streichelte ihn. Callum wedelte kurz mit dem Schwanz und schabte mit der Pfote an der Tür, vor der er hockte. Sie war mit einem quergelegten Holzbalken sowie einem eisernen Riegel verschlossen.

»Komm, mein Junge. Wir gehen«, bestimmte Andrew. Nichts wie raus hier. Die reinste Gruft. Was mochte über ihm sein? Doch die Gräber der Toten? Er schielte nach oben. Beinahe rechnete er damit, dass Gebeine durch die Decke ragten. Nur ein paar feuchte Spuren zogen dunkle Linien über den unebenen Fels. Callum rührte sich nicht.

»Was ist? Ich will hier raus.« Er packte den Hund am Halsband. In diesem Moment hörte Andrew aus dem Verschlag ein lang gezogenes Stöhnen und einige dumpfe Schläge. Seine Kehle wurde trocken und ihn durchrann ein Schauer. Hier war jemand.

»Callum?« Er flüsterte.

Das Tier schnüffelte geräuschvoll am unteren Rand der Tür. Andrew fürchtete sich so, dass er sich kaum bewegen konnte. Hier stimmte etwas nicht. Vielleicht sollte er schleunigst hoch ans Tageslicht und die Polizei verständigen. Allerdings wusste er nicht, was er den Beamten erzählen sollte. Möglicherweise hielten sie ihn für nicht ganz richtig im Kopf. Und wo genau sich der Einstieg zu dem Kellergewölbe befand, hätte er auch nicht sagen können. Er war ja beinahe kreuz und quer durch die Gegend gefahren.

Okay, ich seh nach, beschloss er. Er ließ den Hund los, klemmte sich das Handy zwischen die Lippen und versuchte, das Licht, so gut es ging, auf die Tür zu richten.

Der quergelegte Balken war noch schwerer, als er gedacht hatte. Mühsam stemmte er ihn hoch. Er fiel ihm aus den Händen, polterte lautstark zu Boden und wäre ihm fast auf die Füße gefallen. Kalter Schweiß überzog seinen Körper, teils vor Anstrengung, teils vor Furcht, was ihn in dem Raum erwartete. Er schob den eisernen Riegel beiseite, der die Tür zusätzlich sicherte. Welch ein Unfug, die doppelte Sicherung. Niemand konnte nach draußen, wenn der Balken quer lag. Vorsichtig zog er die Tür auf und leuchtete in das Kellerabteil. Ein unerträglicher Gestank nach menschlichen Ausscheidungen schlug ihm entgegen. Im Lichtkegel der Lampe sah er eine junge Frau, die auf dem Boden lag, unter ihr eine dünne Wolldecke. Ihr Mund war mit einem Klebestreifen verschlossen, ihre Hände waren hinter dem Rücken mit einem mehrfach verschlungenen Paketband gefesselt. Auch um ihre Fußknöchel war das Band geschlossen, jedoch mit ein wenig Spielraum. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie ihn an und machte eine zappelnde Bewegung mit den Beinen. Neben ihrem Lager sah er eine umgekippte Blechdose, aus der ein kleiner Strauß Kunstblumen herausragte.

Verdammte Scheiße, fuhr es ihm durch den Kopf.

In dem Augenblick hörte er Schritte und das schwere Atmen eines Menschen, der die Treppe herunterkam. Ein Lichtstrahl flackerte durch den Flur. Andrew gefror das Blut in den Adern.

⊂⊕⊃

Detective Inspector Frederick Dunn schlüpfte in seine Schuhe und verschnürte sie. Sein Bauch war ihm im Weg. Er musste unbedingt abnehmen. Seitlich von ihm, an den Rahmen der Wohnzimmertür gelehnt, stand Shannon, die Arme vor der Brust verschränkt.

»Ich möchte schon gern wissen, was du gegen Robin hast. Du kennst ihn doch gar nicht«, empörte sie sich. Dunn richtete sich auf. Sein Kopf war rot angelaufen, was am Bücken beim Binden der Schnürsenkel lag, die Situation für ihn jedoch keineswegs besser machte. Shannon würde seine auffällige Gesichtsfarbe ihrer Auseinandersetzung zuschreiben.

»Ich habe gar nichts gegen diesen Robin, und du kennst ihn genauso wenig wie ich. Aber ich habe etwas dagegen, dass meine gerade 16-jährige Tochter mit fremden Kerlen aus dem Internet …«

»Daddy!«

»Was?« Dunn nahm seinen Parka vom Haken und zog ihn an. Das Frühjahr war noch frisch.

»Das macht heutzutage jeder, Leute übers Internet kennenlernen. Nur du lebst wieder hinter dem Mond und bekommst nix mit außer deinen Verbrechen.«

»Shannon.«

Dunn atmete tief durch. Ruhig bleiben. Die Streitereien führten zu gar nichts. Zumal Helen, seine Mutter und Shannons Großmutter, in Erziehungsfragen nicht immer seiner Meinung war. Sie hatte jedenfalls lange vor ihm gewusst, dass Shannon sich auf Dating-Seiten für junge Leute herumtrieb, und darüber stillgeschwiegen. Bis er seine Tochter quasi in flagranti beim Chatten und Betrachten paarungswilliger Typen erwischt hatte. Und nun wollte sie diesen Robin treffen.

»Du weißt überhaupt nichts von dem … ähm, jungen Mann. Es kann sein, er ist gar nicht 18 Jahre alt, er macht keine Ausbildung zum … ach, was weiß ich. Er ist …«

»Ja, ja. Er ist ein Kinderschänder oder ein fetter alter Sack, der Nacktfotos von mir will. Vielleicht war er schon im Gefängnis oder er hat ein Drogenproblem. Was noch?«

Beinahe höhnisch sah ihn seine Tochter an. Dunn hätte sie packen und schütteln mögen.

»Du hast keine Ahnung, wie es da draußen in der Welt zugeht!«, fuhr er sie an, lauter und heftiger, als er gewollt hatte. »Alles, was du eben gesagt hast, liegt durchaus im Bereich des Möglichen – und noch vieles andere mehr. Such dir deine Freunde, wo du willst, aber nicht im Internet! Ich muss jetzt gehen. Du triffst dich jedenfalls nicht mit dem Kerl!«

»Ha! Und wie willst du das verhindern?«, trumpfte Shannon auf. Er sah ein winziges unsicheres Flackern in ihren Augen.

»Das werde ich. Verlass dich drauf.«

Ihm war heiß geworden.

»Ich muss los, ich bin spät dran. Und heute Abend, wenn ich nach Hause komme, bist du hier! Ansonsten sorge ich dafür, dass …«

»Was?« Nun war es Shannon, deren heute ausnahmsweise noch ungeschminktes Gesicht rot anlief.

»Das wirst du dann schon sehen. Bis später.«

Ohne eine Antwort abzuwarten, verließ er die Wohnung und eilte die wenigen Stufen vom Hochparterre zur Haustür hinunter.

»Freddy?«, tönte die Stimme seiner Mutter aus dem ersten Stock. Er blieb stehen und sah durch das Geländer, über das sich Helen Dunn beugte, nach oben.

»Shannon bleibt heute hier. Es kommt nicht infrage, dass sie …«, begann er.

Seine Mutter winkte ab.

»Das dachte ich mir, dass du das sagst. Wir sprechen später darüber. Hat sie dir erzählt, dass Ella angerufen hat?«

Dunn glaubte, einen Schlag in den Magen zu bekommen. Augenblicklich hatte er das Gefühl, seine Füße wären aus Blei und er könnte sich nicht vom Fleck bewegen.

»Nein.« Sein Mund schien wie mit Sand gefüllt. Fast vier Jahre war es jetzt her, dass Ella, seine Frau, ihn und ihre gemeinsame Tochter von einem Tag auf den anderen verlassen hatte. Seither hatte sie sich kaum je gemeldet.

»Sie will Shannon sehen.«

Ihm wurde kalt und übel zugleich.

»Kommt nicht infrage …«, wiederholte er sich. Ihre Rechte als Mutter hatte Ella verwirkt. In seinen Ohren rauschte es.

»Kipp nicht das Kind mit dem Bad aus. Sie ist immer noch Shannons Mutter. Wir reden später darüber. Jetzt geh zur Arbeit, du kommst zu spät.«

»Es gibt nichts zu reden«, widersprach er, und hilfloses Entsetzen vom Kopf bis zu den Zehen drohte ihn zu überwältigen. »Ich entscheide, wen Shannon sieht und trifft.« Er brach ab, als ihm bewusst wurde, dass seine Tochter möglicherweise hinter der Wohnungstür stand und lauschte.

»Frederick«, mahnte seine Mutter. Er ballte die Faust. Von einem Augenblick zum anderen fühlte er sich wie ein gemaßregeltes Kind.

»Ich muss gehen. Bis heute Abend.«

Hastig verließ er das Haus. Auf seinem Rücken brannte der Blick der Mutter, obgleich diese ihn schon längst nicht mehr sehen konnte.

Als er zwanzig Minuten später in seinem Büro der Polizeistation in Galway hinter dem Schreibtisch saß, hatte er eine rote Ampel überfahren, einen Fußgängerüberweg missachtet und sich keineswegs beruhigt. Er bekämpfte den Drang, seine Nerven mit einer Zigarette zu besänftigen, mit einem großen Schluck Wasser. Vor etwa einem Jahr hatte er mit dem Rauchen aufgehört. Nur zweimal war er bisher, jeweils für die Länge einer Zigarette, rückfällig geworden. Hatte sich denn alles gegen ihn verschworen? Reichte es doch schon, dass Shannon sich im Internet herumtrieb und sich nun tatsächlich mit jemandem verabredet hatte. Ausgerechnet jetzt meldete sich auch noch Ella. Er war sicher, sie würde sämtliche pubertären Flausen von Shannon unterstützen, um bei ihr zu punkten. Er presste die Fingerspitzen aneinander. In seinem Kopf schwirrten aufgeschreckte Sorgen und Ängste, gleich wilden, planlosen Hummeln. Dunn massierte sich die Schläfen. Es war nicht gut, Panik zu schieben und wie erstarrt abzuwarten, was passieren würde. Er musste etwas tun, um sämtliche Gefahren halbwegs unter Kontrolle zu haben.

Schwerfällig drückte er auf den Startknopf, um den Computer hochzufahren. Unter Google gab er Dating-Portale ein. Zu dumm, dass er nicht wusste, auf welcher Seite Shannon diesen Robin kennengelernt hatte. Als Dunn plötzlich hinter ihr in ihrem Zimmer gestanden hatte, hatte sie rasch den Bildschirm des Laptops heruntergeklappt, sodass er keine Einzelheiten hatte erkennen können. Ob der Kerl überhaupt Robin hieß? Wie sollte er den Burschen finden? Das Einzige, woran er sich erinnern konnte, war, dass der Kerl dunkle kinnlange Haare hatte und auf dem Kopf so eine dämliche nach hinten gedrehte Schirmkappe getragen hatte. Frustriert klickte er den ersten Seitenvorschlag an. Das Portal war auf eine Altersgruppe von 25 bis 50 Jahren begrenzt. Egal, das war sicher nicht so genau zu nehmen. Nun musste er sich auch noch registrieren, ehe er sich einloggen konnte, um sich die liebeshungrigen Bewerber anzusehen. Er grübelte noch, mit welchem Fake-Namen er sich anmelden sollte, als es an die Bürotür klopfte.

»Ja?«, knurrte Dunn. Smith schob den Kopf durch den Türspalt.

»Inspector? Guten Morgen. Ist alles in Ordnung?«

»Natürlich ist alles in Ordnung. Wieso?«

»Weil Sie vor ein paar Minuten an mir vorbeigerannt sind, ohne mich wahrzunehmen. Ich hab Guten Morgen gesagt, aber Sie …« Der Mitarbeiter brach ab, betrat den Raum und schloss die Tür hinter sich.

»Sorry«, murmelte Dunn. »Guten Morgen. Ich hab nur schlecht geschlafen«, fühlte er sich bemüßigt zu erklären.

»Kommt vor«, bestätigte der Kollege.

»Gibt’s was Neues?«, rang Dunn sich zu fragen durch, da Smith offenbar Interesse an ein wenig morgendlichem Palaver hatte.

Der Mitarbeiter zuckte mit den Schultern.

»Für uns nicht, zumindest bis jetzt nicht. Stevens ist mit einem Entführungsfall beschäftigt. Eine Bankierstochter ist seit zwei Tagen verschwunden. Es ist aber noch gar nicht sicher, ob es eine Entführung ist. Vielleicht ist sie auch einfach nur mit ihrem Typen durchgebrannt.«

Dunn nickte. Die Arbeit des neuen Kollegen, der in erster Linie Vermisstenfälle bearbeitete, interessierten ihn nicht. Ihn betrafen Mord und Totschlag. Um verschwundene Personen musste er sich nur kümmern, wenn Verdacht auf ein Tötungsdelikt bestand oder die abgängigen Bürger mit einem solchen in Verbindung gebracht wurden. Und diesen Stevens konnte er ohnehin nicht leiden.

»Der Vater ist jedenfalls außer sich. Er behauptet, seine Tochter würde niemals einfach so verschwinden. Außerdem hat sie nichts mitgenommen. Keine Papiere, keine Kleidung. Na ja, ich frag mich schon, wie er das mit der Kleidung so leicht feststellen will. Die meisten Frauen haben doch so viel, da verliert man komplett den Überblick.« Er grinste. Dunn wünschte, er würde endlich gehen, damit er weiter recherchieren konnte. Smith zog die Nase kraus, hielt die Luft an und nieste dreimal hintereinander.

Dunn verzog das Gesicht.

»Haben Sie etwa eine Erkältung? Stecken Sie mich bloß nicht an.«

»Keine Sorge. Das ist nur mein alljährlicher Heuschnupfen.« Er schniefte.

»Haben Sie ein Taschentuch für mich?«

Dunn kramte in seiner Schreibtischschublade und Smith trat zu ihm. Er fand ein halbes Päckchen Papiertücher und wollte ihm eben eines reichen, als er merkte, dass Smith’ Blick auf den Bildschirm fiel. Der Stuhl unter ihm schien heiß zu werden. Der Kollege verzog keine Miene und nahm das Taschentuch entgegen.

»Danke«, brummte Smith. »Ich geh dann mal. Alte Fälle durchsehen, wie immer, wenn nichts Neues ansteht.«

»Machen Sie das«, quetschte Dunn hervor. Smith zog die Tür hinter sich zu.

Dunn klickte wütend die Seite mit dem Dating-Portal zu. Der Tag wurde immer schlimmer.

⊂⊕⊃

Andrew stand wie festzementiert an seinem Platz und starrte zur Tür. Callums Körper spannte sich an und er ließ ein warnendes Knurren hören. Andrew griff nach dem Halsband des Hundes.

Der Lichtstrahl zitterte über die unebenen Mauerwände des unterirdischen Ganges, und es schnürte ihm die Luft ab. Die gefesselte Frau zu seinen Füßen rührte sich nicht mehr. Callum knurrte, und die näherkommenden Schritte verhallten. Für einen wahnwitzigen Augenblick hatte Andrew den Drang, in das Kellerabteil zu schlüpfen und die Tür zuzuschlagen, um sich in trügerische Sicherheit zu bringen, doch vermutlich konnte er sie nicht von innen verschließen.

Der Lichtstrahl zuckte in seine Richtung und die Schritte, jetzt behutsam und deutlich vorsichtiger, waren zu hören. Andrews Herz drosch gegen die Rippen.

Eine Gestalt tauchte am Fuß der Treppe auf. Bevor Andrew erkennen konnte, wer da stand, richtete derjenige den Strahl seiner Lampe direkt in sein Gesicht. Callum schnellte nach vorne. Eisern hielt er den Hund fest, der ihn mit seinem plötzlichen Satz beinahe zu Boden gerissen hätte. Er bellte und knurrte wechselweise und gebärdete sich wie besessen. Andrew konnte das massige Tier kaum noch halten. Sein Herz raste, und unterschwellig nahm er wahr, wie ihm kalter Schweiß aus allen Poren brach. Callum hechtete erneut nach vorne, und nun entglitt Andrew endgültig das Halsband. Das Tier stellte sich schützend vor ihn und fletschte knurrend die Zähne.

»Ruf das Vieh zurück, oder ich knall es ab!« Die heisere Stimme, die seltsam hohl von den alten Wänden zurückgeworfen wurde, gehörte einem Mann.

»Wird’s bald!« Kurz wackelte der Lichtstrahl, der ihn blendete, und Andrew erkannte eine Pistole, die auf ihn und den Hund gerichtet war.

»Callum! Aus! Hierher!« Er krächzte. Erstaunlicherweise gehorchte der Hund. Zwar knurrte er weiter, aber nur noch verhalten, und er tapste rückwärts, bis er dicht bei ihm stand. Der warme kräftige Rücken des Tieres berührte seinen Oberschenkel. Der Fremde trat langsam ein paar Schritte nach hinten, die Waffe nach wie vor bedrohlich auf ihn gerichtet.

»Raus hier!«, zischte er und wedelte mit der Pistole. Andrew sah verschwommen die Umrisse einer schmalen Gestalt. Inzwischen hielt der Mann die Lampe nicht mehr unmittelbar in seine Augen.

Grüne und blaue Kreise blitzten vor Andrews Iris, die mit den Folgen des direkten Lichteinfalles kämpfte. Vorsichtig bewegte er sich nach vorn, die Hand wieder am Halsband des Hundes, der widerstandslos mitkam. Die Frau gab einen Laut von sich, der ohne den Klebestreifen wohl ein hysterischer Aufschrei gewesen wäre.

Der Bewaffnete ging rückwärts, ohne Andrew und Callum aus den Augen zu lassen. Er schob den Riegel an einer der gegenüberliegenden Türen zurück und stieß sie auf.

»Da rein!«, fuhr er ihn an und wedelte mit der Pistole. »Los!«

Andrew spürte einen Ruck in seiner Hand; ihm entglitt das Halsband des Hundes und Callum sprang mit gefletschten Zähnen gegen die Brust des Mannes. Dieser gab einen wütenden Schrei von sich, stolperte und fiel nach hinten. Er winkelte den Arm an und zielte auf Callum. Panische Furcht durchjagte Andrew. Mit einem Satz war er bei dem am Boden liegenden Kerl, packte dessen Handgelenk und versuchte, ihm die Waffe zu entwinden. Ein Schuss knallte und hallte wie in Zeitlupe durch das jahrhundertealte Gewölbe. Der Mann bäumte sich auf, zuckte und wand sich wie in plötzlichen Krämpfen. Eine dunkle Masse quoll aus seinem Unterleib. Die Taschenlampe rollte ein paar Fuß über den Boden und blieb an der Wand liegen. Ihr Lichtstrahl durchdrang den unterirdischen alten Gang. Andrew sah eine kleine schwarze Tasche, die der Bewaffnete über der linken Schulter getragen hatte. Der Riemen war abgerutscht und befand sich auf Höhe des Ellbogens. Der Arm mit der Waffe lag neben ihm und zuckte rhythmisch. Hastig beugte Andrew sich vor. Mit spitzen Fingern entzog er ihm die Pistole. Callum knurrte noch immer. Der Mann verdrehte den Blick, stöhnte und fiel in sich zusammen. Mit brennenden Augen und rasendem Puls fixierte Andrew seinen jetzt wehrlosen Angreifer. Der knochige Brustkorb unter dem schwarz-weiß-karierten Hemd hob und senkte sich. Er war nur bewusstlos, nicht tot. Eine Welle der Erleichterung, gepaart mit unglaublichem Entsetzen ob der Situation, durchlief ihn. Und nun? Er konnte ihn doch nicht hier liegen und verrecken lassen?

Callum fiepte und leckte über Andrews Hand. Das holte ihn aus seiner Erstarrung. Er stopfte die Waffe in die Manteltasche. Eine Sekunde zögerte er, dann klemmte er sein Handy zwischen die Zähne, packte den Bewusstlosen unter den Armen und schleifte ihn in den offen stehenden Raum. Das Licht seiner Lampe wurde schwächer und flackerte. Der Akku würde bald leer sein. Callum folgte ihm und schnüffelte vernehmlich. Rasch leuchtete Andrew den Raum aus. Er war klein und vollgestellt mit diversen Kisten. Es roch nach Moder und Verfall, mehr noch als im Gang. Die Luft hier unten mochte seit Jahrhunderten niemand mehr eingeatmet haben. Andrew schauderte es, und hastig verließ er den Verschlag. Callum, der sich dicht hinter ihm hielt, jaulte kurz auf.

Er wandte sich ihm zu und streichelte seinen Kopf. Die warme feuchte Zunge des Tieres glitt über seine Hand.

Auf dem Boden lag, neben einer großen Blutlache, die schwarze Tasche des Mannes. Flüssigkeit sickerte heraus. Andrew nahm sie und warf sie zu dem Kerl in den Raum. Rasch drückte er die Tür zu und schob den Riegel vor. Das Licht seines Handys drohte zu verlöschen. An der Wand, nahe der Blutlache, lag die verdammte Taschenlampe, die der Kerl dabeigehabt hatte. Angewidert hob er sie auf und steckte sein Handy weg.

In seinem Kopf rauschte es. Es war bestimmt Blut an der Lampe. Ekliges fremdes Blut eines Verbrechers. Ihm wurde übel. Wenn er keine Hilfe holte, ging der Kerl drauf und er war schuld. Callum stupste ihn am Oberschenkel, wedelte mit dem Schwanz und tapste zu dem Raum, in dem die gefesselte Frau lag. Mit steifen Beinen folgte ihm Andrew. Die Frau hatte es geschafft, sich aufzusetzen. Wieder starrte sie ihn mit weit aufgerissenen Augen an und bewegte gleichzeitig hektisch die Schultern und den Kopf, als wollte sie ihre Fesseln und den Klebestreifen abschütteln.

Mit einem Schritt war er bei ihr und riss ihr das Klebeband vom Mund.

»Aaahhh«, fing die Frau an zu kreischen, in unerträglich schriller Tonlage. Andrew schnellte vor und hielt ihr den Mund zu.

»Hör sofort auf zu schreien!«, herrschte er sie an. Er spürte ihre rissigen Lippen, die kühle Haut ihres Gesichtes, und wie sie unter seiner Hand zitterte. Immerhin verstummte sie. Callum schnüffelte an den Füßen der Frau.

»Ich tu dir nichts«, ergänzte er, etwas ruhiger. Vorsichtig löste er die Hand von ihrem Mund, bereit, ihn ihr sofort wieder zuzuhalten. Die Frau keuchte. Ihre Augen waren weit aufgerissen.

»Wer bist du? Und was machst du hier?«, raunte er, von der plötzlichen Furcht gepackt, der Kerl nebenan könnte zu Bewusstsein kommen und auf einmal hinter ihm stehen. Oder er hatte einen Komplizen, der bereits auf dem Weg nach unten war? Ein Albtraum. Es war ein Albtraum. Er musste unbedingt aufwachen. Und vor allen Dingen musste er hier raus. Kalter Schweiß saß in seinem Nacken, unter seinen Achseln und in den Lenden.

»Ich b… bin A... Abbie.« Ihre Zähne schlugen aufeinander. »M... Mach mich los, bitte.«

Es war kein Albtraum. Es war alles verdammt real. Er ging in die Hocke und musterte die junge Frau. Ihre blonden, schulterlangen Haare waren wirr, das Gesicht schmutzig, ebenso wie ihre Arme und Beine. An der Wange hatte sie wunde Striemen. Womöglich hatte sie versucht, den Klebestreifen zu lösen, indem sie ihr Gesicht über den Boden rieb.

»Was machst du hier?«, wiederholte er.

»Er hat mich entführt! Bitte, ich will raus. Ich will nach Hause.« Sie schluchzte auf.

»Entführt? Wer? Der Kerl da?« Er zeigte zur Tür, obgleich er wusste, dass sie den Mann nicht sehen konnte.

»Der, der schon die ganze Zeit hinter mir her war. Ich weiß doch nicht, wer er ist. Ein Mann, ja.« Wieder schluchzte sie. »Mach mich los.«

Seine Knie schmerzten und in seinem Kopf hämmerte etwas. Eine Erinnerung. Er richtete sich auf, ohne die Fesseln der Frau zu lösen. Callum hockte mittlerweile nahe der Tür und gab keinen Laut von sich.

»Wie heißt du, hast du gesagt?«

»Abbie Wright.«

Abbie Wright. Ein plötzlicher Schauer der Erregung durchlief ihn. Es war unglaublich. Es war wirklich unglaublich. Er wusste, wer sie war und warum sie hier war. Er hatte sie gefunden.

Vielleicht war es Schicksal und sollte so sein, dass er mitten in diesen Schlamassel gestolpert war. Andrew beugte sich vor, nahm den Klebestreifen und presste ihn der jungen Frau auf den Mund. Sie stieß ein gurgelndes Geräusch aus, zappelte und trat nach ihm. Sie traf sein Schienbein. Andrew wich aus, Richtung Tür.

»Verhalt dich ruhig. Ich komm wieder. Callum, komm.« Der Hund verließ mit ihm den Raum. Mit zitternden Händen drückte Andrew die Tür zu und schob den Riegel vor. Mühsam stemmte er den Querbalken hoch und legte ihn in die Verankerung. Sein Herz raste. Dort drinnen lag Abbie Wright, die vor einigen Tagen entführte Bankierstochter.