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12/2017
Copyright © by Hybrid Verlag, Homburg
Umschlaggestaltung:
© 2017 by Creativ Work Design, Homburg
Lektorat/Textbearbeitung: Hybrid Verlag
Coverbild ›Predyl – Eine neue Welt‹
©2017 by Creativ Work Design, Homburg
Coverbild ›Eibe und das Buch der Schatten‹
©2017 by Creativ Work Design, Homburg
ISBN 978-3-946-82016-1
www.hybridverlag.de
Connie Roters’
Endlich(er) Urlaub
&
20 weitere Kurzgeschichten
Anthologie
Angerbach sehen und sterben - Rudolf Strohmeyer
Fischfang - Marina Sandmeier
Die Reise zum Herzen von Mutter Erde - Jacqueline F. Eckert
Das galaktische Reisebüro - Karlheinz Bauer
Die unglaubliche Reise nach Kamerun - Sascha Schlüter
Sprache, die jeder versteht - Bernd Daschek
Schokoladenbier - Inga Adams
Endlich Urlaub! - T.A.M. Lang
Unterwegs - Silvana E. Schneider
Paris, Mon Amour – Rénée Engel
Der universale Universums-Transporteur - Nick Gleissner
Willkommen in Nestelbach! - Kurt Neumeyr
Reisekosten - Joachim Tabaczek
Der beste Fang - Patrizia Lavin
Jedes Jahr aufs Neue - Ute Schwarz
Should I Stay Or Should I Go - Michelle K. Duncan
Begegnung Zartbitter - Britta Bendixen
Der Fluch des Walen - Lea Reif
Urlaub? Nein, danke! - Haike Hausdorf
Endlich(er) Urlaub - Connie Roters
»Endlich Urlaub«, grunzte Peter genüsslich und schob seine langen Beine unter den kleinen Tisch.
»Ja, endlich Urlaub«, bestätigte Sonja trocken und betrachtete ihren Gatten.
Zehn Jahre, dachte sie. Zehn lange Jahre dieselbe Sommerurlaubslangeweile. Zehn Jahre Ferien in einer Laube, in Brandenburg. Ödes, flaches Land und weit und breit kein See in Sicht. Sie lehnte sich zurück, dachte an ihre monatlichen Ausflüge in die Reisebüros der Stadt und freute sich, dass ihr Mann davon nichts ahnte. Es war etwas, dass sie nur für sich tat und sie genoss jeden Moment ihrer heimlichen Zeit.
Sie liebte es, ein Reisebüro zu betreten, sich durch die bunten Kataloge zu wälzen, die ihr das große Glück versprachen, und gemeinsam mit den Verkäufern gedanklich in ferne Länder zu reisen.
Oft ließ sie die Vorfreude bereits eine Woche vor der Zeit das Internet nach einem neuen Büro in einem anderen Stadtteil durchsuchen. Sie wechselte jeden Monat, damit es nicht auffiel, dass sie nie etwas buchte.
Hinterher ging sie meistens in ein Lokal, aß eine Kleinigkeit, aber niemals deutsche Küche, sondern die Speisen der Länder, die sie zu besuchen beabsichtigte. Und zum Abschluss träumte sie sich auf dem Heimweg in der S-Bahn durch die Kataloge, sah sich in der Karibik im türkisen Meer schwimmen, den Blick auf die braunen Körper am weißen Sandstrand gerichtet, sah sich im paillettenbesetzten Kleid ein Kasino in Cannes besuchen. Mit dem Kreuzfahrtschiff durch den Atlantik zu den Kanarischen Inseln schippern, lackierte Fingernägel und Abendgarderobe inklusive. Lanzarote war dabei ihr Lieblingsziel. Obwohl sie nur einmal, gleich nach dem Abitur, mit ihren Eltern dort gewesen war, roch sie immer noch die steinige Erde, spürte den lauen Wind, der über das trockene Eiland wehte, lauschte dem fremd klingenden Spanisch der Inselbewohner und genoss die feuchte Hitze auf ihrer nackten Haut.
Nichts davon würde sie tun, solange Peter lebte. Sie säße weiterhin Jahr für Jahr mit ihm in dieser Laube fest, würde alt und schrumpelig werden. Nur sein Tod versprach die Rettung. Mit der Witwenpension und ihrem Gehalt würde es für mindestens eine Reise im Jahr reichen, vielleicht sogar für zwei.
Sie hob den Blick und betrachtete ihn einen Moment lang. Dann verkündete sie mit feierlicher Stimme: »Zehn Jahre. Wir haben ein Jubiläum zu begehen.«
Seine mit den Jahren stumpf gewordenen, blauen Augen leuchteten auf wie früher, das Gesicht ein einziges Lächeln. Damals hatte sie es wirklich geliebt. Damals, als die Freude noch die Regel war und nicht die Ausnahme.
»Du hast es gemerkt«, stellte er überrascht fest und goss sich und ihr selbst gebrannten Wachholderbeerlikör ein.
»Du hast es wirklich gemerkt.« Freudig hob er sein Glas, um mit ihr anzustoßen. Sonja gab sich einen Ruck und gönnte ihm die Freude. Schließlich würde er nicht mehr lange leben.
»Auf dich«, sagte sie lächelnd, ließ ihr Glas an seines klingen, beugte sich vor und küsste ihn auf die vollen Lippen.
»Dieser Sommer wird bestimmt einzigartig«, verkündete er.
Worauf du dich verlassen kannst, dachte sie und betrachtete den Gebäckteller vor ihm auf dem Tisch. Peter beugte sich vor, tätschelte ihre Hand und strahlte sie weiter an.
»Du liebst also unsere Laubenurlaube genauso wie ich? Manchmal war ich mir da nicht mehr so sicher.«
Aber gefragt hast du trotzdem nicht, dachte sie und entzog ihm trotzig ihre Hand. Er schien es nicht zu bemerken, lehnte sich mit verklärtem Blick im Sessel zurück.
»Erinnerst du dich noch an unseren ersten Urlaub hier?«
Ja, sie erinnerte sich. Die ersten Ferien in der frisch geerbten Laube waren etwas ganz Besonderes gewesen, ihre Liebe erst drei Monate alt und die meiste Zeit pendelten sie bekifft zwischen Bett und Garten hin und her. Der Sommer verging wie im Flug. Auch das Jahr danach war ganz passabel. Die Gartenzeiten zwar länger als die im Bett, aber es machte Spaß, in der Erde zu wühlen, zu sähen und zu ernten.
Im dritten Jahr setzte die Langeweile ein und mit ihr die Erkenntnis, dass sie den falschen Mann geheiratet hatte. Im Jahr darauf schlug sie ihm vor, doch wenigstens eine Woche an die Ostsee zu fahren, fand aber kein Gehör. Im fünften Jahr rebellierte sie und verweigerte den Sex, was ihn nicht zu stören schien und im sechsten Jahr begann sie mit großem Interesse alles über Giftpflanzen zu lesen und legte sich einen Kräutergarten an. Das aufdringliche Gurren einer Taube, die auf der Terrasse in einem der Blumenkästen pickte, riss sie aus ihren Gedanken. Sie betrachtete das vertraute Gesicht ihres Gatten und suchte nach einem Funken schlechten Gewissens für das, was sie mit ihm vorhatte. Fand aber nur pure Vorfreude auf ihr neues Leben ohne ihn.
»Soll ich uns zu den Keksen einen schönen Kaffee kochen?«, fragte sie freundlich.
Statt einer Antwort tätschelte er wieder ihre Hand.
»Renate und Horst haben uns zum Grillen eingeladen. Ein kulinarischer Sommersaisonauftakt sozusagen. Um sechs sollen wir drüben sein.« Er deutete auf die Uhr. »Am besten, wir fangen gleich mit den Vorbereitungen an. Ich nehme eine Flasche Birnenschnaps mit. Die mögen sie doch so gerne. Und du könntest etwas backen, einen Nachtisch oder einen Salat zaubern. Renate hat darauf bestanden. Sie liebt dein Essen.«
Sie versuchte, sich zu erinnern, wann ihr Mann zuletzt so viele Sätze hintereinander zu ihr gesprochen hatte und nickte mechanisch. Dann kroch die Wut, nicht gefragt worden zu sein, durch ihre Eingeweide hoch in ihren Kopf. Sie drehte sich von ihm weg. Peter hatte wie üblich mit der ihm eigenen Ehegattenselbstverständlichkeit über ihre Zeit verfügt und sie mit diesen unangenehmen Laubennachbarn verabredet.
Renate, der die Langeweile ins Gesicht geschrieben stand und Horst, der jeden unbeobachteten Moment gierig auf ihre Brüste starrte. Sie verachtete beide aus vollem Herzen und überlegte, ob sie einen Schierlingskuchen backen sollte. Dann wären sie alle auf einmal tot.
Verärgert ging sie in die kleine Küche und schaltete den Wasserkocher an. Während sie den Kaffee aufbrühte, arbeitete ihr Hirn auf Hochtouren.
Peter sah ihr hinterher, bis sie in dem kleinen Raum verschwunden war und schenkte sich noch ein Glas Selbstgebrannten ein.
Sie wird mich vergiften, dachte er. In diesem Jahr wird sie es tun. Er wusste längst, was sie in der hintersten Ecke des großen Grundstücks anbaute und im Schutz einer Bambushecke heranzüchtete.
Er liebte es, in ihren Sachen zu wühlen, tat es, seit sie verheiratet waren. Es befriedigte nicht nur seine Neugier, es gab ihm auch ein Gefühl von Macht. Er wusste etwas über sie, und sie ahnte nichts davon.
Seufzend hievte er sich aus dem Sessel hoch und dachte an die Worte seiner Mutter. Recht hatte sie gehabt, als sie ihm bei der Verlobung mitteilte, dass Sonja nicht die Richtige für ihn sei. Aber er hatte nicht auf sie hören wollen. Eine Art verspätete jugendliche Rebellion. Er war bereits dreißig gewesen und Sonja einundzwanzig und eine Augenweide. Klein und üppig um die Hüfte, große Brüste und pralle Waden. Eine Frau zum Anfassen. Und sie hatte ihn gewählt. Ihn, den hageren, ungelenken Kaufmann aus dem Chefbüro. Anfangs konnten sie gar nicht genug voneinander bekommen. Ein Jahr, vielleicht auch zwei. Er erinnerte sich nicht mehr so genau. Aber dann war ihr Interesse an ihm plötzlich erlahmt, hatte einer alltäglichen Routine Platz gemacht.
Und jetzt wollte sie ihn töten. Er hatte das Buch über Giftgemische in ihrer Schublade entdeckt.
Vielleicht hätte ich ihr doch ein Kind machen sollen, dachte er. Dann hätte sie jetzt eine Aufgabe und würde nicht ständig über Selbstfindung und die ideale Ehe fabulieren.
Warum konnte sie nicht einfach zu ihm kommen und ihm sagen, was ihr nicht passte? Vielleicht sogar die Scheidung einreichen. Er würde ihr keine Steine in den Weg legen, würde die Wohnung in der Stadt und die Laube behalten und sie in Frieden gehen lassen.
Aber Sonjas Leidenschaft für Kriminalromane vertrug sich offensichtlich nicht mit ihrem Hang zur Dramatik. Wieder einmal brauchte sie die ganz große Bühne. Und dieses Mal, im letzten Akt, die Tötung des Intimpartners.
Aber noch war er nicht bereit, ihr das Feld zu überlassen. Er wollte nicht sterben, auch nicht durch eine solch zarte Hand wie die ihre. Und damit war er wieder beim Thema, das seit Wochen in einer Endlosschleife seine Gedanken besetzte ... Welches Gift würde sie auswählen, wann würde sie zuschlagen und wie? Er würde dem Unvermeidlichen nicht mehr lange aus dem Weg gehen können.
Sonja trank den letzten Schluck Kaffee, betrachtete ihren in Gedanken versunkenen Ehemann und fragte sich, ob er ahnte, was ihm bevorstand.
Schon seit Wochen verweigerte er Speisen und Getränke aus ihrer Hand. Auch heute hatte er seinen Kaffee nicht angerührt. Wenn sie einfach den ganzen Sommer nur hier in der Laube blieben und er weiterhin nichts essen würde, dann wäre er auch tot. Einfach verhungert. Aber diesen Gefallen konnte sie nicht von ihm erwarten.
Sie erhob sich seufzend, zog sich die Gummistiefel an und stapfte los, um Kräuter zu schneiden. Die Luft roch nach dem Blauregen, der üppig auf einem Holzgestell über die Terrasse rankte und nach frisch geschnittenem Gras. Zwei Amseln saßen auf dem nassen Birnenbaum und beobachteten sie neugierig. Sonja betrachtete sie eine Weile, fragte sich, ob sie glücklich miteinander waren, schalt sich eine Närrin und überquerte die üppig grüne Wiese. Glitzernde Tropfen legten sich auf ihre Stiefel. Eine Maus huschte in die eine, eine fremde Katze in die andere Richtung und verschwand aus ihrem Blickfeld.
Sie erschrak, als sie seine Stimme dicht hinter sich hörte und seine Hand im Genick spürte. Er war ihr lautlos gefolgt. Sie drehte sich langsam zu ihm um.
Peter lächelte entschuldigend und hob den Autoschlüssel in ihre Augenhöhe.
»Ich fahre nur mal kurz zum Kiosk, ich brauche Tabak.«
Sie nickte kaum merklich und sah ihm nach, bis er mit seinen langen, immer leicht schwankenden Schritten das Tor erreicht hatte. Als er den Wagen startete, setzte sie ihren Weg fort und griff zur Schere.
Peter kam lange nicht wieder zurück. Sonja verbrachte den Nachmittag zwischen Küche und Wohnzimmer, auf dem Tisch ein aufgeschlagener Reiseführer von New York. Sie träumte sich in die Häuserschluchten, die Berlin wie ein Dorf aussehen ließen. Neben ihr stoppte ein gelbes Taxi. Ein blonder Mann mit Rasterlocken stieg aus, umrundete es und hielt ihr lächelnd die Tür auf.
Halt!, dachte sie. Du wolltest reisen, aber keine neue Liebschaft anfangen.
Sie ließ das Taxi abfahren, sah ihm wehmütig hinterher, bis es um die nächste Ecke verschwand, und setzte ihren Weg bis zur südlichen Spitze Manhattans fort, wo die Fenster der Zwillingstürme im Abendlicht rot glühten. Nine Eleven hatte es noch nicht gegeben.
Sie betrat den Batterypark, schnupperte die frische Seeluft und versuchte, das energische Klingeln des Weckers auszublenden, dass sie zurück an den Herd rief. Hastig schlug sie den Reiseführer zu, versteckte ihn wieder hinter dem Sideboard und widmete sich den Essenvorbereitungen.
Peter öffnete die Autotür und schwankte leicht, als er ausstieg. Er hatte den Nachmittag damit verbracht, im Vereinsheim zu sitzen, zu essen und zu trinken, zu rauchen und seinen Gedanken nachzuhängen, die sich nach und nach zu einem Plan verdichteten. Erleichtert darüber hatte er noch mehr getrunken und dankbar eine Runde nach der anderen geschmissen. Jetzt betrachtete er die kleine Laube, erinnerte sich an die sonntäglichen Besuche seiner Kindheit und öffnete das Tor.
Sonja ließ sein spätes Kommen und seinen Zustand unkommentiert, griff schweigend nach der mit einem karierten Geschirrtuch abgedeckten Platte und ging hinaus.
Peter eilte in die Küche, holte eine Flasche Kirschlikör aus dem Schrank und stellte sie auf die Ablage, griff nach dem Birnenschnaps dahinter und folgte seiner Frau.
Der Abend war mild und versprach den Frühling. In den Bäumen riefen die Vögel zur Balz und überall in der Kolonie stiegen die Rauchwolken vom Angrillen in den klaren Himmel. Die Begrüßung mit den Nachbarn verlief wie üblich. Küsschen rechts, Küsschen links und der unvermeidliche Blick von Horst in Sonjas Ausschnitt. Renate tat wie immer, als ob sie es nicht bemerkte, und zog Sonja wie selbstverständlich in die kleine Küche.
Horst schob Peter sofort zum Grill, wo er zur Begrüßung unter Männern zwei Flaschen Bier öffnete und über das letzte Herthaspiel zu reden begann.
Durch das offene Fenster hörte Sonja, wie sich die beiden zuprosteten und kurz danach ihr Lachen.
Renate legte sich mit ihrer langweiligen Geschichte aus dem Büro noch mehr ins Zeug, teilte einen Pikkolo in zwei Gläser und stieß mit dem ihr üblichen Trinkspruch: »Auf uns Mädels« an. Sonja lächelte pflichtschuldig und unterdrückte mühsam ein Gähnen.
Als die Frauen getrunken und den Tisch gedeckt hatten, war das Fleisch fast fertig. Sonja sog gierig den Grillgeruch ein und wunderte sich über ihren Appetit. Renate stellte die letzte Platte auf den Tisch und setzte sich neben ihren Mann.
Peter stand am Grill und überprüfte den Fortschritt des Fleischs. Horst beugte sich ein bisschen vor, um bessere Sicht auf Sonjas Blusenausschnitt zu haben, und verkündete generös, nun den Fußball, Fußball sein zu lassen, weil die Mädels sich ja doch nicht dafür interessierten, und leitete über zu einem Reisebericht über die Wüste Australiens, die er in jungen Jahren einmal durchquert hatte. Obwohl er diese Geschichte jedes Jahr erzählte, wurde sie Sonja nie langweilig, denn ihr Nachbar erfand stets neue Details.
»Es war heiß und mir war das Wasser ausgegangen, aber ich wusste, dass bald eine Oase kommt. Plötzlich sitzt da dieses riesengroße Vieh vor mir im Sand. Habe gedacht, ich halluziniere.« Er spreizte beide Daumen und deutete eine Strecke von ungefähr zwanzig Zentimetern an. »So ein Skorpion. Ich sage euch, hätte ich nicht so gut aufgepasst und er mich erwischt, wäre ich sofort tot gewesen. Aber ich habe ihn platt gemacht.«
Horst holte aus, knallte die Faust auf den Tisch und traf die Platte mit den Pasteten, die in hohem Bogen auf die Terrasse segelte. Er sah ihr überrascht hinterher und entschuldigte sich bei den Frauen. Peter legte die Grillzange aus der Hand und ließ sich auf den Stuhl neben Sonja fallen, Renate sprang auf, sammelte beherzt die verstreuten Stücke wieder ein und verschwand damit in der Küche. Sonja versuchte, das Gespräch zurück auf Australien zu bringen. Aber die Geschichte war zu Ende und so betrachteten sie eine Weile schweigend das Fleisch auf dem Grill.
Endlich kam die Gastgeberin zurück, die Platte mit den Pasteten wie eine Trophäe vor sich haltend.
»Sind alle wieder wie neu«, verkündete sie strahlend. »Ich habe jede Einzelne mit einem Pinsel gereinigt.« Sie zwinkerte mit dem rechten Auge. »Sind ja hier im Grünen und nicht in der Stadt, wenn ihr wisst, was ich meine.«
»Lass mich raten«, sagte ihr Mann. »Hundesch…«
»Genau!« Renate klatschte in die Hände. »Im Stadtpark hätte ich das nicht machen können. Aber hier ist ja alles sauber. Und jetzt lasst uns endlich essen!«
Sonja erstarrte unter diesem geschmacklosen Dialog, versuchte aber, sich nichts anmerken zu lassen, und verlangte nach einem Stück Fleisch. Peter bediente erst sie, dann die anderen und zuletzt sich selbst. Renate verteilte den Kartoffelsalat und legte jedem eine Pastete auf den Teller. Peter beäugte sie skeptisch und erkundigte sich, wer welche Speisen zubereitet hatte.
»Sonja hat den Salat gemacht und ich die Pastete«, antwortete Renate, obwohl es genau umgekehrt war, und warf ihrer Nachbarin einen verschwörerischen Blick zu.
Peter betrachtete sie zweifelnd und schob die Beilagen an den Rand seines Tellers. Horst klopfte ihm jovial auf die Schulter und biss beherzt in die Pastete, Renate nahm eine Gabel voll Kartoffelsalat. Peter hielt den Atem an und beobachtete die beiden mit Argusaugen. Sie aßen und tranken schweigend.
Schließlich ergriff Horst das Wort und gab einen schlechten Witz zum Besten. Peter kicherte betrunken.
Nach einer Weile beklagte Renate, dass ihre Füße eingeschlafen waren.
Plötzlich sprang Peter auf und deutete schwankend mit dem Zeigefinger auf seine Frau.
»Taube Füsche. Erschte Scheichen für Vergiftung. Schie will uns alle töten.«
Die drei starrten ihn fassungslos an.
Eine Schrecksekunde später erhob sich Renate vorsichtig und murmelte etwas von kranker Rücken und Tablette.
»Notarzscht!«, schrie Peter.
Sonja schüttelte ungläubig den Kopf und sah zu Horst. Der griff nach Peters Hand, wollte ihn zurück auf den Stuhl ziehen.
»Ich glaube, du hast zu viel getrunken, mein Lieber. Wir bringen dich jetzt besser ins Bett.«
Peter riss sich los, verlor das Gleichgewicht und stürzte rücklings auf den Grill. Das schwere Gestell wankte zunächst bedrohlich, kippte dann nach hinten und zog den Mann mit sich. Funken stoben auf, heiße Grillkohle verteilte sich über den frisch gemähten Rasen, Peter schrie wie ein weidwundes Tier. Renate erschien kurz in der Tür, rang erschrocken nach Luft und eilte zurück ins Haus, um den Notarzt zu rufen. Horst und Sonja packten Peters Schultern und zogen ihn aus der heißen Asche. Die Glut hatte kleine Löcher in seine kurzen Haare gebrannt, die Kopfhaut darunter schimmerte rot, ebenso die Haut am rechten Unterarm, wo das Hemd angekokelt worden war.
Sonja murmelte etwas von selber Schuld und ging ins Haus, um sich von der immer noch aufgeregten Gastgeberin ein kalt getränktes Handtuch geben zu lassen.
Der Notarzt kam schnell. Er versorgte Peters Verbrennungen, verband und beruhigte ihn und schickte ihn ins Bett. Sonja versprach, gut für ihren Mann zu sorgen und ihn am kommenden Tag zum Verbandswechsel zum Arzt ins Dorf zu fahren. Dann setzte sie sich auf die kleine Terrasse und zündete sich eine Zigarette an. Der Rauch schmeckte bitter und brannte in ihrem Hals. Sie war noch immer verwundert über Peters Scharfsinn und wütend über seine Anschuldigungen. Um nicht in Verdacht zu geraten, würde sie ihr Vorhaben um mindestens ein Jahr, vielleicht sogar um zwei verschieben müssen. Sie seufzte, drückte die Zigarette im Aschenbecher aus und schlenderte zurück in die Laube.
Drinnen war es still und der Raum schien ihr ohne seine Anwesenheit größer. Sie beugte sich über das Sideboard, zog den Reiseführer heraus, legte ihn aufgeschlagen auf den Tisch und ging weiter in die Küche. Auf der Anrichte stand eine Flasche Kirschlikör, das Einzige von Peters selbst gebrannten Getränken, das sie wirklich mochte. Sie schenkte sich einen Fingerbreit ein und nippte.
Die Flüssigkeit schmeckte klebrig süß, besaß aber auch eine angenehm bittere Note, die sie bisher nicht bemerkt hatte. Sie gönnte sich ein weiteres Gläschen, spazierte zurück zum Sofa, ließ sich in das weiche Polster sinken und griff nach dem Buch.
Nach einer Weile wurde ihr Mund trocken. Sie erhob sich träge, um sich ein Glas Wasser zu holen. In Gedanken noch im Central Park, wäre sie fast mit ihrem Mann zusammengeprallt, der aus dem Schafzimmer kam. Sein Kopf und sein Arm steckten in weißen Verbänden. Er murmelte etwas von Durst und schob sich an ihr vorbei.
Sie hörte ein leises Klirren, dann den Wasserhahn rauschen. Peter kam zurück und legte sich auf das Sofa. Wütend, dass er ihr den Abend versaut und den Platz streitig gemacht hatte, trank sie noch einen Likör.
Dann schenkte sie sich von der selbst gemachten Zitronenlimonade ein und folgte ihm. Peter drehte den Kopf und betrachtete sie eindringlich. Demonstrativ griff Sonja nach dem Reiseführer und ließ sich in den Sessel ihm gegenüber sinken. Er starrte sie noch eine Weile an, setzte sich dann mühsam auf und deutete mit dem leicht zitternden Zeigefinger auf ihre Augen.
»Hast du etwa am Likör genascht?«
Sonja ließ das Buch sinken.
»Wieso? Ist der nicht zum Trinken da?«
Er lächelte geheimnisvoll, hievte sich schwerfällig hoch und schlurfte wortlos aus dem Raum. Leicht irritiert legte sie den Reiseführer zurück auf den Tisch und behielt die Tür im Blick. Peter kam mit einem Handspiegel zurück.
»Hab’ ich einen Pickel, der dich stört?«, fragte sie genervt.
Er schüttelte den Kopf, was ihn leicht taumeln ließ, und murmelte: »Schau dir mal deine Augen an.«
Sonja riss ihm den Spiegel aus der Hand, blickte in stark geweitete Pupillen und erstarrte.
»Mundtrockenheit, Schwindel, Sehstörungen …« Mit jedem Wort, das er sagte, schien er Kraft zu tanken. »Willst du noch mehr hören?«, erkundigte er sich, beinahe vergnügt.
Sie wollte aufspringen, aber er war schneller und hielt sie an den Schultern unten. Ihr Herz raste, der Raum schien sich zu teilen, Schweiß rann aus jeder Pore.
»Dein Blutdruck steigt. Koma. Tod durch Atem- und Herzstillstand. Von welchem Gift rede ich?«, fragte er wie ein Quizmaster.
»Tollkirsche«, flüsterte sie. »Du hast …«
Er gab ihre Schultern frei. »Schlaues Kind. Kirsche zu Kirsche.«
Dann ließ er sich wieder auf das Sofa fallen und nahm sich gedankenverloren einen Keks.
»Entweder ich oder du. Und ich wollte noch nicht sterben. Das musst du doch verstehen.«
Sonja versuchte erneut, aufzustehen. Ihre Beine versagten, aber ihr Blick schärfte sich wieder. Peter betrachtete sie interessiert.
»Glotz mich nicht so an. Ich bin keine Laborratte«, blaffte sie. »Sie werden mich sezieren. Und dann kriegen sie dich am Arsch.«
»Das werden sie nicht. Ich habe einen kleinen Ausflug geplant, von dem du nicht mehr zurückkehren wirst.«
Er nahm sich noch einen Keks und kaute mit Genuss. Sonja starrte auf die Krümel, die sich in seinem Bart gesammelt hatten.
Schierlingskekse, dachte sie und schloss lächelnd die Augen.
Connie Roters arbeitete beim Film, Theater, als Journalistin und Sozialarbeiterin, bevor sie sich ganz dem Schreiben verschrieb.
Viele ihrer Kurzgeschichten sind in Anthologien erschienen und ihre drei bisher veröffentlichten Kriminalromane erfreuen sich großer Beliebtheit.
Mit ›Pixelglück‹ war sie schon in unserer letzten Anthologie dabei, diesmal setzte sich ihre Geschichte im Rennen um die Titelstory durch.
Connie Roters lebt und arbeitet in Berlin.
www.connie-roters.de
A Day In Paradise - Reinhard Prahl
Wieder einmal ist es acht Uhr fünfzehn und wie an jedem Morgen in der Woche sitze ich in der Bahn auf dem Weg zur Arbeit. Mein Retina-Display bleibt heute ausnahmsweise ausgeschaltet und so nutze ich die Zeit, mich nach Monaten der Abstinenz live und in Farbe im Zug umzuschauen.
Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie es damals war, vor fünfzig Jahren. Die Menschen starrten auf kleine biegsame Geräte, die man »Smartphone« nannte und tippten wild auf den Touchscreens ihrer Faltdisplays herum. Man sah auf, sobald eine andere Person den Platz gegenüber einnahm und manchmal, wenn auch äußerst selten, kam man sogar miteinander ins Gespräch. Alles ganz normal eben.
Heute jedoch, als ich meine Umwelt zum ersten Mal seit langer Zeit wieder bewusst wahrnehme, scheint sich die Bahn in einen riesigen, schlauchförmigen Korridor voller VR-Zombies verwandelt zu haben. Spieler zucken unkontrolliert mit den Köpfen in alle möglichen Richtungen und die Hände führen, wie im Takt dazu, hektische Bewegungen aus. IGC, Intuitive Gesture Controlling, nennt sich dieses Phänomen.
Aber was weiß ich schon? Ich habe schließlich noch mit einem echten Controller in meinen Händen gespielt. Wieder andere, hauptsächlich junge Frauen, unterhalten sich anscheinend mit ihren – wie imaginär erscheinenden – Freundinnen per In-Ear-Implantat, das wiederum per Superbluetooth ständig mit dem Display kommuniziert. Wer braucht schon noch altmodische Überwachungskameras, wenn unsere Gehirne vollvernetzt sind? Schöne neue Welt.
Ich glaubte, mich daran gewöhnt zu haben, doch die Szenerie wirkt geradezu gespenstisch. Der junge Kerl gegenüber macht mir allerdings richtig Angst. Er stöhnt immer wieder leise und fuchtelt so wild mit seinen Händen vor meinem Gesicht herum, dass ich fast befürchte, er könnte jeden Moment in ein archaisches Geheul verfallen und seine kalten, knochigen Finger um meinen faltigen Hals legen. Schließlich spüre ich den Schweiß wie eine eisige Hand meinen Rücken hinunterrinnen. Egal wie, ich muss was unternehmen. Also wage ich etwas, das in öffentlichen Verkehrsmitteln heutzutage eigentlich so gut wie undenkbar geworden ist: Ich spreche ihn an.
»Entschuldigen Sie.«
Keine Antwort.
»Hallo?« Ich versuche es etwas lauter, aber mein Gegenüber hat die Lautstärke in seinen Gehörgängen so weit hochgefahren, dass er mich nicht bemerkt. Eigentlich nimmt er gar nichts um sich herum wahr und wenn die nächste Station nicht in seinem Display angezeigt würde, bliebe er wohl bis in alle Ewigkeit dort sitzen, tief versunken in einer anderen, für ihn besseren Welt. Irgendwann würde dann nur noch ein bleiches Gerippe von den Außen – in die Innenbezirke des Molochs Ruhrstadt und wieder zurückfahren.
Immer und immer wieder.
Schließlich platzt mir der Kragen. Ich werde noch lauter und schreie schon fast: »HALLO!«
Nur, um sicherzugehen, dass der Zombie mich auch wirklich wahrnimmt, rüttele ich ihn außerdem leicht am Ärmel. Vielleicht etwas zu stark, denn plötzlich fährt er wie von der Tarantel gestochen hoch. Seine Farbe wechselt von einem zarten Schweinchenrosa zu Kalkwandweiß. Anscheinend ist er kurz vor dem Kollaps. Ein verwirrtes »Es hat mich angefasst« flackert wild in seinen Augen. Als sich der arme Kerl schließlich von diesem unerwarteten Schock erholt hat und sein Implantat endlich ausschaltet, bringt er sogar ein stotterndes »J-ja bi-bitte?« zustande.
Na also. Wenigstens kann der Kerl sprechen.
»Entschuldigen Sie, wären Sie bitte so nett, Ihre Cybermonks oder was immer Sie gerade niedermetzeln, etwas vorsichtiger zu zerlegen?«
Ich warte, doch mehr als ein: »Wie bitte?« dringt ihm nicht über die Lippen.
»Junger Mann«, fange ich noch einmal an. »Sie stören mich.«
Endlich scheinen seine Gesichtszüge Anflüge des Verstehens anzunehmen.
»Mann Opa, mach dich mal locker.«
Ich koche innerlich vor Wut. Nennt mich der Bengel doch einfach Opa.
Bevor ich etwas entgegnen kann, ist er auch schon wieder in die Welt der K.I. generierten Abenteuer entrückt. Immerhin fuchtelt er jetzt weniger wild durch die Gegend und hält Abstand. Na egal. Und was sollte ich ihm auch schon sagen? Verglichen mit diesem Jungspund muss ich mit meinen vierundsiebzig Jahren schon recht alt wirken. Ich hingegen fühle mich eigentlich noch ganz rüstig und freue mich bereits auf mein Rentnerdasein in sechs Jahren. Die Rente ist natürlich ein Witz, aber ich verdiene gar nicht übel und meine Zusatzversicherungen sollten mir immerhin ein entspanntes, beschauliches Leben ermöglichen. Vielleicht schaffe ich es sogar schon dieses Jahr, endlich einmal in den Urlaub zu fahren.
Ich meine nicht die VR-Kapsel-Trips, an die Sie jetzt vielleicht denken. Diese Kapseln sind natürlich nicht übel. Sie sprechen buchstäblich alle Sinne des menschlichen Körpers an. Aber nein, ich will einen echten Urlaub.
Ich möchte Florenz mit meinen eigenen Augen sehen, oder Rom. Ich habe mich bereits eingehend informiert und die ein oder andere Reise ins Auge gefasst. Außerdem wird fleißig gespart und bei meinem unauffälligen Lebenswandel sollte selbst eine Fluggenehmigung kein Problem darstellen. La dolce vita, ich komme – Live und in Realtime.
Als ich eine Stunde später das Gelände meiner Firma betrete, sehe ich vor meinem inneren Auge das altvertraute Symbol der L.I. & A.R. Communications Ltd. auftauchen und mein Implantat loggt ins interne Netzwerk ein. Für die nächsten neuneinhalb Stunden gehöre ich nun ganz dem Betrieb. Als ich oben ankomme, begrüßt mich mein Lieblingsarbeitskollege Samuel mit einem fröhlichen: »Na, alter Mann?«
Grinsend erwidere ich: »Ach leck mich doch, Schönling.«
Es ist ein, sich täglich wiederholendes, Ritual zwischen uns beiden. Er nennt mich »alter Mann« oder »Senior« und ich quittiere mit einer nett gemeinten Beleidigung. Damit hat es sich dann auch schon bis zur Pause mit den Freundlichkeiten. Gespräche untereinander sind während der Arbeitszeit untersagt.
Sobald ich auf meinem Smartchair sitze, schaltet das System auf Arbeitsmodus um. Von nun an bin ich besser überwacht, als ein Terrorist in Sicherheitsverwahrung. Sitze ich erst einmal an meinem Platz, bleiben mir genau hundertachtzig Sekunden Zeit, um arbeitsbereit zu sein. Also generiere ich mir per Retina-Display eine virtuelle Tastatur und lade meine Projekte aus dem internen Netzwerk herunter. Es kann losgehen.
Wenige Sekunden später taucht vor meinem geistigen Auge der Begriff: »Domina Dora« auf und ich nehme mein erstes Gespräch des Tages entgegen: »Herzlich willkommen bei Domina Dora, welchen Schmerz darf Dora dir heute zufügen?«
Statt eines Wunsches antwortet der SM-Liebhaber allerdings mit einem stöhnenden »Bleib dran!« und noch bevor ich entgeistert auflegen kann, dringt ein gequältes »Aaahhh« an meine Gehörgänge. Na wenigstens einer, der Spaß hat. Für 3,99 Krediteinheiten pro Minute muss man sich eben beeilen.
Da wird halt gerne ein wenig vorgearbeitet. Na super! Der Tag fängt ja wundervoll an.
Man hat es nicht leicht, aber leicht hat es einen. So ist das Arbeitsleben eines Support-Communication-Center-Managers eben. Manager, dass ich nicht lache! Was sich diese Job Labeling Hunter auch immer für scheiß-dämliche Berufsbezeichnungen ausdenken.
Noch halb im Gedanken versunken, kommt auch schon das nächste Projekt herein: »Guten Tag, hier ist Pontifex TV, Ihr christlicher Fernseh-Versandhandel. Was darf ich für Sie tun?«
Die Antwort lässt etwas auf sich warten, folgt dann aber umso heftiger: »Guten Tag? Ein guter Christ sagt Grüß Gott!«
Ich will gerade zu einem »so hoch wollte ich eigentlich nicht« ansetzen, da blinkt auch schon das typische, unangenehm rote Warnsignal auf und ein Text erscheint vor meinem inneren Auge: »Achtung, nicht autorisiertes Wording geplant. Verstöße können zu Lohnabzug führen!«
Ich weiß, ich weiß, also schlucke ich kurz und spule mein bewährtes Programm ab.
»Selbstverständlich, meine Dame. Verzeihung. Grüß Gott.« Wenn du ihn siehst ... »Was darf ich für Sie tun?« Das immer tiefer werdende Rot des Warntextes wird von mir kurzerhand geflissentlich übersehen, ich habe Wichtigeres zu tun.
»Ich möchte etwas bestellen.«
»Sehr gerne doch, nennen Sie mir bitte Ihre Kundennummer?«
Nach dem sechsten Versuch hat es die gefühlt einhundertzehn Jahre alte Dame schließlich geschafft, mir die richtige Zahlenkombination zu nennen, und ich kann sie endlich ins System einloggen. Weitere zwanzig Minuten später kann ich die Bestellung – zwei Schokohasen zu Ostern und einen günstigen Schlüsselanhänger mit einer für mich undefinierbaren Abbildung für insgesamt 9,99 KE – völlig erschöpft, aber zur Zufriedenheit der Kundin, abschließen.
Nach einem kleinen Schluck kalten Kaffees geht es munter weiter und unser firmeneigenes Projekt ›Virtual Office for everyone‹ ist an der Reihe. Ein passender Werbespruch für diese Unternehmung wäre etwa ›Die Verleugnerprofis – Kundenverarsche leichtgemacht‹, aber diesen Gedankengang lasse ich erst gar nicht zu. Schließlich brauche ich meine Kredits noch. Also beherrsche ich mich tapfer und nehme den Call an.
»Guten Tag, hier ist die Anwaltskanzlei Blitzableiterdotcom. Was kann ich für Sie tun?«
»Guten Tag. Sie kümmern sich doch um Geschwindigkeitsübertretungen und Ähnliches?«
»So steht es auf unserer Website, meine Dame.«
»Also … mein Auto-Driving-Operator war defekt und ich musste selbst fahren.«
Routiniert antworte ich: »Verstehe.«
»Nun ja, ich habe ein Strafmandat erhalten, sechzig Kilometer pro Stunde in einer geschlossenen Ortschaft.«
Gerade möchte ich mein einstudiertes Programm abspulen, dass einer der Anwälte dies gerne persönlich mit ihr besprechen würde, da fährt sie auch schon fort: »Was ich fast noch vergessen hätte: Vor zehn Tagen ist mir dasselbe schon einmal passiert. Aber das ist ja wohl nicht so tragisch, oder? Ich meine, sechzig Stundenkilometer zu schnell. Da gibt es doch sicherlich Schlimmeres. Wissen Sie, ich bin Altenpflegerin in der Ambulanz, da hat man es schon einmal etwas eiliger.«
Ich frage mich insgeheim, wie viele Kunden Schwester Erika, wie sie sich nennt, ihrem Pflegedienst wohl schon auf diese Art zugeführt hat, da blinkt auch schon wieder die rote Warnleuchte und erfreut mich mit der Nachricht, dass ich soeben einen Lohnabzug erhalten habe.
Mir fällt ein altes Lied ein: »Die Gedanken sind frei«. Wer, um alles in der Welt, hat nur diesen bescheuerten Text verzapft? Möge er in der Hölle schmoren.
Das geht die nächsten viereinhalb Stunden so, abgesehen von einer Pinkelpause von fünf Minuten nach exakt zwei Stunden Dienstzeit. Da heißt es entweder durchhalten, oder die Blase so zu trainieren, dass sie genau zur richtigen Zeit entleert werden will. Nach einigen Jahren im Job habe ich diese Fähigkeit nahezu bis zur Perfektion entwickelt, wozu also meckern?
Nach einer weiteren kleinen Ewigkeit sehe ich endlich die langersehnte Nachricht rechts oben im Display aufblitzen: »Ihre Regenerationsphase beginnt jetzt. Bitte verlassen Sie nun den Arbeitsplatz!«
Ich habe mich noch nicht ganz erhoben, da nimmt auch schon der nervige, unauffällig auffällige Firmen-Timer den Platz meiner Projektübersicht ein. Jetzt aber los. Die Uhr tickt!
Im Pausenraum treffe ich nun auch Samuel wieder, der genüsslich an einem Lunch-Riegel der Sorte »Hähnchen-Gemüsemix« kaut.
Er begrüßt mich mit einem freundlichen: »Hey, alter Mann. Alles gut?«
Für seine dreiunddreißig Jahre ist mein Kollege ein ausgesprochen sympathischer und gesprächiger Zeitgenosse und wäre ich zwanzig oder dreißig Jahre jünger, wären wir wahrscheinlich sogar Freunde. Es tut gut, mit einem Menschen, den man mag, wenigstens für einige Minuten am Tag über Alltäglichkeiten reden zu können. Also diskutieren wir angeregt über Sport, Nachrichten und natürlich die neuesten Werbespots, bis mir mein Timer schließlich, freundlich aber bestimmt, mitteilt, dass sich mein Arsch innerhalb von zwei Minuten auf dem Smartchair zu befinden hat. Auf geht es zur zweiten Runde. Zumindest ein Lichtblick ist mir in dieser Schicht noch sicher: Die nächste Pinkelpause in zwei Stunden.
Der Rest meiner Arbeitseinheit verläuft etwas erfreulicher. Neben Erotik-Hotlines, Pontifex-TV und Virtual-Office Calls gibt es auch Projekte, die mir so etwas wie echte Genugtuung verschaffen.
Als ich für »Web-Payment Service Incorporated«, kurz WPS Inc., eingeteilt werde, schleicht sich ein leises, aber fieses, Lächeln auf mein Gesicht. Erfreut begrüße ich meinen ersten Kunden: »Herzlich willkommen bei Web-Payment-Service Incorporated, wie kann ich Ihnen helfen?«
Ein Poltern und nahezu hasserfülltes Schnauben erfüllt mein Ohr. Eine ältere, männliche Stimme schreit: »Du kannst mir vor allem meine Kredits zurücküberweisen, die ihr mir von meiner Mobile Network Rechnung abgezogen habt, du mieser Penner!«
Hocherfreut über diesen fast ungewöhnlich frühen Wutausbruch fahre ich gelassen fort: »Vielleicht geben Sie mir zunächst Ihren Einwahlcode, damit ich einmal in unserer Datenbank nachschauen kann.«
Vier oder fünf Hasstiraden später kann ich endlich unsere Datenbank bemühen und staune nicht schlecht: »Sie haben von uns eine Rechnung in Höhe von 1654,98 KE erhalten, weil Sie zahlreiche Zusatzleistungen in Anspruch genommen haben, darunter unter anderem die Premium Services nimm-mich-jetzt-oder-nie-dotcom und dirty-dollsdotbz.«
Heute ist mein Glückstag. Das ist mein persönlicher Rekord. Der Kandidat erhält einhundert Punkte.
Am anderen Ende der Leitung herrscht plötzlich Stille. Als ich gerade überlege, ob der Typ wohl vor Wut implodiert ist, erfahre ich den Grund. Seine Ehefrau hat sich zugeschaltet und gerade noch den letzten Teil meiner Ansage verstanden.
In den nächsten Minuten ist der arme Sünder voll und ganz damit beschäftigt, der aufgebrachten Furie neben sich zu erklären, dass ja alles ganz anders sei und er damit nicht das Geringste zu tun habe. Meine Anwesenheit ist für einige Minuten vergessen und so genieße ich die Show in vollen Zügen.
Vergnügt denke ich gerade noch: Ich liebe es, wenn ein Plan funktioniert, da blinkt auch schon wieder ein tiefrotes Symbol auf und läutet meinen zweiten Lohnabzug des Tages ein. Schade, aber irgendwie hatte ich es bereits kommen sehen.
Um 19.30 Uhr ist auch diese Schicht zu Ende und um 20.00 Uhr sitze ich in der Bahn nach Hause.
Dieses Mal lasse ich es nicht darauf ankommen und schalte mein Display ein. Mit geübten Augenbewegungen scrolle ich durch das Angebot und logge schließlich bei real-travel-destination-dotcom ein. Das gut gemachte Werbevideo einer »unvergesslichen« Romreise – meiner Reise – lässt wieder einmal Fernweh in mir aufkommen. Schöne Frauen in knappen Shorts und Shirts, mit brauner Haut und langen Haaren schlendern mit einem Eis in der Hand am Kolosseum vorbei. In Gedanken sehe ich mich schon spazierend das Forum Romanum, das Pantheon und natürlich den Petersplatz erkunden.
Ich sitze in einem der im Video gezeigten schnuckeligen Restaurants und schmecke quasi bereits den guten, italienischen Wein. Auf meinem Teller duftet eine Portion echter Spaghetti Bolognese so wundervoll frisch, wie ich es in meinem Leben noch nie gerochen habe. Schon jetzt läuft mir bei diesem Gedanken das Wasser im Mund zusammen. Die Werbefritzen können was, das muss man ihnen lassen.
Noch immer nicht wieder ganz Herr meiner Sinne, betrete ich meine kleine aber feine Wohnung und ziehe die Schuhe aus. Im Schrank erwartet mich eine Trocken-Pizza Sorte Hawaii der Marke ›Astronautfood‹, angeblich sogar mit echtem Käse. Wer's glaubt, wird selig. Aber egal. Der Hunger treibt es rein. Ich lege das Teil auf einen Teller, schütte die auf der Packung angegebene Menge Wasser darüber und beobachte die aus der Chemoküche stammende wundersame Verwandlung von einem Backsteinziegel in ein essbares Lebensmittel. Ab damit in die Mikrowelle und fertig ist mein Abendessen.
Ich verdiene zwar gar nicht schlecht, bin aber schließlich kein reicher Werbestar. Obst und Gemüse sind also eher selten auf meinem Speiseplan zu finden. Aber man gewöhnt sich schließlich an alles.
Nachdem alle grundlegendsten menschlichen Bedürfnisse befriedigt sind, öffne ich meinen Mailaccount und finde als erstes Post vom Arbeitgeber. Es ist Monatsende und meine Gehaltsabrechnung ist gekommen. Die Lektüre dieser Unterlage erweist sich als weniger erfreulich, als von mir angenommen, und versaut mir für die nächsten Minuten die Laune. Die Firma hat mir für meine diversen Verhaltensverstöße wieder einmal mehr abgezogen, als ich gedacht hatte, 224KE um genau zu sein. Naja, was soll ich Ihnen sagen? Es hat sich gelohnt.
Und während ich mich bei Virtual-Travel-for-youdotcom einlogge, fällt mir wieder dieser bescheuerte, aber irgendwie doch eingängige Liedtext ein: »Die Gedanken sind frei ...«
Reinhard Prahl wurde 1967 in Dortmund geboren. Als Autor populärwissenschaftlicher Artikel sind seine Arbeiten in zahlreichen Print- und Onlinemedien erschienen. Seit Ende 2013 betreibt Prahl, als engagierter Science-Fiction-Fan, darüber hinaus sein werbefreies Non-Profit-Portal www.greatscifi.de, für das er bislang mehr als 400 Artikel zu Filmen, Serien, Büchern, Hörbüchern und Hörspielen des Science-Fiction-Genres verfasste. ›A Day in Paradise‹ ist seine erste Kurzgeschichte.
Die Umstände des Wiederauftauchens von Anton Mauerstich waren mindestens so mysteriös wie sein vorheriges Verschwinden.
Außerhalb des kleinen Ortskerns, der wie überall aus Kirche, Gasthof und Gemeindeamt bestand, entnestelten sich die dörflichen Wohnhäuser und genossenschaftlichen Wohnanlagen. In beliebiger Scheinordnung gruppierten sich die Häuser des Dorfes um die wenigen Durchzugsstraßen. Die Fassade des kleinen Postamtes und ein Geschäft für »Herren- und Damenbekleidung« lockerten die Monotonie der Fassadenfronten ein wenig auf. Die Fenster sämtlicher Gebäude waren geschlossen. Dies lag jedoch weniger an der in der ländlichen Bevölkerung häufigen Abneigung gegenüber Frischluft, als an der selbst für die herbstliche Jahreszeit ungewöhnlich grimmen Kälte.
Zu dieser späten Nachmittagsstunde herrschte in Angerbach ein für die üblichen Verhältnisse geradezu beängstigender Verkehr. Ein Traktor und zwei PKWs passierten innerhalb von nur fünfzehn Minuten die Hauptverkehrsstraße. Auch auf den Gehsteigen gab es dichtes Gedränge. Der ortsbekannte Säufer Rudi befand sich auf dem Heimweg von seinem obligatorischen Gasthausbesuch und stützte sich geübt die Hauswände entlang. Auch die Volksschullehrerin bevölkerte die Wege, wobei sie einen ausgestopften Waldkauz unter dem Arm trug, dessen Stopfnaht sie hatte ausbessern lassen.
Grundsätzlich ließ sich von den Ortsbewohnern sagen, dass sich etwa ein Drittel in Angerbach eingesperrt fühlte, ein weiteres Drittel ausgesperrt – nämlich vom sogenannten prallen, wirklichen Leben – und der Rest war so verschlossen, dass man daraus nichts schließen konnte.
Unweit der Ortseinfahrt befanden sich noch eine kleine Tankstelle und ein vorwiegend heimlich frequentierter Barbetrieb. Dessen Fenster waren mit roten Vorhängen verhangen, auf die von innen eine schummrige Beleuchtung fiel, wodurch man wohl so etwas wie verruchte Intimität suggerieren wollte. Auf dem Dach prangte eine pinke Leuchtschrift, die in geschwungenen Lettern »Hot Girls« verkündete.
Unweit davon floss starkströmig das Gewässer vorbei, dem die Ortschaft ihren Namen verdankte: Der Angerbach.
Dort, wo der Ort Angerbach sich ausfranste und nur mehr vereinzelt bäuerliche Gehöfte den Endpunkt von Sackstraßen markierten, erhob sich in unmittelbarer Nähe die Flanke des Berges. Drohend ragte er über dem Dorfe empor, ein nach Unterwerfung heischender Riese.
Eine vorzeitige Dämmerung brach herein. Das Erste, was sie verschluckte, war der Kirchturm. Zu allem Überfluss krochen auch noch feuchte Nebelbänke über die Hänge, legten sich auf die frostklammen Wiesen, waberten durch die Häuserzeilen.
Wie Skelette nahmen sich die schemenhaften Umrisse blattloser Obstbäume in der milchigen Dunstsuppe aus. Noch bedrohlicher wirkten die Silhouetten vereinzelter Weiden, auf deren kurzstämmigen Krüppelstümpfen Weidenzweige hoch emporragten, die an die zerrauften Borsten eines Hexenbesens gemahnten. In der Ferne protestierte bellend ein Hund. Vergeblich kämpften an Hofgebäuden angebrachte Außenlampen gegen die beinahe undurchdringliche Düsternis.
Der Bauer blickte sich um, bevor er die Stalltüre öffnete, trat dann mit raschem Schritt in das Innere des Stalles und schaltete das Licht ein. Mehrere Wandleuchten mit schmutzigem Glühbirnenlicht flammten flackernd auf und erhellten mühsam Schweinekoben und Fressplätze für Kühe, die offensichtlich schon lange verwaist waren. Schimmelige Futterreste, Spuren vertrockneter Tierexkremente, dreckstarrender Strohmist und stinkende Pissrinnen gaben beredt Zeugnis von jahrelanger Verwahrlosung.
Der Bauer ging zur Hinterwand des Raumes. An der Mauer war eine etwa drei Meter lange Viehtränke aus Holz angebracht, die trotz der Abwesenheit von Vieh bis zum Rand mit Wasser gefüllt war, dessen Oberfläche mit einer dicken Schicht von fauligem Heu, schimmelnden Maiskolben und übelriechender Jauche bedeckt war. Vorsorglich hatte der Bauer Hände und Arme mit bis zu den Ellenbogen reichenden Gummihandschuhen geschützt. Denn jetzt griff er energisch in das brackige Wasser. Er fasste nach einem Gegenstand im Inneren des Wannentroges und begann angestrengt zu zerren.
»Resi, kimm aussi do, du Sau!«, schimpfte er keuchend. Endlich hievte er den Körper über den Wannenrand und dieser fiel klatschend auf den Stallboden. Die rechte Gesichtshälfte der ehemals wohl recht hübschen Frau war blutverkrustet; Knochensplitter durchdrangen die Gesichtshaut. Die bäurische Arbeitskleidung samt Schürze starrte von Schmutz. Maden und anderes Gewürm ringelten sich zuckend auf mehreren Stellen des Leichnams.
Gestern noch hatte der Huber Loisl, der als Postenkommandant der hiesigen Gendarmerie die Suchaktion nach der Vermissten leitete, mit dem Bauern hier im Stallgebäude gestanden. Seine Blicke waren über die ehemaligen Viehboxen geglitten, dann hatte er die zu Ende gerauchte Zigarette aus dem Mund genommen. Noch einmal hatte er sich suchend umgesehen, die Achseln gezuckt und den Zigarettenstummel in die gefüllte Viehtränke geworfen.
»Jo mei«, hatte er ratlos von sich gegeben und den Stall verlassen.
Verärgert stellte der Bauer fest, dass er vergessen hatte, die Schubkarre für den Abtransport Resis mitzunehmen. Fluchend verließ er den Stall, dachte vorsorglich daran, die Türe zu verriegeln, und stapfte zum Geräteschuppen. Die Schubkarre vor sich herschiebend, kehrte er zum Stall zurück.
Der Körper war infolge seiner Nässe so glitschig, dass es dem Bauern zunächst nicht gelang, ihn in die Karre zu hieven. Er nahm den Hut ab, wischte sich den Schweiß von der Stirn, und kratzte sich ausgiebig den Nacken.
Er dachte angestrengt nach. Vor Wut hätte er Resi am liebsten umgebracht, aber das ging ja leider nicht öfter als einmal. Dann hatte er so etwas wie eine Idee. Er kippte die Karre und legte sie seitwärts neben die Tote. Daraufhin nahm er eine an der Wand lehnende Mistgabel und schob die Zinken unter den widerspenstigen Körper. Schiebend und schaufelnd gelang es ihm, Resi in die Karrenwanne zu drücken.
»Warum net glei«, murmelte er. Dann packte er entschlossen die Griffe der Schubkarre und setzte sich in Bewegung.
Kurz vor dieser an sich belanglosen Begebenheit begab sich ein Gendarm des Wachtpostens Angerbach auf den Weg zu einer Tatortbesichtigung. Das Gasthaus war zwar fast 150 Meter entfernt, aber in einem Anfall heroischer Selbstüberwindung verzichtete der Beamte auf die Benutzung des Einsatzfahrzeuges und ging zu Fuß.
Das Schicksal kann manchmal hart zuschlagen. Fremdenzimmer in Angerbach zu vermieten zum Beispiel bedeutete für den Vermieter eine sichere Ausgabenquelle. Und dennoch gab es im ersten Stock des Gasthauses »Zur fetten Leber« (das Wirtsehepaar hieß Leber) zwei Fremdenzimmer. »Mit Blick auf den Kirchplatz«, wie im Schaukasten neben der Speisekarte verlockend angeführt wurde.
Der Gendarm überraschte das Wirtsehepaar bei einem Schnarchwettbewerb. Die Oberkörper in die verschränkten Arme gebettet, belümmelten die beiden Fettwänste die Platte eines Gastraumtisches. Der Beamte griff nach seiner Dienstpistole und überlegte kurz, ob er diese optische und akustische Umweltverschmutzung mit einem Schuss wecken sollte, scheute aber dann doch die wahrscheinlich folgende Auseinandersetzung mit seinem Vorgesetzten. Der überdies sein Vater war.
Der Huber Franzl ging daher zur Theke, füllte ein Wasserglas und vergoss dieses über die beiden hässlichen Schädel.
Ob er den Verstand verloren habe (»Heast, habn’s Dir ins Hirn gschissen!«), beziehungsweise, dass man erst vor drei Wochen beim Friseur gewesen sei (»Mei neiche Dauerwelln, du Grauslicher!«), ging es dann sofort los.
Der Beamte holte professionell sein Notizbuch hervor und beendete die Tiraden in amtlichstem Tonfall: »Ihr habts Anzeige wegen Zechprellerei erstattet? Der Gast, ein gewisser Anton Mauerstich, hat seine Bewirtung nicht bezahlt?«
»Seine wos net bezahlt?«, glotzte der Wirt verständnislos.
»Sei Sauferei, oder das Fraß, was ihr eahm hing’schüttet habt’s«, übersetzte der Huber Franzl in bewundernswerter Geduld.
»Nein, nein, des hot er allerweil zohlt. Sei Zimmer hot er net zohlt und is einfach abg’haut, der damische Krippl«, mischte sich triefhaarig die Wirtin ein.