BUCERIUS LAW SCHOOL PRESS
Das Jahrbuch des Instituts für Stiftungsrecht und das Recht der Non-Profit-Organisationen
Herausgegeben von
Birgit Weitemeyer ∙ Rainer Hüttemann
Peter Rawert ∙ Karsten Schmidt
Schriftleitung
Dr. Emily Plate-Godeffroy
Julia Theele
Verlag:
Bucerius Law School Press, Jungiusstr. 6, 20355 Hamburg
Herausgeber:
Prof. Dr. Birgit Weitemeyer, Prof. Dr. Rainer Hüttemann, Prof. Dr. Peter Rawert, Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Karsten Schmidt
1. Auflage 2017
Herstellung und Auslieferung:
tredition GmbH, Hamburg
ISBN: 978-3-86381-096-2
Diese Publikation wird gefördert durch die .
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Das Non Profit Law Yearbook 2016/2017 versammelt erneut eine Reihe von Vorträgen, die auf den Hamburger Tagen des Stiftungs- und Non-Profit-Rechts am 11. und 12. November 2016 an der Bucerius Law School gehalten worden sind. Im ersten Beitrag, der Schriftfassung der Hamburger Rede zur Eröffnung der Hamburger Tage des Stiftungs- und Non-Profit-Rechts 2016, widmet sich Frank Adloff dem „Homo donator: Geben zwischen Hierarchie und Solidarität“. Adloff hinterfragt die soziologischen Wirkungen der Gabe auf der Grundlage der Überlegungen des Soziologen und Ethnologen Marcel Mauss und macht Stiftungen darauf aufmerksam, dass eine einseitige Förderbeziehung zu vermeiden ist und Stiftungen eher die beziehungsstiftende Wirkung von Gaben nutzen sollten.
Jörn Block und Florian Hosseini stellen die Ergebnisse verschiedener Studien dar, die „Stiftungsunternehmen als hybride Organisationen: Auswirkungen auf die Unternehmensperformance“ untersucht haben und zu dem Ergebnis gelangten, dass Unternehmen in der Trägerschaft von Stiftungen trotz der gegenläufigen Interessen der Trägerstiftung und unterschiedlicher Gruppen von Stakeholdern finanziell nicht schlechter abschneiden als andere Unternehmen.
Im zivilrechtlichen Teil nimmt Dirk Schauer auf der Grundlage seiner Dissertation umfassend „Zum Bericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe `Stiftungsrecht´ betreffend die Zulegung und Zusammenlegung von rechtsfähigen Stiftungen“ Stellung und entwickelt einen eigenen, umfangreicheren Gesetzesentwurf, der dem Gläubigerschutz stärker Rechnung trägt.
Mit Matthias Uhl und Benjamin Momberger stellen die beiden im Jahr 2016 ausgezeichneten Preisträger des W. Rainer Walz-Preises für eine herausragende wissenschaftliche Arbeit auf dem Gebiet des Non-Profit-Rechts ihre Forschungsergebnisse vor. Uhl beleuchtet die „Perspektiven und Grenzen von Stiftungskooperationen aus rechtlicher Sicht“ und stellt dabei heraus, dass das geltende Stiftungsrecht dem verbandsmäßigen Zusammenschluss von Stiftungen in Form einer Gesellschaft bürgerlichen Recht nicht entgegensteht, aber besondere Treuepflichten bestehen. Momberger macht in seinem Beitrag „Neue rechtliche Rahmenbedingungen für Social Entrepreneurs erforderlich?“ auf neue Rechtformen und rechtliche Rahmenbedingungen für wirtschaftlich tätige, sozial ausgerichtete Unternehmen in den USA, in England, Belgien und Italien aufmerksam, die früher als Deutschland dem sich entwickelnden „Vierten Sektors“ zwischen Unternehmen des Zweiten Sektors (neben dem Staat als Ersten Sektor) und den gemeinnützigen Organisationen des Dritten Sektors Rechnung getragen haben.
Harald Bott bietet im steuerrechtlichen Teil eine Bestandsaufnahme über die aktuelle steuerliche Bewältigung der Flüchtlingsproblematik im Rahmen von „Kooperationen zwischen Non-Profit-Organisationen und der öffentlichen Hand im ländlichen Raum und zur Aufnahme und Integration von Flüchtlingen und die Bedeutung des § 2b UStG“.
Aus dem von Markus Achatz, Stephan Schauhoff und Birgit Weitemeyer geleiteten Forschungsprojekt „Umsatzsteuer für den Nonprofitsektor“ berichtet Caroline Heber über den von ihr verantworteten praktisch wichtigen Abschnitt zu „Spenden und Sponsoring im Mehrwertsteuerrecht“ und entwickelt eine Lösung, die dem nationalen Umsatzsteuerrecht ebenso Rechnung trägt wie der europarechtlichen Mehrwertsteuersystemrichtlinie.
Im internationalen Teil des Bandes präsentieren Niek Zaman, Cees de Groot und Martijn van Steensel in ihrem Beitrag „Foundations in the Netherlands: present and proposed legislation and their role in the economy“ die im Gegensatz zum deutschen Recht sehr flexibel einsetzbare Stiftung niederländischen Rechts und die hierzu geschaffenen Spezialvorschriften für deren Einsatz im semi-öffentlichen Wohlfahrtsbereich.
Schließlich geben Nils Krause und Florian Haase in ihrem Report „Aus Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltungsanweisungen zum Dritten Sektor im Jahr 2016 in Deutschland“, zuverlässig wie gewohnt, einen Überblick zu den wichtigsten rechtlichen Entwicklungen im Dritten Sektor.
Für die wertvolle Mitarbeit an dem diesjährigen Non Profit Law Yearbook haben die Herausgeber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Instituts für Stiftungsrecht und das Recht der Non-Profit-Organisationen der Bucerius Law School in Hamburg zu danken, so für die umsichtige Schriftleitung Frau Dr. Emily Plate-Godeffroy und Frau Julia Theele, für die sorgfältige Erstellung der Bibliographie des Jahres 2016 zum Non-Profit-Recht Herrn Philipp Heller sowie für die zügige Übersetzung mehrerer Summaries und des Vorworts Frau Rosalind Kessler.
Hamburg, im Juni 2017
Birgit Weitemeyer, Rainer Hüttemann, Peter Rawert, Karsten Schmidt
Once again the Non Profit Law Yearbook 2016/2017 collates a number of lectures held at the Hamburger Tage Conference on the law of foundations and non-profit law at the Bucerius Law School on 11 and 12 November 2016. In the first contribution, the written version of the Hamburger Rede, the speech held to open the Hamburger Tage Conference on the law of foundations and non-profit law 2016, Frank Adloff addresses the “Homo donator: Geben zwischen Hierarchie und Solidarität” (Homo donator: Giving between hierarchy and solidarity). Adloff looks into the sociological effects of giving, on the basis of the reflections made by the sociologist and ethnologist Marcel Mauss, drawing the foundations’ attention to the fact that a one-sided support relationship should be avoided and that foundations should rather employ the relationship-engendering effect of gifts.
Jörn Block and Florian Hosseini present the results of diverse studies investigating “Stiftungsunternehmen als hybride Organisationen: Auswirkungen auf die Unternehmensperformance” (Foundation-owned firms as hybrid organizations: Impacts on corporate performance) and conclude that the financial performance of companies owned by foundations is no poorer than that of other enterprises, despite the conflicting interests of the foundation owning the firm and different groups of stakeholders.
In the public law section Dirk Schauer provides a comprehensive opinion in “Zum Bericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe `Stiftungsrecht´ betreffend die Zulegung und Zusammenlegung von rechtsfähigen Stiftungen” (The report of the working group of the Federation and Federal States on foundation law relating to the amalgamation and merger of foundations with legal capacity) on the basis of his dissertation and evolves his own more extensive draft act which takes greater account of the protection of creditors.
Matthias Uhl and Benjamin Momberger, the two winners of the W. Rainer Walz-Prize in 2016 for their outstanding academic work in the field of nonprofit law, present the results of their research. Uhl illustrates the “Perspektiven und Grenzen von Stiftungskooperationen aus rechtlicher Sicht” (Perspectives and limitations of cooperation by foundations from a legal perspective) establishing that current foundation law does not oppose an association of foundations akin to a society in the form of a partnership under the German Civil Code (GbR), but that there are special fiduciary duties. In his contribution “Neue rechtliche Rahmenbedingungen für Social Entrepreneurs erforderlich?“ (Are new legal frameworks required for social entrepreneurs?) Momberger draws attention to new legal forms and frameworks for enterprises with social orientation engaged in economic activities in the USA, England, Belgium and Italy, which have been quicker than Germany to take account of the burgeoning “fourth sector” between enterprises in the second sector (alongside the state as the first sector) and the charitable organizations of the third sector.
In the tax part of this volume Harald Bott takes stock of the manner in which current tax policy is dealing with the refugee problem in the context of “Kooperationen zwischen Non-Profit-Organisationen und der öffentlichen Hand im ländlichen Raum und zur Aufnahme und Integration von Flüchtlingen und die Bedeutung des § 2b UStG” (Cooperation between non-profit organizations and the public sector in rural areas and in the reception and integration of refugees, and the significance of sec. 2b German VAT Act).
Caroline Heber reports from the research project “Umsatzsteuer für den Nonprofitsektor” (Value added tax for the non-profit sector) led by Markus Achatz, Stephan Schauhoff and Birgit Weitemeyer on the section with important practical relevance that she was responsible for, namely on “Spenden und Sponsoring im Mehrwertsteuerrecht” (Donations and sponsoring in VAT law) and she evolves a solution which takes account of both national VAT law and of the European Directive on the common system of value added tax.
The contribution by Niek Zaman, Cees de Groot and Martijn van Steensel in the international part of the volume examines “Foundations in the Netherlands: present and proposed legislation and their role in the economy” showing how under Dutch law, unlike German law, a foundation can be implemented very flexibly, and the special regulations created for implementing the foundation in the semi-public welfare sector.
And finally, in their report “Aus Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltungsanweisungen zum Dritten Sektor im Jahr 2016 in Deutschland” (Legislation, Jurisdiction and Administrative Orders on the Third Sector in Germany in 2016) Nils Krause and Florian Haase present, in their habitually reliable manner, an overview of the most important legal developments in the third sector.
The editors would like to thank the staff of the Institution for Foundation Law and the Law of Non-Profit Organisations of the Bucerius Law School in Hamburg for their valuable collaboration on this year’s Non Profit Law Yearbook, Dr. Emily Plate-Godeffroy and Mrs. Julia Theele for their circumspect editorship of the written contributions, Mr. Philipp Heller for his careful preparation of the bibliography on non-profit law in the year 2016 and Mrs. Rosalind Kessler for her fast translation of several summaries and the Foreward.
Hamburg, June 2017
Birgit Weitemeyer, Rainer Hüttemann, Peter Rawert, Karsten Schmidt
Abstract The article discusses the contribution of Marcel Mauss to a gift theory. People help each other, give each other objects, recognition, and encouragement. Beyond these everyday actions, there are also greater gifts: people forgive each other, or perhaps they give something unusual in the form of extraordinary help or philanthropic gifts. Both forms of giving are constitutive of society, for without gifts no society can exist. Yet almost all social theories have woefully neglected this dimension of human action. Typically, gifts are accounted for in two ways: either they are reduced to the fact that people do what norms expect of them; or they are attributed to motives of self-interest. Firstly, this article aims to offer a theoretical alternative. There is a human tendency to the gift that cannot be explained in a normativistic and utilitarian manner – gifts embody moments of surplus and unconditionality, which are constitutive for the creation of sociality. Secondly, the paper discusses the question if philanthropic foundations embody the solidary spirit of the gift or – to the contrary – if they tend to hierarchical forms of giving and social relations. It is argued that most foundations as part of elite philanthropy show rather hierarchical concepts of giving that contradict the horizontal and democratic idea of civil society.
Eine Grundfrage der Soziologie lautet, wie soziale Ordnung überhaupt möglich ist. Wie lassen sich die Handlungen von Individuen so aufeinander beziehen, dass regelmäßige Kooperation und damit soziale Ordnung zustande kommen? In der soziologischen Theoriebildung des 20. Jahrhunderts findet man zu dieser Frage zwei klassische Positionen. Entweder wird aus utilitaristischer1 Sicht (etwa in Form von Rational-Choice-Theorien) behauptet, dass die Konvergenz von jeweils individuellen Interessen unter bestimmten Bedingungen zur Kooperation führen kann. Dies kann man die Hobbes’sche Lösung nennen. Oder man nimmt an, dass es eines vorgängigen, gemeinsam geteilten kulturellen Hintergrunds bedarf, der Kooperation ermöglicht. Dieser Hintergrund besteht aus Normen, Werten und gemeinsamen Wissensbeständen – die Rousseau’sche Lösung, die davon ausgeht, dass man zum pro-sozialen Handeln erzogen werden muss und dass Normen durch Sanktionen abgesichert werden müssen.
Diese Unterscheidung findet sich auch in den Debatten, die Phänomene wie Spenden oder Stiften in den Blick nehmen. In Wissenschaft und Öffentlichkeit wird ein Diskurs der Freiwilligkeit und des heroischen Altruismus geführt, der sich in drei Varianten manifestiert. Man unterstellt etwa die Eigennützigkeit jeden Handelns, so dass die Spende entweder als etwas Großartiges und extra-ordinär Altruistisches erscheinen muss – oder hinter der Spende stehen letztlich doch eigennützige Motive wie z.B. die Suche nach Anerkennung und moralischem Prestige. Oder, drittens, man unterstellt, dass die altruistischen Spender/innen mehr tun, als durch Konventionen, Gebräuche oder vom Recht von ihnen normativ erwartbar ist; hier erscheint der Stifter ähnlich wie im ersten Fall als besonders tugendhaft. Was diese Beispiele eint: Im Idealfall sollen Spender und Spenderinnen sowohl frei von moralischen Zwängen als auch von eigennützigen Motiven agieren. Zugleich unterstellt man, dass dies kaum möglich ist; ergo ist die „reine Spende“ auch kaum möglich. Aus dieser Antinomie führt nur eine nochmalige gründliche Reflexion auf die Grundlagen dieser Theoriemodelle.
Ich schlage vor, auf Marcel Mauss (2010) als theoretische Gewährsperson zu setzen, um der oben genannten Antinomie zu entkommen. Der Soziologe und Ethnologe Mauss legte im Jahr 1925 den Essay „Die Gabe“ vor, in dem er eine theoretische Alternative zum Utilitarismus und Normativismus begründet.2 Mauss synthetisiert in dem Text die ethnologische Forschung seiner Zeit und entfaltet die These, dass vormoderne Gesellschaften sich symbolisch über den Zyklus von Geben, Annehmen und Erwidern reproduzieren. Mauss betont, dass die beziehungsstiftende wechselseitige Präsentation von Gaben zugleich auf der Freiwilligkeit und der Pflicht des Gebens, Nehmens und Zurückgebens beruht.
Zwei Varianten des vormodernen Gabentausches stellt Mauss in den Mittelpunkt seiner Analysen: den sogenannten kula-Ring auf den melanesischen Trobriand-Inseln und den Potlatsch bei den nordwestamerikanischen Kwakiutl. Er unterscheidet dabei zwischen stärker agonistischen und weniger agonistischen Gaben. Schwach-agonistische Gaben kreieren eine Sphäre ungefährer Äquivalenzen und gegenseitiger Verschuldungen, in der es nicht primär um die Akkumulation von Reichtum geht. Gaben provozieren Gegengaben und „nähren“ auf diese Weise permanent gegenseitige Verschuldungen und Verpflichtungen, die nicht abgegolten werden können. Beispielhaft ist der kula-Ring, bei dem zwei Arten von Schmuckstücken – Halsketten und Armbänder – in entgegengesetzten Richtungen zwischen den Inseln kursieren. Das Überreichen der Gaben stiftet und sichert die Beziehungen zwischen den beiden Gruppen zunächst einmal solidarisch ab, bevor der eigeninteressierte Warentausch beginnen kann.
Die stärker agonistische Gabe, bei der der Kampf um Renommee viel offensichtlicher erfolgt, zeigt sich am ausgeprägtesten im Potlatsch der indianischen Völker der kanadischen Nordwestküste. Dabei geht es um die wechselseitige Steigerung von Gaben, bis ein Clan oder Häuptling aus dem Kreislauf des immer mehr Gebens aussteigen muss; denn nur einer kann beim Potlatsch gewinnen – und zwar an Status. Hier gründet alles auf den Prinzipien von Antagonismus und Rivalität.3
Dagegen spricht er in dem Essay nicht über nicht-agonistische Formen der Gabe, die er auch als totale Leistungen bezeichnet (Mauss 2010: 18). Diese solidarischen, nicht-kämpferischen Gaben bleiben fast völlig im Dunkeln; im Manuel d‘ethnographie aus dem Jahr 1947 finden sich immerhin einige Erwähnungen. Sie gelten Mauss als ursprünglich und als Vorläufer der agonistischen Gaben – darauf wird noch zurückzukommen sein. Im Essay über die Gabe kommt es Mauss hingegen darauf an zu zeigen, dass (schwach und stark) agonistische Gaben eine intermediäre Position zwischen nicht-agonistischen Gaben und heutigen individualistischen und juristischen Verträgen einnehmen.
Mauss verfolgte mit seinem Essay jedoch nicht nur ethnologische, sondern auch deutlich gegenwartsbezogene Zwecke; Ziel war eine Kritik von Realsozialismus, Kapitalismus und Utilitarismus. Sein damals aktuelles Potential bezog der Essay aus der doppelten Kritik am utilitaristischen Individualismus einerseits und bolschewistischen Staatszentrismus andererseits (vgl. Chiozzi 1983). Mauss ging es um ein drittes Prinzip der Solidarität und Genossenschaftlichkeit: nämlich um Formen wechselseitiger sozialer Bindungen und Verschuldungen. Der Sozialvertrag, den Mauss in den untersuchten archaischen Gesellschaften, in der Edda und im germanischen Recht erblickt, dient ihm als Modell der Erneuerung des zeitgenössischen Sozialvertrags durch die Anerkennung wechselseitiger Verschuldung. Die Gefahr lag für ihn darin, dass die modernen Sozialbeziehungen zunehmend dem Modell des Tausches, des Marktes und des Vertrags folgen – deshalb lautet Mauss’ Warnung, dass der homo oeconomicus noch vor uns liege.
Die Logik der Gabe (und die häufig damit verbundene Reziprozität) unterscheidet sich somit fundamental vom marktförmigen Tausch (vgl. Mauss 2010: 130ff). Im Rahmen der Gabe weiß man nicht, ob man etwas erwidert bekommt, was man erwidert bekommt und wann man etwas erwidert bekommt. Dies liegt jeweils in der Hand des Empfängers einer Gabe. Beim Tausch einigen sich vor dem Transfer beide Parteien über die Modalitäten, und es fließen Güter in beide Richtungen.
In der sozialwissenschaftlichen Literatur wird das Konzept der Gabe eng an das der Reziprozität gekoppelt (vgl. Blau 2005, Molm 2010, Fehr/Gintis 2007). Wer gibt, bekommt in der Regel etwas zurück, so die These. Insbesondere in der Philosophie ist hingegen eine fortdauernde Erörterung der Frage zu finden, ob es so etwas wie eine reine Gabe geben kann, die nicht auf Erwiderung beruht oder abzielt (vgl. Derrida 1993, Ricoeur 2006). Im Folgenden werde ich zeigen, dass wir die philosophische Debatte ernst nehmen und (an)erkennen sollten, dass neben Tausch und Reziprozität ebenso Formen einseitigen Gebens existieren. Es gibt also Gaben, die nicht erwidert werden (müssen). Zur Gabe gehört es ohnehin, dass die Erwiderung nicht zum Bestandteil ihrer Definition gemacht werden sollte, da sie vom Akt der Erwiderung unabhängig ist (Descola 2011: 457 f.). Wäre sie vom Akt der Erwiderung abhängig, hätte man es mit einem Tausch zu tun. Die aus einer Gabe unter Umständen erwachsende Verpflichtung ist weder obligatorisch noch lässt sie sich einklagen (vgl. Caillé 2008, Adloff 2016). Nur zum Tausch gehört notwendig das Prinzip der Wechselseitigkeit. Dennoch soll hier nicht der Idee der reinen Gabe das Wort geredet werden. Es geht darum, dass Reziprozität immer nur eine Möglichkeit ist, dass sie nicht notwendig zur Gabe gehört. Gaben zielen auf soziale Beziehungen ab, und diese bilden sich über die Trias von Geben, Annehmen, Erwidern. Doch muss sich eine solche positive Trias nicht einstellen, aber das Risiko des Gebens öffnet überhaupt erst den Horizont für eine Beziehung der Wechselseitigkeit.
Den Beziehungsmodus der (nicht-agonistischen und agonistischen) Gabe gibt es – in unterschiedlicher Ausprägung – in jeder Gesellschaft (neben Tausch, Hierarchie etc.). Wenn wir (an)erkennen, dass es neben Tausch und starker agonistischer Reziprozität noch ein drittes Modell moralischer Prinzipien gibt, auf dem soziale wie ökonomische Beziehungen gründen können: das nichtagonistische Geben, dann hat dies für das Verständnis von Gesellschaft gravierende Konsequenzen.
Niemand hat so konsequent in den letzten Jahren versucht, das Konzept nichtagonistischer Gaben anthropologisch wie soziologisch herauszuarbeiten wie der amerikanische Anthropologe und anarchistische Aktivist David Graeber, der jüngst mit seinem Buch „Schulden. Die ersten 5000 Jahre“ große Resonanz in der interessierten Öffentlichkeit fand. Nicht der Tausch von Dingen gegen Dinge ist für ihn das ursprüngliche Modell des Wirtschaftens: Graeber (2012: 41 ff.) weist nach, dass der Tausch gar kein besonders altes Phänomen ist, sondern sich erst spät verbreitet hat. Die weitaus häufigste Form des Wirtschaftens gründet auf dem Prinzip des Kommunismus, wie Graeber nicht ganz ohne Provokation betont. Innerhalb einer kommunistischen Gemeinschaft wird nach dem Prinzip „jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen“ gehandelt.4 Nach diesem Prinzip kann niemals eine Gesellschaft als Ganzes organisiert werden; allerdings sind viele vormoderne Gesellschaften in ihrer Wirtschaftsweise stark von diesem Prinzip gekennzeichnet. Doch selbst moderne (kapitalistische) Gesellschaften sind auf einem Fundament kommunistischer Beziehungen aufgebaut: „Kommunismus ist das Fundament menschlichen Zusammenlebens“ (Graeber 2012: 102, Hervorh. im Original). Familiäre und freundschaftliche Beziehungen, spontane Kooperationen, Kollegialität, freundliche Gesten und Konversationen – all dies sind für Graeber Beispiele einer kommunistischen Alltagsmoral, die von utilitaristischen wie normativistischen Sozialtheorien nicht adäquat erfasst werden kann. Immer dort, wo nicht Buch über den erfolgten Austausch geführt wird, haben wir es mit Formen des Gebens, Vertrauens, Gemeinsinns, der Hingabe und Liebe zu tun, die auf spezifische Weise vom Prinzip der Reziprozität entkoppelt sind. Im Grunde tun die hieran beteiligten Akteure so, als würden sie ewig leben. Man weiß, der oder die andere würde das Gleiche für mich tun, auch wenn sich faktisch nie die Frage stellt, ob er oder sie Besagtes tatsächlich tun wird. Dies impliziert zwar auch eine Form der Reziprozität, aber eine sehr offene und weite. Beim Tausch gründet alles auf dem Prinzip, dass Beziehung und Austausch jederzeit beendet werden können, was auch impliziert, dass man seine Schulden begleichen kann und dann quitt ist. Schulden resultieren somit aus einem nicht zu Ende gebrachten Tausch zwischen prinzipiell isolierbaren Individuen. Die kommunistische Gabe kennt in diesem Sinne keine Schuld(en).5
Eine instruktive Deutung dagegen der agonistischen Gabe im Kontext des Anerkennungsdiskurses hat Thomas Bedorf (2010) entwickelt. In der riskanten und agonistischen Seite der Gabe liegt eine Herausforderung, der man sich nicht entziehen kann. Gaben produzieren Wechselwirkungen par excellence: Denn auch eine Nicht-Erwiderung ist eine Art der Erwiderung, wenn auch eine negative. In der Gabe liegt deswegen eine soziale Herausforderung: entweder auf das Beziehungsangebot einzugehen oder es abzulehnen. Das Gaberitual kann als ein Verfahren der agonistischen Anerkennung gelten. In der Gabe liegt eine Art Test: Wer gibt, bekommt unausweichlich eine Antwort. Etwas jemandem zu geben ist als erster Schritt des Erkennens des Anderen als eines Menschen und im zweiten als eine Form von Anerkennung zu deuten. Interaktionsmöglichkeiten mit anderen werden so eruiert und der Andere wird gezwungen zu antworten. Dabei dient die Gabe, also das, was gegeben wird, als Medium der Anerkennung. Über das Gelingen der Anerkennung kann jedoch nicht der Geber entscheiden, sondern nur derjenige, dem Anerkennung gegeben wird. Erst wenn der Empfänger einer Gabe sich dankbar erweist und dadurch wiederum Anerkennung ausdrückt, wird bezeugt, dass es sich um eine Gabe und somit um eine Anerkennung handelte (Caillé 2009).
Fassen wir zusammen: Menschen sind einander zugewandt und geben sich eine Vielzahl von Dingen. Auf der alltagsweltlich-ubiquitären, nicht-agonistischen Ebene helfen sie sich gegenseitig, hören einander zu, sie schenken sich Dinge, Zuwendung, Anerkennung und Zuspruch. Diesen alltäglichen Handlungen stehen größere, häufig agonistische Gaben gegenüber: man verzeiht einander, man gibt etwas Ungewöhnliches und Unerwartetes etwa in Form einer außeralltäglichen Hilfe. Es gibt mithin eine Neigung des Menschen zur Gabe, die sich nicht normativistisch und utilitaristisch erklären lässt. Gaben enthalten Momente des Überschusses und der Unbedingtheit, die konstitutiv sind für das Hervorbringen von Sozialität. Am Grund des Sozialen liegen damit Nicht-Äquivalenzen und Asymmetrien. Gabe, Risiko und Vertrauen sind fundamentale Voraussetzungen für Kooperationsbeziehungen, und zwar besonders immer dann, wenn man nicht von einer schon geteilten gemeinsamen Kultur ausgehen kann. Nicht zufällig handelt „Die Gabe“ vom intertribalen oder man könnte auch sagen: ‚internationalen’ Austausch zwischen Gruppen, die sich nicht schon auf ein gemeinsames Set von Werten und Normen verlassen können.
Doch stiften Gaben nicht nur horizontale Beziehungen und Solidarität, manchmal ganz im Gegenteil. Wie kann das sein? Auch Mauss hat schon darauf aufmerksam gemacht, dass Gaben nicht nur Solidarität und Anerkennung, sondern auch Hierarchie, Missachtung und Ungleichheit stiften und konsolidieren können. Dies ist immer dann der Fall, wenn die Verfügung über Ressourcen bei verschiedenen Gruppen sehr ungleich ausfällt und auf diese Weise Gaben keine Erwiderung erfahren (können).
Erstens kann es sein, dass privilegierte Gruppen die Gaben ressourcenschwacher Gruppen nicht erwidern müssen – wie dies der Fall ist, wenn beispielsweise Arbeitgeber nur den nötigsten Lohn zahlen (Ausbeutung).
Zweitens bauen sich Verschuldungen und Machtasymmetrien auf, wenn eine soziale Gruppe auf Grund ihrer Ressourcenausstattung Gaben nicht erwidern kann – die paternalistische Gabe gegenüber Armen wäre hier typisch (Erniedrigung/Abhängigkeit).
Und drittens können bestimmte Gruppen von dem Fluss begehrter materieller wie immaterieller Güter ausgeschlossen werden (Exklusion). Allen drei Beispielen ist gemeinsam, dass es nicht gelingt, Beziehungen zwischen Gleichrangigen aufzubauen.
Blicken wir abschließend auf das Feld der Stiftungen und fragen, ob sich hier eine Gabenlogik entfalten kann und wenn ja, um welche Art von Gaben es sich dabei handelt. Die Analyse des Stiftungswesens kann hier nur holzschnittartig vorgenommen werden, doch sollte das Hauptargument deutlich werden (für Details vgl. Adloff 2010 und 2015).
Das Stiftungswesen, so wie es heute zumeist vorliegt, folgt keiner egalitären Logik. Große Summen, die durch kapitalistische Praktiken erlangt wurden, werden in eine Stiftung eingebracht. Aus den Kapitalerträgen des Stiftungskapitals erfolgt dann die Arbeit der Stiftung. Eine Beziehung auf egalitärer Augenhöhe ist gegenüber Stiftungen in der Regel nicht vorgesehen und eine Erwiderung ist ihnen gegenüber auch nicht möglich. Es handelt sich also um einseitige Gaben, die die Destinatäre in ein untergeordnetes Verhältnis bringen. Sie können nicht erwidert werden und sind somit genau die Art von Gaben, die Mauss nicht politisch rehabilitieren wollte. Denn nur wenn eine Erwiderung möglich ist, entfalten Gaben ihr Potential zu solidarischer Bindung. Man könnte einwenden, dass viele Stiftungen von ihren Destinatären Rechenschaftsberichte oder Evaluationen ihrer Programme als eine Form der Erwiderung verlangen. Doch ist dies nicht die Art von Erwiderung, wie sie für Gabenbeziehungen konstitutiv ist. Denn die Berichte werden ja verlangt, das Geben ist konditionalisiert, es wird also an spezifische Bedingungen geknüpft – die Destinatäre sind nicht frei selbst zu bestimmen, ob oder was sie erwidern.
Stiftungen sind zudem in der Lage, ihre Handlungen als außerordentliche und außeralltägliche Gabe zu rahmen. Stiftungen umgibt so eine Art von Aura der Größe, Großzügigkeit und Gemeinwohlorientierung, so dass alle, die in den Genuss von Stiftungsmitteln kommen, primär dankbar sein müssten, an dieser Aura zu partizipieren. Stiftungen gelingt es also, ein besonderes Charisma auf sich ziehen: Sie schaffen es, die jährlichen Ausschüttungen durch Zinserträge, die sie ja gesetzlich vollziehen müssen, als etwas Außergewöhnliches darzustellen. Ein etabliertes Handlungsfeld, von dem man sagen könnte, dass hier etwas zurückgegeben wird, was man sich zuvor privat aus dem gesellschaftlichen Reichtum angeeignet hat, schafft es, sich mit der Aura von Wohltätigkeit, Moral und Altruismus aufzuladen. Damit werden weitere Statushierarchien etabliert und perpetuiert.
Stiftungen sind ein Beispiel für agonistische Gaben, die man nicht erwidern kann und die auf diese Weise Status- und Einflusshierarchien befestigen, während Zivilgesellschaft viel stärker auf dem Prinzip der horizontalen Vernetzung beruht. Mauss wollte letzteres Prinzip gestärkt wissen – und wir sehen hier, dass sich Gaben in ihren Wirkungsweisen stark unterscheiden können. Eine egalitäre Zivilgesellschaft kann nicht ohne weiteres mit dem Prinzip der unilateralen hierarchischen Gabe von Stiftungen versöhnt werden. Denn diese stellt sich als etwas Außergewöhnliches dar, ohne dass sie auf dem Prinzip der Freiwilligkeit gründet und ohne dass sie eine gemeinsame Welt von Reziprozitäten generieren kann.
In diesem Beitrag wird also eine normative Präferenz für horizontale zivilgesellschaftliche Beziehungen ausgedrückt. Folgt man dieser, steht die Frage im Raum, ob es möglich ist, stifterisches Handeln in horizontale (Gabe-)Beziehungen zu überführen. Ein Weg bestünde darin, zum Stiften zu verpflichten oder ein Anrecht auf Stiftungsausschüttungen zu etablieren. Die Analogie hierzu ist das Überführen von paternalistischen Almosen in ein soziales Recht auf Unterstützung durch die Gesellschaft. Doch kann klarerweise das Geben der Stiftungen nicht in ein Recht transformiert werden, dies würde komplett die Institution der Stiftung destruieren.
Zwei Lösungen scheinen jedoch logisch denkbar zu sein. Das Geben der Stiftungen kann sich als Gegengabe, als Erwiderung rahmen. Dies würde bedeuten, von der Extraordinarität des Stiftens und der Stiftung abzurücken. Stiftungen erwidern dann einfach nur die Gaben, die dem Stifter ursprünglich von der Gesellschaft zukamen (z.B. dem gesellschaftlich eingeräumten Privileg, aus einer reichen Familie zu stammen, auf die politischen, Bildungs- und wirtschaftlichen Infrastrukturen oder die ausgebildeten Arbeitskräfte einer Gesellschaft zugreifen zu können etc.). Einige Stifter wollen ihr Handeln denn ja auch als Rückgabe an die Gesellschaft verstanden wissen. Doch eine konsequente Institutionalisierung dieses Gedankens steht noch aus.
Oder Stiftungen könnten Erwiderungen ihrer Destinatäre zulassen und ermöglichen. Ohne Destinatäre wäre eine Arbeit der Stiftung ja unmöglich; diese wechselseitige Abhängigkeit könnten Stiftungen viel deutlicher zum Ausdruck bringen. Sie könnten sich stärker in horizontale Beziehungsnetzwerke einbringen und zugestehen, dass sie von den Destinatären lernen können und müssen, denn diese sind im Engagementfeld einer Stiftung die eigentlichen Experten vor Ort. Stiftungen müssten bei ihren Entscheidungen stärker die Sichtweise von Destinatären und anderen gesellschaftlichen Stakeholdern einbeziehen. So könnten sie beispielsweise in den entsprechenden Stiftungsgremien vertreten sein, um hier ihre Expertise der Stiftung als Gegengabe anzubieten.
Diese Vorschläge, die allesamt auf eine stärkere demokratische Rückbindung des Stiftungswesens an die Gesellschaft hinauslaufen, dürften stifterischen Eliten missfallen. Denn sie laufen Gefahr, das Stiften für Eliten unattraktiver zu machen. Erstens würde man Stiftern und Stiftungen tendenziell ihren bisherigen Nimbus verweigern, zweitens würde die Gesellschaft auch noch in die Arbeit der Stiftung einbezogen werden. Aber nur so können in der Zivilgesellschaft eher horizontale Verbindungen (Solidarität) statt Hierarchisierungen kreiert werden. Denn Elitenphilanthropie und eine horizontal-vernetzend angelegte Zivilgesellschaft stehen teilweise in Spannung zueinander und sind nicht kongruent.
Literatur
Adloff, Frank (2010): Philanthropisches Handeln. Eine historische Soziologie des Stiftens in Deutschland und den USA. Frankfurt/New York.
Adloff, Frank (2015): Foundations and the Charisma of Giving. A Historical Sociology of Philanthropy in Germany and the United States. Voluntas. International Journal of Voluntary and Nonprofit Organizations 26(5): 2002-2022.
Adloff, Frank (2016): Gifts of Cooperation, Mauss and Pragmatism. London.
Adloff, Frank/Mau, Steffen (Hrsg., 2005): Vom Geben und Nehmen. Zur Soziologie der Reziprozität. Frankfurt a.M.
Bedorf, Thomas (2010): Verkennende Anerkennung. Über Identität und Politik. Berlin.
Blau, Peter (2005): Sozialer Austausch, in: Adloff/Mau (Hrsg.): Vom Geben und Nehmen. Zur Soziologie der Reziprozität. Frankfurt/New York, S. 125-137.
Caillé, Alain (2008): Anthropologie der Gabe. Frankfurt/New York.
Caillé, Alain (2009): Anerkennung und Gabe. Journal Phänomenologie 31/2009, S. 32-43.
Chiozzi, Paolo (1983): Marcel Mauss: Eine anthropologische Interpretation des Sozialismus. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 35, S. 655-679.
Derrida, Jacques (1993): Falschgeld. Zeit geben I. München.
Descola, Philippe (2011): Jenseits von Natur und Kultur. Berlin.
Fehr, Ernst/Gintis, Herbert (2007): Human Motivation and Social Cooperation: Experimental and Analytical Foundations. Annual Review of Sociology 33, pp. 43-64.
Godbout, Jacques T./Charbonneau, Johanne (1993): La dette positive dans le lien familial. La Revue du MAUSS semestrielle, Nr. 1, S. 235-256.
Godelier, Maurice (1999): Das Rätsel der Gabe. Geld, Geschenke, heilige Objekte, München.
Graeber, David (2012): Schulden. Die ersten 5000 Jahre. Stuttgart.
Mauss, Marcel (2010): Soziologie und Anthropologie, 2 Bde. Wiesbaden.
Molm, Linda (2010): The Structure of Reciprocity. Social Psychology Quarterly 73, No. 2, pp. 119-131.
Ricœur, Paul (2006): Wege der Anerkennung. Frankfurt/M.
Weber, Max (1972): Wirtschaft und Gesellschaft. Tübingen.
* Druckfassung der Hamburger Rede, gehalten am 11. November 2016 anlässlich der 16. Hamburger Tage des Stiftungs- und Non-Profit-Rechts an der Bucerius Law School, Hamburg.
1 Vereinfacht gesagt geht es hier um die Vorstellung von eigennützigen Akteuren, die permanent damit kalkulieren, ihre Kosten zu senken und ihre individuellen Vorteile zu maximieren.
2 Auf diesen Text beziehen sich erstaunlicherweise alle zeitgenössischen Ansätze zum Geben und zur Reziprozität, wobei das Spektrum von Rational Choice-Theorien über normativistische Ansätze bis hin zu Versuchen reicht, die Dichotomie zwischen Interessen und Normen zu überwinden (vgl. Adloff/Mau 2005).
3 Spätere Forschungen haben gezeigt, dass der extreme Potlatsch, wie ihn Boas für die kanadischen Indianer beschrieb, hauptsächlich das Produkt kolonialer Verwerfungen war (vgl. die Analysen in Godelier 1999: Kap. I)
4 Auch Max Weber (1972: 214) betont, dass der hauskommunistische Grundsatz, dass nicht abgerechnet werde, bis heute in Familien fortlebt.
5 Es lässt sich allerdings dafür argumentieren, dass Kommunismus ein Zustand dauerhafter wechselseitiger Verschuldung ist, der nicht annulliert werden kann und in dem zugleich unklar ist, was genau man wem schuldet (Graeber 2012: 129; Godbout/Charbonneau 1993).
Abstract Foundation-owned firms are firms that are partially or fully owned by private or charitable foundations. They are a growing phenomenon in recent years. Foundation-owned firms can be regarded as hybrid organizations where economic and non-economic goals meet and interact with each other. This is particularly the case when a foundation is a charitable foundation that, by its charter, distributes its earnings to charitable causes. The organizational hybridity inherent in foundation-owned firms can constitute an important challenge for foundation-owned firms and can have significant negative effects on firm performance. In this short article, we discuss the hybridity in foundation-owned firms and how it can influence their performance. Based on empirical evidence drawn from the literature, we conclude that despite its hybridity and the enormous challenges resulting from it, foundation-owned firms perform not worse and – in some cases – even better than comparable firms which are not owned by foundations. We shall argue that foundation-owned firms are able to overcome the problems associated with the organizational hybridity and benefit from highly intrinsically motivated employees and managers. Moreover, we argue that foundation-owned firms and the foundations as owner have a strong long term focus and have developed the know-how necessary for dealing with the organizational hybridity and are able to effectively control the firm’s management.
Since little (empirical) research exists on foundation-owned firms, many exciting and important questions remain unanswered and constitute an attractive agenda for future research. It would, for example, be interesting to identify the reasons why – despite the disadvantages and challenges resulting from organizational hybridity– the financial performance of foundations is not worse compared to other firms. In a first step, one might investigate the performance of various types of foundation-owned firms.1 Another direction of further research could be to investigate how foundation-owned firms deal with equity and bond markets.2 Finally, an international comparison could be made comparing the performance of foundation-owned firms across different countries with different corporate governance and legal systems.
Stiftungsunternehmen sind Unternehmen, die sich ganz oder teilweise im Eigentum einer gemein- oder privatnützigen Stiftung befinden.3 Die Anzahl an Stiftungsunternehmen in Deutschland ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen.4 Bekannte deutsche Unternehmen wie Aldi, Bosch, Bertelsmann, LIDL oder Würth befinden sich im Eigentum von Stiftungen. Einige von ihnen, wie beispielsweise Fresenius, ZF Friedrichshafen oder Zeiss, sind sogar an der Börse notiert. Die Mehrzahl der Stiftungsunternehmen entsteht dadurch, dass Unternehmensgründer oder Unternehmerfamilien ihr Unternehmen in eine Stiftung einbringen, anstatt es zu vererben oder zu verkaufen. Die Motive hierfür sind vielfältig und können familiäre Gründe (z. B. Kinderlosigkeit, Vermeidung von Familienstreit), unternehmensbezogene Gründe (z. B. Möglichkeit der langfristigen Planung durch stabile Eigentümerstruktur) und steuerliche Gründe (Vermeidung oder Reduzierung der Erbschaftsteuer) haben oder sind durch die Person des Gründers motiviert (Möglichkeit, das Unternehmen auch nach dem eigenen Tod über die Stiftung noch weiterhin zu prägen).
Die Wissenschaft beschäftigt sich bisher nur sehr vereinzelt mit dem Thema Stiftungsunternehmen. Die wenigen vorhandenen Studien untersuchen insbesondere die finanzielle Performance von Stiftungsunternehmen. In der Wirtschaftspresse werden Stiftungsunternehmen als eine Organisationsform beschrieben, die zugleich eigennützige als auch wohltätige Ziele verfolgt. Die Wirtschaftswoche bezeichnet Stiftungsunternehmen sogar als „gute Kapitalisten“5, da sie auf Kontinuität setzen und gemeinnützig handeln. Aufgrund dieses Zusammentreffens von Gemeinwohl- und Gewinnorientierung sind Stiftungsunternehmen oft durch eine starke Hybridität bezogen auf ihre Ziele und Aktivitäten, Strukturen und Prozesse sowie in der Organisationskultur und Außenwahrnehmung gekennzeichnet.6 Diese Hybridität kann Konflikte in der Steuerung und Überwachung des Unternehmens verursachen, die in dieser Form bei anderen Unternehmenstypen nicht auftreten. Dieser kurze Beitrag soll einen Überblick über Stiftungsunternehmen als hybride Organisationform geben und den aktuellen Stand der Forschung zur finanziellen Performance dieses Unternehmenstypus zusammenfassen.
Es ist diffizil, eine einzelne Definition für die Verbindung von Stiftung und Unternehmen zu finden, die alle Strukturen und Anwendungsmöglichkeiten abdeckt. Diese verschiedenen Ausgestaltungsmöglichkeiten der Verbindung von Stiftung und Unternehmen sind auf § 80 Abs. 2 BGB zurückzuführen. Solange der Stiftungszweck nicht das Gemeinwohl gefährdet, sind alle Stiftungen erlaubt, also auch alle Stiftungen, die in Verbindung zu einem Unternehmen stehen.7 In der Literatur werden verschiedene Begriffe im Kontext der Verbindung von Stiftung und Unternehmen verwendet. Als Beispiele sind die Begriffe „Stiftungsunternehmen“8, unternehmensbezogene Stiftung9, unternehmensnahe Stiftung10, Unternehmensstiftung11, Unternehmensträgerstiftung12, gewerbliche Stiftung13 und unternehmensverbundene Stiftung14 zu nennen. Rechtlich sind diese unterschiedlichen Begriffsbezeichnungen ohne Bedeutung und machen keinen Unterschied aus.15 Im Jahre 2006 legte der Bundesverband Deutscher Stiftungen fest, den Begriff der „unternehmensverbundenen Stiftung“ zu verwenden.16 Unter diesen Begriff fällt jede Beteiligungsform einer Stiftung an einem Unternehmen, egal, um welche Gesellschaftsform oder Stiftungsform es sich handelt und wie viele Anteile an dieser Gesellschaft gehalten werden.17
In unserem Beitrag verwenden wir den Begriff „Stiftungsunternehmen“, worunter wir Unternehmen verstehen, die im Eigentum einer Stiftung sind. Wir fokussieren uns insbesondere auf den Fall, dass eine gemeinwohlorientierte Stiftung Anteile an einem gewinnorientierten Unternehmen hält. Dieser Fall ist interessant, da hier im Vergleich zu anderen Unternehmenstypen zwei gegensätzliche Welten mit divergierenden Zielsetzungen aufeinandertreffen. Im folgenden Kapitel wird auf diese Besonderheiten näher eingegangen.
Die ersten Personen, die sich mit der Erforschung von hybriden Organisationen befasst haben, waren Dahl und Lindblom im Jahre 1953. Sie sahen hybride Organisationen als seltene Sonderfälle in einem Kontinuum zwischen dem privaten und gemeinnützigen Sektor an.18 Erst in den 90er Jahren wurde hybriden Organisationsformen in der Organisationsforschung mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Hybride Organisationen wurden aber oft nur aus einer entweder gemeinnützigen oder unternehmerischen Perspektive untersucht, je nachdem aus welchem Sektor das Unternehmen ursprünglich stammte.19 Erst seit 2005 werden hybride Organisationen als eigenes Forschungsobjekt bzw. als eigenständiger neuer Sektor angesehen. Die Vorreiter dieses Ansatzes sind Brandsen et al. und Evers.20 Heute sieht die Organisationsforschung hybride Organisationen als Kombination aus “for-profit” und “non-profit“ Organisationen an21 und konzentriert sich auf das Zusammenspiel zwischen diesen beiden Sektoren innerhalb einer Organisation. Battilana und Lee werden etwas konkreter und definieren „hybrides Organisieren“ (engl.: „hybrid organizing“) als „the activities, structures, processes and meanings by which organizations make sense of and combine aspects of multiple organizational forms“.22 Billis sieht dies ähnlich. Er erkennt bei hybriden Organisationen verschiedene Strukturen, unterschiedliche Governance-Konstruktionen, divergierende operationale Prioritäten und personelle und andere Ressourcen aus dem gemeinnützigen und dem privaten Sektor, die aufeinanderprallen.23 Auch das Ausmaß an Hybridität kann auf verschiedene Art und Weisen gemessen werden. Besharov und Smith unterscheiden zwischen differenzierter und integrierter organisationaler Identität sowie zwischen dem Grad der Zentralität und dem Grad der Kompatibilität.24 Hybride Organisationen können sich irgendwo zwischen diesen vier Extrempunkten ansiedeln.
Im folgenden Abschnitt zeigen wir auf, dass der Unternehmenstypus „Stiftungsunternehmen“ aufgrund seiner besonderen Charakteristika als hybride Organisation angesehen werden kann. Dies wollen wir anhand von drei Charakteristika von Stiftungsunternehmen diskutieren.
Stiftungsunternehmen sind eine Kombination aus zwei verschiedenen organisationalen Identitäten, da das Unternehmen und die Stiftung zwei eigenständige Institutionen sind, die auch unabhängig voneinander existieren können. Das Ausmaß der Hybridität in dieser Kategorie kann sehr unterschiedlich ausgeprägt sein. Dies hängt beispielsweise davon ab, ob der Stifter noch am Leben ist. Sollte dies der Fall sein, ist die Hybridität noch nicht so stark ausgeprägt, da er als Bindeglied zwischen Stiftung und Unternehmen fungiert. Des Weiteren weisen Stiftungsunternehmen ein breites Spektrum an PersonengruppenHerrmann25Fleschutz26Zielkonflikten