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Übersetzung aus dem Englischen von Franzi Berg

ISBN 978-3-492-97987-0
© Erin Watt 2017
Deutschsprachige Ausgabe:
© Piper Verlag GmbH, München 2018
Covergestaltung: FAVORITBUERO
Covermotiv: Pushkarevskyy/Shutterstock
Datenkonvertierung: psb, Berlin

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1. Kapitel – GIDEON

2. Kapitel – SAVANNAH

3. Kapitel – GIDEON

4. Kapitel – GIDEON

5. Kapitel – SAVANNAH

6. Kapitel – GIDEON

7. Kapitel – GIDEON

8. Kapitel – SAVANNAH

9. Kapitel – GIDEON

10. Kapitel – SAVANNAH

11. Kapitel – SAVANNAH

12. Kapitel – GIDEON

13. Kapitel – SAVANNAH

14. Kapitel – GIDEON

15. Kapitel – SAVANNAH

16. Kapitel – SAVANNAH

17. Kapitel – GIDEON

18. Kapitel – GIDEON

19. Kapitel – SAVANNAH

20. Kapitel – SAVANNAH

21. Kapitel – GIDEON

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GIDEON

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»Warum hab ich noch mal gesagt, dass ich mitkomme?«, brumme ich, während ich mich in dem proppenvollen Raum umsehe. Diese Party ist wie hundert andere, auf denen ich seit meinem vierzehnten Geburtstag war – seit ich herausgefunden habe, wie man sich eins der Autos aus Dads Garage schnappt und damit wegfährt. Die Musik ist vielleicht etwas besser als üblich, weil die Studentenverbindung sich einen echten DJ geleistet hat, dafür ist das Bier aber eher mittelmäßig und die Pillen auch.

»Weil es Freibier gibt und heiße Mädels. Was braucht man mehr?«, antwortet Cal Lonigan, einer meiner Schwimmkumpels.

»Das war eine rhetorische Frage.«

»Hast du dir die Babes denn überhaupt schon angesehen? Ist in deiner Hose etwa nix mehr los, sag mal? Allein da drüben stehen zwölf gute Gründe, hier zu sein.« Cal deutet mit seiner Bierflasche zu einer Gruppe von Mädchen.

Für mich sehen sie alle gleich aus. Toupierte Haare, knappe Kleider und Schuhe, die die Waden hochgeschnürt werden. Meine Stiefschwester wusste, wie die heißen. Römersandalen? Griechensandalen? Kümmert mich das wirklich?

Nein. Nein, absolut nicht. Mich zu kümmern, damit habe ich vor einer Weile aufgehört.

Ich gebe Cal das Bier zurück, das er mir gerade erst in die Hand gedrückt hatte. »Verzichte.«

»Verzichte?«, wiederholt er ungläubig. »Was ist denn mit der? Die Asiatin da in der Ecke ist Turnerin. Wie ich höre, ist sie so gelenkig, dass sie sich zu einer Brezel verbiegen kann.«

Wer will denn Brezeln vögeln? »Verzichte gerne.«

»Ich mach mir echt Sorgen um dich, Mann.« Er hält sich die Flasche vor den Mund, ich schätze, um zu verhindern, dass jemand an seinen Lippen ablesen kann, was er als Nächstes sagen will. »Man munkelt, dass du dir schon lange nicht mehr den Schwanz nass gemacht hast. Was ist los? Ist er jetzt für immer eingelaufen?«

Ich öffne den Mund, um ihm zu sagen, dass das gar nicht möglich ist. Aber ich entscheide mich dagegen. Er hat als Kind zu viel Chlorwasser geschluckt, das hat seine geistige Entwicklung beeinträchtigt. Man kann ihm das nicht vorwerfen. »Du hast echt Glück, dass du schnell schwimmen kannst und gut aussiehst, Cal.« Ich klopfe ihm auf den Rücken.

»Du findest, ich seh gut aus«, quietscht er. Dann schaut er sich mit aufgerissenen Augen um, ob ihn jemand gehört hat. »Hör zu, du bist jetzt auch nicht gerade unattraktiv, aber du weißt doch, dass ich so nicht gepolt bin.«

»Wie dem auch sei, ich mach mich vom Acker. Diese Party ist –«

Und da sehe ich sie.

Sie hat sich die Haare geglättet, und ich weiß aus Erfahrung, dass sie das mindestens eine Stunde kostet. Sie ist geschminkt und hat sich klare Linien ins Gesicht gemalt, die sich um ihre Augen zu rauchigen Bögen formen. Außerdem sind da Pünktchen über ihren geschwungenen Lippen. Die Maske trägt sie, seit sie mit mir Schluss gemacht hat. Sie zeigt, wie wütend sie auf die Welt ist – und bereit, diese Wut an jedem einfältigen Trottel auszulassen. Keine Ahnung, mit wie vielen Typen sie in der Kiste war, seit sie mir eröffnet hat, mich auf die gleiche Art verletzen zu wollen wie ich sie. Sicher bin ich mir nur, dass sie kein einziges Mal wirklich Spaß dabei hatte. Wie sollte sie auch, wenn sie so sehr zu mir gehört wie ich zu ihr?

»Wer ist das Schätzchen, das du da anstarrst?«, fragt Cal neugierig.

»Fass sie an und du bist tot!«, knurre ich.

Dann lass ich ihn stehen, um herauszufinden, was Savannah Montgomery auf dieser verdammten Party will, wo sie doch eigentlich gerade die Träume der Neulinge an der Astor Park reihenweise platzen lassen sollte.

Ein Sigma ist bei ihr, bevor ich sie erreiche. Er stemmt einen Ellbogen über ihr gegen den Türrahmen und rammelt sie spielerisch an.

Ich fasse ihm an die Schulter. »Dein Kumpel Paul sucht dich.«

Der Arsch mit dem Polohemd und dem nichtssagenden Gesicht blinzelt mich an. »Paul?«

»Oder war’s Peter? Parker? Er ist so groß.« Ich wedele mit der Hand auf Kinnhöhe herum. »Blond.«

»Meinst du Jason Pruitt?«

»Der wird’s sein.« Ich schiebe ihn nicht sonderlich nett von Savannah weg.

»Ich muss mich leider um was kümmern.« Der Blödmann zwinkert meinem Mädchen zu. »Halt den Platz neben dir warm, ich komme wieder.«

»Wer ist Kumpel Paul?«, fragt eine Stimme neben mir.

Cal, verdammt. Ich fahre herum. »Was willst du?«

»Ich muss mir mal ansehen, was die Aufmerksamkeit des mächtigen Gideon Royal erregt hat.« Er streckt Sav seine riesige Pranke entgegen. »Cal Lonigan. Du kannst mich aber gern Long nennen.«

Sie nimmt seine Hand und hält sie länger, als mir lieb ist. »Long? Ist das einer dieser Fälle, wo der Spitzname wettmachen soll, was in Wirklichkeit fehlt?«

Ich beiße die Zähne zusammen. Ein Wunder, dass ich überhaupt noch Zahnschmelz habe. Meine Backenzähne haben eigentlich keine Pause, seit dem Tag, an dem ich Sav kennenlernte.

»Nee, nee. Alles genau wie beworben. Das kann Royal bezeugen. Wir sind beide im Schwimmteam.« Er beugt sich herab, um ihr einen Kuss auf den Handrücken zu geben. »Und jetzt, Prinzessin, suchen wir uns ein Örtchen, an dem ich dir zeigen kann, wie sehr mein Spitzname der Wirklichkeit entspricht.«

»Sie ist minderjährig«, platzt es aus mir heraus.

»Bin ich nicht, du Arsch.« Sav reißt ihre Hand los. »Ich bin achtzehn. In diesem Bundesstaat ist man mit sechzehn mündig, wie du sehr genau weißt.«

»Verschwinde, Cal.« Ich weigere mich, ihn Long zu nennen. »Sie gehört mir. Du kennst die Regeln.«

Savannahs Blicke könnten töten. »Ich gehöre dir nicht.«

Cal seufzt. »Schon gut, schon gut. Aber die Nächste hier, das ist meine.«

Ich lasse Sav nicht aus den Augen. »Dann leg los.«

»Ich bin kein Stück Fleisch, Gideon«, faucht sie mich an. »Du kannst mich nicht einfach kennzeichnen, als wäre ich ein Truthahn, den du geschossen hast.«

Ich ignoriere den Einwand, weil ich etwas ganz anderes, viel Wichtigeres wissen will. »Was machst du hier?«

Sie lächelt, wenn auch gequält. »Ich schau mir das College an. Ich überlege, mich hier einzuschreiben.«

Eine Hälfte in mir jubelt. Die andere ist entsetzt. Ich verabscheue mich doch schon so sehr – brauche ich da wirklich noch jemanden, der mich auf dem Campus ständig daran erinnert, was für ein jämmerlicher Mensch ich bin? Nein. Brauche ich nicht.

»Meinst du nicht, das wird zu hart, auf dasselbe College zu gehen wie ich?«

»Warum sollte es?«, fragt sie kühl. Würde ich sie nicht so gut kennen, hätte ich mich vielleicht täuschen lassen, aber in ihrem gestählten Blick schimmert ein Fünkchen Schmerz.

»Das weißt du so gut wie ich. Weil wir uns gegenseitig umbringen werden.« Egal, wie viele Kilometer oder fremde Körper wir zwischen uns bringen, die Anziehung bleibt unverändert. Wir können unsere gemeinsame Vergangenheit genauso wenig leugnen wie unsere noch bestehende Verbindung, egal, wie sehr wir es versuchen. Aber wenn wir uns begegnen, dann verursachen wir einander grenzenlose Schmerzen.

»Ich bin längst tot. Das dürfte eigentlich nichts Neues sein für dich. Du warst es schließlich, der mir das Messer ins Herz gerammt hat.« Sie schiebt sich an mir vorbei, eine Wolke Magnolienduft, dazu ihre sinnliche Wärme treffen mich, bevor Sav von der Menge Studenten verschluckt wird, die ihre verschwitzten Körper aneinanderreiben.

»Ich glaub, die kann dich nicht leiden.« Cal taucht hinter mir auf, seine Miene sehr nüchtern.

»Du bist ein richtiges Ass, wenn’s um zwischenmenschliche Interaktion geht, Cal.«

»Ich mein ja nur. Wo hast du sie kennengelernt? Wenn ich das fragen darf.«

»Wo schon?«, erwidere ich und versuche sie im Getümmel wiederzufinden. Aber es ist zu dunkel, und sie will nicht gefunden werden. »An der Highschool.«

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»Savannah war früher ein richtiges Mauerblümchen. Zahnspange und komisches Haar. Dann hat sie sich in der zehnten Klasse plötzlich total verändert. Gid hat einen Blick auf sie geworfen und sich sofort an sie rangeschmissen.«

– Easton Royal, Paper Princess

»Unser letztes Jahr, G-man. Wir rocken das!«, brüllt Hamilton Marshall III, besser bekannt als Three, aus dem Panoramadach meines Wagens.

Seine Freundin, Bailey, zieht an seinem Hosenbein. »Setz dich wieder hin, du Hirni, sonst schlägst du dir noch den Kopf an irgendwas ab.«

Widerwillig kommt er wieder ganz zurück ins Auto. »Ich mach das nur deinetwegen, Babe. Wärst du dabei, wenn ich enthauptet würde, du würdest ja für den Rest deines Lebens nicht mehr froh. Und das will ich dir nicht antun. Dir auch nicht, G-man.« Er greift über die Lehne und klopft mir auf die Schulter.

Bailey schnaubt. »Ha! Von wegen. Gideon und ich würden uns miteinander über deinen Verlust hinwegtrösten, und dann vergessen, dass es dich jemals gab.«

»Sag, dass das nicht stimmt, G-man.« Three schlägt sich voller Dramatik gegen den Brustkorb. »Das würdest du mir doch nicht antun.«

»Gilt der Bro-Code auch noch nach dem Tod?« Das ist nur ein Gag. Eher würde ich mir die Hand abhacken, als Threes Mädchen anzufassen.

»Dann kümmere ich mich halt um dich, Spatzi«, sagt mein Bruder Reed vom Beifahrersitz aus zu Bailey. Er ist so faul, dass er dazu weder die Augen öffnet noch den Kopf anhebt.

»Niemals. Der Bro-Code gilt auch im Jenseits, von wo aus ich euch drei ganz genau im Auge haben werde.« Three deutet mit zwei Fingern auf seine Augen, dann wedelt er damit in unsere Richtung.

»Dann willst du also, dass die Liebe deines Lebens und dein bester Freund für den Rest ihrer Tage unglücklich sind, nur weil du so dumm warst, deinen Kopf aus dem Schiebedach zu halten, während dein bester Freund hundertzwanzig fährt?«, fragt Bailey.

»Hundertdreißig«, verbessere ich sie.

»Hundertdreißig«, wiederholt sie.

Three legt die Stirn in Falten. »Das hab ich so nicht gesagt.«

Reed grinst.

»Genau, du willst nämlich, dass wir uns gegenseitig trösten. Und dass ich dank Gideon die besten Orgasmen meines Lebens habe, weil du schließlich das Beste für mich willst.«

Ich unterdrücke ein Grinsen. Bailey trägt Threes Eier in ihrer Prada-Tasche herum.

»Auszeit.« Three formt ein T mit den Händen. »Also, irgendwo muss ich die Grenze ja ziehen, und die ist definitiv mit Orgasmen durch meinen besten Freund erreicht, selbst wenn ich tot bin. Ich werde das Leben nach dem Tod nicht genießen können, wenn du hier unten vom großen G bedient wirst.«

Okay, vielleicht auch nur eins.

»Wäre jemand Fremdes besser?«

»Definitiv. Deshalb ist Reed auch aus dem Rennen.«

Reed hebt den Finger, wohl um zu bestätigen, dass er das verstanden hat.

»Gideon, du solltest dir ’ne Freundin suchen. Das ist sicherer«, sagt Bailey.

»Inwiefern?«

»Also, erstens hört dann dieser schreckliche Wettstreit auf. Schlimm genug, dass Easton jetzt auch an der Astor ist. Ihr drei macht es dem weiblichen Teil der Schülerschaft wirklich schwer, überhaupt irgendwas gebacken zu kriegen. Und zweitens ist eine Beziehung gesünder. Man muss sich keine Sorgen um Geschlechtskrankheiten manchen. Oder darüber, dass das Mädel Löcher in ein Kondom pikst. Nicht wahr, Three?«

»Ganz richtig, Babe. Bailey nimmt jetzt schon seit einem Jahr die Pille.«

»Das machen doch die meisten Mädels«, sagt Reed, der immer noch nicht die Augen öffnet.

»Was hältst du von Abby Wentworth?«, schlägt Three vor.

»Igitt, nee«, protestiert Bailey.

»Was hast du gegen die Wentworth?«, frage ich und schiele verstohlen zu Reed. Er hat bei Jordan Carringtons Party vor ein paar Wochen mit ihr abgehangen. »Sie wirkt doch ganz nett.«

»Natürlich wirkt sie nett auf dich. Das ist eine von denen, die immer auf lieb und nett machen, wenn ein Kerl in der Nähe ist. Erwisch die mal alleine, dann ist sie einfach nur langweilig und manipulativ.« Bailey rümpft die Nase. »Und das macht die Sache noch schlimmer, denn beklag dich mal über die, dann klingst du sofort total bescheuert. Als wär man eifersüchtig oder so was.«

Three schnappt sich Bailey und zieht sie zu sich, um sie zu küssen. »Mach dir keine Sorgen, Babe. Du hast keinen Grund, eifersüchtig zu sein.«

»Das weiß ich doch«, sagt Bailey und tätschelt ihm den Kopf wie einem artigen Hund. »Wie wäre es mit Jewel Davis? Die ist durch und durch annehmbar.«

»Klingt sterbenslangweilig«, sagt Reed.

Da muss ich ihm recht geben. »Ich möchte niemanden aus meinem Jahrgang. Das macht Trennungen nur noch komplizierter.«

»Pfft. Okay.« Sie rückt von Three ab und verschränkt die Arme.

Three wirft mir einen flehenden Blick zu. Er hasst es, wenn sie sauer ist. Seufzend frage ich: »Was machen wir denn heute Abend?«

Schon ist Bailey wieder munter. »Treffen wir uns doch um neun bei Rinaldis zum Eisessen.«

»Okay.«

»Ich hab noch zu tun«, sagt Reed.

Noch zu tun, ja, sicher. Der fährt bestimmt zu den Docks, um zu kämpfen.

»Also, ich bin dabei«, versichere ich Bailey, bevor ich noch so einen jämmerlichen Blick von Three kassiere.

Bailey kramt ihr Handy raus und fängt an, Nachrichten zu schreiben. »Irgendwelche besonderen Wünsche? Emilia? Sasha? Jeannette?«

»Ist Jeannette nicht mit Dan Graber zusammen?«, fragt Three. »Ich hab die beiden bei Conner Mills Party letzte Woche knutschen sehen.«

»Im Ernst? Das wusste ich nicht.« Sie notiert das in ihrem Handy. »Wie wär’s mit einer der Montgomerys?«

»Einer der Montgomerys? Ich dachte, da gibt es nur Shea – und zu der: nein danke!« Es schüttelt mich.

»Was hast du gegen Shea?«, will Bailey wissen.

»Sie gehört in den Dunstkreis von Jordan Carrington. Da hacke ich mir lieber den Schwanz ab, als mit irgendwem aus ihrer Gefolgschaft was anzufangen.«

»War mir gar nicht bewusst, dass du so über Jordan denkst. Also, ich halte sie für eine absolut falsche Schlange, aber ich dachte immer, ihr Kerle habt nur Augen für ihre perfekten Titten und den prallen Hintern.«

»He, Moment mal«, protestiert Three. »Ich hab dir doch erzählt, dass sie mich beim Sport angegrapscht hat. Ich hab davon immer noch ein Trauma.«

Three ist eins fünfundneunzig und gebaut wie ein Schrank. Dass er sich angeblich vor der winzigen Jordan Carrington fürchtet, ist ein Witz. Er geht kommendes Jahr mit einem Vollstipendium an die Louisville. Selbstverständlich ist auch Bailey dort eingeschrieben. Damit all ihre Arbeit nicht umsonst war.

»Deshalb hast du ja mich, Baby.« Sie klopft ihm auf die Schulter. »Zurück zu heute Abend. Ja oder nein zu den Montgomerys?«

»Ach, mach doch. Mir egal.« Bin ja nicht verpflichtet, mit irgendeiner davon zu pennen. »Lad ein, wen immer du –«

Und da sehe ich sie.

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SAVANNAH

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Als der Range Rover auf den Schulparkplatz einbiegt, kralle ich meiner Schwester die Fingernägel in den Arm.

»Aua, du tust mir weh!«, klagt sie und reißt sich los.

Fast falle ich hin. Eilig richte ich mich wieder ganz gerade auf. »Er kommt«, zische ich und streiche mir die Haare glatt.

Shea schlägt meine Hand weg. »Was habe ich dir heute Morgen gesagt? Bleib cool. Gideon Royal schmeißen sich den lieben langen Tag lang Hunderte von Mädels an den Hals. Wenn du dich von der Masse abheben willst, musst du so tun, als gäbe es ihn gar nicht. Sonst gehörst du sofort zu denen, die nach jedem Krümel betteln.« Sie seufzt. »Himmel, ist das peinlich!«

»Dann geh doch«, erwidere ich, ohne dabei die Lippen zu bewegen. Dass sie hier neben mir steht und mich kritisiert, ist meinem eh schon schwachen Selbstbewusstsein nicht gerade zuträglich.

»Ich kann dich doch nicht allein lassen. Ich hab einen Ruf zu verlieren, da gehe ich lieber auf Nummer sicher mit dir.« Sie hakt sich bei mir unter. »Und jetzt lächle, damit alle glauben, die Montgomerys mögen einander.«

»Wir mögen uns doch, du Witzbold. Außerdem will ich gar nicht vor die Kameras«, betone ich, um sie noch einmal an mein Vorhaben zu erinnern, Regisseurin und Drehbuchschreiberin zu werden.

»Auch egal.« Trotzdem drängt sie sich näher an mich, und diese unausgesprochene Ermutigung lässt meine Unruhe auf ein erträgliches Maß sinken.

Gideon sitzt am Steuer, wie gewöhnlich. Reed ist heute bei ihm, die beiden auf der Rückbank kenne ich nicht.

»Wer sitzt da noch im Wagen?«, frage ich.

»Three und seine Freundin Bailey«, presst Shea durch ein falsches Lächeln hervor, das sie einer Gruppe von Mädels links von uns zuwirft, während sie ihnen winkt. Sie kommen näher, tauschen Küsschen in der Luft und deuten Umarmungen an, damit sie sich bloß nicht zu nahe kommen und ihr Make-up oder die sorgfältig ausgewählten Klamotten darunter leiden.

Heute kann ich das sogar verstehen, schließlich habe ich selbst eine Stunde damit verbracht, ungefähr tausend Lagen davon aufzutragen. Allein auf meinen Lippen befinden sich drei verschiedene Farben. Farbverläufe sind in, hat Shea gesagt. Ich habe bestimmt fünf Stunden lang vor ein und demselben YouTube-Video gesessen, um diesen Effekt hinzukriegen. Unsicher presse ich die Lippen aufeinander, wofür ich einen Stupser in die Seite kassiere.

»Denk an deinen Lippenstift«, flüstert meine Schwester.

Also öffne ich den Mund.

»Jetzt siehst du aus wie ein Fisch.«

Ich schließe ihn wieder. Fest.

Shea seufzt. »So wird das nie was. Ach, verdammt.«

»Was ist?« Erschrocken schaue ich an mir hinunter. Ist irgendwo ein Fleck? Sind meine Kniestrümpfe gerutscht?

»Kleiner Fisch nähert sich von rechts. Lächeln!«, befiehlt sie mir. »Morgen, Jo! Tali!«

»Shea!« Zwei Mädels kommen heran, ihre High Heels klappern auf dem Gehweg.

»Jo! Was für ein schöner Mantel! Ist der von … J. Crew?«, fragt Shea, ihr falsches Lächeln bis zum Anschlag aufgedreht.

Tali und mir bleibt der Mund offen stehen bei dieser Beleidigung.

Jos Augenbrauen ziehen sich zusammen. »Hast du zu viel Zeit mit dem Pöbel verbracht, dass du die guten Labels nicht mehr erkennst? Der ist von Fendi!« Sie greift nach Talis Hand. »Komm, ich geh nicht gern so nah an die Mülleimer ran.«

Jo stampft davon und zerrt Tali hinter sich her.

»Was sollte das denn?«, frage ich. Das kleine Gefecht war vorbei, bevor es überhaupt richtig angefangen hatte. Und ich kann nicht sagen, wer gewonnen hat.

»Achtung. Zielobjekt nähert sich«, antwortet Shea. »Und was das sollte? Ganz einfach, ich wollte die Konkurrenz loswerden. Jo will Gideon an die Wäsche, seit sie weiß, was ein Penis ist.«

»Oh. Ja, dann … danke?« Dann war meine Schwester wohl siegreich. Was für ein sonderbarer Schlagabtausch.

Sie schnaubt leise. »Wenn du den großen Fisch angeln willst, musst du die anderen Köder loswerden.« Sie winkt Gideon zu. »Morgen –«

Aber ein anderes Mädchen ist bei den Royals, bevor Shea Gideons Aufmerksamkeit auf uns lenken kann.

»Oh nein. Nicht die«, murmelt sie voller Verachtung.

›Nicht die‹ ist Jordan Carrington. Wenn es in der Astor Park – oder wie ich gern sage, Arschloch Park – von Gefahren nur so wimmelt, dann ist Jordan sicher das Schlimmste, was einem passieren kann. Shea hat mir erzählt, dass Jordan am zweiten Schultag einen Streit mit einer der beliebtesten Schülerinnen aus der Abschlussklasse angefangen hat, Heather Lange. Die beiden nahmen kein Blatt vor den Mund und warfen sich Dinge an den Kopf, die mich zusammenzucken ließen, obwohl ich gar nicht dabei war.

Heather Lange verließ Astor nach Thanksgiving und kam nie wieder zurück. Ich glaube, ihr Dad hat seinen Job verloren und konnte das Schulgeld nicht mehr aufbringen. Heathers Verschwinden hatte ich nicht mit Jordan in Verbindung gebracht, bis mein Vater mir und Shea einen sonderbaren Vortrag hielt, dass wir nett zu Jordan Carrington zu sein hätten.

Warum?, habe ich gefragt.

Weil sie eine rachsüchtige Rotznase ist und ihren Vater um den kleinen Finger gewickelt hat.

Seither hält Shea sich zurück und tut so, als könne Jordan über Wasser gehen. Fiese Bemerkungen über Jordans Kleidung, Handtaschen oder Schuhe werden nicht gerissen. Genauso wenig wird der Angriff dieses Piranhas auf die Royals unterbrochen.

»Guten Morgen, Gid, Reed«, flötet sie.

»Was für eine Schlampe.« Shea greift nach meinem Arm und will mich davonziehen. »Los, gehen wir.«

Ich stemme die Füße in den Boden. »Nein. Warum?«

»Weil es keinen Zweck hat, Jordan herauszufordern. Warten wir ab, für welchen Royal sie sich entscheidet.«

»Nein.« Ich winde mich aus ihrem Griff. »Ich will nicht irgendeinen Royal. Ich will Gideon.«

Shea tritt näher an mich. »Das hier ist kein Wunschkonzert. Du kannst dich nicht einfach hinstellen und dir einen aussuchen.«

Ich starre sie an. »Aber ist das nicht genau das, was Jordan macht? Sich den Royal aussuchen, den sie will.«

»Du bist aber nicht Jordan.«

»Da hast du absolut recht, aber ich bin nicht um fünf aufgestanden, um mir zwei Stunden lang die Haare zu glätten und Make-up aufzutragen, nur um aufzugeben, bevor ich überhaupt eine Chance hatte, mich vorzustellen.« Ich verschränke die Arme vor der Brust.

Shea seufzt schwer. »Mach, was du willst. Aber wenn Jordan dich dann auf dem Kieker hat, kenn ich dich nicht mehr.« Dann nimmt sie das Kinn hoch, zupft den Saum ihres Blazers zurecht und kleistert sich das schönste Lächeln ins Gesicht.

»Du siehst aus, als würdest du beim Miss Bayview-Schönheitswettbewerb antreten.«

»Halt die Klappe und fang an zu lächeln, du Dummi«, sagt sie, ohne die Lippen zu bewegen. »Sie kommen auf uns zu.«

Ich fahre herum und falle fast hin. Sie hat recht. Gideon ist nur noch wenige Meter entfernt. Nah genug, dass ich erkennen kann, wie gut das T-Shirt sitzt, das er unter dem offenen Hemd und dem Blazer trägt.

Three sagt gerade etwas zu ihm, über das er sich amüsiert. Ein Mundwinkel ist angehoben. Bailey haut ihrem Freund gegen den Arm. Gideon versucht, sein Lachen zu verstecken, indem er sich eine Hand über den Mund legt, aber Bailey hört ihn kichern und haut auch ihn leicht. Gideon schnappt nach ihr und klemmt sie sich unter den Arm.

»Gott, hat die es gut«, seufze ich.

»Oh ja«, stimmt Shea zu.

Wir beobachten, wie Three seine Bailey aus Gideons Umklammerung ringt und etwas in gespielter Wut sagt, woraufhin Gideon beschwichtigend die Hände in die Luft reißt. Die ganze Zeit geht Jordan neben ihnen her, und nur Reed beachtet sie.

Vielleicht ist Jordan also doch gar keine ernst zu nehmende Konkurrenz. Gid zeigt nicht das leiseste Interesse an ihr. Himmel, er sieht so unglaublich gut aus. Die Sonnenstrahlen scheinen ihn zu begleiten und schaffen den prächtigsten herbstlichen Hintergrund für seinen perfekten Körper. Ich könnte ihn ewig ansehen –

Jemand tritt in mein Sichtfeld.

»He, Shea«, sagt dieser Jemand. »Wer ist denn das?«

Ich versuche, an ihm vorbeizuschauen, aber auch er bewegt sich. Mit gerunzelter Stirn blicke ich auf und in die Gesichter von Zwölftklässler Aiden Crowley und seiner beiden Handlanger Dumm und Dümmer.

»Meine Schwester.« Shea wirft sich das Haar über die Schulter. »Savannah, das ist Aiden Crowley.«

»Ich weiß. Schön, dich kennenzulernen.« Ich strecke ihm die Hand entgegen, während ich Gideon weiter im Blick zu behalten versuche. Verdammt, der wird an uns vorbeilaufen wegen diesem bescheuerten Aiden.

Deshalb bekomme ich fast nicht mit, dass Aiden meine Hand nimmt und näher tritt. »Wow. Die kleine Savannah Montgomery ist erwachsen geworden. Ich könnte schwören, als ich dich das letzte Mal sah, hattest du ’ne feste Spange, und … irgendwie waren deine Haare anders.«

»Unglaublich, was ein Glätteisen und Make-up bewirken können.« Die so süßlich anmutende, aber gleichzeitig so giftige Stimme gehört Jordan.

Ich erstarre, als sie vor uns stehen bleibt. Sie grinst mich furchteinflößend an, was ich ertrage, weil auch Gideon stehen geblieben ist.

»Schade, dass du förmlich nach zehnter Klasse stinkst«, fährt sie fort. »Gibt halt manches, was selbst gutes Parfum einfach nicht übertünchen kann.«

»So ging es doch jedem von uns mal«, wirft Bailey ein.

»Nur Jordan hat natürlich immer schon nach Rosen geduftet, stimmt’s?«, säuselt Aiden.

»Schwachsinn«, hustet Gideon in seine geschlossene Faust.

Jordan wirft Gideon einen stechenden Blick zu und hakt sich dann bei Aiden unter. »Wenn du das sagst, Addy.«

Addy? Ich hebe eine Augenbraue Richtung Shea, wofür ich erneut einen Ellbogen in die Seite kassiere. Verdammt. Wie soll ich denn bitte aufrecht stehen bleiben, wenn sie damit nicht aufhört? Ich schiebe sie sanft ein Stückchen beiseite, so sanft, dass es nicht auffällt.

Dann höre ich ein leises Schnauben. Ich schaue auf und sehe, dass Gideon uns anlächelt.

»Man merkt, dass ihr verwandt seid«, sagt er. »Ganz wie meine Brüder und ich.«

»Ja, man kann nicht mit ihnen, und – wie meine Mom immer sagt – umbringen kann man sie auch nicht.« Ich greife rüber und wuschle Shea durchs Haar.

»Hör auf!« Sie schlägt meine Hand weg und ermordet mich mit Blicken.

»Geschwister. Sind sie nicht großartig?« Gideon zwinkert mir zu.

Mein Herz explodiert. »G-g-großartig«, stammle ich.

Shea stöhnt, während alle anderen grinsen. Alle außer Jordan.

Die verdreht nur die Augen und hakt sich mit dem anderen Arm bei Gideon unter. »Kommt, Jungs«, sagt sie und führt die Gruppe von uns weg. »Ich plane eine Party und wollte euch fragen, ob ihr mir sagen könnt, wie viel Alkohol ich besorgen muss. Hab ich euch schon erzählt, dass mein Dad mit Kendrick Lamars Agent zusammenarbeitet? Vielleicht sollten wir fragen, ob er nicht bei unserem Herbstball auftreten will.«

Gideon wird hellhörig. »Kendrick Lamar? Das wäre genial, Jordan.«

lässt sich also ziemlich genau wie der Albtraum an, für den ich die Schule gehalten habe. Ich fahre mir mit der Hand über die makellos sitzende Schuluniform.

Diese Schule lebt von den wenigen Hundert Kindern aus den besten Häusern. Und mit ›besten‹ meine ich die mit Geld. Und trotzdem gibt es eine Hierarchie. Die Struktur gibt das sogenannte Alte Geld vor, über dessen Herkunft niemand so recht nachdenken möchte. Aber auch das Neue Geld mischt mit, dessen Herkunft oft ähnlich schmuddelig ist. Außerdem gibt es noch die Schüler mit Stipendien, die versuchen, in eine reiche Familie einzuheiraten, damit sie ihr eigenes, dreckiges Geschlecht aufbauen können. Im Grunde genommen ist jeder einfach nur hinter dem Mittagessen des anderen her.

So war das schon in der Middle School. Ich vermute mal, da ist jemandem aufgefallen, dass wir uns voneinander abgrenzen können, indem man vergleicht, wessen Stammbaum am weitesten bis zur Mayflower zurückreicht.

Der Reichtum unserer Familie basiert auf dem sogenannten Neuen Geld, das aus der Fertigung stammt, im Gegensatz zu dem der Royals, die mit Ländereien reich geworden sind. Es gibt nicht mehr viele Familien des alten Schlags – zumindest nicht mehr viele, die noch über Geld verfügen. Ich glaube, dass sich deshalb so viele für die fünf Royal-Brüder interessieren. Es wäre eine gute Gelegenheit, den eigenen Stammbaum aufzupolieren.

Aber ich bin nicht deshalb in Gideon verliebt. Auch nicht, weil er so sagenhaft aussieht. Wobei sein großer, muskulöser Körper und die dunklen Haare auch nicht unbedingt abturnen.

Sondern weil Gideon Royal – trotz seiner oft beschworenen Kühle – nett zu mir war, als ich es dringend nötig hatte. Diesen Moment werde ich nie vergessen. Damals hat er mir das Herz geraubt, und er wird es immer behalten.

Jetzt bleibt mir ein Jahr, um herauszufinden, wie ich seins gewinnen kann.