Unser Freund, der Feind
Fotos auf dem Cover:
Bersheba, Mai 1916. Inspektion der FA 300. (Heinrich Vogelsang)
Porträt-Foto: Der populärste deutsche Jagdflieger im Osmanischen Reich war Hans Joachim Buddecke (via Fritz Gerdessen)
Autorenfoto: Der Autor im Sultan‘s Armed Forces Museum in Muscat
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eISBN 978-3-86933-198-0
Print ISBN 978-3-86933-159-1
Danksagung
Einleitung
Die deutsche Fliegertruppe 1914 – 1918
Der türkische Kriegseintritt und der Schutz der Meerengen
Die osmanischen Luftstreitkräfte
Der lange Weg zur Front in die Wüste
Kampfgebiet Sinaiwüste
Erfolgreiche Luftkämpfe
Fernflüge – Doppeldecker über Port Said, Suez und Kairo
Boelckes Besuch in der Türkei
Aktionen hinter der feindlichen Front
Am Himmel über Bagdad
Herbst 1917. Die Luftüberlegenheit geht verloren
Palästina. Die deutschen Flieger in der Defensive
Letzte Luftkämpfe an den Dardanellen
Die geheime Fliegerabteilung von T. E. Lawrence
Rückzug. Das Ende 1918/19
Nachkriegsschicksale
Anhang
In die Türkei überführte deutsche Flugzeuge (Auswahl)
Die osmanischen Fliegerabteilungen
Deutsche Personalverluste bei den osmanischen Fliegerabteilungen
Personalverluste der Fliegerabteilung 300 von 1916 – 1918
Karten
Anmerkungen
Abkürzungsverzeichnis
Quellen und Literaturverzeichnis
Personenregister
Im April 1945 wurde bei einem starken alliierten Luftangriff auf Potsdam auch das Heeresarchiv zerstört. Damit gingen die Akten der deutschen Fliegerabteilungen, die im Osmanischen Reich rund 20 Jahre früher im Einsatz gewesen waren, bis auf den Bestand einer bayerischen Abteilung, der sich in München befand, teilweise verloren.
Glücklicherweise konnte der Autor ersatzweise auf andere Dokumente, Aufzeichnungen, Tagebücher, Erinnerungen, Briefe und Fotos in öffentlichen und privaten Archiven, sowie in Museen zurückgreifen, die wichtige Erkenntnisse über die Geschichte der im Orient eingesetzten Aviatiker während des 1. Weltkrieges lieferten. Ohne die großzügige Unterstützung zahlreicher helfender Institutionen und Privatpersonen, für die sich der Verfasser aufrichtig bedanken möchte, wäre das Entstehen dieser Studie 100 Jahre nach den Ereignissen nicht möglich gewesen.
Überwiegend schriftliche Unterlagen stellten zur Verfügung das Australian War Memorial in Canberra, das Bayerische Hauptstaatsarchiv Abt. IV. Kriegsarchiv in München, das Bundesarchiv/Militärarchiv in Freiburg, Frau Carola Kapitza vom Firmenarchiv der Deutschen Lufthansa in Frankfurt, Herr Dr. Christopher Dowe vom Haus der Geschichte Baden-Württemberg in Stuttgart und das wie immer äußerst kooperationsbereite Politische Archiv des Auswärtigen Amtes in Berlin.
Was Bildmaterial anbetrifft, so durfte der Autor auf die Bestände von mehreren bewährten Einrichtungen zurückgreifen und bedankt sich bei Frau Astrid Venn und Frau Ursula Schäfer-Simbolon vom Deutschen Technikmuseum Berlin, bei Herrn Oliver Frei vom Militärhistorischen Museum der Bundeswehr am Flugplatz Berlin-Gatow, sowie bei Herrn Dr. Veit Veltzke, dem Leiter des Preussen Museum NRW in Wesel.
In den Dank mit ein schließt der Verfasser zahlreiche Privatpersonen, die die Nachlässe von Verwandten geöffnet, Bilder aus Familienarchiven zugänglich gemacht haben, oder sonst mit bedeutenden Dokumenten oder Informationen dazu beigetragen haben, daß ein Kapitel deutscher Luftfahrt- und Militärgeschichte aufgearbeitet werden konnte. Zu nennen sind hier Herr Alfred von Hofacker, Herr Hubertus Felmy, Herr Conrad von Bülow, sowie Herr Hubertus von Buddenbrock und Herr Gilles Croneiss. Außerdem halfen die Herren Ulrich Bahrke, Eberhard Koenig, Hans Müller und die Familie Heinrich Vogelsang bereitwillig mit aussagekräftigem Material über die Geschichte ihrer Vorfahren. Oberst a.D. Wilhelm Goebel, Archivar der Gemeinschaft der Flieger deutscher Streitkräfte e.V. stellte seine freundliche Kooperationsbereitschaft dadurch unter Beweis, daß er durch zahlreiche Suchanzeigen im Fliegerblatt viele Fragen zur Vita einzelner „alter Adler“ klären half.
Lobenswert war auch die Förderung, die der Autor erhielt durch Frau Nora Deilmann und Frau Maria Nie, sowie Herrn Professor Horst Schuh und Herrn Hans-Peter Killeit vom Deutschen Luftwaffenring e.V. und durch die Redaktion der französischen Luftfahrtzeitschrift AVIONS. Hoch willkommen war auch die Hilfe durch die Herren Ulf Balke, Franz Selinger, Frits Ruth, Frits Gerdessen und Jean-Louis Roba. Ein besonderer Dank geht an Dr. Norbert Schwake in Israel, einen profunden Kenner der Militärgeschichte im Nahen Osten während des 1. Weltkrieges, der stets ansprechbar war, wenn der Verfasser wieder einmal auf der Suche nach seltenen Unterlagen war. Nicht vergessen werden soll auch die Unterstützung, die der Autor erhielt durch Franz Heinrich Freiherr von Gablenz, Professor Dr. Ing. Elmar Wilczek und Herrn Walter Waiss.
Zu guter Letzt sei dem verlässlichen Freund Manfred Böll herzlich gedankt, der viel Zeit und Geduld aufgebracht hat, um seltene themenbezogene Postkarten aufzutreiben und alte Fotos in eine veröffentlichungsreife Form zu bringen.
Hans Werner Neulen |
Köln, im Frühjahr 2016 |
Das deutsche Kaiserreich mußte im 1. Weltkrieg den osmanischen Bündnispartner, der 1911/12 einen Krieg gegen Italien geführt hatte und an beiden Balkankriegen 1912/13 beteiligt war, wobei der erste zu großen Gebietsverlusten führte, militärisch unterstützen. Auf dem Gebiet des Flugwesens sandte Berlin 6 Fliegerabteilungen und eine Jagdstaffel mit dem entsprechenden Personal in die Türkei, hinzu kamen zahlreiche Seeflugzeuge. Weiter wurde mit deutscher Materialhilfe und deutscher Ausbildung die Osmanische Luftwaffe aufgebaut, die schließlich über 17 Fliegerabteilungen und 4 Seefliegerabteilungen mit zumeist deutschem fliegendem Personal verfügte. Die osmanischen Landflugzeuge operierten von 66 Flugfeldern aus, nicht nur im Reich des Sultans selbst, sondern auch von Feldflugplätzen in Persien und im Kaukasus aus. Die klimatischen Bedingungen – speziell in Mesopotamien und in der Sinaiwüste – stellten ebenso wie das für sie fremde kulturelle Umfeld eine große Herausforderung für die deutschen Piloten, Beobachter und Mechaniker dar, die aber überwiegend gemeistert werden konnte. Über der Wüste Sinai und Südpalästina diktierte eine einsame deutsche Fliegerabteilung bis Spätsommer 1917 sogar das Geschehen gegenüber dem britischen Royal Flying Corps (RFC) und besaß die Luftüberlegenheit.
In Mesopotamien waren die klimatischen und hygienischen Zustände für Europäer so ungewohnt und schrecklich, daß es zu vielen krankheitsbedingten Ausfällen kam. Im Juli 1917 etwa starben zwei Mechaniker der englischen No.30 Sqn, die die hohen Temperaturen nicht vertrugen, ein Offizier und 6 weitere Angehörige des Bodenpersonals mußten als dienstunfähig entlassen werden. Zusätzlich lagen 7 Offiziere und 32 Mann der Squadron in Lazaretten. Erschwerend kam für die Deutschen hinzu, daß die Verkehrswege im Osmanischen Reich unterentwickelt waren. Die berühmte Eisenbahnlinie Berlin – Bagdad war bis 1918 noch nicht fertiggestellt und der Transport von Flugzeugen auf die einzelnen Kriegsschauplätze im Nahen und Mittleren Osten dauerte Monate und kostete viel wertvolles Material. Trotz dieser Belastungen hielten sich die deutschen Flieger mit ihren wenigen Maschinen gut und erst im Jahr 1918 errangen die Briten die absolute Luftherrschaft über das Gebiet des heutigen Irak.
In der Luft waren Deutsche und Türken auf der einen Seite und Engländer und Australier auf der anderen Seite erbitterte Kontrahenten, die sich heftige und erbitterte Duelle lieferten und die feindlichen Flugbasen, Bahnhöfe und andere wichtige Objekte wie Brücken und Eisenbahnzüge bombardierten. Es muß daher überraschen, wie freundlich, zuvorkommend und nahezu kameradschaftlich Deutsche und Briten, aber auch Australier, in den häufigen Kampfpausen miteinander umgingen. Die Gegner verständigten sich durch briefliche Mitteilungen, die vom Flugzeug aus abgeworfen wurden, über das Schicksal abgeschossener oder notgelandeter Besatzungen, die sich in Gefangenschaft befanden. Auch Fotos und die Wäschestücke abgeschossener Piloten und Beobachter erreichten „per Luftpost“ ihre Empfänger. Gefangene Flieger wurden in den Offiziersmessen des Gegners kulinarisch verwöhnt, wobei man auf Augenhöhe miteinander kommunizierte und diskutierte. Von offener Feindschaft oder gar Hass war bei diesen zwanglosen Essen nichts zu spüren. Ähnliche Einladungen durch Deutsche an abgeschossene Gegner hatte es auch im Westen an der französischen Front gegeben. Aber damit erschöpfte sich zumeist die Flieger-Courtoisie. Anders im Osmanischen Reich. Hier nahmen die gegenseitigen „Freundlichkeiten“ einen derartigen Umfang an, daß sie an Fraternisieren grenzten. Über Mesopotamien etwa warfen die Briten Zigaretten für einen erfolgreichen deutschen Piloten ab, den sie schätzten und dem sie eine Freude machen wollten. Die Engländer versuchten auch mehrfach, ihre deutschen Opponenten zu Treffen an „neutralen“ Plätzen zu bewegen, wo man in Ruhe miteinander plaudern und Zeitschriften und Schallplatten tauschen konnten. Die Deutschen lehnten diese Angebote ab, weil sie wußten, wie ihre Militärführung auf diese Treffen reagieren würde – mit disziplinarischen Maßnahmen oder der Anwendung des Militärstrafgesetzbuches von 1872. Gleichwohl gingen auch die deutschen Flieger Risiken ein. Als am 27. Juni 1918 ein australischer Pilot in die Hände der bayerischen FA 304b fiel, lieferten diese ihren „Gast“ nicht an die Türken aus, sondern hielten ihn für Wochen versteckt, behandelten ihn wie einen eigenen Staffelangehörigen, verschafften ihm eine deutsche Uniform und unternahmen mit ihm Exkursionen in die Umgebung.1 Der Australier führte seine privilegierte Behandlung darauf zurück, Deutsche und Türken hätten sich gegenseitig gehasst. Das entsprach nicht den Tatsachen. Es gab allerdings zum Teil heftige Spannungen und Auseinandersetzungen, sowie zahllose Mißverständnisse zwischen den Bündnispartnern.2
Die gegenseitige Ritterlichkeit und Höflichkeit funktionierte auf verschiedenen Ebenen, obwohl seit 1917 eine weitere Brutalisierung des Krieges eingesetzt hatte. Auf eigenem Gebiet notgelandete deutsche Flugzeugbesatzungen mußten damit rechnen, von ihren Luftkampfgegnern erschossen zu werden, wenn sie versuchten, ihre havarierte Maschine zu verlassen und zu flüchten.
Im scharfen Kontrast dazu stand der weiterhin liebenswürdige Austausch von Nachrichten. Viele britische Briefe an die Deutschen begannen mit der Eingangsformel „Dear Sports“ – „Liebe Prachtkerle“. Und noch am 28.9.1918 erreichte die deutschen Flieger an der Gallipolifront „via Air Mail“ ein englisches Schreiben, das wie folgt adressiert war: „An unseren Freund, den Feind.“3
Wie lassen sich die Courtoisie und die zeitweise angestrebte Verbrüderung der deutschen und britischen Flieger erklären? Zwischen Deutschland und Großbritannien bestand keine „Erbfeindschaft“ wie zwischen dem Kaiserreich und Frankreich. Auch hatten die Auseinandersetzungen um die deutsche Flottenpolitik und den Bau der Bagdadbahn zu keiner nachhaltigen Vergiftung der deutsch-englischen Beziehungen geführt. Und die Deutschen kannten ihren Herrscher nicht nur als bramarbasierenden vaterländisch Gesinnten, sondern auch als ernsten Kaiser in der Uniform eines Admirals der Royal Navy.4 Trotz aller Spannungen hatten Deutschland und Großbritannien Anfang des 20. Jahrhunderts auch verschiedentlich zusammengewirkt. 1900 hatte Alfred Graf von Waldersee ein internationales Expeditionskorps, dem auch ein britisches Kontingent angehörte, nach China zur Bekämpfung des Boxeraufstandes geführt. Und noch im April/Mai 1913, bei der Blockade der montenegrinischen Küste durch eine internationale Flottenaktion, operierten deutsche und britische Marineeinheiten gemeinsam. Der britische Kriegseintritt auf Seiten Frankreichs und Russlands am 4.8.1914 war daher keine Zwangsläufigkeit.
Entscheidend für den Austausch deutsch-englischer „Freundlichkeiten“ während des blutigen Konflikts war weiter die Tatsache, daß die meisten Beteiligten Offiziere waren. Die britischen Offiziere „standen an der Spitze der sozialen Hierarchie, waren Produkte teurer Schulen und einer steifen Erziehung.“5 Für Sie war der Krieg „eine Art Fußballmatch auf fremden Boden“, „ein einziges großes Picknick“, „ein höchst blutiges, aber letztendlich doch faires Spiel unter Gentlemen“,6 in dem sportliche Regeln einzuhalten waren. Das beinhaltete auch den freundschaftlichen Plausch mit dem Gegner in der Halbzeitpause/ Kampfpause. Das deutsche Offizierskorps war ähnlich elitär, hatte ein vergleichbares Prestige, bildete eine eigene selbstbewußte Kaste und war eine wesentliche Stütze des Kaiserreichs. Zudem standen sich Flieger gegenüber, Angehörige der modernsten Waffengattung, die sich als „Ritter der Lüfte“ verstanden, abgehoben von dem Schmutz und Elend der Schützengräben und in Luftduelle verwickelt, die häufig mittelalterlichen Zweikämpfen ähnelten. Insoweit waren deutsche und britische Fliegeroffiziere Brüder im Geiste.
Noch ein weiteres Faktum war wichtig für die deutschbritische Annäherung. Auf dem Gebiet des Osmanischen Reiches hatten sowohl die Engländer als auch die Deutschen Schwierigkeiten mit ihren jeweiligen Verbündeten. Die meisten britischen Offiziere verachteten die aufständischen Araber und viele Deutsche fühlten sich den osmanischen Waffenbrüdern gegenüber kulturell und zivilisatorisch überlegen.
Aus der Distanz zu den eigenen Verbündeten, aus dem nahezu identischen Elite-Bewusstsein und dem Gefühl, als Flieger einer besonderen Gattung anzugehören, entstand eine Nähe zum eigentlichen, aber kulturell näherstehenden Gegner, eine Art Sympathie für den Feind, die den Nährboden für den gegenseitigen Respekt abgab, der sich in verschiedenen Formen manifestierte.
Britische Toasts auf erfolgreiche deutsche Piloten in den Offiziersmessen waren nicht selten und wurden aus voller Überzeugung ausgesprochen.
1913/14 war Berlin, die Hauptstadt des Kaiserreichs, das „neue Athen“, führend in den Naturwissenschaften, der Philosophie, dem Ingenieurwesen, und in den Erziehungswissenschaften.7 Was das Militärwesen anbetrifft, so war Berlin mit Sicherheit eines nicht: das „neue Sparta“. Dies belegen schon die Zahlen des Militärhaushalts. 1913/14 flossen 3,5% des Bruttosozialprodukts in den Militäretat, bei den potentiellen Gegnern Frankreich und Russland waren es 3,9% und 4,6%.8 Auch im Hinblick auf die Zahl der Soldaten war das Kaiserreich zurückhaltender als sein westlicher und östlicher Nachbar. Die Friedensstärke des deutschen Heeres betrug 761.000 Mann, deutlich übertroffen von der Stärke des französischen Heeres – 927.000 Mann – und des russischen Heeres – 1.445.000 Mann -.9
In Bezug auf das Militärflugwesen hatte Deutschland einiges aufzuholen. Nicht vor 1910 kaufte die preußische Armee die ersten 7 Flugzeuge an und auf dem Flugplatz Döberitz bei Berlin entstand eine „provisorische Fliegerschule“. Am 1.4.1911 wurde die „Lehr- und Versuchsanstalt für Militärflugwesen“ geschaffen, die am 1.10.1912 zur „Fliegertruppe“ umstrukturiert wurde. Der Aufbau erfolgte nur langsam und noch 1912 hatte Frankreich einen deutlichen Vorsprung, was die Zahl der Flugzeuge und ausgebildeten Piloten anbetrifft:10
Heeresflugzeuge 1912 |
|
Deutschland: 100 |
Frankreich: 344 |
Heeresflugzeugführer 1912 |
|
Deutschland: 50 |
Frankreich: 234 |
Einen deutlichen Schub für das Militärflugwesen brachte das Ergebnis des Aufrufs vom 21. April 1912, der vom Flugpionier August Euler und Prinz Heinrich von Preußen unterzeichnet worden war, der bereits am 28.11.1910 die Flugzeugführererlaubnis Nr. 38 erhalten hatte. Durch die Spendenaktion kamen 7,25 Millionen Mark zusammen, die den schwachen und unterentwickelten deutschen Flugzeugfirmen zuflossen und in die Ausbildung von 300 neuen Flugzeugführern investiert wurden.11
Wie verlief die Ausbildung zum Militärflugzeugführer kurz vor dem 1. Weltkrieg? Hierzu liegt ein bemerkungswerter unveröffentlichter Bericht von Alfred Alois Adalbert Koenig vor.12 Alfred Koenig, der später als Staffelführer in Palästina kämpfte, wurde am 6.9.1891 in Berlin geboren. Nach Ablegung des Abiturs trat er am 1.10.1909 als Fahnenjunker in das kgl.-preußische Eisenbahnregiment Nr. 1 ein. Seine wahre Liebe aber galt der Fliegerei. Im März 1911 wurde er zum Leutnant ernannt und 1913 glückte der Übertritt zur Fliegertruppe. Über seine Motivation berichtet er:13
„Wir, die wir uns vor dem ersten Weltkrieg freiwillig zur Fliegerei meldeten, ließen uns von unserer glühenden, jugendlichen Begeisterung und dem unwiderstehlichen Drang zum Fliegen leiten. Zu gewinnen hatten wir nichts, nur zu verlieren. Vielleicht spielte da ein gewisser Ehrgeiz mit, oder der Wunsch, sich dem eintönigen Garnisonsleben zu entziehen. Auch uns lockte das große Abenteuer, wie jeden gesunden jungen Mann.“
Für die Ausbildung angehender Militärpiloten wurde auf ausgewählte private Flugschulen zurückgegriffen. Koenig gelangte zur Fliegerschule Nieder-Neuendorf. Die dortige medizinische Untersuchung war nicht sehr gründlich. So wurde auf einen Test, ob ein angehender Flieger möglicherweise farbenblind war, verzichtet. Das führte in der Folge zu vermeidbaren Landeunfällen, wenn ein Pilot nicht zwischen dem Grün der Landepiste und dem Gelb eines Kornfeldes unterscheiden konnte. Es ist im Übrigen einigermaßen überraschend, daß Flugzeugführer und Beobachter während der gesamten Dauer des Krieges trotz erheblicher körperlicher Defizite zum Fliegen freigegeben waren.14 So finden sich unter dem Personal Brillenträger, Versehrte mit Prothesen und Personen, die wegen schwerer Verletzungen, etwa an den Beinen, nicht mehr tauglich für den Einsatz bei der Infanterie waren. Piloten sollten schließlich fliegen und nicht laufen.
Koenig erhielt eine theoretische und praktische Motorenkunde. Die Ausbildung fand auf einem AEG-Doppeldecker mit Doppelsteuerung statt, der über einen NAG-Motor von 80 PS verfügte. Der Schüler saß vorn. Die Instrumentierung im Cockpit war mehr als spartanisch und bestand nur aus einem Höhenmesser und einem Tourenzähler. Schulflüge fanden anfänglich nur bei windstillem Wetter statt. Sowohl bei den Flügen als auch auf dem Flugfeld wurde aus Tarnungsgründen Zivil getragen. Den ersten Alleinflug führte Koenig nach 19 Schulflügen durch.
Bereits nach wenigen Monaten, Ende Januar 1914, legte der Berliner Flugschüler das internationale Pilotenexamen ab. Seine vom DLV (Deutscher Luftfahrer Verband) ausgestellte Flugzeugführererlaubnis trug die Nummer 649 und war datiert auf den 28. Januar 1914. Um den potentiellen Gegner über die tatsächliche Zahl von Militärangehörigen mit Fluglizenz zu täuschen, wurde Alfred Koenig in der Liste der Flugzeugführer als „Adalbert Taufler“ geführt. Die vom DLV erteilte Erlaubnis war für Zivilpersonen bereits das abschließende Examen, für Militärpiloten aber nur die erste Prüfung, die sich nicht als anspruchsvoll erwies. Koenig berichtet:15
„Für die Prüfung wurden auf der Erde mit Kreuzen aus weißen Leinenstreifen zwei auseinanderliegende Punkte markiert, die beide nacheinander umflogen werden mußten, der eine rechts herum, die eine links herum. Auf diese Weise entstand eine geschlossene Acht, deren Schnittpunkte zwischen den beiden markierten Punkten lag. Diese Acht mußte fünf Mal geflogen werden. Anschließend wurde eine Ziellandung aus beliebiger Höhe gefordert. Als Zielpunkt wurde vor der Prüfung einer der beiden markierten Punkte bestimmt. Das Flugzeug mußte nach der Landung in höchstens 25 m Entfernung von diesem Punkt stehen, oder anders ausgedrückt, in einem Kreis von 50 m Durchmesser, dessen Mittelpunkt der vorher bestimmte Zielpunkt war.“
Nach dem bestandenen Examen folgte der zweite Teil der Ausbildung, der dem Überlandflug gewidmet war. Zu diesem Zeitpunkt konnte man sich das Flugzeug nur als Aufklärungsinstrument vorstellen, nicht als Kampfinstrument. So erfolgten noch keine Schulungen im Bombenwerfen oder Schießübungen von Bord aus. Für die Überlandflüge fand eine Maschine mit einem Argus-Motor von 100 PS Verwendung. Eine Doppelsteuerung war nicht vorhanden. Als Koenig alias Taufler die nötige Routine für Überlandflüge entwickelt hatte, meldete er sich zur zweiten Prüfung an, dem sogenannten Feldpilotenexamen. Dies galt als bestanden, wenn der Flugschüler nach dem Start eine Höhe von 800 m erreicht hatte und in mindestens dieser Höhe eine Stunde ohne vorgegebener Strecke über Land geflogen war, dann wieder den Platz ansteuerte und die gleiche Ziellandung durchführte wie bei der ersten Prüfung. Allerdings durfte der Prüfling beim Gleitflug zur Piste den Gashebel nicht bewegen, sich also nicht durch Gasgeben näher an den Zielpunkt heranarbeiten. Der Flug war ein Alleinflug. Den Prüfer/Beobachter ersetzte ein Sandsack mit einem Gewicht von 75 kg.
Koenig meisterte diese Herausforderung und wurde nun nach Döberitz versetzt, wo das Fliegerbataillon I mit 3 Kompanien lag. Er erhielt nun sein eigenes Flugzeug, eine AEG-Maschine mit einem Mercedes-Motor von 100 PS, wahrscheinlich eine AEG B.I. Der Flugapparat besaß eine etwas reichhaltigere Instrumentierung als das erste von Koenig geflogene Schulflugzeug. Neben einer häufig unzuverlässigen Benzinuhr stand dem Piloten auch ein Kompass zur Verfügung. Koenig fühlte sich wohl in Döberitz:16
„Alles wurde zwangloser gehandhabt als sonst in der preußischen Armee üblich.“
Im Frühsommer 1914 stand die dritte Prüfung17 an: ein Langstreckenflug über mehr als 250 km, bei dem an zwei vorgegebenen Stellen zwischengelandet werden mußte. Auch die Strecke war vorgeschrieben. An den Landepunkten mußte der Prüfling, der zusammen mit seinem Beobachter flog, sich die Ankunft schriftlich bestätigen lassen. Für die Ausführung des Auftrages hatte der Pilot 24 Stunden Zeit.
Für Koenig ging alles glatt, bis auf dem Rückflug von Perleberg nach Döberitz. Die Besatzung verfranzte sich über der Mark Brandenburg und machte eine Außenlandung auf einer Wiese, um einen Bauern nach der genauen Ortsangabe zu fragen. Beim Start kollidierte der AEG-Doppeldecker mit einem Distelbusch, was dazu führte, daß der Propeller zerbarst. Der Flugauftrag schien gescheitert, aber der nur 20 km entfernt liegende Flugplatz Döberitz schickte nach telefonischer Anforderung einen Kraftwagen mit Ersatzpropeller. So konnte Koenig 10 Minuten vor Ablauf der 24 Stunden-Frist wieder bei seinem Bataillon aufsetzen. Er durfte sich nun kgl. preußischer Flugzeugführer nennen und erhielt das begehrte Flugzeugführerabzeichen.
Die Tatsache, daß verstärkt mehr Militärpiloten ausgebildet werden und die Luftstreitkräfte vergrößert werden mußten, war auch Gegenstand einer Sitzung im Reichstag am 7. April 1913, bei der es um die Heeresverstärkung ging. Der preußische Kriegsminister Josias von Heeringen führte aus:18
„Luftschiffe und Flugzeuge sind wichtige und brauchbare Kriegswerkzeuge geworden und angesichts der Fortschritte auf diesem Gebiet bei unseren Nachbarn ist es ein unbedingtes Gebot, daß wir unsere Luftstreitkräfte in einem raschen Tempo ausbauen.“
Am 1.10.1913 entstand eine neue Struktur der Fliegerwaffe, die Inspektion der Fliegertruppen mit 5 Bataillonen zu je 3 Kompanien. Aber organisatorisch gehörte die Fliegerwaffe weiterhin zu den Verkehrstruppen. Eine Änderung trat erst ein, als im Frühjahr 1915 die Position des Chefs des Feldflugwesens ins Leben gerufen wurde.
Die verstärkte Ausbildung von Flugzeugführern trug Früchte. Bis zum 15. Juli 1914 hatten 817 Personen die Flugzeugführererlaubnis des DLV erhalten. Diese Zahl ist jedoch nicht gleichzusetzen mit der Zahl der Militärpiloten. Bei Eintritt des Kaiserreichs in den Krieg im August 1914 verfügte die Fliegertruppe vielmehr über 254 ausgebildete Piloten und 271 Beobachter. Die Truppe gliederte sich wie folgt:19
34 |
Feldfliegerabteilungen mit je 6 Flugzeugen |
7 |
Festungsfliegerabteilungen |
|
mit je 4 Flugzeugen |
8 |
Etappenflugzeugparks |
5 |
Flieger-Ersatzabteilungen |
Jedes Armeeoberkommando und jedes aktive Generalkommando verfügte über eine Feldfliegerabteilung, deren Hauptaufgabe vorerst noch in der Aufklärung bestand.
Was die Flugapparate anbetrifft, so waren die Mittelmächte Deutschland und Österreich-Ungarn der Entente deutlich unterlegen, was die Anzahl der Flugzeuge anbetrifft:20
280 Flugzeuge der Mittelmächte hatten sich also mit 507 Maschinen der Entente auseinanderzusetzen, wobei allerdings zu berücksichtigen ist, daß die zaristische Luftwaffe niemals den Aktivitätsgrad des Royal Flying Corps erreichte.
An der materiellen Unterlegenheit der Mittelmächte sollte sich im gesamten Verlauf des Krieges nichts ändern, im Gegenteil, sie wurde laufend größer, wie eine Übersicht über die im Einsatz befindlichen Frontflugzeuge zeigt:21
So waren die Piloten Deutschlands und ÖsterreichUngarn ihren Gegnern in der Luft immer zahlenmäßig unterlegen. In Frankreich im durchschnittlichen Verhältnis von 1 : 3, in Mazedonien sogar im Verhältnis 1 : 8.22 Im Osmanischen Reich lag die entsprechende Zahl zeitweilig bei 1 : 10. Die Flugzeugfabriken und 21 Motorenfabriken des rohstoffarmen und durch die britische Blockade eingeschnürten Kaiserreichs waren nicht in der Lage, signifikant höhere Produktionszahlen zu erreichen, ebenso wenig die Fertigungsstätten in Österreich-Ungarn. Beide Mittelmächte kamen bis Ende 1918 auf folgende Zahlen bei der Flugzeugherstellung:23
|
Deutsches Reich |
Österreich-Ungarn |
1914 |
1.348 |
70 |
1915 |
4.532 |
338 |
1916 |
8.182 |
931 |
1917 |
19.746 |
1.714 |
1918 |
14.123 |
2.378 |
|
47.931 |
5.431 |
Was den Bau von Flugzeugmotoren anbetrifft, so ergaben sich folgende Zahlen:
|
Deutsches Reich |
Österreich-Ungarn |
1914 |
848 |
72 |
1915 |
5.037 |
440 |
1916 |
7.822 |
854 |
1917 |
11.200 |
1.230 |
1918 |
15.542 |
1.750 |
|
40.449 |
4.346 |
Zwar versuchte die Oberste Heeresleitung mit dem Hindenburg-Programm von 1916/17 eine deutliche Steigerung der Rüstungsproduktion herbeizuführen und das Amerika-Programm von 1917/18 sah eine Erhöhung der monatlichen Flugzeugproduktion auf 2000 Maschinen und eine Steigerung der monatlichen Motorenproduktion auf 2500 Stück vor24, aber die Ergebnisse blieben hinter den Erwartungen zurück. Zwar konnte die Zahl der produzierten Flugzeuge von 1916 auf 1917 um mehr als 100 % aufgestockt werden, aber es gab zu viele Materialengpässe und zu wenig spezialisierte Rüstungsarbeiter. So verloren die Mittelmächte den Wettlauf um die höchsten Produktionszahlen im Flugzeugbau deutlich. Sie konnten während des Krieges rund 53.000 Flugzeuge fertigen, während bei den Mächten der Entente mehr als doppelt so viele Maschinen aus den Fertigungshallen rollten: 138.685.25
Das deutsche Kaiserreich als stärkste Kraft der Mittelmächte hatte einige Möglichkeiten, die quantitative Unterlegenheit durch kreative Maßnahmen zumindest zum Teil zu kompensieren: durch zukunftsweisende Organisation und Struktur der Fliegertruppe, durch die kluge Auswahl des fliegenden Personals, durch eine gute und solide Ausbildung, auch der Männer des Bodenpersonals, und durch technische Innovationen, die die Überlegenheit der Produkte der deutschen Flugzeug- und Motorenindustrie gegenüber den englischen und französischen Maschinen zur Folge haben würden.
Die organisatorischen Voraussetzungen für eine Maximierung der Leistungsfähigkeit und Kampfkraft der Fliegertruppe wurden nur teilweise geschaffen. Die Notwendigkeit einer Strukturreform der Fliegertruppe zeichnete sich bereits kurz nach Kriegsbeginn deutlich ab. Nach den ersten Verlusten, zumeist bedingt durch Unfälle und Bruchlandungen, stellte sich heraus, daß eine verläßliche Nachschubkette nicht funktionierte. Daraufhin erschienen Offiziere der Feldfliegerabteilungen unautorisiert bei Etappenflugzeugparks und in den Flugzeugfabriken und „organisierten“ dort neue Flugzeuge. Auch sonst kam es zu zahlreichen Eigenmächtigkeiten von Offizieren. Es fehlte eine zentrale und koordinierende Stelle, die dieses Chaos abstellen konnte. Der Chef der Inspektion der Fliegertruppe, Oberst Walter von Eberhardt, sorgte zuerst einmal für Ordnung, aber es dauerte bis März 1915, ehe an die Spitze des Flieger- und Luftschiffwesens ein Chef des Feldflugwesens trat. Und die Stelle des Kommandierenden Generals der Luftstreitkräfte (Kogenluft), dem die gesamten Luftkampf- und Luftabwehrmittel des Heeres und deren Einsatz unterstanden, wurde erst im Oktober 1916 eingerichtet und mit Generalleutnant Ernst von Hoeppner besetzt. Der bisherige Chef des Feldflugwesens, Oberstleutnant Hermann Thomsen, übernahm die Position des Generalstabschefs.
Dies waren Schritte in die richtige Richtung, aber sie gingen nicht weit genug. Bis Kriegsende gelang es nicht, einheitliche Kaiserlich Deutsche Luftstreitkräfte zu schaffen. Es blieb bei der Trennung in eine Heeres- und eine Marineluftwaffe. Der Staatssekretär des Reichs-Marine-Amtes und der Chef des Admiralstabes verhinderten die organisatorische Verschmelzung der beiden Teilstreitkräfte zu einer „selbständig neben Heer und Flotte bestehenden Luftstreitmachtgruppe des Reiches“.26 Aber nicht nur die Marine bremste ab, auch die deutschen Bundesstaaten pflegten einen exzessiven Partikularismus, der seltsame Blüten trieb. So gab es neben den preußischen Fliegerabteilungen auch bayerische, württembergische und sächsische Abteilungen. Selbst das Großherzogtum Baden nahm 1917 für sich in Anspruch, eigene, regional homogene Fliegerverbände aufzustellen. Daß eine derartige Zersplitterung der Fliegerkräfte einer Leistungssteigerung abträglich war, liegt auf der Hand. Die Sonderwünsche und Empfindlichkeiten der Bundesstaaten wurden zum Glück nicht allumfassend umgesetzt und beachtet. So dienten in der preußischen Fliegerabteilung 300, die 1916 als erste in der Wüste Sinai eintraf, zumindest zwei bayerische Fliegeroffiziere, Oberleutnant Berthold und Oberleutnant Richard Euringer.
Für das fliegende Personal war es wichtig, in einer angesehenen Fliegerabteilung oder Staffel zu dienen, die landsmannschaftliche Zusammensetzung war insoweit kaum von Bedeutung. Die Basis für den Erfolg bildete eine gute und praxisbezogene Ausbildung. Die Flugschüler, die angehenden Piloten und Beobachter, waren ausnahmslos Freiwillige. Sie sollten folgende Grundvoraussetzungen mitbringen:27 „Freude am Aufenthalt hoch in den Lüften nebst strengster Pflichtauffassung, Selbstbeherrschung, Willenskraft und rascher Entschlußfähigkeit“. Bei manchem Flieger aber verflog der ursprüngliche Enthusiasmus, wenn er sich mit der Realität des Luftkrieges konfrontiert sah. An Freiwilligen für die Fliegerausbildung aber mangelte es bis Kriegsende nicht. Was die Ausbildung anbetrifft, so wurde die Schulung ab dem 1. Januar 1916 verschärft. Die angehenden Piloten von G-Flugzeugen (Großflugzeuge, zweimotorige Bomber) und C-Flugzeugen (bewaffnete, einmotorige zweisitzige Doppeldecker), die meist als Aufklärungs- und Artillerieflugzeug Verwendung fanden, mußten Luftgefechts-Flüge durchführen und simulierte Luftkämpfe mit anderen Maschinen ausfechten. Die fortschreitende Spezialisierung der Fliegerwaffe (Aufklärer, Infanterieflieger, Bomber, Schlachtflieger, etc.), die den Bedürfnissen der Front entsprach, erforderte auch die Einrichtung spezieller Schulen.
Beobachter, die grundsätzlich Offiziere sein mußten – erst bei den im Verlauf des Krieges entstandenen Schlachtstaffeln waren sowohl Flugzeugführer als auch Beobachter/Bordschützen Unteroffiziere oder stammten aus dem Mannschaftsstand – durchliefen zuerst sechswöchige Kurse an Vorschulen, bevor sie bei Eignung einer Fliegerbeobachter-Schule zugewiesen wurden, von denen es im Reich sechs gab, weiter in Lettland zwei und in Polen und Belgien je eine.28 Schießübungen mit dem MG und Einweisungen in den Luftkampf fanden im belgischen Asch statt. Piloten von Einsitzerkommandos, deren Aufgabe darin bestand, Aufklärer und Artillerieflugzeuge zu schützen, wurden zuerst in Mannheim geschult, dann in neu eingerichteten Kampfeinsitzerschulen in Warschau, Paderborn und Großenhain. Den beiden letzten Schulen war keine lange Existenz beschieden. Sie wurden im April 1917 aufgelöst. Die Zukunft gehörte den Jagdstaffelschulen, nachdem an der Westfront im August 1916 die ersten Jastas (Jagdstaffeln) ins Leben gerufen worden waren. Die Jagdstaffelschulen, von denen eine im französischen Valenciennes lag, die andere im belgischen Nivelles, widmeten sich besonders der Ausbildung im taktischen Fliegen, dem gefechtsmäßigen Fliegen und den Einsätzen im Verband. Als der Bedarf an Jagdfliegern im Herbst 1917 immer größer wurde, kamen Flugschüler nach Absolvierung der Jagdfliegerschulen ohne jede Fronterfahrung zu den Jastas, was zu unnötigen Verlusten führte. Für unerfahrene Novizen wurde eine frontnahe, vertiefte Schulung notwendig. Diese führten ab Frühjahr 1918 erfahrene ältere Jagdpiloten hinter der Front durch.
Eine herkömmliche Fliegerabteilung, bestehend aus etwa 20 Offizieren und 170 Mann, brauchte aber nicht nur fliegendes Personal, sondern auch die „schwarzen Männer“ vom Bodenpersonal, Flugzeug-, Motoren- und Waffenwarte. Sie benötigte unter anderem Schlosser, Automonteure, Kraftfahrer, Funker, Mechaniker, Elektrotechniker, Schweißer, Zeichner, Schreiber und Telefonisten. Und diese Fachkräfte waren, je mehr die deutsche Fliegertruppe anwuchs, umso schwieriger zu bekommen.
Die Anzahl der Verbände stieg kontinuierlich an, bis sie 1918 ihren Höhepunkt erreichte.29 Hand in Hand mit dem Ausbau der Fliegertruppe ging die Modernisierung und Leistungssteigerung der Flugapparate. Die frühen Rumpler-Tauben und Tauben der Albatros-Werke erwiesen sich rasch als nicht kriegstauglich, da ihre Geschwindigkeit und ihre Steigleistung zu gering waren. Auch die provisorische Bewaffnung der Flugzeugbesatzungen mit Pistolen und Karabinern stellte keine angemessene Lösung dar. Ab Frühjahr 1915 erhielten Beobachter daher luftgekühlte, bewegliche Parabellum-MG, die primär der Verteidigung dienten. Dies änderte sich ab April 1915 mit einer neuen Erfindung, die das Flugzeug zu einer Offensivwaffe machte, als ein Mechanismus entwickelt wurde, der es dem Piloten erlaubte, durch die Propellerbahn zu schießen. Dies war möglich, da ein Schuß nur dann ausgelöst werden konnte, wenn sich vor der Mündung des Maschinengewehres kein Flügel des Propellers befand. Der holländische Flugzeugkonstrukteur Anthony Fokker, der für die deutsche Heeresverwaltung arbeitete und ein Flugzeugwerk in Schwerin leitete, nahm für sich in Anspruch, den Synchronisationsmechanismus erfunden zu haben. In seinen Memoiren schrieb er:30
„Ich war riesig stolz, eine Erfindung gemacht zu haben, die – wie ich mir sehr wohl vorstellen konnte – die ganze Luftkriegsführung umgestalten mußte, sobald sie einmal im Kampf angewandt wurde.“ Fokkers Darstellung ist jedoch wenig glaubhaft, wahrscheinlicher ist, daß der Fokker-Ingenieur Heinrich Lübbe für den revolutionären Mechanismus verantwortlich zeichnet. Die ersten Maschinengewehre mit der neuen Erfindung wurden in den Schulterdecker Fokker E. I eingebaut. Mit diesem Flugzeug und den Folgemustern sicherten sich deutsche Piloten die Luftüberlegenheit, bis im Spätsommer 1915 und Anfang 1916 auf der gegnerischen Seite die Nieuport 11 der Franzosen und der D.H.2 Pusher auftauchten. Es begann die Zeit der Doppeldecker. Wer das technisch bessere Produkt flog, dem fiel meist der Sieg im Luftgefecht zu. Auf deutscher Seite erkämpfte der Doppeldecker Albatros D.III im Dezember 1916 die Luftüberlegenheit, eine Phase, die bis Frühjahr 1917 andauerte. Die Albatrosse dominierten den Himmel über der Westfront. Bei der Schlacht um Arras im April 1917 fügten sie besonders dem Royal Flying Corps schwerste Verluste zu. Die Fliegertruppe meldete 291 Luftsiege bei 66 eigenen Flugzeugverlusten. Tatsächlich verloren die Briten 245 Maschinen, die Franzosen weitere 55.31
Ein gefährlicher Gegner erwuchs der Albatros D.III in den Sopwith Dreideckern, die manövrierfähiger und geringfügig schneller waren, außerdem besaßen sie eine überlegene Steigfähigkeit. Auf deutscher Seite entstand als Antwort ein wahrer „Dreidecker-Fimmel“32. Zahlreiche deutsche Flugzeugfirmen wie Fokker, Pfalz, Siemens-Schuckert, Albatros und LFG (Luftfahrzeug-Gesellschaft) wetteiferten darum, den besten Dreidecker zu entwickeln. Anthony Fokker machte das Rennen. Das Anfang Juli 1917 gebildete und von Rittmeister Manfred von Richthofen geführte JG 1 wurde fast komplett mit dem Fokker Dreidecker ausgestattet, aber die Euphorie um das Muster ebbte recht bald ab, zumal die Maschine anfangs erhebliche Strukturdefizite aufwies. Spätestens ab Mai 1918 war der Dreidecker seinen Gegnern nicht mehr gewachsen und ab Juni begann man, die Fokker Dreidecker, von denen 322 Exemplare gebaut worden waren, aus den Verbänden an der Westfront herauszuziehen. Aber Fokker hatte noch ein As im Ärmel: das Jagdflugzeug Fokker D.VII, das unter der Bezeichnung V.11 das Vergleichsfliegen von 27 verschiedenen Mustern in Adlershof, das vom 20.1. bis 12.2.1918 ausgetragen wurde, gewonnen hatte. Der freitragende, einstielige Doppeldecker wurde von einem Mercedes D.III Motor von 160 PS angetrieben. Mit einem BMW IIIa Motor von 185 PS ausgerüstete Jagdeinsitzer trugen die Bezeichnung D.VII F. Die Höchstgeschwindigkeit lag bei 190 km/h, die Steigzeit auf 3.000 m betrug rund 8 Minuten. Die Fokker E. I hatte für die gleiche Höhe noch 40 Minuten benötigt … Insgesamt soll die Fliegertruppe bis zum 11.11.1918 noch 2.500 Exemplare, zum Teil in Lizenz bei Albatros und den Ostdeutschen Albatros-Werken gefertigt, erhalten haben. 33 Die ersten Fokker D.VII erreichten das Osmanische Reich erst im Oktober 1918, zu spät, um noch wirkungsvoll in das Luftkriegsgeschehen einzugreifen. Die französischen, englischen, australischen und amerikanischen Piloten fürchteten den agilen Doppeldecker, und das zu Recht. Die zumeist mit Fokker D.VII oder Pfalz D.XII ausgestatteten Jastas schossen im September 1918 an der Westfront 773 Gegner ab, die deutschen Flugzeugverluste betrugen im gleichen Zeitraum 110 Maschinen.34
Es war ein weiter Weg gewesen von den zerbrechlichen Tauben des Jahres 1914 bis hin zu dem „Hochleistungsjäger“ des Jahres 1918. Auch die Dienstgipfelhöhe deutscher Flugzeugmuster war kontinuierlich gesteigert worden, von 3000 m (Etrich A-II Taube) auf 9.000 m (Hannover CL. V). Höhenatmungsgeräte mit flüssiger Luft ermöglichten es den Besatzungen, in derartigen Höhen zu operieren. Zielgerichtet wurde ebenso an einer Möglichkeit der direkten Kommunikation zwischen Flugzeug und Boden und zwischen Flugzeugen untereinander gearbeitet. Besonders Maschinen der Aufklärungseinheiten und Artillerieflugzeuge wurden mit Geräten der Funkentelegraphie ausgestattet. Auch Fallschirme als Rettungsmittel erhielten deutsche Flieger im Laufe des Krieges, im Gegensatz zu den französischen Piloten, deren Vorgesetzte mutmaßten, ihre Flugzeugführer würden sich kritischen Luftkampfaktionen durch einen Fallschirmabsprung entziehen …35
Die Fliegertruppe war mit 4.200 Mann 1914 in den Krieg gezogen. Zum Zeitpunkt des Waffenstillstandes im November 1918 war sie auf 61.000 Mann angewachsen, unter ihnen 5.000 Flugzeugführer und Beobachter.36 Was die Höhe der Verluste anbetrifft, so liegen bis heute keine abschließenden und verbindlichen Zahlenangaben vor. Kalkulationen reichen von 5.887 Mann fliegendem Personal und 2.743 Vermißten37 bis zu 11.200 Mann, wobei diese Zahl auch die Marineflieger und Luftschiffer mit einschließt.38 Erstaunlich ist die hohe Zahl von Fliegern, die ohne Feindeinwirkung ums Leben kamen. Allein in der Heimat starben rund 1.800 Piloten und Beobachter bei Schulflügen und in der Ausbildung.
Die deutsche Fliegertruppe war, wie bereits ausgeführt, ihren Gegnern während des gesamten Krieges zahlenmäßig unterlegen. Aber sie war wesentlich effektiver als die geballte Luftmacht der Entente, denn die Zahl der deutschen Luftsiege übertraf die der Piloten Frankreichs, Englands und Russlands beträchtlich.39
Anfang 1914 war das Osmanische Reich geschwächt und außenpolitisch isoliert. Der italienisch-türkische Krieg 1911/12 hatte den Verlust von Libyen und dem Dodekanes zur Folge und im 1. Balkankrieg 1912, in dem Serbien, Griechenland, Montenegro und Bulgarien gegen die Türkei standen, büßte das Reich nahezu alle europäischen Gebiete und die Inseln vor der kleinasiatischen Küste ein. Im 2. Balkankrieg, den die Türkei an der Seite von Griechenland, Serbien, Montenegro und Rumänien gegen Bulgarien ausfocht, gelang es osmanischen Truppen unter Führung des energischen jungtürkischen Offiziers Enver immerhin, Adrianopel (heute: Edirne) zurückzuerobern und im Reichsverband zu halten. Die 3 Kriege in wenigen Jahren hatten für das Osmanische Reich nicht nur zu immensen Gebietsverlusten geführt, sondern auch zu großen personellen Einbußen – allein in den beiden Balkankriegen werden die Verluste der türkischen Armee mit 250.000 Toten und Verwundeten angegeben40 – und ebenso zu finanziellen Verwerfungen im Staatshaushalt und zu einem weiteren internationalen Ansehensverlust. Die Großmächte warteten auf ein Auseinanderfallen des Osmanischen Reiches, zumal die Loyalität der Armenier und Kurden zum Sultan fragwürdig schien und einige Länder hatten klare Vorstellungen davon, welche Teile sie sich aus der Konkursmasse herausschneiden wollten. Frankreich hatte ein Auge auf Syrien geworfen und das zaristische Russland, das sich in der Tradition des 1453 untergegangenen Byzantinischen Reiches sah, reflektierte auf den Besitz von Konstantinopel und der Meerengen, dem Bosporus, der das Marmarameer mit dem Schwarzen Meer verbindet und den Dardanellen, die die Verbindung zwischen dem Marmarameer und der Ägäis darstellen. 50 % aller russischen Exporte und sogar 90 % der Getreideausfuhren wurden durch die Meerengen befördert. Ein russischer Diplomat faßte die Position seines Landes in der Meerengenfrage daher unmissverständlich zusammen: „Der Besitz der Dardanellen bedeutet für Russland eine Lebensfrage.“41 Bereits im Sommer und Herbst 1913 bereitete sich die zaristische Schwarzmeerflotte darauf vor, die Dardanellen zu besetzen.42 Die osmanische Regierung, die die russischen Aspirationen kannte, versuchte, eine andere Großmacht als Bündnispartner zu finden. 1908, 1911 und im Juni 1913 sprachen türkische Politiker und Diplomaten im Sinne einer osmanisch-britischen Allianz in London vor, stießen dort aber auf taube Ohren.43 Auch von Frankreich, das mit Russland verbündet war, war keine Hilfe zu erwarten.
Selbst als nach der Ermordung des österreichischen Thronfolgerpaares in Sarajevo durch einen bosnischserbischen Attentäter am 28.6.1914 in Europa die politischen Spannungen und die Unsicherheit wuchsen, änderten die Mächte der Triple Entente ihre Haltung gegenüber dem Osmanischen Reich nicht. Sie zeigten sich desinteressiert, was seine ehrliche Zusammenarbeit mit Konstantinopel anbetrifft. Zwar sprach die Entente im Spätsommer 1914 eine Garantie für die territoriale Integrität der Türkei aus, doch diese galt nur für die Dauer des Krieges.
Rettung schien allein das deutsche Kaiserreich zu bieten, das bereits eine hochrangige Militärmission unter General Otto Liman von Sanders in die Türkei entsandt hatte. Zum energischen Befürworter eines Bündnisses mit Berlin wurde der charismatische General Enver Pascha, seit Januar 1914 osmanischer Kriegsminister, der 1909 Militärattaché an der türkischen Botschaft in Berlin gewesen war. Aber von der Nützlichkeit einer derartigen Allianz waren die Deutschen anfänglich nicht zu überzeugen. Liman von Sanders sowie Hans Freiherr von Wangenheim, der kluge deutsche Botschafter in Konstantinopel und der Staatssekretär im Auswärtigen Amt Gottlieb von Jagow sprachen sich gegen ein Bündnis mit dem „kranken Mann am Bosporus“ aus. Ein wichtiger Grund hierfür war die Einschätzung, daß das Osmanische Reich militärisch schwach war und nicht in der Lage, erfolgreich gegen Russland vorzugehen und dadurch die Mittelmächte Deutschland und Österreich-Ungarn deutlich zu entlasten. Von Wangenheim telegraphierte am 18. Juli 1914 nach Berlin:44 „[Die Türkei] ist heute ohne Frage noch wertlos als Verbündeter. Sie würde für ihre Partner nur eine Belastung sein, nicht in der Lage, ihnen den kleinsten Vorteil zu bieten …“ Während der deutschtürkischen Gespräche eskalierte die europäische Krise. Österreich-Ungarn richtete am 28. Juli ein Ultimatum an Serbien, 5 Tage später folgte die Kriegserklärung. Der russische Zar, dessen Regierung sich darauf vorbereitete, eine Rebellion der Armenier und Kurden gegen den Sultan in Ostanatolien anzuzetteln, ordnete am 30. Juli die Generalmobilmachung an, worauf das Deutsche Reich am 1. August mit der Kriegserklärung antwortete.
Vor dem Hintergrund des gefährlichen Konfrontationskurses näherten sich die deutsche und die türkische Position an. Deutscherseits gab es unterschiedliche Gründe für den neuen, bündnisfreundlichen Kurs: Die osmanische Führung drohte damit, sich der Entente anzuschließen, Kaiser Wilhelm II. befürwortete eine deutsch-türkische Allianz und Liman von Sanders sprach sich nun ebenfalls für eine Zusammenarbeit mit der Türkei aus. Am 2. August wurde das Bündnis zwischen Berlin und Konstantinopel geschlossen. Wenn die Deutschen gehofft hatten, die Türkei würde nun umgehend in den Krieg eintreten, so täuschten sie sich. Das Osmanische Reich erklärte am 3. August seine bewaffnete Neutralität. Enver hatte sein primäres Ziel erreicht: den Schutz durch eine Großmacht, die verhindern würde, daß andere Mächte das Osmanische Reich marginalisierten und aufteilten. Eine rasche Kriegserklärung hielt er nur dann für sinnvoll, wenn die eigene Mobilmachung abgeschlossen war, Bulgarien oder Rumänien an die Seite der Mittelmächte träten oder diese einen überzeugenden militärischen Sieg erzielten. Danach sah es jedoch vorerst nicht aus. Die k.u.k. Streitkräfte erlitten in Galizien eine schwere Niederlage mit großen Verlusten und mußten am 2. September Lemberg aufgeben. Auch die Tatsache daß dem Großen Kreuzer SMS Goeben und dem Kleinen Kreuzer SMS Breslau am 10. August der Durchbruch ins Marmarameer gelang, was eine bedeutende Kräfteverstärkung für die osmanische Kriegsmarine bedeutete und am 29. August ein Sonderkommando zur Verteidigung der Dardanellen und des Bosporus unter Admiral Guido von Usedom, bestehend aus 15 Marineoffizieren und 281 Marineartilleristen, das später auf 700 Mann aufgestockt wurde, Konstantinopel erreichte, änderte an dem türkischen Spiel auf Zeit zunächst nichts. Berlin machte Druck im Hinblick auf einen türkischen Kriegseintritt, aber der Bündnispartner zeigte sich vorerst unbeeindruckt. Einige deutsche Diplomaten und Offiziere glaubten sogar, eine türkische Kriegserklärung an die Entente-Staaten, gefolgt von der Ausrufung des Djihad, den Heiligen Krieges durch den Sultan, könnte kriegsentscheidend sein, da sich die muslimische Bevölkerung in den britischen und französischen Kolonien gegen ihre Herren auflehnen und die Kaukasusvölker gegen den Zaren aufbegehren würden.
GoebenBreslauYavuz Sultan SelimMidilliYavuz Sultan Selim, MidilliÜbung Erwartungsgemäß erfolgte am 2. November die russische Kriegserklärung an die Türkei, gefolgt von entsprechenden Erklärungen Großbritanniens und Frankreichs wenige Tage später.