Paul Tobias Dahlmann
delectationes
Über den Schwertkampf
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Inhaltsverzeichnis
Titel
1. Standhaftigkeit
2. Einfache Bögen
3. Beinarbeit
4. Minne
5. Haltung
6. Hohe Wehr
7. Tiefe lange Wehr
8. Tiefe steile Wehr
9. Die linke Hand
10. Gewichtungen
11. Eingedrehte Schläge
12. Treffpunkte
13. Zugreifen
14. Die Linie
15. Waffenarten
16. Geschwindigkeit
17. Rittertum
18. Falsche Schläge
19. Behüten
Historisches Nachwort
Impressum neobooks
Man sagt, ein Buch soll ebenso belehren wie unterhalten. Auf Latein, wie es die Gelehrten benutzen, nennt man Unterhaltungen „delectationes“. In diesem Wort enthalten sind die „lectiones“, die Übungen und Lehren also, die ein Leser in einer Schrift finden kann. Es gibt viele Diskussionen und weitere Begriffe in diesem Zusammenhang. Ich habe mich entschieden, ein Buch zu schreiben, welches diesem Grundsatz folgt.
Kürzlich war ich in Essen, und eine rechthaberische Stiftsdame grummelte, es hieße eigentlich „prodesse et delectare“, und würde das genaue Gegenteil bedeuten. Ich sparte mir die Frage, ob eine gegenteilige Bedeutung vielleicht auch nach einem anderen Namen verlangen würde. Ich schreibe dieses Buch absichtlich nach dem erwähnten Prinzip.
Ich bin ein Ritter aus Hamme bei Bochum. Ich heiße Tobias, und werde entsprechend Tobias von Hamme genannt. Die Geschichte, die ich erzähle, spielt in meiner Heimat und in ihrer Umgebung. Sie spielt in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts, als große Kämpfe über Jahre hinweg das Land bedrohten.
Die Erzählungen von diesen Kämpfen sollen den Leser anlocken und die „delectationes“ bieten. Die Leute finden es spannend, sobald gekämpft wird. Aber auch lustige Dinge haben sich zugetragen.
Ich bin ein Lehrer im Schwertkampf. Ich habe schon viele Schüler gehabt und habe lange überlegt, ein Lehrbuch zu dem Thema zu schreiben. Vielleicht wäre der Schulstoff alleine etwas zu trocken für viele gewesen, die nun auf diese Zeilen schauen. Darum sollen nun die Geschichten von den Schlachten zwischen den Häusern Isenberg und Mark meine Leser unterhalten und aufmerksam zuhören lassen, wenn ich die Ausführung bestimmter Schläge in ihren Zusammenhängen erläutere. Dies sind meine „lectiones“.
Natürlich kann ich es niemandem abnehmen, selbst Schläge auszuführen, sowie die Arme zu üben und zu kräftigen, bis sie schmerzen. Das bringt Schwertkampf mit sich.
Im Jahre 1231 jedenfalls nahm ich einen Knappen an, Gerhard von Dreer. Er blieb der Umstände wegen besonders lange bei mir. Ich bildete ihn in den ritterlichen Tugenden und Kampfesweisen aus, wie ich es davor und danach mit anderen getan habe. Ich glaube, die Vermittlung ist mir bei ihm einigermaßen geglückt. Deshalb will ich ihn und seine Ausbildung als Beispiel nehmen, anhand dessen ich erzähle, was zu tun ist. Nachdem Gerhard unverletzt geblieben ist, mögen meine Leser sich ein Beispiel an ihm nehmen.
Bevor ich jedoch dazu komme, wie aus meinem Knappen ein echter Ritter wurde, will ich sagen, wie es überhaupt zu der ganzen Auseinandersetzung im Hintergrund meiner Erzählung kam.
Vor alten Zeiten gab es wichtige und mächtige Adelshäuser in Westfalen und im Rheinland. Eines der bedeutendsten unter ihnen war das Haus Berg aus Altenberg bei Burscheid. Eine Linie spaltete sich von ihm ab und erbaute die starke Burg in Altena. Doch auch diese Linie zerfiel weiter.
Ein Teil der Grafen blieb im letzten Jahrhundert, dem 12., auf Altena wohnen, und setzte sich im vorderen Sauerland fest. Ein anderer zog aus, um sich einen neuen Ort und einen neuen Namen zu suchen. Sie nannten sich die Grafen vom Isenberg.
Sie errichteten eine mächtige Burg, die ihresgleichen im Lande suchte. Sie war hoch und stolz und weithin sichtbar. Dies war die Isenburg bei Hattingen. Nach ihr und dem Berg, auf dem sie stand, hatten die Grafen sich benannt. Die Burg wiederum hieß so, weil dort viel mit Eisen gearbeitet wurde. Schwerter entstanden dort ebenso wie Gebrauchsgegenstände.
Viele Ritter der Umgebung folgten dem Ruhm des Isenbergs. Bereits mein Großvater war unter ihnen. Man sollte nicht glauben, dass er sich von irgendetwas hätte blenden lassen. Mein Großvater war ein ebenso nachdenklicher wie gutmütiger Mann. Er hätte sich niemals auf die Seite des Isenbergs gestellt, wenn sie ihn nicht auch mit ihrer Großherzigkeit beeindruckt hätte.
In der Zeit meines Vaters war es ebenso. Die Zeit verlief für ihn ruhmvoll und langweilig. Das neue Jahrhundert brach an und ein neuer Kaiser bestieg den Thron, nur, um ihm dann fernzubleiben. Er war meist in Italien. Westfalen und Engern wurden endlich frei von Sachsen. Gleich darauf fanden sie sich in den Klauen des Kölner Erzbischofs wieder. Viele mächtige Herren stritten sich deswegen. Es wurde unruhig im Land, bald nachdem meinen Vater ein schwerer Bluthusten niedergestreckt hatte. Unter den Grafen Westfalens wurde geredet. Es bestand Einigkeit darüber, dass man sich lieber selbst verwalten wollte, als zu Knechten der Kölner Kirche zu werden.
Der Kaiser und König war weit entfernt. Er hatte im heiligen Land, mit dem Papst, und noch an vielen anderen Stellen zu tun. Der ewig lächende Bischof Engelbert von Köln versprach ihm viele Dinge, die fast an Wunder grenzten. Seine Amtsbrüder in Mainz, Trier und Hamburg waren stiller. Außerdem schauten sie strenger drein. Deshalb fand die Prahlerei des Kölners Gehör bei den Ohren des großen Herrschers, der sich Ruhe im fernen Norden seines Reiches wünschte.
Am Ende kam es soweit, dass der Kaiser den Bischof von Köln sogar zu seinem Statthalter im Reich und zum Erzieher seines Thronerben ernannte.
Das ließ das Murren unter den Großen des Landes lauter werden, da sie ja wussten, was Engelbert in Wahrheit für ein Mensch war. Aus meiner Sicht war er nichts als selbstverliebt. In seiner Großherrlichkeit ließ er sich feiern und blendete viele Menschen ebenso wie sich selbst. Er bezahlte sogar Minnesänger dafür, dass sie Preislieder auf ihn sangen. Der Unmut unter denjenigen, die ihn kannten, wuchs.
Auch in den mächtigen Bürgerfamilien fanden sich viele, die den Mann hinter dem schönen Schein sahen. Es kochte vielerorts in den Städten der Umgebung. Die Kölner selber trauten sich nicht, zu handeln. Aber die zweitgrößte Stadt weit und breit war Soest, die Hauptstadt Westfalens, und diese war mehrfach kurz vor dem Aufstand. Nur mit viel Mühe und Geduld gelang es den kribbeligen und erregten Grafen noch, die Kaufleute zu mäßigen.
Schließlich traf man sich hin und wieder. Man beratschlagte, was zu tun sei.
Man entscheid sich, zunächst mit Bischof Engelbert zu reden. Schließlich sei er ein Mann der Kirche und des Verstandes, so sagte man. Viele der Grafen meinten, dass er für vernünftige Worte ein Ohr haben müsste.
Man suchte darum einen Unterhändler, um mit Bischof Engelbert die Gespräche zu führen. Die Wahl fiel auf meinen damaligen Herren, Graf Friederich vom Isenberg. Er war nicht nur ein Verwandter Engelberts. Er war früher auch selber Kirchenmann in Köln gewesen. Er kannte die Leute dort mitsamt ihren Eigenheiten. Niemand machte ihm mangelnde Frömmigkeit zum Vorwurf. Auch jene weiteren Verhandlungen und Gespräche zogen sich über Jahre hinweg.
Ich selber war zu jener Zeit zunächst noch Knappe auf dem Niederenhof, gelegen in einem breiten Tal hinter dem Isenberg. Er gehörte nicht zur Burg, aber ich ging auf jener wegen der Nähe ein und aus. Ich sah damals als Heranwachsender den Herrn Friederich oft hin und her reiten.
Später wurde ich zum Ritter geschlagen. Ich ritt weiter häufig zur Isenburg, da sich dort viele Kämpfer trafen und übten. In dieser Zeit änderte sich das Verhalten des Grafen. Er wirkte immer grüblerischer und in Gedanken verloren. Die äußeren Verhältnisse beschäftigten ihn sehr. Er wurde immer wortkarger.
Trost fand er bei seiner Frau, der Herrin Sophia von Limburg. Ich will nicht zuviel sagen, aber es entstanden viele Kinder aus dieser Verbindung. Von ihnen soll später noch die Rede sein.
Schließlich traf man sich 1225 wieder einmal in Soest, der Bischof mit den Grafen und den Kaufleuten. Auch mein Herr war unter ihnen. Als er zurückkam, war es früher als erwartet, und war er sehr unruhig. Viele Ritter auf der Burg sagten damals, dass er manche Entscheidungen hin- und herwälzte. Einen Tag später schickte er mehrere seiner Kämpfer los, ohne zu sagen, wohin. Eine Reihe von Leuten war plötzlich einfach verschwunden. Uns war klar, dass es auf seinen Befehl hin geschehen war, nur nicht, was sie genau tun sollten. Der Graf selber lief auf und ab.
Ich erfuhr von einigen Reisigen später die Hergänge. Sie pressten missmutig hervor, sie hätten dem Bischof aufgelauert, um ihn gefangen zu setzen. Dann hätte man neu verhandelt. Die Männer kannten das Land, und hatten ihm im Unterholz eines zugewucherten Hohlweges eine Falle gestellt. Dort hatten sie gewartet, im Glauben, dass sie ihn ohne weitere Umstände festnehmen könnten.
Nun ist es so, dass Priester keine Waffen führen dürfen und auch gerne den Frieden predigen. Nichts dergleichen fand sich bei Herrn Engelbert. Er griff sich sofort beim ersten Zuruf eine Waffe und feuerte seine Leute gegen die klare Übermacht der Isenberger Mannen an. Er muss wirklich der Meinung gewesen sein, Gott würde ihm bei seinem Tun helfen. Doch statt eines göttlichen Eingreifens wurden nur die unsrigen immer zorniger. Bald gab ein Wort das andere unter den Rufen, und manche unserer Krieger fingen an, ebenso wütend wie wild zu werden.
Die Leibgarde Engelberts erwies sich als vernünftiger als er selbst. Als nichts mehr zu retten war, ergriffen die Leute die Flucht. Der Bischof allein hieb munter weiter um sich. Einige leicht Verletzte unter unseren Leuten begannen schließlich grimmig damit, gezielt auf ihn einzustechen. An eine Gefangennahme dachte niemand mehr. Etliche Schwertstiche fanden ihren Weg in den Leib Engelberts. Ein jeder von ihnen legte Zeugnis dafür ab, wie sehr der Kölner verhasst war unter Männern Westfalens.
Vieles ist gesungen und geschrieben worden über diese Tat und ihre Folgen. Ich möchte in diesem Buch jedoch nicht über die bekannten Teile der Geschichte schreiben, sondern darüber, was viel später durch sie geschah.
Natürlich blieb der Tod eines Bischofs kein Geheimnis. Herr Friederich geriet in Sorge, und er ließ allerlei Leute und Gerät auf die Burg schaffen, und sie auf eine Belagerung vorbereiten. Aufgeben hatte nie zu seinen Eigenheiten gehört. Auch ich gehörte zu den Verstärkungen. Nur mein alter Lehrer Konrad vom Niederenhof dachte gar nicht daran, sein eigenes Haus aufzugeben. Er hatte keine Befestigungsanlagen und nur drei starke Knechte. Was er dafür stets besaß, war ein ausgesprochener Sturkopf.
Innerhalb weniger Wochen im frühen Winter war Graf Adolf von Altena mit seinen Waffenknechten zur Stelle. Wir waren zunächst froh, dass es ausgerechnet Adolf war, der auftauchte. Er war ein Verwandter unseres eigenen Grafen, und wir erhofften von ihm ein milderes Vorgehen als von manchen Kölner Vasallen, die sonst noch hätten erscheinen können.
Bei dieser ersten Belagerung wurden unsere Annahmen dazu bestätigt. Der Niederenhof wurde entgegen aller Wahrscheinlichkeit nicht besetzt. Konrad verteidigte ihn mit einer geschüttelten Faust. Graf Adolf hätte ihn ohne nachzudenken überrennen können, errichtete sein Lager jedoch an der Ruhr. Er ließ verlautbaren, er habe Anweisung, die Isenburg zu belagern, und nicht irgendwelche Herrensitze in der Umgebung.
Die Belagerung ging ein paar Wochen, ohne, dass wirklich etwas geschah. Dann war Graf Friederich plötzlich fort. Niemand hatte etwas gemerkt. Manche der Belagerer sprachen von Geheimgängen, andere von falsch herum angenagelten Hufeisen. Einer schrie sogar lautstark, er habe im Traum den Teufel gesehen, wie er Graf Friederich einen gesattelten Hahn von der Größe eines Pferdes gegeben hätte.
Die Möglichkeit, dass ein paar der Belagerer mit oder ohne Absicht weggeschaut haben könnten, wurde erst gar nicht erörtert. Stattdessen wurde gegen Bezahlung der Besatzung freies Geleit angeboten. So kam auch ich wieder nach Hause. Wir Burgmannen hatten alle darauf gehofft, dass einige andere westfälische Grafen sich auf die Seite Friederichs stellen würden. Wir hatten lange auf Entsatz gewartet, waren aber enttäuscht worden.
So räumten wir die Burg. Sophia ging mit den Kindern zu ihren Verwandten in der Grafschaft Limburg an der Maas. Die Mauern der alten Isenburg wurden danach geschleift, so dass kaum noch etwas von ihnen stand.
Graf Friederich blieb verschwunden. Im Nachhinein erfuhr ich, dass er mit ein paar Umwegen und seinen beiden Brüdern nach Rom gezogen war, um vom Papst Vergebung zu erhalten. Die späteren Kölner Bischöfe schwiegen über dieses Kapitel ebenso wie die Päpste. Man sollte sich allerdings fragen, ob sie hätten schweigen müssen, wenn Friederich die Vergebung nicht erhalten hätte und er nicht zurück gekommen wäre?
Denn das tat er. Sein Bruder Dietrich, der Bischof von Münster, starb auf der Rückreise. Bischof Dietrich ist also letztlich für seinen Glauben an die Unschuld gestorben. Für mich klingt das wesentlich mehr nach einem Martyrium als die wilde Schlägerei, bei der Engelbert von Köln das Zeitliche segnete. Wenn irgendjemand in der ganzen Geschichte in Heiliger war, dann dieser Bruder. Nur die Kölner wollen in Engelbert unbedingt einen Heiligen sehen. Das führt nicht unbedingt dazu, dass man in Westfalen bish heute besser von ihnen denken würde.
Friederich war auf dem Weg nach Limburg, zu seiner angeheirateten Verwandtschaft. Durch Verrat gelang es dabei dem Grafen von Geldern, ihn gefangen zu nehmen. Er lieferte Friederichs Leben für Geld an die Kölner aus. Mir wird schlecht, wenn ich an die Raffgier dieses Mannes denke.
Außerdem gibt es bei allen Rechten und Gerichten einen ehernen Grundsatz, der lautet, dass niemals je Ankläger und Richter dieselbe Person sein dürfen. Nur in Köln scheint man davon noch nie etwas gehört zu haben. Man ging damals so vor, dass behauptet wurde, es säßen ja völlig verschiedene Teile der gleichen Kurie auf den Bänken.
In einem Prozess, der keiner war, wurde Graf Friederich für eine Tat verurteilt, die er nicht begangen hatte. Sehr wahrscheinlich hatte er noch nicht einmal den Auftrag zu so etwas erteilt. Die Kölner verurteilten ihn dazu, auf das Rad geflochten zu werden.
Friederich wurden sämtliche Knochen zerschlagen. Unter den Augen seiner liebenden Frau, die ihm Kraft gab, hielt er deutlich länger aus, als so manch Anderer. Schließlich starb er, der erfolglos für die Gerechtigkeit gekämpft hatte.
Nicht nur die Herrin scheint ihm Kraft gegeben zu haben, sondern auch er ihr. Nach dem Tod ihres Mannes welkte Sophia dahin, und starb wenige Monate später. Wie ich die Frau gekannt habe, hat sie vermutlich einfach viel zu wenig gegessen. Dadurch hatte sie keine Kraft mehr, als sie jene gebraucht hätte. Ihr Vater, der Herzog Walram von Limburg, schloss sich ihr an. Ich weiß nicht, was zwischen ihnen gesprochen wurde, aber er starb etwa zur gleichen Zeit.
Der Tod hatte einen Mantel der Stille über das Land ausgebreitet. Die kleinen Kinder des alten Isenbergers schwiegen, getröstet nur von Friederichs verbliebenem Bruder, der ausgerechnet Engelbert hieß, und Bischof von Osnabrück war.
In dem neuen Grafen Heinrich vom Limburg kochte die stille Wut über das Geschehen.
Wir, die wir als Ritter auf unseren Häusern an der Ruhr saßen, mussten zusehen, wie Graf Adolf von Altena eines nach dem anderen die Herrschaftsrechte Friederichs an sich brachte. Er wurde dabei immer dreister und fing bald an, selber Rechte zu missachten, wie es einst Engelbert von Köln getan hatte.
Mit der Zeit begann er, sogar die Geschichte seiner eigenen Familie zu verleugnen. Nachdem er anstelle der zerstörten Stadt Nienbrügge seine neue Stadt Hamm errichtet hatte, verstärkte er diese umgehend mit einer Burg, wie er es an anderen Stellen auch tat. Seine Wahl fiel allerdings auf diese, als es um einen neuen Namen für seine Familie ging. Die Burg hieß Burg Mark. Der Graf von Altena nannte sich also nun Graf von der Mark.
Auch sein Wappen blieb von seinen Erneuerungen nicht verschont. Er nahm das Wappen der ausgestorbenen Grafen von Cappenberg. Diese wurden wegen ihres frommen Lebens allseits als Heilige verehrt. Sie führten in Gold einen roten Balken. Es wurde in dieser Form später von Münster übernommen. Doch dieses Wappen reichte Adolf an Heiligkeit so noch nicht aus.
Um nicht zu sehr den Kölner Klerikern zu folgen, hielt er sich in vielerlei Hinsicht an den Orden der Zisterzienser. Deren großer Heiliger war Bernhard von Clairvaux. Diesem wiederum sagt man ein Wappen nach, das einen Balken mit Quadraten zeigte. Also ersetzte Adolf den rein roten Balken durch einen ähnlich gestalteten in Rot-Silber.
Er war nun Adolf von der Mark mit neuem Namen und neuem Wappen und er wollte mit seiner Isenberger Verwandtschaft nur noch zu tun zu haben, wenn er ihre Güter übernahm.
Mehrere Jahre ging dies so, von 1227 bis 1231. Dann begannen die Ereignisse, von denen dieses Buch handeln soll.
Fragt man nach einem ersten Ergebnis für die Aussage oder Moral dieses Kapitels, so ist dies die Standhaftigkeit. Im Süden von Deutschland nennt man sie „staete“. Das heißt eigentlich nur, dass man standhaft bleiben soll in Fragen, die ausreichend wichtig sind. Auch, wenn es ein paar Jahre dauert, soll man nicht einfach vergessen, und so tun, als wäre nichts gewesen. Viele mögen dies nachtragend nennen. Vielleicht muss man zu einem gewissen Teil nachtragend sein. Sonst vergisst man Recht und Unrecht.
Standhaftigkeit gilt es, als Ritter zu zeigen. Das überträgt sich dann auch darauf, wie man zu seinem Herren steht. Die Ritter des Isenbergs blieben in weiten Teilen aus Überzeugung bei ihm. Nur seine Gegner behaupteten, seine Linie wäre mit Friederich gestorben.
Dabei geht es auch um Selbstständigkeit. Man muss man selbst sein, man ist kein anderer. Man sollte zu sich selber stehen können. Es gibt Menschen, die sich ändern, ja. Aber die meisten bleiben in vielerlei Hinsicht doch gleich. Sie verhalten sich genauso, wie sie es ein paar Jahre vorher getan haben würden. Sie tun es im Guten wie im Schlechten. Die Aufgabe eines Ritters ist es, die guten Seiten zu erkennen und beizubehalten, und schlechtes Verhalten abzulegen und zu bekämpfen.
Gleichzeitig sollte man dafür die kämpferischen Fähigkeiten erlernen, um die richtigen Seiten durchzusetzen. Vielleicht ist es nicht immer einfach, gut und schlecht zu unterscheiden. Dann sollte man nicht nur andere Leute fragen, sondern besonders auch sich selbst, wie wichtig einem eine bestimmte Sache ist. Die wichtigeren werden meist auch die sein, für die es sich zu kämpfen lohnt.
Um das Kämpfen für die richtige Sache geht es in diesem Buch.
Es war kurz vor Ostern 1231, als ein guter Freund an mich herantrat. Ostern lag früh dieses Jahr. Es war Hermann von Steinkuhl, der sich von der Seite mit ein paar ersten Blumen an mich anschlich. Den Strauß drückte er meiner Frau in die Hand. Ein junger Mann bedürfe meiner Hilfe, sagte er, und tat dabei so, als ob jemand gestorben sei.
Es stellte sich heraus, dass es um Gerhard von Dreer ging, einen grünen Jungen, dem gerade der erste Bartflaum spross. Sein heimatliches Haus lag etwa auf halbem Wege zwischen Bochum und Dortmund. Weil der Bengel ins Mannesalter eintrat, suchte sein Vater nun einen Ausbilder für ihn, um aus ihm einen Ritter zu machen. Sie hatten ihn den Winter über bei sich behalten, um ihn mir nicht aufzuhalsen, wenn ich mit meinen Vorräten rechnen musste. Das war nett gedacht, aber ich legte sowieso immer eher zuviel als zuwenig zurück. Ich hätte meine Entscheidung sicherlich nicht von so etwas abhängig gemacht.
Zufällig war der Vater des Jungen besser mit meinem Freund Hermann bekannt als mit mir. Er bat daher diesen, ein gutes Wort bei mir für den Burschen einzulegen.
Mittlerweile hatte ich mir einen hinreichenden Ruf als Schwertkämpfer erarbeitet. Daher fragte man sich an vielen Stellen, wen ich wohl bereit wäre, als Knappen anzunehmen. Zwar hatte ich schon hier und da einmal eine Ausbildung übernommen, doch war es noch nie richtig umfassend gewesen, wie man es hätte erwarten können. Es gab viele Teile des ritterlichen Lebens, die ich mir selbst erst noch hinreichend klar machen musste, ehe ich sie an Andere weiter vermitteln konnte.
Genau der Kampf mit dem Schwert dagegen war nie mein Problem, sondern eher meine Stärke gewesen. Darum schreibe ich dieses Buch darüber.
Ich versprach Hermann von Steinkuhl, mir den Jungen anzusehen. Zwei Tage später kam dieser trotz Nieselregen auf meinem Haus vorbei. Ich bat ihn herein. Ich habe ein Anwesen mit einem starken, hölzernen Turm aus dicken Bohlen, samt ein paar Nebengebäuden.
Gerhard von Dreer war damals ein schlaksiger Junge, der reichlich aufgeregt war. An reiner Körpergröße kam er fast an mich heran. Dabei hatte er das Gewicht eines Suppenhuhns. Er trug bunte Tuche und sah mit diesen aus wie ein behängter Zeltmast. Zum Glück wehte kein Wind, der ihn hätte fortblasen können. Ich fürchte, dass ihn seine Eltern für den Anlass in seine teuersten Sachen gesteckt hatten. Wenn das allerdings gleichzeitig auch seine besten Sachen waren, dann war es sehr schlimm bestellt um die Familie von Dreer.
„So, du möchtest also Ritter werden?“, fragte ich ihn, nachdem mein ältester Knecht ihn angekündigt und zu mir in die Küche geführt hatte.
Er nickte, ohne etwas zu sagen.
„Weißt du, was das ist?“, fragte ich, und zog das Schwert, das ich an der Hüfte trug. Ich gebe zu, ich tat es, um ihn zu ärgern, und etwas aus seinem Schneckenhaus zu locken.
„Das ist ein Schwert“, sagte er.
Ich gab es ihm und meinte: „Gut, dann schlage einmal damit zu!“
Er führte einen Hieb in die Luft. Natürlich machte er alles falsch, was man bei so einem Hieb falsch machen kann.
„Wenn es ein Schwert ist, warum führst du es dann wie eine Axt?“, fragte ich ruhig und scheinheilig.
Er sah beschämt zu Boden und sagte nichts mehr. Ich schüttelte den Kopf über mich selbst. Ich hatte es falsch angestellt und ihn nur noch zusätzlich verunsichert.
„Also, man hat dich vermutlich deshalb ausgerechnet zu mir geschickt, weil ich es geübt habe, mit diesen Dingern umzugehen“, erklärte ich. „Ich weiß nicht, was du dir unter Schwertkampf vorstellst. Manche stellen sich zuviel darunter vor, und andere zu wenig.“
Er sagte immer noch nichts.
Ich fuhr geduldig fort: „Wahrscheinlich hast du dich schon als kleiner Junge mit Holzschwertern mit deinen Freunden geprügelt. Stimmt das?“
Es kam ein Nicken.
„Und wahrscheinlich hast du heimlich die Waffen deines Vaters in die Hand genommen, wenn er weg war. Stimmt das auch?“
Wieder kam ein Nicken.
„Das machen alle Jungen“, erläuterte ich. „Wichtig dabei ist, dass du gelernt hast, über unebenen Boden zu laufen und auch, wie ein Schwert in der Hand liegt. Manche Leute aus Städten bringen andere Voraussetzungen mit. Solche wie du kennen sich mit ihren Beinen auf grünen Wiesen aus. Andere sind in kleinen Bewegungen genauer, oder besser geübt mit bestimmten Muskeln. Du kannst wahrscheinlich gut darauf achten, ob Büsche hinter dir sind. Das nützt dir in echten Kämpfen ebenso etwas, wie in einem Spiel unter Freunden.“
Seine Miene entspannte sich ein wenig. Von einer echten Aufhellung will ich nicht sprechen. Aber ich hatte es geschafft, seine Gedanken in vertraute Bahnen zu lenken.
„Nimm dir erstmal ein Bier!“, sagte ich. Da wir sowieso gerade in der Küche waren, brauchte ich nur zur Seite zu langen. Dort stand ein Krug mit starkem Altbier. Ich glaube, so etwas trank er nur selten. Jeder weiß, dass Bier gesund und nahrhaft ist, und der Schnaps darin ließ ihn ruhiger werden. Bei so einem dünnen Hering wie ihm wirkte es doppelt. Beim Kampf sollte man dergleichen Getränke eigentlich besser bleiben lassen, aber hier ging es um ein tiefschürfendes Gespräch. Dafür ist man am Besten so besoffen wie möglich.
„Verzeiht“, sagte er nun endlich. „Ich danke Euch für das Bier.“
„Du wirst noch mehr davon trinken müssen. Als Knappe wirst du hier in diesem Haus wohnen.“
„Dann nehmt Ihr mich an?“
„Warum sollte ich denn nicht? Du erledigst einfach alle Drecksarbeiten, und wir kommen hervorragend miteinander aus.“
Diesmal schaffte auch er es, zu lächeln.
Tatsächlich plante ich zu Ostern in der kommenden Woche ohnehin einen Besuch in Witten. Dort fand in diesem Jahr zu dem Fest ein Jahrmarkt statt. Durch einen Zufall hatte ich im vorigen Sommer in Duisburg eine Truppe von Schaukämpfern getroffen, von denen ich wusste, dass sie dieses Jahr in Witten auftreten wollten. Es waren nette Leute, wenn auch nicht besonders einfallsreich bei ihren Auftritten.
Ich glaubte, Gerhard hätte sicherlich schon so etwas gesehen. Darum wollte ich ihm erklären, welche der Bewegungen dort auch in echten Kämpfen so geführt wurden, und welche großer Unsinn waren.
Wir machten uns also eine Woche später auf den Weg.
Ich nahm ein gutes Pferd, mit dem ich schon auf Turnieren erschienen war. Das Lanzenstechen hatte ich trotzdem nie richtig verstanden. Gerhard nahm die treue braune Stute von Ginevra, meiner Frau. Ja, der Name stimmt, lieber Leser! Ihr Vater hatte seine entsprechenden Vorlieben, was Geschichten anging. Jedenfalls brauchten wir von Hamme bis Witten rund anderthalb Stunden.
Vor Ort angekommen, holte ich Gerhard erst einmal eine Pastete. Die Pferde banden wir an der Seite an einen Baum. Der Ort war eine große, gemähte Wiese oberhalb der Ruhr. Etwas unterhalb ging eine Fähre.
Verschiedene Buden waren aufgebaut, und an der Seite stand eine Bühne. Ein paar Prediger liefen herum, weil ihnen der Ort gehörte. Sie versuchten, das Volk auf den österlichen Anlass des Ereignisses hinzuweisen. Die Besucher verärgerten sie damit eher. Die Leute aus den paar Hütten dort wollten feiern.
Wir liefen also zur Seite zu einem Bäcker und aßen einen Happen. Die Füllung des dampfenden Gebäcks bestand aus Ei, des Festes wegen. Bei dem Mann vom Verkauf erkundigte ich mich nach den Schaukämpfern. Ich erfuhr, dass sie in Kürze auftreten würden.
Bis dahin spielten noch ein paar Leute auf der Flöte. Sie hatten lange Instrumente, deren Töne weit trugen. Die Melodien trillerten und sprangen.
Viele Besucher des Marktes tanzten vor der Bühne. Ich grinste und machte Gerhard darauf aufmerksam, wie gut sich eben dieser Tanz auch als Übung für den Schwertkampf eignen würde. Er staunte zunächst und glaubte mir nicht recht. Daher erzählte ich ihm, wie viele Tänze auch von Rittern getanzt wurden, die ja ebenso Kämpfer wie Männer von Sitte waren. Auf diese Weise waren viele Bewegungen im Laufe der Zeit in den Tanz eingeflossen. Die einfachen Bauerntänze waren davon vielleicht weniger beeinflusst als jene an den großen Höfen, doch auch dort fanden sich Schritte aus dem Kampf wieder.
Endlich trat ein fahrender Herold auf die Bühne, der seine besten Tage schon hinter sich hatte. Mit näselnder Stimme kündigte er die Schaukämpfer an, die aus dem fernen Lüttich kamen.
Die Schaukämpfer selbst waren eine Truppe von vier Männern und einer Frau. Sie warfen sich Beleidigungen an den Kopf und führten Kämpfe wegen rein gar nichts. Die Frau griff mit einem Schürhaken ein, als einer der Kerle frech nach ihr grapschte.
Ich hatte diese Leute auch deshalb zum Vorzeigen ausgewählt, weil sie bei ihrer Vorführung echte Schwerter benutzten. Dies waren schartige, abgewetzte Waffen, deren Schneiden von einem Grobschmied stumpf geschlagen worden waren. Ich vermute, sie waren bereits ursprünglich lange in Anwendung gewesen. Dann hatten die Schausteller sie von einem zwielichtigen Krämer aus zweiter Hand gekauft. Ein rechtschaffener Händler hätte davon die Finger gelassen.
Trotzdem waren es echte Schwerter und ihr Gewicht war entsprechend richtig. Schwerter aus Metall sind zwar längst nicht so schwer, wie viele Leute meinen, verhalten sich beim Schlagen aber dennoch an vielen Stellen anders als Klingen aus Holz. Also würde die Anschauung Gerhard weiterhelfen.
„Da! Siehst du?“, fragte ich. Zwei Kämpfer hatten sich vor einander aufgestellt und ließen nun nicht nur die Worte, sondern auch die Klingen aufeinander krachen.
„Was? Das sie sich wenig bewegen?“ Gerhard versuchte ehrlich, etwas in den mangelnden Schritten der Schausteller zu erkennen.
„Nein. Sie schlagen eigentlich die ganze Zeit nur den doppelten Bogen. Das meine ich.“
„Den was?“
„Die Bewegung, wegen der wir hier sind. Der doppelte Bogen ist alles andere als einfallsreich. Andererseits reicht er aus, um Leute zu beeindrucken, die von Schwertkampf keine Ahnung haben.
Pass auf, nimm dir den Stock hier!“ Ich zog einen glatten Stängel von Armeslänge hervor, den ich zu diesem Zweck kurz zuvor im Wald aufgelesen hatte.
„So, das ist jetzt dein Schwert“, sagte ich. „Grundsätzlich kann man das Schwert für einen Schlag aus jeder Richtung führen. Zu Stichen kommen wir später.“
Ich machte es ihm mit meinem echten Schwert vor, den Schlag genau von oben, von unten, von links und von rechts. Dann kam ich zu den Schlägen, die diagonal zwischen ihnen lagen. Um sicher zu sein, dass er sah, was ich meinte, machte ich diese diagonalen Bewegungen fortwährend in einem durch.
„Siehst du? Das hier ist die Grundlage vieler Schaukämpfe. Mach das einfach mal nach!“
Er stellte sich hin und begann, die Bewegung richtig herum von oben her zu vollführen. Dann berichtigte er sich falsch und setzte sie von unten an.
„Nein, die Hiebe laufen von oben durch die Mitte, nicht von unten. Die andere Richtung ist zwar nicht falsch, aber du wirst bald feststellen, dass sie anstrengender für die Arme ist.“
Ich zeigte ihm die Bewegung weiter.
„Ich habe sie doppelten Bogen genannt, weil du so zwei Kreise in die Luft malst. Stell dir vor, dein Schwert wäre ein riesiger Pinsel, statt einem Ast.“
Gerhard hielt das Ding immer noch zu verkrampft.
„Du willst den Domplatz bemalen und den Bischof beeindrucken“, meinte ich. „Das kannst du nicht, wenn du ein eckiges Strichmännchen malst. Du musst deinen Pinsel ruhig und mit schwungvollen Bewegungen führen.
Du führst ihn über die Schrägen. Über die mittleren Schrägen gleitet er nach unten. Dann gleitet er außen in einem Bogen wieder nach oben, links wie rechts. So werden Bögen daraus. Siehst du? Von links aus runter, rechts außen wieder hoch, von rechts aus runter, links außen wieder hoch. Das ist der doppelte Bogen.
Es ist eine flüssige Bewegung, die niemals endet. Dein Schwert kann zwischendurch ruhig auf ein anderes treffen, die Bewegung endet trotzdem nicht. Es gleitet an einem Hindernis wie einem anderen Schwert einfach ab und gleitet weiter. Nichts Anderes machen diese Leute da gerade.
Du kannst die Schräge steiler oder flacher ansetzen. Versuche für den Anfang den Mittelweg! Manche Leute halten die eine Möglichkeit als besser für die andere. Ob dir selbst etwas davon mehr oder weniger liegt, musst du im Laufe der Zeit herausfinden.“
Mittlerweile achteten mehrere Umstehende mehr auf uns als auf die Bühne. Ich ließ sie zuschauen und fuhr fort in meinen Erklärungen.
„Du kannst das hier ebenso gut mit einem Stock wie mit einem Schwert machen. Wenn du die reine Kraft in deinen Armen steigern willst, dann mach die Bewegung mit einem schweren Krug. Achte nur darauf, dass er gut verschlossen ist!“